Impressum

Dortmunder Schriften zur Kunst

Studien zur Kunstdidaktik | Band 13

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

© 2011 Dortmunder Schriften zur Kunst

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Dortmunder Schriften zur Kunst unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Gestaltung: Oliver Mast, olli@violi.de
Redaktionelle Mitarbeit: Silke Logemann, Katharina Harsdorf
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

Fotos: Elvira Neuendank und andere Projektbeteiligte

ISBN 9783844824704

INHALT

1    Vorwort

2    Konzeptionen

Klaus-Peter Busse | Ortsgeschichten

Rudolf Preuss | Schule: Ankerpunkt der kulturellen Bildung

Kurt Wettengl | Das Projekt U-Westend. die Verbindung von Museum, Region und Stadt

3    Projekte

Regina Selter | Künstlerische Bildung des Museums Ostwall im dortmunder U. die Kunstkurse und das Projekt U-Westend

Barbara Welzel | das Projekt „Stadt Kultur Raum. Vom „Hellweg zur Rheinischen Strasse“

Darija Šimunović | HörgespielInnen – Literatur in transitorischen Räumen. eine Audio-tour in dortmund Westend

Thorsten Schauz, Päivi Kataikko; JAS - Jugend Architektur Stadt e. V. | Reise nach t. | eine Reise in zwei Kulturen

Barbara Hlali | Video „U-Westend – Wir erforschen Welt woanders“ Mapping-Projekt zur Wahrnehmung eines fremden Ortes

Alischa Leutner | Projekt U-Westend

Rosa Fehr-von Ilten | die andere Seite

Bodo Schmidt | „Westend Impressionen“. Ein Projekt des Leibniz-Gymnasiums dortmund International School

Benjamin Vogel | Mapping als Unterrichtsform – Bericht über einen erfolgreich gescheiterten Versuch

Sarah Hübscher, Elvira Neuendank | das sich dynamisch ordnende Archiv | 700 Blicke und die essenz des Chaos

Lisa-Marie Karnagel, Dorothee Tesmer | Das Westend aus der Hundeperspektive Eine künstlerische Umsetzung der Begegnung mit dem Westend

Carolin Marchelek | Ladenbesitzer, 2010

Klaus-Peter Busse | Martin Brand: Scanning Scenes

Anna Schulte | 50 Jahre nachbarschaft – (k)ein Ausstellungs-Projekt

4    Dokumentation

Westend | ein Stadtteil im dortmunder U

Ausstellung | U – Westend, ein Stadtteil im dortmunder U

Inside Westend | Benjamin Vogel | Hauptschule Innenstadt West, 10. Jg.

Mapping U-West | Jutta Nordhausen Winfried Eckervogt | Tremoniaschule Dortmund, 7. Jg.

Westend Impressionen | Bodo Schmidt | Leibnitz-Gymnasium Dortmund, 11. Jg.

Reise nach t. – Eine Reise durch zwei Kulturen | Jugend Architektur Stadt e.V., Tamilisches Bildungs- und Kulturzentrum | Tamilische Jugendliche ab 12 Jahren

U-Westend – wir erforschen die Welt woanders | Barbara Hlali

Mapping-Westend – Von Umwegen, Unorten und Utopien | Silke Bachner und Sabine Gorski

Spurensicherung | Alischa Leutner

Die kleine grüne Insel vor der Tür | Antoniette Bauch | Elsa-Brandström-Grundschule Dortmund

Blickwinkel: Gully en 123 8125 | Chris Mende/JSJK Museum Ostwall, Julius Linnenbrink/FSJK Dietrich-Keuning-Haus und balou e.V.

