Das Buch
Sommer 1898. In New York treffen sich nach einer abenteuerlichen Überfahrt drei junge Deutsche. Hannes Simon ist in die neue Welt gekommen, um der bitteren Armut im Westerwald zu entkommen; Edgar Varost und Albert Rose verließen ihre ostpreußische Heimat aus Abenteuerlust.
Sagenhafte Goldvorkommen in Alaska, davon hörten die jungen Männer und machten sich auf den beschwerlichen Weg zu den Goldfeldern am Klondike. Dort schließen sie Freundschaft mit Eagle Joe, einem alten Goldgräber, und tatsächlich werden sie in ihrem Claim fündig. Doch dieser plötzliche Reichtum endet in einer Katastrophe. Aber wohin ist der Mörder mit dem geraubten Gold verschwunden? Hat das blutige Gold eine erste Spur gelegt?
Herbst 2007. Über einhundert Jahre später machen sich unabhängig voneinander drei Gruppen auf den Weg zum Yukon. Richard Varost, der Enkel des Goldräubers ist im Besitz eines Lageplans und will mit seinem zwielichtigen Kumpel Axel den vergrabenen Schatz seines Großvaters in Besitz nehmen. Zusammen mit anderen Wassersportlern bereiten sich auch vier Freunde aus dem Spessart auf ihre jährliche Kanureise am Yukon vor. Am Little Moose Creek kommt es zu einem dramatischen Zusammentreffen der Gruppen, und was als Urlaub, Abenteuer und Schatzsuche begann, endet in einer fürchterlichen Katastrophe. Sind die einhundert Jahre alten Goldnuggets schon wieder in falsche Hände geraten? Hat der verschwundene Schatz aus der Goldgräberzeit jetzt eine letzte blutige Spur gelegt ...?
Der Autor
Hans-Christian Bues (1948), verheiratet, zwei erwachsene Kinder, lebt und arbeitet als Reisejournalist und freier Autor in Königswinter am Rhein. Nach dem Studium der Germanistik und Kommunikationsforschung wirkte er viele Jahre als Redakteur verschiedener Fachzeitschriften, veröffentlichte Reiseberichte, Hörbücher, Biographien und Romane.
»Tödliches Gold«, Abenteuererzählung, epb, Bergisch Gladbach, 2004
»In Teufels Namen«, Abenteuererzählung, epb, Bergisch Gladbach, 2005
»Wenn Rosen vom Himmel fallen«, Abenteuererzählung,
epb, Bergisch Gladbach, 2006
»Abenteuer Yukon«, Reiserzählung in fünf Bänden,
BoD Norderstedt, 2008/2009
»Tödliche Freunde«, Abenteuererzählung, BoD, Norderstedt, 2010
»Tödliches Wiedersehen«, Abenteuererzählung, BoD, Norderstedt, 2011
»Tödliche Flucht«, Abenteuererzählung, BoD, Norderstedt, 2011
Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden.
Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen und realen
Handlungen ist nicht beabsichtigt und wäre deshalb rein zufällig.
Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über »http://dnb.d-nb.de« abrufbar
Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel »Tödliches Gold«
im Verlag edition epb, Bergisch Gladbach. © epb
2. Auflage 2005 im Verlag edition epb, Bergisch Gladbach. © epb
3. geänderte und erweiterte Auflage unter dem Titel
»Tödliche Freunde«, 2011 bei BoD, Norderstedt. © Hans-Christian Bues
Gestaltung, Titel und Satz: Gero Sander, Hamburg
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfreiem Papier
ISBN 978-3-8448-7515-7
Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany
»Es geschehen Dinge, die wie Fragen sind.
Es vergehen Sekunden oder Jahre, und das Leben antwortet.«
Alessandro Baricco
Spätsommer 1897. Die Hitze des Tages lag flimmernd über dem Land. Das heftige Gewitter des gestrigen Abends war schon fast vergessen. Die Wasserpfützen in den tiefen Spurrillen der Räder waren längst getrocknet, nur das an einigen Stellen zu Boden gedrückte Getreide erinnerte noch an die Gewalt des Regens.
Der Gesang der Lerchen lag über dem weiten Land, die Sonne stand schon fast im Zenit, ein lauer Wind strich über die reifen Kornfelder.
Der altersschwache Leiterwagen rumpelte den Weg entlang. Hinter den eisenbeschlagenen Rädern kräuselten sich feine Staubfahnen und fielen Sekunden später wieder in sich zusammen. Die massige Trakehnerstute, die den Wagen zog, trottete mit hängendem Kopf und halbgeschlossenen Augen einem kleinen Waldstück zu, das wie eine grüne Insel in dem wogenden Gelb zu liegen schien.
Schon seit zwei Stunden waren sie unterwegs, um von der Kreisstadt Insterburg, tief im Herzen Ostpreußens, zurück in ihr Dorf zu gelangen. Und schon fast genauso lange war Edgar auf dem harten Kutschbock des Wagens eingeschlafen. Die Zügel hingen lose am Griff der Sitzbank festgebunden, sein Kopf ruhte mit dem Kinn auf der Brust, sein Oberkörper schwankte im Gleichtakt mit dem über die Steine im Weg holpernden Wagen. Der gelblichgraue Strohhut, der ihn vor der stechenden Sonne schützen sollte, hing an einer schmutzigen Schnur auf seinem Rücken; der Knoten des roten Halstuchs hatte sich gelöst, Schweißperlen fanden ungehindert den Weg von der Stirn über das Gesicht bis hinunter in das dunkle Dickicht seiner Brustbehaarung. Das weiße Leinenhemd mit dem angegrauten Kragen stand weit offen und ließ ein kleines silbernes Amulett an einer Kette erkennen, das hin und wieder in der Sonne kurz aufblitzte.
Vom eigenen Schnarchen gestört, schreckte Edgar plötzlich hoch und fasste sich mit beiden Händen an den Kopf. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, begann er, sich Augen, Gesicht und Stirn zu reiben, klopfte mit den Fingerspitzen vorsichtig an die Schläfen und stöhnte laut und vernehmlich.
»Verdammte Sauferei jedes Mal«, murmelte er vor sich hin und suchte in der abgewetzten Ledertasche, die neben ihm am Bock hing, nach der Feldflasche mit Wasser. Mit leicht zitternden Händen schraubte er den Deckel auf, trank einen langen Schluck und spuckte das Wasser im hohen Bogen auf den breiten Pferdehintern vor ihm.
»Lauwarm die Brühe, ist ja grauenhaft«, schimpfte er und wühlte weiter in seiner Tasche. Der Gaul drehte träge den Kopf mit der langen Mähne zur Seite, schnaubte heftig und fiel dann wieder mit nickendem Hals in seinen langsamen Trott zurück.
Eine kleine, bauchige Flasche, noch zur Hälfte mit Aprikosenschnaps gefüllt, in der einen Hand, in der anderen ein Stück Rauchfleisch, das war das späte Frühstück für den heutigen Tag. Genüsslich kauend und langsam die Schnapsflasche leerend blickte Edgar voraus. Schnurgerade führte der schmale Feldweg zu seinem Dorf. Ganz hinten in der flimmernden Ferne erahnte er bereits die Spitze des Kirchturms; weit davor glitzerte der fast kreisrunde, schilfumrandete See, der ihm die Erfrischung bringen sollte, die er jetzt dringend brauchte.
