Für Cornelia
in Dankbarkeit
© 2014 Casa Blanka Netphen
Dr. Albrecht Blank (Hrsg.)
Johann Philipp Lorenz Withof
Herstellung und Verlag:
Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7357-9797-1
Abbildung 1: Johann Hildebrand Withof (Vater)
Ein Lehrgedicht, das sich dem Christentume weiht,
Erfordert Wissenschaft, Erfahrung, Stille, Zeit.
Johann Philipp Lorenz Withof war ein Dichter des 18. Jahrhunderts, der die Lehrdichtung oder didaktische Poesie, wie kein anderer seines Zeitalters, zu einem abschließenden Höhepunkt führte. In seinen wenigen großen Lehrgedichten fasste er die Philosophie der Frühaufklärung zusammen, um sie der Öffentlichkeit in gefälliger Form darzubringen. Withof sah seine Aufgabe in der Erziehung seines Publikums zum tugendhaften Leben auf dem Boden der philosophischen Erkenntnisse der Aufklärung. Nur in dieser pädagogischen Aufgabe sah der den Sinn seiner Dichtung.
Johann Philipp Lorenz liebte und verehrte seine Familie, zutiefst beeinflusst und geformt von seinem Vater, dessen Kürzel er ein Leben lang hinter seinen Namen setzte. Das innige Verhältnis zu seinem Vater, seiner Mutter und seinen Brüdern drückt sich immer wieder in seiner Dichtung aus. Die Dankbarkeit seinen Eltern gegenüber war für ihn Pflicht und Neigung zugleich, denn nur der ist ein guter Bürger, der die Beschlüsse der Väter achtet und dem Gesetz und Recht dient. (Hor. I. Epist. 16.) Der Vater Johann Hildebrand führte ihn hin zur Poesie, entstanden aus einer Naturliebe, die sich nicht zuletzt auf den langen gemeinsamen Spaziergängen mit ihm in den Ruhrauen gebildet hatte und schließlich auch in den vielen selbst gewählten einsamen Stunden, die Johann Philipp Lorenz seit seinem 16. Lebensjahr in der Natur verbrachte, in denen sich seine Philosophie und der Hang zur Poesie formte.
Der Mond verändert vierzigmal,
Seit ich mich oft der Welt enstahl
Und die Natur mich unterrichtet.
Sie lehrt erhaben, nie zu wild;
So freundenreich, so treu, so mild;
So wie man eine Muse dichtet.1
Bevor wir uns dem Dichter und Pädagogen Johann Philipp Lorenz Withof nähern, wollen wir uns etwas mit seiner Familie beschäftigen, besonders dem Vater Johann Hildebrand und seinen Brüdern Theodor und Balthasar Withof.
1 (Withof J. P., Academische Gedichte 2. Theil, 1783, S. 71). Frühlingsphantasien. (Blank, Johann Philipp Lorenz Withof, 2014, S. 225).
(1694 – 1769)
Laborem sustine neque ut miser, neque ut qui miserationem aut admirationem consequi velis, sed unum modo tibi sit propositum, moveri et motum sistere, prout ratio civilis exigit.
„Arbeite! Aber nicht wie ein Unglücklicher oder wie einer, der bewundert oder bemitleidet werden will. Arbeite oder ruhe, wie es das Beste für die Gemeinschaft ist.“
Einer der letzten antiken Vertreter der Stoa, Mark Aurel, sagte dies in seinen Selbstbetrachtungen. Es könnte ein Leitmotiv unseres Johann Hildebrand Withof gewesen sein, der, in sich ruhend, ein Leben lang arbeitete, mit Vergnügen arbeitete und in der Beschäftigung mit den Wissenschaften seine Erfüllung fand. Mittelgroß von kräftiger, wir würden heute sagen übergewichtiger Statur sah er seinen Lebenssinn im Geistigen. Die Erforschung alter Sprachen und die Geschichte vergangener Zeiten beschäftigten ihn über alle Maßen und auch kriegerische Ereignisse konnten ihn nicht aus seiner Bibliothek vertreiben. Sein Gang war etwas schwerfällig. Bei einem Unfall mit 33 Jahren hatte er sich eine komplizierte Unterschenkelfraktur zugezogen, die in Fehlstellung schlecht verheilte, und so zog er das eine Bein immer etwas nach. Sein Hang zum Introvertierten, zum Forschen in der Stille der Bibliothek fand dadurch eine schicksalhafte Bestätigung, so dass er das Haus oft für lange Zeit kaum verließ. Aber er besaß keine depressive Gemütsstruktur. Seine Zeitgenossen fanden ihn in sich selbst ruhend, sich selbst genügend (sibi sufficeret).
Sein Sohn, der Dichter Johann Philipp Lorenz Withof schrieb in einem Gedicht über ihn:
Du bleibest, so sehr auch Begriffe verbinden,
Doch immer von fröhlicher Art.
Und mehrenteils einsam im ernsten Ergründen
Doch angenehm, edel und zart.2
Trotzdem, oder gerade deshalb konnte er rastlos tätig sein in seiner Welt der res publica litteraria, der sogenannten Gelehrtenrepublik. Hier war es nicht nötig sich auf Reisen zu begeben. Die geistige Auseinandersetzung fand statt in Büchern, Briefen und Journalen, die zur damaligen Zeit eine explosionsartige Vermehrung fanden und jedem zugänglich waren. So ist es verständlich, dass seine Bibliothek bis auf 12000 Bände anwuchs. Withof könnte gut als Vorbild des Bücherwurms von Spitzweg gelten. Johann Gottlob Leidenfrost beschreibt in seiner Gedenkrede 1769 eindringlich, dass die Bibliothek fast einen musealen Charakter hatte mit seltenen Kupferstichen an den Wänden, antiken Sammelobjekten auf Tischen und immer wieder Pflanzen an geeigneten Orten, die auch von Withof selbst gezüchtet wurden3. Die Bibliothek wurde nach seinem Tode veräußert. Der Auktionskatalog der „Bibliotheca Withofiana“ ist erhalten, ein wertvolles Dokument einer Gelehrtenbibliothek des 18. Jahrhunderts.4 In dem 400 Seiten umfassenden Katalog kamen über 5000 der wertvollsten Bücher aus dem 16. bis 18. Jahrhundert zur Versteigerung, in besonderem Maße Werke antiker Schriftsteller, aber auch poetische Werke der Frühaufklärung von Brockes und Hagedorn, sowie eine umfangreiche Sammlung kirchenhistorischer Untersuchungen, Chroniken und Biographien. Sprachbegabt seit seiner frühesten Jugend, war die Auslegung und textkritische Darstellung antiker Schriftsteller sein tägliches Brot, und hier errang er sich in besonderem Maße internationale Anerkennung.