Das sich dynamisch ordnende Archiv | Sara Hübscher / Elvira Neuendank | Studierende TU Dortmund

Das Westend aus der Hundeperspektive | Lisa Marie Karnagel | Studentin TU Dortmund | Leibnitz-Gymnasium Klasse 6

Ladenbesitzer | Carolin Marchelek | Studentin TU Dortmund

„Westendend Portraits“ und „Ganja“ | Martin Brandt, Videokünstler Köln

„Balkone im Westend“ | Linda Otto

Das Projekt „Stadt Kultur Raum. Vom „Hellweg zur Rheinischen Strasse“ | Barbara Welzel

5    Autorinnen/Autoren

Dortmunder Schriften zur Kunst – Reihenüberblick

VORWORT

Das Museum am Ostwall, der Lehrstuhl für Kunstdidaktik an der TU Dortmund und die Jugendkunstschule balou e. V. bereiteten im Jahr 2009 ein kunstpädagogisches Projekt vor, das im Jahr der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 den Dortmunder Stadtteil Westend mit künstlerischen Methoden untersuchte. An der Schanierstelle zwischen der City und diesem Stadtteil liegt das Dortmunder U, das Zentrum für Kunst und Kreativität, das sich als Dortmunder U in dem ehemaligen Gebäude der Union-Brauerei zu einem wichtigen regionalen und überregionalen Ort des Austausches von Kunst und Kultur entwickeln soll. Das Dortmunder U öffnete im Mai 2010, die TU Dortmund und andere Nutzer – die Fachhochschule, der Hartware Medienkunstverein – zogen zu diesem Zeitpunkt ein, das Museum Ostwall (MO) verlegte im September 2010 seinen Standort vom Ostwall in das Dortmunder U und eröffnete wenig später.

Das Westend, ein Dortmunder Quartier entlang der Rheinischen Straße, im Osten durch die U-Bahn-Haltestelle Westentor – direkt am Wall und neben dem Dortmunder U gelegen – und im Westen durch die Dorstfelder Brücke begrenzt, befindet sich in einer Phase des Stadtumbaus. Durch das Stadtbauprogramm Rheinische Straße erhält das Quartier in der Nähe des Dortmunder U seit einigen Jahren eine neue Identität. Baustellen, bunte Neuanstriche der Häuserfassaden und alte, eher triste Fassaden, kleinbürgerliche historistische Gebäude und schlichte Nachkriegsbauten, Straßensanierungen, frisch gepflanzte Bäume, Brachen und leer stehende Gewerberäume prägen das Bild. Gleichzeitig ist das Westend von heterogenen sozialen Strukturen gekennzeichnet. Der bürgerlich geprägte Raum rund um den Westpark, sozialer Wohnungsbau, viele kleine Gemeinschaften unterschiedlicher Nationen, Studenten und zunehmend auch kulturelle Projekte machen die Identität des Stadtteils aus und geben ihm ein neues Gesicht. Die Nähe zum Stadtzentrum und günstige Mietpreise steigern heute wieder die Attraktivität des Stadtteils.

Auf dem Ludorff-Stadtplan von 1894 wird die frühe industrielle und verkehrstechnische Erschließung des Gebiets deutlich (gekennzeichnet). In der direkten Verlängerung vom alten Dortmunder Westentor ist die Rheinische Straße nach Dorstfeld sichtbar. Die Lage entspricht in etwa dem alten mittelalterlichen Handelsweg. Nördlich dieser Straße befanden sich die Industriekomplexe, südlich, zwischen den Eisenbahnlinien, die dazugehörigen Arbeiter- und Angestelltensiedlungen. Durch das Union Stahlwerk und die entlang der Eisenbahnlinie entstehenden Brauereien entwickelte sich das Projektgebiet zum „Arbeiterviertel im Dortmunder Westen“

Bild-Postkarten zeigen die Rheinische Straße um 1910 als gut erschlossenes und bedeutsames Einkaufsgebiet für die sich nördlich davon befindenden Siedlungen mit eher bürgerlicher Bebauung. Direkt am Eingang zur Rheinischen Straße, am Körner Platz, lag das Dortmunder Walhalla, ein Kultur- und Vergnügungszentrum mit großem Programm und überörtlichem Bekanntheitsgrad, dessen Besuch die Versendung einer Postkarte wert war.

