Spuren des Nationalsozialismus im bayerischen Oberland
Schliersee und Hausham zwischen 1933 und 1945
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REINHOLD FRIEDRICH, M. A., Jahrgang 1944, lebt in München und Schliersee. Er studierte in München Geschichte, Germanistik und Erziehungswissenschaften. Es folgte eine langjährige Tätigkeit mit diversen Veröffentlichungen in der Lehrerausbildung als Seminarleiter an einem Münchner Gymnasium. Der Schlierseer Gegend ist er nicht zuletzt durch eine mehrjährige Tätigkeit am Gymnasium Miesbach verbunden, auf die diese Untersuchung zurückgeht.
Wie in jeder Gemeinde sind auch in Schliersee die Menschen stolz auf eine lange Geschichte. Über 1200 Jahre können wir zurückblicken, bis ins Jahr 779, als fünf Brüder am Schliersee ein Kloster gründeten. 1979 wurde anlässlich der 1200-Jahr-Feier eine umfangreiche Ortschronik erstellt, die heute noch das maßgebliche Nachschlagewerk unserer Gemeinde ist und uns viele Informationen über Geschichte, Kultur, Kunst und Bauwerke liefert.
Auch heute noch gibt es viele Bürgerinnen und Bürger, die sich mit einzelnen Abschnitten der Heimatgeschichte beschäftigen und versuchen, Vergangenes nicht vergessen zu lassen. Viele Details wurden untersucht und erforscht. Vom Beginn des Tourismus, den Anfängen der Eisenbahn oder einem großen Sturmereignis am Spitzingsee ist uns einiges erhalten geblieben und bekannt gemacht worden.
Ein Abschnitt der Geschichte wurde bislang allerdings noch nicht beleuchtet. Über die »dunklen« Jahre 1933 bis 1945 ist relativ wenig veröffentlicht worden. Fast könnte man meinen, man hätte diese Zeit verdrängt oder schamhaft verschwiegen. Aber auch dieser Zeitraum gehört zu unserer Geschichte und es ist interessant zu sehen, welche Auswirkungen die Ideologie der NSDAP auf unsere Region hatte und wie ein Kreisleiter versucht hat, seine Überzeugung umzusetzen und anders denkende Menschen beeinflusst und auch schikaniert hat. So können wir auch heute aus dieser Zeit lernen und wir sollten uns bewusst sein, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, in Frieden und Freiheit leben zu können und die Segnungen einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung genießen zu dürfen.
Ich wünsche diesem Buch viele interessierte Leser. Dem Autor danke ich persönlich für seine akribische, wissenschaftliche Arbeit, mit der er ein weiteres Kapitel der Heimatgeschichte Schliersees erhellt.
Franz Schnitzenbaumer
Erster Bürgermeister der
Marktgemeinde Schliersee
Der Autor kam 1958 nach München und ging in Neuhausen zur Schule. In diesen Jahren war dort, vor allem im Bereich der Donnersberger Brücke und am Rotkreuzplatz, ein viertelbekanntes Orginal zu sehen: Eine Frau fuhr in einem Kinderwagen eine ziemlich große Gans spazieren und unterhielt sich ständig mit ihr, ihrem Sohn. Sie hatte ihn im Krieg verloren und, so erzählte man, die Nachricht von seinem Tod nicht verkraftet. Den Leuten war dies offenbar plausibel, sie reagierten mit Verständnis, nicht einmal Kinder machten sich über dieses Verhalten lustig. Offenbar bedurften in dieser Zeit solche Verdrängung und eigenwilliger Umgang mit der Realität der Kriegszeit keiner besonderen Erklärung.
Jahrzehnte später zog der Autor Mitte der Siebziger Jahre nach Schliersee. Es stand das Jubiläum der 1250-Jahrfeier des Ortes an, zu der unter anderem die Herausgabe einer umfangreichen Chronik gehörte. Sie war eine ausführliche, sachkundige Einführung und Zusammenfassung der historischen und sozialen Aspekte des Ortes, die bis heute einen konkurrenzlosen Zugang zu Informationen über den Ort bietet. Das Spektrum reicht von der Orts- und Kunstgeschichte über viele Spezialgebiete wie Jagd, Fischerei bis hin zu Hausund Straßenverzeichnissen. Über die Jahre von 1933 bis 1945 ist fast nichts enthalten. Nicht einmal die Zahl der Bürgermeister ist vollständig.
Diese sicher nicht zufällige Lücke oder Wunde heilt mit der Zeit wie alle Wunden. Die »Chronik von Hausham«, mehr als dreißig Jahre nach der »Schlierseer Chronik« erschienen, noch nicht abgeschlossen und mit vier Bänden noch umfangreicher angelegt, enthält durchaus ein Kapitel über die Jahre der NS-Zeit, illustriert mit informativen Fotos.
Andere Informationen ergeben sich eher zufällig und ungewollt: Etwa wenn Schliersee als Residenz einer Nazi-Größe auftaucht, wie im Fall der viel beachteten Publikationen von Niklas Frank. Er ist der Sohn von Hans Frank, dem ehemaligen Generalgouverneur von Polen. Oder wenn in einer neuen Dokumentation über die Konzentrationslager auch im Schlierseer und Haushamer Gebiet Standorte von Außenkommandos des Dachauer Lagers enthalten sind. Auch das brauchte seine Zeit: Niklas Frank wurde über 60 Jahre alt, bis er sich an die öffentliche Aufarbeitung seiner Vaterbeziehung machte, und der erste Band der KZ-Lager-Dokumentation erschien erst vor vier Jahren.
Dass die vorhandenen Lücken der Erinnerung peinlich sein können, wurde besonders in der letzten Zeit deutlich. Jeweils im Mai fanden bisher unspektakulär jährliche Gedenkfeiern für die am Annaberg gefallenen Mitglieder des Freikorps Oberland statt. Anders im Mai 2006: Die Briefkästen waren voll mit Flugblättern. Polizeisperren, Verfassungsschutzfotografen, Träger von rechtsradikalen Symbolen und Gegendemonstranten beherrschten den Ort. Die Schlierseer mussten aus den Medien erfahren, dass ihre Gemeinde zu den zentralen überregionalen Begegnungs- und Gedenkstätten der rechtsradikalen Bewegung in Deutschland gehörte.
Auch der überregionalen historischen Dimension der Orte für die Geschichte der NS-Zeit ist man sich wenig bewusst. Am benachbarten Tegernsee verhält sich das wegen der »Röhm-Affäre« von 1934 etwas anders. Diese ist mit Bad Wiessee unterschwellig ebenso untrennbar verbunden wie Dachau mit den Konzentrationslagern oder Nürnberg mit den Rassegesetzen und jedes Kind hat davon im Geschichtsunterricht gehört: Das Bonmot vom »Lago di Bonzo« entstand schon in den Dreißiger Jahren und bezog sich auf die dichte Besetzung mit nationalsozialistischer Prominenz wie Himmler, Amann, Schwarz. Es ist dagegen kaum bekannt, dass diese »Bonzenregion« auch das Schlierseer Tal umfasste. Drei Reichsminister und zusätzlich zwei Reichsleiter der NSDAP residierten hier und bereicherten die nahe gelegene Tegernseer Runde.