Gerade erst halbwegs nüchtern, stieg ihm der restliche Schnaps schon wieder zu Kopf. Aber die bohrenden Kopfschmerzen ließen ein wenig nach. Gut eine Stunde noch, so wusste er aus Erfahrung, würde es dauern, bis er hinter dem lichten Birkenwäldchen nach rechts zum See abbiegen konnte. Zeit genug, um noch ein kleines Nickerchen zu machen.
Denn Schlaf hatte er dringend nötig. Und Zeit zum Nachdenken. Dort am See, nach einem kühlen Bad, wollte er seine Gedanken sortieren: Er musste sich gut überlegen, was er seinem Vater, was er seiner Verlobten Verena sagen sollte. Aber das hatte noch Zeit. Er rückte in die rechte Ecke der harten Sitzbank, zog den Strohhut weit in die Stirn und schloss die Augen. Sicher – er würde auch diesmal wieder eine passende Ausrede finden, um aus dieser verfluchten Situation herauszukommen.
Vor drei Tagen, am Freitag, ganz früh am Morgen hatte Edgar sich auf den Weg in die Stadt gemacht. Der große Leiterwagen war schwer beladen gewesen mit Mehlsäcken, lebenden Hühnern, Eiern, Salat, Gemüse, Obst und Körben voll schwarzer, saftiger Herzkirschen. An beiden Seiten des Wagens hatte er verschiedene Hacken, Spaten, Sensen, Schaufeln und andere Metallgeräte festgebunden, um sie in der Stadt schärfen und schleifen zu lassen; der Scherenschleifer in der Augustusstraße war weit über die Grenzen des Kreises hinaus bekannt für Präzision und gute Preise.
Nach dem langen und harten Winter hier in Ostpreußen hatte die Natur die Bauern dieses Jahr mit einem lauen Frühling überrascht. Die Saat war gut aufgegangen, und der stete Wechsel von Regen und Sonne im Sommer brachte eine gute Ernte. So fuhr Edgar während der Erntezeit in diesem Jahr zweimal monatlich nach Insterburg, um freitags und samstags auf dem Wochenmarkt mitten in der Stadt seinen kleinen Stand aufzubauen. Nicht jeder Interessent bekam von der dortigen Behörde eine Verkaufsgenehmigung für diesen Wochenmarkt, der vielen Kleinbauern der Umgebung das Überleben sicherte. Edgars Vater, Walter Varost, aber war Besitzer einer kleinen Windmühle in Schillehlen und örtlich bestellter Müller für die Mehllieferungen an die hier stationierten Soldaten. Vater Varost ging auch nicht umsonst mit dem Stadtkämmerer im Herbst zur Jagd, und zu Weihnachten stand jedes Jahr, wie zufällig, ein großer Sack Mehl vor der Haustür des dicken, bestechlichen und faulen Stadtschreibers.
Die frisch geschärften Arbeitsgeräte klapperten leise hinten im Wagen, als das Hinterrad über eine Wurzel rappelte. Edgar schreckte wieder hoch. Sein müder Blick ging zum Horizont. Der Weg nach Hause schien ihm, wie immer, länger als der Hinweg. Wenn auch die Fahrten längst Routine waren, wie das Leben überhaupt, so lag doch ein wenig Erwartung und Abenteuerlust im Aufbruch nach Insterburg. Mit den Tieren, den frischen Eiern und dem Gemüse musste er immer früh los, und so war es auch diesmal noch dunkel gewesen, als er am Freitag aufbrach. Er hatte, wie so oft, nur unruhig geschlafen und auf ein Frühstück zu so früher Stunde verzichtet. Mit sicheren Griffen hatte er die betagte Stute Nelly vor den bereits gepackten Wagen gespannt, als ganz langsam im Osten der neue Tag erwachte. Mehr als einhundert Mal war Nelly schon diesen Weg zur Stadt gegangen, den Rückweg oft weitgehend alleine.
Nur in der dunklen und kalten Winterzeit war Vorsicht geboten, und Edgar verzichtete dann auf seinen Schlaf. Herumstreunende Wolfsrudel, auch nur deren Geheul, verängstigten Nelly so stark, dass sie ohne feste Hand mit dem Schlitten im Rücken ausbrach und erst wieder gestoppt werden konnte, wenn ein Hindernis im Weg war. Ein paarmal hatte Edgar diese Erfahrung gemacht. Ansonsten waren Nelly und er ein eingespieltes Team.
Die Landstraße von Schillehlen nach Insterburg war nur ein ausgefahrener Feldweg, führte aber fast immer geradeaus, vorbei an kleineren Weilern, einem herrschaftlichen Gutshof und zwei Seen. Kopfweiden säumten die staubige Fahrbahn; Schatten aber war von ihnen im Sommer nicht zu erwarten. Die Korbflechter wanderten in den Sommermonaten die langen ostpreußischen Alleen entlang und schnitten sich die frischen Zweige für ihre Körbe ab, so erreichten die Bäume kaum Höhe.
Am Freitag war Edgar, wie geplant, etwa gegen sieben Uhr morgens in der geschäftigen Kreisstadt angekommen. Zu dieser Zeit begann dort das Leben. Der Markt wurde aufgebaut; aus allen Richtungen trafen Fuhrwerke, Handkarren und Marktfrauen mit Säcken und Körben ein.
Edgar wachte spätestens dann auf, wenn sich die Geräusche der Räder änderten, denn schon in den Außenbezirken von Insterburg waren die Straßen mit Kopfstein gepflastert. Er reckte und streckte sich auf dem Kutschbock, rieb sich die verschlafenen Augen, gähnte herzhaft und laut und blinzelte gegen die rasch höher steigende Sonne. Er fühlte sich nun frisch und ausgeruht, er freute sich, für zwei Tage dem langweiligen Landleben in seinem verschlafenen Dorf Ade sagen zu können und an dem geschäftigen Treiben in der Kreisstadt teilzunehmen. Diese Minuten, kurz bevor er in den Lärm und die Hektik des Wochenmarktes eintauchte, liebte er besonders. Schnell war dann der einfache Stand aufgebaut, die ersten Kunden kamen meist fast zur gleichen Zeit. Es wurde gehandelt und gefeilscht, geschummelt und getauscht. Geld, Waren, Gerüchte und Anekdoten wanderten über den Ladentisch. Die Stunden vergingen wie im Flug.
Die Geschäfte an diesem Freitag waren so gut gegangen, dass er schon am ersten Abend weit über die Hälfte seiner Ware verkauft hatte; nur vier Dutzend Eier und sechs Säcke Mehl mussten am Samstag noch an den Mann gebracht werden. Nachdem Pferd, Wagen und die restliche Ware für die Nacht versorgt waren, hatte er beschlossen, den Erfolg ein wenig zu feiern.
