Inhalt
Vorwort
Der Anfang auf SYLT
Die SYLTER Dampfschiffahrts-Gesellschaft (DSG)
Im Linienverkehr zwischen MUNKMARSCH und HOYERSCHLEUSE
Erster Weltkrieg und Nachkriegszeit
Zwischenspiel
Als Salondampfer „Eva“ auf der TRAVE
Als Musikdampfer „Grenzland“ im MEMELLAND
Zweiter Weltkrieg
Evakuierungen zwischen MEMEL und PILLAU
Odyssee von HELA nach KARLSKRONA
Von KARLSKRONA über BORNHOLM nach KOPENHAGEN
Nachkriegzeit und Ende
Im HAMBURGER Hafen
Als Gaststättenschiff in EMDEN
Das Ende in HOLLAND
Die neue „Freya“
Redaktionelle Anmerkungen
Anhang
Verwendete und weiterführende Literatur
Abbildungsverzeichnis
Lebensdaten des Carl Nicolai CHRISTIANSEN
Fahrtgebiet der „Freya“ als Sylter Raddampfer
Eckdaten zur „Freya“
Eckdaten zur „Frisia“
Eckdaten zur neuen „Freya“
Die „Freya“ als Bernstein-Modellschiff
Verbleib / Schicksal der übrigen Schiffe
Daten zum Flugboot Dornier X
Es war ein herrlicher Tag, ein wolkenloser Himmel, eine ruhige See, eine leichte Brise und ich als Knirps von drei Jahren auf der Brücke des Dampfers. Ein paar Schritte links von mir die imposante Gestalt des Steuermanns, der einen goldenen Ring im Ohr trug, und unten im Vorschiff ein Verschlag mit einigen Schweinen. Sie machten mit ihrem Quieken und Gegrunze einen furchtbaren Lärm, und ich fragte, was die denn wohl da unten täten. „Die beißen sich in die Ohren!“ kam die knappe Antwort vom Kapitän.
Das Schiff war die „Freya“ auf ihrer letzten Fahrt im Jahr 1927 unter diesem Namen, und der Kapitän war mein Großvater, der als „Käpt‘n Corl“ nicht nur auf SYLT bekannt war. Diese kleine Szene hat mich mein Leben lang begleitet. Als ich dann im Alter etwas mehr Zeit hatte, begann ich nach dem Schicksal der „Freya“ zu forschen und kann die Ergebnisse nun in diesem Buch vorlegen.
Als 17-jähriger Kriegsfreiwilliger war ich im Winter 1941/1942 in RUSS bei HEYDEKRUG in einem Lager des Reichsarbeitsdienstes, also nicht weit von TILSIT und der KURISCHEN NEHRUNG entfernt. Da bei 25 Grad minus an einen Arbeitseinsatz nicht zu denken war, machten wir Marschtraining und lernten dabei die Landschaft kennen. Ich kann mir daher gut vorstellen, wie die Gegend ausgesehen hat, als die „Freya“, die dann aber unter dem Namen „Grenzland“ fuhr, ab Sommer 1944 und auch noch später im Frühjahr 1945 - manchmal unter Beschuss durch die russische Artillerie - Verwundete von MEMEL aus über die OSTSEE nach PILLAU transportierte.
Mein Großvater meinte, dass auch ein Schiff eine Seele habe. Ich möchte deshalb dieses Buch einem Schiff widmen, das so viel gesehen und erlebt hat.
Hamburg, im Herbst 2012
Hinrich-Boy Christiansen
SYLT
1882 - 1904
Die geografische Lage der Insel SYLT stellte schon immer besondere Anforderungen an Einwohner, Besucher und ihre notwendigen Kontakte mit dem Festland. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Personen- und Warenverkehr zwischen Insel und Festland vornehmlich mit Segelschiffen sichergestellt, die aber nur in den Sommermonaten einigermaßen regelmäßig fahren konnten.
Technischer Fortschritt und steigendes Verkehrsaufkommen führten dazu, dass schon bald Dampfschiffe zum Einsatz kamen, die auch in den Wintermonaten in der Lage waren, die Verbindung zum Festland aufrecht zu erhalten. Zu diesem Zweck wurde 1882 die Sylter Dampfschiffahrts-Gesellschaft (DSG) gegründet, die zunächst mit den Schiffen „Vorwärts“, „Sylt“, „Westerland“ und „Nordsee“ einen Linienverkehr zwischen den Häfen MUNKMARSCH auf SYLT und HOYERSCHLEUSE auf dem Festland einrichtete. Im Jahr 1902 übernahm mein Großvater Carl Nicolai CHRISTIANSEN 2 als Käpitän die „Westerland“.