Von der alten Bebauung sind nur noch Reste erhalten, die Industrieschlote sind in den letzten Jahrzehnten stillgelegt worden und zum Teil verschwunden. Neue Industrien haben sich angesiedelt oder auf alten Industriegeländen wurden Umnutzungen entwickelt.

Das Projekt „U-Westend“ bezieht sich bewusst auf die gewachsene, noch sichtbare und die heute nicht mehr direkt sichtbare Geschichte des Stadtteils und versucht diese mit den Methoden der künstlerischen Kartographierung zu erkunden und darzustellen. Die Projektkonzeption beinhaltet deshalb neben pädagogischen und künstlerischen Absichten auch stadtteilpolitische Ziele. Mit künstlerischen Methoden wurden die alltäglichen und historischen Spuren der Nutzung dieses Stadtraums durch ihre Bewohnerinnen und Bewohner untersucht und nach der städtischen Identität des Stadtteils gefragt. Absicht war es auch, eine erste Annäherung zwischen den Anwohnern des Quartiers zum Museum Ostwall und der TU Dortmund – oder allgemeiner zum Dortmunder U – herzustellen und erste Schritte zur Einbindung des Zentrums für Kunst und Kreativität in das Stadtumfeld zu unternehmen. Das Projekt „U-Westend“ eröffnete Anfang 2010 ein Projektbüro in der Adlerstraße 41, das bis Juni als Informations- und Anlaufstelle für interessierte Bürgerinnen und Bürger diente. In dem Projekt kooperierten mit den drei oben genannten Projektträgern die Fakultät Raumplanung der Technischen Universität, der Verein für baukulturelle Bildung JAS e. V. sowie vier im und um das Westend ansässige Schulen: die Hauptschule Innenstadt-West, die Tremonia Förderschule, die Elsa-Brandström-Grundschule, das Leibniz-Gymnasium und das Max-Planck-Gymnasium.

Im Rahmen des Kunstunterrichts sammelten Kinder und Jugendliche ihre Eindrücke vom Stadtteil. Eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Wohn- bzw. Schulviertel und der Blick von außen auf das Gebiet beabsichtigten die Vermittlung von Wissen über die Geschichte und aktuelle Struktur des Stadtteils, die Entwicklung von analytischen Methoden und eine Schulung der Wahrnehmungsfähigkeiten mit dem Ziel, das Bewusstsein der jungen Generation für ihr eigenes Umfeld bzw. das Wohngebiet anderer zu stärken. Die Beobachtungen fanden schließlich als Zeichnungen, Fotografien, Animationsfilme oder in anderen Medien ihren Ausdruck. Einen Blick von außen auf das Westend bieten die im Rahmen des Projektes gestalteten Kunstkurse für Kinder und Jugendliche der Jugendkunstschule balou e. V. und des Museums Ostwall im Dortmunder U. Eine Projektpartnerschaft wurde mit dem Tamilischen Bildungs- und Kulturzentrum an der Rheinischen Straße entwickelt, das Sprach- und Musikunterricht für Kinder und Jugendliche der tamilischen Gemeinde anbietet. In Zusammenarbeit mit Jugend Architektur Stadt (JAS) e. V. nahmen Jugendliche tamilischer Herkunft ab Februar 2010 an Workshops baukultureller Bildung teil. An der Technischen Universität Dortmund fand im Wintersemester 2009/10 ein projektbegleitendes Seminar statt. Studierende im Fach Kunst hospitierten im Unterricht an den beteiligten Schulen und entwickelten auch eigene künstlerische Projekte im Westend. Mit ihren innovativen Ideen bildeten sie eine wichtige Schnittstelle zwischen der Wissenschaft und der konkreten Projektumsetzung. Der in Köln lebende Foto- und Videokünstler Martin Brand führte im Rahmen von U-Westend ein Kunstprojekt im öffentlichen Raum zu Jugendlichen und deren Alltagskultur durch. Er dokumentierte die im Stadtteil vorhandenen Jugendkulturen und problematisierte gleichzeitig den gesellschaftlichen Umgang damit.

