© 2015 Tanja Kraus
Illustration der Eule: © mishkom/istockphoto
Illustration des Coverhintergrunds: © DavidMSchrader/istockphoto
Korrektorat: Katja Wetzel
ISBN 978-3-7392-5810-2
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
Für alle Kinder des Lichts,
in allumfassender
Liebe und Verbundenheit
unserer ewigen Natur.
„Hm, ist das heute wieder langweilig“, seufzte die kleine Fee Amy, die wie jeden Mittag in Mimis samtweicher Blüte saß und widerwillig den Feenstaub aus ihren hauchdünnen Flügelchen bürstete. Das reflektierende Licht der tief am Horizont stehenden Sonne ließ die Oberfläche ihrer Feenflügel wunderschön wie schillernde Opale glitzern, was Amy in ihrer missmutigen Stimmung gar nicht bemerkte. „Wieder einmal nichts los hier! Alles ist wie gestern und auch vorgestern. Und wenn nicht endlich irgendetwas Aufregendes hier geschieht, wird mein Leben auch morgen, übermorgen und über übermorgen noch genauso langweilig sein wie jetzt!“, klagte die kleine Fee unglücklich.
„Also, wenn ich beim Fliegen nur nicht mehr so viel Feenstaub verlieren würde, dann müsste ich meine Flügelchen auch nicht mehr jeden Tag abnehmen, um sie zu putzen! Ja, warum muss man Flügel eigentlich ständig polieren bis sie glänzen? Schließlich sind sie doch zum Fliegen da – oder etwa nicht?“, wütete der angestaute Ärger in Amys Innerem weiter. „Ach, und wenn schon, was würde ich denn sonst noch den ganzen lieben langen Tag über tun, neben meiner Aufgabe, mich um Mimi meine Blume zu kümmern, in endlosen Tagträumen das zu erleben, was ich mir wirklich wünsche und hier und da ein wenig herumzufliegen, um ein Schwätzchen zu halten?“, lachte die kleine Fee bitter auf.
„Guten Tag, Frau Spinne, wie geht es Ihnen heute? Oh, Ihr Netz ist Ihnen ja wieder ganz besonders schön gelungen. Herr Specht, Frau Meise stets zu Ihren Diensten. Wie geht es denn den Kindern und Ihrer Gesundheit? Nein, jetzt ist endgültig Schluss mit diesem tristen Dasein!“, schüttelte Amy entschieden ihren blonden Lockenkopf. „Das ist noch lange nicht alles in meinem Feenleben gewesen! Klar bin ich gerne mit meiner Familie und meinen Freunden zusammen, doch sie verstehen einfach nicht, dass es da draußen etwas für mich zu tun gibt! Etwas, das größer ist als ich ruft tief in mir nach Entfaltung, doch ich weiß nicht, wie und was ich anstellen soll, um meine Gaben wohlbringend in dieser Welt zum Ausdruck zu bringen. Hier, wo ich bin, werden meine Fähigkeiten doch gar nicht gebraucht. Wenn das so weitergeht ersticke ich noch an dieser begrenzenden Enge der Alltäglichkeit“, brach nun die pure Verzweiflung aus der kleinen Fee hervor.
Niemand in Amys Umgebung konnte sich ihr rastloses, unruhiges Wesen erklären, geschweige denn ihre eigenwilligen Gedanken und Wünsche verstehen. Es war unüblich für eine Blumenfee über sich und die Welt nachzugrübeln, ungestüm aufzubrausen und scheinbar endlos in Tagträumen oder melancholischen Stimmungen zu versinken. Feen ihrer Gattung galten in der Regel als unbekümmerte, verspielte Geschöpfe, die sich mit aller Hingabe liebevoll der Obhut der Lebewesen widmeten, die sie mit ihren ureigenen Fähigkeiten bestmöglich bedingten. Allerdings wandelte sich diese herzliche Offenheit, sobald ihnen Ungerechtigkeit begegnete. Denn die Verletzung eines Geschöpfes der Natur verstanden weder Feen, noch andere Elementare als Spaß.