Die Schiffe konnten trotz ihres geringen Tiefganges im allgemeinen nicht direkt von MUNKMARSCH nach HOYERSCHLEUSE fahren – nur bei Hochwasser fuhren sie „querüber“ -, sondern gingen über das PANDER TIEF in das LISTER LEY, um von dort durch die HOYER TIEFE in den HOYER KANAL zu kommen.
Häufig kam man fest. Besonders schwierig wurden die Fahrten, wenn lang anhaltender Ostwind einen sehr niedrigen Wasserstand verursachte. Dann musste ständig gelotet werden. Das machte ein Matrose mit einem schwarz-weiß eingeteilten Peilstock. Ertönte der Ruf „Schau!“, war alles gut, denn die Stange hatte noch nicht den Grund erreicht. Hatte sie aber Grundberührung, las der Matrose die Wassertiefe am Peilstock ab und rief dann zum Beispiel: „Söss grote un twee lütte!“ oder „Fief grote un twee lütte!“ und so weiter. Gefährlich wurde es erst, wenn er bei „Veer grote!“ angelangt war. Dann bestand die Gefahr des Auflaufens, denn die „Westerland“ hatte einen Tiefgang von vier Fuß.
Auf einer der Fahrten wollte ein Fahrgast wissen, was da eigentlich geschah, und wandte sich mit seiner Frage an den Kapitän, der im Augenblick wirklich andere Sorgen hatte, und daher den knappen Bescheid gab: „Der Mann sticht Aale. Die kommen da in den Kasten, werden geräuchert, und heute abend können Sie die Fische bei BEIER5 kaufen.“
Mit welchen Schwierigkeiten die Schifffahrt zwischen SYLT und dem Festland damals zu kämpfen hatte – Probleme, mit denen sich vor allem der Kapitän herumschlagen musste – zeigen folgende Eintragungen im Logbuch der „Westerland“6:
27.01.1903: Gingen per Westerland um 11 Uhr ab MUNKMARSCH. Wind West, stürmisch und diesig. Fühlten bis HOYERTIEF wenig Treibeis. In HOYERBUCHT und auf dem HENGST festes Eis und Treibeis, konnten nicht durchkommen, kehrten um. Eisboot wegen starken Eistreibens nicht versucht.
03.07.1903: Schönes Wetter, Wind südlich, gegen Abend auffrischend aus NW. Beförderten 3 Schulen (HOYER, TONDERN, RUTTEBÜLL) 223 Personen. Abends zurückkehrend nach HOYERSCHLEUSE, trafen im Kanal 2 Segelschiffe, „Frau Dina“-Tjalk und „Wilhelm“-Ewer. Selbige hielten sich mitten im Fahrwasser auf, so dass ein Passieren unmöglich. Weder durch Signale mit der Dampfpfeife noch durch Zurufe waren dieselben zu bewegen, aus dem Fahrwasser zu gehen. Schwierige Lage, indem sie ihre Segel wegnahmen und ihre Schiffe dadurch steuerlos wurden und aus der Fahrt kamen. Eine Kollision mit dem Ewer wurde vermieden, während die Tjalk „Frau Dina“ leicht berührt wurde.
21.11.1903: Stürmisch aus NW mit heftigen Böen. Überfahrt von MUNKMARSCH 1,5 Stunden. Während des Ladens Brücken bei der Schleuse unter Wasser, daher Laden schwierig. 5500kg Ladung. Bei Abgang von der Schleuse wurde Maschine auf „voll“ gestellt, trotzdem war kein Steuer im Schiff, und schlug der Kopf des Schiffes vor dem Winde ab. Mussten Anker fallen lassen, um nicht auf das Südufer des Kanals zu kommen. Hierbei schlug das Schiff mit der BB.-Seite gegen die Pfähle und konnte die Maschine nicht gebraucht werden. Brachten eine Leine aus nach der Brücke an der Nordseite und kamen dadurch wieder in die Mitte des Kanals, mussten jedoch den Anker schleppen. Überfahrt 2,8 Stunden. Sehr stürmisch, Schiff schlingerte gewaltig und nahm Wasser über. Windsprung mit einer heftigen Böe nach N. Brücken bei MUNKMARSCH waren ebenfalls unter Wasser gewesen und waren einige Planken aufgerissen.
Vor allem die schnell ansteigenden Passagierzahlen stellten jedoch neue Anforderungen an die DSG. So wurden bei der Hamburger Werft JANSSEN & SCHMILINSKY7 zwei Neubauten, zuerst die „Frisia“ (1900 in Dienst gestellt) und dann die „Freya“ (1904 in Dienst gestellt), in Auftrag gegeben.
