Regula Benedicti
für Ihr Unternehmen
Books on Demand GmbH, Norderstedt
4. Auflage September 2011
Lektorat: Petra Mlinaric und Leyla Abbassian
Satz und Grafik: LATEX
Umschlaggestaltung: Tom Hölzlein und Frank Brose
Printed in Germany
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
©2011 Frank Brose und anders.beraten GmbH
4. Auflage September 2011
ISBN: 978-3-8482-9950-8
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Er schrieb eine Regel für Mönche, ausgezeichnet durch maßvolle Unterscheidung und wegweisend durch ihr klares Wort. Wer sein Leben und sein Wesen genauer kennenlernen will, kann in den Weisungen dieser Regel alles finden, was er als Meister vorgelebt hat: der heilige Mann konnte gar nicht anders lehren als er lebte.
Dial.II 36 Gregor der Große (554)
über den Heiligen Benedikt von Nursia
Danksagung:
Ich bedanke mich bei meiner Lebensgefährtin Petra Mlinaric für die vielen Stunden ungestörten Schreibens, in denen sie auf meine ungeteilte Aufmerksamkeit verzichten musste. Genauso gilt mein Dank Ralf Müller, einen befreundeten Unternehmensberater, der mich und meine hier vertretenen Ansichten in Frage gestellt hat und mich zu neuen Ideen geführt hat.
Mit Dank kaum aufzuwiegen ist auch der unermüdliche Einsatz von Petra Mlinaric, die als Lektorin den Fehlerteufel bekämpft hat. Ebenso bedanke ich mich bei den Geschäftsführern von anders.beraten Andreas Langendonk und Andree Brüning, die mich vertrauensvoll dieses Buch ohne Kontrolle und Einmischung haben schreiben lassen und die mich bei der Veröffentlichung und Vermarktung unterstützen.
Ganz besonderer Dank gilt Tom Hölzlein, der mir aus Freundschaft geholfen hat, meine Idee zur Umschlaggestaltung umzusetzen.
Und mein Dank gilt den Mönchen der Abtei Königsmünster, die mich freundlich für einige Tage als Gast aufgenommen haben und mit mir ihren klösterlichen Alltag geteilt haben. So konnte ich die Regula Benedicti persönlich erfahren und die Ruhe finden, um dieses Buch zu vollenden.
Andree Brüning
Gründer und Mitinhaber der anders.beraten GmbH Herzogenrath, Vorsitzender BKU DG Aachen, Mitglied im Vorstand des Wirtschaftsrates und Dozent am Institut für Management, Kirche und Spiritualität
HÖRE, schreibt Benedikt als erstes Wort seiner Regel.1
Das HÖREN hat mich vor ca. 20 Jahren dazu veranlasst Theologie zu studieren, um mich dabei auch intensiver mit dem Benediktinerorden auseinander setzen zu dürfen. Die Faszination an Benedikt, seiner ehrlichen und offenen Sprache, der Klarheit im Anspruch an das eigene Handeln und weniger an Worte, haben bei mir den Ehrgeiz ausgelöst, die Begeisterung für den hl. Benedikt und sein Regelwerk in Wort und Schrift umzusetzen.
Benedikt und damit verbunden die Suche nach Gott, lässt einen Menschen, dessen Herz anfängt für eine Sache zu brennen, immer wieder aufhorchen, wie in der Emmaus-Geschichte sehr gut beschrieben wird: „Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?“ [Lukas 24, 30-32].
Die Emmaus-Jünger sind ein Bild für Menschen, deren Herz ausgebrannt ist, „burn out“ nennen wir das heute. Ausgebrannt, aber warum? Die Jünger hatten ihre Hoffnung auf Jesus gesetzt, doch er ist zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Ihre Hoffnung ist enttäuscht, ihre Stimmung niedergeschlagen. Sie sehen keinen Sinn mehr für ihr Leben, sie gehen fort und laufen vor der Situation weg. Was hilft ihnen in ihrer Situation? Ist es gut, dass sie zu zweit sind und miteinander reden können oder machen sie einander das Herz noch schwerer?