Trotz seiner ungeheuren Belesenheit und seines umfassenden Wissens, „wandelnde Bibliothek“ war sein Spitzname, blieb er bescheiden, allein der Tugend, seinem Schöpfer und der Wahrheit verpflichtet. Sein Sohn, Johann Philipp Lorenz Withof, der bewundernd ein Leben lang zu ihm aufsah, schrieb eine verherrlichende Ode über ihn, „Der Gedanke“. In diesem Gedicht wird noch einmal die ungeheure Geisteskraft, die bei allen Zeitgenossen Bewunderung auslöste, dargelegt.
Es kleide den Freigeist, die Seele verpralen!
Er nenne die Lüge Verstand!
Mich lüstet, ihr Denken pindarisch zu malen,
Das Wahrheit und Tugend erfand.
......
Ich wage noch jung, anapästische Weisen
Der denkenden Seele zu weihn.
Ich könnte dich nimmer entschuldigter preisen:
Denn Denken, mein Vater, ist dein.
......
Die Kerne der Wahrheit, nicht Hülsen und Rinden
Erwählest du, Pflichten getreu.
Du denkest geläufig und denkest aus Gründen
Und denkest unermüdet und neu.5
Wissenschaftliche Arbeiten kamen für ihn nur in Frage, wenn es etwas Neues, Eigenständiges zu veröffentlichen galt. Das Zusammenschreiben von anderen Autoren war ihm zuwider. Er verfasste über diesen unmäßigen Missbrauch von Fußnoten, Zitaten und Anmerkungen eine eigene Oratio6, in der er drastisch schildert, wie aus Büchern, Bücher zusammengeschmiert7 werden.
Sein Wahlspruch war: fasCes sVnt fasCes, seD tV DeVs aDiuVe qVaeso. Chronogramme gehörten zu seinen Hobbies. In allen seinen wissenschaftlichen Arbeiten, seinen Reden und Veröffentlichungen tauchen neben seinen Gedichten auch immer wieder Chronogramme auf, um auf bestimmte Jahre hinzuweisen. So auf seine sechs Rektoratsjahre8, die er immer mit einem Chronogramm in der Matrikelliste einführte.
Materni cineres, vos o, cineresque paterni,
Terra quieta tegat.
Corpore disiunctus, tenero coniunctus amore
Sum pariterque sui.
Geboren wurde Johann Hildebrand Withof in Lengerich im Tecklenburger Land als einziger Sohn von Eberhard Withof und seiner Ehefrau Johanna Sibylla Schulze am 27. Juli 1694. Die Withofs waren ein alteingesessenes Geschlecht und stammten wohl von einem Hof bei Ladbergen. Hier sind sie am Beginn des 17. Jahrhunderts nachweisbar. Bei einer Vielzahl von Kindern, der Ur-Großvater Wilhelm Withof hatte mit 3 Frauen 24 Kinder, mussten fast alle den Hof verlassen und sich in der nahegelegenen Stadt Lengerich eine andere Beschäftigung suchen. So waren der Großvater Joan Withof und der Vater Eberhard Withof wohlhabende Kaufleute geworden, die es sich leisten konnten, der Kirche in Lengerich einen Kronleuchter zu stiften. Leider verstarb Eberhard Withof schon im ersten Jahr nach der Geburt seines einzigen Sohnes Johann Hildebrand nach einer Geschäftsreise, auf der er sich eine Rippenfellentzündung zugezogen hatte. So war Johann Hildebrand nun Halbwaise und wurde zuerst von seiner Mutter, die sich wieder verheiratete, später von Vormündern groß gezogen.
Hören wir hierzu Max von Mallinckrodt in seiner Geschichte über die Duisburger Professoren Withof und ihr Geschlecht:9
„Die Aufzeichnungen über das hofgesessene Bauerngeschlecht der Withof beginnen mit einem dunklen Blatt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Henricus Withof, der zu Lengerich in der Grafschaft Teklenburg wohnte und von Withofs Stätte in Ladbergen nahe bei Lengerich stammte, wurde - Jahr und Tag nennt der Chronikschreiber nicht - von einem Sohne aus Trennepohls Stätte meuchlings erschlagen. Auf der Exterheide zwischen Lengerich und Teklenburg fiel das Haupt des Mörders zur Sühne des Verbrechens, und sein Leib wurde am „Witten Weg“ dem Strubberg gegenüber in die Erde gelegt.
Es ist nicht die einzige finstere Tat aus der Frühzeit der Withof-Geschichte. Ein Neffe des Erschlagenen, Jodocus Withof, der 1684 als Student der Theologie genannt wird und mit einer Steinfurterin verlobt war, starb kurz vor seiner Hochzeit „vergiftet“, wie der Chronikschreiber mit lapidarer Kürze bemerkt.
Aber noch nicht genug: Eine Schwester dieses Jodocus, Maria Richmot, starb an einem Schusse, den Berendt Rietbrok auf sie - die Braut eines anderen - abgegeben hatte.
Wenn auch die Nachrichten der Chronik von äußerster Sparsamkeit sind, so taucht aus dem Nebel doch der Umriss eines niedersächsischen Bauerngeschlechtes auf, stark und trotzig, eines Geschlechtes, das seine Feinde hatte.
Sie stammten von der ererbten Stätte in Ladbergen, die Withofsöhne, und waren fruchtbar wie der Boden, den sie pflügten. Fast allen wuchs eine große Kinderschar zu den Schultern auf. Wir hören von Wilhelm Withof, dem jüngsten der vier Brüder, von denen jener erschlagene Henricus der älteste gewesen zu sein scheint.
Nach Landessitte blieb Wilhelm auf der Stätte der Sippe in Ladbergen und hatte mit drei Frauen 24 Kinder. Der jüngste Sohn seiner ersten Frau, Gerd Withof, blieb wiederum als Herr auf der Stätte, während sein älterer Bruder Joan, Withofs Häuschen zu Ladbergen erbte. Auch jenem Gerd gebaren zwei Frauen, wie die Chronik meldet, „ die eine etliche, die andere dreizehn Kinder“.
Die Hofstätte konnte begreiflicherweise solchen Segen nicht beherbergen. Schon von Henricus heißt es: Er wohnte zu Lengerich, und er war nicht der einzige Withofsohn, der, ausgeschlossen vom Hofeserbe, vom Lande in die Stadt abwanderte. Noch ein anderer der vier Brüder, Joan mit Namen, der 1631 auf der Withofs Stätte in Ladbergen geboren war, begann zu Ladbergen eine Handlung mit Lebensmitteln. Es war die Zeit, als der kriegerische Fürstbischof Bernhard von Galen vor seiner Stadt Münster lag. Das Kriegsvolk hatte großen Verbrauch an allem, was der Bauer erntete, und der Bauernsohn Joan Withof nutzte die Zeit. Er mag damals manchen harten Taler verdient haben. Später aber trieb er Handel mit Tuchen und Leinewand und anderen Dingen zumeist nach Bremen. Doch besuchte er auch jährlich die Naumburger Messe.
