Veröffentlichungen der Luther-Akademie
Sondershausen-Ratzeburg e.V.
Rainer Rausch (Hrsg.) – Rauschs Ratzeburger Reihe Band 1
Melanchthons
»Loci communes« (1521)
als Grundkurs
reformatorischer Theologie
Books on Demand
Herstellung und Verlag:
Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-8482-9277-6
»Ich [scil. Luther] bin dazu geboren, das ich mit den rotten und teuffeln mus kriegen und zu felde ligen, darumb meiner Bücher viel stürmisch und kriegisch sind. Ich mus die klötze und stemme ausrotten, dornen und hecken weg hawen, die pfützen ausfullen und bin der grobe waldrechter, der die ban brechen und zurichten muss. Aber M. Philipps feret seuberlich und still daher, bawet und pflanzet, sehet und begeust mit lust, nach dem Gott yhm hat gegeben seine gaben reichlich.« (WA 30 II, 68 f.)
Aus dieser Äußerung Martin Luthers wird die Wertschätzung deutlich, die Martin Luther Philipp Melanchthon entgegen bringt. Wie berechtigt diese Hochachtung ist, haben die ca. 40 Teilnehmenden der Frühjahrstagung der Luther-Akademie im Haus der Kirche in Güstrow erfahren, als sie sich in der Zeit vom 27. Februar bis 3. März 2011 mit den von Philipp Melanchthon verfassten »Loci communes« befasst haben.
In diesem klassischen Lehrbuch der Wittenberger Reformation hat Philipp Melanchthon anno 1521 Hauptbegriffe der Theologie (»Loci communes«) zusammengestellt und ausgelegt (Freier Wille, Sünde, Gesetz, Evangelium, Gnade, Rechtfertigung…).
Philipp Melanchthon hat - hierauf wurde bereits in der Einladung zur Tagung hingewiesen - so etwas wie ein Wörterbuch zur Heiligen Schrift verfasst und zugleich Gesichtspunkte benannt, um die menschliche Lebenswirklichkeit wahrzunehmen und zu verändern. Aus dem Einladungsschreiben: »Theologie, so wie man sie hier lernen kann, ist ebenso biblisch wie auch erfahrungsbezogen. Sie ist begrifflich klar und kann zugleich in überzeugender Weise verdeutlichen, dass der Glaube Herzenssache ist. Im Herzen erfährt der Mensch sich als unfrei; im Herzen setzt aber auch die Befreiung an, die der Heilige Geist wirkt.«
Welche Freiheit ist hier gemeint?
Und wie kann die christliche Lehre insgesamt der Freiheit zugute kommen?
Diese Fragen sind heute nicht weniger als vor 490 Jahren aktuell. Sie gründlich anhand der Texte Melanchthons (gut zugänglich in der zweisprachigen Studienausgabe der Loci communes, hrsg. von Horst Georg Pöhlmann, 2. Aufl. Gütersloh 1997) zu durchdenken und für heute Antworten zu suchen, war das Anliegen dieser Tagung. Die einzelnen Beiträge sind in dieser Veröffentlichung zusammengefasst.
Gedankt sei herzlich Herrn Friedrich July, der die schwierige Aufgabe übernommen hat, die einzelnen inhaltlichen Einheiten zusammenzufassen.
Gedankt sei auch Herrn Dr. Dr. h.c. Scheible und Herrn Prof. Dr. von Lüpke für die Bereitschaft, die Vorträge an dieser Stelle zu veröffentlichen. Weiter sind wir Herrn Pfarrer Winfried Krause (ebenfalls Mitglied der Luther-Akademie) dafür dankbar, dass er einen Beitrag über das Leben von Philipp Melanchthon verfasst hat, so dass eine biographische Einführung in Leben und Theologie in die Thematik der Loci einstimmt.
Gedankt sei an dieser Stelle vor allem Prof. Dr. Oswald Bayer als Vorsitzendem des Kuratoriums, Frau Prof. Dr. Athina Lexutt und Prof. Dr. Johannes von Lüpke für die Planung und Durchführung der Tagung.
Herr Daniel Piasecki vom Oberkirchenrat hat die technische Vorbereitung dieser Veröffentlichung umgesetzt. Daher auch ihm vielen Dank für die engagierte Mitarbeit in der Luther-Akademie.