Wer solche Situationen erfährt, dem tut es gut, wenn jemand ihn anspricht, ihm zuhört und behutsam den Sinn des Lebens deutet.
Wir können aber auch fragen: Wartet jemand auf uns, dass wir ihn ansprechen, so dass er sich bei uns aussprechen kann, sich verstanden und angenommen fühlt? Können wir ihm helfen, in seinem Leben wieder einen Sinn zu entdecken? Ja, das kann man!
Die Erfahrungen aus meiner Arbeit, früher in einer Unternehmensberatung mit ca. 400 Beratern und seit 2003 mit dem Unternehmen anders.beraten, lassen für mich den Schluss zu, dass wir innerhalb unserer individuellen Arbeitsorte (Wirtschaftsunternehmen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen etc.) häufig – so meine Interpretation der vielen Begegnungen und Beratungsgespräche – in einer jeweils geschlossenen Welt, mit eigenen Gesetzen, Regeln und Sitten leben:
Die Regula Benedicti ist ein Lebenskonzept und -programm, eine reichhaltige, in sich durchdachte Lebensordnung. Betriebswirtschaftlich würde man sie als programmatische Charta der Organisationsentwicklung für einen Orden bezeichnen. Zudem hat allerdings die Heilige Schrift, wie oben schon mit der Emmaus-Geschichte erwähnt, die Führungsrolle darin. Die Regel und die Bibel bilden eine inhaltlich untrennbare und sprachliche Einheit.
Aus diesen Gründen ist es angebracht, alles in der Regel zu betrachten, um daraus eventuell eine moderne Managementtheorie abzuleiten.
Es ist und war mein Bestreben, dieses ganz und gar einem Nicht-Theologen ohne meine Anmerkungen und Interpretationen zu überlassen.
Im vorliegenden Buch möchte uns Frank Brose hineinführen in eine Haltung des HINHÖRENS und Aufhorchens. Mit viel Liebe ausgewählt und zusammengestellt, enthält es vielleicht gerade das, wonach manch einer schon lange sucht:
„benedicere“ aus dem lateinischen Übersetzt heißt segnen oder gut reden. Ich wünsche Ihnen gute Gedanken – Erinnerungen – Möglichkeiten und Erfahrungen beim Lesen der Worte und Gedanken von Frank Brose. Es freut mich, dass er sich trotz seiner „anderen“ Lebensvita herangetraut hat, diesen Text zu bearbeiten und ich danke ihm für seine Offenheit im Umgang mit diesem großartigen Text.
Mein Mentor Pfarrer Wolfgang Rademacher schrieb mir zu Beginn meines Studiums einen Satz der aus der Vita des hl. Augustinus überliefert ist: „Tolle lege“ (Nimm und lies). Diesen Satz möchte ich Ihnen beim Lesen dieses Buches mit auf den Weg geben.
Andree Brüning
Geschäftsführer anders.beraten GmbH
1 Die „Regel“ des heiligen Benedikt, wurde von Benedikt von Nursia zwischen 530 und 547 n.Chr. in einer krisengeschüttelten Zeit während des Epochenwandels von der Spätantike ins frühe Mittelalter auf dem Monte Cassino verfasst.
Im Rahmen eines Trainings zum Vertrauens-Coach hat mich folgende Beschreibung der Regula Benedicti gefangen genommen [Brü09, 3. Folie]:
„Eine Regel für eine Gemeinschaft von Menschen
Angesichts der Ereignisse der letzten Zeit; begonnen bei den Skandalen und Zusammenbrüchen von Enron und Mobilcom, dem VW Skandal um Lustreisen des Betriebsrates, den Bespitzelungsaffären bei der Telekom und bei der Bahn, der Bestechungsaffäre bei Siemens sowie allgemein der Krise des Immobilien- und Kapitalmarktes, hatte ich den Eindruck, dass unsere Zeiten ebenso aus den Fugen geraten sind, wie die, in denen Benedikt von Nursia seine Regel aufstellte. Folgende Frage sah ich klar und deutlich von meinen Augen: Was können wir heute noch vom heiligen Benedikt von Nursia lernen?
