Karibische Impressionen Teil III
Herausgeber: Ulises de Los Charamicos
Website: www.ulises.de E-Mail: ulises@ulises.de
Autor: Pedro de Las Terrenas
Dieses Buch ist textlich identisch mit von Pedro zwischen 2002 und 2008 im Internet veröffentlichten Kurzgeschichten
© Autor: Pedro de Las Terrenas, Dominikanische Republik
Umschlag: Umschlaggestaltung von Ulises
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Impressum
© 2009 Herausgeber: Ulrich Greiner-Bechert alias „Ulises“ Mannheim, Deutschland
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt ISBN 9783844861686
(Dominikanerin zu Ulises, am Vorabend eines Rückfluges)
die sich stets neue Geschichten von Pedro wünscht
Informationen zur Entstehung dieses Buches finden Sie auf Seite 83 und auf der Internetseite www.ulises.de
Herausgegeben von Ulises
www.ulises.de
Brüsseler Spitzen.
Nachruf an Karsten Kraemer.
Was macht der Pole mit der Kohle?
Freunde und Helfer
Reifen - Uwe
Die dominikanische Leichtigkeit des Seins.
Mein Kampf
Juridisches.
Noelito
Armut
Lilia
Lobo
Persönlicher Nachruf auf Lobo
Das Helfersyndrom
Zum Schluss
Es gibt eine Unzahl von Gegebenheiten, mit denen wir uns abgefunden haben, ohne jemals auch nur für einen Moment darüber nachzudenken, warum das so ist. Als ein kleines Beispiel von vielen möchte ich auf die Tatsache verweisen, daß unsere Erdkugel nicht überall gleich ausschaut. Es wäre ja auch eine grauenhafte Vorstellung, wenn wir immer die gleichen Pflanzen und Tiere um uns hätten, ständig in dieselben dummen Gesichter unserer Nachbarn sehen müßten. Der Tourismus beispielsweise hätte sich nie entwickeln können und wir wären gezwungen, uns täglich mit Cartoon Network zuzudröhnen, um nicht in Lethargie zu verfallen.
Doch Gott sei Dank hat die Schöpfung uns diese Monotonie erspart. Es gibt ein wahres Füllhorn verschiedenster Lebensformen, die sich eben nur an gewissen Stellen unseres Planeten entwickelt haben, an jenen Orten nämlich, wo sie - wie der Wissenschaftler sagt - endemisch sind und dann gibt es darüber hinaus noch ein paar mystische Punkte auf der Welt, wo eine merkwürdige und unerklärliche Häufung sehr seltener Arten gleichzeitig beobachtet werden kann.
Ein solcher Ort ist Las Terrenas. Wie ein Magnet zieht er die skurrilsten Typen an. Sollten Sie jemals einen Film drehen wollen, sei es nun ein Western oder auch nur blanker Horror - hier finden Sie die passenden Visagen dazu. Für die meisten ist es jedoch lediglich eine Zeitfrage, bis sie uns wieder verlassen, zumeist dann um viele Dollars ärmer, doch andererseits zum Ausgleich gewissermaßen auch um einige Lebenserfahrungen reicher.
Es war an einem Montagabend. Mercedes hatte wieder einmal mit Reis und Bohnen gedroht. Ich saß daher mit den Kollegen am Stammtisch in Heidis Arche Noah und war gerade damit beschäftigt, eine Currywurst mit Pommes Frites vom Teller in den Magen zu befördern, als plötzlich der Herr gegenüber zunächst mit einem kleinen Löffel mehrmals gegen sein fast geleertes Glas klopfte und danach feierlich sagte:
„Hiermit eröffne ich die konstituierende Sitzung des Ersten Deutschen Kulturvereins Heinrich Heine, Las Terrenas -e.V.“
Es folgte eine atemlose Stille. Die Gespräche endeten abrupt und selbst Ingolf, der Meister der Fernbedienung, fand auf Anhieb den Knopf für die Unterbrechung des Fernsehtones. Wir Altgringos sahen uns an, so als müßten wir uns erst vergewissern, richtig gehört zu haben. Wir haben schon Fassadenkletterer hier gehabt, Taschendiebe, Zuhälter, Zauberkünstler, elitäre Photographen, Bodybuilder, Goldsucher, Großbetrüger, Gebrauchtwagenhändler, Meister des Piercing und der Tätowierung gar, Herren mit pomadisiertem Haar, wohlriechend und in Seide gekleidet, Millionäre oder doch zumindest ihre Söhne, Banker und Verleger und was sonst noch alles -doch hier die Kultur einzuführen, das war noch nie da - das war in der Tat etwas Neues!