Wenn wir hören, dass er in der Kirche zu Lengerich einen Kronleuchter stiftete der Orgel gegenüber, so glauben wir den wohlhabend gewordenen behäbigen Kaufmann vor uns zu sehen. Verheiratet war Joan mit Regina Agneta Helena Erpenbeck, und von sechs Kindern hören wir, die der Ehe entsprossen.
Eine Tochter, Anna Christina, heiratete Conrad Heitgers und gebar ihm sieben Kinder. Ein Sohn, Joan Henrich, geboren 1658, hatte von seiner zweiten Frau Catharina Elsabe Cramers fünf Kinder, von denen der einzige Sohn, Joan Hermann, ebenfalls Kaufmann war und Bürgermeister von Lengerich wurde.
Des älteren Joan Withofs zweiter Sohn war jener Theologe Jodocus, von dem oben erzählt wurde, dass er kurz vor seiner Hochzeit an Gift starb. Er hatte Vater und Mutter sowie seine Schwester Maria Richmot malen lassen. Die Bildnisse kamen später in den Besitz des Bürgermeisters Withof zu Lengerich.
Ein jüngerer Bruder dieses Jodocus aber hieß Eberhard und war 1662 geboren. Er heiratete 1692 am 10. Oktober Joanna Sibylla Schulzen, die ebenfalls zu Lengerich (17.03.1665) geboren war. Auch Eberhard trieb Kaufmannschaft, und zwar hauptsächlich nach Bremen. es wird erzählt, dass er auf der Heimreise von dort sich eine Pleuritis zugezogen habe und am nächsten Tage (9.4.1695) zu Lengerich verstorben sei. Seine Gattin folgte ihm 1713 am 9. Januar in die Ewigkeit. Ein Sohn aus dieser Ehe war nun unser Johann Hildebrand Withof.“
Den ersten Kontakt mit der Welt des Geistes, mit den ersten Grundlagen des Lateins bekam Johann Hildebrand in der Schule an seinem Geburtsort. Hier genoss er den Unterricht des Rektors Samuel Habicht, bevor er in Tecklenburg die Lateinschule besuchte und mit Hilfe des dortigen Schulleiters Diederich Hermann Hünemann seine Kenntnisse der antiken Sprachen verfestigte. Hünemann erkannte schnell die ungeheure Sprachbegabung des jungen Knaben, seinen wachen Verstand und schnelle Auffassungsgabe. Schon mit acht Jahren fühlte er sich in den Oden des Horaz zu Hause und weinte, sobald er einige Stellen nicht verstand, wenn er seinen Horaz abends im Bett las. Prof. Leidenfrost10, Freund und späterer Kollege von Withof schreibt in seinen Anmerkungen zu der Leichenrede, die er 1769 für Withof hielt: Cunctis WITHOFIANIS orationibus addita sunt carmina latina longe elegantissima. Ad poesin enim naturali instinctu ferebatur. Octo annorum puer meminerat saepe plorasse , quod non omnes Horatii, quem cubitum secum sumebat , odas ex voto intelligeret. So war es verständlich, dass einer weiteren Förderung Withofs nichts im Wege stand, insbesondere, da er einige reformierte Geistliche zu seiner näheren Verwandtschaft zählte, die ihn berieten und über ihn wachten.11
1708, mit 14 Jahren, wurde er auf das Pädagogium nach Bremen geschickt, im Oktober 1711 zu den öffentlichen Vorlesungen des Gymnasii Illustris Bremensis zugelassen. Das Gymnasium Illustre zu Bremen bestand seit 1610. Es gehörte zu den herausragenden calvinistisch orientierten Universitäten im deutschsprachigen Bereich neben Herborn und Duisburg. Withof belegte Griechisch, Latein, Rhetorik und Alte und Mittlere Geschichte, aber auch Theologie. Sein Fleiß und Begabung machten ihn schnell berühmt und so wurde auch der hoch gebildete Gerhard von Mastricht sein Förderer, dessen umfangreiche
Bibliothek er jederzeit aufsuchen und benutzen durfte.12 Gerhard von Mastricht war 1639 in Köln geboren, hatte in Leiden und Basel studiert und war 1669 in Duisburg Professor geworden. 1688 wurde er Stadtsyndicus in Bremen. Sowohl in seiner ersten Dissertation, wie auch in seiner Duisburger Chronik gedenkt Withof dankbar der Hilfe und Unterstützung dieses großen Mannes, der nach dem frühen Tod seines Sohnes seine gesamte Bibliothek verkauft hatte. Unter dem Professor Albert Schumacher13 legte er seine erste Dissertation vor de polytheotheti antediluviana, oder von der eigentlichen Religion und Lebensart der ohne aller Religion lebenden Menschen vor der Sintflut, wie er sie selbst übersetzt hat.
Für jeden gebildeten Menschen, zu jeder Zeit, an jedem Ort war und ist es wichtig, seine Studien an einer auswärtigen Universität zu erweitern und vollkommnen. Und so war es verständlich, dass auch Withof nach Beweis seiner ersten akademischen Fähigkeiten sich einer ausländischen Universität zuwandte. Dies konnte zu jener Zeit und in dem beschriebenen calvinistischen Kulturkreis nur eine Universität in angrenzenden Niederlanden sein. In Leiden, Groningen, Utrecht und Franeker befanden sich die renommiertesten Universitäten, die älteste in Leiden und hierhin wollte sich Withof wenden, wurde aber, wie er selbst in seiner Biographie über Karl Andreas Düker schreibt, davon abgebracht und wandte sich nach Utrecht.