Immerhin gibt es auch heute, nach knapp 1.500 Jahren, immer noch Benediktiner-Klöster. Mit ca. 100 Klöstern ist der Benediktinerorden heute der größte Orden in Deutschland. Dabei hatten die Benediktiner in diesem Zeitraum schwierige Klippen zu umschiffen. Vorübergehend waren sie so erfolgreich, dass sie dermaßen an Reichtum und Einfluss gewannen, dass ihre eigene Regel in den Hintergrund gedrängt wurde und sie reformiert werden mussten. Sie überstanden Abspaltungen anderer Orden, die Reformation und die Säkularisierung.
Um möglichem Fehlurteilen vorzugreifen sei hier erwähnt, dass sich Klöster selbst finanzieren müssen, denn sie profitieren nicht von der Kirchensteuer. Das heißt, wir sehen uns hier erfolgreich agierenden Wirtschaftsunternehmen gegenüber.
Wirtschaftsunternehmen in vergleichbarer Situation, die ihre eigene Linie vollkommen verloren haben, die mit explosionsartig zunehmender Konkurrenz noch dazu aus den eigenen Reihen konfrontiert werden und die dann noch die Geschäftsgrundlage verlieren, sind da eher dem Untergang geweiht.
Um Ihnen einen Eindruck zu geben, aus welcher Perspektive dieses Buch entstanden ist, folgen einige Worte über mich als Autor.
Aufgewachsen bin ich in einem gemischten Haushalt. Meine Mutter war römisch-katholisch und mein Vater evangelisch. Trotz der vorwiegend katholisch ausgerichteten Erziehung, konnte ich niemals tiefe Religiosität empfinden und kann daher mit den ersten drei Geboten mit Bezug auf Gott wenig anfangen. Mich haben eher die restlichen sieben Gebote geprägt.
Beruflich habe ich abwechselnd Jahre als Angestellter in Großunternehmen und Jahre als Berater hinter mir, wobei inzwischen mehr Jahre als Berater zusammenkommen.
Daher habe ich selbst am eigenen Leib unterschiedliche Führungsstile erfahren und habe während meiner Beratungszeit die Folgen weiterer Führungsstile beobachten können. Aus eigener Perspektive kenne ich die Rolle Führung aus Sicht des Projektleiters, der immer wieder weitestgehend ohne formelle Führungsbefugnisse Teams leiten durfte, wobei die einzelnen Mitglieder immer anderen Führungspersonen unterstellt waren.
Lange Zeit hat es mich immer wieder gewundert, wieso die meisten Menschen mir – ohne hierarchische Führungsposition meinerseits – freiwillig so hervorragend zugearbeitet haben, obwohl andere Projektleiter im gleichen Umfeld weniger positive Erfahrungen mit diesen Menschen gemacht haben. Inzwischen weiß ich, dass es mit daran liegt, dass ich die Menschen ernst nehme und sie wertschätze sowie sehr genau klar mache, was ich von ihnen erwarte.
Mit diesem Buch verbinde ich diese Erfahrungen mit dem alt hergebrachtem Wissen der Regula Benedicti, um damit Ideen für die Unternehmens- und Mitarbeiterführung zu entwickeln oder auch alte wiederzubeleben. Da ich diese Ideen von außen an die Managementebene herantrage, biete ich eine für die Managergemeinschaft fremde aber auch neue und hoffentlich inspirierende Perspektive.
Während der Arbeit an der Regel ist mir folgendes aufgefallen: Es sieht so aus, als seien die Grundlagen für die Organisation von Unternehmen in den Klöstern entstanden. Die verschiedenen Hierarchieebenen, die Stellvertreterregelungen und andere organisatorische Regeln der Regula Benedicti sind heute noch in fast jedem Unternehmen wiederzufinden. Die Organisationsform der Klöster scheint dabei über Jahrhunderte weiterentwickelt und verfeinert worden zu sein.
