Über die Autorin:
Claudia Nentwich betreibt seit 1999 das Songwriting Forum Berlin (http://www.songwritingforum.de). Sie hat Sprachen und Gesang studiert, arbeitet als Songwriting- und Gesangscoach, war Musicaldarstellerin und Online-Journalistin und schreibt seit ihrem 16. Lebensjahr selbst Songs.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.d-nb.de abrufbar
ISBN 3-8334-6508-5
ISBN 978-3-8482-6827-6
© September 2006 – Claudia Nentwich
Umschlagfoto: Volker Roloff
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Printed in Germany
Dieses Buch wurde im On-Demand-Verfahren hergestellt
Ich danke allen Musikern, die mir Interviews gegeben haben und deren Musik und Haltung mich inspiriert haben. Viele Kollegen waren bereit sehr offen und ehrlich mit mir zu sprechen und haben mir wichtige Anregungen gegeben, mein Dank dafür geht vor allem auch an Stephanie Forryan, Rüdiger Bierhorst, Rodney Gemmel und José Domingo.
Ich danke Ute Hoffmann und meinem Mann, Christian Wallert, die mich über einen Zeitraum von zwei Jahren drängten, ein Buch zu schreiben, um meine Erfahrungen in diesem Bereich zu teilen. Meinen Kollegen am Wissenschaftszentrum Berlin für ihre Hilfestellungen, Ratschläge und Feedback. Sylvia Schmutzler für die vielen konstruktiven Gespräche. Tanja Busch, die an allen Phasen des Projektes aktiv teilnahm und hilfreich kommentierte. Hanne Landbeck, die mir bei der Klärung meiner Gedanken half. Ellen Antonini für die Endredaktion, Mario Koss, der mit viel Engagement für diese spezielle Musikrichtung die Fotos zu diesem Buch beigesteuert hat, und Franco di Polo und Tina Hahn für ihre kollegiale Unterstützung.
Ich möchte dieses Buch meiner Familie widmen, meinem Großvater, der mir seine Begeisterung für die Musik mitgegeben hat, meiner Großmutter, die meine Zukunft in richtige Bahnen lenkte und meinen Eltern, die mir die Liebe und das Interesse für fremde Kulturen mitgegeben haben; vor allem jedoch meinem Mann Christian Wallert, der mich immer vorbehaltlos unterstützt hat und meiner Tochter Julia. Danke, dass es euch gibt!
Claudia Nentwich im September 2006
„Die Kunst ist das schönste, strengste, heiterste und frömmste Symbol alles unvernünftig menschlichen Strebens nach dem Guten, nach Wahrheit und Vollendung.“ Siegfried Fischer (Verleger von Thomas Mann)
Alles ist ruhig, erwartungsvolle Stille. Die Gespräche verstummen. Im Rampenlicht ein Mensch, ganz allein, mit seiner Gitarre. Langsam beginnt er zu spielen und zu singen. Kunstvoll werden Töne und Gefühle verwoben. Mit kleinen Geschichten darüber, wie seine Lieder entstanden sind und was sie für ihn bedeuten, zieht er alle Anwesenden in seinen Bann. Der Alltag versinkt. Wo die Worte enden, trägt die Musik die Botschaft weiter. Es ist ein geheimnisvoller Dialog, der da geführt wird. Im Laufe des Abends entsteht eine Gemeinschaft, denn zwischen dem Künstler1 und seinem Publikum passiert mehr, als von außen sichtbar ist. In diesen kleinen, leisen Konzerten passiert es, dass die Seele plötzlich berührt wird. Lieder verbinden, denn sie erinnern uns daran, dass alle Menschen die gleichen Gefühle und Probleme haben. Nach der letzten Zugabe geht man nach Hause, vielleicht muss man noch schmunzeln oder ist ein bisschen nachdenklich, vielleicht geht einem eine Melodie oder ein Wortspiel nicht mehr aus dem Kopf, und man fragt sich, wie solche Lieder eigentlich entstehen.
Dieses Buch soll einen Einblick in die Welt der Lieder und ihrer Macher vermitteln und alle, die gerne schreiben, anregen, ihren eigenen Geschichten und Motivationen nachzuspüren. In Interviews mit Songwritern und Liedermachern wie Tom Cunningham, Corinne Douarre, Eric Fish, Manfred Maurenbrecher, Ulrich Roski, Manuela Sieber und Dirk Zöllner wird das Liederschreiben aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Biographische Details veranschaulichen die Entwicklungen der Künstler und geben Aufschluss über ihre Arbeitsweisen. Ergänzend dazu gibt es Interviews mit Brett Perkins, der seit vielen Jahren weltweit Songwriter Retreats2 veranstaltet, in denen er Songwritern hilft, ihre Lieder zu optimieren; Michy Reincke, der als Labelbetreiber aktiv dazu beiträgt, junge Liederschreiber auf den Weg zu bringen und Elli Weinert, die den in Deutschland einzigartigen Informationsdienst Songs Wanted für professionelle Komponisten, Texter und Musikverleger betreibt.
