Die Heimat des freien Mannes ist dort, wo die Wolken am höchsten sind.
(Antoine de Saint Exupéry)
für Anacaona
Über die Bücher Karibische Impressionen Teil I, II und III, den Autor „Pedro“ und den Herausgeber „Ulises“
Nachdem Peter W. seine teils kuriosen Erlebnisse auf der Karibik-Insel in einem nur in der Dominikanischen Republik erhältlichen Büchlein veröffentlicht hatte, wurde er unter seinem Künstlernamen „Pedro de Las Terrenas“ zur Kultfigur für alle, die ihn persönlich kannten, oder zumindest sein Buch gelesen hatten.
Dem ersten Büchlein von Pedro folgte ein zweites und die Fan-Gemeinde schrie nach einem dritten Teil, aber Pedro ließ kein drittes Buch mehr drucken. Zum Trost für seine Fans erschienen jedoch weitere Kurzgeschichten von ihm, allerdings nur im Internet. Nun sind diese auch als Buch erhältlich; als Teil III.
Kurz vor Erscheinen des zweiten Buches „Karibische Impressionen Teil II“, im Jahre 1999, lernten sich der Autor „Pedro“ und der Herausgeber dieser Buchreihe, Ulrich Greiner-Bechert, alias „Ulises“, persönlich in Las Terrenas kennen. Der richtige Name von Pedro ist Ulises natürlich bekannt.
Schließlich erhielt Ulises von Pedro die Erlaubnis, die Bücher und Geschichten nochmals herauszubringen. Daher sind Pedro’s „Karibische Impressionen“, Teil I,II und III endlich „offiziell“ im Buchhandel und im Internet bestellbar.
Fotos von Pedro de Las Terrenas und einigen in diesem Buch erwähnten Schauplätzen finden Sie im Internet bei
www.ulises.de
Herausgegeben von Ulises
www.ulises.de
Books on Demand
Karibische Impressionen Teil I
Herausgeber: Ulises
Website: www.ulises.de E-Mail: ulises@ulises.de
Autor: Pedro de Las Terrenas
Dieses Buch ist textlich identisch mit der von Pedro
zuletzt herausgegebenen 3. verbesserten Auflage von 1999,
die er nur in der Dominikanischen Republik hatte drucken lassen.
© 1997 Autor: Pedro de Las Terrenas, Dominikanische Republik
Umschlag: Für die im Verlag BOD erscheinende Neuauflage konnte die bisherige Umschlaggestaltung leider nicht eins zu eins übernommen werden. Es war jedoch unser Wunsch, die Motive „Hand“ (Teil 1) & Fuß“ (Teil 2) zu erhalten. Umschlaggestaltung daher von Ulises, Titel jedoch unter Verwendung der Motive „Hand & Fuß“ © von Stephano Graphics & Design, Las Terrenas
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Impressum
© 2009 Ulrich Greiner-Bechert alias „Ulises“, Mannheim, Deutschland
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783837098488
Prologe
Vorwort - Wie es überhaupt dazu kam
Kapitel I Die Reise ans Ende der Welt
Kapitel II - Über das Träumen – Die paradiesische Bucht – Der alte Fischer – Kennen Sie Las Terrenas? – Die Urmutter hinter dem Friedhof – Ein Discobesuch – Fünfhundert Jahre Evangilisation
Kapitel III - Der wunderbare Waschsalon – Die letzte Fahrt mit dem Motorrad – Die erste Massage - Mein Essen mit Alalícia – Der holländische Koch
Kapitel IV - Vinício – Ausflug nach El Valle – Der arme Alte vom Land - Abgesoffen – Wie kam das Auto über den Fluß? - Rum und Domino
Kapitel V - Bauen Sie Ihre Traumvilla - Die Prostitution und was dahinter steckt - Eine nächtliche Rundreise mit Juan - Die Polizei, Dein Freund und Helfer - Es lebe das Arbeitsamt
Kapitel VI - Der Fluch des Geldes – Taxi Senor? - Nachtstreife in Santo Domingo – Nimm Zwei!
Kapitel VII - Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten - Burger and Beer – Wo die dritte Welt wirklich ist
Kapitel VIII - Großfamilien – Der fast geschenkte Tafelberg - Anleitung zur Brautsuche – Paola, oder wie man was wird im Leben ohne sich anzustrengen.
Kapitel IX Jaqueline – Die Vogelspinne – Ein freier Tag – Beim Medico - Mein Voo-Doo-Zauberer – Teufelsdroge - Scheinschwangerschaft
Kapitel X Über den Umgang mit der Freiheit - Wo die Welt noch in Ordnung ist - Jose der alte Krämer – Sebastiano, der alte Schweizer
Während meines dritten Urlaubes in der Dominikanischen Republik, im Jahre 1998, schenkte mir ein Resident ein in der Dominikanischen Republik in miserabler Qualität gedrucktes Büchlein mit dem Titel „Karibische Impressionen“ von Pedro de Las Terrenas. Auf dem Rückflug nach Deutschland las ich es und sofort stand mein Entschluß fest: Während meines nächsten Urlaubes wollte ich nach Las Terrenas fahren und den Autor des Büchleins persönlich kennen lernen. Wenige Monate später flog ich wieder in die Dominikanische Republik und fuhr mit Bus und Pick-Up von Sosúa nach Las Terrenas.
