Kölner Schriften zum Friedenssicherungsrecht Cologne Studies on International Peace and Security Law Études colognaises sur le droit de la paix et de la sécurité internationales
Herausgegeben von/Edited by/Éditées par
Claus Kreß
Band/Volume 2
Diese Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.
Referent: Prof. Dr. Claus Kreß LL.M. (Cambridge)
Korreferent: Prof. Dr. Bernhard Kempen
Tag der mündlichen Prüfung: 9. Juli 2013
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ISSN: 2195-5719 · ISBN: 978-3-7357-2103-7 (Hardcover), 978-3-7357-1237-0 (E-Book)
Alle Rechte vorbehalten.
© 2014 Institute for International Peace and Security Law, Universität zu Köln,
Albertus-Magnus-Platz, D-50923 Köln; Internet: http://www.iipsl-cologne.com.
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmpH, Norderstedt.
Gedruckt auf säurefreiem Papier.
Meinem Vater
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2013 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im März 2013 abgeschlossen; spätere Entwicklungen wie die Offene Stellungnahme des Generalbundesanwalts vom 23. Juli 2013 zum Drohneneinsatz vom 4. Oktober 2010 in Mir Ali/Pakistan und den Bericht des UN-Sonderberichterstatters über außergerichtliche, summarische und willkürliche Hinrichtungen vom 13. September 2013 habe ich berücksichtigt; später veröffentlichte Literatur punktuell nachgetragen.
Danken möchte ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Claus Kreß, der mit seinem Fachwissen und seiner Erfahrung die Arbeit sehr konstruktiv begleitete sowie Herrn Prof. Dr. Bernhard Kempen für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens.
Mein Dank gilt meiner Familie und meinen Freunden, die mich in der Zeit der Arbeit an dieser Dissertation durch Ratschläge und Zuspruch unterstützt haben.
Danken möchte ich dabei insbesondere Dr. Lysander Fremuth, Dr. Johannes Fuhrmann, Christian Plingen und Dr. Nils Schmidt-Ahrendts für ihre wertvollen Anregungen zu meiner Arbeit.
Großen Dank schulde ich meinen Eltern Dr. Annette und Gerhard Kapaun für ihre langjährige Unterstützung, insbesondere meinem Vater für die große Hilfe und Geduld beim Korrekturlesen dieser Arbeit.
Berlin, im März 2014
Nina Kapaun
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anderer Ansicht |
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EGMR |
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte |
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Europäische Menschenrechtskonvention |
ETA |
Euskadi Ta Askatasuna |
FATA |
Federally Administered Tribal Areas |
GAL |
Grupos Antiterroristas de Liberacion |
GC |
Geneva Convention(s) |
GK |
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Hamās |
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HCJ |
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Hrsg. |
Herausgeber |
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i.S.d. |
im Sinne des |
i.S.v. |
im Sinne von |
lit. |
litera |
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LTTE |
Liberation Tigers of Tamil Eelam |
para. |
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Partiya Karkerên Kurdistan |
sog. |
so genannt |
u.a. |
unter anderem |
UN |
United Nations |
Vgl./vgl. |
Vergleiche |
Vol. |
Volume |
z.B. |
Zum Beispiel |
Zivilpakt |
Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte |
ZP I |
Erstes Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen |
ZP II |
Zweites Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen |
Nicht erst seit der Tötung des mutmaßlichen Drahtziehers der Anschläge vom 11. September 2011, Osama bin Laden, durch die Einheit der US-amerikanischen Militärs, die Navy Seals, am 02. Mai 2011 in Abbottabad, Pakistan, ist der Begriff der gezielten Tötung ein fester Bestandteil des politischen und völkerrechtlichen Diskurses geworden. Seit dem 24. Januar 2013 befasst sich auch der UN Special Rapporteur on Human Rights and Counter-Terrorism, Ben Emmerson in einer offiziellen UN-Studie mit den zivilen Auswirkungen von Drohneneinsätzen und anderen Formen des gezielten Tötens. Der Fokus liegt dabei auf den geltenden rechtlichen Rahmen und den Opfern innerhalb der Zivilbevölkerung.1 Auch in dem am 13. September 2013 veröffentlichten Bericht des UN Special Rapporteur on extrajudicial, summary and or arbitrary executions, Christof Heyns, wird die Notwendigkeit einer ausführlichen rechtlichen Auseinandersetzung mit gezielten Tötungen durch Drohnen festgestellt.2 Die völkerrechtlichen Fragestellungen, die durch die Methode des gezielten Tötens aufgeworfen werden, sind trotz anhaltender Diskussion in Wissenschaft und Praxis keiner eindeutigen Lösung zugeführt worden. Die Bewertung gezielter Tötungen in der Praxis wird neben rechtlichen Parametern auch von politischen Motiven beeinflusst. Diese sind im Völkerrecht, das maßgeblich durch das Verhalten der Staaten geprägt wird, von erheblichem Einfluss. Die vorliegende Untersuchung nimmt eine rechtliche Bewertung der Methode des gezielten Tötens vor.
Eine rechtliche Bewertung gezielter Tötungen wird dadurch erschwert, dass keine allgemeine Einigkeit darüber besteht, welche Rechtssätze für die Bewertung herangezogen werden können. Die Vorgehensweise gezieltes Töten ist eine Kampftaktik, die in der Praxis entwickelt und angewandt wurde, ohne dass eine rechtliche Qualifizierung damit einherging.
Um diese Kampftaktik nach geltenden Rechtssätzen beurteilen zu können, müssen ihre Merkmale eindeutig bestimmt werden. Um eine gezielte Tötung rechtlich bewerten zu können, muss zuvorderst feststehen, was eine gezielte Tötung ausmacht.
Die Formulierung „gezielte Tötung“ englisch „targeted killing“ bietet für die Tatbestandsmerkmale keine ausreichenden Anhaltspunkte. Sie stellt vielmehr den kleinsten gemeinsamen Nenner dar, auf den man sich in der internationalen Diskussion einließ.
