© 3. Auflage 2014
Verlag Martin Rossol, Pretzfeld
Alle Texte, Verweise und Abbildungen unterliegen dem Urheberrecht. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.
Im Text verwendete Titel und Marken sind nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen dieser Hinweise kann nicht auf eine freie Verfügbarkeit geschlossen werden.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über die Seite http://dnb.dnb.de abrufbar.
Wir danken der LWB Lichtenberger Werkstatt für Behinderte gGmbH in Berlin für die freundliche Genehmigung der Publikation.
Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Titelbild: Designsoliman, Fotolia.com
ISBN: 978 3 7322 7753 7
Qualitätsmanagementsysteme stellen in sozialwirtschaftlichen Organisationen vielfach ein durch die Kostenträger oder durch externe Auftraggeber gefordertes Instrument dar. Die angebotenen Leistungen sollen dadurch abgebildet sowie die Qualität der Leistungserstellung gesichert werden. Vor allem Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sehen sich hierbei mit dem Spannungsfeld zwischen Pädagogik und Produktion konfrontiert. Ihr dualer Auftrag, einerseits rehabilitationsspezifische Bildungseinrichtung, andererseits produzierendes Dienstleistungsunternehmen, steht im Arbeitsalltag des Öfteren in Kontrast zueinander. Es besteht die Gefahr der Zielkonflikte.
Als Mitarbeiterin im Sozialdienst und Qualitätsmanagementbeauftragte in einer Berliner Werkstatt für behinderte Menschen, erlebt die Autorin in ihrem Berufsalltag häufiger, dass der Schwerpunkt der Arbeit bei den Mitarbeitern der Einrichtung auf der Sicherstellung der Produktion liegt. Dadurch bedingt, findet die Erfüllung von pädagogischer Qualität vermehrt wenig Berücksichtigung, obwohl Menschen mit Behinderung als Leistungsempfänger die wesentliche Anspruchsgruppe dieser Einrichtung darstellen. Einschlägige Qualitätsmanagementsysteme und Normen, wie beispielsweise die DIN EN ISO 9001:2008, scheinen in diesem Zusammenhang ebenfalls wenig Raum für die pädagogischen Prozesse zu schaffen, vielmehr stärken sie die industrielle Seite der Werkstatten.
Für die Autorin ergab sich aufgrund dieser Überlegungen die Fragestellung, inwieweit es geeignete Qualitätsmanagementsysteme für WfbM gibt, in denen zunächst die pädagogische Seite adäquate Berücksichtigung findet und darüber hinaus Möglichkeiten schafft, das Spannungsfeld zwischen Pädagogik und Produktion zu verringern.
Diese Masterarbeit gliedert sich in sieben Kapitel mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. An diese Einleitung anschließend erfolgt im zweiten Kapitel die exemplarische Beleuchtung aktueller Spannungsfelder, mit denen sich WfbM im Rahmen der Qualitätsdebatte konfrontiert sehen. Das dritte Kapitel setzt sich auf theoretischer Ebene mit der Qualitätsthematik auseinander, unter anderem mit pädagogischer Qualität und deren Anforderungen in der Sozialwirtschaft. Die speziellen Anforderungen verschiedener Anspruchsgruppen an WfbM werden im vierten Kapitel erörtert. Darauf aufbauend beinhaltet das fünfte Kapitel eine ausführliche Auseinandersetzung mit ausgewählten Qualitätsmanagementsystemen unter dem Blickwinkel der pädagogischen Leistungserstellung. Im sechsten Kapitel werden anhand eines konkreten Beispiels Vorschläge für eine praxisnahe Umsetzung unterbreitet. Ihren Abschluss erfährt diese Masterarbeit im Rahmen eines Fazits im siebten Kapitel.
Werkstätten für behinderte Menschen stellen zum aktuellen Zeitpunkt eine wichtige soziale Organisation dar, um Menschen mit Unterstützungsbedarf die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen.1 Basierend auf den gesetzlichen Anforderungen des Neunten Sozialgesetzbuches, sind sie zum einen Rehabilitations- und Bildungseinrichtung für Menschen mit Behinderung, die zum gegenwärtigen Moment nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können. Schwerpunkte liegen beispielhaft in der Bereitstellung einer adäquaten beruflichen Bildung, dem Erhalt der persönlichen Leistungs- und Erwerbsfähigkeit und der Persönlichkeitsentwicklung, auch mit dem Ziel, den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu gestalten (vgl. § 136 Abs 1f. SGB IX).
