Die Namen der Personen in diesem Buch sind größtenteils frei erfunden, mit Ausnahmen unserer, dem Namen des Kapitäns und einiger Besatzungmitglieder. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Für die abgedruckten Fotos liegen Genehmigungen zur Veröffentlichung vor oder sie stammen aus dem persönlichen Besitz des Autors.
Titelfoto und Bild auf Seite → mit freundlicher Genehmigung der Reederei Laeisz
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie: detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter: http://dnb.de abrufbar.
ISBN 9-783738-662252
© 2009 Klaus Otersen, Hamburg
email: citymediahamburg@aol.com
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Achtzehn Jahre sind vergangen, seitdem ich das letzte Mal einen Fuß auf das Deck eines Frachtschiffes gesetzt habe, und ich kann es immer noch nicht fassen dass ich wieder an Bord bin. Nach fünfundvierzig Jahren aus dem Seemannsberuf raus mal wieder auf einem seegängigen Schiff unterwegs zu sein, das war ein Traum von mir. Als erstes fällt mir auf, dass ich der Seemannssprache nicht mehr fähig bin, viele Ausdrücke hab ich bereits wieder vergessen. Was ist achtern? Wo ist die Back? Ist Steuerbord nun rechts oder links, und was bedeutet Klüse?
Immerhin kann die „Paradise N“ gleich mit einer ganzen Reihe von Superlativen aufwarten: es ist das zur Zeit größte Frachtschiff Deutschlands, ein wahrer Koloss, ein Bulkcarrier oder Erzfrachter, und mit über dreihundertzwanzigtausend Ladungstonnen das weltweit größte Schiff überhaupt, das Passagiere mitnimmt. Mit einer Breite von fast sechzig Metern passt es weder durch den Suez- noch durch den Panamakanal, auch nicht durch den Nord-Ostsee-Kanal. Durch den enormen Tiefgang von dreiundzwanzig Metern kann es zudem nur wenige europäische Häfen anlaufen. Hamburg gehört nicht dazu, außer die Paradise fährt leer oder ins Trockendock. Ein Schiff: so lang und hoch wie eine ganze Häuserzeile, und breit wie eine Autobahn.
Das Besondere an dieser Reise ist, dass ich dieses Mal nicht als Seemann und auch nicht alleine fahre. Eine hübsche, sympathische Dame begleitet mich auf dem Trip über den Atlantik.
Edith habe ich kurz zuvor über das Internet kennen gelernt. Nach nur wenigen Wochen Mail-Austausch lud ich sie spontan ein, mich auf meiner Fahrt nach Südamerika zu begleiten. Ich wollte eine Reportage über eine Reise auf einem Frachtschiff machen. Nun ist es ja so, dass man natürlich jemanden braucht, den man an Bord mit der Kamera begleiten und über seine Erlebnisse auf einer solchen Fahrt erzählen lassen kann, jemand der sich auch filmen läßt.
Im weiteren Verlauf dieser Reise entwickelte sich das Ganze dann allerdings in eine völlig unvorhergesehene, nicht desto trotz willkommene Richtung. Gleiches Alter und gleiche Interessen, gepaart mit Abenteuerlust, mündeten in eine Romanze. Kurz gesagt: wir verliebten uns ineinander. Kann eine Reise jemals schöner zu Ende gehen?
Mit diesem Buch möchten wir unsere Leser an unseren Erlebnissen teilhaben lassen. Sie werden erstaunt sein. Reichen Sie uns Ihre Hand, und begleiten Sie uns in Gedanken auf unsere Fahrt von Italien nach Brasilien.
„Aus welcher Richtung kommt eigentlich der Zug“?
Eine an und für sich harmlose Frage, so ganz nebenbei gestellt, aus reiner Neugier, aber ich versichere Ihnen, liebe Leser, ohne diese beiläufig gestellte Frage könnten Sie heute dieses Buch nicht lesen. Mehr noch: es wäre gar nicht geschrieben worden.
Wir stehen im abgelegenen bayrischen Flintsbach auf dem kleinen Bahnsteig. Es ist ein Durchgangsbahnhof, oder eher noch eine einfache Haltestelle zum Ein- und Aussteigen, ohne eigene Bahnhofsgebäude, sieht man von dem unscheinbaren Unterstand zwischen den Gleisen und einem zurzeit leeren Parkplatz ab. Mehrere große Koffer und Gepäckstücke stapeln sich vor und neben uns. Trotz der frühen Stunde, es ist gerade mal neun, schickt die Sonne schon angenehm wärmende Strahlen vom blauen Himmel. Ein herrlicher Tag.