Die Bauaufsicht über die „Freya“ übernahm mein Großvater, der sie dann später auch als Kapitän führte. Am 1. Mai 1904 wurde der Dampfer „Westerland“ von Kapitän Carl Nicolai CHRISTIANSEN an seinen Vetter Peter CHRISTIANSEN als Kapitän übergeben.
SYLT
1904 - 1914
Carl Nicolai CHRISTIANSEN hatte bei der Übernahme der „Freya“ bereits eine bemerkenswerte seemännische Laufbahn hinter sich: Nach 10 Jahren auf Segelschiffen zuletzt als Steuermann – trat er in den Dienst der WOERMANN-Linie8, auf deren Schiffen er als Offizier und Kapitän eingesetzt war.9
Im Laufe der Jahre wurde Carl Nicolai CHRISTIANSEN einer der besten Kenner des Wattenmeeres und seiner Tücken, der auch unter den schwierigsten Umständen versuchte, die für die Insel lebenswichtige Verbindung zum Festland aufrecht zu erhalten. In dieser Zeit wurde er auch der bei allen beliebte, oft um Rat gefragte „Käpt‘n Corl“.
Betraten Sylter, die nach langer Abwesenheit zurückkehrten, in HOYERSCHLEUSE die „Freya“, war Käpt‘n Corl für sie das erste Stück Heimat, das ihnen begegnete und von dem sie das Neueste über SYLT erfahren konnten.
Aber auch die vielen Fahrgäste, von denen mancher nicht nur einmal mit der „Freya“ nach SYLT fuhr, um dort seine Ferien zu verbringen, lernten ihn und seine Schlagfertigkeit kennen, wenn sie eine Auskunft haben wollten. Auf tausend Fragen wusste er tausend und eine Antwort.
Die Dauer der Überfahrt war nicht immer genau voraussagbar und auch immer wieder Gegenstand von Fragen, die dem Kapitän gestellt wurden. Gewöhnlich kamen diese Fragen schon kurz nach dem Ablegen in HOYERSCHLEUSE. Eines Tages nun waren zwei besonders wissbegierige Damen auf dem Wege nach SYLT. Sie wollten natürlich neben vielem anderen auch wissen, wie lange die Fahrt nach MUNKMARSCH dauern würde. „Zwei Stunden!“ war die knappe Antwort. Als dann aber gleich darauf die Frage kam, wie lange man für die Rückfahrt brauche, war die todernste Antwort: „Vier Stunden!“. Ungläubig baten die Damen um eine Erklärung, die ihnen mit dem gleichen unbewegten Gesicht, aber einem kleinen Glimmer in den Augen gegeben wurde: „Sie haben in der Schule doch gelernt, dass die Erde eine Kugel ist. Sehen Sie, wenn wir nun von HOYERSCHLEUSE nach MUNKMARSCH fahren, geht es bergab, aber zurück müssen wir bergauf, und das geht eben langsamer!“
Von Anfang an, d.h. seit 1902, war Käpt‘n Corl als sogenannter „Winterkapitän“ - er hielt mit seinem Schiff auch außerhalb der Sommersaison die Verbindung mit dem Festland aufrecht - verantwortlich für die Eisbootfahrten.
Eisboote waren Jollen mit starken Planken und eisernem Kiel. Sie wurden von vier, fünf oder sechs Männern über das Eis geschoben und über offene Wasserflächen gerudert oder gesegelt. Durchschnittlich waren die Männer 12 bis 14 Stunden unterwegs und mussten oft in nasser oder gefrorener Kleidung ungewöhnliche Strapazen aushalten. Mit Rücksicht auf die kürzere Strecke gingen die Eisboote nicht ab MUNKMARSCH sondern ab NÖSSE11 zum Festland.
Logbuch-Eintrag12 vom 30.01.1905:
„Verließen planmäßig 8 Uhr MUNKMARSCH. Frischer Wind WNW (Signalball) ziemlich guter Wasserstand. Gelangten ungefähr bis HENGST, daselbst dichtes Eis. Konnten nur ca. zwei Schiffslängen vordringen. 10 Uhr gewahrten das Eisboot von der Schleuse aus kommend, welches anfangs gute Fortschritte machte, doch nach 2 Stunden sehr langsam.