Zum anderen schreibt § 12 Abs. 1 der Werkstättenverordnung (WVO) vor, dass die WfbM nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen organisiert sein muss, mit dem Ziel, wirtschaftliche Arbeitsergebnisse anzustreben, um an die im Arbeitsbereich beschäftigten behinderten Menschen ein angemessenes Arbeitsentgelt zahlen zu können (vgl. § 12 Abs. 3 WVO). Hieraus ergibt sich die Funktion eines sozialen Wirtschaftsunternehmens mit ökonomischen Eigeninteressen (vgl. Detmar et al. 2002, S. 6; Gehrmann 2008b, S. 305). Diese Mehrdimensionalität in der Zielstruktur „prädestiniert für unterschiedliche Schwierigkeiten und macht zugleich anfällig für Konflikte, welche sich in den kontrastreichen Begriffspaaren Produktion oder Pädagogik beziehungsweise Markt oder Mensch manifestieren. Beiden Anspruchsgruppen soll die WfbM als gemeinnütziges Sozialunternehmen umfassend gerecht werden“ (Bieker 2005, S.323, zitiert nach Kronberg 2009, S.45). Dieses Spannungsfeld zwischen pädagogischer Bildungseinrichtung und produzierendem Dienstleistungsunternehmen spiegelt sich nach Auffassung der Autorin auch deutlich in der Thematik Qualitätsmanagementsysteme in Werkstätten für behinderte Menschen wider. Nachfolgend werden daher exemplarisch einige der Herausforderungen aufgeführt, mit denen sich WfbM im Rahmen der Qualitätsdebatte konfrontiert sehen und die für die weitere Erarbeitung dieser Themenstellung von Bedeutung sind.
Soziale Einrichtungen, speziell Werkstätten für behinderte Menschen, sehen sich verstärkt mit steigenden Qualitätsanforderungen durch den Gesetzgeber konfrontiert. Werkstätten unterliegen vielfältigen gesetzlichen Rahmenbedingungen und konzeptionellen Anforderungen, denen sie umfassend gerecht werden müssen. Ihre gesetzliche Verankerung findet sich im Neunten Sozialgesetzbuch Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, besonders im Kapitel fünf und Kapitel zwölf wieder. Weitere wichtige gesetzliche Handlungsgrundlagen bilden für diese Einrichtungen die Werkstättenverordnung (WVO) sowie die Werkstättenmitwirkungsverordnung (WVMO). Eine zunehmende Rolle in der Ausgestaltung der Werkstättenlandschaft spielt ebenso die seit 2009 verbindlich anerkannte UN-Behindertenrechtskonvention (BRK), die seit der Ratifizierung geltendes Recht und wichtige Leitlinie für die Behindertenpolitik in Deutschland darstellt (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011, S.3).2
Im Zusammenhang mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen ist die Verankerung der Qualitätsthematik in der Sozialgesetzgebung hinsichtlich der Ausrichtung an Qualitätsfragen von zunehmender Bedeutung (vgl. Arnold 2009, S.459). So verlangt der Gesetzgeber im Neunten Sozialgesetzbuch § 20 Abs. 2, dass Rehabilitationseinrichtungen ein Qualitätsmanagementsystem aufweisen müssen, welches die spezifische Leistungsversorgung durch zweckbestimmte und systematische Verfahren sichert, gewährleistet und kontinuierlich verbessert. Auch § 75 SGB XII verdeutlicht, dass Kosten von Leistungen der Sozialhilfe die durch die WfbM erbracht werden, nur übernommen werden, wenn Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen vorliegen, die auch wieder im besonderen Maße die Gewährleistung von Qualität und deren Überprüfung sicherstellen.
Darüber hinaus bestehen weitere aktuelle gesetzliche Qualitätsforderungen für Werkstätten für behinderte Menschen in der Auflage, dass diejenigen Träger, die das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich anbieten, ab 1. Januar 2013 eine Zulassung nach der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung AZAV vorweisen müssen.3 Ausnahmeregelungen oder Übergangsfristen sind ausdrücklich nicht vorgesehen (vgl. BAG WfbM 2012).
