In Dankbarkeit
für Marion
Als Ansporn und Motivation
für Christopher und Frederic
Mit Anerkennung und Respekt
für Erwin
Einführung
Vorwort
Kapitel 1: Warum Marketing und Vertrieb zusammenarbeiten müssen
Kapitel 2: Was Lead Management ist und warum es ganzheitlich sein muss
Kapitel 3: Wie Sie mehr aus Ihren Leads machen – Lead Nurturing, Lead Scoring und Lead Routing
Kapitel 4: Wie Marketing-Automation-Systeme arbeiten
Kapitel 5: So klappt das mit dem Vertrieb
Kapitel 6: Wer Leads generieren will, muss guten Content haben
Kapitel 7: Warum und wie Datenschutz und Marketing miteinander vereinbar sind
Kapitel 8: Nur was sich messen lässt, kann verbessert werden: Closed Loop Reporting und Revenue Performance Management
Nachwort
Glossar
Stichwortverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Verzeichnis der Gastbeiträge
Es ist ein kühler Herbsttag in Boston im Jahr 2010. Ich besuche eine Konferenz mit dem Titel „B2B Marketing Summit“. Nach einer motivierenden Einführungsrede zum Thema „Real-time Marketing und PR“ von David Meerman Scott strömen die Besucher in die erste Kaffeepause. Ich stelle mich in die Schlage derjenigen, die sich eines von Davids Büchern von ihm persönlich signieren lassen wollen.
Als ich an der Reihe bin, wechseln wir einige Worte miteinander. „Social Media are tools – real time is a mindset“, meint er zu mir. „Auf die Geschwindigkeit kommt es an. Werkzeuge sind ersetzbar, aber die Einstellung ist es, die zählt.“
Es wird mir schlagartig klar: Was ich in den letzten Jahren erlebt habe, ist keine Zeiterscheinung. Die Welt des Marketings und des Verkaufens hat sich fundamental verändert. In der neuen Online-Welt funktionieren die alten Mechanismen der Kunden-Lieferanten-Beziehung nicht mehr. Und genau das war auch der Grund, weshalb ich schließlich ein Unternehmen gegründet und mit unseren Konzepten vielen Kunden geholfen habe, ihre Marketing- und Vertriebsprozesse zu verändern. Häufig mündete unsere Beratung in die Implementierung von CRM- und Marketingwerkzeugen.
Aber jetzt weiß ich: „A fool with a tool is still a fool!“ Werkzeuge allein können nicht helfen. Es geht darum, Marketing und Vertrieb neu und vor allem ganzheitlich zu begreifen. Ich will meinen Teil dazu beitragen, dass Marketingabteilungen gute Leads für den Vertrieb generieren und dieser sich auf seine eigentliche Aufgabe konzentrieren kann. Denn Umsatz ist nicht das Ziel, sondern das Ergebnis guter Vertriebsarbeit.
Darüber schreibe ich in diesem Buch.
Reinhard Janning, im Februar 2012
Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 hat vieles verändert. Vertrieb ist aufwendiger geworden. Bevor Kunden Produkte oder Dienstleistungen kaufen, wollen sie deren konkreten Mehrwert für ihr Geschäft sehen und verstehen – und das möglichst schnell. Sie stehen unter Druck, die ohnehin kleiner gewordenen Budgets optimal zu verteilen und richtig zu investieren. Während man früher im Großkundengeschäft komplexe Projekte verhandelte, sind es heute mehrere kleine, meist in gestaffelter Reihenfolge mit einem Pilotprojekt als Auftakt. Die Verkaufsprozesse sind also kleiner geworden – und es sind mehr Personen als Entscheider eingebunden.
Gleichzeitig sind Vertriebs- und Marketingteams sowie deren Budgets geschrumpft, das heißt: mehr Arbeit mit weniger Leuten und kleineren Budgets. Effizienz ist also angesagt. Jede Marketingkampagne muss ein optimales Ergebnis bringen, denn das Geld für Marketingprogramme ist knapp bemessen. Und genau aus diesem Grund ist es so wichtig, dass Marketing und Vertrieb kooperieren. Beide Seiten müssen ihre Erwartungen aneinander abklären und sich gegenseitig darüber informieren, was Kunden brauchen, wie man sie erreicht und über welche Botschaften man mit ihnen in Kontakt treten will. Sind Marketing und Vertrieb jeweils über Ziele, Pläne und Maßnahmen der anderen Seite informiert, können sie mitdenken und mithandeln, sich Bälle zuspielen und gemeinsame Ziele erreichen.