Es hat durchaus auch Vorzüge, dass die Beschäftigung mit der Ortsgeschichte dieser Zeit erst jetzt und nach der langen Distanz von 50 bis 70 Jahren anfängt. Persönliche Rücksichten, Verstrickungen usw. gibt es kaum mehr, ein Umstand, der im eng gewebten Milieu einer Gemeinde von wenigen Tausend Einwohnern viele Informationen unerreichbar bzw. zweifelhaft machte. Jeder, der sich mit Spruchkammerakten beschäftigt hat, kennt das System von Gefälligkeitsgutachten, obskuren eidesstattlichen Erklärungen und blanken Lügen. Heute leben fast alle Beteiligten nicht mehr, auch die Schutzfristen der Archive sind meist abgelaufen und die Archive gefüllt, wohl geordnet und erschlossen.
Diese Untersuchung zu den Spuren der NS-Zeit will nicht alle Bereiche und Ebenen des Nationalsozialismus in Schliersee und Hausham erfassen. Sie stellt also weder eine vollständige allgemeine Geschichte dieser Orte im Zeitraum zwischen 1933 und 1945 noch eine vollständige Geschichte der Ortsgruppen der NSDAP vor. Der Schwerpunkt liegt bei den Orten, Einrichtungen und Personen, die im Rahmen der NSDAP und ihrer Gliederungen SA und SS in den Gemeindegebieten von Bedeutung waren.
Eine Aufnahme der Einrichtungen von angegliederten Verbänden der NSDAP wie der NSV-Heime, der Kinderlandverschickung KLV, der militärischen Einrichtungen und der Fremdarbeiterlager für das Haushamer Bergwerk ist für die Ortsgeschichte sinnvoll. Sie erfolgt nicht systematisch oder gar vollständig und wird nur bei Bedarf einbezogen, besonders im Teil über die letzten Kriegstage.
Abgrenzungsschwierigkeiten ergaben sich besonders im Fall des Kreisleiters Danninger und des Reichsführers SS Himmler. Danninger war als Kreisleiter für den gesamten Landkreis zuständig, ist aber als Einwohner und Bürgermeister seiner Gemeinde Schliersee besonders verbunden gewesen. Hier werden nur solche Aktivitäten behandelt, die Schliersee und Hausham betreffen. Himmler war als gelegentlicher Nutzer seines Jagdhauses im Außengebiet der Gemeinde Schliersee nur eine Randfigur. Er wurde aber in die Untersuchung eingebunden, weil mit dem Jagdsitz auch die Einrichtung von KZ-Außenkommandos verbunden war und zudem sein Wohnsitz Gmund in unmittelbarer Nähe des Haushamer Gemeindegebiets lag.
Bei der wichtigen Frage des Zuzugs von Parteiprominenz und Vorhandensein von Parteieinrichtungen wurde selektiv vorgegangen. Außer den drei besonders Prominenten Himmler, Frank und Meißner gab es nämlich noch andere exponierte Nationalsozialisten, die zumindest zeitweise im Ort wohnten, vor allem den NSDAP-Reichsleiter Wilhelm Grimm und den Reichsführer des NS-Kriegsopferverbands Hanns Oberlindober. Weder deren zeitweise Anwesenheit im Ort noch ihre Funktion im gesamten NS-System waren von besonderer Bedeutung. Deshalb werden sie hier nicht weiter behandelt.
Konzeptionell ist diese Untersuchung vor allem regionalgeschichtlich ausgerichtet, was bei den in der Literatur viel behandelten Himmler, Frank und Meißner eine Entlastung brachte. Es wurde in diesen Fällen eine Beschränkung auf regionale Themen und Aspekte versucht. Alle Kapitel mit streng regionalgeschichtlicher Ausrichtung sind im ersten Teil »Einrichtungen und Organisationen« zusammengefasst. Der zweite Teil »Ein Magnet für NS-Größen« greift wegen der reichsweiten Tätigkeit der behandelten Prominenten weiter aus. Insgesamt sollen sich die Teile mit regionalem Schwerpunkt und solche mit weiterem Bezug ergänzen. Insgesamt könnte sich so durchaus eine Spiegelung der gesamten NS-Zeit im engen regionalen Rahmen ergeben. Diese Implosion der großen Geschichte auf kleinem Raum wird besonders offensichtlich in der »Episode Cafe Bergfrieden« in Kapitel 6. Im März und April 1945 fand die Abwicklung der Regierung des Generalgouvernements Polen in einem kleinen Cafe in den bayerischen Bergen statt.
Der zweite konzeptionelle Schwerpunkt »Orte und Erinnerungen« ist zentral auch für die Gliederung.
Jedes Kapitel geht von einem Ort im Gemeindegebiet aus. Dieser wird zuerst in seinem heutigen Zustand vorgestellt, darauf folgt die Darstellung der historischen Bezüge. Beim Lesen muss keine bestimmte Reihenfolge eingehalten werden. Jedes Kapitel kann separat gelesen werden und ist am Ende durch Anmerkungen und Literaturangaben ergänzt. Eine gewisse Redundanz ist deshalb nicht ganz zu vermeiden. Zwischen den Kapiteln sind Artikel von jeweils einer Seite eingeschoben, die für Zusatzinformation sorgen und grundsätzliche Orientierung in einigen wichtigen Fragen bieten.
Die Einteilung in zwei Hauptteile ist auch methodisch bedingt.
Im zweiten Teil überwiegt die Arbeit mit der reichlich vorhandenen Literatur. Die deshalb erforderliche Beschränkung wurde schon angesprochen. Die ausgewählten Aspekte haben regionalgeschichtlichen Bezug und verbinden den engeren Raum mit der weiteren nationalsozialistischen Welt. So wird z. B. der Frage nachgegangen, wie den gelernten Landwirt, Naturschwärmer und Jagdhausbesitzer Himmler diese Eigenschaften bei der Ausformung der nationalsozialistischen Ideologie und seiner Tätigkeit als SS-Organisator beeinflusst haben. Im Fall Frank ist z. B. interessant, wie der bekannteste Vertreter des nationalsozialistischen Bereicherungssystems seinen Schlierseer Landsitz in dieser Hinsicht nutzte.