Ich kam am Nachmittag dort an, suchte ein kleines Dominikanisches Hotel, und bereits eine Stunde nach der Ankunft begann ich, die Dominikaner auf der Strasse anzusprechen und fragte, ob sie wüssten, wo Pedro de Las Terrenas wohnt, ein Gringo mit weißen Haaren und weißem Bart. Schon nach wenigen weiteren Minuten befand ich mich auf dem Fußmarsch über einen Feldweg in La Ceiba, Richtung Playa Punta Bonita. Irgendwo am Rande dieses Weges sollte er wohnen. Ich nahm mir vor, die Besitzer der Häuschen nach ihm zu fragen und war mir sicher, sie kennen ihren Nachbarn Pedro, den alten Gringo mit weißem Haar und Bart. Wie er aussah wusste ich vom Foto der Buchrückseite.
Schon zehn Minuten war ich in der Hitze des Nachmittags gewandert und nur an menschenleeren Häuschen vorbeigekommen. Die Straße schien um diese Zeit wie ausgestorben zu sein. Endlich sah ich linker Hand einen kleinen Kiosk mit Getränkeausschank, einen typischen „Colmado“, vor diesem saßen auf Plastikstühlen am Plastiktischchen ein Gringo und ein Dominikaner beim Bier. Der Gringo war schon älter, hager, weißhaarig, trug einen Bart und ein rotes Stirnband. Ich blieb stehen, schaute den Gringo an. Die beiden bemerkten es, schauten mich an. Der Gringo hob fragend eine Augenbraue.
Ein wenig zögernd fragte ich: „Bist du Pedro? Pedro de Las Terrenas?“
„Si, Senor, wer fragt mich dieses?“, war seine Antwort.
Ich ging in die Hocke, stellte mein linkes Knie auf den Boden des staubigen Feldweges, und derart vor Pedro kniend, breitete ich die Arme weit nach links und rechts aus und sagte: „Ich bin Ulises. Ich bin ein Fan von dir!“
Pedro lachte und sagte: „Steh auf, setz dich und trink mit uns!“
Zwei Presidente-Runden später waren wir gute Freunde geworden, vier Stunden später trafen wir uns in seiner Stammkneipe „Kuh-Bar“ wieder. Am gleichen Abend besuchten wir die Disco uevo Mundo, fuhren gemeinsam auf dem Moto von Vinicio durch Las Terrenas und besuchten einige gastronomische Schauplätze dieses Buches. Am nächsten Tag waren wir gemeinsam am Playa Punta Bonita, verweilten an der „schönsten Bar der Welt“ und philosophierten über das Leben hier und in Europa.
In den folgenden Jahren besuchte ich Pedro regelmäßig in Las Terrenas, kaufte ihm jedes Mal einige seiner in der Dominikanischen Republik gedruckten Bücher ab und bot sie auf meiner Webseite www.ulises.de an, damit die Fans dieser Insel eine Gelegenheit hätten, seine beiden Bücher „Karibische Impressionen“ Teil 1 und Teil 2 auch in Deutschland kaufen zu können.
Irgendwann jedoch war das letzte Buch verkauft und Pedro ließ leider keine neue Auflage mehr drucken. Stattdessen schrieb er neue Kurzgeschichten, die nur im Internet erschienen und die ich nun zu „Teil 3“ zusammenfasst habe.
Interessierte Leser waren enttäuscht; die Bücher waren vergriffen, ausverkauft.
Jahrelang beschwor ich Pedro, die Bücher neu aufzulegen, dann entdeckte ich die Vorteile des modernen „Print on Demand“-Verfahrens, also „Drucken bei
Nachfrage“. Ich empfahl es Pedro, aber er wollte keine neumodischen Verträge mit Buchgeschäftemachern abschließen. Dezember 2008 erhielt ich von Pedro tatsächlich die Erlaubnis, Teil 1, 2 und 3 bei BOD veröffentlichen zu dürfen.
Wieder gehe ich vor Pedro in die Knie, breite meine Arme aus und sage im Namen aller seiner Fans und Freunde der Dominikanischen Republik:
„Danke, Pedro! Muchissimas Milliones de Gracias!“
Ulises
im Februar 2009
Anmerkungen zur Neuauflage von Pedro de Las Terrenas
Die Karibischen Impressionen wurden vor über zehn Jahren geschrieben. Wer es heute liest, erahnt vielleicht, wie es früher einmal dort war. Ich habe fast fünfzehn Jahre auf der Insel verbracht und bislang keinen Tag bereut. Dennoch denke ich, den richtigen Zeitpunkt gewählt zu haben, sie wieder zu verlassen. Da ich in der jetzigen Phase meines Lebens keine Lust mehr habe, irgendwelche Verträge mit sogenannten dynamischen Geschäftemachern abzuschließen, bin ich froh, dass Ulises keine Ruhe gibt und sich das antun will. Meinen Segen hat er und meine Dankbarkeit auch, denn ein Buch geschrieben zu haben, das man jederzeit bestellen kann, bedeutet in letzter Konsequenz, ein Stück Unsterblichkeit erlangt zu haben.
