Titel: | Wahr–Schau-zur geplanten Elbvertiefung |
Herausgeber: | Kerstin Hintz / Ernst-Otto Schuldt |
Titel- und Rückseitenbild: | Walter Rademacher |
In besonderem Maße sind wir der Manfred-Hermsen-Stiftung, Goebenstraße 1, 28209 Bremen, für die finanzielle Förderung dieses Buchprojektes verbunden.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2014 – Kerstin Hintz / Ernst-Otto Schuldt - Alle Rechte vorbehalten.
Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7357-4472-2
Unser Dank gilt allen, die durch Mitwirkung jeglicher Art zum Zustandekommen dieses Buches beigetragen haben. Für die freundliche Unterstützung und Beratung bei der Umschlagsgestaltung danken wir Herrn Stefan Bargstedt, Bremen.
Die Menschen an der Unterelbe sind seit Jahren aufgewühlt. Die Freie und Hansestadt Hamburg plant seit dem Jahr 2002 die mittlerweile 9. Elbvertiefung, damit Containerschiffe der sogenannten neuen Generation mit einem Tiefgang von 14,50 m den Hamburger Hafen tideabhängig anlaufen können. Offiziell lautet das Vorhaben „Antrag auf Planfeststellung der Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe“.
Eine solche 9. Elbvertiefung würde das Flusssystem in vielen Teilen unwiderruflich zerstören. Das Planfeststellungsverfahren ist mit gravierenden fachlichen und methodischen Fehlern behaftet, deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht einen vorläufigen Stopp dieser geplanten Elbvertiefung angeordnet. Eine gerichtliche Verhandlung ist für Juli 2014 vorgesehen.
Die überwiegende Anzahl der über 100.000 Menschen, die an der Unterelbe von Jork bis Cuxhaven und von Wedel bis Brunsbüttel leben, wollen eine weitere Elbvertiefung nicht. Sie als Leidtragende sind kritisch geworden und hinterfragen das Projekt, denn stets haben die tatsächlichen negativen Auswirkungen der letzten Elbvertiefungen alle vorher prognostizierten Auswirkungen deutlich übertroffen. Zudem ist ein wirklicher transparenter Dialog mit den Vertretern der Planungsbehörden und der Hafenwirtschaft in den letzten 14 Jahren nicht möglich gewesen. Massive Zweifel an den prognostizierten Auswirkungen der geplanten Wasserbaumafinahmen sowie Fragen zur Deichsicherheit konnten nicht ausgeräumt werden. Misstrauen besteht auch gegenüber Bedarf und Wirtschaftlichkeit der Elbvertiefung. Deshalb gibt es bei den Menschen an der Unterelbe keine Akzeptanz für das Vorhaben.
Niemand hat ein Interesse, die Entwicklung des Hamburger Hafens zu verhindern, gleichwohl wird eine weitere Elbvertiefung aus ökologischen und ökonomischen Interessen mehr als kritisch gesehen. In der sogenannten „Otterndorfer Erklärung“1 haben alle damaligen niedersächsischen Landtagsabgeordneten die 9. Elbvertiefung parteiübergreifend abgelehnt. In der Erklärung heißt es, „die Gründe hierfür liegen insbesondere in den befürchteten Auswirkungen auf die regionale Deichsicherheit, den Hochwasserschutz, die Wasserwirtschaft und die Ökologie. Bei objektiver Betrachtung kann der Fluss nicht beliebig weiter ausgebaggert werden, die Natur setzt Grenzen, auch seien die vorgelegten Gutachten in wesentlichen Punkten mangelhaft, einseitig und zeigen weiteren Klärungsbedarf Außerdem wäre eine weitere Elbvertiefung durch eine bessere Kooperation der Deutschen Seehäfen überflüssig. Ein nationales Seehafenkonzept ist gemeinsam von Bund und den norddeutschen Ländern zu erstellen.“
Auch im Jahr 2014, sechs Jahre nach dem Verfassen der Erklärung, ist den Inhalten nichts hinzuzufügen. Die Unterelbe ist ein so faszinierender Fluss, ein so wunderbarer Naturraum, eine so herrliche Kulturlandschaft. Es ist unsere Verantwortung, uns dafür einzusetzen, dass uns dieser Lebensraum erhalten bleibt und auch von künftigen Generationen bewirtschaftet werden kann.
Otterndorf, 12. April 2014
Harald Zahrte
Stadtdirektor Otterndorf
Bürgermeister Samtgemeinde Land Hadeln sowie Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Unterelbe e.V.2
Blick über Neuhaus/Oste und Elbe bis Brunsbüttel (Foto: W. Rademacher/Wikipedia)
1Siehe Anhang, Seite →.
2AGU: Im Oktober 2002 gegründeter Verein mit konkreten Zielen zur kritischen Begleitung weiterer Elbvertiefungen im Bereich der Unterelbe mit Sitz in Otterndorf/NE (s. dazu Zeitungsartikel der Cuxhavener Nachrichten v. 11.12.2012 im Anhang, Seite →).
Die geplante neunte Elbvertiefung ist eines der umstrittensten Großprojekte Norddeutschlands. Sie wurde nach jahrelangen Kontroversen gegen die Interessen eines Großteils der Bevölkerung an der Unterelbe politisch und planungsrechtlich durchgesetzt, dann aber bis auf weiteres gerichtlich gestoppt.
Zeit zum Nachdenken: Was ist schief gelaufen? Warum wurden die Interessen der Bevölkerung an der Unterelbe so wenig berücksichtigt? Sind Hochwasserschutz und andere Umweltbelange etwa nicht von vorrangigem öffentlichen Interesse? Wie wurde mit ernstzunehmenden Risiken des Bauvorhabens umgegangen?
Wie realistisch waren und sind maßgebliche Annahmen der Projektbefürworter? Ist die geplante Elbvertiefung wirklich notwendig oder gibt es vorzugswürdige Alternativen?
Diesen und anderen Fragen gehen 18 Autorinnen und Autoren - unabhängige Fachleute und aufmerksame Bürger von der Unterelbe - mit unterschiedlichen Erfahrungen, Blickwinkeln und individueller Rhetorik nach. Entstanden ist eine Mischung aus wissenschaftlichen Abhandlungen über Bedarf, Wirtschaftlichkeit, Nutzen und den Planungsprozess mit tiefgründigen Darstellungen und Erfahrungsberichten betroffener Bürger über bereits erlebte und zukünftig befürchtete negative Auswirkungen der Elbvertiefung(en).
