Meinen Großeltern
Margarete und Wilhelm Krieg
gewidmet
Drei Worte gibt es von höherem Sinn,
Sie gelten seit ältesten Zeiten.
Wer sie nicht schätzet, hat keinen Gewinn,
Weil ihm Achtung und Frohsinn entgleiten.
Müssen, das heißt hinein sich fügen
In des Lebens gewaltigen Zwang.
Wer das Müssen verkennt, wird immer liegen
In Trägheit und Unlust sein Leben lang.
Sollen bedeutet: Brauchbar erachtet
Zu redlichem Wirken in seinem Stand.
Stolzes Bewusstsein, wird man betrachtet
Als treuester Helfer und anerkannt.
Wollen erst schenket höchste Vollendung
Und schafft jedes Werkes bestes Gelingen.
Wer willig beharret bis zur Beendung,
Meistert die Arbeit in allen Dingen.
Müssen und Sollen, doch ohne Grollen,
Geben dem Leben erst richtiges Sein.
Gesellt sich zu diesen freudiges Wollen,
Lacht froh Euch das Leben und Sonnenschein.
Wilhelm Krieg (1878 - 1961)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2015 Volker Krieg
2. Auflage 2015
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7386-9386-7
Titelbild: Feldpostkarte - nach einer Zeichnung
von Wilhelm Krieg, 1918 in Givron/Frankreich
Lith.u.Dr.: Messtr. M.W.F.R.D.2
(Lithographie und Druck:
Messtrupp Minenwerfer-Feldrekruten-Depot 2)
Meine Altvorderen, die den Ersten Weltkrieg erlebt und glücklicherweise auch überlebt haben, sind alle nicht mehr am Leben, - die Titelfigur, Großvater Wilhelm (1878 -1961), seine Frau Margarete (1884 - 1954), seine Söhne Erich (1907 - 1995) und Heinz (1910 - 1987 - mein Vater) -, die stets als "meine lieben Jungs" Erwähnung finden. Diese lieben Menschen haben zwei Kriege miterleben müssen! Ich (1949 geboren) gehöre der glücklichen Generation an, der ein Krieg bislang erspart geblieben ist - und die hoffentlich auch künftig davon verschont bleibt. Hätte man mich noch vor ein paar Jahren gefragt, ob ich meine Großeltern gekannt habe, so hätte ich dies ohne zu zögern bejaht. - Heute weiß ich, dass dem nicht so ist. Allenfalls bin ich ihnen unzählige Male begegnet! Ich war vier bzw. elf Jahre alt, als diese Begegnungen endeten. - Jetzt hingegen, im Jahr 2014, habe ich meine Großeltern kennengelernt, nachdem ich die umfangreiche Feldpost entziffern konnte, die Sohn Erich bis zu seinem Tode verwahrte. Viele Jahre hatte ich diese unscheinbare Kiste mit den Briefen unbeachtet gelassen, da ich seinerzeit schon beim ersten Anblick vor der damals üblichen Kurrentschrift kapitulieren musste. Die Software meiner biologischen Festplatte war völlig überaltert, denn im zarten Grundschulalter hatte ich flüchtige Grundkenntnisse dieser Schriftart erwerben müssen, die natürlich fast völlig versiegt waren. Seit geraumer Zeit wurde unsere Gesellschaft durch die verschiedensten Medien daran erinnert, dass seit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges bereits ein Jahrhundert vergangen ist. Unwillkürlich erfassten meine Gedanken irgendwann auch wieder diese Feldpost. Ich verpasste meiner "Software" etliche "Updates"; die intensive Beschäftigung mit der Kurrentschrift führte schließlich zur "Konvertierung" der Schriftstücke in einen für mich lesbaren Text. In der Folgezeit ordnete ich den Inhalt der Post möglichst chronologisch und sinnvoll. Großvater Wilhelm, Bild- und