In der internationalen Diskussion wurden gezielte Tötungen auch als Attentate („assassinations“)3, zulässige Kriegshandlungen („acts of war“)4 oder außergerichtliche Hinrichtungen („extra-judicial executions“)5 bezeichnet. Die Art und Weise, in der diese Begriffe gebraucht wurden, birgt die Gefahr, dass bestimmte Begriffe bereits die rechtliche Bewertung als entweder rechtmäßig oder unzulässig beinhalten.
Die Bezeichnung als Attentat impliziert die Beurteilung einer gezielten Tötung als eine grundsätzlich unzulässige Tötung6; und greift somit einer genauen rechtlichen Überprüfung vor.7 Die Bezeichnung als assassination sollte deshalb nicht als terminologischer Ausgangspunkt einer rechtlichen Einordnung von gezielten Tötungen übernommen werden.
Der Begriff acts of war, Kriegshandlungen, impliziert, dass gezielte Tötungen nach Kriegsrecht zu beurteilen sind. Das bedeutet wiederum, dass der Kontext, in dem gezielte Tötungen ausgeführt werden, stets als bewaffneter Konflikt charakterisiert wird. Die notwendige rechtlich differenzierende Beurteilung der unterschiedlichen Situationen, in denen gezielte Tötungen ausgeführt werden, wird dadurch verhindert. Eine Bezeichnung der gezielten Tötungen als acts of war ist im Rahmen dieser Arbeit abzulehnen.
Die Bezeichnung als extra-judicial executions, d. h. als außerrechtliche bzw. außergerichtliche Hinrichtungen legt nahe, dass gezielten Tötungen ohne Rechtsgrund und unter Verletzung von Menschenrechten vorgenommen werden. Eine derartige Einschätzung kann nur nach einer rechtlichen Prüfung am Maßstab der Menschenrechte getroffen werden.
Für den weiteren Verlauf der Arbeit wird die rechtlich neutrale Bezeichnung der gezielten Tötungen beibehalten. Weiter wird eine genaue Definition der gezielten Tötung erarbeitet und der Arbeit zu Grunde gelegt, welche die konstitutiven Merkmale einer gezielten Tötung festlegt.
Targeted killing/Gezieltes Töten ist kein völkerrechtlich definierter Begriff, sondern kam im Jahr 2000 auf, als sich Israel zu einer Strategie bekannte, nach der mutmaßliche „Terroristen“8 in den Palästinensischen Gebieten gezielt getötet wurden.9 Auch über zehn Jahre später gibt es noch keine universell anerkannte, umfassende Definition von gezielten Tötungen. So werden gezielte Tötungen als absichtlich durchgeführte Attentate bekannter Terroristen bezeichnet, die in den meisten Fällen durch einen Luftschlag außerhalb des eigenen Staatsgebietes, aber nicht zwangsläufig nur auf Gebieten opponierender Staaten ausgeführt werden.10 Aufgrund der Wertung, die in dem Begriff Attentat enthalten ist, sowie der Uneinigkeit im Hinblick auf den Begriff des Terroristen kann diesem Definitionsansatz im Rahmen einer objektiven Untersuchung nicht gefolgt werden.
Derselbe Vorbehalt gilt auch gegenüber der Definition, die der Israelische Oberste Gerichtshof in seinem Urteil zu gezielten Tötungen in den palästinensischen Gebieten erarbeitet hat. Er versteht unter gezielten Tötungen Präventivschläge, die den Tod von Terroristen sowie unter Umständen unschuldigen Zivilisten verursachen.11
An anderer Stelle wird hauptsächlich auf die Begehungsweise abgestellt, um gezielte Tötungen zu definieren. Danach liegt eine gezielte Tötung darin, auf eine bestimmte Einzelperson zu zielen, um diese zu töten, und dies zunehmend häufig durch hoch technologisierte Mittel wie ferngesteuerte Drohnen des Typs Predator, mit denen Raketen aus der Distanz eingesetzt werden.12 Wenngleich auch die Erwähnung gezielter Tötung unweigerlich an Drohnen denken lässt und ein Großteil gezielter Tötungen mit Drohnen durchgeführt wird,13 gibt es dennoch viele Beispiele, in denen mit anderen Mitteln gezielt getötet wird. Auch Scharfschützen können gezielte Tötungen vornehmen. Bekanntestes Beispiel dafür ist die Tötung von Osama bin Laden durch Spezialeinsatzkräfte des US-amerikanischen Militärs, die ihn aus kurzer Entfernung erschossen.14
Ein weiteres Beispiel für eine gezielte Tötung mit untypischer Begehungsweise ist die Tötung des Hamas Führers Mahmoud al-Mahbouh in einem Hotelzimmer in Dubai, der von mutmaßlichen Agenten des israelischen Geheimdiensts Mossad mit einem Kissen erstickt wurde.15 Eine Definition, die den Einsatz von Drohnen als Merkmal voraussetzt, schränkt die Untersuchung gezielter Tötungen unnötig ein.