Die Besorgnis über die beobachtete Entwicklung war Beweggrund für die Autoren, ihre Meinungen dazu aufzuschreiben und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Darstellungen von Projektträgern und Planfeststellungsbehörden werden durch Recherchen unabhängiger Fachleute bloßgestellt und wesentliche Prognosen widerlegt. Dabei sind Wahrheiten entstanden, die in dieser Form wohl bisher noch nicht diskutiert wurden und sich im Titel des Buches „WAHR-SCHAU“ widerspiegeln, der in der Seemannssprache auch für „Achtung, Vorsicht, Aufgepasst!“ steht.
Auch wenn die zahlreichen Fußnoten den Lesekomfort manchmal beeinträchtigen, so sind diese als Quellennachweise jedoch ebenso erforderlich wie zur Erläuterung von Fachausdrücken und Hintergründen.
Die verschiedenen Beiträge beleuchten Daten und Fakten und wesentliche Schlussfolgerungen daraus, die auch den Trägern des Vorhabens und Projektbefürwortern bekannt sind oder zumindest sein sollten. Viele der offengelegten Wahrheiten werden jedoch von den Befürwortern und herrschenden Medien herabgespielt oder unterdrückt, anscheinend weil sie unbequem sind und nicht ins Konzept passen bzw. bei aufrichtiger Betrachtung gegen die Durchführung des Projekts sprechen würden.
Diese Dokumentation soll an wesentlichen Beispielen zeigen, wie Verantwortliche aus Wirtschaft und Politik zur Durchsetzung von Großprojekten Besorgnisse betroffener Bürger abwiegeln. Mit Hilfe von zum Teil zweifelhaften Gutachten werden Bedenken Betroffener des Projekts „kleingeredet“ und einschlägige rechtliche Bestimmungen anscheinend maßgeblichen wirtschaftlichen Interessen untergeordnet. Die dabei gemachten Erfahrungen mit der Regional-, Landes- und Bundespolitik sind ernüchternd und fördern zugleich den zunehmend beklagten Politikverdruss.
Eine rechtliche Beurteilung des zunächst abgeschlossenen (Rechts-)Verfahrens und die Konsequenz daraus können nur die Gerichte vornehmen und die verantwortlichen Behörden und Politiker letztlich zu notwendigen Kurskorrekturen bewegen.
Das Buch möchte zur notwendigen Lösung des Problems einer im Ergebnis überflüssigen neunten Elbvertiefung einen Diskussionsbeitrag leisten. Bei angemessener Würdigung aller Fakten („WAHR-SCHAU“) wird deutlich, dass die Probleme des Hamburger Hafens nicht durch das geplante Vorhaben gelöst werden, sondern nur durch die Alternative einer tiefgangsbezogenen nationalen Seehafenkooperation.
Zur Entstehung des Buches:
Nach dem Planfeststellungsbeschluss der umstrittenen geplanten Elbvertiefung vom April 2012 entstand in Jork an der Unterelbe die Idee, den unbefriedigenden Planungs- und Entscheidungsprozess von unabhängiger Seite zu dokumentieren. Durch die vielfältigen Kontakte, insbesondere von Kerstin Hintz, wurden zwischen Cuxhaven und Hamburg - und vereinzelt darüber hinaus -18 Autorinnen und Autoren gefunden, die ein einzigartiges Werk ermöglicht haben. Die von Ihnen verfassten Inhalte beruhen auf Ihren persönlichen Recherchen und Wahrnehmungen zu Verfahren und Entscheidung zur geplanten 9. Elbvertiefung.
Auf der Grundlage ihrer unterschiedlichen fachlichen Bildungen und Erfahrungen äußern sie ihre Meinungen zu diesem Thema aus verschiedenen Blickwinkeln, wobei jede(r) für den jeweils eigenen Beitrag selbst verantwortlich ist.
Das gesamte Werk ist von den Autorinnen und Autoren honorarfrei erstellt worden. Auch der Vertrieb erfolgt für sie - wie für die Herausgeber - unentgeltlich.
Um der Vielfalt und Individualität der Autorinnen und Autoren und ihrer Ansichten Rechnung zu tragen, ist auf eine sonst eher übliche Abstimmung von Inhalten und Ausdrucksweisen bewusst verzichtet worden.
Dr. Walter Feldt:
Jg. 1956; abgeschlossenes Studium der Fächer Biologie, Geographie (1983) und Politische Wissenschaften (1985) an der Universität Hannover; Promotion am Institut für Umweltplanung der Universität Hannover zum Thema „Grundlagen einer Nationalen Seehafenkonzeption, Untersuchung am Beispiel des Containerverkehrs“ (2009), 1983 bis 1990 Mitarbeiter der Umweltstiftung WWF-Deutschland (Wattenmeer- und Nordseeschutz); 1990 Wechsel ins Niedersächsische Umweltministerium als Referatsleiter Umweltverträglichkeitsprüfung, seit 2003 freier Gutachter (Umwelt Media Consult).
Bereits kurz nach Abschluss der Ausbaumaßnahmen zur achten Elbvertiefung im November 2000 beantragte der damalige Hamburger Wirtschaftssenator Uldall mit Schreiben vom 27.02.2002 beim Bundesverkehrsminister eine „weitere Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe an die Erfordernisse der Containerschifffahrt“ und bat gleichzeitig um „eine zügige Planung und Realisierung des erneuten Fahrrinnenausbaus“. Zur Begründung verwies der Senator auf „überdurchschnittliche Zuwachsraten“ des Hamburger Hafens „nach dem Fahrrinnenausbau“4, die geographischen und strukturellen Standortqualitäten des Hafens sowie seine Bedeutung für den Arbeitsmarkt. Und weiter: „Die sich aus dieser günstigen Ausgangsposition ergebenden Potentiale können allerdings erfolgversprechend nur dann ausgeschöpft werden, wenn die großen weltweit verkehrenden Containerschiffe auch zukünftig möglichst ungehindert den Hamburger Hafen anlaufen können.“
Begründet wurde und wird der Ausbaubedarf mit den zunehmenden Schiffsgrößen. Scheinbar ohne Bedeutung bleibt dabei, dass die günstige wirtschaftsgeographische Lage des Hafens etwa 100 Kilometer weit im Binnenland gleichzeitig von Natur aus Fahrwasserrestriktionen bedingt, die bei einem Tidefluss wie der Elbe nicht beliebig „weggebaggert“ werden können. So sind die Kosten für die Unterhaltungsbaggerungen zur Aufrechterhaltung der bestehenden Fahrwasserverhältnisse bis zum Hamburger Hafen nach der letzten Elbvertiefung auf etwa 100 Millionen Euro an Steuergeldern pro Jahr gestiegen. Die geplante neunte Elbvertiefung birgt erhebliche Risiken zusätzlicher Unterhaltungskosten und damit verbundenen Belastungen der Umwelt, die jedoch von den Befürwortern „kleingeredet“ werden (siehe hierzu Baumgardt, Seite 189ff. u. Neumann, Seite 213 ff.).