Alle diese Bemühungen führen allerdings nur bedingt zum Erfolg, wenn das Marketing die Wirkung seiner Kampagnen und Maßnahmen nicht mit Zahlen belegen kann – deshalb kommt den entsprechenden Werkzeugen auch eine so hohe Bedeutung zu. Seit der Einführung der digitalen Marketing-Tools kann das Marketing jetzt auch mit exakten Zahlen belegen, welche Kampagnen den Erfolg des Unternehmens steigern und welche nicht. Und weil Kampagnen bis in die kleinsten Details messbar sind, kann das Marketing auch sehr früh korrigierend eingreifen, falls es sich zeigt, dass die angestrebten Ergebnisse nicht erzielt werden können. All dies kommt in meinen Augen einer Revolution gleich– nicht nur im Hinblick auf die Umsatz- und Kundenzahlen! Denn mit diesen Tools kann sich das Marketing auf einer ganz objektiven Basis von Zahlen und Fakten der Geschäftsführung gegenüber auf Augenhöhe präsentieren. Und damit beginnt im Marketing eine völlig neue Ära. Viel Erfolg!
Regina Mehler, Marketing Innovation, Buchautorin und Gründerin der Women Speaker Foundation
Regina Mehler ist seit über 20 Jahren im Marketing tätig, zuletzt als VicePresident Corporate Marketing Strategy bei der Software AG in Darmstadt und als Leiterin Marketing bei Adobe Systems, wo sie für die Marketingstrategie Central Europe verantwortlich war. 2008 erhielt sie den Europäischen Corporate Design Award in Gold. Sie ist Autorin des Innovationsbuches „Der Phönix-Effekt – Vom Suchen und Finden: Innovationsmanagement und -marketing durch Querdenken“ und Gründerin der Women Speaker Foundation, einer Agentur für die weltweite Vermittlung von Sprecherinnen und Moderatorinnen.
Deutschland, Anfang der 1980er-Jahre. Ich habe gerade meinen Zivildienst hinter mir und überlege, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Geschichte studieren – das ist die eine Option. Aber Computer interessieren mich auch – ob ich doch lieber eine Ausbildung in diesem Bereich machen soll? Oder erst das eine und dann das andere? Irgendwann treffe ich eine Entscheidung und bewerbe mich bei einigen Unternehmen, die zu meinen Wünschen passen. Und siehe da, die Nixdorf Computer AG will mich haben – der damals innovativste Computerhersteller Europas. Ich bin begeistert!
An meinem ersten Arbeitstag als auszubildender Datenverarbeitungskaufmann vergeht mir das Lachen allerdings schnell: Ich werde dem Vertrieb zugewiesen. Vertrieb! Was soll ich denn da? Ich will doch kein Verkäufer werden, sondern vor allem Programmieren lernen! Meine Skepsis weicht etwas, als mein Chef verkündet „Sie kommen jetzt mit zum Kunden, dann sehen Sie mal, wie man das macht!“, und ich auf dem Parkplatz seinen Dienstwagen entdecke: ein weißer Golf Cabrio. Mit weißen Felgen. Vielleicht sollte ich mir das noch mal überlegen mit dem Vertrieb?
Eine Woche und etliche Kundenbesuche später – Vertrieb ist tatsächlich nicht so verkehrt, befand ich – sagt mein Chef zu mir: „So, und nun zeige ich Ihnen mal die andere Seite des Vertriebs!“ Wie, da gibt es noch etwas, jenseits der Dienstfahrten im weißen Cabrio und den Verhandlungen mit Kunden über geplante Aufträge und zu investierende Jahresbudgets? Und ob es da noch etwas gibt! Mein Chef legt mir einen großen Stapel mit den Gelben Seiten aus den wichtigsten Städten in der Umgebung auf den Tisch. „Machen Sie mal Termine für Verkaufsgespräche bei den Speditionen aus!“, lautet die dazugehörige Ansage.