„Ich selber, da ich im Herbst desselben Jahres nach Utrecht meine Studia weiter fortzusetzen gekommen, kann vielleicht das beste Zeugnis davon ablegen. Ich war Fürnehmens von Bremens, wohin mich meine Vormünder als einen Knaben verschicket, nach achtjährigen teils in den unteren Schulen teils bei dem dortigen Gymnasio zugebrachten Aufenthalt, mich nach Leyden zu begeben, und zwar durch den großen Namen des Herrn Petrus Burmannus in den schönen Wissenschaften hierzu bewogen. Ich nahm nach gesehenen Vaterlande meine Reise über Deventer, um dorten gleichsam im Vorbeigehen die gelehrten Leute zu grüßen, und persönlich kennen zu lernen, zugleich auch dem weltberühmten Gisbertus Cuperus14 ein neulich abgedrucktes und mir anvertrautes Traktätchen de Berytensi jureconsultorum Academia samt ein Handschreiben von dem gelehrten Jacobus Hasaeus zu überreichen. Wie ich aber daselbst ankam, war dieser große Kenner aller Altertümer, Erklärer der raresten Münzen, und unvergleichliche Literator Cuperus, der erst daselbst Professor, hernach ein Mitglied der Herren Staaten von Oberissel gewesen, eben einige Tage vorher gestorben, so dass er noch unbegraben über der Erden stunde. Ich unterließ doch nicht bei den übrigen damals zu Deventer blühenden Gelehrten meine Aufwartung zu machen, unter denen die beiden Professores Christian Gerhardus Offerhaus15 und Dionysius Andreas Roell, ein Sohn des so berühmten Theologi Roells, wohl die anmerklichsten waren. Sie erwiesen mir, vielleicht wegen gespürter Lernbegierde, mehr Höflichkeit nach ihrer angeborenen ganz seltenen Leutseligkeit, als mein Stand und Jahre verdienten. Unter andern verwunderten sie sich in einer bei dem Herrn Roell angestellten Abend-Visite, warum ich nicht lieber nach das näher liegend Utrecht als nach Leyden mich zu begeben gesonnen wäre, weil ich zu Utrecht den neulich dahin berufenen Herrn Düker als Professor in den schönen Wissenschaften antreffen würde, der einiger Maßen als ein Landsmann noch könnte betrachtet werden, und mir alle Gewogenheit zu erweisen nicht ermangeln würde. Hierauf änderte ich mein Vorhaben, desto lieber, weil mir dagegen nicht im Wege stunde, und begab mich nach Utrecht, unter dem Herrn Düker meine Studia fortzusetzen, ohne doch der anderen damals berühmten Lehrer ihre Anweisung zu versäumen16.“
Unter Karl Andreas Duker setzte er seine Studien in griechischer Sprache fort und wurde mit ihm auch freundschaftlich verbunden, was sich in späteren Jahren noch fortsetzte, als Duker, inzwischen alt und zum Pflegefall geworden, sich in Duisburg Meiderich bei seiner Nichte, der Frau des Pfarrer Neuhaus, zur Ruhe setzte und auch dort starb. Withof widmete ihm einige Artikel in den Duisburgern Intelligentz-Zetteln, aus denen auch folgende Stelle entnommen ist:
„Dem allen ungeachtet konnte er seine sowohl öffentliche als besondere Verrichtungen mit der ersinnlichsten Lust und zu jedermanns Vergnügen beständig fortsetzen. Zur Linderung seines Ungemachs, und zur Abwendung eines fernern Übels war er gewohnet oft einen ziemlichen Spaziergang rund um die Stadt Utrecht durch den sogenannten Cingel zu tun, da es dann mein künftiges Schicksal fügte, dass er nach vollendeter öffentlicher Prälektion im Akademischen Hörsaal, welche um 3 Uhr des Nachmittags geschehen war, mich gar oft zum Gefährten erwählte. Ich freue mich noch jetzo dieser angenehmen Stunden, welche mir nicht wenig genutzet. Wir konnten, wenn wir aus einer Pforten ausgingen, und hernach dieselbe wieder betraten, die Stadt in einer Stunde und einigen Minuten herumgehen, wenn wir nur nirgends verweilten, wie er auf seiner Taschenuhr zu bemerken pflegte. Hierbei fiel nun zum öfftern etwas vor, wie leicht zu erachten, woraus neben der großen Gelehrtheit zugleich sein aufgeräumtes, dabei redliches und tugendsames Gemüt zu erkennen stunde.“
In Utrecht machte Withof auch Bekanntschaft mit Franz Hessel17, der, nach einer Professur in Rotterdam, 1708 als Kanonikus nach Utrecht gekommen war. Vielleicht wird hieraus verständlich, warum später ein Sohn Withofs, Balthasar Eberhard, sich eine Stelle als Canonikus in Utrecht erkaufen konnte.
1718 wurde er, nach vollendeten Studien, als Rektor nach Bommeln, nicht weit von Utrecht berufen. Nur eine kurze Zeit war ihm dort als Schulleiter vergönnt, aber wohl die glücklichste seines Lebens, wie er später immer wieder seinen Freunden berichtet. Leidenfrost schreibt dazu: Noster certe WITHOFIUS juvenis adhuc sed qualis esset cognitus, non nisi binos ultra vigesimum numerans annos aetatis a potentissimis Hollandiae ordinibus insigni Bommelianae scholae regendae praefectus est, quam tamen stationem non nisi sesqui annis tenuit, etsi laetissimam eam sibi fuisse posthac saepius & mihi & amicis ceteris est contestatus.18 Er war 24 Jahre alt, als er seine Antrittsvorlesung über den Nutzen der klassischen Sprachen für alle Wissenschaften hielt (de utilitate humaniorum litterarum per omnes scientias).
Schon 1719 hatte Withof es nun erreicht, dass er durch seine geknüpften Verbindungen und seinen wissenschaftliche Reputation einen Ruf an die Universität Duisburg erhielt. Am 3. Januar 1719 erteilte König Friedrich Wilhelm von Preußen seine Zustimmung zu dieser Wahl, bei der Withof eigentlich an dritter Stelle gestanden hatte, aber die beiden vor ihm liegenden Kandidaten zogen ihre Zustimmung zurück. Mit 25 Jahren war er ordentlicher Professor der Geschichte, der Beredsamkeit und griechischen Sprache an einer Universität, einer kleinen19, am westlichen Rand Preußens gelegenen Hochschule, die 1655 gegründet worden war. Sie war jedoch nicht unberühmt mit einem Johannes Clauberg20 als Gründungsrektor, und in einer Stadt in der Gerhard Mercator gelebt und gewirkt hatte. Als preußischer Beamter versah Withof hier seinen Dienst über 50 Jahre lang. Seine Antrittsrede am 19. April 1720 hielt er über d e decreto Juliani21 Apostatae circa scholas Christianorum claudendas (Über das Gesetz Julian Apostata zur Schließung der christlichen Schulen). Er wurde Nachfolger von Henricus Mascamp, dem er in seiner Duisburger Chronik unter dem Jahr 1718 gedenkt.
Zum Rektor wurde er, wie schon erwähnt, sechs Mal gewählt. Er versah diesen Dienst mit großer Sorgfalt, empfand die zusätzliche Arbeit aber auch als Last, wie er in seinen Chronogrammen wiederholt darlegt. Der Anfang und das Ende jedes seiner Rektoratsjahre war mit einem entsprechenden Chronogramm versehen, dass auch auf Kriege, Unruhen und andere politische Ereignisse verwies.
otIa fInIto ConCeDI laetor ab anno
feLICes CVnCtIs DentVr ab VsqVe, praeCor
sVaVe opVs est, stVDIIs absolVere DVLCIbVs horas
sIC LVX sIC CVrsV pars qVaeqVe noCtls eat
Ich freue mich, dass nach Beendigung des Jahres Muße gewährt wird. Ich bitte, dass allen weiterhin glückliche Jahre geschenkt werden. Mit geliebten Studien die Stunden zu verbringen ist angenehme Mühe: so möge der Tag, sowie ein Teil der Nacht vergehen!22. 1726
Vorangestellt seinem ersten Rektoratsjahr fand sich der schon erwähnte Leitspruch:
Rectore Johanne Hildebrando Withofio, historiarum, eloquentiae et Graecae linguae professore ordinario, a die 15 Octobris huius anni 1725 usque ad sequentis anni 1726 eundem diem infra nominati studiosi atque candidati huic albo academico eorum propria manu inserti et consuetis nostris legibus obligati sunt; Feliciter!