Pedro de Las Terrenas
Im Januar 2009
Fotos von Pedro de Las Terrenas und einigen in diesem Buch erwähnten Schauplätzen finden Sie im Internet bei
www.ulises.de
Sokrates, der alte Greis
sprach des öfteren voll Sorgen:
„Ach, wieviel ist doch verborgen,
was man immer noch nicht weiß?“
Und so ist es - doch indessen
darf man eines nicht vergessen,
eines weiß man hier hinieden,
nämlich, wenn man unzufrieden.
So läßt Wilhelm Busch, der große Menschenkenner, seine „Knoppiade“ beginnen. Viel hat sich in den vergangenen dreitausend Jahren diesbezüglich wohl nicht verändert. Wir wissen, daß es diese Tage gibt, an denen aber auch alles daneben geht. Man kann ihnen nicht ausweichen. Das Verweilen im Bette bringt nichts, da man logischerweise einen solchen Tag erst erkennt, wenn das Schlimmste schon passiert ist. Selbst wenn Sie unter Zuhilfenahme Ihres Horoskops, Ihres Psychiaters und unter Berücksichtigung Ihres Biorhythmus´ rechtzeitig begreifen sollten, was für ein Tag Ihnen bevorsteht und aus Sicherheitsgründen tatsächlich zu Bett gehen, lachen Sie dennoch nicht als Letzter, denn Ihre negativen Erlebnisse verschieben sich lediglich um diesen einen Tag. Wir können unserem Schicksal eben nicht entgehen.
Es mag Menschen geben, die Streß brauchen, die Konflikte geradezu suchen, um sich zu beweisen, daß sie den „Herausforderungen gewachsen“ sind. Es sind dies offensichtlich die Nachfahren jener legendären Eroberer und Feldherren, denen wir unsere Geschichte verdanken, auf die sich das stützt, was wir in unserer Blindheit als abendländische Kultur bezeichnen.
Gott sei Dank bin ich nicht von dieser Bauart, ich möchte eigentlich nur mein Leben leben und das möglichst mit den Mitteln des geringsten Widerstandes. Irgendwelche Siege sind mir suspekt, da sie in der Regel auf Kosten irgendwelcher Verlierer zustande kommen. Es fällt mir daher schwer, die Lebensregeln meiner Mitbürger zu übernehmen, denn diese sind geeignet, mich in zwei Persönlichkeiten zu spalten: Der, den Sie gefälligst in mir sehen sollen und der, den ich selbst gerne im Spiegel sehen möchte. Diese Rollenspiele lassen uns jedoch vergessen, wer wir wirklich sind. Kennen Sie sich und Ihre Fähigkeiten? Ich glaube, der Wahrheit kommen wir am nächsten durch die Reflexion jener Menschen, denen wir begegnen. Daher sind Begegnungen sehr wichtig für uns Rudeltiere.
Ihre Begabungen erkennen Sie beispielsweise nur daran, daß andere sie Ihnen bewußt machen, für Sie selbst sind sie ja vollkommen normal. Es ist die Logik, die uns vom Glauben zum Wissen führen soll, doch leider handeln wir zumeist unlogisch. Fast alle Entscheidungen werden auf emotionaler Ebene getroffen. Die Ratio benötigen wir lediglich dazu, diese Entscheidungen zu erklären. Alle Fachleute aus der Werbebranche wissen das. Apropos Wissen: Nehmen wir einmal an, die Gesamtmenge alles Wissenswerten sei wie eine runde Erdbeertorte, dann ist unser heutiges „gesichertes“ Wissen lediglich ein kleines Stück dieser Torte. Wir stützen uns auf Regeln wie zum Beispiel die der Reproduzierbarkeit oder der quantitativen Häufigkeit und übersehen dabei, daß diese Regeln von uns selbst geschaffen wurden. Wir scheinen jener Minderheit des „Homo Erectus“ zugehörig, welche sich zum „Homo Sapiens“ ernannt hat und sich somit das Recht herausnimmt, ständig die Frage „Warum?“ zu stellen. Die göttliche Antwort haben wir denn auch verdient: Die Informationsgesellschaft!
Da man uns eingeredet hat, Wissen sei Macht, benötigen wir immer schneller immer mehr Informationen. Angeblich brauchen wir diese, um die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt treffen zu können. Man will ja schließlich nichts dem Zufall überlassen. Als Zufall bezeichnen wir nämlich jene Normalitäten, welche sich unserer Logik entziehen und daher keiner weiteren Erklärung bedürfen. So bastelt doch jeder seine Wahrheit, mit der er leben kann und das ist doch schließlich die Hauptsache, nicht wahr?
