Einleitung
Die Anfänge
Theorie & Praxis
Baubeschreibung der BV 143
Die Abwurferprobung bis Mai 1941 durch Blohm & Voss
Die Abwurferprobung bis Dezember 1941 durch Blohm & Voss
Die AEG Bahnwinkelsteuerung
Zwischenbilanz der Versuchsstelle im Januar 1942
Welche BV 143 Entwicklungsaufträge hatte die V-Stelle Peenemünde 1941?
Funkaufschaltung BV 143
Mach-Zahl Einfluss auf die BV 143
Vorteile mit anderen Steuergeräten?
Feinhöhenmesser
BV 143 A – die erste Serienausführung
Die Kriegsmarine kommt ins Spiel – die Katapultgeräte
Nachsteuerung mit Zielsuchgeräten und Fernsehsteuerung
BV 143 B und das Ende
Fazit
Anlage 1 Tabelle der BV 143 Abwürfe
Anlage 2 Abwurfsequenz aus einem Auswertungsfilm
Anlage 3 Bodenfühler - Wasserschussversuche
Anlage 4 Abwurf BV 143 V2
Anlage 5 Abwurf BV 143 V6
Anlage 6 Abwurf BV 143 V11
Anlage 7 Abwurf BV 143 V12
Anlage 8 Abwurf BV 143 V17
Anlage 9 Abwurf BV 143 V18
Anlage 10 Abwurf BV 143 V20
Anlage 11 Vergleich verschiedener Flugbahnen
Anlage 12.1 Dreiseitenansicht BV 143 V-Muster
Anlage 12.2 Dreiseitenansicht BV 143 A
Anlage 12.3 Dreiseitenansicht BV 143 A-2
Anlage 12.4 Dreiseitenansicht BV 143 A-3
Anlage 12.5 Dreiseitenansicht BV 143 mit Tragflächenendscheiben
Anlage 12.6 Dreiseitenansicht BV 143 B
Quellenverzeichnis
Am 4. Mai 1982 griffen argentinische „Super Etendard“ Flugzeuge die britische Flotte bei den Falkland Inseln mit AM.39 Exocet Lenkflugkörpern an und versenkten den britischen Zerstörer „Sheffield“. Diesen Einsatz wiederholten die argentinischen Luftstreitkräfte am 25. Mai 1982 und griffen erneut mit Exocet Flugkörpern das zum Materialtransporter umgebaute Containerschiff „Atlantic Conveyor“ ebenfalls mit Erfolg an. Die bei den Angriffen eingesetzten Super Etendard Flugzeuge konnten jeweils unbehelligt heimkehren. Diese Operationen der Argentinier während des Falkland Krieges waren die ersten erfolgreichen Einsätze von sog. „Sea Skimmer“ Lenkflugkörpern. Derartige Flugkörper fliegen das feindliche Schiff nur wenige Meter über der Wasseroberfläche an und bieten damit wesentliche taktische Vorteile.
Fast auf den Tag genau 42 Jahre und 6 Monate vorher, um genau zu sein am 5. November 1939 (etwas mehr als 2 Monate nach Kriegsbeginn) wurde bei der Britischen Botschaft in Oslo ein Päckchen abgeliefert. Inhalt dieses Päckchens waren eine Vaccumröhre, die als Annäherungszünder für Granaten identifiziert wurde und ein maschinengeschriebenes Dokument mit brisantem Inhalt. Dieses Dokument enthielt für die Briten bis dahin vollkommen unbekannte Informationen u.a. über das deutsche Ju 88-Programm, einen deutschen Flugzeugträger, Entwicklung von Autopiloten und erste Hinweise auf die Erprobungsstelle Rechlin. Verkürzt wiedergegeben ist auch folgendes zu lesen:
„3) Ferngesteuerte Gleiter. Die Kriegsmarine entwickelt ferngesteuerte Gleiter, d.s. kleine Flugzeuge von etwa 3m Spannweite und 3m Länge die eine große Sprengladung tragen. Sie haben keinen motorischen Antrieb und werden von einem Flugzeug aus großer Höhe abgeworfen. Sie enthalten: Einen elektrischen Höhenmesser, dieser bewirkt dass der Gleiter in etwa 3m über dem Wasser abgefangen wird. Er fliegt dann horizontal mit Raketenantrieb weiter. Eine Fernsteuerung…, durch die der Gleiter nach rechts oder nach links… gesteuert werden kann,… Der Gleiter soll so gegen die Bordwand eines feindlichen Schiffes gelenkt werden und dort soll die Sprengladung abfallen und unter Wasser explodieren. Die Geheimnummer ist FZ 21 ferngesteuertes Zielflugzeug. Die Erprobungsstelle ist in Peenemünde.“
Soweit der originale Text aus der heute noch vorhandenen Abschrift im Imperial War Museum. Diese Beschreibung charakterisiert klar sog. Sea Skimmer Flugkörper, die wie oben geschildert dann im Falklandkrieg durch Argentinien erstmals erfolgreich eingesetzt wurden.