Was danach folgte, waren die drei langweiligsten Wochen meines Berufslebens. Ich saß tagein, tagaus an meinem Schreibtisch und telefonierte die endlose Liste der Speditionen ab, die ich in den Gelben Seiten fand. Ließ mich von Sekretärinnen abwimmeln oder zu Entscheidern durchstellen, versuchte, sie für unsere Systeme und Produkte zu interessieren und Termine für Verkaufsgespräche auszumachen. Was mir hin und wieder gelang, meistens jedoch fehlschlug. Ich hatte überhaupt nicht das Gefühl, wirkliche Fortschritte zu machen und mein Ziel zu erreichen, nämlich Gesprächstermine für meinen Vorgesetzten zu vereinbaren. Nach dieser Zeit war mir klar: Ich wollte der mit dem Golf Cabrio sein – auch wenn das erst einmal bedeutete, eintönige und frustrierende Kaltakquise zu machen.
Mein Ziel stand also fest: nach meiner Ausbildung so schnell wie möglich in den Vertrieb zu wechseln. Ich hatte glücklicherweise hervorragende Ausbilder und lernte von der Pike auf, was Vertrieb in dieser Zeit bedeutete: Kunden intensiv und persönlich zu betreuen, Verkaufsverhandlungen zu führen, Planungsgespräche über Jahresbudgets zu leiten, bei großen Kundenveranstaltungen eine gute Figur zu machen, auch wenn ich mich als junger und unerfahrener Mensch unter all den Entscheidern und Führungskräften manchmal fehl am Platz fühlte.
Damals packte mich das, was mich heute noch antreibt: die Leidenschaft für meinen Beruf. Ich verschrieb mich mit Leib und Seele dem Vertrieb, bekam viele Auszeichnungen und war immer einer der Jüngsten, der die Karriereleiter hinaufstieg. Nach meiner Zeit bei Nixdorf wurde ich zunächst Vertriebsleiter und dann Geschäftsführer der deutschen Niederlassung eines amerikanischen Software-Unternehmens, auch dort lag, wie bei Nixdorf, der Fokus auf dem Vertrieb. Er gab den Ton an. Zumindest innerhalb der Unternehmenshierarchie. Danach kam lange gar nichts. Auch nicht das Marketing. Das wurde eher als überflüssig angesehen. Marketing – das waren doch die, die bunte Bildchen und nette Headlines für die Imagebroschüre produzierten. Bei Nixdorf wurde der Begriff des Marketings damals ebenfalls selten verwendet. Man sprach von „Verkaufsförderung“. Und das traf meiner Meinung nach auch den Nagel auf den Kopf. Denn für die Umsätze sorgten schließlich wir!
Doch dann geschah etwas: Das Internet hielt Einzug in die Unternehmen und mit ihm eine ganz neue Art der Kommunikation. Auf einmal korrespondierten wir per E-Mail mit unseren Kunden, dafür brauchten wir weder ein Schreibbüro noch eine Sekretärin, und es entwickelten sich Dinge wie das E-Mail-Marketing. Gleichzeitig wurde es salonfähig, seine Kunden auf dem Handy anzurufen. Mir wurde schnell klar, dass man Kunden viel leichter und intensiver erreichen konnte, als das noch zu meinen Ausbildungszeiten der Fall gewesen war. Listen aus den Gelben Seiten abtelefonieren? Das war nun wirklich von gestern. Zudem begann aber auch ganz zaghaft das, was heute gang und gäbe ist: Interessenten informierten sich im Internet über Produkte und Dienstleistungen, verglichen Preise und Angebote und trafen ihre Kaufentscheidungen ganz unabhängig und für den Vertrieb uneinsichtig.
Internet und verändertes Kaufverhalten – diese beiden Trends gaben schließlich im Jahr 2003 den Startschuss für die Gründung eines eigenen Unternehmens, der DemandGen AG: Gemeinsam mit einem Mitgründer ging ich an den Start. Es war unser Ziel, modernes Online-Marketing mit Verkaufsbemühungen zu verbinden und das als Dienstleistung unseren Kunden anzubieten – weg von der sogenannten „kalten“ Akquise, weg vom Abtelefonieren irgendwelcher Listen. Wir wollten nur die Menschen anrufen, die zum Beispiel in einer E-Mail auch einen Link angeklickt und damit signalisiert hatten, dass sie interessiert an dem waren, was wir ihnen anzubieten hatten – „Teleprospecting“ nannten wir das. Es war neben den Online-Qualifizierungen über E-Mail-Marketing und Landing Pages unsere erste Dienstleistung, die wir sukzessive weiter ausbauten.