Der aktuell vorherrschende Ökonomisierungsgedanke droht, sich einschneidend auf die Qualitätsdebatte auszuwirken und ein unüberbrückbares Spannungsfeld zu den pädagogischen Ansprüchen zu schaffen: „Die zunehmende Ökonomisierung ist ein gesamtgesellschaftlicher Trend, der auch vor der Sozialen Arbeit nicht Halt macht“ (Böhm / Wöhrle 2009, S. 6). Bezogen auf die Qualitätsdebatte, die mittlerweile, wie oben geschildert, kontinuierlich in den sozialen Gesetzesfestlegungen verankert ist, spiegelt sich diese Tendenz nachhaltig wider. Im Zusammenhang mit dem sozialpolitischen Kontext wird verstärkt auf die „ökonomischen Rahmenbedingungen, auf die knappen öffentlichen Finanzmittel und auf die daraus resultierenden vermehrten Legitimationsanforderungen verwiesen“ (Merchel 2010, S. 21). Die WfbM sehen sich in diesem Bezugsrahmen mit den Anforderungen des SGB IX § 20 sowie SGB XII § 75 Abs. 3 konfrontiert, die jeweils durch die Einrichtung festgelegte Qualitätsmaßstäbe installiert wissen wollen, bevor Leistungen durch den Kostenträger übernommen werden. Ökonomische Effizienz, Qualitätskriterien und Leistung werden hierbei in der Regel verknüpft miteinander betrachtet (vgl. ebd. sowie Rossol 2010, S. 10). „Dabei zeigt die aktuelle Entwicklung der Vergütungsvereinbarungen eine Tendenz in Richtung Geld für Qualität anstelle des bisher üblichen Geld für Kosten“ (Rossol 2010, S. 12).
Werkstätten für behinderte Menschen befinden sich bezogen auf diesen Sachverhalt seit längerem in einem „Spannungsfeld mehrerer unterschiedlicher Anspruchsgruppen mit teilweise divergierenden Interessen“ (Egger / Schübel / Zink 2003, S. 1). Auf der einen Seite sind die oben beschriebenen Anforderungen und Vorgaben des Kostenträgers, der die Interessen des Gesetzgebers vertritt, zu nennen. Darüber hinaus sind die Menschen mit Behinderung als die sogenannten wesentlichsten „Hauptkunden“ (ebd.) anzusehen. Hier gilt es sich der Frage zu stellen, „welche Bedürfnisse sie haben, welche Entwicklungs- und Lebensmöglichkeiten ihnen zugestanden oder von ihnen selbst reklamiert werden und welche spezifischen Leistungen für ihre Rehabilitation und Eingliederung zur Verfügung stehen müssen“ (ebd.).
Dem gegenüber stehen eine zunehmende Verschärfung des wirtschaftlichen Wettbewerbes und die vorrangig industriellen Kunden mit ihren steigenden Anforderungen und dem Anspruch, dass das Qualitätsmanagementsystem der WfbM kompatibel ist mit ihrem eigenen System4 (vgl. Egger et al. 2003, S. 2; Miller 2005, S. 43). Es entsteht somit ein Spannungsfeld, dem die WfbM möglichst umfassend gerecht werden muss. Das Spannungsfeld ist in Abbildung 1 verdeutlicht.