Ich bin das erste Mal in meinem Leben in Flintsbach, kenne mich hier nicht aus, weiß nicht mal wo Nord oder Süd ist. Daher auch meine eingangs erwähnte Frage: „Aus welcher Richtung kommt eigentlich der Zug?“
Die Reaktion fällt völlig unerwartet aus. Edith schreckt wie von der Tarantel gestochen hoch, wird blass und sagt: „Wir stehen auf der falschen Seite. Wir müssen über die Gleise auf den anderen Bahnsteig!“
Ich schaue sie etwas ungläubig an. „Auf die andere Seite? Mit dem ganzen Gepäck über die Schienen?“ Jeden Moment kann der Zug eintreffen. Sie nickt: „Ja, wir wollen ja in Richtung Österreich, aber hier geht es nach Norden.“
Egal, wir haben keine Zeit zum Überlegen. Die normale Überführung, eine kleine Sraßenbrücke, ist gut hundert Meter entfernt und nicht mehr zu schaffen. Kurz entschlossen springe ich mit zwei Koffern ins Gleisbett und wuchte sie auf der anderen Seite über die Bahnsteigkante. Ein zweites Mal muss ich die Seite wechseln, weil Ediths Koffer zu schwer sind. Ich komme ins Schwitzen. Just in dem Augenblick, als ich das letzte Gepäckstück auf den Bahnsteig hieve, kommt auch schon der Zug aus der Kurve herangefahren. Ob der Lokführer uns noch gesehen hat? Sicherlich gibt es hier überall Kameras…
Es scheint nicht so. Zwei Minuten später sitzen wir im bereits rollenden Abteil. Das war wirklich äußerst knapp. Beinahe wäre alles zu Ende gewesen: das Umsteigen in Kufstein in den ICE nach Bologna, den Express von dort über Rom nach Bari und schließlich den Anschlusszug nach Taranto, wo schon die „Paradise N“ auf uns wartet. Die Reise wäre zu Ende gewesen, bevor sie richtig begann, denn ein Frachtschiff wartet nicht auf seine Passagiere, und mit einem drauffolgenden Zug wären wir infolge der zahlreichen Verbindungen zu spät gekommen.
Die nächsten Wochen können ja heiter werden, denke ich, wenn das Abenteuer schon vor der eigentlichen Abfahrt beginnt. Ich ahne nicht, wie sehr ich damit Recht behalten soll.
Vielleicht sollten wir uns erst einmal kurz vorstellen?
Edith Schulten ist eine lebenslustige Frau, 1949 in Köln geboren und aufgewachsen in Nordrhein-Westfalen. Mit vierzehn Jahren ergriff sie den Friseurberuf, übersiedelte 1969 nach Bayern wo sie heiratete. „Ich habe zwei Kinder. Seit dem Tod meines Mannes habe ich keine weiteren Verpflichtungen mehr. Meine Interessen verlagerten sich zunehmend aufs Reisen“. Ihre Augen leuchten während sie erzählt. „Als ich über einen Internet-Kontakt das Angebot bekam, zwecks einer Fernsehreportage kostenlos auf Deutschlands größtem Frachtschiff mit nach Brasilien zu reisen, konnte ich nicht widerstehen. Jetzt bin ich also unterwegs nach Taranto zur „Paradise N“. Ich bin noch nie auf einem Frachter gewesen und von daher natürlich sehr aufgeregt“.
Ich, Klaus Otersen, bin derjenige, der alles geplant, arrangiert und organisiert hat und der nun dieses Buch schreibt. Ich kam 1949 in Villingen, im schönen Schwarzwald auf die Welt, also im gleichen Jahrgang wie Edith. Mit nur sechs Monaten fiel ich, bestimmt schon damals aus Abenteuerlust, aus dem Kinderwagen; wahrscheinlich steckte da schon der Reisetrieb in mir. Nach diversen Umzügen mit meinen Eltern in immer neue Umgebungen, zuletzt nach Tellingstedt in Schleswig-Holstein, verließ ich mit sechzehn Jahren die Schule und heuerte auf der MS „Hilda Wesch“ an, meinem ersten Schiff. Ich absolvierte eine Ausbildung zum Matrosen, aber nach nur fünf Jahren hängte ich die Seefahrerei meiner ersten richtigen Freundin zuliebe schon wieder an den berühmten Nagel. Meine Reiselust ließ mich jedoch nicht mehr los, und so startete ich nach einer enttäuschenden Liebschaft 1971 zu einer knapp zehnjährigen Fahrradreise durch ganz Europa, den Vorderen Orient und Nordafrika. Darüber gibt es ein anderes Buch von mir: vier Jahre mit dem Tandem durch Europa, mit über vierhundert Seiten und zahlreichen Bildern.
Nach meiner Rückkehr Ende 1980 nach Deutschland ließ ich mich in Hamburg nieder, pflegte mein Hobby Musik und baute mir so nach und nach ein Tonstudio auf. Mitte der neunziger Jahre wandelte ich es in ein Videostudio um. Seither arbeite ich als Kameramann an diversen Firmenporträts, Musikclips und in den letzten Jahren verstärkt an Reisereportagen. Der geplante (und inzwischen fertig gestellte) Film über die vor uns liegende Frachtschiffsreise, und dazu begleitend das vorliegende Buch, bilden mein bisher größtes Projekt, zumal in kompletter Eigenregie.
Am zehnten August 2006 erreichen wir nach gut zweitausend Kilometern, oder eineinhalb Tagen Zugfahrt, morgens um halb eins die süditalienische Hafenstadt Bari. Wir sind müde, aber glücklich, aufgeregt und neugierig auf das vor uns Liegende, und das alles gleichzeitig. Jetzt liegt nur noch die einstündige Fahrt nach Taranto vor uns. Trotz der späten Stunde ist es noch ziemlich warm als wir in Taranto eintreffen. In der verwinkelten Schalterhalle schlafen einige Hippies auf den hölzernen Bänken, ansonsten zeigt sich kein Leben. Leider öffnet die Agentur, bei der wir uns wegen der Einschiffung melden sollen, erst um acht, so dass wir gut sechs Stunden Wartezeit vor uns haben. Gern würden wir für diese Zeit in ein Hotel gehen, um uns ein wenig von der langen Fahrt zu erholen. Mit dem umfangreichen Gepäck möchten wir nicht hier in der Halle schlafen. Weit und breit ist jedoch kein Taxi in Sicht, und mit den vielen Koffern zu Fuß auf Hotelsuche zu gehen: unmöglich!