Es gab zwei wichtige Ereignisse, die zu diesem Projekt geführt haben. Alles begann mit ein paar Fragen, die ich Ulrich Roski zum Thema Liedermachen im Jahre 2002 gestellt habe und hätte damit auch fast geendet, weil er, bevor ich das richtige Interview mit ihm machen konnte, seiner Krankheit erlag. Was blieb, waren, neben der großen Lücke, die er in seinem privaten Umfeld und der deutschen Liedermacherszene hinterlassen hat, ein paar Antworten und die Neugier auf mehr. 2003 begegnete ich dann zum ersten Mal Tom Cunningham, der mit seiner Veranstaltung Songwriters-in-theRound3 den zweiten Initialfunken für das Projekt gab. Die Schaffung dieser Art von Veranstaltungen scheint auch eine Besonderheit dieses Genres zu sein, wie z.B. auch Michy Reinckes Lausch Lounge4, Ellie Weinerts Songwriters Live!5 und Brett Perkins Listening Room Concert Series6 zeigen. Sie tragen wesentlich dazu bei, den Kosmos der Songpoeten und ihre faszinierende Vielfalt für das Publikum sichtbar zu machen.
Studien7 beschreiben Musiker als neurotisch, androgyn, ängstlich, unabhängig, feinfühlig und intelligent, aber wie sind sie wirklich, diese Songpoeten? Um diese Fragen zu beantworten, bin ich von 2003 bis 2006 auf die Suche nach professionellen Songpoeten in Berlin gegangen und habe sie gefragt, wie sie Lieder-Macher geworden sind, wie sie ihre Lieder schreiben und wie sie das gelernt haben. In Interviews erzählen sie von ihrem Werdegang, welche Krisen sie meistern mussten und von den Geschichten, die zu ihren Liedern führen. Wer auf Entdeckungsreise in die Biographien der Songpoeten geht, findet dort viele Anregungen für die eigenen kreativen Prozesse und Entwicklungsmöglichkeiten und versteht ein bisschen besser, wie es gelingt, den Bogen zu schlagen vom Individuellen zum Universellen, in dem wir – das Publikum – uns wieder finden.
1 Ich habe mich entschlossen, in diesem Buch nicht zu gendern, da für mich persönlich Begriffe, wie Künstler oder Musiker geschlechtsneutral sind und für Männer wie Frauen gleichermaßen gelten.
2 internationale Songwriting-Workshops
3 Veranstaltung, bei der vier Songwriter auf der Bühne sitzen und reihum Lieder spielen, nach jeder Runde kommt ein neuer Gast auf den 5. Stuhl.
4 http://www.lauschlounge.de, http://www.michyreincke.de/
5 http://www.songwriters-live.com/
6 http://www.brettperkinspresents.com/
7 Siehe auch Klaus-Ernst Behne, Günter Kleinen, Helga de la Motte-Haber (Hrsg.): Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie – Die Musikerpersönlichkeit, Band 15, 2000.
Corinne Douarre
Corinne Douarre8 ist eine wahrhafte Vertreterin des Neo-Chansons. Die Französin gab ihr Architekturstudium auf, um das zu tun, wovon sie ihr Leben lang geträumt hatte: Chansons zu schreiben und zu singen. 1997 kam sie nach Berlin und konnte sich überraschend schnell in der Szene etablieren. Zum Erfolg verhalf ihr zum einen, dass sie, wie sie selbst sagt „exotisch“ war, zum anderen, dass es ihr gelungen ist, gleichzeitig modern und traditionsbewusst, das französische Chansons neu zu interpretieren. Sie liebt Gegensätze, ihre Musik und Texte sind einfach und komplex, experimentell und klassisch zugleich, ihre Stimme leicht und präsent. Was und wie sie singt, klingt noch lange nach. Für ihre zweite CD „Virages“, die sie 2003 veröffentlichte, bekam sie euphorische Kritiken. Zusammen mit dem Pianisten Marc Haussmann spielt sie in zahlreichen Clubs und auf Festivals. 2005 beginnt sie mit den Aufnahmen für ihre dritte CD in Französisch und Deutsch. Parallel dazu schreibt sie an „Plauen“, einem Musiktheaterstück in Chansons und Bildern. Wir treffen uns im Februar 2005 in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg. Es ist ein typisches altes Berliner Mietshaus, muffig aber mit dem Charme der Jahrhundertwende. Schon beim Betreten der Wohnung habe ich das Gefühl in eine andere Welt einzutreten, aus der ich erst nach fünf sehr intensiven Stunden wieder auftauche.