Eigentlich diskutiere ich nicht gerne, denn eine Diskussion ist wie ein Sport mit Gewinnern und Verlierern. Der Sieger einer Diskussion muß nicht zwangsläufig die besseren Argumente haben, es genügt der erfolgreiche Abschluß eines entsprechenden Rethorikseminars. Wer erinnert sich nicht gerne seiner Kindheit, wo wir stundenlangen Erzählungen gelauscht haben, wo unsere Phantasie angeregt wurde, man noch miteinander sprach und sich im Verlaufe eines Gesprächs etwas Gemeinsames entwickeln konnte, ohne daß es zu peinlichen Profilierungskämpfen kam?
Am liebsten wäre mir, mit allen in Harmonie zu leben. Doch dieser Wunsch bleibt ein Traum, denn die Zivilisation mit all ihren kuriosen Begleiterscheinungen holt mich immer wieder ein. Der Versuch eines Kompromisses scheitert, denn mein Vorschlag: „Ich lasse Euch in Ruhe und ihr laßt mich in Ruhe!“ wird nicht angenommen - sie lassen mich nicht in Ruhe!
So herzhaft unterschiedlich wir auch sein mögen, selbst Menschen wie mir bleiben solche Tage nicht erspart, an denen alles schief läuft. Tage, an denen wir verzweifeln könnten. Ich weiß nicht, wie es Ihnen dabei geht, doch meine Erfahrung hat gezeigt, daß ich mir eigentlich immer selbst die Schuld geben muß.
An einem solchen Tag, es war einer der ersten des neuen Jahres, naturgemäß saukalt, der Wagen war wieder nicht angesprungen und bis zu Mittag hatte ich mich immerhin schon zweimal fast dunkelviolett geärgert, gebar ich den Wunsch, sofort eine weite Reise anzutreten.
Heute weiß ich, daß dieser Tag ein Glückstag war!
Man hatte meinem Wunsch nach einem Fensterplatz in der Raucherzone der DC 10 entsprochen. Hier oben in über zehntausend Meter Höhe sah ich auf die Wolken hinunter. Der Aufenthalt in Madrid war angenehm kurz gewesen, es hatte gerade für ein kleines Glas Bier gereicht. Draußen über dem Atlantik wurde es Nacht. Siebeneinhalb Stunden bis Santo Domingo! Kolumbus hatte damals rund drei Monate benötigt. Immerhin hatte der jedoch mehr Auslauf als ich.
Ursprünglich wollte ich ja nach Mexiko, das hatte ich in angenehmer Erinnerung, obwohl schon weit über zwanzig Jahre vergangen waren seit damals. Leider gab es aber im Moment keinen schnellen Flieger dorthin. Na, jedenfalls flog ich in die gleiche Richtung, und Spanisch sprechen sie auch dort, in der República Dominicana. Mein Reisebüro hatte zwei Destinationen in diesem Land, auf einem der Prospekte hatte ein Schelm folgenden Satz vermerkt: „Wenn Sie ein Hotel suchen mit Animateuren etc., dann wählen Sie besser etwas anderes!“ Dieser Satz gefiel mir. Eigentlich war er der Grund, warum ich mir Las Terrenas, ein kleines Fischerdorf ausgesucht hatte, in dem es kaum Touristen geben sollte, da es vom internationalen Flughafen in Santo Domingo über drei Autostunden entfernt sei. „Punta Bonita,“ so verkündete der kopierte Prospekt, sei direkt am Strand gelegen und biete Ruhe und Erholung für den gestreßten Gast. Ich war schon mächtig neugierig, denn ein Stück Papier ist eine Sache und die Realität sehr oft eine andere. Dies gilt insbesondere in den Ländern der dritten Welt.
Da es sich um einen Linienflug handelte, waren nicht alle Plätze belegt, so daß ich den Vorteil hatte, den Nebensitz mitbenutzen zu können. Nach dem Essen und dem ersten Film verteilten die Stewardessen die Utensilien für die Nacht: eine Decke, Kopfpolster, Pantoffeln und dergleichen Dinge mehr. Eine kleine blaue Schachtel erregte meine Neugier, stand doch mit gelber Schrift deutlich lesbar „Unisex“ darauf. Ich erschrak zunächst ein wenig und versteckte es erst einmal in die große Tasche meines Vordersitzes. Als dann später der Nachtfilm lief, verschwand ich mit dem Corpus Delicti in Richtung WC. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß die nationale Fluggesellschaft eines so katholischen Landes wie Spanien den Bedürfnissen ihrer Klienten so erfreulich offen entgegenkam. Eine Minute später war die Welt denn auch wieder in Ordnung: Es handelte sich lediglich um einen Kamm für das Haupthaar. So ist das eben mit den fremden Sprachen!