Im ersten Teil steht die Spurensicherung im Vordergrund. Dazu dienen vor allem die Dokumentation des heutigen Zustands der einschlägigen Erinnerungsorte und die Erschließung der zur Verfügung stehenden Quellen. Dabei erwies sich die Lage als nicht so problematisch, wie es zuerst erschien. Denn wegen der Vernichtung der Akten in Kreisamt, Rathaus und Privathaus im Mai 1945 auf Anordnung des Kreisleiters bestehen praktisch keine archi- valischen Bestände vor Ort. Ersatz bieten aber die Spruchkammerakten im Staatsarchiv München und die vollständige Sammlung der Heimatzeitungen im Stadtarchiv Miesbach. Eher ein Zufall ist wohl, dass ausgerechnet die Akten der SA-Gruppe Hochland überdauert haben. Sie belegen z. B., dass die ohnehin überregional bedeutsame SA-Gruppenschule gegen Kriegsende Ausweichquartier der Obersten SA-Führung wurde und Schliersee damit zum Zentrum ihrer gesamten Tätigkeit.
Ein letzter methodischer Hinweis ist im Zusammenhang mit der Überschreitung des thematischen Fokus in zwei Fällen nötig. Das Kapitel 3 zum Oberlanddenkmal geht deutlich über den gesetzten Zeitrahmen hinaus, denn es behandelt die Jahre von 1920 bis heute. Der Teil »Die Kriegsbeendigung in Schliersee« des ersten Kapitels sprengt die enge Fixierung an den Nationalsozialismus. Es geht vor allem um die Kriegslage und militärische Fragen. In beiden Fällen erfolgt die Ausweitung aus Gründen der Dienlichkeit für den Ort Schliersee. Im ersten galt es für die Beurteilung der rechtsextremen Umtriebe an der Oberlandgedenkstätte eine tragfähige, historisch fundierte Grundlage zu schaffen. Beim zweiten besteht eine durch einen früheren Ortspfarrer ausgelöste Legendenbildung über die letzten Kriegstage, die einer kritischen Überprüfung dringend bedarf. Militärische und politische Vorgänge gingen dabei eine kaum zu trennende Verbindung ein. Auch Orts- und Gesamtgeschichte deckten sich wieder: Die Schüsse, die in diesem Zusammenhang in Schliersee und Hausham fielen, waren wohl die letzten im gesamten Kriegsgebiet. Schliersee selbst dürfte einer der letzten verteidigten Orte im Reich gewesen sein, wenn nicht der letzte!
Die erste Tagung der Kreisleiter des Gaus München-Oberbayern der NSDAP fand 1934 in Schliersee statt. Ein Bild zeigt die angetretenen Kreisleiter in Parteiuniform vor dem Schlierseer Rathaus.
Die Auswahl des Ortes Schliersee für diese Veranstaltung hat sicher mit der Person Franz Danningers zu tun. Er war von Anfang an dabei und sollte auch der dienstälteste Kreisleiter im Gau bleiben.
Zuerst seine Parteilaufbahn:
Danninger trat schon im Januar 1923 in die Partei ein, pausierte in der Zeit des Verbots der NSDAP bis 1925, machte dann aber sehr schnell eine regionale Parteikarriere: Vom Kassenleiter und Schriftführer stieg er auf zum Schlierseer Ortsgruppenleiter (1927 bis 1932), zum Bezirksleiter im Bereich der Eisenbahnlinie zwischen Miesbach und Bayrischzell (1928 bis 1932), zum Kreisleiter Kreis Miesbach (1932 bis 1945). Auf Befehl der Gauleitung gab er 1934 seinen ausgeübten Beruf im Haushamer Bergwerk auf und übernahm zusätzlich ehrenamtlich das Bürgermeisteramt in Schliersee bis 1938. In diesem Jahr wurde er hauptamtlich in die Partei übernommen, aber vor die Wahl zwischen Kreisleiteramt in Miesbach oder Bürgermeisteramt in Schliersee gestellt. Er entschied sich für die Kreisleitung. Bis zu seiner Gefangenschaft und Internierung im Mai 1945 änderte sich nichts mehr. Er wurde lediglich im März 1940 zur Wehrmacht eingezogen und verbrachte die Zeit bis 1942 als Hauptmann in einem Pionierbataillon an der Ostfront, bis er unabkömmlich gestellt wurde und wieder in seinen Kreis Miesbach zurückkehrte. Er hatte seine u. k.-Stellung nicht betrieben, als Patriot sogar zweimal vorher abgelehnt. Seit 1931 war er bei der SA, zuletzt im Rang eines Sturmbannführers.
Appell von NSDAP-Kreisleitern vor dem Rathaus in Schliersee anlässlich einer Tagung 1934
Danninger lebte in Schliersee, bewohnte ein Haus am nördlichen Ortsrand in Westenhofen. Er war aber kein Schlierseer. Streng genommen nicht einmal ein Deutscher, er stammte wie Adolf Hitler aus Österreich.
Danninger wurde 1896 in Haizendorf, Niederösterreich als Sohn eines Schlossermeisters in einer dreizehnköpfigen Familie geboren und fiel dem Pfarrer wegen seiner Begabung auf, der ihm den Besuch des Gymnasiums in Krems empfahl. Er durchlief diese Schule bis zur Matura 1916. Das war bereits im Ersten Weltkrieg. Als Soldat des österreichischen Heeres brachte er es bis zum Offizier, zu Kriegsende war er Leutnant. Dieser respektable bürgerliche Aufstieg, der sich eigentlich durch ein Studium an der Handelsakademie in Wien fortsetzen sollte, endete abrupt nach dem zweiten Semester wegen Geldmangel. Wie viele in der Krisenzeit nach dem Krieg spielte er mit Auswanderungsplänen, sein Ziel war Kanada. Deutschland wollte er eigentlich nur durchreisen, blieb aber schon im bayerischen Schwandorf hängen. Er fand dort Arbeit in einem Bergwerk, das aber bald schloss. Er wurde an ein anderes Bergwerk weitergereicht, nach Hausham, wo Kohle gefördert wurde.
Das war 1921, seitdem arbeitete er im Bergwerk als Materialverwalter bzw. Rechnungsführer, ließ sich im benachbarten Schliersee nieder, heiratete eine Apothekerstochter aus München, mit der er zwei Kinder hatte. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Arbeit für die NSDAP stellte sich auch eine materielle Konsolidierung in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten ein. Statt seines monatlichen Verdiensts von RM 300 aus dem Bergwerk bekam er als Aufwandsentschädigung für die Parteiarbeit ab 1932 RM 400, zusätzlich ab 1934 für das Bürgermeisteramt RM 4001. Nun hatte er den Aufstieg doch noch geschafft, als Familienvater, als Hausbesitzer, als Bürgermeister in seiner neuen Heimat.