Die Reaktionen waren denn auch entsprechend unterschiedlich. Hellmut legte beide Unterarme auf den Tisch und setzte ein breites Grinsen auf, Jens lächelte verschmitzt, Ulf schaute wie immer ungläubig in die Gegend, Berti – seiner Profession nach immerhin ein Lehrer - hob erstaunt die Augenbrauen, Hermann bat um die Rechnung und ich stellte sofort vom Bier auf Cuba Libre um.
Der gute Mann hatte einen ungewöhnlichen Vornamen, einen ebensolchen Zunamen und legte im übrigen Wert auf die Feststellung, einen Doktortitel zu besitzen. Er gab sich weitgereist und welterfahren, artikulierte sich in komplizierten Satzstrukturen, was zur Folge hatte, daß jedes zweite Wort ein langgezogenes „ äh“ war und überraschte uns alle mit seinem tiefen Wissen um die Zusammenhänge des Weltgeschehens und zwar in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft! „Nach deutschem Vereinsrecht brauche ich dazu mindestens äh sieben Unterschriften und nur wenn wir alle äh Normen erfüllen, können wir in der Heimat eingetragen, anerkannt und was das Wichtigste ist, auch äh um Förderung ansuchen.“
Auf die naheliegende Idee, uns zu fragen, kam er gar nicht. Er setzte voraus, daß alle mitmachen würden und die Aussicht auf irgendwelche Fördermittel bestätigte ihn denn auch in dieser Meinung. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit ernannte er sich daraufhin zum Vereinsvorsitzenden, kurz V.V. genannt, bestellte Stephan, unseren beliebten Graphiker und Chefdesigner zum Vize, Berti zum Schriftführer und Ingolf zum Vereinskassierer, was dieser naturgemäß mit seinem typischen hinterhältigen, sächsischen Grinsen und sichtlicher Genugtuung quittierte. Dann bat er um Anregungen für die Statuten. Nun war die Hölle los, denn jeder hatte eine andere Vorstellung um die Aufgaben des Vereins. Alle schnatterten durcheinander bis Helle mit seiner kohlenschaufelähnlichen Faust auf den Tisch haute und meinte:
„Ich bin dafür, daß der Verein den ruinösen Preisverfall bei den konkurrenzierenden Tauchschulen unterbindet - sonst trete ich sofort wieder aus!“
Doch gab es auch eine Menge anderer Aspekte: Sollen wir die Österreicher und die Schweizer einbeziehen und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Sollen wir jeden aufnehmen, nur weil er deutsch spricht? Was machen wir zum Beispiel mit dem fiesen Pensionisten, der jedes Jahr herüberkommt, um sich hier an die Kinder heranzumachen? Wollen wir den auch und wer entscheidet das überhaupt?
Der Verein war noch keine Stunde alt, da wurden wir schon mit Dingen konfrontiert, die uns bislang vollkommen egal waren. Allein die Aussicht, den mafiösen Italienern und den aufgeblasenen Franzosen endlich ein deutsches Gegengewicht zu verpassen war in der Tat eine reizvolle Sache, der auch ich zunächst einiges abgewinnen konnte.
Für den jungen Verein gab es in weiterer Folge ungeahnte Perspektiven: Selbstverständlich würden wir uns den Rückhalt der deutschen Botschaft versichern, danach mit den Honoratioren des Dorfes in Kontakt treten, um unsere Wünsche und Anregungen an geeigneter Stelle zu platzieren.