Draußen war es sternenklar, vor wenigen Nächten hatten wir Vollmond gehabt. Die mächtige Maschine wurde von seinem geisterhaften Licht erfaßt. Ich erinnerte mich an damals, als ich in der Sahara übernachten mußte, weil ein Lager meiner Lichtmaschine verglüht war. Stunden vorher hatte ich einen Sandsturmdurchqueren müssen, was zwar gelungen war, doch hatten Sand und Lagerfett eine unheilvolle Mischung gebildet. In dieser Nacht hatte ich zum erstenmal begriffen, daß wir auf einer Kugel leben. Der Horizont rundum war hell, die Erde wurde von unten angestrahlt. Es war wie am Tage, nur die Farben fehlten. Diese Nacht hier war ähnlich, die Turbinen warfen sogar Schatten an die Tragfläche. Draußen mußte eine sibirische Kälte herrschen.
Ich stand auf, ging die paar Meter zur Küche und erstand noch eine Dose Bier. Ich hatte mir rechtzeitig kleine Dollarnoten zugelegt, also fiel das Lächeln der attraktiven Stewardeß entsprechend lieblich aus. Irgendwann wird auch Dein Märchenprinz vorbeikommen, Dich aus dieser Maschine herausholen und über einen kleinen Umweg landest Du an seinem Herd. Ob Du dann auch noch so lächeln wirst? dachte ich. Sie schien Gedanken lesen zu können, denn sie hauchte ein „Muchas Gracias, Señor!“
Je länger die Reise dauerte, desto besser kam ich in Stimmung. Vorbei waren die heißen Wallungen, der Ärger mit dem Gebrauchtwagenhändler etwa, der mich beauftragt hatte, nachzuweisen, daß seine Vorfahren einem alten Adelsgeschlecht entstammten. Es war denn auch so, wie ich es ihm schon vorher gesagt hatte, es war nichts mit altem Adel, es waren Strauchdiebe, Wegelagerer und Schweinehirten. Doch wenigstens halbwegs anständige Leute, gemessen an ihrem heute lebenden Urenkel. Dieser wollte nämlich, aus Enttäuschung über seine Altvordern, meine vorher fix ausgemachte und von ihm bestätigte Honorarnote nicht zur Gänze begleichen. Nie wieder werde ich mich mit diesen primitiven Neureichen auseinandersetzen, das habe ich mir geschworen.
Oder dann dieses Mädchen! Was hab ich nicht alles auf mich genommen, nur um sie wieder einmal zu treffen?! Es war längst alles abgesprochen, das Appartement reserviert, sogar neue Winterreifen habe ich montieren lassen. Alles umsonst, sie habe da einen Wahnsinnstypen kennengelernt, der ein ideales Medium auf dem Wege ihrer „Selbstverwirklichung“ sei. Sind Sie bitte mal ehrlich: Ich bin doch wohl nicht ganz dicht, oder?
Man sagt, daß man vor seinen Problemen nicht davonlaufen könne, daß diese einen immer wieder einholen würden - nun, im Moment hatte ich genau das gegenteilige Gefühl und es schien sich mit jedem weiteren Kilometer noch zu verstärken.
Es müßte doch langsam der Morgen anbrechen, überlegte ich, es kann doch unmöglich eine so lange Nacht geben. Dann erinnerte ich mich, daß die Landung gegen halb neun Uhr Abends vorgesehen war, was bedeutete, daß wir in Santo Domingo gerade zum Abendessen zurechtkommen würden. Wie lange dauerte es denn noch? Ich sah auf meine Uhr: Knapp zwei Stunden. Na, das sitze ich doch auf einer Backe ab! In diesem Moment wurde die Beleuchtung eingeschaltet, denn das Frühstück mußte noch serviert werden. Der Kaffee war schwarz und heiß, so wie es die Araber gerne haben. Die Stewardeß lächelte wie immer und fragte, ob ich Zucker möchte. Ich verneinte mit der Bemerkung: „Danke, ich bin selber süß!“ Die kleine Braut fiel fast um vor Lachen. Mir jedoch blieb die Semmel im Halse stecken, dachte ich doch, diese Spanierin spricht Spanisch, vielleicht noch Englisch, aber doch auf gar keinen Fall Deutsch. Ja, so ist das eben mit den fremden Sprachen!
Kurz darauf überflogen wir ein unendliches Lichtermeer. Diese Stadt mußte gewaltige Dimensionen haben. Nach einer engen Linkskehre über den Wassern des karibischen Meeres und gleichzeitigem starkem Höhenabfall setzte die Maschine tadellos auf. Nie werde ich verstehen, warum es Menschen gibt, die in diesem Moment applaudieren. Es dürfte mit Erleichterung zu tun haben, sicherlich ein Relikt aus jener Zeit, als wir noch auf den Bäumen hockten. Der Pilot, durch dieses Lob offenbar in seiner Meinung bestätigt, daß Fliegen DOCH eine Kunst sei, bedankte sich, indem er noch einmal kurz abhob, um sofort danach wiederum aufzusetzen. Nun brüllte die Meute: „Olé!“ Ich bin im falschen Film, dachte ich im ersten Moment, als die Verzögerung voll einsetzte. Klarer Fall: Der Pilot hatte die Handbremse gezogen, weil durch seine Spielerei die Rollbahn kürzer geworden war.
