2. überarbeitete Auflage Januar 2014
Copyright: © 2012 Beatrix Petrikowski
Horster Straße 14, D-45964 Gladbeck
Layout und Coverdesign: Michael Petrikowski
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7357-7197-1
Gewidmet all den Bergleuten, die dem Bergbau einst zu Ansehen verholfen haben, bis hin zu denen, die heute von den Stilllegungen der Zechen betroffen sind.
Wie kann man sich nur freiwillig in eine Welt begeben, in der es nie Tageslicht gibt, die geradezu lebensfeindlich scheint und die eigentlich eine Männerdomäne ist? Als einzige Frau unter Männern? Angeregt durch einen Literaturwettbewerb, der das Ruhrgebiet zum Thema hatte, kam mir der Gedanke, wie es denn wäre, für einige Tage die Arbeitsbedingungen der Männer unter Tage und die Atmosphäre einzufangen, die sie umgibt. Als Bekannte und Freunde von diesem Vorhaben hörten, fragte mich jemand, ob ich jeden Tag herunter fahren oder die gesamte Zeit unter Tage bleiben würde. Ich hielt diese Frage zunächst für einen schlechten Scherz. Doch am ernsten Gesicht meines Gegenübers konnte ich feststellen, dass diese Frage tatsächlich ernst gemeint war. Mir ist dadurch bewusst geworden, wie wenig selbst die Bewohner des Ruhrgebiets von den Arbeits- und Lebensbedingungen unter Tage wissen. Was eigentlich ironisch klingen sollte, diente nun der Aufklärung – dass es nämlich in 1000 Metern unter der Erde keine Waschräume oder gar Bäder gibt, noch weniger einen Kiosk, an dem man sich mit Getränken versorgen kann und auch ein Restaurant wird man im Tagesbetrieb nicht vorfinden. Selbst einen Imbiss sucht man vergeblich.
Offensichtlich herrscht große Unkenntnis über das, was sich in der Tiefe unter unseren Häusern, Gärten und Straßen der Städte in den vergangenen Jahrzehnten und in einigen wenigen Bereichen noch heute abspielt. Daher ist es mir ein Anliegen, darüber zu berichten. Von einer Zeit, die schon bald nur noch Geschichte sein wird, wenn nämlich auch die letzte Zeche geschlossen wird.
Hierbei geht es mir nicht um die technischen Erklärungen im Detail, wie der Streckenausbau im Bergbau vorangetrieben wird. Das können Fachleute viel besser und es gibt darüber bereits einschlägige Literatur. Auch geht es mir nicht um die Auflistung statistischer Daten, die jeder Interessierte im Internet oder in den Chroniken der Bergwerke nachlesen kann. Vielmehr will ich in allgemein verständlicher Sprache einen Überblick über einige Dinge geben, die für Bergleute selbstverständlich, für die Mehrzahl der Menschen aber völlig neu sind. Denn ich selbst musste immer wieder nachfragen, wenn mir Bergleute etwas erklärt haben. Sie sprechen eine eigene Sprache, die nur ihnen geläufig ist und die verwendeten Begriffe waren mir auch in vielen Fällen fremd. Einiges war mir schon durch meinen Vater und Großvater bekannt, aber vieles hatte ich noch nie gehört. Wie der Arbeitsalltag unter Tage aussieht, kann sich niemand vorstellen, der noch nicht unten war. Es ist eine eigene Welt und um sie verstehen zu können, musste ich mich an den Ort des Geschehens begeben: unter Tage!
Mein erster Schritt bestand darin, dass ich einen guten Bekannten um eine Vermittlung bei den entsprechenden Stellen der Ruhrkohle AG gebeten habe. Nachdem das erste Feedback mir Hoffnungen machte und ich ungeduldig nachfragte, wurde ich belehrt: Der Bergbau plant zwar lange, aber dafür auch gut! Und selbstverständlich müsse mein Besuch bei der Bergbehörde beantragt und genehmigt werden. Da es sich in diesem Fall nicht nur um eine normale Grubenfahrt handelt, wie sie sonst schon mal Besuchergruppen erlaubt wird, müssen enorme Anstrengungen für diesen Ausnahmefall seitens der RAG unternommen werden. So hieß es für mich, dass ich mich weiterhin in Geduld üben muss, was nicht gerade zu meinen Stärken zählt.