FasCes sVnt FasCes, seD tV DeVs aDiuVe qVaeso.
Amt ist Bürde, aber Gott, ich flehe Dich an, hilf mir dabei.
Diese Matrikellisten der alten Universität Duisburg, zum ersten Mal 1938 von Wilhelm Rotscheidt neu herausgegeben, bieten ungeheure Informationen über die damalige Universität, ihre Studenten und Lehrer.
Am 13. August 1722 heiratete er Agneta Margaretha Gleim23, der einzigen Tochter des Garnisonsapothekers zu Wesel David Balthasar Gleim. Wie es zu dieser Verbindung gekommen ist, scheint unklar. Vielleicht eine Bekanntschaft, die er anlässlich seiner schweren Erkrankung 1720 machte, als auch er Opfer einer Europaweiten Pandemie wurde24. Er überlebte nur knapp, wie er selbst berichtet. Mit dieser Heirat trat er in engerer Verbindung zu Johann Wilhelm Ludwig Gleim25, dem berühmten späteren Dichter, dessen Nähe zum preußischen Hofe ihm und seinem Sohn Johann Philipp Lorenz Withof mehr als nützlich wurde.
Öffentliche Vorlesungen waren die primäre Aufgabe eines Universitätsprofessors, die sicherlich fast alle bei ihm zu Hause stattgefunden haben, wofür die Studenten semesterweise bezahlen mussten. Er las z. B. über Fragen aus der lateinischen und griechischen Philologie und Geschichte, allgemeine Historie nach der Anleitung des Tursellins26, die Geschichte der mittleren Zeiten über des Herrn von Ludwig27 Entwurf der Reichshistorie, über die römischen Altertümer und im Griechischen über das Evangelium des Mathaeus. Ferner lehrte er über die Beredsamkeit, Dichtkunst und heilige Geschichte. Privatvorlesungen kamen hinzu und mussten natürlich extra honoriert werden. Das offizielle Gehalt Withofs belief sich im Jahre 1750 auf 250 Taler28. Hinzu kamen noch diverse Zuschläge, so alle zwölf Jahre 30 Taler für einen neuen Talar, etwa 1 Taler für die Promotion eines Studenten und die schön erwähnten Kolleggebühren, die sich auf etwa vier bis sechs Taler für ein fünfstündiges Kolleg pro Halbjahr beliefen. Auch ist von Withof bekannt, dass er Studenten zur Untermiete aufnahm und hierdurch ebenfalls Einnahmen zu verzeichnen waren. So wird vom nachmaligen Oberlandesgerichtspräsidenten F. W. von Rappard berichtet, dass er für 300 Thlr. 1766 bei J. H. Withof ganz ordentlich gewohnt und gelebt habe. Klagen über das zu geringe Gehalt gab es natürlich, waren aber sicherlich nicht ganz angebracht, besonders, wenn man die geringen Studentenzahlen bedenkt. Zwischen 1750 und 1760 gab es gerade einmal 31529 Immatrikulationen in der gesamten Universität, wobei die Philosophische Fakultät mit elf Studenten die geringste Anzahl zu melden hatte. Neben den Lebenshaltungskosten, die sehr schwankten, schlugen vor allem die Druckkosten für Withofs wissenschaftliche Arbeiten zu Buche, da ein großer Teil der von ihm heraus gebrachten Arbeiten auf eigene Kosten gedruckt werden mussten. So schuldete Withof dem Buchdrucker Alexander Sas bei dessen Tode z.B. 15 Taler für entstandene Druckkosten30.
Als Altphilologe war Withof natürlich den alten Sprachen besonders zugetan und beherrschte neben dem obligaten Englisch, Französisch und Niederländisch fließend Lateinisch, Griechisch und Hebräisch. Seine umfangreichen Emendationen, Verbesserungen von Übersetzungen antiker Schriftsteller, erforderten nicht nur eine tiefe und fundierte Kenntnis der alten Sprachen, sondern auch ein großes Wissen um die Werke dieser Autoren. Withof fand eine fast wissenschaftliche Methode fragliche Stellen in alten Schriften zu klären. H. A. Grimm31 schreibt in seiner Einleitung zu Withofs gesammelten „Kritischen Anmerkungen über Horaz und andere Römische Schriftsteller“ 179132:
„Insbesondere liebte er das kritische Studium, worin er sich vornehmlich nach Bentley33, den er von Jugend auf fleißig las, gebildet hatte. Er hatte sich dabei selbst diese Regel vorgeschrieben, dass er den Schriftsteller, worin er schwierige Stellen fand, welche nach seiner Meinung einer Verbesserung bedurften, ganz und zwar mehr als einmal durchlas, um sich mit der Denkungsart und dem eigentümlichen Sprachgebrauch desselben recht bekannt zu machen. Dabei achtete er vorzüglich auf das Zeitalter des Schriftstellers, auf die Sitten dieses Zeitalters, auf die Personen die mit ihm zugleich lebten, auf seine Absicht, auf die gleichzeitigen Schriftsteller und diejenigen, die ihn schienen nachgeahmt zu haben, auf ähnliche Stellen des Autors, auf die in Handschriften bemerkten Lesearten und auf die Entstehung derselben. Von diesen seinen Grundsätzen und wie er dieselbe befolgt hat, zeugen schon seine kritischen Schriften; seine dissert. de maxima necessaria criticorum opera, welche er in der Observ. miscell. Amst. 1740 unter dem erdichteten Namen, Claudius Civilis, einrücken ließ; sein Specimen emendationum ad Guntheri 34 Ligurinum Duisb. 1731, seine Encaenia critica sive Lucanus, Arianus et Maximianus primaevae integritate restituti. Wesel 1741 und seine Praemetium crucium criticarum praecipue ex Seneca tragico. Leiden 1749.“
Das letztgenannte Buch ist ein Standardwerk in dieser Hinsicht. Auf über 200 Seiten werden schwierige Stellen aus dem Seneca Tragico dargelegt, verbessert und erläutert. Vorangestellt wurde eine Rede über die Geschichte der Stadt Duisburg, die Withof am 15. Oktober 1748 bei der Rektoratsübernahme gehalten hatte35. Diese Rede ist gleichsam eine Fortsetzung und Vertiefung seiner Chronik der Stadt Duisburg. In einer Kritik über dieses Buch aus dem Jahre 1750 wird diese Rede sehr positiv beurteilt, ganz im Gegensatz zu seinen Emendationen über Seneca, die, nach Ansicht des Criticus, einem den Kopf foltern und zerbrechen können36. Die „Verbesserung“ antiker Autoren wurde nicht von allen gern gesehen und als sinnvoll erachtet.
