© 2. durchges. Auflage 2014 Maria Lucia Koller – Matthias Rost
Gestaltung: Matthias Rost
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7322-7786-5
Ein kleiner See genügt zur Spiegelung eines großen Himmels,
Wie wenig unterscheidet sich die Welt von ihrem Traum!
Gedenke auch des stillen unsichtbaren Fischgewimmels
und all des Lebens und des Sterbens in der Menschen Raum
im kleinen Dorf mit alten Herzen unter engen Dächern!
Gedenke auch der Ritter Tafelrunde aus Gestein,
die einst im hohen Kirchenschiff aus feuergoldnen Bechern
selbstherrlich tranken - ihren Bauern und sich selbst zur Pein!
Ist alles schon versunken in den Seegrund unsres Lebens?
Taucht jeden Morgen unsre alte Welt aufs Neue empor?
Des Kirchturms Abglanz lotet in die Tiefe ganz vergebens.
Erst nach der letzten Abendsonne kommt die Wahrheit vor.
Du Sonne der Gerechtigkeit
Christus vertreib in uns die Nacht,
daß mit dem Licht des neuen Tags
auch unser Herz sich neu erhellt!
Du schenkst uns diese Gnadenzeit,
gib auch ein reuevolles Herz
und führe auf den Weg zurück,
den Deine Langmut irren sah.
Es kommt der Tag, Dein Tag erscheint
da alles neu in Blüte steht,
der Tag, der unsre Freude ist,
der Tag, der uns mit Dir vereint.
Dir, höchster Gott Dreifaltigkeit,
lobsinge alles, was da lebt,
laß uns durch Deine Gnade neu
Dich preisen durch ein neues Lied!
Guten Morgen!
Ich begrüße dich im Namen dessen,
der mich hervorgebracht hat.
Tritt ein! Du bist willkommen.
Du wirst erwartet. Es ist alles zubereitet.
Dir sind alle meine Stunden geschenkt.
Sie sind schon bezahlt.
Sie erfüllen sich von selbst,
du musst die Zeit weder anschieben noch stoppen.
Eine Bitte: Bleib wach und nüchtern,
werde nicht menschendienerisch,
bleibe frei, liebe bedingungslos!
Ich reiche dir jetzt die frische Wäsche des Geistes,
schlüpf in die Kleider deiner Rollen,
hier sind die Schuhe deines festen Auftretens,
hier der Mantel der Aufmerksamkeit,
hier dein Stock zum Verjagen der schlechten Geister.
Alles Gute bis heute Abend,
wenn dich meine große Schwester abholt, die Nacht,
und mit dir im Traum alles bespricht, was unklar ist.
Glück auf zur Arbeit über und unter Tage!
Sisyphos
muss ein unermüdlicher
ja ein übermütiger
Gottmensch sein
dass er jeden Abend lachend
den heißen Sonnenball
mit nackter Zehe
in die tiefe Nacht hinabstößt
und „all Morgen ganz frisch und neu“
wieder lustvoll hinaufstemmt
bis zum glühenden Zenit
milliardenmal und nocheinmal
ohne zu zählen und nocheinmal.
Und ist es auch kein Auf- und Niedergang
so ist es doch ein Umgang
und ein Kreisen um alle Mikro-Makrozentren
und niemals ist es eine Wiederholung
des Ein-und-immerselben
sondern immer eine neue
Jetzterfindung und Hiererschaffung
täglich eine Sonnenraderfindung
kraft der unstillbaren Lust des Sisyphos.
O Gott aller Sonnen
Anstoß aller Bewegungen und Kreisungen
Zentrum aller Spiralen
Anziehungskraft aller schwarzen Löcher –
ich danke dir für diesen neuen Erdentag.
Selbst wenn es in einer Unterwelt ist:
Ich darf heute neu anfangen
als gäbe es kein Gestern.
Ich lebe jenseits.
Da kommt kein Tadel an, kein Lob,
keine Bestrafung, keine Belohnung.
Ich preise dich du Stifter aller Anfänge,
du verlangst von mir keine Vollendung,
die ist allein dein Werk.
Ich muss nicht an ein Ziel kommen.
Mir steht es nur zu, in der Übung zu bleiben.
Die Übung ist mein Ziel.
Ich selber bin dein Ziel.
Ich bin es jeden Tag neu.
Wer redet da noch von Schuld oder Schicksal?
In der Zeitlosigkeit ist schon alles vollbracht.
Amen.
... aber jetzt
jetzt kommen die Berge
und wenn die Berge kommen
dann musst du fliehen.