Ohne Flügel wirkte Amys zierliche Gestalt geradezu zerbrechlich. Das blond gelockte, schulterlange Haar umspielte sanft ihre feinen Gesichtszüge. Dennoch waren es ihre klaren, offen dreinblickenden, blauen Augen, deren Güte eine magische Anziehungskraft verströmte. Seit ihrer Geburt umfing Amy der goldene Schimmer der Weisheit, der je nach Gemütslage mal heller mal schwächer um ihren Körper herum zu erkennen war. Denn trotz dem Schatz an Weisheit, über den die kleine Fee völlig natürlich verfügte, galt es für sie zu lernen, ihr ungestümes Temperament in bewusstem Einklang mit ihrem gesamtem Wesen beständig ausbalancieren zu lernen, um sich in dieser Welt dienlich zum Ausdruck bringen zu können.
Wie allen Feen war es auch Amy möglich intuitiv das gesamte Wesen eines Geschöpfes zu erfassen. Doch die Fähigkeit mit vereintem Herz im Geist und Herzen eines anderen, wie in einem offenen Buch zu lesen, gleichgültig ob sich dieses, unmittelbar vor oder aber meilenweit entfernt von ihr befand, brachte eine bedeutsame Verantwortung mit sich. Denn dem feinfühligen Gespür der kleinen Fee offenbarten sich natürlich nicht nur die Freuden und das Glück der Anderen, sondern ebenso deren verborgene Sorgen und körperliche Leiden. Und genau aus diesem allumfassenden Verständnis war in Amy tiefes, aufrichtiges Mitgefühl erwachsen, das eine schier unstillbare Sehnsucht in ihrem Herzen entfacht hatte, hinaus in die weite Welt zu ziehen, um anderen mit ihren natürlichen Fähigkeiten auf ihrem Wege behilflich zu sein. Denn seit sie denken konnte träumte die kleine Fee von einer friedvoll vereinten Welt.
„Na endlich, gleich habe ich es geschafft“, lächelte Amy erleichtert und begann vor Freude zu singen:
Ich bin die kleine
Blumenfee
die spüren kann
der Herzen weh
geboren bin ich
um zu helfen
nicht nur zum Tanzen
mit den Elfen.
Hab Träume weiter
wie das Meer
und Sehnsucht die
mich treibt umher
entdecken möcht
ich diese Welt
die Erde und das
Himmelszelt.
Ich möchte neue
Wege finden
und dabei Grenzen
überwinden
die Menschen haben
mich berührt
ich wünscht es mich
zu ihnen führt.
Amys stete, universelle Verbundenheit mit ihrem reingeistigen Wesen ließ sie die Welt transzendent in ihrer ursprünglichen Gesamtheit erfassen. Diese Wahrnehmung war etwas Kostbares und nicht nur für sie alleine da, das wusste die kleine Fee ganz genau. Und da niemand in ihrer Umgebung von ihren inneren Schätzen Notiz nahm, bestärkte sie gerade diese äußerlich erfahrene Ignoranz, der Weisheit ihres Herzens vollkommen zu vertrauen, auch wenn dies für sie bedeutete, ihr wohlbehütetes Leben gänzlich hinter sich zu lassen.
„Also muss ich doch an einem anderen Ort gebraucht werden. Denn sonst wäre ich doch nicht so wie ich bin“, schweiften Amys Gedanken erneut in die ferne Welt der Menschenkinder, die sie magisch anzog, gleichwohl sie diese nur aus ihren Träumen kannte.
Wenn Amy nicht gerade von einer besseren Welt träumte, flog sie in ihrer Fantasie am liebsten hinaus in die endlose Weite des offenen Meers. Jauchzend vor Glück stürzte sie sich in die tosende Brandung, auf deren Wellen sie sich sorglos von einer zur Nächsten treiben ließ. Immer weiter und weiter schaukelte sie das Wasser, bis am Ende Himmel und Meer untrennbar zu einer einzigen Einheit miteinander verschmolzen. Die kleine Fee liebte die dunkle, geheimnisvolle Tiefe und Wildheit des Wassers wie auch dessen gegenteilige Stille und Klarheit, deren kraftvoller Sanftmut selbst das härteste Gestein, auf Dauer nicht widerstehen konnte.