Sein erstes großes philologisches Werk Specimen emendationum ad Guntheri Ligurinum widmete er 1731 seinen beiden großen Vorbildern Richard Bentley33 und Peter Burmann37.
Diese Emendationen und kritischen Anmerkungen, 1791, wie oben schon bemerkt, gesammelt und herausgegeben von A. H. Grimm, wurden auch schon zu Grimms Zeiten etwas kritischer beurteilt, wenn auch der Verdienst Withofs in diesem Bereich unumstritten war. In der allgemeinen Literaturzeitung von 1792, No. 206, schreibt der Rezensent:
„Der 176038, den 13. Februar verstorbene Prof. Withof zu Duisburg mag ein „tätiger, geschickter und kluger Mann“ gewesen sein; aber die Eingangs der Vorrede von Herrn Grimm geschehene Äußerung: „Das in ihm nach dem Urteil aller, welche ihn genauer gekannt, einer der größten Philologen und Kritiker zu sehen sei, welche die erste Hälfte des Jahrhunderts hervorgebracht,“ kann Rec., der in Withofs Schriften kein Fremdling zu sein glaubt, nicht mit Überzeugung schreiben.“
Emendationen, Verbesserungen und Erläuterungen antiker Autoren waren zu seiner Zeit berühmt und Withof wurde vielfach zitiert, manches findet man auch im 21. Jahrhundert noch als Anmerkung von ihm. Eine Bedeutung, wie sein Vorbild Bentley hat er nicht erreicht, dazu hatte diese Art der Auslegung seinen Höhepunkt schon überschritten39.
Nicht vergessen werden soll, dass Withof einen Teil seiner Werke unter einem Pseudonym, Claudius Civilis, herausgab.40 Claudius Civilis, eigentlich richtiger Julius Civilis war im ersten nachchristlichen Jahrhundert ein Führer römischer Hilfstruppen am Niederrhein. In den Wirren nach dem Tode Neros nahm er Teil am Bataveraufstand, der vor allem das linksrheinische Gebiet von Koblenz bis Xanten betraf und damit natürlich auch Duisburg. Rembrandt hat Julius Civilis in einem berühmten Gemälde als Freiheitskämpfer hochstilisiert und vielleicht hatte Withof dieses Gemälde vor Augen, als er sich dieses Pseudonym wählte. Der Aufstand der Bataver41 gegen die Römer wurde im 17. Jahrhundert verglichen mit dem Freiheitskampf der Niederländer gegen die Spanische Herrschaft42. Ebenso wurden Parallelen gezogen zwischen Julius Civilis und Wilhelm von Oranien, dem Befreier der Niederlande, der 1584 ermordet worden war. So war dieses Pseudonym nicht unbekannt und zeigte seine dem Papsttum gegenüber kritische Haltung an, ebenso wie die Hinwendung zum calvinistischen Kreis der Gelehrtenrepublik.
Seine lateinischen Oden waren so beliebt, dass er einen kleinen Teil von Gelegenheitsgedichten 1758 gesondert herausgab. Dies caniculares nannte er dieses Buch43, die Hundstage, besonders warme Tage im August. Er widmete sein Buch seinen Söhnen Johann Philipp Lorenz und Friedrich Theodor und hat wohl auch einen großen Teil dieser Gedichte für sie geschrieben. Sie basieren auf christlicher Ethik verbunden mit stoischer Philosophie. Immer wieder klingen historische Bezüge an. Jeder seiner Reden, Veröffentlichungen, Bücher oder offiziellen Ansprachen war am Schluss mit lateinischen Oden und Elegien versehen, die ihn über Duisburg hinaus berühmt machten, dass sogar der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim, ein Vetter von Withofs Ehefrau, sich bemühte davon Abschriften zu bekommen. Withof war einer der letzten, vielleicht der letzte Dichter lateinischer Oden und sie völlig zu erfassen ist uns heute kaum noch möglich. Leider fehlt auch bis heute völlig eine wissenschaftliche Auswertung dieses Teils seines künstlerischen Schaffens. Berühmt war sein Gedicht über die Geschichte der Reformation im Anschluss an die Oratio secularis zur 200 Jahrfeier der Confessio Augustana44 zu Augsburg im Jahre 1530. Weiterhin veröffentlichte er ein großes Gedicht zur 100 Jahrfeier der Universität Duisburg 1755, welches er Carmen Seculare nannte, sicherlich in Anspielung auf die berühmte Ode von Horaz. Viele weiter Oden und Elegien sind von ihm überliefert. In einem kleinen Gedicht seines Buches Dies caniculares spricht er über sich selbst und nennt das Gedicht auch De se ipso. Er beschreibt darin, wie sich mit großen Schritten das Alter, der
Winter des Körpers nähert. Passibus approperat magnis cariosa senectus, Corporis huius hiems.
In den Anhängen zu seiner Leichenrede über Withof bemerkt Leidenfrost, dass unzählige Gedichte von ihm existieren, die Meisten nur als Manuskript, die Wenigsten in gedruckter Form. Innumerabilia fere sunt eius latina poemata, pauciora graeca. Gedichte zu verfassen war für Withof Erholung und Ablenkung und so benutzte er dieses Hobby auch um die Qualen nach mehreren vergeblichen Operationen, die er anlässlich seiner Unterschenkelfraktur durchstehen musste, zu verdrängen. Quum illi quadragenario crus fractum esset, pluresque dolorificae forte inutiles operationes chirurgicae sustinendae fuerint, in mediis laboribus, ut animum alio traheret, sacras pangebat ordas, quarum & similium varii adhuc fasciculi Mspt. supersunt. Außer den seinen Reden angehängten Gedichten ist nichts veröffentlicht worden, bis auf die schon erwähnten Dies Caniculares. Praeter illa quae orationibus & aliis b . viri scriptis adnexa sunt, & aliquot carmina festiva ad pietatem suae familiae aut & amicis testandam impressa, nil typis edidit, nisi Dies caniculares ad filios. Duisb. 1758. 8. amoenissimus libellus continet odas viginti octo, cunctas ut praefatio ad filios monet intra aliquot hebdomadum spatium diebus canicularibus eiusdem anni conceptas.