Die Rahmenbedingungen der Vertriebsarbeit hatten sich seit meiner Ausbildungszeit also sehr geändert: Kalte Akquise oder intensive persönliche Betreuung von Kunden durch einen Verkäufer war ebenso überholt wie jährliche Budgetverhandlungen mit Key Accounts, aufwendige Kundenveranstaltungen, dicke Dienstwagen und hohe Spesenrechnungen. Alles drehte sich schneller, die Unternehmen planten quartalsweise, trafen viel rascher Entscheidungen und waren selbstbewusster in ihrer Vorgehensweise.
Auch konnte man sehr hohe Aufträge abschließen, ohne den Entscheider jemals persönlich getroffen zu haben – früher undenkbar! Als Lieferant musste man nicht mehr etliche Male bei einem Kunden vorsprechen, um eine Entscheidung zu erzielen. Natürlich wurde nach wie vor viel kommuniziert, oft ging das über Telefon- und Videokonferenzen oder andere Tools. Aber eines war dennoch klar: Wenn Kunden einen bestimmten Wert im Produkt oder in der Dienstleistung sahen, die sie einkauften, dann trat der persönliche Kontakt zum Verkäufer in den Hintergrund und war gar nicht mehr so wichtig. Sicherlich hatten Kunden sich genauestens informiert, sowohl über das Produkt oder die Dienstleistung als auch über das Unternehmen, das sie verkaufte. Aber sie mussten nicht mehr aufwendig persönlich betreut werden. Die Welt des Verkaufens hatte sich verändert. Wir Vertriebsexperten erfüllten nun eine andere Rolle gegenüber unseren Kunden.
Äußerliches Zeichen dafür ist die Krawatte, die für mich immer Ausdruck eines typischen Verkäuferbildes war und die ich seit 2001 bei meinen geschäftlichen Aktivitäten nicht mehr trage. Das hat etwas mit Authentizität zu tun und mit meiner veränderten Rolle als Verkaufsberater. Oder sagen wir besser: der veränderten Wertschätzung, die ich als Verkäufer erfahre. Ich bin nicht mehr der, der jemanden mit unerwünschten Akquisetelefonaten nervt. Sondern ich stehe dafür, die Herausforderungen zu lösen, die meine Kunden bei ihrer eigenen Kundengewinnung haben.
Das entscheidende Aha-Erlebnis meines Berufslebens hatte ich jedoch erst, als die DemandGen schon einige Zeit auf dem Markt operierte: Ich war bei einem Kunden und beriet ihn gerade zum Aufsetzen eines neuen Vertriebsprozesses, als er mir ein Werkzeug vorstellte, das in seiner amerikanischen Niederlassung genutzt wurde. Neben einem integrierten E-Mail-Marketing verfolgte dieses Werkzeug anhand von Cookies das Surfverhalten der Besucher auf der eigenen Unternehmenswebsite. Es bildete das gesamte Kampagnenmanagement auf einer einheitlichen Software-Plattform ab und wertete aus, wie effizient das Marketing arbeitete. Der Website-Betreiber erfuhr über das Klickverhalten, wofür sich der Kunde interessierte, welche Informationen er heruntergeladen oder welche Marketing-E-Mails er geöffnet hatte. Damit konnten auf Basis dieser Informationen dann Workflows entwickelt werden, mit deren Hilfe die Kontakte ganz gezielt per Mail angesprochen und ihnen genau die Informationen geliefert werden konnten, die sie noch benötigten – und zwar automatisiert zu dem Zeitpunkt, an dem die Information für den potenziellen Käufer die größte Relevanz hatten.
Ich konnte es kaum abwarten, meinen Geschäftsführerkollegen und Mitgründer anzurufen. „Heute habe ich etwas gesehen, das unser Geschäft in den nächsten Jahren umkrempeln wird!“, rief ich begeistert in mein Handy, als ich ihn endlich erreichte. Mir war nämlich sofort eines klar: Diese Software-Plattform lieferte die Antwort auf viele Fragen, mit denen ich täglich konfrontiert war: Wie konnte man in Zeiten, in denen Kunden die Informationen für ihre Investitionen anonym und unabhängig im Internet recherchierten, ohne dass ein Verkäufer involviert war, dennoch sehen und analysieren, welche Themen sie interessierten, welche Informationen sie brauchten, in welchem Stadium der Kaufentscheidung sie sich gerade befanden?