Dagegen sind die ethischen Grundregeln basierend auf dem Glauben und der Religion, die in der Regula Benedicti ebenfalls beschrieben werden, nahezu in Vergessenheit geraten. Wenn es ethisch fundierte Wertesysteme in Unternehmen gibt, handelt es sich um Ausnahmen, wenn sie tatsächlich ernsthaft gelebt werden. Im Normalfall handelt es sich eher um Opium für das Volk, also für die Mitarbeiter oder die Öffentlichkeit. Im Unternehmensalltag spielen sie bei Entscheidungen keine Rolle. In die gleiche Kategorie fallen Prozesse zur Wertefindung quasi von unten durch die Mitarbeiter. Nach dem Motto „Wünsch Dir was!“ mit nachfolgender basisdemokratischer Mehrheitsentscheidung der Mitarbeiter sucht sich das Unternehmen seine Werte für das nächste Geschäftsjahr oder die Amtszeit des aktuellen Chefs der Personalabteilung selbst aus.
Die meisten der folgenden, in den letzten Jahren aufgetretenen Skandale und Firmenzusammenbrüche wären undenkbar, wenn sich die betroffenen Unternehmen verbindlich an hohe ethische Wertmaßstäbe gehalten hätten:
Hier wurde ein Betriebsrat durch teure Lustreisen gefügig gemacht, um dafür zu sorgen, dass er seiner eigentlichen Verpflichtung, die Arbeitnehmerinteressen zu vertreten, nur unter starker Berücksichtigung der Arbeitgeberinteressen nachkommt.
Bei Siemens wurden Millionenbeträge für Bestechungen eingesetzt, welche zuvor durch schwarze Kassen in einer eigens dafür gegründeten Gesellschaft in Liechtenstein vor den Augen aller Kontrollgremien verborgen wurden. Das bedeutet, dass fremdes Geld, das den Eigentümern des Unternehmens – also den Aktionären – gehört, an diesen vorbei für Maßnahmen jenseits der Legalität eingesetzt wurde.
Der Energiekonzern Enron hat innerhalb von vier Jahren 586 Mio. Dollar an Gewinn ausgewiesen, den es nicht gegeben hat. Währenddessen hat die Geschäftsführung Aktien im Wert von über einer Milliarde Dollar verkauft und gleichzeitig ihre Mitarbeiter aufgefordert, ihre Enron-Aktien zu halten. Nachdem das bekannt geworden ist, wurde ein Insolvenzverfahren nach amerikanischem Recht eingeleitet.
Boni-Systeme auf Basis von Optionen haben die Manager dazu verführt, durch kurzfristige Aktionen den Aktienkurs unter hohem Risiko zum eigenen Vorteil zu manipulieren, unabhängig davon, ob ihr Handeln langfristig das Unternehmen schädigt. Beliebte Methoden dazu sind der Abbau des Eigenkapitals zur Erhöhung der Eigenkapitalrendite sowie das Handeln von Forderungen als seien es echte Werte (forderungsbesichertes Wertpapier, englisch: „asset-backed security“, kurz „ABS“), was den Weiterverkauf fauler Kredite ermöglicht, die im Wesentlichen durch überbewertete Immobilien gegenfinanzierte Kredite sind. Verbunden mit blindem Vertrauen auf Rating-Agenturen ist damit die Grundlage für eine weltweite Bankenkrise gelegt.
Bernhardt Madoff hat über lange Zeiträume Renditen über dem Marktdurchschnitt für seine Anleger erwirtschaftet. Wie er das schafft, ist von seinen Anlegern nie hinterfragt worden, da sie alle von den hohen Renditen profitiert haben. Hätten sie hinter die Kulissen geschaut, wäre ihnen aufgefallen, dass diese scheinbaren Renditen nur durch den Aufbau eines Schneeballsystems vorgegaukelt werden konnten. Das Schneeballsystem selbst hat letztendlich zu einer Veruntreuung von 50 Milliarden USD durch Herrn Madoff geführt.