Aber: Gab es eine solche Entwicklung bereits im Deutschland des Jahres 1939?
Die Aussicht Schiffsziele bei einem normalen Horizontalbombenangriff zu treffen war äußerst gering. Bei einem Angriff z.B. auf ein Großkampfschiff standen für einen wirkungsvollen Treffer jeweils nur ca. 15m von der Schiffslängsachse nach beiden Seiten hin zur Verfügung. Damit durfte der Zielfehler nur max. +/- 15m betragen. Eine Gleitbombe, die sich in einem flachen Winkel dem Ziel näherte, schaffte hier wesentlich günstigere Trefferverhältnisse (der zulässige Abwurffehler durfte je nach Gleitwinkel entsprechend der Schiffslänge größer ausfallen, um noch wirkungsvolle Treffer zu erzielen).
Diese Überlegungen haben wohl Herrn Dr. Richard Vogt, Entwicklungsleiter bei Blohm & Voss Hamburg, Abt. Flugzeugbau, dazu bewogen, dem RLM einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. In einem Brief an Herrn Hermann Pohlmann vom 3. Juli 1978 schreibt Herrn Dr. Richard Vogt: „Zusätzlich möchte ich darauf hinweisen, dass alle Geräte-Objekte; das am Wasser entlangfliegende und deshalb nur zweidimensional gelenkte Gerät BV 143… ohne Anregung des RLM entstanden sind und von mir persönlich in Mußestunden ausgedacht, entworfen und dann vorgeschlagen wurden“. Herr Rudolf Bree, ab Sept./Okt. 1939 im RLM u.a. verantwortlich für Fernlenkgeräte bestätigt dies indirekt, in dem er an den Autor schrieb: „Anregungen kamen von Einzelpersonen bzw. Firmen, die Vorschläge wurden geprüft und je nach Ergebnis vom RLM finanziert“.…“Eine Ausschreibung gab es nicht“.
Nach Angabe im Buch von Herrn Hermann Pohlmann „Chronik eines Flugzeugwerkes 1932 – 1945“ (in dem auch das o. g. Schreiben von Herrn Dr. Richard Vogt zu finden ist) begann die Konstruktion der später als BV 143 bezeichneten Gleitbombe Ende 1938/Anfang 1939. Die Leitung hatte lt. einem nach dem Krieg erstellten CIOS - Report ein Herr Dr. Zisker. Leider stehen dem Autor über diese Zeitspanne keine Primärquellen bezüglich der Arbeiten bei Blohm & Voss zur Verfügung.
Den ersten dokumentierten Hinweis auf diese Entwicklung findet man in einem Aktenvermerk über eine Besprechung im RLM am 25.1.1940. Diese Besprechung beschäftigte sich mit Visiermöglichkeiten für ferngelenkte Körper. Besprechungsteilnehmer waren ausschließlich RLM Mitarbeiter (u.a. die Herren Bree/Wöhrle von LC 2/IV, Dr. Benecke, LC 7/II, Dr. Knobloch LKA, Hr. Kröger V-Stelle Peenemünde). Es wurde ausgeführt, dass der Stand der Entwicklung ferngelenkter Körper soweit fortgeschritten ist, dass die Entwicklung von Visiergeräten und Visiermethoden beginnen sollte. Besonders interessant in diesem Zusammenhang sind jedoch folgende Ausführungen des Aktenvermerks:
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2.) RSA ist ein Gleitkörper mit dem Gleitwinkel 1:8 bis 1:10 zum Angriff auf Seeziele. Abwurfhöhe 200 – 1000m. Abwurfentfernung 4000 bis 12000m. Kurz vor erreichen der Wasseroberfläche wird der RSA mittels einer Höhenmessanlage abgefangen und bis zum Auftreffen auf das Ziel auf Horizontalflug in 2 bis 8m Höhe eingesteuert. Der Kurs des RSA kann durch Fernsteuerung vom Trägerflugzeug aus gesteuert werden. Der RSA ist mit R-Antrieb versehen.