Vor allen Wirtshäusern standen an den Markttagen Tische und Stühle; Musik, Lachen und Gesang lagen über den Straßen und Gassen, in denen sich die Wärme des Tages noch bis spät in den Abend hielt. Bauernmädchen und fesche Bürgertöchter, meist in kleinen Gruppen, schlenderten über den Marktplatz, und je später der Abend wurde, desto lauter und trunkener wurde die Stimmung. Edgar war mit zwei Soldaten aus dem Kurland durch die Wirtshäuser gezogen, hatte sich großzügig und freigiebig gegeben, Geschichten erzählt, meist von Frauen, die auf seinen unwiderstehlichen Charme hereingefallen waren, und gelogen, dass sich die Balken bogen.
Er war ein großer, stattlicher Mann. Kurze, dunkle Haare umrahmten sein kantiges Gesicht. Der an den Enden gezwirbelte, schwarze Schnäuzer war ein reizvoller Kontrast zu der Reihe blendend weißer Zähne. Er wusste, welche Wirkung er auf Frauen hatte und er genoss diesen Zustand.
Zweiundzwanzig Jahre war er alt und seit fast zwei Jahren mit Verena, der Tochter des Dorfschullehrers in Schillehlen verlobt. Verena war mit Abstand das hübscheste Mädchen, nicht nur aus seinem Dorf. Über ein Jahr machte Edgar ihr den Hof – gegen den Willen von Verenas Eltern. Sie fanden keinen Gefallen an diesem Taugenichts, der seine Lehrzeit als Müller bei seinem Vater abgebrochen hatte, der sich mit seinen seltsamen Freunden mehr in den Wirtshäusern der Gegend aufhielt, als an einem ordentlichen Arbeitsplatz. Er redete immer viel, prahlte gern mit seiner als einziger Sohn zu erwartenden Erbschaft, verschwendete aber keinen Gedanken an die Arbeit in der Mühle und an seinen Vater, der mit seinem schwachen Herzen noch Tag für Tag zehn Stunden in der Mühle schuftete. Seit dem Tod der Mutter sorgte eine alte Magd beim Müller Varost für das Haus, für die kleine Landwirtschaft und das tägliche Essen.
Aber Verena Jurkat hatte sich unsterblich in diesen Mann verliebt, und zwei Tage nach ihrer Volljährigkeit waren die beiden verlobt. Immer und immer wieder redeten die Eltern auf das Mädchen ein. Was konnte er ihrer Tochter bieten? In welche Zukunft wollte er Verena mitnehmen? Der Kummer hatte Verenas Mutter sehr geschwächt, vor einem halben Jahr war sie gestorben.
»Mach’ uns die Krüge noch einmal voll, Herr Wirt, und dazu drei Selbstgebrannte«, – es war schon weit nach Mitternacht, als Edgar und seine Kumpanen noch in der Wirtsstube den Tag begossen.
Die beiden Soldaten neben ihm konnten kaum noch auf den Beinen stehen, aber Edgar lehnte lässig an der Eingangstür, über ihm baumelte das Wirtshausschild »Zur Krone«, hoch oben leuchteten Millionen Sterne von einem blauschwarzen Himmel.
»Schluss jetzt, schaut auf die Uhr, es ist Feierabend. Geht nach Hause und schlaft euren Rausch aus, die Nacht ist kurz und morgen ist auch noch ein Tag.« Der Kronenwirt mit dem kahlen Schädel und Händen, so groß wie Bratpfannen, hatte noch drei Schnaps auf die Fensterbank neben der Tür gestellt.
»Die gehen aufs Haus, Männer. Runter damit und nichts wie weg, bevor der Schutzmann kommt, und Ärger macht. Schlaft gut.«
Gegen zwei Uhr war Edgar müde und betrunken in sein Bett gefallen. Dass er mehr als die Hälfte der Tageseinnahmen von heute in den Wirtshäusern der Stadt gelassen hatte, das hatte erst am Morgen Einzug in sein verkatertes Hirn gehalten.
Gegen neun Uhr erst war er aufgewacht.
Alle Stände waren längst aufgebaut, als er auf dem Marktplatz angekommen war. Die Sonne schien schon angenehm warm und die Menschen sahen provozierend zufrieden aus. Edgar hatte fluchend einsehen müssen, dass es keine Möglichkeit gab, mit Pferd und Wagen die restlichen Waren von seinem Lager zum Marktplatz zu transportieren. Von einem Bauern aus der Nachbarschaft konnte er sich dann eine roh zusammengezimmerte, schwere Schubkarre aus Holz ausleihen, um damit von einem Schuppen außerhalb der Stadtmitte die Säcke und die anderen Waren in mehreren Fuhren durch die belebten Gassen und den Trubel auf dem Marktplatz zu seinem Stand zu bringen. Jeder Knochen im Leib hatte ihm weh getan bei der Schufterei. Den gestrigen Abend mit den beiden Soldaten verfluchend, hatte er hoch und heilig gelobt, es nie wieder so weit kommen zu lassen. Aber das hatte er schon zu oft getan, um es selbst noch wirklich ernst zu nehmen.
Die Augen schmerzten von der Helligkeit der Sonne, sein Magen revoltierte gegen ein spätes Frühstück. Saure Gurken, süßer Anis, frische Heringe, würzige Kräuter, geräucherte Würste, Sauerkraut und knusprig gebackenes Brot – er musste diese Gerüche auf dem Markt noch einige Stunden aushalten.
Bis zum Nachmittag wollte er den Rest der Ware verkauft haben, denn am Abend war er mit Albert Rose, seinem Freund und Nachbarn aus Schillehlen im Gasthof zum Bären verabredet.
Nur langsam stieg die Sonne über die Giebel der umliegenden Bürgerhäuser, der Staub und die Hitze auf dem Platz machten Edgar mächtig zu schaffen. Immer wieder schaute er auf die große Kirchturmuhr am rechten Ende des Marktplatzes, aber die Zeiger schienen, wohl nur um ihn zu ärgern, sich in einer unverschämten Langsamkeit über das Ziffernblatt zu bewegen. Automatisch griff Edgar zur Flasche, als er die letzten Stunden noch mal an sich vorbeiziehen ließ.
Ein kalter Novemberwind rüttelt an den roh zusammengezimmerten Fensterläden der kleinen Bauernkate. Tief in eine Mulde geduckt, sucht das flache Gehöft Schutz vor den ersten Schneeschauern, die von den nahen Bergen des Westerwalds herabgefegt kommen. Das dämmerige Grau des späten Nachmittags geht fast unmerklich in eine feuchte und kalte Dunkelheit über.
Im hinteren Teil des schmucklosen Hauses sind scharrende und schabende Geräusche zu hören: Hinter einer nur dünnen Bretterwand ist das Vieh untergebracht. Mit dem Geruch, der Wärme und den Geräuschen ist man aufgewachsen; sie werden überhaupt nicht mehr zur Kenntnis genommen.
Irgendwo in der Nachbarschaft jault ein Hund, ausdauernd und klagend. Die schwere Haustür wird geöffnet, Schritte in der Diele.
»Guten Abend zusammen.« Jakob, der älteste Sohn der Bauernfamilie Simon, groß und mit breiten Schultern, streift die durchnässte Jacke von den Ärmeln und betritt die gute Stube.