Der letzte Fall ist dabei in einer Hinsicht besonders bemerkenswert: In der Selbstdarstellung des Unternehmens heißt es, Madoff habe: „ein persönliches Interesse, seinen Untadeligen Ruf der Fairness und hoher moralischer Standards aufrecht zu erhalten, der immer Markenzeichen seines Unternehmens war.“ Beim genauen Lesen fällt auf, dass es hier tatsächlich nur um den Ruf - also den äußeren Anschein - geht und nicht um Fairness und moralische Standards selbst.
Letztendlich hat Madoff also schon immer die Wahrheit gesagt, dass es ihm um seinen Ruf geht. Und es zeigt ganz deutlich, dass ethische Grundsätze nicht als Marketingmaßnahme verstanden werden dürfen, sondern absolut ernst gemeint sein müssen, damit sie ihre positive Wirkung für das Unternehmen entfalten können.
Bei der Interpretation der Regula Benedicti für die Wirtschaft musste ich einige grundsätzliche Anpassungen an die heutige Zeit vornehmen, damit die Regel vom Kloster auf ein Wirtschaftsunternehmen übertragbar wird.
Aus dem Abt als oberste Führungsperson eines Klosters wird daher folgerichtig die Geschäftsführung oder der Vorstand. Im weiteren Verlauf wird ausschließlich auf Geschäftsführer referenziert, um nicht zwischen Geschäftsführung und Vorstand willkürlich hin und her zu springen oder ohne zusätzlichen Inhalt den Text durch permanente Nennung beider Führungsgremien unnötig aufzublähen.
Aus der Glaubens- und Wirtschaftseinheit Kloster wird das Unternehmen, das sich dieser Interpretation der Regel untergeordnet hat. Das hat entscheidende Auswirkungen auf meine Interpretation, da ich folgende Punkte berücksichtigen musste:
Mönche verbringen ihr gesamtes Leben im Kloster. Mitarbeiter sollten sich im Unternehmen nur während der Arbeitszeiten aufhalten. Das heißt mit Ausnahme der Workaholics verbringen sie mehr als zwei Drittel ihrer Lebenszeit außerhalb des Unternehmens.
Das Beten, also die Auseinandersetzung mit dem Glauben, ist nicht Kernaufgabe eines Wirtschaftsunternehmens in unserer säkularisierten Zeit. Den Mitarbeitern wird zwar der erforderliche Spielraum eingeräumt, ihren persönlichen Glaubensritualen nachzugehen, aber innerhalb der Interpretation habe ich die Auseinandersetzung mit den ethischen Grundsätzen – also mit der Regel – sowie deren Verinnerlichung an die Stelle des Gebets gesetzt.
In der Regula Benedicti basiert alles auf der Gottesfurcht und der Anerkennung Gottes als höchste Instanz. Für das Unternehmen bedeutet das die unanfechtbare Gültigkeit der in der Regel definierten ethischen Grundsätze.
Die für Mönche vorgesehene Besitzlosigkeit ist nicht das angestrebte Ziel für die Mitarbeiter des Unternehmens. Vielmehr soll sichergestellt sein, dass sie in der Lage sind von ihrem Einkommen ein angemessenes Leben zu führen.
Ebenso sind verschiedene Strafmaßnahmen, die in der Regula Benedicti vorgeschlagen werden, weder menschlich noch zeitgemäß. In einem ersten primitiven Impuls habe ich einen Augenblick lang die Wiedereinführung der Prügelstrafe für eine verlockende Idee gehalten. Da ich aber der festen Überzeugung bin, dass positive Motivation mehr bewirkt als Strafandrohung, verzichte ich bei der Interpretation auf körperliche Strafen wie Essensentzug oder Prügel sowie auf das bewusste Ausgrenzen einzelner Menschen durch Verbot der Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen.