Die Definitionsansätze von Philip Alston, dem damaligen UN Special Rappoteur on Extrajudicial, Summary, or Arbitrary Executions geben am ehesten Aufschluss darüber, was als kleinster gemeinsamer Nenner bei Definitionsversuchen zu Grunde gelegt werden kann. Danach ist eine
„gezielte Tötung (...) die absichtliche, vorsätzliche und bewusste Anwendung tödlicher Gewalt durch einen Staat oder Bedienstete des Staates, die unter dem Vorgeben der Rechtmäßigkeit handeln, oder durch eine organisierte bewaffnete Gruppe in einem bewaffneten Konflikt, gegen eine bestimmte Person, die sich nicht im physischen Gewahrsam desjenigen befindet, der die Tat begeht.“16
Darauf aufbauend wird in der vorliegenden Untersuchung eine gezielte Tötung dann angenommen, wenn ein Staat durch seine militärischen Einsatzkräfte oder andere staatliche Bedienstete ein genau bestimmte Person, die sich nicht in seinem unmittelbaren Gewahrsam befindet, absichtlich tötet.17 Die gezielte Tötung kann in Friedenszeiten sowie im Rahmen eines bewaffneten Konflikts erfolgen. Während eines bewaffneten Konflikts ist insbesondere die Bezeichnung als „gezielt“ zentral, um die gezielte Tötung von konventionellen Kriegstötungen unterscheiden zu können. Maßgeblich für eine gezielte Tötung ist, dass die Identität des Opfers bei der Zielauswahl eine vorrangige Rolle spielt.18 Zudem muss die Tötung erklärtes Ziel der Gewaltanwendung sein, und nicht nur als Möglichkeit in Kauf genommen werden. Das Ziel der Maßnahme wäre nicht erreicht, wenn die anvisierte Person dabei nicht um das Leben käme.19 Unerheblich für die Definition einer gezielten Tötung ist der Bezug zwischen dem Zeitpunkt der Entscheidung für eine gezielte Tötung und dem Zeitpunkt, an dem die Gefahr, die von der anvisierten Person ausgeht, eintreten wird.20 Die zeitliche Komponente gezielter Tötung hat Auswirkungen auf ihre potenzielle Rechtmäßigkeit, insbesondere der zeitliche Bezug zum Schadensseintritt ist für mehrere Fragestellungen relevant und wird im Rahmen der folgenden Untersuchung an betreffender Stelle diskutiert.
Gezielte Tötungen finden insbesondere in Situationen statt, in denen Ziele nicht-staatliche Akteure sind, die sich in Staaten und Regionen befinden, in denen der Einsatz konventioneller Streitkräfte nicht sachgemäß vorgenommen werden kann und/oder die zuständigen lokalen Stellen nicht selbst gegen die mutmaßlichen „Terroristen“ vorgehen. Um diese Situationen zu beschreiben, wird häufig der Begriff des asymmetrischen Konflikts verwendet.
Der Begriff des asymmetrischen Konflikts beschreibt den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen der Auseinandersetzung mit nicht-staatlichen Akteuren, in dem gezielte Tötungen durchgeführt werden. Eine präzise Bestimmung der Bedeutung des asymmetrischen Konflikts ist daher für die weitere Untersuchung notwendig.
Grundsätzlich wird von einem asymmetrischen Konflikt gesprochen, wenn sich zwei ungleiche Gegner gegenüber stehen.21 Für die rechtliche Bewertung einer solchen Situation ist der Aspekt der normativen Asymmetrie zentral.22 Normative Ungleichheit bedeutet, dass verschiedene rechtliche Regeln für die unterschiedlichen Konfliktparteien gelten. Auch unter Verbündeten, die auf der gleichen Seite des Konflikts stehen, kann normative Asymmetrie existieren.23 Normative Asymmetrie entsteht zum einen dadurch, dass nicht jeder Staat sich durch die gleichen internationalen Verträge verpflichtet hat. Zum anderen ist normative Asymmetrie eine Folge der tatsächlichen Ungleichheit der Konfliktparteien. Die Teilnehmer in einem asymmetrischen Konflikt haben nicht den gleichen Status. Meist stehen auf der einen Seite staatliche und auf der anderen Seite nicht-staatliche Akteure. Nicht-staatliche Akteure sind Einzelpersonen oder Gruppierungen, die weder im Namen noch im Auftrag noch unter der Kontrolle eines Staates handeln, noch rechtlicher oder tatsächlicher Teil der staatlichen Organisation ist, und dadurch eine vom Staat unabhängige Identität und Existenz haben.24 Die Ungleichheit der Konfliktparteien ergibt sich nicht nur aus dem unterschiedlichen rechtlichen Status, sondern auch aus der Art und Weise ihres Agierens.25 Die staatliche Seite zeichnet sich meist durch offenes Handeln mit herkömmlichen militärischen Mitteln aus, während mit nicht-staatlichen Akteuren oft verdecktes Operieren im Schutz der Zivilbevölkerung verbunden wird. 26
Die ungleiche Konfliktführung ist kein selbständiges Kriterium eines asymmetrischen Konflikts. Die Konfliktführung bedingt den rechtlichen Status der Konfliktparteien. Weist eine nicht-staatliche Konfliktpartei hinsichtlich der Konfliktführung Merkmale auf, die sie einer staatlichen Konfliktpartei vergleichbar machen, beeinflusst das ihren rechtlichen Status.27 Der Status einer Konfliktpartei wiederum hat Auswirkung darauf, welche Regeln auf die Gruppe und auf die Auseinandersetzung anzuwenden sind. Die Beteiligten eines Konfliktes und ihre Art der Konfliktführung bestimmen demnach maßgeblich, nach welchen Regeln der Konflikt ausgetragen und bewertet wird.28
Darauf aufbauend wird in dieser Arbeit eine Definition des asymmetrischen Konflikts verwendet, die sich auf die normative Asymmetrie bezieht. Die unterschiedliche Art der Konfliktführung sowie der – sich unter Umständen daraus ergebende – ungleiche Status der Konfliktparteien sind Teilaspekte und Bedingungen der normativen Ungleichheit der Konfliktbeteiligten. Ein asymmetrischer Konflikt liegt demnach vor, wenn die am Konflikt beteiligten Akteure einen unterschiedlichen rechtlichen Status haben der zu einer uneinheitlichen rechtlichen Bewertung der Auseinandersetzung führt.