»Lass doch die nassen Stiefel draußen«, bittet Anna, »oder stell sie in die Küche vor den Ofen. Und sei nicht so laut, Jakob, die Eltern sind schon zu Bett gegangen. Mutter ging es heute ganz besonders schlecht.«
Mit einem lauten Stöhnen lässt sich Jakob auf einen freien Stuhl fallen, um die mit einfachen Gamaschen umwickelten Lederstiefel mit Hilfe des abgewetzten Stiefelknechts von den kalten Füßen zu ziehen. Sein kantiger Kopf mit den wirren, schwarzen Haaren, die bis über den Hemdkragen reichen, bewegt sich suchend von links nach rechts.
»Wo ist Hannes, wo ist Karl?« fragt er seine ältere Schwester, die er hinter der geöffneten Tür zur angrenzenden Küche mit Töpfen und Pfannen hantieren hört.
»Karl ist drüben im Stall, und Hannes muss jeden Augenblick wieder hier sein.«
Seine unter den buschigen dunklen Augenbrauen überraschend hellen Augen mustern mit sicherem Blick das Innere der einfachen Wohnstube. Hier ist er groß geworden, hier kennt er jeden Nagel in der Wand. Der große, rechteckige Tisch mit sechs Hockern ohne Lehnen füllt fast den gesamten Raum. Ein einfacher Wandschrank ohne Glas und Türen steht rechts neben dem einzigen Fenster. Einige abgestoßene Teller, eine Handvoll Gläser, ein paar Blechtassen, zwei abgegriffene Zeitschriften unter der dunkelblauen Bibel und eine große Suppenterrine sind auf drei Bretter darin verteilt. Ganz unten beherbergt eine verschließbare Schublade die wenigen Kostbarkeiten der Familie. Der bis zur niedrigen Decke reichende, halbrund gemauerte Kachelofen wird von der Diele aus befeuert, und beheizt dadurch auch noch die danebenliegende Küche und den Herd. Rund um den Ofen ist eine einfache Sitzbank aufgestellt; dort liegen meist nasse Kleidungsstücke und Wäsche zum Trocknen. Der niedrige Raum ist trotz des knisternden Feuers im Ofen heute noch kühl, feucht und ungemütlich. Jeder Windstoß zieht durch die Ritzen unter Fenster und Türen. Der rohe Bretterboden direkt über der gestampften Erde wird kaum temperiert, während sich die Ofenwärme unter der hölzernen Decke sammelt.
Karl lässt sich müde auf einen der rohen Stühle am Küchentisch fallen. Eine Ölfunzel unter der Decke wirft ihr flackerndes Licht über die goldbraun gedunkelte Tischplatte. Ein großer Kanten Schwarzbrot, ein Stück geräucherter Speck und ein Topf Dickmilch wird von Anna, der ältesten Tochter der Familie, auf den blank gescheuerten Tisch gestellt.
»Lasst uns erst einmal etwas essen. Hannes ist noch schnell zum Friedhof, er muss jeden Augenblick zurück sein«, sagte sie, und verschwindet wieder in der Küche. Mit einer großen Kanne dampfenden Hagebuttentees kommt sie zurück.
»Jakob«, sagt sie nachdrücklich zu ihrem ältesten Bruder, »sorge bitte dafür, dass Brot, Speck und Milch gerecht unter allen verteilt werden, mehr zu essen ist nicht im Haus. Leg’ Hannes’ Portion so lange zur Seite und achte darauf, dass Karl die Finger von Vaters Schnaps lässt.«
Ein Grinsen geht durch die Runde, aber Karl klopft auf seine Jackentasche und zaubert ein kleines Blechfläschchen hervor.
»Selbstgebrannter von Onkel Wilhelm aus Altenkirchen. Nächste Woche soll es noch mehr davon geben«, lacht er und öffnet rasch die Flasche.
»Auch darüber werden wir gleich noch reden.« Jakob ist aufgestanden, um seinem Bruder die Flasche aus der Hand zu nehmen. »Ich denke«, sagt er finster, »wir wollten unser Geld sparen, so wurde es auf unserem letzten gemeinsamen Zusammensein zu Vaters Geburtstag beschlossen. Oder hat sich daran irgendetwas geändert?« Böse funkelte er seinen jüngeren Bruder an.
Immer wieder gab es in letzter Zeit wegen Schnaps Streit zwischen den beiden. Dabei sind alle drei Brüder früher einem zünftigen Besäufnis am Samstagabend nie aus dem Weg gegangen. Werner Stellmeier, der Besitzer des Gasthofs »Zum grünen Tal« in der Nähe von Buchholz, kann davon ein Lied singen. Immer wieder gab es danach Streit mit den Junggesellen der Nachbardörfer. Kirchweihfeste sind für Prügeleien nun mal besonders geeignet. Die Simon-Brüder waren damals in diesem Teil des Westerwaldes bekannt wie bunte Hunde. Oft verprügelten sie sich gegenseitig, meist wegen Mädchen. Wurde aber einer von ihnen von einem Fremden angegriffen, schweißte die Verteidigung der Familienehre sie in null Komma nichts wieder zusammen. Aber genauso schnell, wie ein Streit begann, war er auch wieder vergessen. Keiner der Brüder war nachtragend, nicht gegenseitig, aber auch anderen gegenüber nicht.
Wohlhabend waren die Bewohner der umliegenden Höfe und Dörfer in der Vergangenheit noch nie; doch bei aller Armut und Bescheidenheit – für ausgelassene Feiern war jeder Anlass willkommen und kein Weg zu weit.
Aber diese Zeiten sind längst vorüber. Zwei Missernten und ein außergewöhnlich harter und langer Winter brachten Hunger und Elend in diesen schon immer armen Landstrich. Weizen, Gerste und Hafer verschimmelten im Dauerregen der Jahre 1895 und 1896 auf den Feldern; den Kartoffeln und Rüben machte der strenge Winter im Jahr darauf den Garaus. Und auch der diesjährige Sommer war verregnet. Getreide und Früchten fehlte die Sonne, der Herbst begann früher als normal, und der erste Frost schon Anfang Oktober zerstörte einen großen Teil der Ernte. Mehr als die Hälfte der Viehbestände war schon verkauft oder geschlachtet. Heu und Stroh waren auf den Feldern verfault, die Tiere wären im Winter verhungert.
Wie sollen die kleinen Bauernhöfe die langen Wintermonate überleben? Wut und Verzweiflung stehen in den abgearbeiteten, verhärmten Gesichtern. Wie soll es weitergehen? Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit selbst in den Predigten am Sonntag in der Kirche. Bauernsöhne und -töchter versuchen ihr Glück in den umliegenden Städten. Aber dort gibt es für den Zustrom nicht genug Arbeit.
Köln, Bonn, Koblenz, Neuwied, Altenkirchen – zu Hunderten strömen arbeitsuchende, hungernde und frierende Menschen aus ihren Dörfern und von ihren einsamen Höfen in die Städte am Rhein. Aber keine Arbeit heißt kein Brot und kein Dach über dem Kopf. Die ersten ernsthaften Krisen erschüttern die jungen Industriegesellschaften in Deutschland und im benachbarten Ausland. Florierende Banken brechen zusammen, und viele alte, gestandene Wirtschaftszweige verlieren die Basis. Maschinen zerstören die Arbeitsplätze von Tausenden. Ihre Familien hungern, können oft die Wohnung nicht mehr halten. Rücksichtslos zerstören skrupellose Banker, Politiker und Industriebarone in diesen Jahren menschliche Existenzen, treiben kleine Handwerker und Bauern in den Konkurs, entvölkern ganze Landstriche. Aufstände sind in den überbevölkerten Städten an der Tagesordnung. Aus Not und Verzweiflung wird gestohlen, gelogen und betrogen. Raub, Totschlag und Mord beschäftigen Polizei und Justiz; die Zustände in überfüllten Gefängnissen und Zuchthäusern sind menschenunwürdig.