Verantwortung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass trotz größtmöglicher Vertrauensbasis zu Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden die durch hohe Transparenz geschaffenen Kontrollmöglichkeiten intensiv genutzt werden. Hier wird keine pure Gesinnungsethik im Sinne von „Wir vertrauen uns alle und das Leben wird schön.“ propagiert, sondern auch die Verantwortungsethik, die besagt, dass wir für die Ergebnisse unseres Handelns, auch wenn sie manchmal schwer vorauszusagen sind, verantwortlich sind.
Wesentlich bleibt in meiner Interpretation die Menschlichkeit. Der Habitus des ethisch Überlegenen soll keine neue Methode sein, um Mitarbeiter zu unterdrücken. Vielmehr wird auf Verständnis und Überzeugungsarbeit gesetzt. Gleichzeitig finden Verstöße gegen diese Regel keinerlei Verständnis im Unternehmen und werden in jedem Fall geahndet. Die wesentlichen Schlüsselworte in diesem Zusammenhang sind Bescheidenheit, Respekt, Empathie, Menschlichkeit, Fairness, Sparsamkeit, Vertrauen, Verstehen, Verbindlichkeit, Verantwortung und Disziplin, wobei jeder bei sich selbst beginne.
Neben dem guten Gefühl, das Richtige getan zu haben, hat die Befolgung der auf heutige Zustände übertragenen Regula Benedicto für das Unternehmen deutliche Vorteile. Diese lassen sich zwar nicht präzise in Euro und Cent ausdrücken, aber es ist offensichtlich und von anderen Autoren in anderen Zusammenhängen mindestens empirisch nachgewiesen, dass harte finanzielle Interessen dafür sprechen, wie hier beschrieben zu handeln.
Das heißt, dass es trotz der Herkunft aus dem kirchlichen Umfeld bei dieser Interpretation der Regel nicht darum geht, die Welt zu verbessern sondern um knallhart messbaren wirtschaftlichen Erfolg auf gesunder Basis.
Die Vorteile wirken sich in folgenden Bereichen aus:
Mit der Regel und deren Befolgung sind die von verschiedenen Autoren genannten Rahmenbedingungen für motivierte Mitarbeiter geschaffen.
„Es ist wichtig, wie dieses Ziel erreicht wird. Man muss dabei von bestimmten Wertvorstellungen geleitet werden. Man muss nicht nur auf das stolz sein können, was man erreicht hat, sondern auch, wie man es erreicht hat.“ [BB98, S. 48] Mit der Regula Benedicti für Unternehmen werden ganz klar und eindeutig die Wertvorstellungen für das Unternehmen gesetzt.
Das mit diesem Buch gegebene Wertesystem gibt auch eine Antwort auf die erste von zwölf Fragen, die die Wirtschaftsautoren Marcus Buckingham und Curt Coffman stellen. Die Frage bestimmt die Stärke und Qualität des Arbeitsplatzes: „Weiß ich, was bei der Arbeit von mir erwartet wird?“ [BC99, S. 21] Auch deren neunte Frage – „Sind meine Kollegen bestrebt, Arbeit von hoher Qualität zu leisten?“ [BC99, S. 22] – kann nur bejaht werden.
Wie wichtig Wertschätzung für die erfolgreiche Führung und Motivation von Menschen ist, ist in der Auswertung von Marcus Buckingham und Curt Coffman zu erkennen. Ein Drittel der zwölf Fragen, die für sie die Qualität eines Arbeitsplatzes bestimmen, betreffen mehr oder weniger direkt das Thema Wertschätzung:
Die Mitarbeiter haben ein Ziel, auf das sie hin arbeiten. Innerhalb der vom Unternehmen gesteckten ethischen Rahmenbedingungen können sie selbst bestimmen, wie Ziele zu erreichen sind. Zwei der führenden Leadership-Experten – Ken Blanchard und Sheldon Bowles – beschreiben die Bedeutung dieser Selbstbestimmung für das Selbstwertgefühl der Mitarbeiter im Rahmens des „Weges der Biber“ sehr schön [BB98, S. 82].