Wenngleich die Begrifflichkeit „gezieltes Töten“ erst im letzten Jahrzehnt genutzt wurde um die staatliche Tötung einer genau bestimmten Person durch militärischen Einsatzkräfte oder andere staatliche Bedienstete zu beschreiben, wurde sich bereits früher dieser Methode bedient. Es finden sich historische Beispiele dieses Phänomens, die unter anderer Bezeichnung geführt wurden.29 In der Zeit von 1983 bis 1986 waren in Spanien antiterroristische Befreiungsgruppen, die sog. Grupos Antiterroristas de Liberacion (GAL) zur Bekämpfung der baskischen Terrororganisation ETA und des baskischen Separatismus verdeckt aktiv.30 Diese Gruppen sollen von Mitgliedern der spanischen Regierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Felipe González im Kampf gegen die ETA ins Leben gerufen und vom spanischen Innenministerium unter José Barrionuevo geschützt und finanziert worden sein.31 Die GAL griff vermeintliche Mitglieder der ETA hauptsächlich auf französischem Staatsgebiet an.32 Ihr werden 27 Tötungen vermeintlicher oder tatsächlicher ETA-Terroristen in dieser Zeit zugerechnet,33 zum Großteil durch französische Söldner durchgeführt, die von der spanischen Polizei damit beauftragt wurden. Ziel dieser Strategie war es nicht nur, die ETA zu schwächen und weitere Anschläge zu verhindern, sondern vielmehr, die damalige französische Regierung zu einer härteren Vorgehensweise bei der Bekämpfung der ETA zu bewegen.34 Die Aktivitäten der GAL endeten 1986 zu dem Zeitpunkt, an dem die französische Regierung in ihrer Auslieferungspolitik strikter gegenüber mutmaßlichen ETA-Terroristen wurde.35 Die GAL bewegte sich stets im Rahmen der Illegalität, nach bekannt werden der politischen Verstrickung von Mitgliedern der spanischen Regierung36 kam es zu gerichtlichen Verurteilung der überführten Beteiligten.37 Die damit in Verbindung gebrachten Politiker bzw. Mitglieder der spanischen Exekutive wurden gerichtlich belangt.38 Diese Periode des Anti-Terror-Kampfes wird in Spanien als „la guerra sucia“ (der schmutzige Krieg) bezeichnet.39
Mit den gezielten Tötungen, targeted killings, wurde zunächst vor allem Israel in Verbindung gebracht, das sich längere Zeit als einziger Staat offiziell zu dieser Vorgehensweise bekannte. Im Rahmen der sog. Zweiten Intifada bzw. Al-Aqsa Intifada hatte sich Israel öffentlich für eine Politik der gezielten Tötung mutmaßlicher palästinensischer Terroristen ausgesprochen.40 Der Israelische Oberste Gerichtshof nahm in seinem Urteil vom 14. Dezember 2006 zur israelischen Praxis der gezielten Tötungen Stellung,41 nachdem er im Jahre 2002 die Politik der gezielten Tötungen als Mittel der Kriegsführung noch als nicht justiziabel gewertet hatte.42 Die israelische Politik der gezielten Tötungen wurde darin auf Antrag des Public Committee against Torture in Israel einer ausführlichen rechtlichen Prüfung unterzogen.43 Der Israelische Oberste Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass gezielte Tötungen unter gewissen Voraussetzungen rechtmäßige Mittel des Staates bei der Verteidigung gegen „terroristische“ Gefahren seien.44
Die Entscheidung für eine Politik der systematischen gezielten Tötungen wurde von der israelischen Regierung unter Ehud Barak getroffen und seit dem Amtsantritt Ariel Scharons im März 2001 weitergeführt und intensiviert.45 Laut offiziellen palästinensischen Angaben sind bereits im ersten Jahr seit Beginn der zweiten Intifada im September 2000 über 60 Menschen Opfer gezielter Tötungen geworden.46 Am 09. November 2000 wurde Hussein ‘Abayat in Beit Sahur durch ein von einem Helikopter aus gefeuerten Geschoss getötet. Die israelische Regierung bekannte sich zu dieser gezielten Tötung und rechtfertigte sie als notwendige Verteidigungsmaßnahme.47 Dieses Ereignis wird als Beginn der offiziellen israelischen Politik der gezielten Tötungen gesehen, da sie ab diesem Zeitpunkt von offizieller Seite, sowohl von politischen als auch von militärischen Kreisen, bestätigt und gutgeheißen wurde.48 Ein weiteres Beispiel für die Praxis der gezielten Tötungen der israelischen Armee ist die Tötung von Thabet Thabet am 31. Dezember 2000 in Tulkarm. Dieser wurde von der israelischen Regierung als Mitglied der Führungsebene der Tanzim Organisation geführt, seine Tötung wurde von israelischer Seite als reguläre Kriegshandlung gewertet.49 In diesem Zusammenhang sprach der damalige israelische Premier- und Verteidigungsminister Ehud Barak von einer Rechtfertigung des Vorgehens gegen mutmaßliche palästinensische Terroristen durch das Recht auf Selbstverteidigung.50
Am 03. Juli 2001 erteilte die israelische Regierung dem Militär eine umfangreichere Genehmigung zur Liquidierung palästinensischer Terroristen, in deren Rahmen bekannte Terroristen auch in einem Moment attackiert werden dürfen, in dem sie nicht unmittelbar einen Anschlag verüben bzw. vorbereiten.51
Aktuelle Zahlen sprechen von 437 gezielten Tötungen von Palästinensern durch israelische Sicherheitskräfte in den Palästinensischen Gebieten in dem Zeitraum vom 29. September 2000 bis zum 31. Dezember 2012.52 Die gezielten Tötungen sind meist in den Palästinensergebieten durchgeführt worden, aber auch außerhalb israelischen Staatsgebietes, wie beispielsweise die Tötung des Hamas Führers Al-Mabuh durch den Mossad in einem Hotel in Dubai im Januar 2010.53