.....................
3.) ZF 1000 ist ein Gleitkörper zum Angriff auf Seeziele, dessen Bewegung ähnlich der des RSA im Raume verläuft. Abwurfentfernung 2000 bis 5000m. Abwurfhöhe 100 bis 400m. Gleitwinkel 1:30. Gleitet bis zum Wasser und steuert sich dann auf 2 bis 7m Flughöhe ein. Mit R-Antrieb. ZF 1000 hat keine Nachsteuerung um Hochachse, sondern nur Kurssteuerung.… Zur Verfügung steht dabei evtl. ein Verfahren, dessen Prinzip auf der Reflexion elektrischer Wellen beruht.
.....................
Die Spezifikation des ZF 1000 entspricht wohl am ehesten der BV 143 (siehe weiter unten die Baubeschreibung). Es ist deshalb anzunehmen, das ZF 1000 die Entwicklungsbezeichnung für die BV 143 bei Blohm & Voss war. Es war also bei diesem Abwurfkörper keine Fernsteuerung vorgesehen. Wohl hat man aber bereits an eine Selbststeuerung über ein auf elektrischen Wellen beruhendes Zielsuchgerät nachgedacht. Das im Oslo Report erwähnte ZF 21 könnte eine verkleinerte Testausführung gewesen sein (ähnlich dem RSA 160 für die RSA – Körper).
Die Spezifikation für den RSA-Körper dagegen kennzeichnet sich durch eine große Ähnlichkeit mit der Hs 293 (in den Abwurfparametern und der geplanten Verwendung einer Fernsteuerung). Bei Henschel lief die Entwicklung zuerst unter der Bezeichnung RSA 1000 (Von Jan. – ca. April 1940), erst im April 1940 wurde die Typenbezeichnung Hs 293 offiziell vergeben. Ähnlich könnte es bei der BV 143 gewesen sein. Es ist leider aus keinem der Originaldokumente zu entnehmen, wann diese Typenbezeichnung vom RLM vergeben wurde. Die früheste Erwähnung der Typenbezeichnung BV 143 erfolgt erst in einem Aktenvermerk vom 31. Mai 1940.
Etwa zur gleichen Zeit, als man sich im Reichsluftfahrtministerium Gedanken darüber machte, wie das Zielen mit diesen Gleitkörpern unterstützt werden sollte, beschäftigte sich das Forschungsinstitut der AEG mit dem Problem einer trägheitslosen Flügelsteuerung. Im Zusammenhang mit der Schaffung eines freifliegenden Hubschraubers wurden Überlegungen angestellt, wie Auftriebsänderungen ohne Bewegung von nennenswerten Massen praktisch trägheitslos erreicht werden könnten. Versuche zeigten, dass durch das Ausblasen von Luft auf der Flügeloberseite praktisch gleichzeitig eine Auftriebsverminderung eintritt.
Die Einhaltung kleiner und vor allem gleichbleibender Höhen über der Wasseroberfläche, wie es für den Flugverlauf der oben dargestellten Gleitkörper angedacht war, erfordert eine rasche Regelfolge und ein möglichst verzögerungsfreies reagieren der Steuerung auf den Höhenregler. Dies bedeutet bei einer normalen Steuerung schnelle pulsierende Bewegungen der Steuerklappen.
Um das oben dargestellte Prinzip zu erforschen, wurde ein Modellkörper (Länge 65cm, Spannweite 40cm) mit einer entsprechenden trägheitslosen Steuerung ausgerüstet und im Windkanal der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg erprobt. Die Versuchsergebnisse zeigten, dass es prinzipiell möglich war, mit dieser trägheitslosen Steuerung, eine konstante Höhe in vorgegebenen Toleranzen einzuhalten. Die Versuchsergebnisse wurden in einem Bericht vom 17.1.1940 durch die AEG dokumentiert. Wann die Versuche genau durchgeführt wurden, geht leider aus dem Bericht nicht hervor. Ebenfalls ist im Bericht nur der prinzipielle Flugverlauf beschrieben und es gibt leider keinen Hinweis darauf, ob diese Überlegungen und Versuche sich auf einen bestimmten Gleitkörper bezogen (da ja beide – RSA und ZF – zu dieser Zeit mit dem gleichen Flugverlauf beschrieben werden) und ob, z.B. Blohm & Voss an diesen Versuchen beteiligt war. Im späteren Verlauf wird noch eingehender auf die Beteiligung des AEG Forschungsinstitutes bei der Entwicklung der BV 143 Steuerung eingegangen werden. Das Prinzip der trägheitslosen Steuerung wurde jedoch im Folgenden für die BV 143 nicht mehr weiterverfolgt.