„Wenn man aber zuwenig von den Menschen verlangt, dann macht man sie auch nicht glücklich. Dann beleidigt man sie eher.“ [BB98, S. 92]
Wenn man ein Ziel hat, ohne feststellen zu können, wie weit man mit der Zielerreichung ist, hat man keine Möglichkeit, sein Verhalten wirklich an dem Ziel auszurichten. Es ist, als würde man mit verbundenen Augen ein Auto fahren. Selbst wenn man genau weiß, wo man hin will, dürfte es fast unmöglich sein, dort unbeschadet anzukommen.
Ein Unternehmen, das nach dieser Regel handelt, wird es leicht haben, neue Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt zu gewinnen. Folgende Einflussfaktoren werden dafür sorgen:
Die Mitarbeiter unterhalten sich in ihrer Freizeit mit anderen über ihre Arbeit, ihre Arbeitsbedingungen und darüber, wie wohl sie sich im Unternehmen fühlen. Das erleichtert die Anwerbung von neuen Mitarbeitern im direkten Umfeld.
Das Unternehmen wird in Statistiken auffällig werden, die sich mit der Mitarbeiterfluktuation in Unternehmen auseinandersetzen. Durch die geringe Fluktuation wird das Unternehmen einen der vordersten Plätze einnehmen und öffentliche Aufmerksamkeit wecken.
Die durch die Regel gegebene Unternehmenskultur ist stark auf den Mitarbeiter bezogen. Daher wird das Unternehmen in den Fokus des Great Place to WorkR Institute Deutsch®land und der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geraten und bei der Preisvergabe „Deutschlands beste Arbeitgeber“ hervorragend abschneiden.
Dadurch dass sich das Unternehmen an diese Regel hält, wird es sich auf Dauer einen untadeligen Ruf erwerben. Dieser Ruf wird nicht nur grundsätzlich für Menschen, die Arbeit suchen ein Wegweiser sein sondern zusätzlich auch besonders die Menschen ansprechen, die in das Unternehmen passen.
Das Unternehmen ist das Eigentum von jemandem. Die Eigentümer können einzelne Gesellschafter, eine Familie oder Aktionäre sein. Durch die Bindung an die Regel können die Eigentümer sicher sein, dass ihr Unternehmen nicht eines Tages in einer großen Wolke von Skandal, Betrug, Veruntreuung von Unternehmensgeldern und Selbstbedienungsmentalität von gierigen Managern vom Markt verschwindet und sie damit ohne staatlichen Einfluss enteignet worden sind.
Aktienkursschwankungen die von der allgemeinen wirtschaftlichen Erwartungshaltung geprägt werden, behalten natürlich ihren Einfluss auf den Wert eines am Kapitalmarkt gehandelten Unternehmens. Doch auch in diesem Fall können die Aktionäre sicher sein, dass größtmögliche Transparenz bzgl. der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens besteht. Das heißt, das Unternehmen wird nicht überraschend, vergleichbar einer zerplatzten Seifenblase, vom Markt verschwinden.
John C. Maxwell zitiert hier James Burke, Chairman von Johnson und Johnson, aus Executive Leadership Foundation, Inc., Absolute Ethics, 24:
"Hätte man vor dreißig Jahren 30.000 Dollar in Dow-Jones notierte Unternehmen angelegt, entspräche das heute einem Wert von 134.000 Dollar. Hätte man diese 30.000 Dollar in solche {sozial und ethisch verantwortungsbewusste} Firmen gesteckt – 2.000 Dollar in jede der fünfzehn {in der Studie} – wären es heute über 1 Millionen $.“ [Max05, S. 18]
Ein Unternehmen, dessen Handeln im Markt von der Regel geprägt ist, schafft sich eine stabile Vertrauensbasis.