Marketing Automation hieß also die Antwort, denn so nennen sich diese Software-Plattformen, die genau diese Informationen liefern – natürlich nur, nachdem der Kunde zugestimmt hat, dass sein Besuch auf einer Website entsprechend nachvollzogen und ausgewertet wird. Marketing Automation brachte für unser Unternehmen, die DemandGen AG, den Durchbruch: Seit wir diese Systeme kennengelernt haben, selbst nutzen, aber vor allem bei unseren Kunden einrichten, haben wir uns von einer deutschen Marketing- und Vertriebsagentur zu einem multinationalen Beratungs- und Systemintegrationsunternehmen entwickelt.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht mir hier nicht um eine Mode, einen Trend oder darum, eine weitere kompliziertere Software anzupreisen, die das Leben angeblich viel schöner und einfacher macht. Sondern es geht um das, was ich im Laufe der letzten 25 Jahre im Vertrieb und Marketing vieler, vieler Unternehmen beobachtet und erlebt habe und wovon ich zutiefst überzeugt bin: Nur Unternehmen, die sich dem veränderten Kaufverhalten ihrer Kunden stellen, seien es nun Privat- oder Geschäftskunden, werden zukünftig erfolgreich sein. Ein Unternehmen macht nur dann genügend Umsatz, wenn es sich bewusst macht und akzeptiert, dass Kunden heute intensiv im Internet recherchieren, sich über Produkte und Dienstleistungen genau informieren und meist erst dann Kontakt zu einem Unternehmen aufnehmen, wenn sie sich eine eigene Meinung gebildet und eine recht genaue Vorstellung davon haben, was sie wollen.
Das Verrückte daran ist: Spreche ich mit Mitarbeitern aus dem Marketing darüber, stimmen sie mir erst einmal alle zu. Schließlich gehen sie selbst so vor – wenn sie beispielsweise einen neuen Kühlschrank kaufen, sich über Handy-Tarife informieren oder auf der Suche nach der perfekten Pauschalreise sind. Da werden im Internet Angebote, Anbieter und Leistungsmerkmale verglichen, Studien gelesen, Untersuchungsergebnisse der Stiftung Warentest geprüft, Bewertungen von anderen Käufern in Foren aufgestöbert. Und irgendwann fällt dann die Entscheidung für ein bestimmtes Produkt. Alles ganz normal.
Nur wenn es um die tägliche Arbeit für ihr Unternehmen geht, schätzen diese Marketingmitarbeiter die Dinge ganz anders ein. Da greifen sie lieber auf ihr Standard-Repertoire zurück, Print-Anzeigen in Fachmagazinen, pompöse Messestände, Versand von Werbebriefen mit anschließender Nachfassaktion per Telefon, anstatt die potenziellen Kunden auf der Website mit dem zu versorgen, was die sich dringend wünschen: tiefgehende Informationen in Form von Studien, E-Books, Blogs, Videos von Vorträgen etc.
Übrigens: Das Argument dieser Marketingmitarbeiter, dass die eigenen Kunden sich ja immer ganz anders verhielten als man selbst, höre ich mit schöner Regelmäßigkeit. Schließlich bewege man sich im B2B-Umfeld, verkaufe also nicht an Privatkunden, sondern an andere Unternehmen. Und mit genauso schöner Regelmäßigkeit antworte ich dann: „Es ist völlig egal, ob Sie sich mit Ihrem Angebot an Privat- oder Geschäftskunden wenden. Ob jemand einen Kühlschrank für seine Küche oder eine neue ERP-Software für sein Unternehmen kauft – der Kaufprozess folgt ganz ähnlichen Regeln. Privat- wie Geschäftsleute informieren sich zunächst im Internet, bilden sich eine Meinung und gehen erst dann auf den Anbieter zu.“
Noch einmal: Heute werden 84 Prozent der Kaufentscheidungen durch das Internet beeinflusst bzw. sogar im Internet gefällt. Das renommierte deutsche Allensbach-Institut geht in seinen jüngsten Analysen sogar von 91 Prozent aus. Nur wer sich als Unternehmen dem stellt und entsprechend auf die veränderten Kundenwünsche reagiert, wird sich auf dem Markt behaupten können.