Vom Projektbüro Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe, der Hamburger Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA) und dem Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) Hamburg wurden die Antragsunterlagen für das erforderliche Planfeststellungsverfahren Ende 2006 bzw. Anfang 2007 vorgelegt.
Zudem wurde zunächst eine erste Teilvertiefung als „Vorgezogene Teilmaßnahmen“ (VTM) mit folgender Begründung beantragt, später jedoch aufgrund von Protesten wieder zurückgezogen:
„Aufgrund des zeitintensiven Bauablaufs (Integration eines Strombaukonzepts zur Minimierung der ausbaubedingten hydrologischen Änderungen) ist frühestens Ende 2009 mit dem Abschluss der Vertiefungsarbeiten und einer Freigabe der neuen Höchsttiefgänge zu rechnen.
Hier ist jedoch Eile geboten. Denn die Anzahl der in Dienst gestellten Containerschiffe, die den Hamburger Hafen aufgrund von Tiefgangsproblemen nicht mehr voll abgeladen bedienen können, hat deutlich zugenommen. Vor diesem Hintergrund erwarten die weltweit operierenden Containerreedereien einen raschen Fahrrinnenausbau. Verzögerungen bei der Projektrealisierung dürften angesichts dieser Erwartungshaltung zu erheblichen Umschlagseinbußen und Wettbewerbsnachteilen für den Hamburger Hafen führen. Eine Straffung des Bauablaufes zur möglichst frühzeitigen Freigabe der verbesserten Tiefgangsverhältnisse ist daher von herausragender Bedeutung“ (Projektbüro Fahrrinnenanpassung, VTM, Erläuterungsbericht, Seite 3 f.).
„Wenn die Fahrrinne der Unter- und Außenelbe nicht unverzüglich den Erfordernissen der modernen Containerschifffahrt angepasst wird, droht der Verlust erheblicher Ladungsmengen“(a.a.O., Seite 5).
Das seit dem Antrag des Hamburger Wirtschaftssenators im Februar 2002 bis heute immer wieder vorgetragene Argument, die Reeder würden ihre Containerlinien und große Ladungsmengen zu den ARA-Häfen (Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam) ins westliche Ausland verlagern, wenn die beantragte Elbvertiefung nicht umgesetzt würde, ist nicht haltbar. Maßgeblich waren und sind hierfür zahlreiche Standortvorteile des Hamburger Hafens:
Für Hafenkunden ist heute die gesamte logistische Leistungspalette entscheidend bei der Wahl des Hafens. Bitte geben Sie den nachfolgend genannten Nordsee-Häfen eine Schulnote von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend) in Bezug auf die in der Tabelle aufgeführten Kriterien:
Tabelle 1: Ranking der Attraktivität von Containerhäfen in der Nordrange (Eigene Darstellung nach Unicredit/Hypovereinsbank 19. Dezember 2007)
Dieses Ergebnis wurde im Wesentlichen bestätigt durch eine weitere Reederbefragung der Hypovereinsbank am 25.02.2010.
Trotz ihrer Forderung einer Elbvertiefung haben sich die Reeder großer Containerschiffe bisher auf die Fahrwasserrestriktionen des Tideflusses eingestellt und sind dem Hamburger Hafen im Rahmen marktüblicher Fluktuationen aus guten Gründen treu geblieben. Statt der vom Hamburger Wirtschaftssenator Uldall und der anderen Befürworter der geplanten Elbvertiefung seit Anfang 2002 und später auch in den Anträgen auf Planfeststellung und VTM 2007 befürchteten Umschlagsverlagerungen hat Hamburg seinen westlichen Konkurrenzhäfen sogar wiederholt Ladungsanteile abnehmen können und ist selbst ohne weitere Elbvertiefung überproportional gewachsen (vgl. Abb. 1). Unterbrochen wurde diese bemerkenswerte Entwicklung nur durch die in Hamburg während der jüngsten Weltwirtschaftskrise überdurchschnittlich eingetretenen Umschlagseinbrüche von 28 % im Containerbereich, die jedoch auf andere Gründe als die bestehenden Fahrwasserrestriktionen zurückgeführt werden:
„Der Rückgang der Transshipmentverkehre5 lag ..“ (It. PFB) „.. in den großen krisenbedingten Umschlagsverlusten für den Hamburger Hafen und den kurzzeitig stark gesunkenen Treibstoffkosten begründet. Derzeit steigen die Transshipmentanteile im Hamburger Hafen aber wieder an“ (Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord (WSD Nord), 23.04.2012, Planfeststellungsbeschluss (PFB) S. 200).
Maßgeblich für den Umschlagsrückgang waren dagegen freie Umschlagskapazitäten in seewärts gelegenen Häfen wie Rotterdam und Zeebrugge mit günstigeren Hafengebühren und neue Direktanläufe der Ostseeregion.
Abb. 1: (http://www.rettet-die-elbe.de/inhalt_elbvertiefung.php, download 10.02.2014)
Entgegen aller Negativprognosen bei Ausbleiben der geplanten Elbvertiefung konnte der Hamburger Hafen nach konjunktureller Erholung seit der Weltwirtschaftskrise auch ohne Elbvertiefung wieder überproportional zulegen, s.o. Abb. 1 und nachfolgend:
„Der Hamburger Hafen erreicht im Jahr 2013 einen Gesamtumschlag von 139 Millionen Tonnen. Das entspricht einem Wachstum von 6,2 Prozent. Sowohl der Stückgutumschlag mit insgesamt 96,8 Millionen Tonnen (+ 5,7 Prozent), als auch der Massengutumschlag mit 42,3 Millionen Tonnen (+ 7,2 Prozent), sorgten in Deutschlands größtem Universalhafen für ein überdurchschnittliches Wachstum.“... „Der Containerumschlag ist der Hauptträger des Erfolgs. Mit einem Umschlagergebnis von 9,3 Millionen TEU (20-Fuß-Standardcontainer) erreicht das Wachstum im Containerverkehr 4,4 Prozent.“
„Der Hamburger Hafen konnte gegen den Trend in den Wettbewerbshäfen wachsen und Marktanteile im Containerverkehr gewinnen. In den vier größten Nordkontinenthäfen (Rotterdam, Antwerpen, Hamburg, Bremerhaven) ist der Seegüterumschlag 2013 mit insgesamt 849,1 Millionen Tonnen gegenüber dem Vorjahr in der Summe nur leicht um ein Prozent gewachsen. Beim Containerumschlag dieser Häfen gab es mit 35,3 Millionen TEU sogar ein Minus von 0,5 Prozent. Damit liegt der Marktanteil des Hamburger Hafens im Containerumschlag der vier großen Nordkontinenthäfen jetzt bei 26,2 Prozent (+1,3 Prozent). Auch im Gegensatz zur Entwicklung des gesamten Seegüterumschlags in den deutschen Seehäfen, der nach vorliegenden Angaben des Statistischen Bundesamt 2013 um 0,6 Prozent auf insgesamt 293,3 Millionen Tonnen zurückging, glänzt der Hamburger Hafen mit Wachstum. Damit festigt Hamburg seine Position als zweitstärkster Containerhafen in Europa“ (Hafen Hamburg Marketing 27.02.20146).