All dies kennt Jakob. Zusammen mit seinen Brüdern war er schon mehrmals in den nahegelegenen Städten. Sie hatten versucht, Hühner, Schafe, Getreide, Obst und Gemüse auf den Märkten zu verkaufen; für das erhoffte Bargeld wollten sie landwirtschaftliche Geräte und neuartige Düngemittel anschaffen, um mit den größeren Höfen Schritt zu halten. Aber ihre Preise – sie mussten ihre Produkte ja mit dem Ochsenkarren viele Meilen bis zur Stadt bringen – waren nicht konkurrenzfähig. Sie mussten ihre Ware am Abend wieder aufladen. Marktgebühren waren trotzdem fällig, Reisekosten waren entstanden; Obst und Gemüse aber waren nach zwei Markttagen angefault und ungenießbar.
Nicht nur die Eltern finden inzwischen keinen Schlaf mehr. Sie werden vor der Zeit alt und gebrechlich. Wie soll das weitergehen? Wovon sollen wir leben? Was wird aus unseren Kindern? Die Sorgen erdrücken sie. Die drei Söhne sind groß, stark, kräftig und gesund. Jakob, der Älteste wurde im Sommer vierundzwanzig, Karl ist einundzwanzig und Hannes gerade neunzehn.
Anna macht den Eltern die größten Sorgen. Sie wird bald sechsundzwanzig. Im Dorf schon als alte Jungfer verspottet, gibt es wohl keine Möglichkeit mehr, sie noch halbwegs vernünftig zu verheiraten. Dabei waren da einige Verehrer in der Vergangenheit: Friedrich, der Sohn vom Dorfschmied, zeigte vor einigen Jahren monatelang reges Interesse an der etwas herben Schönheit von Anna. Eine gute Partie, dachten die Eltern. Aber er – wie auch andere, die ihr den Hof machten – blitzten bei ihr ab, und so blieb sie bis heute ledig und allein, hin und wieder vom Hohn und Spott der männlichen Dorfbevölkerung begleitet.
Anna hat ihre Rolle angenommen. Sie kennt den Weg, den die Gesellschaft für sie vorzeichnet. Männer, so glaubt sie, spielen in ihrer Zukunft keine Rolle mehr. Doch »ihre Männer« – wie sie heimlich ihre Brüder und den Vater nennt – bereiteten ihr genug Probleme, füllen ihr Leben aus. Und ganz langsam, ganz unauffällig hat sie sich innerhalb der Familie eine Position erworben, die ihr mehr Macht und Einfluss über alle wichtigen Entscheidungen im Hause Simon verschafft, als es den anderen bewusst ist. Mit Einfühlungsvermögen, Taktik und gesunder Autorität ist es ihr in den schwierigen Zeiten der vergangenen Jahre immer wieder gelungen, die Familie zusammenzuhalten, die kranken und schwachen Eltern zu pflegen und die Brüder zum Geldverdienen anzutreiben.
Die letzten Sommer halfen sie – sobald auf dem eigenen Hof die Arbeit getan war – den anderen Bauern bei der Feldarbeit, und im Winter gab es harte und schlecht entlohnte Arbeit in den windgepeitschten Wäldern des hohen Westerwalds.
Bauholz für die Kohlegruben im Revier, Eichenschwellen für die Stahltrassen der Eisenbahn, Brennholz für die riesigen Öfen der Keramik- und Tonbrennereien der Umgebung. Doch diese Tagelöhnerarbeiten konnten bisher gerade die sechsköpfige Familie am Leben erhalten. Eine bessere Zukunft ist nicht in Sicht.
»So kann das nicht weitergehen. Wir müssen uns zusammensetzen, um eine Lösung zu finden«, sagte Anna nach dem gemeinsamen Kirchgang am letzten Sonntag.
»Was meinst du damit, wovon redest du eigentlich?« fragte Karl und schaute Anna mit unruhigen Augen an. Er wäre viel lieber nach der Kirche mit seinen Zechkumpanen im Gasthaus eingekehrt, statt mit den Geschwistern zurück ins kalte und trostlose Heim zu gehen.
»Merkst du eigentlich nicht«, antwortete Anna, »dass wir bald am Ende der Sackgasse angekommen sind? Siehst du nicht, dass wir kaum noch in der Lage sind, uns und unsere Eltern anständig zu ernähren? Keiner von euch hat einen Beruf, keiner von euch verdient so viel Geld, dass er auch die anderen am Leben erhalten kann. Von Heirat, eigener Familie, Kindern möchte ich überhaupt nicht sprechen.«
Anna hatte sich in Rage geredet, ihre Schritte wurden immer langsamer. Vor dem verwitterten, grauen Wegkreuz, das vor mehr als einhundert Jahren hier aufgerichtet wurde, blieb sie stehen. Die Geschwister hatten die Geschichte oft gehört: Ein Soldat aus Flandern hatte an dieser Stelle ein junges, unschuldiges Mädchen aus dem Nachbardorf, das auf dem Rückweg von einer Maiandacht war, vergewaltigt und ermordet. Nur Stunden später hatte man den feigen Meuchelmörder in einer üblen Spelunke auf dem Weg nach Altenkirchen gefasst, zu dem Ort seiner Schandtat zurückgebracht und ohne langen Prozess aufgeknüpft an den starken Zweigen der großen Linde, unter deren Schatten sie nun standen.
»Sicherlich hast du recht, Anna, aber was sollen wir machen? Was schlägst du vor?« Hannes schlug den Mantelkragen hoch und versenkte die Hände tief in den Taschen seiner Jacke. Trotzig schaute er sie an: »Siehst du denn einen Ausweg aus dieser Misere? Schau dir doch die diesjährige Ernte an! Schon im zweiten Jahr nur verfaultes Korn auf den Feldern; damit können wir nicht einmal unser Vieh ernähren. Glaubst du, Gott will uns strafen?«
Anna schaute ihrem kleinen Bruder lange in die Augen. Hannes war ihr Lieblingsbruder, ganz tief in ihrem Herzen liebte sie ihn mehr als alle anderen, doch sie würde das niemals offen zeigen. »Hannes, ob Gott uns strafen will oder nicht, weiß ich nicht. Aber wenn er das wirklich will, dann ist es ungerecht. Und ungerecht zugrunde zu gehen, das sollten wir uns nicht gefallen lassen, dagegen sollten wir uns zur Wehr setzen.«
Jakob und Karl, die gerade weitergehen wollten, blieben abrupt stehen.
»Anna, was redest du da? Willst du dich vor Gott versündigen? Wer gibt dir das Recht, so zu sprechen?« Jakob ging auf Anna zu, packte sie an den Schultern, drückte sie ein wenig und zog sie zu sich.