„U-Westend“ mündete schließlich in einer dreimonatigen Ausstellung im Dortmunder U und wurde von Juli bis September 2010 auf der Etage der TU Dortmund präsentiert. Die Ausstellung fand bei auswärtigen Besuchern und Einwohnern Dortmunds sehr großen Anklang. Der rege Besuch von Bewohnerinnen und Bewohnern des Stadtteils zeigte, dass dieses Thema und der spezifische Blick von Kindern und Jugendlichen auf das Quartier besonders interessant war.

Das Projekt „U-Westend“ war zugleich ein Beitrag des Museums Ostwall an dem Ausstellungsprojekt „Mapping the Region“, an dem sich vierzehn Kunstmuseen des Ruhrgebietes beteiligten. Im Hinblick auf die Kulturhauptstadt Ruhr 2010 hatten sich zwanzig Kunstmuseen der Ruhrregion zu dem Netzwerk RuhrKunst-Museen zusammengeschlossen.

Das Projekt wäre ohne die finanzielle Unterstützung durch die Stadt Dortmund und die von ihr bereitgestellten Finanzmittel zur Kulturhauptstadt nicht möglich gewesen. Wir danken hierfür allen an der Entscheidung beteiligten, insbesondere Jörg Stüdemann, dem Stadtdirektor, Kämmerer und Beigeordneten für Kultur, Kurt Eichler, dem Geschäftsführer der Dortmunder Kulturbetriebe sowie Rolf Kuttig, Städtischer Kulturhauptstadtbeauftragter. Die Ruhr 2010 GmbH unterstützte die RuhrKunstMuseen durch Mittel sowie koordinierende und werbende Maßnahmen, die auch dem Projekt U-Westend zugute kamen. Den Geschäftsführern der Ruhr 2010 GmbH, Dr. h. c. Fritz Pleitgen und Prof. Dr. Oliver Scheytt, sowie dem Künstlerischen Direktor „Stadt der Möglichkeiten“, Prof. Karl-Heinz Petzinka, gilt unser aufrichtiger Dank. Die aufwändige Koordinationsarbeit des Projektes wurde von Herbst 2009 bis Sommer 2010 von Darija Šimunović geleistet, wofür wir ihr herzlich danken. Annika Wagner und Katharina Vanderminde betreuten das Projektbüro in der Adlerstraße, als zentrale Informations- und Anlaufstelle, und entwickelten vielfältige Ideen und Aktionen, um einen engen Kontakt zu den Bewohnern des Stadtteils herzustellen – auch hierfür möchten wir herzlich danken. Wir danken auch dem Quartiersmanagement Rheinische Straße, das unsere Initiative unterstützte. Im Museum Ostwall lag die inhaltliche Vorbereitung der Kunstkurse bei den Kursleiterinnen Silke Bachner, Sabine Gorski und Barbara Hlali. Das Kunstprojekt der beiden Absolventen des Freiwilligen Sozialen Jahres in der Kultur, Chris Mende und Julius Linnenbrink, wurde vom Museum Ostwall begleitet. Regina Selter, Leiterin für Bildung und Kommunikation, war selbstverständlich in das Leitungsteam des Projektes eingebunden und trug wesentlich zum Gelingen des Konzeptes bei. Unser Dank geht auch an Alischa Leutner. Sie arbeitete experimentell mit der Projektgruppe der Jugendkunstschule im offenen Ganztag der Elsa Brandström-Grundschule. Ohne die intensive Mitarbeit der Lehrerinnen und Lehrer Antoniette Bauch, Winfried Eckernvogt, Rosa Fehr-von Ilten, Jutta Nordhausen, Bodo Schmidt und Benjamin Vogel sowie den beiden architekturpädagogisch erfahrenen Expertinnen und Experten – dem Architekten Torsten Schauz und der Architektin Päivi Kataikko, Fakultät Raumplanung der TU Dortmund – wäre das Projekt keinesfalls umsetzbar gewesen. Sabine Gorski entwarf das prägnante Logo „U-Westend“ und gestaltete die begleitenden Printmedien. Ihr wie allen Beteiligten gilt unser aufrichtiger Dank.