Für Unternehmen ist es also wichtig, Interessenten für ihre Produkte möglichst früh online zu identifizieren – am besten schon dann, wenn sie das erste Mal die Website des Unternehmens besuchen. Denn der Punkt ist: Der Interessent kommt, schaut sich um, verlässt die Website wieder, um sich dann auf anderen Seiten weiter zu informieren und kehrt vielleicht nie wieder zurück. Ein Unternehmen muss es also schon zu diesem frühen Zeitpunkt schaffen, erste Informationen über den Interessenten zu gewinnen, wie etwa eine E-Mail-Adresse. Sonst ist es sehr schwer, ihm in dieser wichtigen Phase der Kaufentscheidung weitere nützliche Informationen zur Verfügung zu stellen oder zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal Kontakt zu ihm aufzunehmen.
Dieser Zeitraum, den ein Käufer braucht, Informationen zu einem Produkt zu sammeln und sich für einen Kauf zu entscheiden, ist wichtig für die Meinungsbildung. Die Dauer dieser Phase lässt sich nicht vorhersagen – sie hängt von der Höhe der zu tätigenden Investition ab, wie komplex das Produkt und wie dringlich die Anschaffung ist, aber auch davon, wie viele Personen an der Kaufentscheidung beteiligt sind. Früher war das relativ einfach: Da entschied der Chef. Punkt. Heute sieht das in vielen Unternehmen anders aus. Entscheidungen fallen in komplexeren Rahmen und deshalb sind es meistens mehrere Menschen, die darüber befinden, was angeschafft wird und was nicht.
Hinzu kommt: Wurden in den Unternehmen früher Neuanschaffungen und Budgets ein Jahr im Voraus geplant und die Lieferanten in diese Planungen mit einbezogen, sieht auch das heute ganz anders aus. Die Planungszyklen sind kurz und Unternehmen verlassen sich deshalb auf ihre eigenen Recherchen, aber auch auf die Produkt- und Kaufempfehlungen externer Consultants. Verkäufer haben kaum Chancen, einzuhaken und ihr Geschäft zu machen, geschweige denn eine Pipeline zwölf Monate im Voraus zu füllen. Das beobachte ich aufgrund meiner Gespräche mit vielen Unternehmen seit etlichen Jahren.
Unterm Strich stellt sich die Situation also folgendermaßen dar: Kunden kaufen dann, wann sie kaufen wollen. Sie treffen ihre Kaufentscheidungen oft ganz allein, ohne dass der Vertrieb eines Unternehmens auch nur den Hauch einer Chance hätte, mit dem Kunden zu sprechen geschweige denn seine Produkte und Dienstleistungen zu präsentieren oder in Verkaufsverhandlungen einzusteigen. Das belegen auch viele Studien aus dem Online-Marketing.
Während der Dauer der Meinungsbildung haben Unternehmen somit wenige Möglichkeiten, in Kontakt mit dem Käufer zu treten. Umso entscheidender sind deshalb die Informationen, die der Käufer bei seinem ersten Besuch auf der Website hinterlässt – beispielsweise eine E-Mail-Adresse, die er angibt, damit er sich ein bestimmtes White Paper oder eine Studie herunterladen kann. Nur ein Unternehmen, das diese Entscheidungsphase, (die von Forrester Research einmal als „Consideration Gap“ bezeichnet wurde) beispielsweise durch intelligentes E-Mail-Marketing überbrückt, hat die Chance, aus Interessenten Käufer machen.
Abbildung 1: Entscheidungsphase
Eines dürfte jetzt klar sein: Wenn ein Unternehmen es nicht schafft, den Interessenten für seine Produkte und Dienstleistungen genau die Informationen zu bieten, die diese für ihre Kaufentscheidungen brauchen, dann hat es verloren. Diese Informationen zu erstellen und auf der Website anzubieten, ist also der erste Schritt des Kaufprozesses. Und weil das zum Kaufprozess gehört, muss der Vertrieb dafür zuständig sein, denken Sie? Da kann ich leider nur widersprechen! Denn für den Außenauftritt und damit die Website eines Unternehmens ist natürlich das Marketing verantwortlich. Deshalb muss es auch Mechanismen entwickeln, die sicherstellen, dass die Website-Besucher genau die Informationen bekommen, die sie brauchen.