CORINNE DOUARRE: Ich bin Autorin, Komponistin, Sängerin9. Ich finde es aber schade, dass es keinen anderen, einfacheren Begriff dafür gibt. Ich finde Liedermacher eigentlich besser, denn was Liedermacher ausdrückt, passt mir total in der Art, weil ich Lieder mache. Aber anscheinend ist das in Deutschland viel mehr als ein Begriff, es ist ein Genre und mit diesem Genre kann ich mich nicht so sehr identifizieren. Ich mache Chansons mit der Musik, mit dem Text, mit dem Gesang, mit dem Körper, mit dem Alltag, mit dem Kopf, mit dem Herzen und dem Handwerk.
DOUARRE: Als ich ein Teenie war, hab ich Klavier spielen gelernt und auf den Noten stand immer „Paroles et Musique“ (Text und Musik, CN) und ich wollte immer wissen, wer den Text und wer die Musik geschrieben hat. Es gab in Frankreich auch ein Magazin über Liedermacher, das so hieß. Und immer wenn ich diesen Begriff „Paroles et Musique“ hörte, ließ es mich träumen und ich wusste, den Beruf will ich machen.
DOUARRE: Ich glaube, das waren unterschiedliche Momente in meiner Jugend, in denen ich gespürt habe, dass ich diesen Beruf machen möchte. Am Anfang gab es nur eine große Anziehungskraft, aber ich habe mich immer gefragt, wie man Liedermacher wird, denn das war für mich ein absolutes Rätsel. Es gab in meiner Familie eine große Liebe zur Musik, aber alle waren Amateure. Es kam nicht sehr gut an, als ich sagte, dass ich das beruflich machen möchte. Sie sagten, das ist doch kein Beruf und, kann man davon überhaupt leben? Sie hatten den Krieg erlebt und vor allem mein Vater war davon terrorisiert, dass ich so einen unsicheren Beruf auswählen wollte. Deshalb habe ich das ziemlich lange auf der Seite gelassen. Mit dreizehn war ich ein großer Fan von Jacques Higelin und da wusste ich, das ist genau das, was ich machen will. Aber es war mir noch nicht klar, dass das ein Beruf ist. Es war für mich eher eine Art zu leben, eine Sache, die vom Himmel fällt und die schön ist und Chanson heißt, aber wie man das macht, davon hatte ich keine Ahnung. Es gibt ja auch keine Schule, um Liedermacher zu werden. Du kannst in die Schule gehen, um Musik zu lernen, aber nicht um Liedermacher zu werden. Für mich war dieser Beruf das Bild von der Freiheit, denn ich kam aus einem kleinen biederen Vorort von Paris, Viry-Châtillon, wo man schnell durch zu viel Liebe und Aufmerksamkeit erstickt. Es war auch ein Sinnbild des Abenteuers, denn für mich waren Liedermacher die Leute, die um die Welt gehen und Geschichten sammeln. Sie müssen die Welt kennen, um darüber reden zu können. Aber die Brücke habe ich nicht gefunden, ich habe zwar von diesem Beruf geträumt, aber wie man dahin kommt, wusste ich nicht bis ich vierundzwanzig Jahre alt war.