Die Studierenden der TU Dortmund haben mit ihrem großen und erfindungsreichen Engagement im Projekt einmal mehr bewiesen, dass Wissenschaft direkt in kulturelle Bildung umgesetzt werden kann.

Ganz besonders danken wir den etwa 250 beteiligten Kindern und Jugendlichen für die intensive und rege Beteiligung an dem Projekt „U-Westend“. Unser Dank gilt aber auch den Bewohnerinnen und Bewohnern des Stadtteils, die zu den Veranstaltungen kamen, aktiv dazu beitrugen oder durch ihre interessierten Fragen neue Facetten des Projektes aufzeigten.

Das Projektgebiet ist in dem folgenden Katasterausdruck umrandet.

Das Projektteam

Dieses Projekt war gleichzeitig eine Pilot-Studie für die neuen Aufgaben der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, in der die Hochschulen, Studienseminare und Schulen unter der Federführung des Fachleiters für Kunst am Studienseminar Dortmund, Herrn Wolfgang Niehoff, exemplarisch neue Wege der Ausbildung von Studierenden und Referendaren gemeinsam erproben.

Die vorliegende Publikation fasst die Überlegungen und Ergebnisse zu dem außergewöhnlichen Vermittlungsprojekt, an dem sich Kunstwissenschaftler und Kunstwissenschaftlerinnen, Raumplanerinnen und Architekten, Künstler und Künstlerinnen, Lehrer und Lehrerinnen, Studierende, Jugendliche und Kinder und Bewohner beteiligten. Alle Autorinnen und Autoren, der Fotografin Elvira Neuendank und den Buchdesigner Oliver Mast, schließen wir selbstverständlich in unseren Dank ein.

Klaus-Peter Busse, TU Dortmund;

Rudolf Preuss, balou e. V.;

Kurt Wettengl, Museum Ostwall.


Abb 1   Bildnachweis: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Stadtplan-Ludorff-Dortmund-1894-IMG_2381.jpg[15.5.2011] Kennzeichnungen in grün durch den Verfasser.

Abb 2   Bildnachweis: http://www.dortmund.de/media/bilder_1/pool/projektseiten/rheinische_
strasse/rheinischestrasse_1900_1910jpg[15.5.2011]

Abb 3   Bildnachweis: http://www.flickr.com/photos/mrsfujita/5003895682/[15.5.2011]

Abb 4   Bildnachweis: http://www.ansichtskarten-center.de/webshop/shop/USER_ARTIKEL_HANDLING_AUFRUF.php?
darstellen=1& PEPPERSESS=880c772jqtjj6tss64esjokd01
&kat_aktiv=290110090&lang=de&update_user_lang=true&
is_deeplink=true&Ziel_ID=161#Ziel161[15.5.2011]

Klaus-Peter Busse

ORTSGESCHICHTEN

„Sicheren Schritts auf dem schmalen Grat zwischen Wissenschaft und Kunst zu wandeln – geschenkt; schwungvoll über das Seil zu tanzen, den Stab locker über den Schultern – vergiss es; mit freiem Blick da oben zu flanieren – nicht der Rede wert. Sich auf dem Seil zu lümmeln, als wäre es der rauhe Boden, das wäre die Kunst.“1 Hoch oben auf dem Drahtseil sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. Der Philosoph Martin Seel sieht unsere Position zwischen Wissenschaft und Kunst sehr pragmatisch - kein sicherer Schritt, wenig Schwung oder vermeintliche Lockerheit, stattdessen „lümmeln“ wir uns herum? Es ist sicher das Spiel, das die Kunstpädagogik auszeichnet, zwischen den gebundenen Ansprüchen der Kultur und unvorhersehbaren Ansprüchen ihrer Teilhabe einen Weg zur Kunstvermittlung zu finden.