Aber dann war es plötzlich so weit: Ich erhielt einen Anruf und sollte mich mit dem Leiter für Kommunikationsarbeit in Kamp-Lintfort in Verbindung setzen. Erste Gespräche wurden geführt und viele Fragen mussten geklärt werden. In diesem Zusammenhang interessierte es mich natürlich auch, ob ich da unten auch Fotos machen kann, die so eine Dokumentation aufwerten würden. In diesem Punkt war ich wohl sehr naiv, denn eine „normale“ Kamera würde dort zu einer großen Gefahr werden. Man klärte mich darüber auf, dass unter Tage alle Teile schlagwettergeschützt sein müssen, um eine Explosion zu verhindern. Da war ich schon wieder etwas schlauer!
Nun musste ich aber auch einige praktische Dinge klären: Von meinem damaligen Wohnort in der Nähe von Recklinghausen wäre es sicher kein Problem gewesen, jeden Morgen nach Kamp-Lintfort zu fahren und am Nachmittag wieder zurück nach Hause. Nur hätte ich dann kaum noch die Zeit gefunden, über meine Erlebnisse vom Tage zu schreiben. Ich wollte mir wenigstens tägliche Notizen machen können und dazu war es nötig, mir vor Ort ein Zimmer zu besorgen. Ich erkundigte mich also bei der Stadtverwaltung, welches Hotel man mir empfehlen könnte. Es sollte möglichst in der Nähe des Bergwerkes gelegen sein. Ich hatte Glück, denn nur fünf Gehminuten entfernt gab es das nächste Hotel. Dort ein Einzelzimmer zu einem akzeptablen Preis zu bekommen war kein Problem, doch hatte ich nicht bedacht, dass das Frühstück erst ab 7.00 Uhr angeboten wird, ich mich aber bereits um 6.00 Uhr morgens im Bergwerk einfinden musste. Ich war zunächst ratlos und unterrichtete das Hotel von meinem Vorhaben und wo das Problem liegt. Eine Lösung wurde schnell gefunden, so sollte ich bereits am Abend von der Spätschicht mit Brot und Belag versorgt werden. Da ich lieber Tee als Kaffee trinke, wurden mir für die Dauer meines Aufenthalts ein Wasserkocher und ein paar Beutel Tee zur Verfügung gestellt. Doch offensichtlich war das in dem Hotel noch nie praktiziert worden, denn als ich dort anreiste, wartete ich am ersten Abend vergeblich auf mein Frühstückstablett und musste gezielt danach fragen.
„Glück auf“ sagt jeder zur Begrüßung, aber auch zum Abschied. Doch begrüßen sich nicht nur die Bergleute, die unter Tage arbeiten, selbst so. Sondern auch die Mitarbeiter, die in den Büros beschäftigt sind, benutzen diesen Gruß beim Kommen und beim Gehen, beim „über den Weg laufen“ auf den Fluren und zur Begrüßung bei einem Telefongespräch.
Vermutlich stammt der Begriff „Glück Auf“, mit dem sich alle Bergmänner heute begrüßen, aus dem Erzgebirge. Gemeint war damit wohl, dass dem Bergmann eine reiche Beute an Erzen zufallen sollte. Genau so gut kann es aber auch bedeuten, dass er glücklich wieder ans Tageslicht gelangen soll.
Ein weiterer, zumindest für das Ruhrgebiet gebräuchlicher Begriff für die Grube, später allgemein für den Bergbau, ist der Pütt. In den Anfängen des Bergbaus, im Ruhrtal, wo die Kohle führenden Schichten bis an die Tagesoberfläche traten, konnte lediglich so lange geschürft werden, bis sich der Aushub mit Wasser füllte. Dann war ein weiterer Abbau unmöglich. Die so entstandene Grube hat wahrscheinlich in Anlehnung an die lateinische Sprache, abgeleitet von puteus, den Namen Pütt bekommen.