Es wurde beobachtet, dass die Leute, 6 Mann, schwer arbeiten mussten und wiederholt einbrachen. Gegen 3 Uhr erreichte das Eisboot unter erschwerten Umständen das Schiff. Alle Leute waren mehr oder weniger nass. Mathias JOHANNSEN durchnass, bis zu den Hüften eingebrochen und durch die anderen Leute wieder aus der Lage befreit. Nahmen die Post an Bord, heißten das Boot in die Davids...“
Die Besatzungen der Eisboote bestanden aus den Mannschaften der Fährschiffe, wenn sie im Winter nicht fahren konnten.
Eine „normale“ Fahrt mit dem Eisboot konnte so aussehen:13
„ … Ich bin selbst einmal dabei gewesen, nachdem Eisbootführer HANSEN-MORSUM sich bereiterklärt hatte: ‚Dat lüttje Frollein nehmen wir mit.‘ Es war Mitte Januar 1924. Im Dunkeln morgens um halb acht zogen wir von NÖSSE los, über hochgetürmte Eisgebirge (Packeis, von Flut und Ebbe aufeinander geschoben), über schwankende Eisschollen, dann wieder durch tiefblaues, eisiges Wasser rudernd, stundenlang … Am schlimmsten war ‚Quars‘. So nannten die Eisbootmänner ein Gemisch von Schnee und Wasser. Dann konnten sie das Boot weder ziehen noch schieben, noch rudern. Wir saßen in einem Sumpf aus Schneematsch. Auch brauchten wir Stunden, nur um ein Stückchen weiterzukommen. Das größte Kunststück aber war es, aus dem bodenlosen Quars mit dem schweren Boot nun wieder hinauf auf festes Eis zu gelangen. ‚Dat lüttje Frollein‘ aber hatte es gut, ich durfte bei den beiden Postsäcken im Boot sitzen. Rechts und links zogen es je drei Mann, und hinter mir ging Herr HANSEN, den Kompaß ständig vor Augen. Immerfort lenkte er leise: ‚Lütt beten mehr links -- beten mehr rechts,‘ damit wir die Richtung nicht verloren... Hin und wieder wurde Halt gemacht. Die Männer zogen die Langschäfter aus, um das Wasser auszugießen und die Strümpfe, um sie auszuwringen; denn oftmals versanken sie bis zu den Hüften in Wasser und Quars, sich am Bootsrand festklammernd, bevor sie hineinklettern konnten. Auch das Boot mußte leergeschöpft und die Postsäcke ausgegossen werden. Geredet wurde nur das Notwendigste. ‚Lütt beten mehr rechts, beten mehr links.‘ Hinter uns trieb das Eis plötzlich in rasender Geschwindigkeit ab - dem Sog der Ebbe folgend. Es war schon dunkel, als man uns mit dem Nebelhorn von KLANXBÜLL entgegenkam.“
Im Logbuch der „Freya“ wird dazu lediglich trocken vermerkt:
25.01.1924 Dichter Nebel. Eisboot 8 Uhr von SYLT, 5 Uhr an KLANXBÜLL. Schwere Tour, da Eis stark in Bewegung. M.E. ist das Eisboot überladen, da 6 Mann Bedienung, 3 Passagiere und ziemlich Post. Die Mannschaft in der Bewegungsfreiheit behindert. Passagiere dürfen unter keinen Umständen mitgenommen werden, wenn die Tour so zweifelhaft ist.
27.01.1924 Eisboot ab 3 Uhr KLANXBÜLL, kam jedoch erst nachts 2 Uhr an NÖSSE.
Am nächsten Tag auf der Rücktour zur Insel geriet das Boot in Ebbstrom, und die Männer landeten nachts um 2 Uhr bei RANTUM statt bei NÖSSE.
Neben dem Eisgang machte aber auch der häufig auftretende Nebel das Navigieren schwierig, wie ein Beispiel aus dem Logbuch der „Westerland“ anschaulich dokumentiert:
09.01.1904 Nachts stürmisch. Schnee, Hagel, Glatteis. Diesige Luft. Gelangten gegen 7 Uhr bis zur Außenbake bei HOYER. Ziemlich hoher Wasserstand, viel Treibeis. Ankerten, um Tag abzuwarten. Trafen 9 Uhr bei Schleuse ein. Nachmittags 3 ½ Uhr ab Schleuse. (½ Stunde vor Plan). Neblig. Während der Überfahrt verdichtete sich der Nebel sehr stark. Peilstöcke ständig im Gange.
Dicht unter SYLT gerieten nördlich der Lahnung auf 3,5 Fuß fest. Da steigendes Wasser, kamen gleich wieder flott. Legten auf tieferes Wasser (ca. 9 ft.) vor Anker, um fallendes Wasser abzuwarten. Sahen Feuerschein von Hausbrand in BRADERUPUNKMARSCH