Auch in den USA gehören gezielte Tötungen nicht erst seit kurzem zur Militärstrategie. Obwohl die USA sich lange nicht offiziell zu einer Militärstrategie der gezielten Tötungen bekannt hatten, deuteten viele Anhaltspunkte aus nationalen Sicherheitsdokumenten und offiziellen Stellungnahmen54 schon früh darauf hin, dass die US-amerikanische Regierung einer Ausführung dieser Taktik im Kampf gegen den transnationalen „Terrorismus“ nicht abgeneigt war.55
Bereits am 03. Januar 2001 wurde ein Gesetzesvorschlag eingebracht, nach dem die USA Anschläge auf einzelne Personen hätten durchführen können: Der Terrorist Elimination Act of 2001.56 Dieser zielte in der Hauptsache darauf ab, Verbote der Executive Order 12 333 aufzuheben, die sich auf Attentate gegen Staatsoberhäupter beziehen. Vom Wortlaut ausgehend galt das Verbot aber für alle Personen, nicht nur für ausländische Staatsoberhäupter als Opfer. Militär und Geheimdienste durften somit keine einzelnen Menschen gezielt töten.57 Dem Gesetzesvorschlag für den Terrorist Elimination Act of 2001 wurde nicht stattgegeben. Nach Auffassung der US-Regierung bestand keine Notwendigkeit, die Verbote der Executive Order 12 333 aufzuheben, da sie nur verbiete, ausländische Staatsoberhäupter gezielt zu töten. Für andere Personen wie mutmaßliche „Terroristen“ gelte das Verbot nicht.58
Die gezielte Tötung im Jemen 2002, die zum damaligen Zeitpunkt für große Kontroversen sorgte, stellt den Beginn der Strategie des gezielten Tötens durch die USA dar, die sich in den letzten Jahren als fester Bestandteil im US-amerikanischen „Kampf gegen den Terror“ etabliert hat. Dabei wurde am 5. November 2002 ein Führungsmitglied der Al Qaida, Qaed Salim Sinan al-Harethi, der als Initiator des Bombardements auf das US-amerikanische Kriegsschiff USS Cole galt, von einem durch die CIA geführten Angriff durch eine unbemannte Drohne im Jemen in der Provinz Marib, die ca. 160 km östlich der Hauptstadt Sanaa liegt, getötet.59 Es gab keine offizielle Bestätigung der Mutmaßungen, dass die jemenitische Regierung die gezielte Tötung al-Harethis genehmigt hatte.60 Die New York Times berichtete am 6. November 2002, dass der damalige US-Präsident George W. Bush nach den Anschlägen des 11. September 2001 eine grundsätzliche Genehmigung für gezielte Tötungen weltweit erteilt habe, die im konkreten Einzelfall nicht der Zustimmung des Präsidenten bedürften, sondern von ranghohen Militärs bzw. der CIA angeordnet werden könnten.61 Der stellvertretende Verteidigungsminister der USA bezeichnete den Jemeneinsatz in einem Interview mit CNN als eine sehr gelungene taktische Operation.62 Zu dem damaligen Zeitpunkt gab es keine offizielle Bestätigung, dass die USA sich der Methode des gezielten Tötens bediene. Die US-amerikanische Regierung unter George W. Bush äußerte sich nicht zu ihrer Vorgehensweise hinsichtlich gezielter Tötungen und in offiziellen Stellungnahmen durch Regierungsbeamte wurden keine Einzelheiten zu dem „geheimen Programm“ bekannt gegeben.63 Condoleeza Rice, zu dem damaligen Zeitpunkt tätig als Beraterin in Fragen der nationalen Sicherheit, beurteilte die gezielten Tötungen im Jemen als rechtmäßig von Präsident George W. Bush autorisierte Maßnahmen zum Schutz der nationalen Sicherheit im Rahmen eines neuartigen Krieges.64 Die gezielten Tötungen im Jemen stellen den Ausgangspunkt des Übergangs der Terrorismusbekämpfung vom Kriegsschauplatz in Afghanistan zu einer Politik der gezielten Tötungen, mit der Terroristenführer in ihren Verstecken bekämpft werden sollen, dar.65 Der Einsatz gezielter Tötungen durch die USA hat sich in den nachfolgenden Jahren erheblich verstärkt. Gezielte Tötungen werden als Mittel im „Kampf gegen den Terror“ in verschiedenen Konstellationen eingesetzt. Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama sollen bis zu 390 Drohnenangriffe mit bis zu 2400 Todesopfern geflogen worden sein, wobei die Zahl von bestätigten zivilen Opfern immer weiter zurück gegangen ist, für das Jahr 2013 wurde beispielsweise in Pakistan kein ziviles Todesopfer offiziell bestätigt.66
In Afghanistan (sowie im Irak) sind gezielte Tötungen Bestandteil einer Militärstrategie, die in der Hauptsache konventionelle Militäroperationen umfasst. Die gezielten Tötungen werden gleich den übrigen militärischen Maßnahmen durch Streitkräfte ausgeführt.67
Am 3. November 2001 tötete ein von einer Predator-Drohne ausgehendes Geschoss Mohammed Atef, den Kopf der Militärabteilung der Al Qaida, in einem Einsatz nahe Kabul.68 Am 07. August 2006 wurde Abu Mussab el Sarkawi, der selbsternannte Anführer der Al Qaida Zellen im Irak, durch einen Luftangriff der USA nördlich von Bakuba im Irak gezielt getötet.69 Nach Angaben des irakischen Regierungschefs Nuri al-Maliki wurde Sarkawi in einem isoliert gelegenen Haus getötet, in dem er sich mit anderen mutmaßlichen Terroristen getroffen hatte.70 Anwohner berichteten von einer präzisen Operation der US-Amerikaner, bei der die Luftwaffe gezielt eines von zwei freistehenden Häusern angegriffen habe.