Adolf Hitler 1927 auf dem Weinberg, rechts von ihm Franz Danninger, ganz rechts Hans Schlutt
Der Absturz bei Kriegsende 1945 war dann ebenso rasant: Nach kurzer amerikanischer Kriegsgefangenschaft kam er wegen seiner NS-Belastung in diverse Internierungslager bis zu seiner Spruchkammerverhandlung im Februar und März 1948. Der Ausgang war für ihn niederschmetternd. Er wurde als Hauptschuldiger eingestuft und zusätzlich bestraft: Zehn Jahre Arbeitslager mit Anrechnung seiner bisherigen politischen Haft von zwei Jahren, Einzug des gesamten Vermögens bei Belassung von 3000 RM, Zahlung eines Betrags von 25 Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens in einen Wiedergutmachungsfond, Berufsbeschränkung für 15 Jahre. Dieses Urteil der Kammer war vergleichsweise hart, bei einer Berufungsverhandlung im Januar erreichte er eine Herabstufung in die Gruppe der Belasteten und eine Reduzierung der Dauer der Arbeitslagerhaft auf dreieinhalb Jahre, die durch die Internierung als abgebüßt galt. Danninger konnte das Gericht damit 1949 als freier Mann verlassen. Fortan bemühte er sich weiter um Revision und Gnadenerweise. Er erreichte schließlich, dass die vermögens- und arbeitsrechtlichen Teile des Urteils als Verwaltungsakte des zuständigen Ministeriums aufgehoben wurden, nicht aber die Einstufung als Belasteter. Seine laufenden Eingaben wurden abgewiesen, erst 1955 wurde der Entnazifizierungsakt Danninger geschlossen.
Im Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 20.10.1954 hatte Danninger geschrieben:
»Seit 10 Jahren werde ich nun als Mensch 2. Klasse behandelt. Meine Berufsgrundlage ist vernichtet. Mein ganzes Vermögen wurde geplündert. Meine Gesundheit wurde mir zerstört. Was soll ich mit meiner Familie, wenn mein 73jähriger Schwiegervater nicht mehr arbeiten kann, bei dem ich mit meiner Familie Unterkommen gefunden habe, als 60jähriger anfangen?«2
In diesem weinerlichen Ton sind seine Revisionsanträge gehalten. Er stellte sich als ein unschuldig verfolgter armer Teufel dar, der am Hungertuch nagt. Die Realität sah zu dieser Zeit bereits deutlich anders aus. Seine Frau hatte sofort nach Kriegsende Schliersee verlassen und in der Abwesenheit Danningers bei ihren Eltern in München Aufnahme gefunden. Sie führte den Haushalt des Vaters, dessen Apotheke zur Zeit der Entlassung ihres Mannes wieder florierte. Auch Danninger stieß dazu, half zuerst in Haus und Geschäft, bis er nach Aufhebung seiner Berufsbeschränkungen 1953 offiziell die Geschäftsführung der Apotheke übernahm. Er behielt sie bis 1966 bei, nach dem Tod des Schwiegervaters 1959 mit einem angestellten Apotheker. Seine Familie war also, entgegen den Darstellungen gegenüber den Behörden, recht ordentlich durch die schlechte Zeit gekommen.
Noch etwas spiegelt der beleidigte Ton des Wiederaufnahmeantrags: Er fühlt sich zu Unrecht verfolgt, seine eigenen Vergehen im Dienste des NS-Systems wurden ihm niemals als solche bewusst. Die Aufdeckung der NS-Verbrechen und die fatalen Kriegsfolgen für das eigene Volk änderten nichts an seiner nationalsozialistischen Überzeugung. Vielmehr engagierte er sich für die rechtsextremen Parteien DRP und NPD. Er übernahm zwar keine Funktionen, besuchte aber regelmäßig solche Versammlungen und bot auch finanzielle Unterstützung bis zu seinem Tod 1976 in München.
Natürlich stellt sich die Frage, was Danninger im einzelnen in seiner Amtszeit zu verantworten hatte, um eine Strafe des Ausmaßes zu begründen, wie sie die Miesbacher Spruchkammer 1948 verhängte. Es können nicht nur widrige Umstände sein, die aber nicht von der Hand zu weisen sind. Einer der Umstände ist, dass gerade zur Zeit des Verfahrens eine Inspektion durch die amerikanischen Militärbehörden stattfand, vor dem offensichtlichen Hintergrund, dass die Miesbacher Verfahren von deutscher Seite zu lasch und schleppend vor sich gingen. Das sollte korrigiert werden. Zum anderen war die Spruchkammer, aus ehrenamtlichen Richtern bestehend, für Danninger denkbar ungünstig besetzt, denn sie bestand aus einem sozialdemokratischen Vorsitzenden und mehrheitlich kommunistischen Beisitzern, die teilweise im Konzentrationslager gewesen waren. Auch die äußeren Umstände – wegen des zu erwartenden Andrangs wurde die öffentliche Verhandlung in den Bräuwirt-Saal verlegt – ließen eine für den Angeklagten ungünstige Tribunalstimmung befürchten. Im Vergleich zu anderen Kreisleiter-Verfahren fiel das Urteil, vor allem die Einstufung als Hauptschuldiger, recht hart aus und wurde in der Revision auch geändert.
Der öffentliche Kläger warf Danninger über die formale Belastung als Kreisleiter und SA-Sturmbannführer hinaus praktische Gewaltanwendung gegen politische und religiöse Gegner, ihre Verhaftung und Verfolgung vor. Auch wurde ihm der Versuch angelastet, seine Gemeinde Schliersee zum Kriegsende beim Einmarsch der amerikanischen Truppen sinnlos zu verwüsten. Nach Ablauf der Verhandlung verzichtete der Kläger auf den letzten Punkt, der kaum zu beweisen war.
Danninger war persönlich anwesend und wurde durch einen in Spruchkammerverfahren versierten Rechtsanwalt vertreten. Die Verhandlung selbst drehte sich immer wieder um einen zentralen Punkt: Es ging weniger um konkrete Vorwürfe, z. B. die Einweisung einer Person ins KZ Dachau, als um die ständige Einlassung der Verteidigung, ein Kreisleiter habe keine Exekutivbefugnis gehabt, alles sei außerhalb seiner Zuständigkeit gewesen, die sich nur auf Parteiangelegenheiten erstreckt habe. Als Fachmann und Entlastungszeuge der Verteidigung wurde dabei der Gauleiter von Tirol Hofer gehört. Die Kammer folgte, wie das Urteil zeigt, dieser Generallinie der Verteidigung nicht.
Zur Klärung dieses Umstands soll hier kurz auf Position und Funktion eines Kreisleiters eingegangen werden.
Kennzeichen des NS-Herrschaftssystems ist grundsätzlich neben dem Führerprinzip, also einem hierarchischen System mit Befehl und Gehorsam, die Existenz einer vielschichtigen Machtausübung mit komplizierten und oft kaum durchschaubaren Zuständigkeiten
Denn das Land war durchgehend mit Parteifunktionären der NSDAP auf mehreren Ebenen durchzogen. Im Landkreis herrschten die Kreisleiter, darunter in den Kommunen die Ortsgruppenleiter (u. a. Schliersee, Hausham), darüber die Gauleiter (München/ Oberbayern) bis hinauf zu den Reichsleitern und zum Führer der Partei. Daneben gab es immer noch die alten Verwaltungsorgane, die parallel organisiert waren: Zum Ortsgruppenleiter den Bürgermeister, zum Kreisleiter den Landrat, zum Gauleiter den Innenminister usw.