Dieses alles belegt die hohe Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens auch ohne Realisierung der geplanten Elbvertiefung und spricht gegen die von deren Befürwortern aufgestellte Behauptung, diese sei hierfür erforderlich.
Die am 23.04.2012 für die Bundeswasserstrafle Elbe und die Hamburger Delegationsstrecke8 von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord bzw. der Hamburger Wirtschaftsbehörde ergangenen Planfeststellungsbeschlüsse verwickeln sich in Widersprüche, indem sie einerseits behaupten, die geplante Elbvertiefung sei zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens unbedingt erforderlich, dem Hafen an anderer Stelle dann aber zutreffend „eine hervorragende Wettbewerbsposition“ (s. PFB, S. 200) bescheinigen.
Die bisherigen Ladungsverschiebungen liegen im Bereich üblicher Marktfluktuationen, woran sich absehbar kaum etwas ändern wird. Das war bisher z.B. zwischen Hamburg und Bremerhaven der Fall und wird auch bei Nutzung des neuen Tiefwasserhafens Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven erfolgen (vgl. PLANCO Consulting 20049 : Untersuchungsszenario mit Tiefwasserhafen Jade-Weser-Port; Ninnemann &. Vierk 200610, S. 15). Eine Realisierung der geplanten Elbvertiefung oder dessen Unterlassen wird hierbei - wie die Realität gezeigt hat - nur eine marginale Rolle spielen. Dieses wurde weder durch die Antragsunterlagen zur geplanten Elbvertiefung, noch durch die beiden Planfeststellungsbeschlüsse - trotz gegenläufiger Behauptungen – substanziell nachvollziehbar widerlegt. Trotz der immer größeren Containerschiffe laufen diese den Hamburger Hafen bis heute auch ohne Elbvertiefung an:
„Im Hamburger Hafen verkehren die größten Schiffe der Welt, mit Ausnahme der allergrößten Tanker die aufgrund ihres Tiefgangs von bis zu 28 m nicht mehr die Elbe befahren können “(http://www.hafen-hamburg.de/content/schiffe eingesehen am 03.01.2014).
Mit der 397 m langen und 56,4 m breiten „Eugen Maersk“ hat am 7. Januar 2014 eines der längsten Containerschiffe der Welt den Hamburger Hafen angelaufen, die zusammen mit der „CMA CGM Christoph Colombe“, der „CMA CGM Alexander von Humboldt“ und „CMA CGM Jules Verne“ der französischen Reederei CMA CGM zu den derzeit größten Containerschiffen der Welt gehört.
Wenn das Anlaufen großer Containerschiffe in Hamburg unrentabel wäre, so wie das im Planfeststellungsbeschluss zur Begründung des vermeintlichen Bedarfs der geplanten Elbvertiefung quasi behauptet wird, würde das kein Reeder machen. Der gegenseitige und hafenbezogene Konkurrenzdruck zwingt zu möglichst hoher Rentabilität, und das erst recht, seitdem viele Reeder aufgrund der Überkapazitäten Verluste einfahren. Somit laufen Reeder nur für sie lohnende Häfen an. Eine Auswertung der auf der Tideelbe nach Hamburg maximal gefahrenen Tiefgänge großer Containerschiffe bis zur Entscheidung über das Projekt 2012 zeigt deutlich, dass die geplante Elbvertiefung nicht erforderlich und überdimensioniert ist. Bedarf und Nutzen einer weiteren Vertiefung nehmen mit zunehmender Fahrwassertiefe ab:
Tabelle 2: Auswertung der auf der Unterelbe nach Hamburg 2002 bis 2011 erreichten Salzwassertiefgänge großer Containerschiffe über 13,50 m bis 14,50 m gemäß Antrag auf „Fahrrinnenanpassung“ – auf Salzwasser bezogen (Feldt 2012 in Auswertung der Datenquelle: Hamburg Port Authority, ausgewertet von „Rettet die Elbe“ e.V.).
Wie die seit Antragstellung Hamburgs bis Ende 2011 ausgewerteten realen Tiefgänge der vorangegangenen 10 Jahre (!) in Tabelle 2 zeigen, hat nicht ein einziges Schiff den geforderten Salzwassertiefgang von 14,50 m genutzt, obwohl bereits heute einlaufend nach Hamburg bei Hochwasser Salzwassertiefgänge von bis zu 14,80 m möglich sind. Wenn diese Tiefgangsmöglichkeiten bereits heute einlaufend nicht entsprechend genutzt wurden, gibt es keinen ersichtlichen Grund, warum das auslaufend nach Beseitigung der bestehenden Tiefgangsrestriktion durch Erhöhung des maximal möglichen Tiefgangs von 13,50 m auf 14,50 m anders sein soll. Auch wenn die jüngsten Tiefgangsangaben (s. hierzu Weber, Seite 32 ff.) neuerdings vereinzelt derartige Maximaltiefgänge zeigen, so begründen wenige Einzelfälle keinen derartig kostspieligen und konfliktträchtigen Vertiefungsbedarf.