Als Professor für Beredsamkeit war es seine offizielle Aufgabe alle öffentlichen Reden zu halten. So haben sich viele Würdigungen verstorbener Kollegen bewahrt, aber auch Reden zu offiziellen Festtagen und Siegesfeiern liegen uns vor, aus denen wir die Zuneigung zum preußischen Staat, besonders zu Friedrich dem Großen erkennen können. Seine „Oratio de Pace“ ist ein herausragendes Zeugnis einer solchen Gedenkfeier aus Anlass der Beendigung des 2. Schlesischen Krieges, dem Frieden von Dresden am 25. Dezember 1745. Diese Rede wurde weit über Duisburg hinaus bekannt und war auch Bestätigung seines offiziellen Amtes als preußischer Zensor schreibt sein Sohn und legt es seinem Vater in den Mund. Dieser Patriotismus, diese Verherrlichung für den König war etwas Verbindendes und zugleich Neues, das die Menschen in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Preußen erfüllte. Nach dem Dreißigjährigen Krieg, der eine tiefe Skepsis gegenüber allen Autoritäten hinterlassen hatte, kam mit den Schlesischen Kriegen und Friedrich dem Großen ein neues Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Staat auf, mit dem man sich verbunden fühlte, dem man sogar sein Leben auf dem Schlachtfeld freiwillig opferte und dies mit einer fast religiösen Überzeugung. Withof drückte es noch in seinen lateinischen Reden und Oden aus, sein Sohn Johann Philipp Lorenz Withof schrieb verherrlichende Gedichte46 in deutscher Sprache und erreichte damit nicht nur einen hochgebildeten Kreis von Akademikern, sondern auch schon breitere Bevölkerungsschichten, die begierig diese Art von Gedichten lasen. Sein Vetter Johann Wilhelm Ludwig Gleim war mit seinen Kriegsliedern47 der berühmteste Vertreter dieser Gattung. Für uns heute schwer lesbar und kaum verständlich nach den verheerenden Geschehnissen des zweiten Weltkrieges, der uns einen noch größeren allgemeinen Skeptizismus hinterlassen hat.
Das heiße Glück, ein wahres Glück auf Erden,
Ein Untertan von Friederich zu werden.45
Besonders verdient gemacht hat sich Withof um die Ausgestaltung der Hundertjahrfeier der Universität Duisburg 1755. Die Akten dieser mehrtägigen Feier sind uns erhalten geblieben (Acta sacrorum secularum academiae Duisburgensis).48 Sie beinhalten neben einer umfangreichen geschichtlichen Darstellung der Universität, die Reden, Gedichte, Grußadressen anderer Universitäten, sowie eine Auflistung aller an der Universität lehrenden Professoren und gewesener Rektoren. Auch hier hat Withof wieder mehrere lateinische Oden eingefügt. Die Gründungsurkunden der Universität Duisburg von 1655 ergänzen diese Zusammenstellung. In der Auflistung der Professoren schreibt Withof über sich selbst:
JOHANNES HILDEBRANDUS WITHOFIUS, Histot. Eloquent. & Graec. Linguae Professor Ordinar. in Praelectionibus publicis praeter diversas ex omni Romana pariter Graecaque Philologia & Historia Quaestiones, statis diebus interpretationem Horatii Flacii continuabit; privatim autem Universalem Historiam ad ductum Tursellini, illam vero, quam Medii vulgo aevi vocitamus, iuxta Libellum Viri Cel. J. Petri Ludwigii Entwurf der Reichshistorie: Antiquitates Romanas ad filum Nieuportii: Philologiam Graecam inter Analysin & explicationem utriusque Epistolae ad Timotheum: Eloquentiae denique praecepta denuo inter Annaei Flori interpretationem tractabit, aliaque huius generis meletemata perpetua serie addentur. Illis etiam, qui exhibitis publice privatimque sive in Oratoria, sive circa Historiam tam sacram & civilem, quam Literariam, aliamve elegantioris Litaraturae partem speciminibus suorum profectuum facere cupient periculum, minime deerit.
Pax fortasse brevi, pax iterum nitens
Tristis discutiet nubila temporis.
Instat Sol novus imbri
Ver brumae, tenebris dies.49
Die schwerste Zeit für Withof, aber auch für Duisburg war die Zeit des Siebenjährigen Krieges. Duisburg war fast durchgehend von 1756 bis 1763 durch französische Truppen besetzt mit allen Misshelligkeiten, Einquartierungen, Hunger und Krankheiten, die eine solche Kriegsaktion mit sich bringt. Hohe Kontributionen waren zu leisten. Ein Kollege von Withof, Prof. von Eichmann wurde sogar für 2 Wochen inhaftiert, verbunden mit einer persönlichen Bewachung, die keinen Schritt von ihm wich und sogar in seinem Bett mit ihm zusammen schlafen musste. Es ist kein Wunder, wenn in dieser Zeit der Universitätsbetrieb fast zum erliegen kam. Withof hielt stand, besonders während seines Doppelrektorats 1756 und 1757. Aber ohne Folgen blieben diese schweren Zeiten nicht. Withofs Ehefrau starb kurz nach dem Krieg 1765. Sie hatte sich von Krankheit und Hunger nicht mehr erholt.50
Ein weiteres Aufgabengebiet, welches Withof über viele Jahre beanspruchte, war die Redaktion des wissenschaftlichen Teils der Duisburger Adresse- und Intelligenz-Zettel. Diese Intelligenz-Zettel oder -Blätter waren periodisch - im Falle Duisburg wöchentlich51 - erscheinende Zeitungen. Sie dienten dazu Einsicht zu nehmen (intellegere) in den ökonomischen Warenverkehr, Angebot und Nachfrage von Waren allen Interessierten zu vermitteln. Hervorgegangen waren sie zum Teil aus Intelligenz-Büros des 17. Jahrhunderts, so z. b. dem 1630 gegründeten Bureau d´adresse et de rencontre in Paris oder dem 1637 in London eröffneten Office of Intelligence.52 Zum andern Teil wurde dem Drang nach Information auf öffentlichen Befehl nachgekommen, wie dies im Königreich Preußen geschehen. Das Intelligenz-Wesen hatte seinen Höhepunkt im 18. Jahrhundert und in rascher Folge entstanden über 400 dieser Blätter in fast allen Städten Deutschlands.53 Sie waren Zeichen der Volksbildung, ja der Volksaufklärung. Denn es war inzwischen allgemein bekannt geworden, und die Menschen fühlten es, dass in einem Zeitalter des Merkantilismus eine Förderung des Staates ohne Bildung des Einzelnen nicht möglich sei. Zedler schreibt es hervorragend in seinem Lexikon von 1736, einem Artikel über Ökonomische Zeitungen: „Denn ein Mensch muß, so lange er lebt, in Erkenntnis der Wahrheit zu seiner Glückseligkeit teils durch Erfahrung, welches entweder die eigene oder fremde ist, teils durch Nachdenken lernen, sonst wird er bald in diesem oder jenem Stücke, sonderlich in der Gesellschaft der Menschen, die neben ihm sind, und immer weiter kommen, ein Ignorant, und sich sowohl als andern unnütze werden.