Niemand könnte fortan mehr eingesperrt werden, ohne daß der Verein nicht sofort den Herrn Polizeiminister oder gar den Staatspräsidenten persönlich um Intervention bitten würde. Unsere Gesundheit lag uns plötzlich ebenfalls sehr am Herzen und so besprachen wir, einen ent-sprechend kostengünstigen Versicherungsvertrag in Erwägung zu ziehen und zu allem Überfluss beschlossen wir darüber hinaus noch die Bildung eines Fonds für Notfälle allgemeiner Art.
Die größten Visionen allerdings hatte unser V.V. selbst. Es stellte sich nämlich heraus, daß er einen Spitzenjob in Brüssel anstrebte und zwar genau an jene Stelle natürlich, welche die ungeheuren Geldmengen, die von den reichen Bürgern Europas hier angeschleppt und gelagert wurden, an sogenannte förderungswürdige Projekte verteilte.
„Den behinderten Menschen sollten die gleichen Rechte eingeräumt werden wie uns allen! Auch sie haben zum Beispiel das Recht auf sexuelle Erfüllung! Ich schlage daher vor, hier in Las Terrenas eine entsprechende Therapiestation einzurichten.“
Mit Vorschlägen wie diesem glaubte er allen Ernstes, in Brüssel offene Türen einzutreten! Er schien speziell in diese nur allzu menschliche Richtung seine Fühler auszustrecken, denn während der montäglichen Vereinssitzungen stoppte in unregelmäßigen Intervallen ein Concho vor der Arche und hupte. Unser V.V. entschuldigte sich dann kurz, kramte auf dem Weg dorthin eine Banknote unterschiedlicher Größe aus seiner rechten Hosentasche und streckte sie verschmitzt lächelnd der dunklen Schönheit zu, welche hinten auf der Maschine saß.
„Ja, Haiti,“ so meinte er „hat schon eine ganz andere Kultur!“ Man spräche französisch und die Frauen dort würden sich nicht so schamlos den Touristen nähern wie die Dominikanerinnen hier. Im übrigen hätte er die Absicht, seine Angebetete nach Deutschland mitzunehmen.
Irgendwer stellte ihm dann die Frage, was die Bedauernswerte denn dort machen solle, wenn er den ganzen Tag im Büro säße, um für Brüssel die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
„Nun, da haben wir spezielle Beschäftigungsprogramme wie Töpferkurse, Ikebana und dergleichen.“ Er war sich seiner Sache absolut sicher. Als wir hingegen unsere Zweifel anmeldeten, schaute er uns nur überlegen an und meinte: „Ich mache 15.700,- DM nach Steuern und daher habe ich recht - ist das jetzt klar?!“
Er war uns auch in vielen anderen Dingen überlegen. Es stellte sich nämlich heraus, daß Bertis Protokolle weder seinen Vorstellungen noch den deutschen Vereinsstatuten entsprachen und der war - wie schon erwähnt - Lehrer von Beruf.
Irgendwann einmal nahm Hermann mich zur Seite und sagte:
„Weißt Du, Pedro, irgendwie erinnert mich das Ganze an Österreich, das ich auch deswegen verlassen habe, da mir diese ständige Vereinsmeierei auf die Nerven ging.“
Ich konnte ihn gut verstehen und einmal, als ich wieder genügend Cuba Libre konsumiert hatte, unterbrach ich die hochtrabenden Pläne unseres Vorsitzenden wie folgt:
„Ich bin zwei Nächte im Knast gesessen, hier in Las Terrenas! Von Euch hat mich keiner besucht! Es waren Dominikaner, die mir zu essen brachten und merke Dir eines: Solange die Schadenfreude größer ist als die Bereitschaft zu helfen, wird es Dir nie gelingen, aus diesen Wildschweinen hier Tauben zu machen. Da kannst Du so viele Vereine gründen wie Du willst!“
Dennoch gehörte ich zu den wenigen Auserwählten, denen er seine handsignierte Visitenkarte überreichte - als er dann nach Europa flog, um seinen schwierigen Job anzutreten. Seine haitianische Braut ließ er nachkommen. Doch schien sie weder Freude an der Töpferei noch an Ikebana zu empfinden, denn nach wenigen Wochen sahen wir sie wieder auf dem Concho vorbeifahren. Sie winkte uns freundlich zu. Das Concho würde irgendwo Halt machen, wo ein anderer älterer Herr lächelnd auf sie zukäme, um ihr irgendeinen Geldschein entgegenzustrecken.