Der Planfeststellungsbeschluss (PFB) weist auf Seite 1.810 darauf hin, dass gemäß Zahlen des Statistischen Landesamt Nord 2010 im Bereich der für Hamburg besonders wichtigen China-Verkehre 1,6 Mio. TEU importiert, dagegen lediglich 1,1 Mio. TEU exportiert wurden: „Somit betrug der Import ca. 60 % und der Export ca. 40 % des gesamten Umschlagsvolumens von und nach China (gemessen in TEU). Der Leercontaineranteil betrug dabei ausgehend (Export) etwa 44 %, während er einkommend (Import) bei 1 % lag“ (ebenda). Demzufolge besteht auslaufend grundsätzlich sogar ein geringerer Tiefgangsbedarf, obwohl die Fahrwasserrestriktionen tidebedingt vorwiegend auslaufend bestehen. Deshalb stellen die einlaufend gefahrenen Tiefgänge gemäß Tabelle 2 eine aussagefähige Bedarfsdokumentation dar. Die Planfeststellungsbehörden leugnen die Bedeutung der realen Verhältnisse, indem Sie ihre Entscheidungen einseitig mit dem Planungsziel einer Erhöhung des Tiefgangs- und Transportpotenzials auf der Elbe begründen (vgl. PFB S. 1.835,1.538), auch wenn dieses nachgewiesenermaßen (s.o.) nur in wenigen Einzelfällen genutzt wird. Zudem ist fraglich, ob dieses dem Hamburger Hafen entsprechend zugute kommt, weil der Großteil der Container nicht in Hamburg gelöscht wird, sondern als Transitcontainer11 in später angelaufene Häfen geht.
Die nachfolgende Abbildung 2 zeigt deutlich, dass der Großteil des Schiffsverkehrs nach Hamburg nach wie vor sogar tideunabhängig verkehrt und somit die heute bereits möglichen Tiefgänge nur im Ausnahmefall ausgenutzt werden. Das im PFB als Planrechtfertigung herausgestellte Ladungspotenzial ist deshalb unrealistisch:
Abb. 2: Schiffsbewegungen (http://www.rettet-die-elbe.de/inhalt_elbvertiefung.php)
Dass die großen Containerschiffe Hamburg nicht tideunabhängig bzw. nicht voll beladen anlaufen können, war bisher offensichtlich (s.o.) kein fundamentales Problem: Weil Hamburg der östlichste aller Nordrange-Häfen12 ist, wird auf dem Weg nach Hamburg in der Regel vorher Ladung in ein, zwei oder drei westlich gelegenen Häfen gelöscht, so dass große Containerschiffe Hamburg i.d.R. nur teilbeladen anlaufen. Weil in Hamburg durchschnittlich weniger als 2.500 TEU und maximal (im seltenen Einzelfall) 5.000 bis 6.000 TEU gelöscht oder geladen werden, ist eine weitere Elbvertiefung für die Hamburger Ladungsmengen nicht erforderlich. Denn hierfür brauchen die großen Containerschiffe nur teilbeladen nach Hamburg verkehren oder können durch kleinere Schiffe ersetzt werden.
Das als Begründung für die geforderte weitere Elbvertiefung vorgetragene Argument, es sei eine höhere Auslastung großer Containerschiffe auf der Elbe notwendig, begünstigt vor allem Transitcontainer, wodurch Reeder bereits auf dem Weg zum Hamburger Hafen vermehrt Container aus vorher angelaufenen Westhäfen laden können, um hierfür das Anlaufen eines anderen europäischen Hafens auf dem Rückweg nach Ostasien einsparen zu können (vgl. hierzu nachfolgendes Kap. 1.5 mit Abb. 4). Welcher Nutzen hieraus für den Hamburger Hafen konkret entstehen soll, wurde bisher von den Projektbefürwortern nicht plausibel belegt und bleibt auch in den PFB offen.
Auch wenn sich die tideabhängigen Fahrten durch die Schiffsgrößenentwicklung erwartungsgemäß erhöht haben (s.o. Abb. 2), verkehren auch die größten Containerschiffe heute großenteils immer noch mit erheblichen Tiefgangsreserven tideabhängig zum Hamburger Hafen (siehe hierzu Weber, Seite 32 ff.).
Diese durchschnittliche Mindernutzung/-auslastung resultiert nicht nur aus der bereits dargestellten Lage Hamburgs als letzter östlicher Haupthafen der Nordrange, sondern auch aus dem bei zunehmender Schiffsgröße steigenden Problem knapper Ladung im zeitlich engmaschigen Linienverkehr. Somit widerspricht die Realität den Potenzialbetrachtungen der Antragsteller und des PFB (vgl. insbes. dort, S. 1.835 ff).
Von Befürwortern der geplanten Elbvertiefung wird immer wieder behauptet, eine Realisierung der geplanten Elbvertiefung sei auch „ökologisch sinnvoll“ (vgl. z. B. Uwe Polkaehn v. DGB Nord, Hamburger Abendblatt, 07.11.2012), weil hierdurch eine Verlagerung großer (bisher in Hamburg gelöschter) Ladungsmengen zu Konkurrenzhäfen im westlichen Ausland, insbesondere Rotterdam, mit anschließendem Transport per LKW nach Hamburg und in sein Hinterland vermieden würde. Diese Annahme hält jedoch einer Überprüfung nicht stand: Durch Anpassung der Fahrgeschwindigkeiten können große Schiffe während des Tidefensters in die Elbe einlaufen, dem Zeitraum, in dem das Schiff die Elbe mit ausreichendem Wasser unter dem Kiel problemlos nach Hamburg passieren kann.
Offensichtlich ist es für Reedereien immer noch wirtschaftlicher, mit großen Containerschiffen teilbeladen nach Hamburg zu fahren, statt diese Ladung in einem anderen Hafen auf kleinere Schiffe oder gar andere Verkehrsmittel wie Bahn oder LKW zu verteilen und von dort in das traditionelle Hamburger Hinterland zu transportieren. Die Gründe hierfür stellt die Hamburger Hafenwirtschaft selbst (in einer Werbebroschüre pro Elbvertiefung!) mit einem Beispiel eindrucksvoll dar:
Abb. 3: Kostenaufteilung in der Transportkette (Beispiel: Transport Prag – Hamburg – Hongkong). (Unternehmensverband Hamburg (Hrsg.), März 200613).