DOUARRE: In Paris hab ich das so verstanden, dass man einfach anfängt, in der Kneipe zu singen. Und wenn du noch nicht selbst Lieder schreibst, singst du einfach Lieder von anderen und so fängst du an, dich mit Chanson zu beschäftigen. Wenn du kein Instrument spielst, findest du jemanden, der dich begleitet. Es gibt in Paris eine starke Tradition von Musik in der Kneipe, das hat aber nicht dieselbe Farbe wie in Deutschland. In Paris ist es sehr schwierig in Sälen zu singen, weil die Räume sehr teuer sind. Du musst sie mieten und Connections haben. Deshalb hat sich dort eine Bewegung gebildet, wo junge Leute gesagt haben, wir machen aus Kneipen Auftrittsorte. Da gibt es vielleicht nicht unbedingt eine Bühne, aber es werden regelmäßig Konzerte veranstaltet und die Leute wissen das und gehen hin. Es gibt auch ein kleines Heft, LYLO, wo alle Konzerte in den Kneipen registriert sind. Und das hab ich mit vierundzwanzig per Zufall entdeckt, als ich noch Architektur studierte. Mein Umweg war eigentlich über Zeichnung und Architektur. Ich wusste zwar, ich würde irgendwann nur noch Musik machen, aber ich zeichne gerne und wollte das auch lernen. Ich habe dann in Paris einige Frauen getroffen, die in Kneipen Chansons sangen. Charlotte Etc. begleitete sich selbst auf dem Akkordeon und La Grande Sophie spielte Gitarre. Als ich die beiden sah, dachte ich, na klar, du gehst in die Kneipe und hast ein Mikrofon oder keins, egal, du machst kleine Flyer und kleine Plakate, du spielst und so fängst du an. Die beiden hatten Cover und eigene Stücke und ich dachte, wieso bist du nie auf die Idee gekommen, so musst du das auch machen. Dann habe ich ein Akkordeon geschenkt bekommen und für meine Freunde auf Partys gespielt, aber habe mich noch nicht getraut, dazu zu singen, ich habe zwar auch ein paar Sachen komponiert, aber das habe ich keinem gesagt, das war noch nicht reif. Während meines Architekturstudiums habe ich mit einer Theatergruppe gearbeitet und habe da zum ersten Mal in der Öffentlichkeit Akkordeon gespielt und gesungen. Es war ein Stück über den Arbeiterstreik von 1936, in dem die Arbeiter für bezahlten Urlaub kämpften und den auch bekommen haben. Das Akkordeon war in dem Stück sehr präsent, denn alle Lieder wurden damit gespielt. Ich habe dann mein Architekturstudium abgebrochen, weil ich Musik machen wollte und drei Monate später bin ich nach Berlin gegangen. Als ich da ankam, stellte ich fest, dass das Kneipenleben in Berlin ganz anders ist und nicht vergleichbar mit Paris. Ich habe aber auch sofort viele Leute aus der Kleinkunstszene kennen gelernt, die eher auf kleinen Bühnen gespielt haben als in Kneipen. Ich habe mir dann eine Kneipe in Kreuzberg ausgesucht, Bei Jac, das war in der Reichenbergerstraße und da habe ich jede Woche gespielt mit einer anderen Frau, die gesungen hat und ich habe sie begleitet. Das ging drei Monate so bis zu dem Tag, wo sie sagte, sie könne nicht mehr singen, weil sie Probleme mit der Stimme bekommen hatte. Und dann musste ich selber singen, weil es schon ein Publikum gab. Ich hatte einen Nachmittag, um Lieder zu üben. Es war sehr chaotisch und ich habe mich die ganze Zeit über verspielt, aber den Leuten gefiel es trotzdem. Dann habe ich regelmäßig da gespielt und durch einen Glücksfall habe ich erfahren, dass es in der Kalkscheune eine Hommage geben sollte über die vor kurzem verstorbene Barbara (bekannte franz. Sängerin, CN). Das wurde damals von Boris Steinberg10 organisiert, mit verschiedenen Liedermachern. Ich bin dahin gegangen und habe meine Flyer verteilt und jemand hat zu mir gesagt, ich sollte Tanja Ries11 und Evi Niessner12 ansprechen. Evi machte damals „Evis Séparée“, wo sie Leute in den Grünen Salon13 eingeladen hat und Tanja Ries machte damals das „Nachtcafé“. Ich habe Tanja angesprochen und ihr gesagt, ich hätte gehört, sie mache ein Programm und ich würde da gerne spielen und sie hat gesagt: „Das ist ganz einfach, du schaust dir die Show einmal an und wenn du denkst, du passt rein, dann gebe ich dir einen Termin.“ Da war ich sehr erstaunt, denn in Frankreich hättest du erst mal eine Audition machen müssen, das heißt sie geht davon aus, dass du weißt, was du kannst und wenn du denkst, du machst dich nicht lächerlich, wenn du hier auftrittst, dann kannst du das machen. Dann habe ich mit Evi Niessner gesprochen und sie sagte: „Ah, das ist gut, denn ich könnte bald französische Chansons für meine Show brauchen!