Häufig waren beide Bereiche in einer Hand, sozusagen in Personalunion, z. B. war Adolf Wagner, nach dem in beiden Orten Straßen benannt waren, der zuständige Gauleiter und zugleich Innenminister. Damit hatte der Gauleiter als Innenminister Exekutivbefugnisse, er ernannte z. B. über die Regierungspräsidenten die Bürgermeister und instruierte die Landräte. Zusätzlich komplizierte sich das System durch die Rolle der politischen Polizei wegen ihrer engen Verknüpfung mit der SS. So stellte sich während der Verhandlung heraus, dass der Landrat Heuser, gleichzeitig Kooperationspartner und Konkurrent des Kreisleiters Danninger, den Spitzeldienst der Gestapo, den SD, im Kreis führte, wohl ohne dessen Wissen.
Ein Beispiel3 aus dem Jahr 1944 soll diese Problematik kurz illustrieren.
Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde reichsweit sofort eine Verhaftungswelle gegen politische Gegner, die in Listen erfasst waren, in Gang gesetzt, die »Aktion Gitter«. Bei der Kreisleitung lag eine seit 1933 bestehende und aktualisierte Liste mit 142 Personen, meist Funktionäre der ehemaligen Parteien, die als Staatsfeinde im Bedarfsfall in Schutzhaft genommen werden sollten. Danninger berief sich auf den vorliegenden Befehl Himmlers, der Landrat, ebenfalls und getrennt instruiert, sollte die Verhaftungsbefehle ausstellen. Offenbar konnten sich beide nicht einigen, keiner hatte recht Lust auf ein hartes Vorgehen, aber sie trauten sich auch nicht den Befehl zu ignorieren, es war immerhin eine Vollzugsmeldung nötig. In dieser Situation mischte sich der Gendarmeriehauptmann Josef Braun ein. Er war zuständig für den Vollzug und hatte bei Dienstbeginn in Miesbach zwei verhaftete Bergleute vorgefunden und zusätzlich von fünf verhafteten Bergleuten in Hausham erfahren. Er kannte sie und hielt sie für harmlos. Das brachte er beim Landrat und beim Kreisleiter vor. Aber beide taktierten weiter und wollten die Verantwortung für eine Entlassung der Verhafteten nicht übernehmen. Vor allem Danninger sträubte sich noch unter Berufung auf den Befehl Himmlers. Da übernahm Braun die Initiative, setzte sich mit der Gestapo in München in Verbindung. Dort kannte er einen Mitarbeiter und erreichte, dass von dort eine Weisung nach Miesbach erging, die zur Entlassung der Verhafteten führte.
In den Spruchkammerakten ist zu lesen, dass Landrat wie Kreisleiter die Entlassung für sich beanspruchten, die Verantwortung für die Verhaftung schoben sie sich gegenseitig zu. Die Rolle Brauns und der Münchner Gestapo übergingen sie hingegen. Erst eine Gegenüberstellung mit Braun, der als Zeuge geladen war, half ihrem Gedächtnis nach.
Diese Pluralität und Unübersichtlichkeit der Zuständigkeiten in der NS-Hierarchie zeigt, wie schwierig für die Spruchkammern die Zuschreibung von Verantwortung war. Dabei war dieser Fall der wichtigste Teil der Anklage. Erst nach einer zweiten Vorladung gab der Landrat P. – von 1933 bis 1945 gab es drei Inhaber des Postens in Miesbach – unmissverständlich und schriftlich als Korrektur einer vorigen Aussage zu:
»Es sind Schutzhaftbefehle auf Anregung oder Wunsch des Kreisleiters ergangen, wobei ein ›Wunsch‹ der Kreisleitung für uns beim Bezirksamt soviel wie ein strikter Befehl war. Nachdem uns Beamten bei jeder Versammlung, bei jeder Kundgebung und auch bei jeder Dienstbesprechung mit den vorgesetzten Stellen immer wieder eindringlichst vor Augen gehalten wurde, dass die Partei befiehlt und der Staat gehorchen muss.«4
Auf solche und ähnliche Weise sind in diesen Jahren allein 327 Verhaftungen wegen politischer Gegensätzlichkeit beim Amtsgericht Miesbach registriert. Es kam zu 122 Sondergerichtsverfahren im Wirkungsbereich Danningers.
Er war zugleich ein kleiner König und der »bestgehasste Mann im Kreis«, wie es die Frau von Hans Frank einem Schlierseer Bekannten zusteckte. Zu seiner Tätigkeit stand ihm in seiner Doppelfunktion als Bürgermeister in Schliersee und Kreisleiter in Miesbach ein umfangreicher Apparat zur Verfügung. Im Durchschnitt verfügte ein oberbayerischer Kreisleiter der NSDAP über sieben zum Teil hauptamtliche Mitarbeiter für die Bereiche Schulung, Personalamt, Organisation, Geschäftsführung, Kasse, Propaganda und Presse im engeren Stab der Kreisgeschäftsstelle und zusätzlich eine Reihe untergeordneter Dienststellen wie z. B. Beauftragte für Rassenpolitik, Volksgesundheit, Beamte, Erziehung, Bauern usw.: Insgesamt umfasste dieser erweiterte Kreisstab durchschnittlich 42 Personen, die ihm direkt unterstellt und von ihm ausgewählt waren. Lediglich der Leiter des Kreisamts5 und die Ortsgruppenleiter mussten vom Gaupersonalamt in München bestätigt werden. Dazu kamen bei Danninger das Bürgermeisteramt in Schliersee mit dem Gemeindepersonal und der Umstand, dass mit der Gruppenschule der SA auch eine wichtige überregionale Parteieinrichtung in seiner Gemeinde lag. Auch die jährlichen Feiern am Oberlanddenkmal boten Gelegenheiten zu Auftritten und Inszenierungen mit überregionaler Ausstrahlung.
Die besondere Beziehung zu Schliersee wird nicht nur durch die Übernahme des Bürgermeisteramts belegt. Auch nach der Abgabe dieses Amts blieb sein Wohnsitz dort. Neben dem Hauptquartier der Kreisleitung in der Rosenheimer Straße in Miesbach war eine Geschäftsstelle in Schliersee in der Bahnhofstraße 7 im Gebäude der alten Post eingerichtet. Die Kreisschule der NSDAP fand ebenfalls ihren Platz in Schliersee, in der Seestraße 38 unweit der SA-Gruppenschule. Durch seine frühe Tätigkeit schon in der sogenannten Kampfzeit der Partei vor 1933 und seine lange Amtsführung danach verfügte er über viele und gute persönliche Beziehungen. Auch die Nähe zu München, der Hauptstadt der Bewegung und Zentrale der Partei, unterstützte dies. Danninger konnte sich wirklich als ein kleiner König fühlen!