Zurück in ihrem alltäglichen Leben tanzte Amy, anstatt über das Meer, leidenschaftlich gerne über die Oberfläche des kleinen Baches, der sich in unmittelbarer Nähe ihrer Blume Mimi, die sie aufrichtig liebte, befand. Wenn sie nicht gerade mit ihren Freunden gemeinsam am Ufer saß, wo sie sich ausgelassen die neuesten Geschichten erzählten, versteckte sich die kleine Fee gerne im weichen, grünen Moos am Ufer der Böschung, von wo aus sie neugierig den Erzählungen der stetig vorüberplätschernden Wassertropfen lauschte. Denn da es für Amy völlig natürlich war, bewusst vereint mit ihrem Verstand und Herzen zu denken und zu fühlen, wusste sie ebenso das Murmeln des Wassers, das Rauschen der Luft, die allgegenwärtige Weisheit des Lichts, das Knistern der Flammen und das nährende Pulsieren der Erde mit spielerischer Leichtigkeit zu deuten.
Wohlig behütet in den Armen von Mutter Natur sehnte sich Amy danach, die vielen Wunder dieser Erde zu entdecken. Erleuchtend sollten sie die hellsten Strahlen der Sonne zu ihrem wahren Bestimmungsort führen. Mit dem Äther als kosmischem Kompass würde die erneuernde, lebenspendende Kraft des Feuers ihren Weg ebenen, dessen Herausforderungen sie mit allen Aspekten der Liebe, ihrem offenen Mitgefühl, unbändiger Freude, einem starken Willen, Geduld, Glaube, Vertrauen, spielerischer Leichtigkeit und Ausdauer begegnen wollte. Vom Wandel bringenden Wind getragen und vertrauensvoll von der Weisheit des Wassers geleitet würde sie furchtlos ihrem Herzen in ferne Länder und Welten folgen. „Ja, so würde es sein“, lächelte die kleine Fee zufrieden in sich hinein.
So manches Mal kam wegen Amys Tagträumerei sogar die Pflege ihrer Blume ein wenig zu kurz. Doch Mimi war freundlich und bescheiden. Niemals hatte sie sich über die kleine Fee beklagt, ganz im Gegenteil freute sie sich stets auf die neuesten, spannenden Abenteuer, die ihre einmalige Hüterin so lebhaft erzählte als wären sie tatsächlich geschehen. Denn im Träumen und Erzählen fand Amy einen wohltuenden Ausgleich ihrer mangelnden Ausdrucksmöglichkeiten. „Wir sind schon ein tolles Team, meine Blume und ich. Und als Blumenfee für eine Blume zu sorgen ist wirklich eine schöne Aufgabe, die mir obendrein genug Freiheit lässt, das zu tun, wonach mir gerade der Sinn steht“, strich Amy liebevoll über Mimis samtweichen, goldgelben Blütenkelch.
„Ein spannendes Abenteuer erleben, das wäre jetzt was! Doch wie sollte sich hier jemals etwas ändern?“, kehrte augenblicklich Amys rastloser Unmut zurück. Zum einen trug sie ja auch Verantwortung für Mimi und wie sollte sie überhaupt jemals in die fremde Welt der Menschenkinder gelangen? Denn außer in ihren Tagträumen war ihr noch niemals leibhaftig ein menschliches Wesen begegnet. „Wo verstecken sie sich nur? Schließlich leben wir doch alle auf der gleichen Erde, oder etwa nicht?“, sprang Amy mit klopfenden Herzen auf, während das ruhelose Gefühl, nicht das zu tun, wofür sie wahrhaft bestimmt war, erneut mit ganzer Kraft von ihr Besitz ergriff.