“, und hat sich meine Telefonnummer geben lassen. Ich dachte, das ist zu schön, um wahr zu sein, aber wahrscheinlich werde ich nie wieder etwas von ihr hören. Aber sie hat tatsächlich zurückgerufen und mich gefragt, ob ich im Grünen Salon spielen möchte. Zwischendurch hatte ich die Show von Tanja Ries gesehen und fand das Niveau schon ein bisschen hoch für mich. Ich dachte, ich bin musikalisch noch nicht so weit, ich kann mich schon ein bisschen begleiten, aber das ist sehr grob. Ich kann schon ein bisschen singen, aber die Stimme ist noch nicht wirklich da. Ich glaube an dem Abend waren sogar Pigor & Eichhorn14 dabei, also Leute, die schon ziemlich beeindruckend sind. Und ich dachte, ob ich das kann, das weiß ich nicht. Evi meinte, sie würde mal in die Kneipe kommen und sich das anschauen, und mir dann sagen, ob ich das kann oder nicht. Und sie kam und meinte: „Doch, doch, mein Angebot steht!“ Dann habe ich schnell noch mit einer Pianistin ein paar Lieder einstudiert und ein Lied habe ich mit Akkordeon gesungen. Der Abend lief sehr gut und danach kam Yvonne Helmboldt vom Grünen Salon zu mir und sagte, wenn du magst, in zwei Monaten ist ein Abend frei und dann kannst du bei uns spielen, wenn du schon ein Programm hast. Und dann habe ich einfach gesagt, dass ich ein Programm hätte. Aber damals hatte ich gar keine Ahnung von dem Beruf, ich wusste nicht, was ein Pressetext oder ein Programm ist oder wie ein Mikrofon funktioniert. Bei Evi hab ich dann zum ersten Mal mit Mikrofon gesungen. Sie hat das auch gemerkt beim Sound-Check und mir währenddessen alles beigebracht. Evi hat meinen Pressetext geschrieben, über ein Programm, das noch nicht existiert hat, eine Fotografin, mit der ich immer noch arbeite, Sabine Felber, hat Fotos gemacht, wenn ich jetzt daran denke, wird mir ganz mulmig. Ich habe dann alle Leute kontaktiert, die ich aus der Kneipe kannte und mit denen zusammen einen Abend gestaltet. Der erste Abend war rappelvoll, es gab keine Plätze mehr und draußen standen die Leute Schlange.
DOUARRE: Ja, damals war Chanson auch ziemlich „in“. Französische Chansons waren selten und vor allem solche, die nicht nur Piaf oder Brel waren. Ich machte ja eher eine Mischung aus populären Liedern. Die Ankündigung war natürlich sehr klischeehaft, nach dem Motto: Die nette freche Chansonette aus Frankreich, oh la la. Der Abend im Grünen Salon war super und am nächsten Tag stand ein Artikel darüber in der Zeitung, vorher war mein Foto auch überall, aber für mich war das komisch, gleich so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Da habe ich auch bemerkt, wie wichtig die „Kommunikation“ ist, denn das Foto und der Pressetext haben dabei eine große Rolle gespielt.
DOUARRE: Es war ein sehr großes Glück, aber natürlich war Evi auch sehr wichtig dabei, denn sie hat mir wahnsinnig geholfen, sehr liebevoll auch. Alles lief super und ich dachte mir, ok, in drei Monaten mache ich einen Abend, halb mit eigenen Liedern und halb mit Coversongs, und das haben wir geschafft zusammen mit der Pianistin und einem Cellisten, und ich habe Akkordeon dazu gespielt. Von da an war ich regelmäßig im Grünen Salon und habe parallel in der Kneipe gespielt, weil ich sehr viel dabei lernte. Mit den Liedern war ich zufrieden, aber nicht mit meinem Bühnenkonzept. Teilweise habe ich viel zu viel erzählt und war auch unklar. Ich denke, die Leute fanden die Ansagen gut, weil es so süß war, mit den ganzen Fehlern. Das hat mich verunsichert. Aber ich hab alles probiert, was ich probieren konnte, mit anderen Musikern oder mich selbst am Klavier begleitet und auf unterschiedlichen Bühnen. Nach einem Jahr dachte ich, jetzt spiele ich nur noch eigene Sachen, das war 2000 und dann hab ich die erste CD gemacht „Le train d´'onze heures“, der Elf Uhr-Zug. Der Ausdruck kommt aus dem l’Argot (Ganovensprache, CN). Du sagst, ich nehme den Elf-Uhr-Zug, wenn du zu Fuß gehst. Die zwei Einsen schauen wie zwei Beine aus und Zug heißt auf Französisch auch Arsch (lacht). Und die Lieder gingen alle über spazieren gehen, sich anschauen, was da passiert, sich Zeit nehmen, reisen, Zug fahren.