Der Ort der Kunstvermittlung ist nicht mehr die Schule allein: Der Kunstunterricht öffnet sich gegenüber anderen Fächern und in die Umgebungsräume der Schule hinein. Er nutzt die kulturellen Ressourcen, die es in den Umgebungsräumen gibt: Museen, historische Orte und Prozesse, kulturelle Initiativen. Die Vermittlungsplanung fragt danach, was Kinder und Jugendliche in ihrer Schule aufgrund eines Lehrplans und in ihrem Lebensumfeld so lernen, dass sie Kultur verhandeln können. Sie untersucht, über welche Voraussetzungen sie verfügen, um in neue Lernprozesse einsteigen zu können, welche Kompetenzen sie erreichen sollen und wofür diese sinnvoll sind. Man wird daran denken, Kinder und Jugendliche individuell zu fördern, und man wird die Heterogenität einer Lerngruppe prüfen. Im Kontext ihrer Lebensräume wird man danach fragen, welche Kompetenzen sie an welchen Orten effektiv erreichen können. Vermittlungsplanungen entscheiden, welche Vorteile bestimmte Lernorte haben und wo Lernprozesse am sinnvollsten initiiert werden können. Was kann die Schule besser als das Museum und umgekehrt? Wie können schulische Lernprozesse ergänzt werden? Worauf können Lehrerinnen und Lehrer, Kinder und Jugendliche, Kunstvermittler, Museumspädagogen, Künstlerinnen und Künstler blicken, wenn sie Kunst vermitteln? Alle diese Fragen wird man nur beantworten können, wenn man Inhalte und Methoden reflektiert, die auf der einen Seite Lern- und Erfahrungsinhalte und auf der anderen Seite Vermittlungsformen darstellen. Man wird erkennen, dass es besser ist, Kinder und vor allem Jugendliche nicht nur in die Rolle der Rezipienten von Kultur zu schicken, die fortwährend lernen sollen, was es schon gibt oder was zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler über die Kultur herausgefunden haben. Stattdessen begibt man sich auf den Weg, sie selbst zum Sprechen zu bringen - zu dem also, was Kunst eigentlich bestimmt. Man wird auch wissen, dass Kinder und Jugendliche einen Anspruch darauf haben zu erfahren, wie ihre Welten gebaut sind und wie sie selbst Wege finden, sich in diesen Welten verantwortungsvoll zu verhalten. Das sind enorme Ansprüche der Kunstpädagogik.

Schon vor zehn Jahren haben wir „wasserorientierte Freizeitzonen im Ruhrgebiet“ kulturwissenschaftlich und künstlerisch untersucht; schließlich entstand die Idee des „Ruhratlas (Ost)“, die dann in das Modell „Mapping Ruhr“ mündete. 2010 ist das Ruhrgebiet „Kulturhauptstadt“ geworden, und die Kunstmuseen in der „Metropolregion Ruhr“ sprechen von „Mapping the Region“. Die Kartografie sichert dabei die kulturelle Vielfalt der Region. Seit langem beherrscht dieses kulturelle Skript den Alltag der Menschen im „Revier“, seitdem sie anfingen, ihre Lebenswelt als Raum zu begreifen, den man gestalten und für sich nutzbar machen kann. Viele künstlerische Projekte dokumentieren heute diesen Umgebungsraum, angefangen bei dem Besuch des amerikanischen Künstlers Robert Smithson, der in Oberhausen arbeitete, über die Arbeiten des Becher-Ehepaares, die heute im Landschaftspark Duisburg-Nord einen Fries an der alten Industriearchitektur bilden, bis hin zu den Fotografien von Joachim Brohm.2 Eine Vielzahl interessanter Ausstellungen (etwa über die Migration italienischer Familien nach Bochum oder über Eisdielen und Kioske oder über die Landschaftsbauhütte Ruhrtal) hat in den letzten Jahren die Eigenart des Reviers gezeigt. Heute entwickelt man vor allem im Kontext des Kulturhauptstadtjahres aus dem Alltag der Menschen im Revier Mythen. Bedeutungs- und Sinnzuschreibungen werden in Gang gesetzt. Zugleich unterstellt man dem Mythos „Ruhrgebiet“ eine überzeitliche Gültigkeit: eine Historizität der Ereignisse im Raum und Alltag der Menschen, die Narrative bereithält, die es wert sind, überliefert zu werden. Das Wechselspiel im Umgang mit historischen Überlieferungen oder Spuren und aktuellen Bestandsaufnahmen schaffe schließlich die Bedeutung dessen, was die „Metropole Ruhr“ ausmache. Dies ist eine nachvollziehbare kultursemiologische Sinnpraxis, die viele interessante Bedeutungen hervorbringt und in einem Archiv über Erinnerungstopografien und Raumkulturen speichert.