„Wer bist du und was willst du von mir?“, schrie die kleine Fee hilflos in die friedvolle Stille des strahlend blauen Sommerhimmels hinaus. „Du da oben hast doch die ganze Welt erschaffen, oder bist du vielleicht gerade hier unten? Ach nein, du bist ja überall“, rollte Amy kopfschüttelnd ihre Augen. „Eigentlich ist es ja auch egal, wo du gerade bist, denn verstehen kannst du mich doch sowieso immer. Also, weißt du was? Ich habe diese ewige Warterei endgültig satt! Wenn du wirklich so mächtig bist kannst du ja wohl auch dafür sorgen, dass ich das Abenteuer, meine Bestimmung zu finden, jetzt endlich auch erleben darf, oder ist das etwa zu viel verlangt? Ich jedenfalls bin für alles bereit“, rief die kleine Fee im Brustton der Überzeugung.
D och anstelle einer Antwort, hörte Amy nur das Surren einer dicken Hummel, die unbeirrt von ihrem Gezeter an ihr vorüber brummte. „Wie immer“, schnaubte die kleine Fee ungehalten. „Um alles muss man sich selbst kümmern!“, stampfte sie blindlings mit dem Fuß auf. „Autsch“, ertönte Mimis quietschendes Stimmchen. „Oh, tut mir leid, Mimi, du kannst ja auch nichts dafür! Das war gedankenlos, bitte verzeih mir“, stammelte Amy erschrocken. Und wie immer, wenn die Unzufriedenheit der kleinen Fee ihren absoluten Höhepunkt erreichte, zog sie sich in sich zurück. „Komm, lass uns träumen, Mimi! Das bringt uns wieder auf andere Gedanken. Es ist zwar nicht dasselbe wie echte Abenteuer erleben, aber immer noch besser als sich zu ärgern und dabei gedankenloses Unheil anzurichten“, zuckte Amy ergeben mit ihren Schultern, bevor sie sich rücklings in die weiche Mitte Mimis weit geöffneter, strahlend gelber Blüte fallen ließ und augenblicklich in ihren inneren Bildern versank.
„Hey, was ist denn das für ein Geschrei hier?“, piepste es plötzlich von unten. „Genau! Randale während der Mittagszeit! Das kann nur eine sein!“, riss Amy das fröhliche Tschilpen ihrer besten Freunde jäh aus ihrer inneren Welt. „Emma, Fritz, wo kommt ihr denn auf einmal her?“, linste die kleine Fee freudig überrascht zwischen den samtigen Blütenblättern hindurch und ertappte Emma, das kleine Rotkehlchen und Fritz, den kleinen, schwarzen Amselrich geradewegs dabei, wie diese leise mit Mimi tuschelten. „Hey, habt ihr drei etwa Geheimnisse vor mir?“, fragte die kleine Fee neugierig. „Wer weiß das schon?“, zwitscherte Emma unbekümmert, während sich Fritz und Mimi einen heimlichen Blick zuwarfen.
„Zieh deine Flügelchen an und komm mit uns. Hanne wartet schon mit Flossi unten am Fluss“, tschilpte der kleine, schwarze Amselrich vergnügt. „Das würde ich ja gerne, aber das geht jetzt nicht. Ich muss erst noch Mimis Blätter kitzeln, damit sie weiter so schön wachsen kann“, antwortete Amy – ganz die pflichtbewusste Blumenfee. „Geh schon, Amy, mach dir um mich keine Sorgen! Ich komme schon zurecht! Und versprich mir bitte immer daran zu denken“, antwortete die sonnengelbe Blüte liebevoll. „Okay, Mimi, dann holen wir das eben später nach“, streifte sich die kleine Fee hastig ihre Feenflügel über, wobei ihr der bedeutungsvolle Ton in Mimis Stimme völlig entging. Mit den Gedanken bereits am Flussufer spreizte Amy ihre Flügel, küsste beschwingt Mimis Blüte und schwebte anmutig zu ihren Freunden hinab.