Bei einem Luftangriff der International Security Assistance Force (ISAF) in der Provinz Nuristan in Afghanistan am 26. November 2007 soll nach Angaben der Verantwortlichen Abdulla Jan, ein Taliban Führer, durch Präzisionsmunition gezielt getötet worden sein.71 Er stand unter Verdacht, gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Taliban Angriffe auf die Afghan National Security Forces und die ISAF Einheiten dieser Provinz vorzubereiten. Informationen über diese Aktion wurden von der NATO nur begrenzt präsentiert.72
Die hier beschriebenen gezielten Tötungen sind Beispiele für gezielte Tötungen in Afghanistan, die Bestandteil des ISAF Einsatzes und der US-amerikanischen Militäreinsätze sind, mit denen die Rückkehr der Al Qaida verhindert werden soll und die „terroristische“ Netzwerke zerstören sollen, welche die Fähigkeit und das Ziel haben, transnationale Anschläge zu verüben.73 Der UN-Sicherheitsrat hat den ISAF Einsatz autorisiert, die afghanische Regierung hat ihm zugestimmt.74
Darüber hinaus gibt es gezielte Tötungen wie im Jemen 2002, die nicht in dem Kontext einer breit gefassten Militäroperation vorgenommen werden, sondern punktuelle Schläge gegen Einzelpersonen in unterschiedlichen Ländern darstellen. Beispiele dafür sind weitere gezielte Tötungen im Jemen und in Somalia.
Offiziell bestätigt wurde die gezielte Tötung eines Terrorverdächtigen im Süden Somalias im Januar 2007, bei der von einem US-amerikanischen „Gunship“ unter dem Kommando des Pentagon gefeuert wurde.75 Laut Aussage des Generals Peter Pace vor dem US-amerikanischen Kongress wurde der Einsatz in Somalia mit der Genehmigung des Pentagons, Terroristen auf der ganzen Welt zu verfolgen und zu töten, die ihm von der Regierung nach dem 11. September 2001 erteilt wurde, ausgeführt.76
Am 03. März 2008 wurde das Haus eines mutmaßlichen Terroristen in Somalia von Flugzeugen der US-Luftwaffe bombardiert. Nach Angaben von des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums handelte es sich um einen gezielten Angriff gegen einen bekannten „Terroristen“ mit Verbindungen zur Al Qaida.77
Aktuellere Beispiele gezielter Tötungen sind die vier Luftangriffe der US-Armee im Jemen im Januar 2012, bei denen insgesamt 15 Menschen ums Leben gekommen sind.78 Unter den Opfern sollen sich mehrere mutmaßliche Al Qaida Führer befunden haben. Bislang liegen keine Informationen vor, ob diese Luftangriffe durch Kampfflugzeuge oder Drohnen durchgeführt wurden. Die US-Armee setzt seit 2011 verstärkt Drohnen im Jemen ein.79 Im Hinblick auf die völkerrechtliche Rechtfertigung der gezielten Tötungen im Jemen spricht die US-amerikanische Regierung von einer Bedrohung gegenüber den USA und ihren Verbündeten durch den Teil des Al Qaida Netzwerks, der vom Jemen aus operiere.80 Der militärische Einsatz gegen mutmaßliche Al Qaida Mitglieder sowie assoziierte Netzwerke erfolge in enger Kooperation mit der jemenitischen Regierung und habe gezielte bzw. direkte Schlägen gegen führende Mitglieder möglich gemacht.81 Berichten zufolge wurden am 23. Januar 2013 zwei Drohnenangriffe im Jemen geflogen, bei denen 8-11 Personen ums Leben gekommen sind. Unter den Toten wurden saudische Staatsangehörige vermutet, was zu der Mutmaßung führte, die Angriffe könnten auch von saudischer Seite geflogen worden sein.82 Insgesamt werden für das Jahr 2013 sechzehn bestätigte Drohnenangriffe mit bis zu 99 Todesopfern, darunter bis zu 23 Zivilisten gemeldet.83 Berichten zufolge wurden im Jahr 2014 bereits bis zu vier Drohnenangriffen mit sechs bis sieben Opfern durchgeführt, an denen die USA zumindest beteiligt gewesen sein sollen.84 Offizielle Stellungnahmen bestätigen das jedoch bislang nicht.
Seit mehreren Jahren werden in Somalia mutmaßliche Mitglieder der Al-Shabab Milizen und der Al Qaida von Einsatzkräften der USA zu Angriffszielen gemacht. Im Mai 2005 sollen mutmaßliche Mitglieder von Al-Shabab unter anderem durch Raketenangriffe der USA gezielt getötet worden sein, darunter Aden Hashi Ayro, der mutmaßliche Al Qaida Anführer in Somalia und Al-Shabab Milizen.85 Am 07. Januar 2007, während des Einmarsches äthiopischer Truppen in Somalia, soll der erste tödliche Luftangriff durch die USA geflogen worden sein. Mit einer Predator Drohne wurden mutmaßliche Al Qaida Mitglieder aufgespürt, denen eine Beteiligung an den Bombenanschläge gegen den US-Botschaften in Kenia und Tansania nachgesagt wurde, und von einem Gunship unter Beschuss genommen.86 Die Todesopfer sollen sieben bis zehn Personen umfassen. Ein weiterer US-amerikanischer Luftangriff gegen mutmaßliche Al Qaida Mitglieder soll wenige Tage später in der Nähe der kenianischen Grenze stattgefunden haben. Weder hinsichtlich der Zahl der Todesopfer noch des tatsächlichen Urhebers des Luftangriffs gibt es offizielle Stellungnahmen.87