Dem entsprechend fällt seine Amtsführung dadurch auf, dass er überall in seinem Wirkungskreis die Finger im Spiel haben wollte. Blut klebte nicht an seinen Händen, das kann man schon jetzt sagen, denn keiner der Vorwürfe in dieser Richtung ließ sich vor der Spruchkammer erhärten: Die Toten bei Kriegsende in Schliersee hatte er nicht zu verantworten, wie noch zu zeigen sein wird. Die großen Verhaftungsaktionen mit Einweisung der Regimegegner ins Konzentrationslager Dachau in den Jahren 1933 und 1934 fand außerhalb seiner Zuständigkeit als Kreisleiter in dieser Zeit noch durch SA-Sonderkommissäre statt. Eine Verfolgung von Juden gab es in seinem Bereich kaum, selbst wenn er gewollt hätte, sich dabei zu profilieren: Die Bevölkerungsstatistik von 1925 weist für Hausham gar keine Juden, für Schliersee nur drei aus.
Eine Auswahl der Aktivitäten Danningers soll kurz Art und Breite seiner Bemühungen zeigen, seinen Kreis zu einem Muster der NS-Bewegung zu machen, deren Kennzeichen ja gerade war, keine Partei im bisher üblichen Sinn zu sein, sondern als Bewegung in sämtlichen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens präsent und führend zu sein, unter Ausschaltung jeglicher Konkurrenz.
Am 1. Mai 1933, also nach und während der brutalen, gewaltsamen Ausschaltung der Arbeiterführer aus KPD, SPD und Gewerkschaften in den ersten Monaten nach der Machtergreifung durch die SA-Sonderkommissäre und nachdem diese Verbände verboten waren oder gerade verboten wurden, ihre Funktionäre im Gefängnis oder KZ saßen, fand eine zynische Siegesfeier statt. Ausgerechnet am 1. Mai, dem roten Feiertag, in der Höhle des Löwen, dem Bergarbeiterort Hausham, in dem noch bei den letzten Reichstagswahlen am 5. März 43,2% der Wähler die SPD und 15,1% die KPD gewählt hatten. Dieser 1. Mai 1933 wurde reichsweit als »Tag der nationalen Arbeit« proklamiert, am 2. Mai dann die Gewerkschaftsbewegung verboten und ihr Vermögen beschlagnahmt. Beim Festakt sprachen Ortsgruppenleiter Hofäcker, der neu ernannte Bürgermeister Glaab, natürlich Kreisleiter Danninger und andere. Als Höhepunkt wurde Gauleiter und Innenminister Wagner begrüßt, den der ebenfalls neu eingesetzte Gemeinderat zum Ehrenbürger ernannte und zusätzlich eine Straße nach ihm benannte. Danninger betonte gleich zu Anfang seiner Rede, »Wenn wir heute das Fest der Arbeit hier in Hausham feiern, so soll das ein Symbol sein…«.6 Ein Symbol war besonders die Straßenumbenennung, sie hieß vorher Friedrich-Ebert-Straße nach dem ersten Präsidenten der Weimarer Republik, Sozialdemokrat und Volksbeauftragter während der Revolution 1918. Die Nazis nannten solche Gründerväter der Republik Novemberverbrecher. Deshalb spricht der Schreiber des Artikels des »Miesbacher Anzeigers«, der diese Veranstaltung hymnisch feierte, auch von einer Umbenennung der »Straße der Schande«. Ein Symbol war neben der Wahl des Orts besonders auch der Aufmarsch am Nachmittag, bei dem »rund 100 verschiedentliche Verbände, einschließlich der Formationen innerhalb der NSDAP, nach Hausham gekommen, so dass…rund 5000 Zugteilnehmer vorhanden waren.«7 Das war eine gewaltige und einschüchternde Heerschau der neuen Machthaber, hatte doch Hausham damals gerade rund 5000 Einwohner. Die Einschüchterung, zusätzlich zur gleichzeitigen Verhaftungswelle durch die SA-Sonderkommissäre, wirkte bis zum Ende der NS-Zeit, die »rote Gefahr« konnte als gebannt gelten.
Dieser Triumph sollte später auch Stein werden, die Gemeinde plante 1940 ein HJ-Heim auf der Haushamer Alm. Kriegsbedingt blieb es allerdings nur bei den Plänen. Es sollte als monumentaler Neubau über Hausham thronend nicht nur das alte HJ-Heim am Sportplatz, eine einfache Holzbaracke, ersetzen, die Gemeinde wollte insbesonders als »frühere Hochburg des Marxismus«8 ihrer neuen Gesinnung Ausdruck verleihen.
So gesehen war diese Veranstaltung eigentlich eine Vollzugsmeldung Danningers an seine Partei, vertreten durch seinen Gauleiter: Er hatte seinen Kreis auch in den problematischen Zonen im Griff, hatte ihn, im NS-Jargon gesprochen, auf Vordermann gebracht.
Daneben waren die Verhältnisse, mit denen er sich in Schliersee zu befassen hatte, natürlich einfacher. Neben der Aufbauarbeit für die Partei schritt er überall da ein, wo sein Führungsanspruch gefährdet war und Feinde im Sinne der Parteilinie zu bekämpfen waren. Das waren neben den Vertretern der alten Parteien v. a. Juden und die Kirchen samt den ihnen nahe stehenden Vereinigungen, selbst religiöse Minderheiten wie die Zeugen Jehovas oder die anthroposophische Schule Steiners.
Die folgenden Beispiele belegen trotz der dünnen Aktenlage, dass Danninger hier auf allen diesen Feldern tätig war.
Die langjährige Sekretärin mehrerer Landräte im Bezirksamt Miesbach, Frau Z., konnte sich bei Ihrer Zeugenaussage vor der Spruchkammer 1948 gut daran erinnern, dass bei der Verhaftungswelle durch die Sonderkommissäre 1933 die Liste der zu Verhaftenden von der Kreisleitung kam und die Kommissäre eng mit der Kreisleitung zusammenarbeiteten:
»Damals kamen die Sonderkommissäre, die nichts anderes zu tun hatten, als zwischen Landrat und Kreisleitung hin und her zu rasen… In der Zeit sind wir mit dem Schutzhaftbefehl schreiben gar nicht mehr fertig geworden… Die hatten nichts anderes zu tun, als Personen herauszusuchen, die politisch nicht zuverlässig waren. Bis etwa Ende 34 war die Verwaltung weitgehend ausgeschaltet. Damals hat die Sache die Kreisleitung gemacht.«9
Danningers Rolle kann in den einzelnen Fällen nicht genau nachvollzogen werden, weil die Haftbefehle selbst durch den Landrat ausgestellt wurden, auf Anordnung der drei SA-Sonderkommissäre. Sie waren dem Kreisleiter zumindest formal nicht unterstellt, dessen Beteiligung, wenn nicht gar informelle Leitung, ist aber nicht von der Hand zu weisen.