Gütertransporte mit Bahn oder LKW kosten bekanntlich ein Vielfaches gegenüber Seetransporten. So ist es nach wie vor billiger14, einen Container mit großem Containerschiff von Shanghai nach Hamburg zu transportieren als mit dem LKW von Hamburg nach München: „Demnach kostet der Transport eines 20-Fuß-Trockencontainers - Stand Ende September - auf der Strecke Shanghai-Hamburg circa 1200 USD. Organisieren wir dagegen einen Landtransport Hamburg-München liegt der Preis bei fast 1500 USD“ (Deutsche Verkehrszeitung, 22.10.2012: Seetransport wird teurer, in Wiedergabe des Chefs der Hamburg-Süd Reederei, Ottmar Gast). Insofern wird es auch nicht zu nennenswerten Verlagerungen von Hamburg zu den westlichen ARA15-Häfen mit anschließendem umweltbelastenden Transport nach Hamburg oder in sein Hinterland kommen, so wie das von Befürwortern der Elbvertiefung immer wieder behauptet wird. Deshalb sind auch die im Planfeststellungsbeschluss auf Seite 192 unten angeführten Umschlagsverluste von „im Jahr 2015 von ca. 2 Mio. TEU“ im Falle einer nicht erfolgten Elbvertiefung unter Hinweis auf Planunterlage B.1, Kapitel 5 abwegig. Dort heißt es auf Seite 28 (ohne Begründung): „Unter realistischen Annahmen ist bei einem Verzicht auf einen Ausbau der Fahrrinne von Unter- und Außenelbe von einem Umschlagsverlust von ca. 2 Mio. TEU auszugehen “.
Diese Fehleinschätzung basiert auf verschiedenen Fehlannahmen wie zur Schiffsauslastung und unbelegten Wartezeiten. Selbst in Extremfällen von etwas über 5.000 TEU von in Hamburg gelöschten bzw. geladenen Standardcontainern (vgl. unten Abb. 5) macht das allenfalls 50 % der Ladekapazität großer Containerschiffe mit 10.000 und mehr TEU aus.
Mit Hilfe einer größeren Wassertiefe könn(t)en Reeder noch mehr (Transit-)Container als heute auf dem Hinweg nach Hamburg aus einem Vorhafen der Nordrange mitnehmen, um diesen Hafen dann auf dem Rückweg nicht mehr anlaufen zu müssen:
Abb. 4: Ziel der geplanten Elbvertiefung: Reduzierung von Hafenanlaufen (Projektgruppe Fahrrinnenanpassung 200916, Seite 11).
Dieses spart Reedern Zeit und Anlaufkosten und würde die Hafenanläufe mit großen Containerschiffen Nordeuropa weiter reduzieren. Somit ist verständlich, warum Reeder großer Containerschiffe seit Jahren vehement eine weitere Elbvertiefung fordern und im Falle einer Unterlassung ein Abwandern aus Hamburg „androhen“. Angesichts der bereits dargestellten Standortvorteile Hamburgs ist das angedrohte Abwandern neben den üblichen Marktfluktuationen bis heute ausgeblieben. Hamburg konnte sogar einige Containerverkehre dazugewinnen17. Um den Hamburger Hafen trotz der Fahrwasserrestriktionen auch für die großen Containerschiffe attraktiv genug zu halten, wurden Ihnen bei den Hafengebühren großzügige Rabatte eingeräumt (siehe http://www.hafen-hamburg.de/news/gute-konditionen-f%C3%BCrcontainerriesen-hamburger-hafengeld-auch-2014-mit-entlastungen).
Auch das zeigt, dass es ohne Elbvertiefung geht, die nach aktuellen Schätzungen mit allen damit zusammenhängenden Kosten mindestens 600 Millionen Euro an Steuergeldern verschlingen und die schon heute ca. 100 Mio. Euro jährlich kostenden Unterhaltungsbaggerungen weiter erhöhen würde. Ein Großteil dieser Kosten wurde in der von PLANCO Consulting Anfang 2004 vorgelegten Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) nicht berücksichtigt. Zudem hat PLANCO das Projekt seinerzeit mit vielen fragwürdigen oder sogar unrealistischen Annahmen „schöngerechnet“.18 - Somit gibt es weder eine valide, noch eine aktuelle NKU, was haushaltsrechtlich problematisch ist: „(2) Für alle finanzwirksamen Maßnahmen sind angemessene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen. Dabei ist auch die mit den Maßnahmen verbundene Risikoverteilung zu berücksichtigen“ (§ 7 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung).
Ein Vergleich der beiden bisher dominanten deutschen Containerhäfen Hamburg und Bremerhaven macht deutlich, dass eine Realisierung der geplanten Elbvertiefung nach Hamburg umweit- und verkehrsmäßig insgesamt sogar kontraproduktiv wäre: Auch wenn der Transport mit dem Seeschiff - wie von den Befürwortern einer Vertiefung immer wieder betont wird - die Umwelt aufgrund der transportierbaren Ladungsmengen zunächst weniger belastet und Hamburg hier mit seiner Lage relativ weit im Binnenland einen wesentlichen Lagevorteil (für das Hinterland) hat, hat dieser aber auch kaum beachtete Kehrseiten:
Wenn durch die von Reedern gewünschte Reduzierung von Hafenanläufen (s.o. Abb. 4) in den dann noch angelaufenen Häfen immer mehr Ladung gelöscht oder geladen wird, ist die Unterverteilung per Feeder, Bahn oder LKW immer aufwändiger und erfolgt, Mensch und Umwelt belastend, über immer weitere Strecken quer durch Europa. Die Entwicklung vermehrter Landgütertransporte über große Entfernungen ist umweit- und verkehrspolitisch unerwünscht. Dadurch würde der Druck zum Ausbau der Hinterlandanbindungen großer Seehäfen wie Hamburg, Rotterdam und Antwerpen immer weiter erhöht. Das dort bestehende Verkehrssystem droht zu kollabieren, ein zeitgemäßer Ausbau im erforderlichen Umfang ist angesichts überschuldeter öffentlicher Haushalte kaum noch finanzierbar (siehe hierzu Godenrath, Seite 83 ff.), von den damit verbundenen Belastungen für Mensch und Umwelt ganz zu schweigen.
Die von Befürwortern der Elbvertiefung immer wieder vorgetragene Behauptung, die geplante Elbvertiefung sei auch „ökologisch sinnvoll“, weil sie viele LKW-Transporte vermeiden helfe, stimmt insofern nicht. Das allein schon deshalb nicht, weil die bei Verzicht auf die geplante Elbvertiefung angeblich vielen LKW-Transporte von Rotterdam oder Antwerpen als umgeroutete Ladungsströme im Vergleich zum Transport mit kleineren oder nur teilausgelasteten Seeschiffen nach Hamburg viel zu teuer wären (s. o. Abb. 3). Zudem fehlen hierfür entsprechende Kapazitäten und können auch nicht so ohne weiteres geschaffen werden. Über den bereits heute üblichen Ladungsausgleich zwischen den großen Containerhäfen zur besseren Auslastung von Containerschiffen und zum Transport eiliger Container hinaus sind umfangreiche Landtransporte unwirtschaftlich und somit unrealistisch.