Zahlen der vergangenen Jahre sprechen von 169 Opfern von Luftangriffen der USA in Somalia, wobei die meisten mit US-Kampfhubschraubern erfolgten.88 Erst am 23. Juni 2011 erfolgte ein tödlicher Drohnenangriff auf ein mutmaßliches militärisches Ausbildungslager in Somalia. Ziel dieses Angriffs waren zwei führende „Terroristen“, die einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag auf Großbritannien geplant haben sollen, zudem waren unter den Opfern mehrere Al-Shabab Mitglieder.89 Der Drohnenangriff wurde unter dem gemeinsamen Kommando der US-Armee und der CIA durchgeführt.90 Bis Februar 2013 sollen zwischen drei und neun Drohnenangriffe stattgefunden haben, ausgeführt von Spezialeinsatzkräften der US-Armee in Dschibuti, Äthiopien und möglicherweise den Seychellen, die unabhängig von der CIA operieren.91 Die USA bestätigten, dass sie von Stützpunkten in Äthiopien Drohnen nach Somalia schicken würden.92 Um ihr Engagement in Somalia zu rechtfertigen, führen sie an, dass die instabile politische Situation in Somalia dazu führe, dass Al Qaida „Terroristen“ aus Ost-Afrika (Al-Shabab hatte Anfang 2012 angekündigt, sich Al Qaida anschließen zu wollen93) eine Bedrohung für die USA und ihre Verbündeten darstellten.94 In einem Brief an den US-Kongress bestätigte US-Präsident Barack Obama, dass das US-Militär auch in Somalia gegen Mitglieder von Al Qaida und den mit ihr assoziierten Al-Shabab direkt vorgehen würde.95 Im Januar 2014 sollen bei einem Drohnenangriff durch die USA auf einen Al-Shabab Führer südlich von Mogadishu zwei bis neun Menschen ums Leben gekommen sein.96
Die gezielten Tötungen, die von den USA auf pakistanischem Hoheitsgebiet durchgeführt werden, stellen eine dritte Variante dar. Die meisten Luftschläge werden in den „Federally Administered Tribal Areas“ (FATA-Gebiet), dem pakistanisch kontrollierten Stammesgebiet an der Grenze zu Afghanistan, durchgeführt.97
Sie können zum einen als Teil des Militäreinsatzes der USA und ihrer Verbündeten im angrenzenden Afghanistan betrachtet werden. Zum anderen gleichen sie auch den gezielten Tötungen, wie sie punktuell im Jemen oder Somalia vorgenommen werden. Sie werden meist nicht von der US-Armee, sondern der CIA ausgeführt.98
Seit 2004, dem Jahr, in dem die USA ihr Drohnenprogramm in Pakistan begonnen haben soll, sind nach Angaben von unabhängigen pakistanischen Stellen 305 Angriffe im FATA-Gebiet geflogen worden.99 Dabei sollen insgesamt 2509 mutmaßliche nicht-staatliche Akteure getötet worden sein, wobei für 2010 bislang die höchste Opferzahl – 961 Tote bei 135 Drohnenangriffen – verzeichnet wurde.100 Im Jahr 2011 ging die Zahl der gezielten Tötungen mit 75 Angriffen und 557 Toten gegenüber dem Vorjahr zurück.101 Zeitweise hatte die US-amerikanische Regierung im Jahr 2011 den Drohneneinsatz ausgesetzt, nachdem bei einem Drohnenangriff der NATO im Grenzgebiet zu Afghanistan im November 2011 irrtümlicherweise 24 pakistanische Soldaten getötet worden waren.102
Als Reaktion auf die Tötung der 24 Soldaten Anfang April 2012 verabschiedeten Pakistans Parlament und Senat einen Beschluss, in dem mit Hinblick auf die Souveränität und territoriale Integrität Pakistans gefordert wird, dass die USA ihre Drohneneinsätze in Pakistan beenden sollen.103 Der nicht bindende Beschluss des Parlaments wurde vom US-amerikanischen Außenministerium als Politikempfehlung und Grundlage für künftige Gespräche begrüßt, ein Ende der Drohnenangriffe der USA sowie der (heimlichen) Unterstützung durch pakistanische Sicherheitskräfte und Geheimdienst bleibt abzuwarten.104
Der US-amerikanische Drohneneinsatz in Pakistan wurde bis Anfang 2012 nicht von offizieller Seite bestätigt. Erst durch eine Äußerung des US-Präsidenten Barack Obama während einer Internetfragerunde, in der er gezielte Tötungen als präzise Angriffe gegen Al Qaida verteidigte, wurden die US-Drohnenangriffe in Pakistan offiziell anerkannt.105
Die USA begründet ihre Einsätze in Pakistan damit, dass die Al Qaida von ihren Stützpunkten in den FATA-Gebieten eine andauernde und wachsende Bedrohung für die USA sowie auch für Pakistan, Afghanistan, Indien, Europa und andere mögliche Ziele darstellt.106 Die US-amerikanische Regierung hat ihre Drohneneinsätze in Pakistan im Jahr 2012 fortgeführt, mit 48 Einsätzen, bei denen 242-400 Menschen ums Leben kamen, darunter 7-42 Zivilisten; und wobei 115-172 Menschen verletzt wurden.107 Die Zahlen für das Jahr 2013 belaufen sich bislang auf 27 CIA-geführte Drohneneinsätze mit ca. 112-193 Todesopfern, zivile Todesopfer werden mit 0-4 angenommen, die Zahl der Verletzten soll bei 41-81 liegen.108
Berichten zufolge ging die pakistanische Regierung im März 2013 von insgesamt mindestens 400 zivilen Todesopfern durch Drohnenangriffe aus.109
Die USA gehen davon aus, dass ihre Maßnahmen bei der Bekämpfung des Al Qaida Netzwerkes im Einklang mit rechtstaatlichen Grundsätzen sowie mit geltendem Recht, auch Menschenrechten, stattfinden.110 Zur Rechtfertigung des Anti-Terror-Kampfes, zu dem auch die Drohneneinsätze in Afghanistan, wie auch in Pakistan, Somalia und im Jemen gehören sollen, berufen sich die USA auf ihr Selbstverteidigungsrechts gegenüber „terroristischen“ Angriffen.111 Weiter befänden sie sich mit den Akteuren des „Terror“ Netzwerkes Al Qaida in einem potenziell globalen bewaffneten Konflikt.112 Die Opfer gezielter Tötungen seien hochrangige Al Qaida Führer, ihre Tötung daher mit kriegsrechtlichen Prinzipien der Unterscheidung und Verhältnismäßigkeit vereinbar; die Auswahl und Entscheidung der Tötung werde in einem Verfahren getroffen, bei dem die Umstände des Einzelfalls Berücksichtigung fänden, d. h. die Unmittelbarkeit der Bedrohung, die Souveränität anderer betroffener Staaten und deren Willen und Möglichkeit, selbst gegen die Gefahr vorzugehen, die von der jeweiligen Zielperson ausgeht.113 Weiter wird auch auf das – eigentlich zwischenstaatlich wirkende- Selbstverteidigungsrecht abgestellt, um die gezielten Tötungen von Individuen zu rechtfertigen.114 Rechtsberater der US-amerikanischen Regierung gehen soweit, das Recht zur Vornahme jeglicher gezielten Tötung, d. h. auch außerhalb bewaffneter Konflikte, auf die Grundlage des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts stellen zu wollen.115