DOUARRE: So hab ich damals Texte geschrieben. Ich habe den Text zentriert und darum geschrieben, was ich verbessern könnte. Jetzt mache ich das ein bisschen anders. Damals hab ich A4 Blätter benutzt, aber wenn ich so viel Platz habe, schreibe ich auch viel zu viel. Mein Ziel wäre, dass ich mich vom Schreiben total befreien könnte, das geht wahrscheinlich nicht. Manfred Maurenbrecher hat einmal gesagt: „Ein Lied entsteht beim Singen.“ Diesen Gedanken finde ich sehr gut, denn ein Lied wird im Endeffekt eben doch gesungen und nicht gelesen und es ist wichtig, dass man das immer im Kopf behält, wenn man ein Lied schreibt. Für mich ist der Klang der Wörter genauso wichtig wie der Sinn und ich arbeite immer mehr daran. Wenn ich mir meine ersten Texte ansehe, verstehe ich zwar, was ich sagen wollte und was mir wichtig war, aber es war noch nicht so formuliert, wie ich es jetzt machen würde. Heute arbeite ich mehr an Zweideutigkeiten, Wortspielen oder Assoziationen. Ich finde aber, dass Schreiben schon wichtig ist, weil dadurch auch bestimmte Bilder oder literarische Erfindungen entstehen können, die beim Sprechen nicht entstehen würden. Aber es ist auch wichtig, im Kopf zu behalten, dass der Text am Schluss gesungen und nicht gelesen wird. Und obwohl ich total gerne schreibe, finde ich es komisch, dass man dieses Mittel benutzt, um Lieder zu machen. Dass ein Schriftsteller schreibt, ist völlig klar, denn an Ende wird es ein Buch, aber dass ein Liedermacher schreibt, obwohl er singt, das finde ich nicht selbstverständlich.
DOUARRE: Genau. Das ist auch eine Arbeit, die ich mir für die nächsten Jahre mit meinem Projekt „Plauen“ vorgenommen habe. Denn ich finde es wichtig, dass die Liedermacher sich bewusst machen, dass Lieder ursprünglich wirklich ein Mittel waren, um Geschichten über Generationen weiter zu tragen oder Erinnerungen von Menschen oder Liebesgeschichten. Das ist auch eine Art von Gedächtnis. Ich bin total fasziniert von diesen ursprünglichen Liedformen, die manchmal fast roh sind, wo z.B. die Melodie ganz einfach ist und die Texte auch. Auf der anderen Seite bin ich total fasziniert von Leuten, die eine hohe literarische Sprache haben, komplex, mit komplizierten Kompositionen und komplizierten Arrangements. Diese Extreme finde ich sehr interessant und ich möchte mich gerne von diesen beiden Polen inspirieren lassen.
DOUARRE: Es hat eigentlich mit Jacques Higelin angefangen, einem französischen Rocker, er war modern, rockig und frech und viel freier als z.B. Georges Brassens. Natürlich bin ich von der traditionellen französischen Chansonwelt geprägt, von Brel und Piaf, Barbara und Brassens, aber auch von Bashung, der sehr abstrakt und sehr anspruchsvoll ist, die habe ich alle gehört und kenne die Texte auch auswendig. Ich höre alles, was gut geschriebene Texte und Musik hat, von Punk bis Avantgarde. Aber auch elektronische Musik und gesampelte Sachen oder auch Barockmusik. Ich glaube, dass das der Unterschied zwischen vielen Songwritern und mir ist, dass ich nicht geprägt bin durch Simon & Garfunkel, John Lennon oder so. Ich hab zwar auch Beatles gehört, aber weniger wegen der Texte als wegen der Musik. Die Leute, die mich wirklich „genährt“ haben, von den Texten her, waren Franzosen.
DOUARRE: Ich habe mit fünfundzwanzig Jahren angefangen, Gesangsunterricht zu nehmen. Dadurch, dass ich in der Kneipe ohne Mikrofon zum Akkordeon gesungen habe, habe ich gemerkt, dass man seine Stimmbänder total kaputt machen kann, wenn man überhaupt keine Technik hat. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass mir der Unterricht keinen Spaß macht und habe dann für mich etwas Eigenes entwickelt.
DOUARRE: Das wurde mir irgendwann zu technisch. Ich hatte auch das Gefühl, ich hätte nicht genug Disziplin. Meine Lehrer haben mir viele Übungen gegeben, die ich sehr gut fand. Einige davon mache ich noch heute immer wieder gern. Am Anfang habe ich los gesungen ohne nachzudenken. Irgendwann hatte ich das Gefühl, ich bin nicht mehr in den Wörtern, wenn ich singe, ich bin vielmehr in der Melodie. Ich habe sogar manchmal bemerkt, dass ich traurige Texte singe und nicht mehr merke, dass sie traurig sind.