Schriftlithograph, verfügte über eine überaus gute "Handschrift", was mir die Arbeit sehr erleichtert hat. Vereinzelte Werke seiner zahlreichen Zeichnungen und auch Fotos konnte ich in dieser Zusammenstellung berücksichtigen. Unter respektvoller Wahrung der Persönlichkeitssphäre der Familie Krieg habe ich die tagebuchähnlichen Aufzeichnungen herausgefiltert, dabei die sich ständig wiederholenden Fragen nach dem Wohlbefinden, den erhaltenen Postsendungen usw., weggelassen. Seinem gereiften Lebensalter und auch seinen Verwaltungserfahrungen verdankt es Willi, dass er zwar an der Front dienen muss, jedoch vorwiegend mit "logistischen" Aufgaben dicht hinter den Frontlinien beauftragt wird. - Weil häufig auch von Geld und Geldeswert erzählt wird, muss erwähnt werden, dass Grete auch fortdauernd die Bezüge ihres Mannes erhielt. Es werden ca. 200 bis 250 Mark gewesen sein; genauere Angaben sind den vorhandenen Unterlagen nicht zu entnehmen. Als Gefreiter bekam Wilhelm Krieg eine "Löhnung" in Höhe von 8,10 Mark monatlich, plus 9,00 Mark Zulage für die "Beköstigung", als Unteroffizier erhöhten sich die Beträge auf 21,60 Mark plus 13,00 Mark, als Sergeant dann auf 32,10 Mark plus 13,00 Mark (Bezüglich Löhnung - Quelle: Internet, WIKIPEDIA, die freie Enzyklopädie).
Bei der notwendigen Überarbeitung der Aufzeichnungen blieb der Inhalt unverändert. Formulierungen und Ausdrucksweisen wurden weitestgehend beibehalten, weil sie als Teil der Authentizität anschauliche und lebendige Eindrücke vermitteln. -
Die Namen aller erwähnten Personen sind frei erfunden; davon ausgenommen sind nur die Familie Krieg und ggf. Personen der Zeitgeschichte! Es wird eine zeitlose Erkenntnis deutlich:
Ein Krieg hat nur Zerstörung und maßloses menschliches Leid zur Folge!
Volker Krieg, im Februar 2015
05.08.1914 Einberufung am 4. Mobilmachungstage nach Spandau, zum Pionier-Bataillon Nr. 3 (von Rauch)
16.09.1914 Versetzung an die Front nach Lancy / Frankreich, 1. Feld-Pionier-Kompanie
Aufenthalt in folgenden Kriegsgebieten und Orten:
30.09.1914 - 03.12.1914 Kämpfe an der Aisne
08.01.1915 - 14.01.1915 Schlacht bei Soissons
22.09.1915 - 03.11.1915 Herbstschlacht in der Champagne
21.02.1916 - 08.05.1916 Kämpfe vor Verdun (Explosionskatastrophe im Fort Douaumont am 8.5.16)
11.05.1916 - 20.06.1916 Lazarett-Aufenthalt in Tiengen/Baden
21.06.1916 - 29.07.1916 Rückkehr zum Bataillon in Spandau bei Berlin
30-07.1916 - 08.10.1916 Versetzung nach Russland
09.10.1916 - 26.02.1917 Versetzung nach Küstrin
27.02.1917 - 17.03.1918 Versetzung nach Markendorf bei Jüterbog zum Minenwerfer-Ersatzregiment - 1.Bat. 1.Komp.
18.03.1918 - Oktober 1918 Versetzung mit dem 2.Minenwerfer - Feldrekruten-Depot - 1.Komp. (deutsche Feldpost 332) nach Givron/Frankreich
Oktober 1918 - Verlegung des Feldrekruten-Depots nach Belgien; dort bekam Wilhelm Krieg Heimaturlaub, konnte aber wegen der November-Revolution nicht zu seinem Truppenteil zurückkehren.
21.01.1915 Ernennung zum "Unteroffizier-Diensttuer", Bezeichnung aber weiterhin "Gefreiter",
11.06.1915 Ernennung zum Unteroffizier,
15.04.1918 Ernennung zum Sergeanten
Am 14. Februar 1919 wurde Sergeant Wilhelm Krieg aus dem Militärdienst nach Hause entlassen.