Bei dem Rechtfertigungsansatz der US-amerikanischen Regierung unter Barack Obama ist eine „pragmatische“ Verschmelzung/Verknüpfung von Regeln aus dem zwischenstaatlichen Bereich und solchen, die das Verhältnis zwischen Staat und Individuum betreffen, zu bemerken.116 Anfang 2013 wurde das sog. White Paper des US-amerikanischen Justizministeriums öffentlich, das sich mit der Rechtmäßigkeit gezielter Tötungen hochrangiger Mitglieder von Al Qaida oder assoziierter Gruppierungen mit US-amerikanischer Staatsbürgerschaft auseinandersetzt.117 In diesem White Paper werden drei Voraussetzungen aufgestellt, die erfüllt sein müssen, damit eine gezielte Tötung rechtmäßig sein kann.118 Erstens muss ein gut unterrichtetes hochrangiges Mitglied der US-amerikanischen Regierung festgestellt haben, dass die Zielperson die Gefahr eines unmittelbar drohenden gewaltsamen Angriffs gegen die USA darstellt.119 Zweitens darf die Gefangennahme nicht möglich sein, wobei die USA die jeweilige Situation kontinuierlich darauf prüft, ob eine Gefangennahme möglich wird.120 Drittens muss der Einsatz der tödlichen Gewalt unter Einhaltung der anwendbaren konfliktsvölkerrechtlichen Regelungen erfolgen.121 Die Annahme eines bewaffneten Konflikts, dessen Schauplatz überall dort ist, wo die USA Militäroperationen gegen mutmaßliche Mitglieder der Al Qaida oder assoziierter Gruppen ausführt, wird bekräftigt.122 Ausgehend vom last window of opportunity Gedanken wird eine unmittelbare Angriffsgefahr dann angenommen, wenn eine Person/Gruppierung kontinuierlich Angriffe plant und es keine Anzeichen für ein Ende dieser Aktivitäten gibt.123 Das zweite Kriterium der fehlenden Festnahmemöglichkeit ist zeitlich auch an dieses window of opportunity gekoppelt.124
Inwieweit der völkerrechtlichen Argumentation der USA zur Rechtfertigung gezielter Tötungen gefolgt werden kann wird im weiteren Verlauf der Arbeit besprochen.
In Deutschland erlangte der Begriff der gezielten Tötungen im Jahr 2004 durch die von dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily in einem Spiegel Interview getätigte Äußerung „wenn Ihr den Tod so liebt, könnt Ihr ihn haben“ einen gewissen Bekanntheitsgrad, da so öffentlich die Frage aufgeworfen wurde, ob gezielte Tötungen von Terroristen, die Massenmorde planen, durch das Notwehrrecht gedeckt sein könnten.125 Im Jahre 2007 wurde die daraus entstandene Diskussion von einer rechtlichen Einschätzung hinsichtlich erlaubter Mittel der Terrorismusbekämpfung durch den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble im öffentlichen Bewusstsein vertieft,126 der in einem Zeitungsinterview die Notwendigkeit präziser verfassungsrechtlicher Regelungen für Extremfälle wie dem Targeted Killing im Kampf gegen den Terror betonte.127 Der Vorschlag für die Legalisierung einer solchen Vorgehensweise konnte damals jedoch kaum Unterstützung in Regierungskreisen finden,128 vielmehr stieß der Vorstoß des Bundesinnenministers sowohl bei dem Koalitionspartner SPD als auch bei der Opposition auf scharfe Kritik.129
Durch die Beteiligung an der ISAF ist Deutschland mittlerweile selbst in militärische Vorgänge eingebunden, in deren Rahmen gezielte Tötungen vorgenommen werden.130 Welche Aufgaben den Mitgliedern der deutschen Streitkräfte in Afghanistan im Zusammenhang mit gezielten Tötungen zukommen, ist offiziell nicht bekannt. Es gibt jedoch Berichte, in denen vermutet wird, dass auch die Bundeswehr aktiv an einem Drohneneinsatz gegen eine Taliban Stellung beteiligt war, bei dem 15 mutmaßliche Kämpfer gezielt getötet wurden.131 Eine Stellungnahme der Bundesregierung zur Verwendung gezielter Tötungen in der Auseinandersetzung mit nicht-staatliche Akteuren gibt es weder für den Kontext eines bewaffneten Konflikts noch für andere Situationen, in denen gezielte Tötungen vorgenommen werden. Die Reaktion der Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Tötung von Osama bin Laden, wonach sie dessen Tod begrüße,132 könnte allerdings beispielhaft die Entwicklung des Meinungsbildes weg von einer vorherrschenden Ablehnung gezielter Tötung hin zu einer möglichen Option in der Bekämpfung des „Terrorismus“ zeigen. Auf eine kleine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag hat die Bundesregierung ihre Pläne zur Anschaffung von Kampfdrohnen bestätigt.133 Bislang setzt Deutschland seine Drohnen nur zu Aufklärungszwecken ein, die Bundeswehr hatte aber bereits im letzten Jahr die Anschaffung von bewaffneten Drohnen für zukünftige Auslandseinsätze angeregt.134 Nach neueren offziellen Stellungnahmen wird an dem Erwerb von Aufklärungsdrohnen durch die Bundeswehr festgehalten, der Erwerb von Kampfdrohnen sei noch nicht entschieden, erst müsse im Parlament festgelegt werden, .136