DOUARRE: Ich dachte, ok, ich bin nicht mehr genug im Text und habe mehr Lieder geschrieben, die gesprochen sind, wie „Cool Nageur“ oder „Berlin Mitte“ und so bin ich wieder in die Sprache gekommen.
DOUARRE: Ich bin groß geworden in einer Familie, die die ganze Zeit über populäre Lieder gesungen hat, Operetten, ein bisschen klassische Musik, Chansons, was man hier auch Schlager nennt. Durch meine Großeltern habe ich auch Musik aus den 30er Jahren kennen gelernt. Rock war nicht die Sache zu Hause und mit der Hippiezeit konnten meine Eltern überhaupt nichts anfangen. Meine Mutter hat Klavier gespielt und dazu gesungen. Ein bisschen falsch gespielt zwar, aber Hauptsache gespielt, mit viel Kraft und viel Lust. Mein Vater spielte Pauke und Trompete im Blasorchester der Stadt, zusammen mit meinem Onkel und meinem Großvater. Ob es schön war, kann ich nicht sagen (lacht). Es gab viele Feiern, besonders im Sommer. Sie gingen durch die Straßen und haben an jeder Kneipe halt gemacht.
DOUARRE: Ich habe Klavierunterricht bekommen, sogar Privatunterricht, das war echt ein Glück, denn ich musste nicht in die Schule gehen dafür. Meine Klavierlehrerin war sehr nett. Ich habe zwar fleißig und gern gespielt, hatte aber keine Lust auf Notenlesen. Ich habe dann auch aufgehört und von dreizehn bis vierundzwanzig praktisch überhaupt keine Musik mehr gemacht.
DOUARRE: In meinem Kopf war ich immer Musikerin (lacht). In diesen Jahren habe ich sehr viel Musik gehört und Texte auswendig gelernt, das war meine Art mich vorzubereiten. In dieser Zeit habe ich auch Architektur studiert und festgestellt, dass Musik und Architektur viele Gemeinsamkeiten haben. Es geht bei beiden um Proportionen, Harmonien, Gleichgewicht. Viele Begriffe, die man für beides benutzen kann. Eine Architektur wird z.B. auch komponiert. Es gibt viele Architekten, die sich konkret mit Musik auseinandergesetzt haben, z.B. hat Corbusier zusammen mit Edgard Varèse oder Jannis Xenakis, die neue Musik komponierten, ein paar Gebäude gestaltet. Die Fassaden von meinem Lieblingswerk von Le Corbusier, La Tourette, sind nach Musikrhythmen entstanden.
DOUARRE: Das habe ich erst sehr viel später gemacht, am Anfang hatte ich das Gefühl, ich weiß das (lacht). Für mich war viel wichtiger dieser Schritt, wie man auftreten kann. Schreiben war nicht so wichtig, denn ich habe immer viel geschrieben. Gedichte, Tagebuch, kleine Geschichten, seitdem ich ein Kind war. Es war nur die Frage, wie schaffe ich es, daraus Lieder zu machen. Erst später habe ich Bücher darüber gelesen, wie man Lieder schreibt, und ein paar Tricks gefunden. Ein paar Sachen sind mir da auch klarer geworden, z.B. dass es in einem Lied nicht nur darum geht, etwas auszudrücken, sondern auch darum, wie man das tut und wie es klingt. Wenn du z.B. über Liebe singst, stellt sich die Frage: wie singst du von Liebe, welche Wörter benutzt du dafür, welche Bilder, welchen Blick wirfst du auf das Thema. Ein super Buch ist Trouver le mot juste (Das richtige Wort finden, CN) von Paul Rouaix. Wenn du z.B. ein Lied über das Spazierengehen schreiben möchtest, findest du in dem Buch Wörter, die mit spazieren gehen assoziiert werden. Manchmal findest du dann zwar nichts Konkretes für das Lied, aber das erweitert trotzdem die Ideen.