Die Kunden können darauf vertrauen, dass
Diese Vertrauensbasis stärkt die Stellung des Unternehmens im Markt. Denn mit welchem Partner würden Sie lieber in Zukunft weitere Geschäfte machen, als mit einem, der sich Ihres Vertrauens jedes Mal als würdig erwiesen hat.
Gleichzeitig können die Kunden sicher sein, dass die von diesem Unternehmen erworbenen Produkte und Leistungen ethisch nicht zu beanstanden sind. Das heißt, es arbeiten ausschließlich Erwachsene und Jugendliche in der Ausbildung für das Unternehmen, die gerecht entlohnt werden und das Unternehmen arbeitet ressourcen- und umweltschonend.
Während des Schreibens dieses Buches habe ich natürlich mit anderen darüber geredet. Ein guter Freund hat mich darauf hingewiesen, dass es durchaus auch andere Erfolgsrezepte gibt. Anhand eines mir bekannten Beispiels hat er mir vor Augen geführt, dass auch ein vollkommen autokratischer Führungsstil, der auf Druck und Überforderung der Mitarbeiter setzt, erfolgreich sein kann.
Gerade in großen Unternehmen käme es nur darauf an, ob die einzelnen Bereiche nach außen funktionieren oder nicht. Ob dabei die Mitarbeiter verheizt werden und alle zwei bis drei Jahre die komplette Belegschaft ausgetauscht wird, spielt in der gesamten Erfolgsbilanz des Unternehmens keine Rolle.
Und mein Freund hat Recht: Der beschriebene Bereich hat sehr erfolgreich gearbeitet, wenn auch viele der ursprünglichen Belegschaft das Unternehmen verlassen haben, und auch die Führungskraft selbst nicht mehr im Unternehmen ist. Das Gesamtunternehmen hat unabhängig von dieser Entwicklung der persönlichen Einzelschicksale der Mitarbeiter profitiert. Das heißt, dass ein Unternehmen als Ganzes erfolgreich sein kann, ohne sich um das Wohlbefinden und Gesundheit der Mitarbeiter zu kümmern.
Dennoch sagt mir meine Intuition, dass etwas nicht stimmt. Und damit meine ich nicht, dass mir nur das Mitgefühl für die schlecht behandelten Mitarbeiter Bauchschmerzen bereitet. Dummerweise ist die Welt kein Labor, in dem wir unter gleichen Ausgangsbedingungen versuchen können, ob und wie sich unterschiedliche Führungsstile auswirken. Wir haben nur eine Vergangenheit zur Verfügung, die wir betrachten können, aber wir haben keinen Vergleich.
Wir können also nicht wissen, ob und wie viel erfolgreicher der Unternehmensbereich gewesen wäre, wenn die Führung kooperativer und weniger menschenverachtend gewesen wäre.
Ich sehe allerdings gute Gründe dafür, dass der hier als ebenfalls erfolgreich beschriebene macht- und druckorientierte Führungsstil nicht der erfolgreichste ist, sowie dafür, dass er in Zukunft immer weniger erfolgreich sein wird:
In dem von meinem Freund beschriebenen Fall herrschte die Angst als hervorstechendes Kennzeichen der Unternehmenskultur. Und diese Angst hat dazu geführt, dass bestimmte Themen oder gar Zweifel nicht angesprochen oder geäußert werden durften. Angelehnt an [DeM01, S. 88]: Die Macht triumphierte über den gesunden Menschenverstand und die Mitarbeiter, die gehen mussten, waren im Durchschnitt kompetenter als die die bleiben durften. In einem Umfeld, das Kritik nicht ertragen kann, können Fehler nur schwer korrigiert werden und Ideen abseits vom Mainstream, der durch den Chef vorgegeben wird, haben keine Chance. Für mich besteht hier der begründete Verdacht, dass mit einem menschenfreundlichen und kooperativen Führungsstil ein noch höherer Erfolg hätte erzielt werden können.