Abb. 1: Werkstätten für behinderte Menschen im Spannungsfeld von Leistungsträger sowie pädagogischen und industriellen Leistungsempfängern (basierend auf Rossol 2010, S. 8)
Ein aktuelles Praxisbeispiel aus dem Arbeitsalltag der Autorin verdeutlicht in diesem Zusammenhang ebenfalls die Prägnanz dieser Thematik: Im Rahmen einer Fortbildung sollten Arbeitsgruppenleiter und Mitarbeiter des Sozialdienstes einer Werkstatt für behinderte Menschen wechselseitig reflektieren, worin sie ihre jeweiligen Aufgaben sehen. Während ein Gruppenleiter unverzüglich äußerte, dass seine erste Aufgabe in der Fertigstellung der Kundenaufträge bestehe, zählten die Sozial- und Heilpädagogen als Aufgabe des betreuenden Fachpersonals zunächst die vielfältige pädagogische Begleitung und Unterstützung der Menschen mit Behinderung auf, bevor sie ganz am Ende die Sicherstellung der Produktion benannten.5
Anhand der dargelegten Fakten wird nach Meinung der Autorin deutlich, dass für die WfbM ein Qualitätsmanagementsystem erforderlich ist, das unter anderem
Im Rahmen der Qualitätsdebatte gibt es eine wachsende Anzahl an unterschiedlichen Qualitätsmanagementsystemen, die für eine starke Unübersichtlichkeit sorgen. Im Zusammenhang mit der spezifischen Thematik des Qualitätsmanagements sehen sich die WfbM bzw. soziale Einrichtungen im Allgemeinen mit einer Fülle von Formeln und Kürzeln in der Qualitätslandschaft konfrontiert: „TQM, DIN ISO 9000ff., EFQM, LQW, KQS, GAB-Verfahren, und viele andere mehr“ (Merchel 2010, S. 9). Die Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation (BAR) hat auf ihrer Homepage eine Liste veröffentlicht, auf der sie insgesamt dreiunddreißig verschiedene QM-Verfahren aufführt, die sie bei Zertifizierungen von Rehabilitationseinrichtungen anerkennt (vgl. BAR 2012). Eine stichprobenartige Recherche über die Homepage von Werkstätten im Netz – Qualität und Vielfalt aus WfbM ergab zudem, dass es weitere industrielle Normen und Anforderungen gibt, denen sich diese Institutionen im Zuge der Wettbewerbsfähigkeit anpassen müssen und nach denen sie sich zertifizieren lassen können. Beispielhaft zu nennen sind hier die Managementanforderungen der Berufsgenossenschaft zum Arbeitsschutz (MAAS-BGW), die Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV), die DIN ISO 14001 zum Umweltmanagement, die Entsorgungsfachbetriebeverordnung (EfbV), die DIN 32757 zur Akten- und Datenträgervernichtung sowie die Richtlinie 93/43/EWG zur Lebensmittelhygiene (vgl. Werkstätten im Netz 2012). Um die Normenvielfalt noch zu ergänzen, lassen sich an dieser Stelle exemplarisch in der Liste weiterhin aufführen: WfbM Qualität Plus, die DIN ISO 29990, die Balanced Score Card sowie das Paritätische Qualitätssiegel PQ-Sys.
Diese Aufzählung verdeutlicht, dass „inzwischen eine kaum noch überschaubare Vielzahl von Konzepten und Modellen zur Qualitätsentwicklung, zum Qualitätsmanagement bzw. zur Qualitätssicherung angewandt und erprobt wird“ (Olk / Speck 2008, S. 81, zitiert nach Merchel 2010, S. 63).
Dem gegenüber steht jedoch auch das Erfordernis, dass Werkstätten für behinderte Menschen abhängig von ihrem Angebots- und Dienstleistungsspektrum und den Auftraggebern bestimmte Zertifizierungen benötigen, um wettbewerbsfähig zu bleiben beziehungsweise um Maßnahmen der beruflichen Teilhabe am Arbeitsleben anbieten zu können. In Kapitel 5 dieser Masterarbeit erfolgt hierauf bezogen eine explizite Auseinandersetzung. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Rahmen der Qualitätsdebatte eine Vielzahl an Herausforderungen für Werkstätten für behinderte Menschen bestehen.
Um im weiteren Verlauf der Masterarbeit eine differenzierte Betrachtungsweise hinsichtlich der unterschiedlichen Qualitätsmanagementsysteme vornehmen zu können, ist zunächst eine Einführung in die Qualitätsthematik in der Sozialwirtschaft erforderlich.
1 Als Diplom-Heilpädagogin erlebt die Autorin im Rahmen des Studiums und auch im Arbeitsalltag, dass Werkstätten für behinderte Menschen als Institution im Zuge von Integration und Inklusion oft kritisch hinterfragt werden. In ihrer Diplomarbeit erfolgte eine differenzierte Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Innerhalb dieser Masterarbeit wird diese Diskussion nicht aufgegriffen, vielmehr wird die Organisation WfbM in der Bildungs- und Arbeitslandschaft als feste Größe angenommen und der Schwerpunkt auf die Qualitätsdebatte gelegt.
2 In Kapitel 4 wird auf die einzelnen gesetzlichen Richtlinien ausführlicher eingegangen.
3 Die Akkreditierungs- und Zulassungsförderung Arbeitsförderung (AZAV) stellt eine neue Verordnung auf Grundlage des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dar. Ausführungen dazu erfolgen in Kapitel 5.
4