Liebe Grete!
Es ist nun Tatsache geworden, morgen früh geht es an die Front. Vermutlich nach Belgien oder Frankreich. Ich schreibe unterwegs oder wenn wir am Ziele sind. Sende Dir hiermit mein letztes Lebewohl auf wahrscheinlich lange Zeit. Sorge für die Kinder, und sei meinen Eltern eine gute Schwiegertochter wie bisher. Denke meiner in treuer Liebe, wie ich auch Deiner, der Kinder und meiner Eltern stets in Liebe gedenken werde. Übermittle Deinen Eltern und Schwestern meine besten Grüße und wenn es ein gütiges Geschick will, sehen wir uns alle froh und gesund wieder, wenn bessere Zeiten wiederkehren.
Mit herzlichstem Gruß
Dein Willi
Liebe Grete!
Da wir hier im besten Quartier sind, will ich Dir ausführlich schreiben. Am 16.9., früh 06.30 Uhr, ging es mit Musik und reichlicher Zivilbegleitung blumengeschmückt zum Bahnhof. Auf dem Bahnhof wurde ich mit drei Mann dem Offiziersgepäck zugeteilt. Habe dadurch den Vorteil gehabt, dass wir vom Lehrter Bahnhof bis zum Potsdamer Bahnhof mit besagtem Gepäck in zwei Autos fahren konnten. Dort ging es in einen geräumigen Gepäckwagen, während unsere Kameraden in den Abteilen natürlich enger zusammen saßen. Vom Potsdamer Bahnhof fuhren wir, mit Liebesgaben (Zigarren, Butterbroten und Kaffee) reichlich versorgt, ab nach Brandenburg. Sind gegen Mittag hier angelangt. Um vier Uhr soll es weitergehen nach Westen. Dann ließ ich mich mit einem Kameraden fotografieren; er heißt Costallo. Es ist möglich, dass in meinen Briefen und Karten von ihm öfter die Rede ist, denn wir haben uns vorgenommen, wenn möglich gemeinsam an den kommenden Ereignissen teilzunehmen. Der Fotograf wird Dir drei Bilder zusenden, für Dich, Deine und meine Eltern. Essen und Trinken und Zigarren gab es reichlich. In Brandenburg kamen noch 500 Mann Infanterie zu unseren 70 Mann Pionieren hinzu. Wir verfügten uns in den Gepäckwagen. Gegen 04.00 Uhr Abfahrt. Der Zugführer sagte, es ginge nun bis über die Grenze in einer Fahrt. Im Gepäckwagen entdeckte ich bald ganz besonders Vorteile - im Abteil des Zugführers. Zwei schön gepolsterte Ledersitze. Einer davon war so eingerichtet, dass er als sehr annehmbares Lager benutzt werden konnte. Auf diesem Lager habe ich dann auch die Nacht verschlafen.
Um 03.30 Uhr gab's auf einer Verpflegungsstation Wurst, zwei Stullen und Kaffee (aus Gerste). Wir fuhren durch das Braunschweigische Land, das mich mit seinen Bergen und Tälern an unseren Wanderweg durch Thüringen erinnerte. Weiter kamen wir durch Westfalen über Paderborn, Lippstadt - hier Verpflegungsstation, - Mittagessen, Erbsen mit Schweinefleisch.
Weiterfahrt durchs Ruhrtal vorbei am Kaiser-Wilhelm-Denkmal bei Hohensyburg. Abends kamen wir in Dornap-Hahnenfurth bei Düsseldorf an. Der Bahnhofsvorstand bot uns Quartier an. Wir - neun Mann hoch - bekamen ein normales, reichliches Abendbrot, Suppe, Bratkartoffeln, polnische Wurst. In reger Unterhaltung saßen wir bis nach 23.00 Uhr zusammen, bei gutem Apfelwein, den wir für Moselwein gehalten hatten.