Mehr noch: Das Marketing ist dafür verantwortlich, dass gemessen und ausgewertet wird, was die Website-Besucher interessiert, was sie sich anschauen und herunterladen. Und das Marketing ist deshalb auch dafür zuständig herauszufinden, was ein Website-Besucher tatsächlich will: etwas kaufen, sich für eine offene Stelle im Unternehmen bewerben oder vielleicht nur umsehen, was die Konkurrenz so treibt. Nur die E-Mail-Adressen von echten Kaufinteressenten sollte das Marketing dann an den Vertrieb weitergeben.
Den gesamten Prozess – wie man am Ende aus einem potenziellen Käufer einen tatsächlichen Käufer macht – nennt man Lead Management. Das Herausfiltern von echten Kaufinteressenten und die Weitergabe dieser Daten an den Vertrieb ist einer der ersten entscheidenden Schritte in diesem Prozess. Und genau aus diesem Grund gehört das Lead Management im Marketing angesiedelt und nicht im Vertrieb.
Das alles geht natürlich nicht ohne dass Marketing und Vertrieb eng zusammenarbeiten. Darin liegt eine große Herausforderung – denn bislang sind diese beiden Abteilungen in vielen Unternehmen eher in Grabenkämpfe verwickelt, als dass sie durch reibungslose Kooperation aufgefallen wären. Ich habe in meinem Berufsleben schon viele Diskussionen darüber verfolgt, wer von beiden der Koch und wer der Kellner ist. Und habe mehr als einmal erlebt, wie sich Vertreter der Marketing- und der Vertriebsabteilung bei gemeinsamen Besprechungen angeschrien haben, weil sich die einen für wichtiger hielten als die anderen.
Sie können ganz sicher sein: Das eine geht ohne das andere nicht. Dass Marketing und Vertrieb sich als Gegner betrachten und nicht kooperieren, ist betriebsschädigend. Das Marketing kann deshalb der Geschäftsleitung nicht belegen, welche Erfolge die einzelnen Kampagnen nach sich ziehen – beispielsweise wie viele Verkäufe sich tatsächlich aus der Veröffentlichung eines White Papers ergeben. Und der Vertrieb investiert zu viel Arbeit und damit auch Zeit in Interessenten, die kein echtes Kaufinteresse haben. Nur wenn beide Abteilungen an einem Strang ziehen und die passenden Prozesse, Methoden und Werkzeuge einsetzen, sind zwei wichtige Faktoren unternehmerischen Erfolgs gegeben: Der Beitrag des Marketings zu Umsatz und Rohertrag des Unternehmens kann gemessen werden und der Vertrieb findet bei einer persönlichen Ansprache des Kunden eine hohe Kaufbereitschaft vor.
Je früher sich Marketing und Vertrieb an einen Tisch setzen und gemeinsam definieren, welche Interessenten das größte Potenzial bieten, zu echten Käufern zu werden, desto besser. Oder anders ausgedrückt: Das Unternehmen überlebt nur, wenn der Graben zwischen Marketing und Vertrieb überbrückt wird.
Es gibt Zeiten im Jahr, da stöhnen die Marketingabteilungen vieler Unternehmen meist unisono: „Im Moment geht leider gar nichts. Sobald die Messe vorbei ist, können wir weiterreden.“ Verständlich – denn Messen sind aufwendig: Es müssen repräsentative Stände entworfen und gebaut, Infomaterialien getextet, gestaltet und gedruckt werden – schließlich gibt es kaum eine ähnlich gute Gelegenheit, das Unternehmen gleich einer ganzen Schar von potenziellen Kunden zu präsentieren, Geschäftspartner zu treffen und die Fachwelt auf sich aufmerksam zu machen. Ist der Termin für die Messe dann gekommen, werden Vertriebsmitarbeiter eingesetzt, die dort über mehrere Tage hinweg Besuchergespräche führen; das ist anstrengend und bedeutet harte Arbeit. Am Ende winkt jedoch der Lohn für den ganzen Aufwand: Das Marketing kommt dann mit neuen Erfahrungen, neuen Eindrücken, vor allem aber mit Daten potenzieller neuer Kunden ins Unternehmen zurück und beglückt damit die Vertriebsmitarbeiter. Die müssen dann die interessierten Kunden nur noch anrufen und die neuen Geschäfte abschließen. Moment mal. Glauben Sie das wirklich?