„Toll, dass ihr da seid“, strahlte Amy über das ganze Gesicht. „Ich hatte schon wieder richtig schlechte Laune, weil ich so verzweifelt war“, gab die kleine Fee offen zu. „Was glaubst du eigentlich, warum wir hier sind? Das haben wir sogar bis in den Wald gehört. Und darum helfen beste Freunde immer!“, plusterte das kleine Rotkehlchen ihr feuerrotes Brustgefieder auf. „Komm, lasst uns losfliegen. Wir haben nämlich eine Krisensitzung einberufen“, piepste der kleine, schwarze Amselrich mit ernster Miene. „Eine Krisensitzung wer, wie, wo, was ist denn los?“, zog die kleine Fee verständnislos ihre Augenbrauen zusammen, wobei sich eine nachdenkliche Falte auf ihrer Stirn bildete.
„Weißt du etwas darüber, Mimi?“, strich Amy zärtlich über eines ihrer samtweichen, gelben Blätter. „Du bist ja immer noch da, Amy! Willst du hier etwa Wurzeln schlagen genau wie ich?“, neckte sie ihr Zögling, anstelle ihre Frage zu beantworten. „Flieg los, kleine Fee und finde es heraus. Und versprich mir erst dann wiederzukommen, wenn es etwas Aufregendes zu erzählen gibt“, bog Mimi ihren goldenen Blütenkelch unvermittelt nach vorne, wobei ihre zarten Blütenblätter die in der Luft schwebende, kleine Fee sanft umschlangen. „Hey, willst du mich etwa fressen? Das kitzelt, Mimi“, kicherte Amy, worauf diese lachend zurückschwang. „Bis später, Mimi“, rief ihr die kleine Fee ausgelassen zu und ehe es sich die drei versahen nahm sie auch schon Kurs auf ihr Geheimversteck.
„Hey, wo bleibt ihr denn? Ich dachte es gäbe eine Krisensitzung? Macht ihr etwa vorher erst noch ein Mittagsschläfchen?“, tönte Amys Stimme aus der Ferne zu ihnen hinüber. „Flieg schon mal vor, Amy, wir kommen gleich“, tschilpte der kleine, schwarze Amselrich lauthals, worauf die kleine Fee sorglos weiterflog.
„Ihr müsst ihr wirklich helfen, egal wie, liebe Freunde!“, wandte sich die sonnengelbe Blume eindringlich an Fritz und Emma. „So geht das einfach nicht weiter mit ihr. Sie ist so unglücklich, weil sie sich nicht zu helfen weiß. Helft ihr das zu finden, was sie wissen muss, um dorthin zu gelangen, wofür sie bestimmt ist. Ich komme schon zurecht. Bitte macht ihr das deutlich. Isabella, die kleine, rothaarige Fee, die den Weißklee, betreut wird während ihrer Abwesenheit gut für mich sorgen. Amy hat absolut recht, ihr Lieben. Sie hat eine Aufgabe, die sie erfüllen muss, sonst wird sie ihres Lebens nicht froh, das spüre ich mit jeder Faser meines Seins. Helft ihr dabei, ihren Weg zu finden und kehrt erst dann wieder mit meiner großen, kleinen Heldin zurück, wenn die Zeit dafür gekommen ist“, drängte Mimi das kleine Rotkehlchen und den kleinen, schwarzen Amselrich bestimmt zum Aufbruch.
„Versprochen, Mimi. Das machen wir! Wofür sind beste Freunde schließlich da?! Wir gehen gemeinsam mit ihr, egal wohin, das haben wir bereits beschlossen“, nickten Emma und Fritz entschieden. „Und denkt daran, was auch immer geschieht, lasst sie auf keinen Fall wegen mir umkehren, versprochen?“, schwenkte Mimi nachdrücklich ihre wunderschönen, sonnengelben, Blätter in dessen Kelch ihr goldgelber Stempel glänzte. „Wie ihr seht bin ich im besten Zustand und so bleibt es auch. Ich lasse mir doch nicht das spannendste aller Abenteuer meiner einzigartigen, kleinen Hüterin entgehen“, quietschte die herzensgute Blüte mit ihrem hellen Stimmchen.