»Lass mich los, Jakob, du tust mir weh.«
Jakob ließ seine Schwester los, schüttelte den Kopf und ging weiter.
»Bleib stehen, bitte«, rief Anna und zog die grobe Strickjacke enger um ihre Schultern. »Wir können zu Hause vor den Eltern nicht über dieses Problem reden, das wisst ihr. Wir sind ganz alleine nur auf uns angewiesen und müssen deshalb möglichst schnell einen Entschluss fassen.«
Der feine Nieselregen wurde stärker, dunkle, graue Wolken türmten sich am westlichen Horizont auf. Windböen drückten die tiefhängenden Zweige der uralten Linde zu Boden.
»Wenn wir uns nicht beeilen, haben wir zwei weitere Probleme«, bemerkte Karl. »Erstens ist unser Herdfeuer wahrscheinlich bald aus, und zweitens werden wir so langsam ordentlich nass hier, und dazu habe ich überhaupt keine Lust.«
Langsam trotteten die Vier also bergan, um nach der nächsten Kreuzung in den schmalen Weg zum Gehöft abzubiegen. Eine dünne Rauchfahne, vom Wind in kleine Spiralen zerrissen, stieg aus dem Schornstein der Hütte.
»Na, wenigstens brennt das Feuer noch«, murmelte Karl und beschleunigte seine Schritte, um in die warme Stube zu kommen.
»Einen Augenblick noch«, bat Anna. »Nächsten Sonntag nach dem Abendessen, sobald die Eltern zu Bett gegangen sind, möchte ich, dass wir uns alle in der Stube treffen, um gemeinsam über unsere Zukunft nachzudenken. Vielleicht ist es unsere letzte Chance. Und wenn ich alle sage, dann meine ich auch alle, ist das klar?«
Erstaunt blickten die Brüder ihre ältere Schwester an. So hatten sie Anna noch nie erlebt.
»Ich meine das sehr ernst. Wir können nicht mehr einfach so in den Tag hineinleben; viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Ich brauche euch wohl nicht zu sagen, dass Mutters Lungenleiden nicht mehr heilbar ist. Und Vaters Kräfte schwinden von Tag zu Tag. Wir haben kein Geld für Arznei, nichts womit wir den Doktor bezahlen könnten, und kaum genug zu essen. Der Winter kommt, und wir gehen – soll das so sein? Macht euch bis nächsten Sonntag bitte ein paar Gedanken, wie wir zusammen aus dieser hoffnungslosen Situation herauskommen. Und jetzt kommt rein, ich mache euch einen schönen starken Grog – stark genug, um Tote wieder zum Leben zu erwecken.«
Höflich und ein wenig linkisch hielten sie Anna die Haustür auf.
Die Woche verging wie alle Wochen vorher. Das Wetter wurde immer schlechter, der erste Schnee legte sich über Nacht auf die noch herbstbunten Blätter der Bäume. Noch lange nicht war alles Obst von den Bäumen; Bohnen und Kartoffeln waren noch auf den Feldern. Heu und Stroh, gerade ein wenig trocken, tropfte wieder vor Nässe. Seit zwei Tagen waren alle damit beschäftigt, Holz für den vorzeitigen Winter heranzuschleppen, zu sägen, zu spalten und in langen Reihen hinter dem Stall, im Windschatten und überdacht, zu stapeln. Arbeit, die notwendig war, aber keinen Heller in die Familienkasse brachte.
Als Vater noch gesund war, vor drei Jahren, standen noch acht Kühe und ein Dutzend Schweine im Stall. Heute war nur eine magere Kuh übrig, zu alt und zu kraftlos, um regelmäßig Milch für Butter und Käse zu liefern. Alle Schweine waren geschlachtet und verkauft; fünf alte Hühner und ein großspuriger Hahn schafften es nicht, mehr als ein, zwei Eier pro Tag im Hühnerstall zu hinterlassen. Die letzte Reise in den Kochtopf war für diese armen Viecher schon geplant, doch solange noch Steckrüben und Kohl für eine Suppe vorhanden waren, blieb für sie eine Galgenfrist.
Und nun ist wieder Sonntag: ein kalter, windiger Herbsttag. Anna hat sich für das Abendessen etwas Besonderes einfallen lassen: Eine große Platte köstlicher Speckpfannekuchen steht auf dem Tisch, daneben eine schwarze Eisenpfanne mit dampfenden Bratkartoffeln, dazu gibt es Quark mit Kräutern.
Sie wollen mit dem Essen noch auf Hannes warten. Jeder hat einen dunklen Tonkrug mit dampfendem Tee vor sich stehen. Jakob teilt das Brot in vier gleiche Teile. Plötzlich hält er inne: »Haben die Eltern schon zu Abend gegessen, Anna?«
»Schön, dass du daran denkst, Jakob, aber mach dir keine Sorgen. Vater hat eine ordentliche Portion Eintopf verputzt, und Mutter schläft schon seit heute Vormittag. Wenn sie aufwacht, mache ich ihr ein wenig Brühe warm, ein Stück Brot dazu – mehr wird sie kaum schaffen.«
Trauriges Gemurmel der Geschwister; die Hände umklammern die heißen Tonkrüge.
»Was macht Hannes noch auf dem Friedhof?« fragt Karl und kratzt sich ungeniert zwischen den Beinen.
»Das Holzkreuz auf Großvaters Grab ist umgestürzt, das hat mir der Michel vom Sargmacher Tessler gestern beim Einkaufen erzählt. Ich habe Hannes gebeten, die Grabstelle wieder zu richten. Ich glaube, das sind wir unserem Alten wohl schuldig.« Anna schaut nach oben zur niedrigen Decke des Raumes. »Hört ihr was? Ich glaube, Mutter hat gerufen.«
»Ich gehe mal nachschauen.« Karl steht auf.
»Warte! Vater möchte sicher was trinken.« Anna gießt einen Krug voll Tee, reicht ihn Karl und lächelt: »Du kannst so lieb sein, wenn du willst. Aber meist stehst du dir selbst im Weg. Warum eigentlich?« Karls Gemurmel ist nicht zu verstehen. Er geht rasch die Stiege hinauf.
Dann das Quietschen der elterlichen Schlafzimmertür. Jedes Wort ist durch die dünnen Wände zu hören. Früher, als Kinder, hatten sie sich oft über die seltsamen Geräusche, das Knarren des Bettgestells, das Ächzen und Stöhnen aus dem Schlafzimmer der Eltern gewundert. Einen Reim konnten sie sich lange nicht darauf machen.
Erst in der einklassigen Volksschule im Dorf redeten ältere Mitschüler hinter der Hand über so manche Sachen, die sie gehört oder gesehen haben wollten. Sachen, die immer und solange spannend blieben, solange keiner von den Burschen etwas Genaues wusste.