An der Konstruktion von Mythen sind viele Personen beteiligt. Folgt man dem französischen Philosophen und Semiologen Roland Barthes, dann ist der Alltagsmythos, um den es sich beim Reden über die Metropole Ruhr immer wieder handelt, eine „Einsparung“ (das Ruhrgebiet sei grau, grün, Kohle, Stahl, kreativ, weiß, bunt: ein Melting Pot): „Er schafft die Komplexität der menschlichen Handlungen ab und leiht ihnen die Einfachheit der Essenzen, er unterdrückt jede Dialektik, jedes Vordringen über das unmittelbar Sichtbare hinaus, er organisiert eine Welt ohne Widersprüche.“3 Spricht man also von Mythen, muss man sehr vorsichtig mit den Bedeutungen sein, die sie hervorbringen. Auch der „Mythos Ruhr“ leidet unter diesen „Glättungen“ und „Blendungen“ (was der Grund für die vielen kritischen Stimmen zum Kulturhauptstadtjahr ist). Die Frage ist, wie man über die Geschichte und Gegenwart der Metropolregion so reden kann, dass das mythologische Sprechen aufgelöst wird, Mythen entkleidet werden und ungeblendete Bedeutungen entstehen. Diese Entmythologisierung ist ein wichtiger Bestandteil in der Verhandlung von Kultur.

Roland Barthes hat gezeigt, dass es eine Sprache gibt, die nicht mythisch ist: „Es ist die Sprache der produzierenden Menschen: überall, wo der Mensch spricht, um das Wirkliche zu verändern und nicht, um es als Bild zu bewahren, überall, wo er seine Sprache mit der Herstellung der Dinge verbindet, (…) ist der Mythos unmöglich.“ Um Mythen zu entkleiden, muss man in historischer Sicht das Handeln der produzierenden Menschen rekonstruieren (wie sie beispielsweise den Alltags- und Industrieraum im Ruhrgebiet genutzt haben, wie sie Freizeitorte gestalteten, wie sie mit Dreck, Staub, Klima und Krankheit fertig wurden, aber auch, auf welche historischen Narrative sie zurückgreifen können); aus aktueller Sicht wird man die Menschen in die Lage versetzen, in ihre Welt gestaltend einzugreifen. Das Kulturprogramm hat seinen wesentlichen Kern in dem Möglichkeitsraum, Kultur zu verhandeln und zu gestalten. Dies leisten kulturelle Gebiete selbst in Formen von Eigendynamik und Selbstkonstruktionen. Kulturgebiete sind jedoch auch Räume, in denen kulturelles Handeln in Schulen, Museen und anderen Institutionen vermittelt wird. Dieser Möglichkeitsraum ist auch durch künstlerisches Handeln konfiguriert, weil es eine produktive Praxis ist und Blickfelder öffnet. An der Gestaltung von Möglichkeitsräumen sind Alltag, Kunst und Wissenschaft gleichermaßen beteiligt, aber der Kunst kommt die Aufgabe zu, Blickfelder zu hinterfragen, neue Blickfelder zu entwerfen und auf diese Weise künstlerisch in die Gestaltung von Kultur einzugreifen: „Die Zukunft eines kunstpädagogischen 4