Aufgrund des hohen Ladungsaufkommens des Hamburger Hafens von durchschnittlich je zwei-bis dreitausend gelöschter bzw. geladener TEU pro Schiff und seiner hohen Loco-Quote19 werden Reeder Hamburg nicht (wie für den Fall einer ausbleibenden Elbvertiefung prognostiziert) aus dem Fahrplan nehmen. Solche Ladungsmengen können wirtschaftlicher als Teilladung großer Containerschiffe nach Hamburg bzw. auch in umgekehrte Richtung gelangen, als auf mehrere Feederschiffe verteilt oder gar noch kostspieliger per Bahn oder LKW.
Bei umstrittenen Projekten wie der geplanten Elbvertiefung wird immer wieder ihre vermeintlich große Bedeutung zur Schaffung bzw. Erhaltung von Arbeitsplätzen herausgestellt. Dieses „Mittel zum Zweck“ bedarf einer kritischen Überprüfung, denn der Zweck heiligt nicht jedes Mittel. Da Arbeitsplätze für die Bevölkerung von existentieller Bedeutung sind, sollten sich Annahmen und Prognosen an der Realität orientieren. Dagegen geben die TdV unter Bezugnahme auf PLANCO Consulting im Auftrag der Hamburger Hafenbehörde (HPA) für den Hamburger Hafen Beschäftigungswirkungen an, die aufgrund unzureichend offengelegter Annahmen20 nicht plausibel nachvollziehbar sind:
Laut „einer von der Hamburg Port Authority in Auftrag gegebenen Untersuchung“21 „waren im Jahr 2005 in der Metropolregion Hamburg etwa 156.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Hamburger Hafen abhängig (2001: 145.000; 2004:154.000). Davon waren ca. 133.000 Arbeitsplätze auf dem Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg angesiedelt (2001:125.000; 2004: 131.000)“ (Planfeststellungsunterlage Teil B.1, Bedarfsbegründung, Seite 6).
Demgegenüber kritisiert Prof. Dieter Läpple, der u. a. lange als Professor an der Technischen Universität in Hamburg Harburg lehrte und mehrere Arbeitsmarktstudien in Hamburg durchgeführt hat (vgl. Läpple et al. 1994; Kempf & Läpple 2001, Läpple 2003) solche Zahlen in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt am 19.10.2007 als „Mondrechnungen, die nie offengelegt wurden und die sich auch nicht halten lassen.“ - Seine Begründung: „Rotterdam beziffert die von ihrem Hafen abhängigen Arbeitsplätze mit 57.000 und sagt ganz offen, dass die hafengebundenen Arbeitsplätze in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen sind. Die heutigen Häfen sind weitgehend Containerschleusen, das Ein- und Auspacken, die Wertschöpfung findet im Hinterland statt. Die echten Hafenjobs werden immer weniger, und die anderen sind nicht mehr wasserabhängig, nicht mehr abhängig vom Umschlagplatz. Rund ein Drittel aller Container, die per Schiff in Hamburg ankommen, werden mit kleineren Feederschiffen die Elbe wieder heruntergefahren. Das ist nur Transitverkehr, in einem hohen Maße automatisiert“.
Dementsprechend wurden die tatsächlichen Arbeitsplätze des Hamburger Hafens von der Hamburger Behörde für Wirtschaft und Arbeit wie folgt angegeben: „Die Zahl der direkt umschlagsabhängigen Arbeitsplätze im Hafen hat von 11.594 im Januar 1980 über 8.050 im Januar 1990 auf 4.718 im Januar 2003 abgenommen“.22 Demzufolge liegt die aktuelle Zahl der im Hamburger Hafenumschlag Beschäftigten aktuell bei ca. 5.000.23 Auch wenn die Zahl der indirekt vom Hamburger Hafenumschlag abhängigen Arbeitsplätze wesentlich höher ist, sind viele davon ladungsbezogen und würden daher bei anderen Transportwegen, etwa über Bremerhaven oder Wilhelmshaven, dorthin mitgehen (z.B. Schiffsbesatzungen, Bahn, LKW). Bestätigt wird dieses u. a. durch eine Studie des Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), Berlin 2009:
„Zum einen ist festzustellen, dass der Wettbewerb zwischen den Seehäfen, insbesondere in der Nordrange, deutlich zugenommen hat. Dies u.a. auch als Folge dessen, dass die Exklusivität des jeweiligen Hinterlandes abnimmt, d.h. die Seehäfen konkurrieren um das gleiche Hinterland.
Zum anderen sind Aktivitäten zunehmend weniger an den Hafenstandort gebunden, vielmehr werden im Zuge der Optimierung und der Veränderung der „supply chains“ wertschöpfende Aktivitäten (und damit auch Arbeitsplätze) zunehmend ins Hinterland verlagert. Beide Effekte führen dazu, dass die wirtschaftlichen Effekte des Containerumschlags in den jeweiligen Seehäfen abnehmen und tendenziell „footloose“ werden, d.h. die wirtschaftlichen Effekte sind immer weniger an einen konkreten Standort gebunden.
Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass vorrangig solche wirtschaftlichen Aktivitäten bzw. Wertschöpfungsprozesse hafenaffin24 sind, die sehr konkret beispielsweise mit dem Handling der Container befasst sind. Alle anderen Aktivitäten sind hingegen nicht mehr zwangsläufig mit den (Container-) Umschlägen verbunden, sondern können unabhängig von dem jeweiligen Seehafen erbracht werden“ (U. Petschow (2009): „Arbeitsplatzeffekte des Hamburger Hafens“, S. 6, Studie im Auftrag des WWF Deutschland).
Ungeachtet solcher Erkenntnisse heißt es auf Seite 142 des PFB: „Allein 156.000 Arbeitsplätze waren 2010 in der Metropolregion Hamburg vom Hafengeschehen abhängig. Deutschlandweit sind ca. 262.000 Arbeitsplätze vom Hamburger Hafen abhängig.“
PLANCO hat seine nicht nachvollziehbaren fragwürdigen Zahlen im Auftrag der TdV weiter fortgeschrieben („aktualisiert“)25 . Unter Bezugnahme hierauf kommt der PFB auf Seite 147 – im Gegensatz zu den realen Entwicklungen seit der Weltwirtschaftskrise - zu folgendem Ergebnis; „Die wirtschaftliche Bedeutung des Hamburger Hafens hat bis zum Jahr 2010 weiter zugenommen, auch für das Hamburger Umland. So stieg die Zahl der vom Hamburger Hafen abhängigen Arbeitsplätze deutschlandweit auf 262.000, in der Metropolregion auf 156.000 und auf dem Gebiet Hamburgs auf 134.000.“
Diese behauptete Zunahme ist angesichts des Umschlagsrückgangs von 28 % bei Containern während der Weltwirtschaftskrise und den sich seitdem noch nicht wieder erholten Umschlagsmengen äußerst zweifelhaft (vgl. Abb. 1).