Die Mitreisenden dürften alle geschäftlich unterwegs gewesen sein, denn sofort wurden die Handgepäcksfächer geöffnet und geleert. Nach den vielen Stunden des Wartens setzte nun die altgewohnte Hektik ein. Die Maschine war noch nicht einmal zum Stillstand gekommen, da standen sie schon wieder in langen Reihen hintereinander.
„Las Américas“, der internationale Flughafen Santo Domingos ist nicht klimatisiert, daher trifft den Ankommenden die ungewohnte Hitze wie ein Keulenschlag. Die Luftfeuchtigkeit war trotz der fortgeschrittenen Stunde mit der eines Treibhauses zu vergleichen. Um so erstaunter war ich denn auch über die Polizisten und Militärpersonen, die tadellos gekleidet und mit geschlossenen Knöpfen in ihren bunten Uniformen neugierig die Reisenden betrachteten. Mein Gott: Waren das prächtige Menschen, schokoladenbraun, mit ausdrucksvollen Augen und blendend weißen Zähnen! Die Art, wie sie sich bewegten, strahlte eine ungeheure Selbstsicherheit aus. Ich hatte den Eindruck, selbst ihr Gang war ein Tanz. Sie legten offensichtlich sehr großen Wert auf ihre äußere Erscheinung.
„Bienvenido!“ Mit einem Schlag wurde der Stempel in meinen Paß geknallt. Jetzt mußte ich nur noch meinen Koffer finden, dachte ich. Wie bestellt trat der nächste Beamte auf mich zu, deutete auf die Legitimation an seiner Jacke, nahm mich bei der Hand und führte mich in eine riesige Halle, an deren rechter Seite ein ungeordneter Haufen von Gepäckstücken darauf wartete, abgeholt zu werden. Ich wies mit dem Fuß auf meinen großen Metallkoffer, den ich immer auf meinen Reisen mitnehme. Mein Begleiter nahm ihn auf und legte ihn etwa sechs Meter weiter auf eine Art Theke. Dann drehte er sich um, streckte seine rechte Hand in meine Richtung und meinte wörtlich: „Ten Dollars, Sir!“
Nun bin ich jemand, dem man nachsagt, ein weites Herz zu haben und überhaupt gehe ich nach Möglichkeit irgendwelchen Auseinandersetzungen am liebsten aus dem Wege, doch irgendwo ist alles endlich. Ich hielt dem Manne daher einen Dollar unter die Nase - immerhin der Gegenwert einer Dose Bier, dachte ich. Es folgte ein lautes Gezeter in einer Sprache, die mir bis jetzt unbekannt war. Also legte ich noch einen Dollar nach, das Gejammer wurde nur noch lauter. Daraufhin schob ich den Träger sanft beiseite, nahm meinen Koffer vom Tisch und rollte ihn an einigen verdutzten Phantasieuniformträgern vorbei zum Ausgang. Schließlich mußte ich ja noch den Fahrer treffen, der mich in meine ferne Unterkunft bringen sollte.
Hier draußen, auf der überdachten Rampe, war die Hölle los. Es wimmelte von Menschen und jeder von ihnen fand und findet immer irgendeinen Grund, mit den „Gringos“, wie sie alle weißen Ausländer bezeichnen, in Kontakt zu treten und sich ein paar Pesos zu verdienen. Kaum hatte ich den Koffer draußen hingestellt, wurde er mir ein zweites Mal davongetragen. Sinnlos, in diesem Lärm irgendwelche Erklärungen abgeben zu wollen. Der gute Mann warf ihn in den Kofferraum seines Amerikaners, band darauf den Deckel mit einer Schnur zu, öffnete die Beifahrertüre und fragte nach dem Ziel. „Las Terrenas“ sagte ich, „aber gratis!“ Bei dem letzten Wort schaute er mich ganz eigenartig an und machte mir einen Sonderpreis von zweitausend Pesos. Ich kramte in meinen Papieren, fand schließlich mein Reisedokument und konnte den Taxifahrer doch noch davon überzeugen, daß er voreilig gehandelt hatte. Zurück trug ich meinen Koffer dann selbst. Der Schweiß lief in kleinen Bächen an mir herunter. Wieder auf der Rampe angekommen, setzte ich mich und wartete auf den Chauffeur. An einem Schild mit dem Namen des Reiseveranstalters sollte ich ihn erkennen, so hatte man mir versichert. Doch der ließ auf sich warten.