Dieser Tagungsbericht dient einerseits den Teilnehmenden zur Erinnerung und Vertiefung der Einsichten von Philipp Melanchthon, andererseits Interessierten zur Einarbeitung in dieses Themengebiet.
Die Tagung wäre ohne die finanzielle Unterstützung von Sponsoren für die Studierenden nicht möglich gewesen. Finanziell engagiert haben sich:
die Evangelische Landeskirche in Baden,
die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern,
die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau,
die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs,
die Evangelische Kirche der Pfalz,
die Evangelische Kirche im Rheinland,
die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens und
die Evangelische Landeskirche in Württemberg.
Eine Kollekte für diese Tagung der Luther-Akademie haben gesammelt:
die Kirchengemeinden Berkenthin, Borby-Stadt, St. Peter Ording, St. Thomas und Tating der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche.
Wir freuen uns über diese finanziellen Gaben, überreichen den Sponsoren und allen Lesern diese Veröffentlichung und wünschen eine ertragreiche Lektüre.
Ratzeburg, im Juni 2011
Rainer Rausch
Oberkirchenrat
Geschäftsführung
Luther-Akademie
von Pfr.Winfrid Krause, Thalfang
Philipp Schwartzerdt wurde am 16. Februar 1497 in Bretten – damals der südlichsten Stadt der Kurpfalz – geboren. Von hier, wo sich an der Stelle des Geburtshauses ein Melanchthonmuseum befindet, stammte seine Mutter Barbara Reuter, die Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns und Schultheißen. Sein Vater Georg Schwartzerdt dagegen stammte aus der Residenzstadt Heidelberg, wo der gelernte Plattner und Rüstungsschmied das Amt des kurfürstlichen Rüstmeisters innehatte. Philipp war das älteste von 5 Kindern. Die Brettener Großeltern, die mit dem Humanisten und führenden Hebraisten Johannes Reuchlin verwandt waren, sorgten für eine gute Schulbildung des begabten Jungen. Nach dem Tod des Vaters auf Grund einer Kriegsverletzung wurde der elfjährige Philipp nach Pforzheim auf die Lateinschule geschickt. Er wohnte dort bei der verwitweten Schwester Reuchlins. Reuchlin förderte von Stuttgart aus seinen Großneffen nach Kräften und verlieh ihm am 15. März 1509 den griechischen Humanistennamen Melanchthon (von schwarz und Erde). Schon nach einem Jahr wechselte das 12-jährige Wunderkind an die Universität Heidelberg, wo er mit berühmten Humanisten bekannt wurde und 1511 zum frühstmöglichen Zeitpunkt den ersten akademischen Grad eines Baccalaureus artium erwarb. Er studierte dann an der Universität Tübingen weiter, wo er mit 16 Jahren den unserem Abitur vergleichbaren Magister artium ablegte. Hier vervollkommnete er nicht nur – getreu dem Leitwort des Humanismus „Zurück zu den Quellen“ – seine Kenntnis der antiken Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch, sondern studierte auch mit offenbar weitgespanntem Interesse Philosophie, Naturwissenschaften, Geschichte, Astronomie und Theologie. Mit einer genialen griechischen Grammatik, die 200 Jahre in Gebrauch blieb, einer gelehrten Textausgabe des lateinischen Dichters Terenz, die den Beifall des Humanistenfürsten Erasmus fand, und Streitschriften zugunsten seines in den Judenbücherstreit verwickelten Mentors Reuchlin wurde der junge Gelehrte in ganz Deutschland bekannt.