DOUARRE: Es gibt verschiedene Phasen. Die ersten Anfälle/Einfälle können überall passieren, deswegen habe ich mir dieses Buch gemacht (Corinne zeigt mir ein kleines selbst gemachtes Songbuch). Hier sind alle Lieder drin, die ich gerade bearbeite. Ich lege sie schon im CD-Format an, denn vorher hatte ich immer A4 Blätter und die waren total voll geschrieben, das Lied existierte noch nicht, aber ich hatte schon zuviel Text. Du brauchst sehr wenig Text für ein Chanson. Wenn man in CD-Booklets schaut, bin ich immer wieder erstaunt, wie wenig Text da steht. Du brauchst nicht drei Seiten für ein Chanson. Das Buch ist ideal, denn ich kann es überall mit hinnehmen, es hat ein Format, welches in jede Tasche passt. Wenn ich ein Lied gut finde, tippe ich es ab. In dem Buch sind alle Ideen drin, die ich irgendwann hatte, denn früher hatte ich viele einzelne Zettel. Einfälle hab ich überall im Bus oder in der Kneipe. Meistens ist es so, dass eine dieser Ideen für mich super dringend wird und das Lied sagt, jetzt musst du mich fertig machen, jetzt kann ich nicht mehr warten. Dann nehme ich das Lied und gehe in Kneipe oder mache mir zu Hause einen Abend am Klavier oder am Computer und mache es so weit wie möglich fertig. Wenn ich noch keine Musikidee habe, dann suche ich Musik, denn der Text wird erst fertig, wenn ich die Musik dazu habe. Bei mir klappt das nicht, einen fertigen Text zu haben und dann die Musik dazu zu machen, das muss zusammen entstehen, denn die Musik wird auch den Text beeinflussen. Vielleicht brauche ich von meinem Text dann nur die Hälfte, weil die Musik die andere Hälfte schon sagt.
DOUARRE: Es gibt zwei Sorten von Liedern. Es gibt die Lieder, die ich schreibe, weil mich etwas total nervt oder aufregt. Ich schreibe z.B. gerade über diese Schiffe, die Erdöl transportieren und zu alt sind und deshalb einfach zerbrechen. Das nervt mich dermaßen, weil ich das Meer sehr liebe und die Atlantik-Küste vor drei Jahren ganz schwarz war. Das Schiff in meinem Lied „L’âge du Sarcophage“ spricht, es liegt im Wasser und fragt uns in einer ganz harten Sprache: „Was glaubt ihr, wie alt ich unter diesem Sarcophage (Metalhülle, die verhindern soll, dass das Öl ausläuft, CN) werde?“ Oder es kann auch sein, dass ich ein Lied schreibe, nicht weil ich über ein bestimmtes Thema schreiben will, sondern weil mir z.B. beim Spazierengehen ein Satz einfällt, der gut klingt, den ich einfach schön finde. Einmal ist mir das eingefallen: (singt) „So viele Leute – und ich allein“, und das blieb total in meinem Kopf. Ich finde im Deutschen diese langen Vokale gut, wie in lang, ruhig, mutig, gut, die kann man schön ziehen. Im Französischen sind die Vokale gleich lang. Wir haben andere Möglichkeiten, diese aber nicht, und das finde ich gerade zum Singen sehr schön. Also wieder vom Sinn oder vom Klang her.
DOUARRE: Die Betonung ist ganz anders und viel strenger als im Französischen, d.h. es ist ein bisschen schwieriger, einen Satz auf eine Melodie zu setzen. Im Französischen gehen wir viel lockerer damit um. Sehr oft höre ich Lieder, bei denen für mich die Betonung falsch auf die Melodie gelegt ist, aber wir können das annehmen. Auf Deutsch kann man das nicht so machen, denn es gibt starke Regeln dafür, wie man einen Satz betont, z.B. kannst du nicht sagen ich liebääääää dich, das geht nicht. Man könnte zwar auch nicht sagen Je t'aimäääää, aber man würde das machen, wenn man das braucht. Johnny Halliday, ein französischer Rocksänger, macht manchmal ganz komische Betonungen, das klingt für mich dann teilweise echt ungeschickt, aber irgendwie geht’s. Auf Deutsch ist das viel strenger und das finde ich schön so. Deswegen kann ich auch nicht alleine arbeiten, wenn ich Lieder auf Deutsch schreibe, da brauche ich immer jemanden, denn im Deutschen hat ein Satz an sich schon eine bestimmte Betonung und die führt praktisch schon zu einer Melodie. Du kannst zwar verschiedene Melodien finden, aber die Melodie geht immer hoch oder runter an dieser Stelle, wo der Satz betont wird, aber nicht umgekehrt, weil man sonst den Satz nicht mehr versteht, und das finde ich super. Ich finde die deutsche Sprache interessant, weil sie mehr Strenge bietet. In Frankreich sind wir dagegen viel strenger mit den Reimen als hier. Unsere Reime sind zwar manchmal sehr approximativ, aber es muss sich irgendwie reimen. Auf Deutsch ist beides möglich, man kann sehr gut gereimte Texte schreiben, aber auch voll frei den Reim umgehen, z.B. wie bei geh'n und souverän.