An seiner Statt näherte sich mir ein unverkennbar weibliches Wesen. Selbst die chinesische Bildersprache hätte nicht ausgereicht, dieses Mädchen zu beschreiben, daher im folgenden nur ein schwacher Versuch: Eine Haut wie poliertes Mahagoni, langes schwarzes Haar, welches zu vielen Zöpfchen verflochten war, glutvoll strahlende Augen und zwei Reihen perlweißer Zähne. Bekleidet war sie mit einem Höschen, das diese Bezeichnung eigentlich nicht verdiente und das Oberteil war etwas Buntes, das im weitesten Sinne an Hosenträger erinnerte. Das Erstaunlichste an dieser Erscheinung war indessen etwas, das ich hier am allerwenigsten erwartet hätte: Dieses bezaubernde Wesen trug nämlich hohe weiße Pelzstiefel, die so gar nicht zur übrigen Ausstattung paßten.
Zu meinem größten Entsetzen schien diese Prinzessin nur auf mich gewartet zu haben, denn sie näherte sich mit einem gewinnenden Lächeln und einem Hüftschwung, dessen Betrachtung alleine eine eigene Beichte Wert gewesen wäre. Schnell schaute ich nach links und rechts, ob es vielleicht jemanden gab, der mich möglicherweise kannte. Das war zwar nicht der Fall, doch blieb ein beklemmendes Gefühl, Teil meiner christlichen Erziehung, die abzulegen eine Generation nicht ausreicht. In meiner Verklemmung jedenfalls hatte ich einen Ausweg aus dieser Situation gefunden: Mit der Rechten deutete ich auf ihre Stiefel und setzte gleichzeitig ein Fragezeichen in meine Mimik. Daraufhin blickte sie mich an, wie jemanden, der so daneben ist, daß er eigentlich bevormundet gehört, hob eines ihrer grazilen Beinchen in die Höhe und meinte augenrollend: "Claro, es Invierno!“ Was übersetzt soviel bedeutet, wie, es sei klarerweise Winter!
Ich hatte Mühe, nicht vom Koffer zu kippen und dachte, wie dieses Mädchen wohl unseren Winter in Europa nennen würde. In diesem Moment allerdings wurde unser kleines Tête à Tête rüde unterbrochen. Es näherte sich nämlich ein dunkelblauer Chevrolet, dessen Baujahr irgendwann in den frühen 50-er Jahren gewesen sein mußte, genau genommen war es nur mehr der Rest eines Automobils: So fehlten beispielsweise die Motorhaube und das Dach. Der hintere Deckel jedoch war noch vorhanden, er war mit einer Schnur an einem der rückwärtigen Fensterrahmen hochgebunden. Der so frei gelegte Kofferraum wurde von zwei riesigen Lautsprechern gefüllt und was aus diesen Lautsprechern dröhnte, würde ein ungeschultes Ohr lediglich als unerträglichen Lärm bezeichnen. Der Kenner jedoch weiß: es ist „Merengue“, eine Musikform, deren Ursprung bis heute nicht restlos geklärt werden konnte. Nie zuvor hatte ich eine derartige Musik gehört, in Europa jedenfalls würde so etwas gegen alle Normen verstoßen. Na, dachte ich, bis zum nächsten Ordnungshüter wird es wohl nicht weit sein, und dann ist's aus mit der Ruhestörung! Als hätte ich es geahnt, wurden die sechs jungen Burschen im nächsten Moment von einem bewaffneten Polizisten mit brauner Uniform und einem weißen runden Helm gestoppt. Nach einem kurzen verbalen Schlagabtausch stieg ein Beifahrer nach hinten, um dem Exekutivbeamten Platz zu machen. Mit hervorquellenden Augen sah ich, wie der Fahrer dem neuen Fahrgast zur Begrüßung eine halb geleerte Flasche Rum entgegenstreckte. Dann gab er Gas und der Spuk war verschwunden. Nur das „Dum - Dum - Dum“ der Lautsprecher lag noch zehn Blocks weiter in der Luft.