„Und jetzt fliegt los, damit sie keinen Verdacht schöpft“, beendete die gutmütige Blume ihre Unterhaltung. „Mimi, wir versprechen dir alles in unserer Macht stehende zu tun, um Amy zu helfen. Aber du kennst sie ja selbst am allerbesten. Sie hat nun mal ihren eigenen Kopf, und gegen den ist selbst der stärkste Fels nichts weiter, als ein im Wind schwingender Grashalm“, tschilpte Fritz. „Mach`s gut, Mimi und pass gut auf dich auf“, schmiegten der kleine, schwarze Amselrich und das kleine Rotkehlchen für einen Augenblick ihre Köpfe an Mimis Stängel, die ihnen mit ihren Blütenblättern sanft über die Federn strich, bevor die beiden behände zur Seite hopsten und ohne zurückzublicken wortlos zum Fluss hinunter flogen.
„Was ist denn mit euch passiert? Habt ihr auf dem Weg hierher erst noch ein paar Würmer verspeist? Hanne, Flossi und ich wollten gerade einen Suchtrupp nach euch ausschicken“, schüttelte Amy lachend ihren völlig zerzausten blonden Lockenkopf. „Manchmal dauert es eben länger“, zwinkerte Emma lächelnd ihren gemeinsamen Freunden zu. „Ach ja, was sollte eigentlich das Gefasel von einer Krisensitzung? Wolltet ihr etwa Mimi beeindrucken, damit ich meine tägliche Arbeit noch ein bisschen aufschieben kann?“, kicherte Amy belustigt. „Ihr wisst doch, dass man mit Mimi über alles reden kann. Sie versteht immer alles, diese wundervolle, kluge Blume“, leuchteten Amys Augen voller Liebe und Achtung für das bezaubernde Geschöpf, dessen sie sich freiwillig angenommen hatte.
Währenddessen hatten sich Fritz und Emma direkt neben Amy am Flussufer im weichen, dunkelgrünen Moos niedergelassen. Unmittelbar neben der kleinen Fee kaute die Igelin Hanne genüsslich an einer roten Walderdbeere. „Also, Amy, die Krisensitzung gibt es wirklich und zwar hier und jetzt“, schmatzte die kleine Igelin mit vollen Backen, wobei sie Amy aufmerksam aus ihren leuchtend blauen Augen betrachtete. Auch Flossi, der gelb-orange gestreifte Goldfisch, der seinen Kopf vor ihnen aus dem Wasser streckte, linste mit seinen großen, hellblauen Augen gespannt über den Rand seiner dicken, braunen Hornbrille. Nun waren sie endlich vollzählig versammelt. Die Krisensitzung konnte also beginnen.
„Ähm, die Krisensitzung ist hiermit eröffnet!“, räusperte sich der bebrillte Goldfisch. Wortlos blickte die kleine Fee in die ernst dreinschauenden Gesichter ihrer Freunde. „Ja, Amy, wir haben dich in den letzten Tagen genau beobachtet und sind allesamt zu der Einsicht gelangt, dass es so nicht weitergehen kann“, sagte Flossi ruhig. „Wir verstehen selbst nicht, was dich antreibt etwas zu tun oder zu werden, um du selbst zu sein. Aber ganz gleich, was es auch immer ist, scheint dies für dich und dein Leben so wichtig zu sein, dass wir gemeinsam beschlossen haben, dich auf der herausfordernden Suche nach dir selbst zu begleiten.“
„Genau“, nickte Hanne zustimmend. „Wir wollen dir dabei helfen, dorthin zu gelangen, wo du deine Fähigkeiten wohlbringend entfalten und einbringen kannst, damit du glücklich bist, Amy. Aber da keiner von uns weiß, wie genau das gehen und wo immer das sein könnte, haben wir uns mächtig angestrengt, herauszufinden, wer dir womöglich dabei weiterhelfen könnte“, schmunzelte die kleine Igelin geheimnisvoll.