Rote Ohren, schweißnasse Hände, feuchte und unruhige Träume, an diese Tage erinnerten sich alle noch. Hin und wieder setzte es auch mal eine ordentliche Tracht Prügel, wenn Vater oder Großvater der Meinung war, dass ihnen, trotz ausdrücklicher Verbote, schlimme Worte und verbotene Taten in diesem Bereich zu Ohren gekommen waren. Mutter hat den Söhnen gegenüber zu diesem Thema nie ein Wort verlauten lassen, nur mit Anna hat sie sich zweimal länger unterhalten. Das erste Mal war Anna gerade fünfzehn Jahre alt, das nächste Mal ging es um einen Verehrer, einen Studenten aus dem Nachbardorf, der ihr schon länger den Hof machte. Die Brüder lauschten gebannt an der Stubentür, verstanden aber noch nichts.
Immer weniger Kunden fanden den Weg über den staubigen Marktplatz. Viele Händler, Bauern und Handwerker hatten schon ihre Tische und Marktstände abgebaut, Bedürftige, Bettler und Hausierer schlichen um die leeren Standflächen und Abfallhaufen, um noch hier und da ein paar Tomaten, einen Kohl oder ein wenig Obst zu ergattern. Hunde und Katzen wühlten in den Haufen und strichen um Edgars Beine, der sich verzweifelt abmühte, seine restliche Ware noch an den Mann zu bekommen, wenn es sein musste auch unter Preis. Fast zwei Säcke Mehl standen zusammen mit einigen Eiern und ein paar verwelkten Salatköpfen noch auf seinem Tisch.
Jakob Schuck, der Sägewerksbesitzer aus Edgars Heimatdorf, hatte den Apfelschimmel schon angespannt; er war fertig für die Heimreise.
»Edgar, pack doch endlich zusammen, hier gibt es heute kein Geschäft mehr zu machen«, rief er über den Platz. »Lass uns zusammen nach Hause fahren, und vorher kehren wir noch kurz beim Löwenwirt ein, auf ein frisches, kaltes Bier. Was hältst du davon?«
»Nett gemeint, Jakob, aber ich bin heute abends mit Albert verabredet. Wir haben Wichtiges zu besprechen«, rief Edgar zurück und begann, seinen Verkaufsstand abzuräumen.
»Ja, ja, eure wichtigen Besprechungen, die kenne ich«, lachte der Holzmann und wischte sich mit einem großen, rot-weiß-karierten Tuch den Schweiß von der Stirn. »Sei froh, dass dein Gaul morgen den Weg nach Hause alleine findet, und lass die leichten Mädchen der Stadt heute Nacht in Ruhe schlafen. Denk daran, du bist noch immer mit unserer schönen Verena verlobt.« Jakob schwang sich auf den Kutschbock, knallte kurz mit der Peitsche, und verließ grüßend den Marktplatz.
»Und genau das werde ich heute Nacht ganz sicher nicht machen«, murmelte Edgar lächelnd vor sich hin, während er seine schwerbeladene Karre über das holprige Kopfsteinpflaster zog.
Albert Rose war ein prima Kumpel, mit dem konnte man Pferde stehlen. Mit dem Stellmachergesellen hatte er in seiner Jugend schon viele Streiche ausgeheckt. Die Sache mit dem abgebrannten Heuschober im Nachbardorf war nie aufgeklärt worden. Auch die Idee, mit einer kleinen Stange Dynamit, geklaut aus einem nahen Steinbruch, in einer lauen Sommernacht auf Fischfang in einem der masurischen Seen zu gehen, war Alberts Hirn entsprungen. Über die Mengen an geräucherten Fischen hatte sich zwar das ganze Dorf gewundert, gegessen aber hatten alle von den einmaligen Leckerbissen.
Edgar musste lächeln, als er an all diese kleinen Gaunereien dachte, die ihm und seinem Freund eine unausgesprochene Vormachtstellung unter den Gleichaltrigen des Dorfes eingebracht hatten. Mal fehlte einem unaufmerksamen Bauern im Dorf ein Sack Getreide, mal eine Ziege im Stall. Alles ließ sich auf dem Markt verkaufen und zu Geld für Bier, Schnaps und Mädchen machen. Und diese drei Leidenschaften führten in den letzten Jahren dazu, dass immer mehr und immer häufiger Waren aus den Schuppen und Scheunen der Bauern verschwanden, die von den beiden in klingende Münze umgesetzt und in anrüchigen Kneipen und Spelunken der Umgebung auf den Tisch gehauen wurden. Immer dreister wurden die beiden bei ihren nächtlichen Raubzügen, denn immer mehr Geld war nötig, um die teuren Eskapaden in der Kreisstadt zu finanzieren. Allein um die Spielschulden einer Nacht im vergangenen Herbst zu bezahlen, mussten die beiden eine gestohlene Trakehnerstute weit unter Preis in einer gefährlichen Nacht und Nebelaktion zum Pferdeschlächter nach Insterburg bringen.
Und nun hatte sich Edgar sogar an den Mehlsäcken aus der Mühle seines Vaters vergriffen. Drei Säcke bestes Roggenmehl hatte er gestern und heute ohne Wissen seines Vaters verkauft; der größte Teil des Gewinns war vergangene Nacht unter die Wirte der Stadt aufgeteilt worden, den Rest der Scheine würde sich heute Abend die hübsche Brünette aus der Stiftsgasse wohl tief in ihr blütenweißes Mieder schieben.
»So ist das Leben richtig, nur so macht es Spaß«, schob Edgar jedes Gewissen beiseite. Aber die Gefahr, dass sie entdeckt wurden, stieg. Schon einige Male hatte sich ein Verdacht wie ein schwarzer Schleier über die beiden gelegt, doch bisher konnten sie, völlig entrüstet, alle Verleumdungen weit von sich weisen.
»Es muss und es wird eine Möglichkeit geben, der Falle zu entkommen, bevor sie endgültig zuschnappt ...« Schon seit Monaten arbeitete diese Idee in seinem Inneren, nagte an seinen Gedanken und war in den letzten Wochen zu einer definitiven Entscheidung gereift. Und heute Abend war die Stunde gekommen, um Albert Rose diese Entscheidung zu präsentieren und ihn zu überreden, sich ihm anzuschließen. Er war fest davon überzeugt, dass dies nicht nur ihre letzte und beste Chance war, sondern dass sie endlich den Weg heraus aus diesem langweiligen Dorf, dieser muffigen Enge und ihrer finanziellen Misere bedeuten würde. Denn welchen Sinn haben Träume, so sagte er sich, wenn wir keinen davon wahr machen.
Er blieb kurz stehen, um sich mit seinem schmutzig grauen Tuch den Schweiß von der Stirn zu wischen. Ein hübsches, rothaariges Mädchen, eingehakt in den Arm eines lächerlich herausgeputzten Soldaten in Ausgehuniform, kam ihm entgegen. Er grüßte das Mädchen charmant und freundlich, vor dem geschniegelten Obergefreiten salutierte er bewusst nachlässig und grüßte mit der falschen Hand. Der Soldat tat, als ob er die Beleidigung nicht gesehen hätte, reckte die spitze Nase in den Wind und rauschte beleidigt mit seinem Mädchen im Arm an ihm vornüber.