Schon an diesem Beispiel zeigt sich klar, welche Herausforderungen sich aus dem vorgegebenen Flugprofil ergaben und in der Entwicklung gelöst werden mussten. Im ersten Halbjahr 1940 beschäftigte man sich neben Windkanalversuchen in der Blohm & Voss eigenen Forschungsabteilung an einem Modell der BV 143 im Maßstab 1:5, auch beim Institut für Flugmechanik der DVL in Berlin-Adlershof theoretisch mit dieser Thematik. Bevor näher auf die Windkanalergebnisse eingegangen wird, sind besonders die Ergebnisse der DVL von Interesse, da hier klar die zukünftigen Herausforderungen bei der Umsetzung der zugrundeliegenden Idee verdeutlicht werden.
In enger Zusammenarbeit von Blohm & Voss, Hamburg (verantwortlich für die Geräteentwicklung) und der Firma Anschütz & Co. (verantwortlich für die Entwicklung der Selbststeuerung) wurden die flugmechanischen Fragen der BV 143 durch die DVL untersucht. Dazu wurden Formeln und Gleichungen zur theoretischen Berechnung der Flugmechanik der BV 143 aufgestellt um die Steuermittel qualitativ und quantitativ zu bestimmen.
Basis für diese Berechnungen waren die Daten der BV 143 V1, wie aus der dem Ergebnisbericht beiliegenden Zeichnung hervor geht. Der Bericht beschreibt die jeweiligen Flugphasen mit den sich daraus ergebenden Annahmen. Im Folgenden werden die wesentlichen Aussagen dieses Ergebnisberichtes analysiert:
Der Abfangvorgang wird im Bericht als erstes dargestellt, da von vorneherein klar war, dass dieser sicherlich am schwierigsten zu beherrschen ist. Das Gerät wird durch Landeklappenausschlag aus dem Gleitflug abgefangen, während die Längsneigung durch das Selbststeueraggregat konstant gehalten werden muss. Das Kommando zum Landeklappenausschlag erhält das Gerät durch den Wasserfühler, dessen unterer Teil von 700mm Länge leicht nachgeben kann. Da das Eintauchen des oberen Teils vermieden werden muss, darf die Gleitbombe also nur max. 700mm durchsacken. Dieser Wert bestimmte die Größe des Landeklappenausschlages und damit die Belastung des Flügels.
Nach dem Abwurf vom Trägerflugzeug, darf die Sinkgeschwindigkeit des Gleitfluges mit Rücksicht auf die Flügelbeanspruchung beim Abfangen einen bestimmten ziemlich geringen Wert nicht überschreiten. Bei der hohen Fluggeschwindigkeit des Gerätes mit entsprechend niedrigen Anstellwinkeln bedeutet eine Änderung der Längslage eine etwa gleich große Änderung des Bahnwinkels. Die beim Abwurf dadurch erforderliche Genauigkeit des Bahn- und damit Längsneigungswinkels ist beim Abwurf selbst mit künstlichem Horizont außerhalb jeder fliegerischen Möglichkeit. Deshalb lässt sich die Selbststeuerung durch einen Kreisel nicht für den Gleitflug verwenden, da jeder Fehler beim Abwurf beibehalten werden würde. Die Steuerimpulse werden daher zunächst einem Variometer entnommen, so dass direkt auf konstante Sinkgeschwindigkeit eingesteuert wird. Von der ersten Wasserberührung an übernimmt der Längslagekreisel die Steuerung des Geräts. Eine mögliche Fehlerquelle der Variometersteuerung liegt in der Entnahmestelle des statischen Drucks (Prandtl-Rohr). Durch eine ungünstige Entnahmestelle des statischen Drucks kann dieser durch den Staudruck verfälscht werden und es kommt zu einem Anzeigefehler (bei Änderung des Staudrucks!).
Hier ist bereits ein später auftretendes Problem dargestellt. Jedoch wurde angenommen, dass sich dieser Fehler durch die hohen Beschleunigungen so klein hält, dass max. tolerierbare Auswirkungen auf den Sinkgeschwindigkeitsfehler (+/- 0,5m/s) entstehen. Dies stellte sich später bei den Abwurfversuchen als Irrtum heraus.