Aber trösten Sie sich: Auch ich saß lange Zeit diesem Irrglauben auf. Ich erinnere mich noch gut an meine Zeit als Angestellter bei Nixdorf, als ich regelmäßig auf solchen Messeständen Dienst hatte. Damals – wie übrigens heute noch in vielen Unternehmen – ging es uns vor allem darum, möglichst viele Besucher dazu zu bringen, ihre Visitenkarten oder Adressen dazulassen. Am Ende jedes Tages erstellten wir dann die Messeberichte. Das waren einfache DIN-A4-Bögen in Abreißblöcken mit vordefinierten Feldern, die wir handschriftlich ausfüllten. Die Visitenkarten der Interessenten hefteten wir an den rechten oberen Rand des Blatts. Jeden Abend trafen wir uns zur Nachbesprechung des Messetages mit unserem Teamleiter und – ich wage es kaum zu sagen, so absurd erscheint mir das heute – derjenige, der die meisten Messeberichte ausgefüllt hatte, wurde zum Held des Tages erklärt und bekam für seine Leistung eine bestimmte Anzahl von Punkten gutgeschrieben. Am Ende der Messe konnten wir uns dann aus einem eigens dafür erstellen Katalog eine Prämie aussuchen. Je mehr Punkte wir erreicht hatten, desto wertvoller war natürlich die Prämie. Meistens handelte es sich um Haushaltsgeräte, Toaster, Kaffeemaschine, Saftpresse und Co., mit denen wir dann unsere Frauen zu Hause besänftigen konnten, schließlich hatten sie mehrere Tage auf uns verzichten müssen. Ein bisschen peinlich hört sich das schon an, oder? Aber so funktionierte die Gewinnung potenzieller Kunden tatsächlich noch vor einigen Jahren.
Wir lebten damals in dem Glauben, dass die Anzahl der Messeberichte etwas darüber aussagte, was die Messe für unser Unternehmen einbrachte. Wir waren fest davon überzeugt, dass das Einsammeln von Visitenkarten unerlässlich war für die Anbahnung von neuen Geschäften. Heute weiß ich: Das war ein großer Irrtum. Oder sagen wir so: Visitenkarten einzusammeln ist natürlich nicht schlecht und ein erster wichtiger Schritt. Aber daraus lässt sich nicht einfach mal so ein Geschäft generieren. Ich will Ihnen auch erklären, warum das so ist.
Im letzten Kapitel haben Sie haben es bereits gelesen: Lead Management umfasst alle Maßnahmen, die ein Unternehmen ergreift, um aus einem potenziellen Käufer einen tatsächlichen Käufer zu machen. Dieser potenzielle Käufer wird auch „Lead“ genannt – der Begriff stammt aus dem Englischen („to lead“ heißt leiten, münden oder führen) und hat sich im Marketing und Vertrieb erklärungsbedürftiger Produkte etabliert, bei denen der Kaufprozess in der Regel einige Wochen oder Monate dauern kann.
Um zu beschreiben, was Lead Management alles umfasst, wird in der Regel sehr schnell der klassische Verkaufstrichter herangezogen. Sie haben ihn bestimmt schon einmal gesehen. Falls nicht – das ist er:
Abbildung 2: Einfacher Verkaufstrichter
Merken Sie was? Genau. Der einfache Verkaufstrichter bildet unter anderem exakt das ab, was ich Ihnen weiter oben geschildert habe: Ein Unternehmen präsentiert sich beispielsweise auf einer Messe, sammelt dort Visitenkarten von allen ein, die aus irgendwelchen Gründen am Stand erscheinen (generiert also Leads), erfasst diese Daten und gibt sie an den Vertrieb weiter, auf dass dieser dann auf geheimnisvolle Weise viele lukrative Aufträge daraus generieren möge. Eigentlich ganz einfach. Klar, dass am Ende nicht aus allen Interessenten Käufer werden, aber es bleibt hoffentlich noch genug hängen.