Zu der Erfahrung aber gehören diese gesellschaftlichen Nachrichten, unter andern Mitteln. Denn sonst dienen das Reisen, die Korrespondenz, die Konversation, die Besuchung öffentlicher Örter, ganze Journale, die Geschichtsbücher, ja endlich allerhand andere Mittel, wodurch man etwas bekannt machet, z. B. öffentliche Tafeln zum Anschlagen, die man Intelligenz-Tafeln nennen kann, Ausrufer, Zeichen etc. dazu, derer man sich bedienen muss. Und eben deswegen ist dann auch nicht zu tadeln, dass ein Wirth (Kaufmann) Zeitungen lese und halte, sondern vielmehr zu raten.“ 54
So erließ Friedrich Wilhelm der I. am 6. Januar 1727 einen Befehl an das Hof- und Kammergericht, das Kriegs, Hof- und Kriminalgericht, sowie den Berliner Magistrat zu Errichtung eines Intelligenzwerkes für Berlin und kurze Zeit später erweiterte er dies auf sein ganzes Königreich. Die Clevische Kriegs- und Domänenkammer begann sofort mit den nötigen Vorbereitungen und an 28. April 1727 erging eine Anordnung an alle königlichen Beamten über die künftig erscheinenden Intelligenz-Zettel in Duisburg.
„Praeliminar-Bericht / von dem unter Sr. Königl. Majestät in Preussen / Unsers allergnädigsten Herrn etc. Höchsten Approbation / auf Dero specialen Befehl in hiesigen Clevischen so wol als anderen Dero Landen und Provinzen zum dienst des Publici / und aufnehmen der Commercien Eingeführten gemeinen Nützlichen Intelligentz-Werk / Und darzu in Dero Stadt Duisburg Wöchentlich durch den Druck publicierenden Addresse- und Intelligentz-Zetteln.
Duisburg / druckts Johannes Sas / Universitäts Buchdrucker / Im Jahr 1727.
Es ist bereits durch die Erfahrung bestärcket / was vor ein Nutze einem Lande dadurch erwachse / wann nach dem Exempel anderer großen Residentz- auch Kauff- und Handels-Städte / publique Address-Häuser oder Intelligentz-Wercke aufgerichtet / und darauf gewisse Personen bestellet werden / bei welchen man über alles dasjenige / was das Publicum und die Commercien auf einigerley weise interessieren mag / als bey Einem gemeinen Stadt und Landes Comtoir, sein Verlangen und Anbringen melden / in ein gewisses Journal notieren / und zu jedermänniglichen Wissenschafft kund machen / auch darauf hinwiederum seine Antwort oder Intention erhalten / und so leichter mühe Addresse und Chalandise geben und machen kann: zumahlen durch dieses Mittel der menschlichen Societät Hülfe und Rath geschaffet/ die Commercien rege gemacht / allerhandt verkehrung in Kauff und Verkauffen / auch sonst Handel und Wandel überhaupt facilieret, insbesondere denen Kauff- und Handwercks-Leuten / welche Waren liegen / oder ein Stück Arbeit fertig haben / der Verkauf und Debit befordert. Denen die kapitalien auszuleihen / oder etwas zu lehnen benötiget / forts die ihre Profession, Dienst oder Arbeit anbieten / oder darum Nachsuchung thun / darzu Gelegenheit an die Hand gegeben, allerhand Subhastationen / Auctionen / Pfacht und Verzinsungen zu jedermanns Wissenschaft kund gethan, Verlust und Diebstahl / soviel es nur thunlich / entdecket, Reise und Schiffart / Fracht und Ladung zu Wasser und zu Lande befordert / in Summa ein jeder nach Nothdurfft und Verlangen gedienet / und darüber allerley nützliche Avertissements und Nachrichten communicirt und mitgeteilet werden....
Obgedachte wöchentliche Addresse und Intelligentz-Zettel sollen forthan vom Monat Majo ihren Anfang nehmen / und folgendes alle Dienstage gegen Mittag auf einen halben Bogen herausgegeben / und nach dem Exempel der Berlinischen / unter jedem Articul gehörige Sachen / und interessante Materien auf jedermanns Verlangen und Angehen darinnen gesetzet werden55...“
Damit war eigentlich schon der ganze Inhalt der Zeitung bestimmt. Es waren staatliche Anzeigenblätter mit amtlichen Bekanntmachungen, Nachrichten und Berichten für Handel, Handwerk und Landwirtschaft, sowie gewerblichen und privaten Anzeigen56. Sie wurde bis 1749 bei der Universitätsdruckerei des Alexander Sas gedruckt, dessen Vater sie 1664 von dem Theologieprofessor Samuel von Diest gekauft hatte.57 Das Format der Intelligenz-Zettel entsprach etwa 8vo, in dem mir im Original vorliegenden Zettel von 1793 16 X 19 cm. Der Umfang wird 8 Seiten nicht überstiegen haben.
Am 13. Mai 1727 erschien die erste Nummer, deren voll ausgebildeter Titel ab 1729 bis 1761 folgendermaßen lautete:
Wöchentliche Duisburgische
Auf das Interesse der Commercien/der
Clevischen/Geldrischen/Moers- und Märckischen/ auch umliegenden
Landes Orten/ eingerichtete
Addresse- und Intelligentz - Zettel.
Woraus zu ersehen:
Was an beweg- und unbeweglichen Gütern zu kauffen und verkauffen/
imgleichen
was für Sachen zu verleyhen/zu lehnen/ zu verspielen und zu verpachten vorkommen/ verlohren/ gefunden oder gestohlen worden; Sodann Personen welche Geld lehnen oder ausleyhen wollen/ Bedienung und Arbeit suchen/ oder zu vergeben haben; Erfindungen in Sachen und Meinungen/ neuen Büchern/ Schriften und Collegien, auch andern neuen Anstalten/ Citationen der Creditoren; Verfolgung entwichenen und von inhaftierten Personen und deren Verbrechen; von angekommenen Fremden und Copulierten/ zu Cleve/ Wesel und Duisburg/ wöchentlichen Korn-Preise/ Bier- Brod- und Fleischtaxe; auch andere dem Publico zur nützlichen Nachricht dienende Sachen.58
Warum die Zeitung nun gerade in Duisburg verlegt wurde59 und nicht in der Hauptstadt Cleve, scheint durch die Anwesenheit der Universität, ihrer geographische Lage und der aufstrebenden Börtschifffahrt60 hinreichend erklärt. Zwar als regionale Zeitung konzipiert, so waren die Intelligenz-Zettel doch für das ganze Herzogtum maßgebend und es bestand ein Abnahmezwang für alle Behörden, Ärzte, Juristen, Adelige Personen, Apotheker, Gastwirte, Zünfte, Innungen und Juden, eine Maßnahme, die der Entwicklung der Zeitung sehr hinderlich war. Auf alle möglichen Weisen versuchten sich Personen und Behörden dieser Zwangsmaßnahme zu entziehen, ein Jahresabonnement kostete etwa 1 Taler.616263