18.9.14 - Morgens um 06.30 Uhr weckte uns der Sohn unseres freundlichen Wirtes. Wir hatten zu vieren in den Betten unseres Wirtspaares herrlich geschlafen. Da das Wetter jetzt regnerisch und stürmisch geworden war, kaufte ich mir im Dorf eine wollene Unterjacke. Morgen früh, am 19., soll es weiter gehen, ob nach Antwerpen oder Paris, weiß noch niemand. -
Wir sitzen noch immer in Dornap-Hahnenfurth und warten auf Abruf. Habe mit einigen Kameraden heute am Sonntag einen Ausflug nach Düsseldorf gemacht - eine halbe Stunde Bahnfahrt.
Wir liegen noch immer bei bestem Wohlbefinden im Quartier. Es ist möglich, dass unser Aufenthalt hier so lange währt, dass ein Brief von Dir mich erreichen würde. Obwohl wir alle Tage ein wenig exerzieren, so haben wir doch viele müßige Stunden; da denkt man an seine Angehörigen und möchte von ihnen eine Nachricht haben. Deshalb teile ich Dir heute meine Adresse mit und bitte Dich, mir möglichst sofort nach Empfang meiner Karte zu schreiben. Unsere Quartierwirtin habe ich gebeten, mir einen etwaigen Brief nachzusenden. Meine genaue Adresse gebe ich an, sobald ich sie selber weiß. Es ist möglich, dass das Unterstrichene schon die richtige Adresse ist. Ich bin der 2.Feldkompanie des Pion.-Bat. Nr. 3 zugeteilt worden. Vielleicht schreibt Ihr mal eine Karte an diese Adresse. Sonst bin ich wohlauf. -
In meinem letzten Brief hatte ich bis zur Ankunft in Hahnenfurth bei Elberfeld berichtet. Am gleichen Tage, an dem ich Dich bat, mir nach Hahnenfurth einen Brief zu senden, erreichte uns spät abends die Mitteilung, dass wir am anderen Morgen weiterfahren würden. Also ging es am 22.9., gegen Mittag, über Düsseldorf und Neuss nach Aachen, weiter bis Aarken-West. Dort (23.9.) erhielten wir zum letzten Male Liebesgaben, d.h. Zigarren, Brot und Wurst. Gegen 19.00 Uhr Abfahrt nach Belgien. Um 20.45 Uhr als erste belgische Station Bleyberg erreicht. Auf der Weiterfahrt im Dunkel der Nacht sahen wir bald zerstörte Ortschaften, deren Häuser nur noch aus den Umfassungsmauern bestanden. Besonders schlimm sah Löwen aus, wo wir im grauen Nebelmorgen durchfuhren.
Gegen 08.00 Uhr Ankunft in Brüssel. Mittags haben wir auf einem freien Platz am Güterbahnhof gekocht und gegessen, abends Quartier bezogen. Wir haben alle schön gefroren und waren froh, als die Nacht vorüber war und wir wieder auf unseren Platz ziehen konnten, in den warmen Sonnenschein. Die Arbeiterbevölkerung dieser Gegend stand um uns herum - in respektvoller Entfernung. In Trupps von mindestens zwei bis drei Mann gingen wir in die anliegenden Straßen, um Einkäufe zu tätigen. An allen Straßenecken standen Doppelposten der Infanterie mit aufgepflanztem Seitengewehr.
Die erste Nacht in Brüssel verbracht. Wir schliefen in einer großen Wellblechhalle am Güterbahnhof. Die Halle diente in Friedenszeiten dem Ein- und Ausladen von Obst- und Gemüsewaren. Jetzt waren da Pferde und Mannschaften untergebracht und auf den erhöhten Steigen für die Soldaten einfache Zelte hergerichtet; darin ein wenig Stroh, das schon zu Häcksel geworden war, und das Nachtlager war fertig; auch hatten manche sich auf den Pferdemist gebettet, weil sie da wärmer lagen. Ich lag in einem dieser Zelte. Wenn die Nacht nicht so kühl gewesen wäre, hätten wir dort auch ungestört schlafen können; so aber waren wir andauernd damit beschäftigt, uns zuzudecken.