1518 erhielt Melanchthon den für sein Leben entscheidenden Ruf auf den neuerrichteten Lehrstuhl für Griechisch an der Wittenberger Universität. In seiner Antrittsrede »De corrigendis adulescentiae studiis« trug er das Programm einer humanistischen Studienreform vor, womit er begeisterten Anklang fand. Die bisherigen sieben freien Künste (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik) des bisherigen Grundstudiums sollten durch Griechisch, Poesie und Geschichte ergänzt werden. Der 21-jährige Professor der Artistenfakultät studierte selbst in der Theologie, einer der neben Jurisprudenz und Medizin drei höheren Fakultäten, weiter. Luther gewann ihn zu seinem Schüler, Mitarbeiter und Freund. Luthers Theologie eignete sich besonders durch seine Mithilfe bei der Herausgabe der 1516 - 1518 gehaltenen Vorlesung über den Galater-brief an, die 1519 als erster Galaterbriefkommentar der Reformation im Druck erschien1. Im selben Jahr erwarb Melanchthon den ersten theologischen Titel eines Baccalaureus biblicus. Die nächsten Abschlüsse eines Sententiarius und auch den theologischen Doktor erwarb er nicht, wollte er doch nicht über die Sentenzen des Petrus Lombardus, das Standartwerk der scholastischen Dogmatik, sondern über die Bibel Vorlesungen halten. Seit 1520 las er über den Römerbrief des Apostels Paulus, dessen Hauptbegriffe „Sünde, Gesetz, Evangelium, Gnade, Glaube, Liebe etc.“ er 1521 als „Loci communes…“ herausgab – die erste evangelische Dogmatik, immer wieder überarbeitet und neuaufgelegt, in der es Melanchthon gelang, Luthers Wiederentdeckung des biblischen Evangeliums in ein verständliches Lehrbuch zu fassen.
So wurde Melanchthon in Wittenberg neben Martin Luther zum wichtigsten Professor der neuen evangelischen Bewegung. Während Luther meist über das Alte Testament Vorlesungen hielt, las Melanchthon in der Regel über das Neue Testament. Aber er blieb auch der philosophischen Fakultät treu und verfasste viele, zum Teil verbreitete Lehrbücher über Rhetorik, Dialektik, Ethik, Anthropologie (De anima), Physik, Weltgeschichte (Chronicon Carionis). Daneben gab er griechische und lateinische antike Autoren wie Euripides, Pinder, Demosthenes und Cicero, teilweise mit gelehrtem Kommentar, heraus. Das Bündnis von Humanismus und Reformation nahm in seiner Person Gestalt an. Zahlreiche Gutachten der Wittenberger Theologen tragen seine Handschrift. Der ebenso junge wie gelehrte Professor zog eine Menge Studenten an. Seine Schüler wurden auf Stellen in ganz Deutschland berufen. Melanchthon wirkte an vielen Universitätsreformen und Schulgründungen maßgeblich mit (Eisleben, Lüneburg, Magdeburg, Nürnberg, Marburg, Tübingen, Frankfurt/Oder, Leipzig, Königsberg, Jena, Rostock, Greifswald, Heidelberg). Niemand hatte einen größeren Einfluss auf das Bildungswesen in Deutschland während des 16. Jahrhunderts. Von daher erhielt er den Ehrentitel „Praeceptor Germaniae – Lehrer Deutschlands“.
Im November 1520 heiratete er die Wittenberger Bürgerstochter Katharina Krapp (1497-1557). Drei Kinder - ein viertes starb - wuchsen in dem Haus auf, das sie mit in die Ehe brachte und das 1536-39 auf Kosten des Kurfürsten im Renaissancestil neuerrichtet wurde. Das heutige „Melanchthonhaus“ liegt zwischen dem alten Kolleg, wo die Vorlesungen stattfanden, und dem Augustinerkloster, wo Luther wohnte.
Seit der Leipziger Disputation 1519, in der Luther die Unfehlbarkeit des Papstes und der Konzilien bestritt, sehen wir Melanchthon eng an der Seite des Reformators. Er verteidigte Luther gegenüber der Pariser Sorbonne; er lud die Studenten zur Verbrennung der Bannandrohungsbulle und des Kanonischen Rechts vor das Elstertor; er empfing mit seinen Schülern 1521 das erste Abendmahl in beiderlei Gestalt. Er leitete die nach dem Bauernkrieg vom Kurfürsten für Sachsen angeordnete Visitation, bei der die Lehre der Pfarrer und die Einkünfte der Pfarreien geprüft wurden, und verfasste dafür den „Unterricht der Visitatoren“ – ein Art Kirchenordnung. Er nahm 1529 am Reichstag in Speyer teil, auf dem die evangelischen Stände gegen die Unterdrückung der Reformation ihre „Protestation“ einreichten. Er reiste mit Luther zum Marburger Religionsgespräch über das Hl. Abendmahl mit den Schweizer Reformatoren.
. Später bemängelte er allerdings gegenüber Justus Jonas das „Leisetreten“ des Bekenntnisses, weil es die Fragen des Fegefeuers, des Heiligenkults und besonders des Antichrist-Papstes verschweige3