Dann aber sagt mir eine andere Stimme:
Kehr um
flieh über die Berge hinweg
sonst kommst du nicht heim.
Und ich nehme
im Gegenwind
Schritt um Schritt
Berg für Berg
Tag um Tag
unter die Füße
und die Berge wandern
unter mir hinweg
wandern ins eisige Meer.
Da kommt mir warm entgegen
zitronenduftiger Südwind.
Als legte ich mich nackend nachts am Ufer
in einen leeren ruderlosen Nachen –
so geh ich mitternachts zu Bett
und lass mich träumend treiben hin
zu fremden Ländern.
Als legte ich mich nackend nachts am Ufer
in eine schwere steuerlose Fähre –
so überlass ich mich dem Lebensfluß
und lege mich vertrauensvoll
in seine Arme.
Als legte ich mich nackend nachts am Ufer
in einen schwarzen segellosen Kutter –
so bette ich mich einst in meinen Sarg
und lass mich schwimmen auf dem Lethestrom
des Allvergessens.
Als legte ich mich nackend nachts am Ufer
in eine unterganggeweihte Sonnenbarke –
so sinke ich in eine Hochzeitsnacht
und schaukle mich in einer Menschheitswiege
der Neugeburt.
Mein Geist hält Wache
im nächtlichen Schlaf.
Am Morgen rüst’ ich mich bangen Herzens.
Am Mittag hab’ ich mich schon in meinem Schaffen verloren.
Am Abend kommt mir die Flut der Seele zurück.
Und nachts schaue und trinke ich wieder
die Wunder der Tiefe.
Mein Morgen gehört Gott,
dem ich mich eröffne.
Mein Tag gehört der Welt,
in die Er sich ergießt.
Mein Abend gehört mir,
in mir feiert sich Er.
Die Nacht gehört dem Nichts,
aus welchem alles kommt.
Du bist der Morgen.
Du bist der Tag.
Du bist der Abend.
Du bist die Nacht.
(auf die Melodie: Wer nur den lieben Gott lässt walten)
Du gabst mir meine Unschuld wieder,
hast mir in dieser langen Nacht
den Geist, die Seele und die Glieder
ich weiß nicht wie, ganz leicht gemacht.
Nun steh’ ich auf und danke dir
und geh’ durch eine offne Tür.
Ich lag in Schuld und Scham gefangen,
im Traum stand ich vor Satans Thron.
Da ist ein Freispruch mir ergangen,
ich schlief und wusste nichts davon.
Nun da du selber mir’s gesagt,
hab dir zu glauben ich gewagt.
Ich spür’ in dieser Morgenstunde,
du hast die ganze Nacht gewacht
und abgewaschen meine Sünde.
Ich hab’ dir große Müh gemacht!
Du sprichst: „Wir reden nicht davon.
Ich hab’ dich ja als meinen Lohn.“
Du unentwegter Seelenwäscher
tilgst meinen Makel in der Nacht,
vertreibest die Gewissenshäscher,
drum bin ich glücklich aufgewacht
und gehe in den Tag hinein,
als wär ein Traum mein neues Sein.
Vielleicht hast du in diesen Nächten
mich unbemerkt so sehr liebkost,
dass ich, verletzt von bösen Mächten,
gebadet bin in deinem Trost.
Ich, der ich dich so sehr betrübt,
ich staune, dass du mich geliebt.
I
Ich niste hoch gen Südwest.
Lichtüberflutet die Burg.
Am Abend flammt es auf.
In Feuergold all meine Fenster.
II
Die unsichtbare Strahlung
der Ikone
in meinem kleinen Zimmer –
einem Riesenreaktor gleich,
ein Aktor,
der Pantokrator.
III
Und doch ihr Augen,
vergesst, was ihr seht.
Ein Augenlicht andrer Art erstrahlt
in meinem jetzt finsteren Turm.
IV
Ich kann das einfach nicht begreifen,
wie die Sonne täglich
in rasender Langsamkeit
am Horizont verschwindet,
weil sich meine Erde
so deutlich von mir wegdreht
und wieder eine Verlängerung erwirtschaftet hat
und ein Tagewerk
vollkommen unfertig vollendet ist
und mein Zellulargewebe
zwei Dutzend Stunden älter geworden ist
der universellen Hinfälligkeit gemäß.
Die Gewalt der sterbenden Nachmittagswintersonne
erweckt mich zu einem heißen Sommer anderer Welten
daß ich schreie und schreie
holt mich heim holt mich heim
und von meinem Gebrüll fahren die Raben hoch
flattern hoch vom Aas zu Tode erschrocken.
Ein leuchtender Fisch
ist am Himmelssee erschienen.