Dass Danninger, wenn es um politische Zuverlässigkeit und persönliche Loyalität ging, auch in weniger gewichtigen Bereichen wie der Gemeindepolitik, nicht mit sich spaßen ließ, zeigt der Fall des Schlierseer Postmeisters und Mitglieds im Gemeinderat Heidenreich. Als Danninger im November 1934 auf Wunsch der Gauleitung zum Bürgermeister gewählt werden sollte, trat Heidenreich dagegen auf, obwohl er der Partei nahe stand und zur SA-Reserve gehörte. Es kam zum Eklat, Heidenreich wurde auf Betreiben Danningers aus dem Gemeinderat entlassen, widersetzte sich und musste in Anwesenheit des Bezirksamtmanns aus dem Sitzungssaal im Rathaus verwiesen werden. Dieser kleine Aufstand im Rathaus wäre nicht nachweisbar, hätte sich Danninger mit diesem Ausgang zufrieden gegeben. Er war aber offensichtlich persönlich gekränkt oder fühlte seine Autorität bedroht. So gab er sich mit der Lösung der Reichspost nicht zufrieden, die das Problem mit einer Versetzung Heidenreichs nach Reichenhall beheben wollte. Er beantragte und erreichte beim Präsidenten der Reichspostdirektion die Entfernung Heidenreichs aus dem Dienst mit der Begründung: Heidenreich sei »ein Volksgenosse, der wohl als Beamter seine Pflicht und Schuldigkeit…tut, der auch in fröhlicher Gesellschaft seinen Mann stellt, der aber niemals Nationalsozialist ist und werden kann… Seine Unfähigkeit sich einzuordnen in den Dienst des Ganzen, treibt ihn bei gegebener Veranlassung in die Reihen der Meckerer und Stänker.«10
Ein weiterer Vorgang belegt, dass hinter der ruhigen Fassade in Schliersee, für Danninger doch nicht alles einfach ablief. Es geht um eine noch 1948 fast legendäre Schlägerei zwischen Trachtlern und SA im Schlierseer Ratsstüberl am 4. August 1935. Vorangegangen waren mehrere Versuche Danningers als Kreisleiter und als Bürgermeister, den »Volkstrachtenverein Schliersee« zu zerschlagen. Als Kreisleiter hatte er im vorangegangenen Mai beim Bezirksamt ein »allgemeines Verbot für die kath. Vereinigungen in Bezug auf Aufmarsch, Uniform und Abzeichen« erreicht11. Das hätte für den Trachtenverein bedeutet, seine wichtigste Bühne für öffentliche Auftritte zu verlieren. Außerdem hatte Danninger als Konkurrenz eine Trachtengruppe der NS-Organisation KdF ins Leben gerufen und als Bürgermeister Rathausangestellte zum Beitritt genötigt. Mit dem Vorstand der Trachtler Lorenz Bartl lag er in Dauerfehde, z. B. wegen seiner Forderung an ihn, ehemalige SPD-Mitglieder auszuschließen.
Die Spannung entlud sich dann in einer Schlägerei, bei der sich beide Lager etwa gleich stark gegenüber standen. Besonders hervorgetan hatten sich auf Seite der Trachtler der Kraftwagenfahrer Josef Hinterseer. Die Gegenseite führte dabei der örtliche SA-Sturmführer Hans Schlutt, der Platzhirsch der eingesessenen Schlierseer Nationalsozialisten. Er war Blutordensträger, also im November 1923 schon beim Hitler-Putsch in München persönlich dabei und vorher im Freikorps Oberland bei all dessen militärischen Aktivitäten. Wie schon vorher im Fall Heidenreich war Danninger auch hier konsequent und humorlos. Er erreichte beim Bezirksamt einen Schutzhaftbefehl gegen Hinterseer, mit der Begründung, man müsse ihn vor der Rache des Sturmführers und seiner Leute schützen. Ein Schutzhaftbefehl bedeutete in der Regel die Überführung in Polizeihaft oder gar KZ, ohne Beschwerderecht und außerhalb der üblichen Rechtsverfahren.
Ratskeller im Rathaus Schliersee, Ort der Schlägerei zwischen SA und Trachtenverein im August 1935, heutiger Zustand
Natürlich war das Verbot der öffentlichen Auftritte katholischer Vereine hauptsächlich gegen die Kirche selbst gerichtet. Hier hielt sich Danninger an die kirchenfeindliche Linie der Partei und setzte deren Direktiven um, z. B. den Kruzifix-Erlass. Große Komplikationen gab es in Hausham und Schliersee aber nicht. Dass Danninger aber hierbei nicht nur Vollzugsorgan war, sondern auch hier zugespitzt und emotional agieren konnte, zeigen seine Maßnahmen gegen missliebige und aufsässige Pfarrer in seinem Miesbacher Tätigkeitsbereich: Den katholischen Pfarrer Trasberger bedrohte er mit Schutzhaft, im Fall des evangelischen Pfarrers Neunhoeffer setzte er sie 1935 sogar gegen den Rat des Bezirksamts durch, das befürchtete, es gebe dann großen Unwillen in der Bevölkerung12. Neunhoeffer kam in Miesbach ins Gefängnis, wurde aber schon nach wenigen Tagen entlassen. Auch die Kruzifix-Aktion scheiterte am Widerstand der Bevölkerung, die Kreuze in den Schulen durften wieder aufgehängt werden.