Ich ertappte mich dabei, wie ich mir heimlich in den linken Arm zwickte, nur um sicher zu gehen, daß ich das hier nicht alles nur träumte. Doch zum Nachdenken blieb keine Zeit. Plötzlich hielt mir ein baumlanger Kerl einen riesigen Zettel direkt vor die Nase. Mein Instinkt wollte mich gerade vor einer unüberlegten Handlung warnen, als ich begriff: das war mein Mann! Ich nickte erleichtert mit dem Kopf und erhob mich. Der Riese schüttelte meine Hand und legte ein breites Grinsen auf. Er war ebenfalls froh, mich endlich gefunden zu haben, schließlich waren über zwei Stunden seit der Landung vergangen. Außer mir gab es noch ein junges Pärchen, das längst im Fond des Kleinbusses lag und schlief. Also setzte ich mich neben den Fahrer und suchte nach dem Gurt. Tony, so hatte der Mann sich vorgestellt, überzeugte sich, daß meine Tür verriegelt war und ab ging die Post. Gurte gibt's hier, wenn überhaupt, offenbar nur gegen Aufpreis und ich saß in der Standardversion. Die Windschutzscheibe war im oberen und im unteren Drittel mit einer Sonnenschutzfolie abgedeckt. Wir schauten also durch einen Sehschlitz im Cinemascope - Format. Zu allem Überfluß war die Scheibe gesprungen: Um ein kleines Einschussloch hatte sich ein Spinnennetz von Bruchlinien gebildet. Ohne diese Folien wären wir wahrscheinlich im Freien gesessen. Ich hatte das ungute Gefühl, daß der Sicherheitsaspekt in Sachen Verkehr unter „ferner liefen“ eingestuft wurde. Wir begegneten den abenteuerlichsten Fortbewegungsmitteln. Der gesamte Schrotthaufen Amerikas schien hierher verschifft worden zu sein: Wagen mit oder ohne Beleuchtung, mit oder ohne Windschutzscheiben, Türen oder Stoßstangen, große Lastwagen mit versetzten Achsen kamen mir zu Gesicht, Busse gar, die in der Mitte durchgebrochen, doch mit Menschen vollgestopft waren, bewegten sich mit absoluter Selbstverständlichkeit durch den abendlichen Verkehr.
Mein Chauffeur schien die verloren gegangene Zeit durch überhöhte Geschwindigkeit aufholen zu wollen. Sein Fahrstil war am ehesten mit Riesenslalom bei olympischen Winterspielen zu vergleichen. Nach welchen Verkehrsregeln wurde hier eigentlich gefahren? Mir fielen die Verkehrspolizisten mit ihren weißen Tropenhelmen auf, die jeweils in der Mitte der Straßenkreuzungen das Chaos noch verstärkten, indem sie wild mit den Armen ruderten, pausenlos ihre Trillerpfeifen betätigten und gleichzeitig Merengue tanzten. An diesen Kreuzungen wurde von Straßenhändlern alles angeboten, was irgendwie käuflich war: Nicht nur kühle Getränke oder gegrillte Hähnchen, nicht nur Zigaretten, Obst oder modische Accessoires, nein, selbst so nützliche Sachen für den täglichen Bedarf wie Radzierkappen oder komplette Fernsehantennen konnten hier erworben werden. Viele dieser Dinge waren vermutlich so frisch gestohlen, daß ihre Vorbesitzer ihren Verlust noch gar nicht bemerkt hatten.
Die heruntergelassenen Fenster sorgten für angenehme Frischluft. Dafür nahmen wir gerne das pausenlose Gehupe aller am Verkehr Beteiligten in Kauf. Jahre später habe ich einmal ein Taxi benutzt, welches ständig hupte. Der Lärm konnte nur dadurch abgestellt werden, indem man die Vorrichtung für die Hupe benutzte, eine Art Umkehrschaltung also!
Um diesen Verkehrslärm zu übertönen, schaltete mein neuer Freund und Weggefährte das Kassettengerät ein. Der Wagen mußte zumindest über einen zweiten Generator verfügen, denn was ich nun vernahm, ließ meinen Verstand stillstehen. Zumindest ein Drittel des zulässigen Gesamtgewichts dürften allein die Lautsprecher für sich in Anspruch genommen haben. Wenn ich den Text des Liedchens richtig verstanden hatte, so wünschte sich jemand Stockfisch zum Essen und ein Knabenchor wiederholte ständig diesen perversen Wunsch. Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, Sie sitzen da mit Ihrem Gepäck nach über zwanzig Reisestunden in einer Fahrzeugruine, einem offensichtlich Geistesgestörten ausgeliefert und mit ungehinderten zweitausend Watt vernehmen Sie zu allem Überfluß: „Dame Bacalao!“ Sollte Johnny Weissmüller in Bermudashorts, mit der linken Hand die Liane haltend und mit der rechten sich auf die Brust trommelnd, an der nächsten Straßenkreuzung an meinem Fenster vorüber geschwebt sein, ich hätte es für die normalste Sache der Welt gehalten. Mein hilfloses Lächeln nahm Tony zum Anlaß, die Lautstärke noch um einiges zu erhöhen. Mit gespieltem Bedauern deutete ich auf das hinter uns schlafende Paar, worauf er gönnerhaft den Lärm wieder in seine dominikanische Normalstellung zurückdrehte.
Irgend etwas schien Tony mir mitteilen zu wollen, doch ich schaute ihn nur ratlos an. „Please put in Your right elbow, Sir!“ brach es schließlich aus ihm heraus. Ich verstand noch immer nicht. Da nahm er meinen rechten Arm, den ich auf das geöffnete Fenster gelegt hatte, herein und gestikulierte mir, daß die Fahrzeuglenker hinter uns meinen könnten, daß wir rechts abzubiegen wünschten. Auf diesen Gedanken wäre ich allerdings wohl nie gekommen, doch langsam wurde mir klar: Hier ist alles anders!
Mittlerweile hatten wir die „Carretera Duarte