Auf dem Bergwerk West, der ehemaligen Zeche Friedrich Heinrich, durfte ich für eine Woche den Übertage- und Untertagebetrieb „studieren“. Was mir am ersten Morgen sofort positiv auffiel, ist der Hinweis auf ein Trainingscenter. Allen Bergleuten und sonstigen Mitarbeitern stand bis zur Schließung im Dezember 2012 innerhalb des Betriebsgeländes ein Trainingscenter mit einem qualifizierten Trainerteam zur kostenlosen Nutzung zur Verfügung. Zwar außerhalb der Arbeitszeiten, aber immerhin! Die RAG zeigte damit, wie wichtig Prävention ist und dass die sich auf Dauer auszahlt, was an einem geringen Krankenstand abgelesen werden kann.
Außerdem gab es einen Belegschaftsbetreuer, in dessen Aufgabenbereich beispielsweise die Durchsicht der Krankmeldungen fiel. Da gerade der Bergbau für sein soziales Engagement bekannt ist, darf das hier nicht negativ gesehen werden. Denn es geht nicht vordergründig um das Ziel einer Kündigung bei längerem Krankenstand. Man versucht vielmehr herauszufinden, warum sich der Betreffende wiederholt krank melden musste. Sollte man ihn auf einen anderen Arbeitsplatz versetzen? Oder handelt es sich im Extremfall um ein lebensbedrohendes Leiden? Dann wird nach einer für beide Seiten verträglichen Lösung gesucht, indem man beispielsweise der Familie helfend zur Seite steht. So hart das auch klingen mag: Aber bei schwerer Erkrankung kann eine Kündigung, verbunden mit einer Abfindung, das kleinere Übel und zumindest eine finanzielle Hilfe sein.
Direkt neben dem Büro war der Schwerbehindertenobmann untergebracht und dort befand sich auch die Sozialfürsorge. Sie war zuständig für Probleme aller Art. Ob es sich um Alkohol oder private Schulden handelte, hier war die Anlaufstelle.
Wo gibt es das noch? Dass eine gewerkschaftliche Mitgliedschaft nicht nur geduldet, sondern sogar erwünscht ist? Die Gewerkschaftsarbeit kann im Bergbau auf eine lange Tradition zurückblicken. Nach dem 1. Weltkrieg haben sich bereits erste Zusammenschlüsse gebildet und sich in der IG Bergbau und Energie formiert. Der Betriebsrat ist das Bindeglied zwischen Werksleitung und den Mitarbeitern und versteht es als seine Aufgabe, das Beste für die Mitarbeiter zu erreichen. Er ist Anlaufstelle bei allen Problemen und ist die schlichtende Stelle.
Auf dem Bergwerk West waren vor der Schließung ca. 98% der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Es gab drei Ausschüsse, denen jeweils zwei Mitarbeiter vorstanden. Die jeweiligen Ausschüsse trafen sich einmal im Monat. In Anlehnung an die Belegschaftszahlen gab es laut Gesetz zehn freigestellte Kollegen, wobei aber an den Sitzungen noch weitere fünfzehn Betriebsräte teilnahmen. Die Ausschüsse gliederten sich in die Bereiche Wohnung und Soziales, Arbeitssicherheit und Mitarbeiter- und Personalentwicklung. Zu dem ersten Bereich konnte beispielsweise gehören, dass ein ausländischer Mitarbeiter einen Todesfall in seinem Heimatland zu beklagen hatte und um Sonderurlaub bat. Was den Bereich der Arbeitssicherheit anbelangte, setzte sich der Betriebsrat für die Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen ein und hatte auch die Einrichtung des Trainingscenters erwirkt.
Ab 1993 waren die Zechenschließungen ein Thema und die organisierten Arbeiter haben Mahnwachen, Mahnfeuer und Protestaktionen abgehalten, um die Regierung zum Umdenken zu bewegen und auch, um die Bevölkerung für das Problem zu sensibilisieren. Doch leider ist das Ziel, den Bergbau weiter zu betreiben, trotz aller Anstrengung nicht erreicht worden.
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