Ungeschützt dagegen waren die Zeugen Jehovas, genannt Bibelforscher, die vor allem wegen ihrer grundsätzlichen Verweigerung des Wehrdienstes für das NS-System untragbar waren und intensiv durch die Gestapo bekämpft wurden. Hausdurchsuchungen waren bei ihnen an der Tagesordnung, Schriften wurden beschlagnahmt, die Angelegenheit aber häufig nach Unterschreiben von Unterlassungserklärungen erledigt. Im Fall des Bergmanns Georg Gruber, ein Bibelforscher aus Schliersee und Nachbar Danningers, war dies anders. Im Jahr 1937 fuhr bei Gruber das Auto Danningers vor, außer ihm selbst noch besetzt mit einem Polizisten und dem Gemeindesekretär, nahm eine Hausdurchsuchung vor und beschlagnahmte an die 30 Bücher. Gruber wurde verhaftet, sofort mit dem Wagen Danningers nach Miesbach gebracht und ins Gefängnis eingeliefert. Danach kam er ins Konzentrationslager Dachau, wo er 8 Jahre verblieb, weil er sich trotz wiederholter Aufforderungen weigerte, die Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Dieser Fall spielte in der Spruchkammerverhandlung eine besondere Rolle, weil Gruber der einzige Fall war, in dem gesichert werden konnte, dass jemand durch Danninger ins KZ gebracht wurde. Merkwürdig waren die Umstände der Verhaftung, denn es war nach Aussage des begleitenden Polizisten völlig unüblich, dass ein Kreisleiter oder Bürgermeister bei einer Verhaftung persönlich anwesend war und den Verhafteten sofort und mit dem Privatwagen ins Gefängnis brachte. Es lag wohl eine persönliche Verwicklung vor, denn in der Verhandlung wurde auch von Grunderwerbsangelegenheiten gesprochen. Wie auch immer, der Polizist sagte aus: »Die ganze Aktion gegen Gruber ging von der Partei aus, also von Danninger. Es war sozusagen ›sein Fall‹.« 13
Um ein Grundstück ging es auch in dem Fall einer Schlierseer Jüdin, die den Anfeindungen nicht standhielt und zusammen mit ihrem nichtjüdischen Mann und den Kindern 1937 rechtzeitig über Österreich nach England flüchtete. Der Mann musste als feindlicher Ausländer England bei Kriegsausbruch verlassen, kehrte nach Schliersee zurück, seine Frau und die Kinder wanderten nach Argentinien aus. Die Grundstücksangelegenheit schwelt noch heute, die Erbin will eine Entschädigung.14 Ansonsten spielt die Verfolgung oder Diskriminierung von jüdischen Mitbürgern eine untergeordnete Rolle, die Fälle sind wenig konkret und schwerwiegend. So bezeugte ein Friseur aus Schliersee vor der Spruchkammer, er sei von Danninger bedroht worden, weil er seine Fachartikel von einem jüdischen Grossisten bezog. Die Formulierung eines Strafantrags15 wegen Beleidigung gegen den Kunstmaler Seyfried vom 26.8.1938 lässt darauf schließen, dass es weniger um den konkreten Vorwurf als um den Status als »Halbjude« ging. Der Antrag ist bezeichnend für die mimosenhafte Empfindlichkeit des Kreisleiters und seinen rüpelhaften Ton auch in amtlichen Schreiben. Deshalb wird er hier behandelt und abgedruckt, obwohl er nicht ins Gebiet der hier untersuchten Gemeinden gehört. Auf der Rückseite zeigen die handschriftlichen Bearbeitungsvermerke des Bezirksamts am 27.8.1938 und der Eingangsstempel beim Oberstaatsanwalt des Landgerichts München II vom 30.8.1938, wie schnell Danningers Anzeige bearbeitet wurde.
Im Gegensatz zu diesen eher zweitrangigen Problemen in seiner Heimatgemeinde und in Hausham im Zusammenhang der Judenpolitik konnte sich Danninger in Miesbach eher profilieren, wenn er auch hier schlechte Karten hatte. Denn das bevorzugte Ziel seiner rassenpolitischen Versuche Paul Sundheimer16 wehrte sich. Dieser war Mitbesitzer verschiedener Warenhäuser und im Sinne der Rassegesetze »Mischling ersten Grades«. Er hatte eine arische Frau geheiratet und im Ersten Weltkrieg an der Front ein Bein verloren. Selbst rein jüdische Schwerkriegsbeschädigte genossen einen Sonderstatus, den aber Danninger nicht gelten lassen wollte. Er unternahm zuerst massive Versuche, durch Erlangen einer Vollmacht der Brüder Sundheimer eine De-facto-Enteignung zu erwirken. Als ihm dies nicht gelang, ließ er die Warenhäuser schließen. Das waren formalrechtlich auch damals illegale Akte. Sundheimer gab nicht nach und erreichte die Wiedereröffnung der Geschäfte. Danninger war blamiert und ging zu Schikanen verschiedenster Art über, z. B. Ausschluss vom Stammtisch, Behinderung des Realschulbesuchs der Tochter, Ausschluss vom Fahrschulbesuch und Verwarnung einer Lehrerin, nicht privat mit Frau Sundheimer zu sprechen. Das alles, obwohl Danninger genau wusste, dass Sundheimer bei seinem Rassestatus nicht angreifbar war. Mischlinge ersten Grades dienten sogar bei der Wehrmacht und waren wahlberechtigt, was in dieser Zeit allerdings keine praktische Bedeutung hatte. Dieser interessante und gut dokumentierte Fall wird hier, wie der der beiden Pfarrer, nicht weiter vertieft, weil er nicht im Untersuchungsbereich gelegen ist. Er zeigt aber, was Juden in Schliersee oder Hausham hätten durch Danninger erleiden müssen, wenn es sie denn gegeben hätte.
Strafantrag veranlasst durch Kreisleiter Danninger 1938
Ein Fall ganz eigener Art und ganz eng auf Schliersee bezogen ist der Fall der beiden Lehrerinnen Lampus und Wolf aus dem Jahr 1938. Zum Verständnis ist die Kenntnis der Vorgeschichte nötig. In Schliersee existierte ein Kinderheim mit angegliederter Schule, die in anthroposophischer Ausrichtung betrieben wurde, also eine private Steiner-Schule. Im Sommer 1937 wurde diese nach den Besitzern benannte Schlichter-Schule geschlossen. Der Leiterin war der Prozess gemacht worden, weil sie angeblich lesbisch veranlagt gewesen sein und sich Schülerinnen in dieser Richtung genähert haben soll. Sie wurde verurteilt. Ein Schreiben der Gestapo München lässt dieses Verfahren als sehr zweifelhaft erscheinen, denn es stellt klar, dass es um eine grundsätzliche Angelegenheit gegangen war: Das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin hatte in einem Erlass schon im November 1935 die Anthroposophische Gesellschaft aufgelöst und verboten. Der Pädagogik Steiners wurden »enge Beziehungen mit ausländischen Freimaurern, Juden und Pazifisten« vorgeworfen.
»Infolge ihrer Gegensätze zu dem vom Nationalsozialismus vertretenen völkischen Gedanken besteht die Gefahr, dass durch die weitere Tätigkeit der Anthroposophischen Gesellschaft die Belange des nationalsozialistischen Staats gefährdet werden.«17
Die beiden Lehrerinnen hatten nach Schließung der Schule um Aufnahme in den normalen Schuldienst gebeten. Ihr Antrag wurde aufgrund einer negativen politischen Beurteilung, die Danninger erstellte, abgelehnt. Die Beiden wandten sich an den Nationalsozialistischen Lehrerbund NSLB, dem sie angehörten, um Hilfe. Sie erhielten sie auch. Die Reichswaltung des NSLB kritisierte die durch Danninger erstellte Beurteilung scharf:
»Zu der politischen Beurteilung…fehlt jegliche Begründung. Sie ist in ihrem Aufbau unlogisch, sodass sie praktisch gar keinen Wert besitzt…Allgemeine Redensarten können nicht als eine politische Beurteilung gewertet werden.«