„Und so sind wir bei unseren Nachforschungen auf Gorki, der Hüterin der Weisheit, die im sagenumwobenen Baum der Wünsche lebt, gestoßen, zu der wir jetzt gemeinsam aufbrechen, Amy. Denn wenn jemand in der Lage ist, dir dabei zu helfen, dass zu finden, wonach du suchst, dann sie“, piepste das kleine Rotkehlchen überzeugt. Sprachlos vor Staunen starrte Amy ihre Freunde an. Dies war wahrlich ein ganz besonderer Moment, denn keiner von ihnen hatte es jemals zuvor erlebt, dass Amy die Worte fehlten. „Wir kommen natürlich mit“, piepste Fritz sofort, um die kleine Fee zu beruhigen. „Und Mimi wird während deiner Abwesenheit von der entzückenden, rothaarigen Fee Isabella, die den Weißklee versorgt, betreut. Es bleiben dir also weder eine Ausrede noch die Wahl“, räumte der kleine, schwarze Amselrich sogleich alle möglichen Ausflüchte beiseite.
„Aha, darum habt ihr also vorhin mit Mimi getuschelt. Es kommt doch immer alles ans Licht“, bedachte die kleine Fee Fritz und Emma mit einem gespielt strengen Blick, worauf sie allesamt in schallendes Gelächter ausbrachen. Aufgeregt sprang die kleine Fee umher und rief:
Von Herzen
seid ihr so geliebt
womit hab ich
euch nur verdient
steht immer helfend
mir zur Seite
doch zieht es euch
auch in die Weite?
Auf keinen Fall
darf einer leiden
oder sich gar
dafür entscheiden
Vertrautes hinter
sich zu lassen
um meinem Wunsch
sich anzupassen.
Verratet mir wo
steht der Baum
der mir erfüllt
den Lebenstraum
ein neuer Anfang
jetzt beginnt
der zeigt mir was
für mich bestimmt.
Nun war Amy nicht mehr zu halten. „Ich bin euch so dankbar, meine lieben Freunde, dass ihr an meiner Seite steht, um mir dabei zu helfen, herauszufinden, was es in diesem Leben für mich zu tun gibt“, stammelte die kleine Fee tief berührt. „Doch ich möchte auf keinen Fall, dass ihr meinetwegen in eine Richtung geht, die nicht auch wirklich euren eigenen Wünschen entspricht. Ich weiß doch, dass diese Menschengeschichte für euch sonderbar ist, dennoch zieht es mich zu ihnen, auch wenn ich nicht erklären kann, warum. Vielleicht wird diese Reise sogar gefährlich, darum habe ich volles Verständnis, wenn ihr alle lieber hier zu Hause bleiben wollt. Und Mimi, ach meine Mimi“, sprudelten die Worte jetzt nur so aus der kleinen Fee hervor.
„Stopp!“, richtete sich Hanne beschwingt ihre Stacheln schüttelnd zu ihrer vollen Größe auf. „Das ist wie immer sehr fürsorglich von dir, Amy, aber bitte sorge dich nicht um uns. Wir alle haben uns aus freiem Willen dazu entschieden, gemeinsam mit dir zu dieser Reise in die Ungewissheit aufzubrechen. Denn auch wir verspüren den inneren Drang herauszufinden, ob es noch etwas anderes für uns zu tun gibt als das zu sein, was wir mit ganzer Natur allgegenwärtig sind“, überraschte Hanne die überwältigte, kleine Fee.
„Wir sind deine Freunde, Amy, und gehen solange an deiner Seite, wie wir einander in unseren Wünschen und Absichten entsprechen. Und sollten sich unsere Wege tatsächlich eines Tages trennen, gibt es keinen Grund traurig zu sein, denn das Leben ist ein fortlaufender Fluss stetiger Veränderung. Und in diesem Sinne sind wir ab jetzt nicht mehr nur deine Freunde, sondern sogar ein richtiges Team“, lächelte ihr die kleine Igelin aufmunternd zu.