Die auf Seite 147 des PFB angeführte „Planänderungsunterlage III, Teil 11a, Kapitel 3“ weist auf Seite 28 erneut auf PLANCO: „Die aktuellste abgeschlossene Fortschreibung beschreibt die Situation im Jahr 2008 (PLANCO 2009 a). Für dieses Jahr wurde die Gesamtanzahl der vom Hamburger Hafen abhängig Beschäftigten auf rund 274.900 geschätzt, davon 165.550 in Hamburg und im Hamburger Umland. Im Containerbereich ist ein weiterer Anstieg der Beschäftigung von 154.800 in 2005 auf rund 167.900 in 2008 geschätzt worden“. Wie derartig genaue Angaben26 valide „geschätzt“ werden können, ist auch der PLANCO-Fortschreibung nicht plausibel zu entnehmen.
Stattdessen die Realität: Die HHLA bietet als größtes Hamburger Umschlagsunternehmen an seinen drei Containerterminals aktuell (Ende 2013) rd. 2.000 Arbeitsplätze27, EUROGATE an seinem Containerterminal in Hamburg maximal 1.000 Arbeitsplätze28.–Somit wird der Hamburger Containerumschlag von zuletzt ca. 9 Mio. TEU von ca. 3.000 Beschäftigten an den vier Containerterminals bewältigt.
Entscheidend ist, wie viele Arbeitsplätze der im Hamburger Containerumschlag Beschäftigten von der geplanten Elbvertiefung abhängen:
Auf Seite 147 des PFB heifit es dazu sehr allgemein: „Die Fahrrinnenanpassung vermeidet den Verlust von Ladung bzw. Umschlag, und die dadurch vermiedenen Verluste an Arbeitsplätzen und Wertschöpfung in der Metropolregion Hamburg sind erheblich (vgl. Planunterlage B. 1, Kapitel 5.2 und Planänderungsunterlage III, Teil 11a, Kapitel 3). Somit kommt die Fahrrinnenanpassung einer großen Anzahl von Arbeitnehmern und Unternehmen zugute“.
Durch solche Querverweise auf Planunterlagen entzieht sich der PFB einer konkreten eigenen Betrachtung möglicher Arbeitsplatzeffekte des geplanten Vorhabens.
Zur Verifizierung müssen die im PFB genannten Unterlagen herangezogen werden: „Für das Jahr 2015 kommt die NKU29 (bei einer Umschlagsprognose von 9,5 Mio. TEU im Jahr 2015)“ für den Prognosefall ohne Elbvertiefung „zu einem Umschlagsverlust von ca. 670.000 TEU ohne Verlagerung ganzer Dienste und nahezu 4.400.000 TEU bei einer Verlagerung ganzer Dienste“ (Projektbüro Fahrrinnenanpassung, Unterlage B.1, Kapitel 5.2, S. 25).
Die tatsächliche Entwicklung seit Vorlage der NKU Anfang 2004 macht schon jetzt deutlich, dass es sich hierbei voraussichtlich um eine Fehlprognose handelt, denn bis Ende 2013 deutet nichts auf solche Umschlagsverluste für 2015 hin.
Es folgen in o. g. Unterlage B.1 wenig plausible Spekulationen: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch bei Realisierung des Tiefwasserhafens Wilhelmshaven Linien, die Hamburg wegen unzureichender Tiefgangsverhältnisse verlassen, insbesondere nach Rotterdam ausweichen.“ Abgesehen von üblichen Marktfluktuationen zwischen den Seehäfen hat Hamburg seit der Prognose der NKU vielmehr Ladungsanteile gewinnen können, so dass sogar das Gegenteil eingetreten ist. Auch die prognostizierten „erheblichen Auswirkungen auf Beschäftigung“ sind ausgeblieben, so dass im PFB grundlegende Fehlannahmen unter Bezugnahme auf die Bedarfsbegründung in Unterlage B.1 getroffen wurden: „Für den ersten Fall mit geringem Umschlagverlust ist im Jahr 2015 der Verlust von ca. 4.100 direkt und indirekt hafenabhängig Beschäftigten in Hamburg bzw. gut 4.800 in der Metropolregion zu erwarten.“ ...“Im zweiten Fall mit hohem Umschlagverlust erhöht sich bei sonst gleichen Annahmen der Verlust an direkter und indirekter hafenabhängiger Beschäftigung auf etwa 27.200 Beschäftigte in Hamburg und etwa 31.700 in der Metropolregion“ (ebenda).
Die tatsächliche Entwicklung bisher deutet auf eine Fehlprognose im PFB.
Auch die Prognose auf Seite 26 der Bedarfsbegründung der TdV ist völlig unrealistisch: „Die NKU geht von einem Umschlag in Höhe von 9,5 Mio. TEU im Jahr 2015 aus. Der Containerumschlag im Hamburger Hafen betrug jedoch schon im Jahr 2005 8,1 Mio. TEU. Im Folgenden wird daher ein weiteres Szenario auf Grundlage der neuesten Untersuchungen entwickelt. Dabei wird für den Hamburger Hafen entsprechend der dynamisierten Umschlagprognose des ISL von einem Containerumschlagspotenzial im Jahr 2015 von etwa 18 Mio. TEU ausgegangen“ (ebenda). -Wie die bisherige Entwicklung zeigt, wird diese Prognose weit verfehlt (vgl. Abb. 1).
„Knapp 5 % des Containerumschlags werden laut ISL30 Schiffsverkehrsgutachten von Schiffen transportiert, die größer als das Bemessungsschiff sind. Für diese Schiffe wird angenommen, dass sie - unabhängig von einer Realisierung des Tiefwasserhafens Wilhelmshaven - ohne eine Vertiefung der Fahrrinne den Hamburger Hafen überhaupt nicht mehr anlaufen“ (ebenda). – Auch dieses hat sich als Fehlprognose erwiesen, denn diese Schiffe laufen Hamburg weiterhin an (s. Weber, Seite 32 ff.).
Es ist absehbar, dass auch die Prognosen auf Seite 27 der Bedarfsbegründung haltlos sind: (ebenda). -