»Einen schönen Tag noch, und eine siegreiche Nacht, Herr General«, rief Edgar den beiden hinterher. Das Mädchen schaute über die Schulter kurz zurück, zwinkerte und lächelte ihn strahlend an. Mit einem heftigen Ruck in der Armbeuge erinnerte der Soldat daran, wer heute das Kommando übernommen hat. Edgar überlegte: Ja, er kannte die Kleine ...? Plötzlich erinnerte er sich, wohlig schaudernd, an die lauwarme Spätsommernacht mit Sara vor gut einem Jahr. Obwohl er weder eine Uniform spazieren führte, noch militärische Umgangsformen beherrschte, waren dieser nächtliche Ritt und die stundenlange Feldschlacht in dem quietschenden Eisenbett damals für beide kampferprobten Parteien ein herrlicher und grundlegender Sieg. Erst im Morgengrauen kehrte erschöpfte Ruhe in der kleinen Dachkammer ein. Billig war dieses Vergnügen freilich nicht gewesen, erinnerte Edgar sich schmunzelnd. Aber wie im Leben, so hat auch im Krieg alles seinen Preis. Dies würde spätestens morgen früh der tapfere Grenadier auch erfahren, und mit seinen restlichen Münzen, die ihm vorm kargen Wehrsold noch geblieben waren, grübelnd vor einem kleinen, starken und schwarzen Kaffee in einem der vielen Gasthäuser von Insterburg sitzen.
Ein äußerst störendes Jucken zwischen den Beinen nach dieser Nacht hatte Edgar am nächsten Tag einige weitere Taler beim Doktor Vrede in der Marktgasse gekostet.
»Wer war das Mädchen?« hatte der grauhaarige Arzt den völlig überraschten Edgar angebellt. »War es wenigstens die hübsche Sara? Oder eine von den grauslichen, bohnenstangengleichen Frauenzimmern aus Königsberg, die hier den dummen und tölpelhaften Soldaten immer wieder die letzten Kopeken aus den löchrigen Taschen ziehen?«
Der Arzt hatte sich in Rage geredet. Dieses Thema war eines seiner Lieblingspredigten an die jungen Männer dieser Stadt; er hatte sich mit Leib und Seele der sogenannten Volksgesundheit verschrieben, und seine medizinischen Strafen für sexuelle Fehltritte waren daher auch immer äußerst hart und unerbittlich. Von schmerzhaften Einläufen, brennenden Salben und Tinkturen versprach er sich nicht nur eine medizinische, sondern hauptsächlich eine pädagogische Wirkung. Doch leider war dieser lobenswerte Einsatz des alten und ehrwürdigen Doktors nicht von nachweisbaren Erfolgen gekrönt.
Edgar gönnte dem schneidigen Soldaten diese leidige Erfahrung von Herzen. Diese Gewehrträger und Strammsteher besangen doch in ihren markigen Liedern immer wieder die bleibende Erinnerung an eine schöne Maid. Diesmal konnte er sicher sein, dass sie ebenso bleibend wie schmerzhaft sein würde.
Edgar hat sich nie viel aus Soldaten, Uniformen und Kasernen gemacht. Gehorsam, Pflichterfüllung und Disziplin gehörten mit Sicherheit nicht zu seinen starken Seiten. Im Gegenteil, er hasste Soldaten genau wie die Gendarmen, die immer wieder versuchten, sein Leben in Bahnen zu lenken, die ihm absolut nicht zusagten. Nur mit Mühe hatte er sich zweimal vor der drohenden Einberufung zum Militär gerettet. Es war Erntezeit gewesen, und die Mühle seines kranken Vaters hatte wirklich jede kräftige Hand gebraucht. Und den Gendarmen waren sie auf ihren Raubzügen mehrmals nur mit letzter List entkommen. Am liebsten sah Edgar uniformierte Gestalten daher von hinten.
Er steckte das Tuch zurück in seine Hosentasche, packte die beiden schweißnassen Griffe der schweren Karre und machte sich wieder auf den Weg. Die Sonne begann gerade, zwischen den hohen Giebeln der Häuser rund um den Marktplatz zu verschwinden, als er abgekämpft und lustlos das Warenlager erreichte.
Er versorgte sein Pferd, lud seine restliche Ware auf den Leiterwagen um, dann spannte er eine grobe Leinenplane über den Wagen und verließ die Stallungen, um beim Scherenschleifer noch sein Werkzeug abzuholen.
Er war müde, verschwitzt, durstig und hungrig. »Verdammter Mist«, fluchte er vor sich hin, als er vor der schon verschlossenen Tür der Schleiferei stand. Nun musste er morgen früh noch einmal hier vorbei. »Wieso hat der Bengel seinen Laden schon zu?« schimpfte er und rüttelte letztmalig erfolglos an der dunkelgrünen, schweren Werkstatttür.
Den Strohhut tief ins Gesicht gezogen, die Hände in den unergründlichen Hosentaschen, stapfte er missmutig in die Innenstadt zurück. Auf dem Weg zu seiner Pension kam er an mehreren Gasthäusern vorbei, trank hier und da ein schnelles Bier, redete mit Bekannten aus seinem Dorf, schäkerte mit zwei Dienstmägden, die ihm in ihren frisch gestärkten Röcken und Blusen wie weiß-blaue Engel aus einem fernen, fremden Land vorkamen.
In seinem kleinen Dorf, verloren in der unendlichen Weite der ostpreußischen Ebene, sah man solche hübsch angezogenen und adrett zu Recht gemachten Mädchen höchstens ein, zweimal im Jahr zum Kirchweihfest oder einer der seltenen Hochzeiten. Dann zogen sich Jung und Alt die feinsten Kleider an, sangen, tranken, tanzten und waren lustig. Den Rest des Jahres waren die Winter lang, dunkel und kalt, die Sommer trocken, heiß und voller Mücken; Arbeit, Mühsal und Entbehrungen bestimmten den Tageslauf der Bauern, Handwerker und Tagelöhner.
Eine Wirtschaft, die Kirche, ein kleiner Laden, die Volksschule, eine Mühle, ein Sägewerk, eine Molkerei sowie rund zehn Kleinbauernhöfe und zwanzig hölzerne Wohnhäuser – das war Schillehlen, seit Generationen in Ostpreußen die Heimat seiner Vorfahren.
Über zwanzig Jahre hatte er selbst hier verbracht. Aber seine Zeit in diesem Dorf war nun zu Ende, musste zu Ende sein. Noch heute sollte die Entscheidung fallen, und im Frühjahr – spätestens – würde er sich auf die Beine machen, um der Zukunft eine letzte Chance zu geben.
»Ich brauche Geld, viel Geld«, sprach er eindringlich zu sich selber, während er einige Münzen in seiner Tasche abzählte, um das Bier beim Kronenwirt zu bezahlen. »Wie komme ich in kürzester Zeit zu möglichst viel Geld, ohne vor meinem Verschwinden noch im Schuldturm oder im Gefängnis dieser Stadt zu landen?«
Einige ahnten schon etwas von seinen kriminellen Machenschaften im Dorf und der Umgebung. Er musste also äußerst vorsichtig und mit viel Fingerspitzengefühl die anstehenden Probleme zu bewältigen versuchen.
Albert Rose würde ihm helfen, da war er sicher. Er freute sich schon auf das Treffen; es würde ganz sicher wieder ein toller Abend werden. Ein schlechtes Gewissen, Geld, das ihm nicht gehörte, mit vollen Händen auszugeben, plagte Edgar nicht.