Bleibt noch nachzutragen, daß es eine letzte Sitzung des Kulturvereins gab, bei dem einstimmig festgestellt wurde, daß wir Heinrich Heine dort lassen sollten, wo er hingehört. Mit Kultur hatten wir auch nichts am Hut und so beschlossen wir, wieder wie früher ganz einfach über jene Kollegen herzufallen, die gerade nicht anwesend sind!
So ist es bis heute geblieben und ich denke, das ist auch gut so, denn so können wir bleiben wie wir sind - ein ungeordneter Haufen spinnender Affen zwar - aber glücklich!
Karsten Kraemer ist tot. Er starb letztes Jahr in Las Vegas, in jener Stadt, in der er so gerne den Rest seines Lebens verbracht hätte. Der alte Jude aus Lippstadt war schon lange vor mir in Las Terrenas gewesen - ich denke, es werden alles in allem wohl so zwanzig Jahre gewesen sein. Er gehörte jener Elite an, die immer über irgendwelche Geldmittel verfügte, wenngleich ich den Eindruck hatte, daß es ausschließlich das Vermögen anderer war, welches er mit Umsicht und einer nicht zu leugnenden Klugheit zu verwalten und zu behüten vorgab.
Es war ihm gelungen, neben dem größten Hotel im Ort seine Kneipe zu errichten. Hier gab es die gute deutsche Küche wie bei Muttern zu Hause und seine Gäste waren gottlob auch nicht gezwungen, Spanisch zu lernen, für so manchen immerhin schon zwei gute Gründe, vom großen Hotel nebenan herüber zu kommen und hier bei Karsten sein Geld auszugeben. Als ich zum ersten Mal dort auftauchte, hatte er schon ein kleines Hotel darüber gebaut und es Finchen genannt. Es war zwei Stockwerke hoch, besaß etwa zehn Zimmer und das Mauerwerk zierten seine beliebten fünfstrahligen Judensterne. Neben dieser Auffälligkeit verwendete Karsten auch noch eine ganz spezielle Farbe - sie erinnerte ein wenig an das Schönbrunner-Grün, mit dem das alte Wien sich um die Jahrhundertwende so gerne präsentiert hatte.
Benannt war das Gemäuer nach seiner dominikanischen Braut, mit der er tatsächlich richtig verheiratet war und einen Sohn hatte. Der wiederum war Carstencito, was übersetzt etwa der kleine Karsten bedeutet.
Mental war Karsten schwer einzuordnen. Ich hatte das Gefühl, er balancierte ständig auf dem schmalen Grad zwischen Genialität und Wahnsinn, denn obwohl er zumeist mit fremdem Geld hantierte, nahm er seine Sponsoren nicht wirklich aus, ließ sie nie fallen oder gar im Stich. Viele seiner Geldgeber hätten ohne ihn mit Sicherheit alles versoffen oder sonst wie durchgebracht – Karsten hingegen wußte immer etwas sinnvolleres damit anzufangen. Um seine Kneipe zu füllen, organisierte er mindestens einmal im Monat ein großes Fest. Die mit Abstand umsatzträchtigsten Feierlichkeiten waren – wie könnte es auch anders sein – Hochzeiten und so nimmt es nicht wunder, dass Karsten im ersten Heiratsbuch von Las Terrenas bei jedem dritten Ja-Wort als Trauzeuge angeführt ist.