Um 08.00 Uhr haben wir Brüssel in langsamer Fahrt verlassen - in Richtung St.Quentin. Unterwegs hatten wir unfreiwilligen Aufenthalt bei Buysinghen (Brabant), weil die Belgier von einer Nebenstrecke aus drei Lokomotiven mit einigen Wagen auf die Hauptstrecke losgelassen hatten. Die erste Lokomotive hatte einen Zusammenstoß mit einem auf der Strecke stehenden Leerzug herbeigeführt. Zwei Schaffner waren dadurch schwer verwundet worden. Die beiden anderen Lokomotiven waren von unseren Eisenbahn-Truppen schon auf der Nebenstrecke zur Entgleisung gebracht worden. Wir hatten nun den Eisenbahnern beim Aufräumen zu helfen, damit wir weiterfahren konnten. Auf dem Bahnhof saßen die beiden Ortspfaffen als Geiseln, damit wir bei den Arbeiten nicht gestört wurden. Nach Beseitigung der Trümmer erfolgte die Fortsetzung der Fahrt über Halle, Soignies, Nimy-Maisières. Hier waren die ersten Massengräber zu sehen - man stand mit eigenartigen Gefühlen davor - es war ergreifend. In der Nähe stand ein zuvor von Engländern besetztes Haus, aus dem heraus die sich mit Maschinengewehren verteidigt hatten; es war gehörig mit Schüssen übersät worden. Die Spuren des Kampfes - in Wände, Türen und Fensterscheiben geschossene Löcher, - herausgeschlagene Türfüllungen und zerstörtes Mauerwerk - lassen ahnen, wie hier der Kampf getobt haben mag. -
Endlich waren wir in Mons (noch Belgien). Es gab als Abendbrot Graupensuppe. In der Nacht hatte ich zwei Stunden Wache auf der Lokomotive. Am nächsten Tag kamen wir mittags in Cambrai-Annexe an. Es war zwar Sonntag, aber nicht für uns. Tag und Nacht waren wir auf der Eisenbahn. Manchmal gab's 'ne Suppe, manchmal nur trocken Brot; doch fühlten wir uns dabei sehr wohl. Nun würden wir wohl bald marschieren müssen, unsere Kompanie suchen. Viele Verwundete und Gefangene hatten wir hier gesehen, - auf der Weiterfahrt über Saint-Quentin.
Nach kühler und damit recht ungemütlicher Nacht, fanden wir uns auf dem Güterbahnhof von Tergnier wieder. - Zum Abendbrot gab es rohen Speck mit Brot, dazu hatte ich für einen Franc einen dreiviertel Liter Rotwein gekauft. Es war ein famoses Essen. In der Nacht - im Abteil zweiter Klasse - haben wir herrlich geschlafen, - ohne zu frieren.
Morgens Ankunft und Aufenthalt auf dem Güterbahnhof von Chauny. Abends weiter nach Coucy-le-Château - wieder in einer Wellblechhalle übernachtet, - diesmal ohne Pferde als Schlafgenossen; dafür lag dicht neben meinem Strohlager eine Anzahl Rinderhäute mit lieblichem Geruch. In dieser Halle haben wir jämmerlich gefroren und waren froh, dass wir schon um 03.45 Uhr nach Pinon (Gemeinde im Depart. Aisne) abmarschieren konnten.
Sind heute früh in L'Ange-Gartier angelangt und nur noch eine kurze Strecke von der Feuerlinie entfernt. Es war der erste Marsch im Feindesland. In Pinon waren wir dem Bataillonskommandeur als Ersatzmannschaften vorgestellt und von ihm der 1.Feld-Kompanie zugeteilt worden. Weitermarsch nach Vailly-Bouti. Auf einem Gehöft südlich dieses Dorfes lag unsere Kompanie als Vorpostenkompanie. Dorf und Gehöft lagen im Tal. Südöstlich davon, auf halber Berganhöhe, stand ein sicherlich lange vor dem Ausbruch des Krieges verlassenes Gehöft. Hier wurden wir einquartiert. - Etwa ein Kilometer vor uns lag der Feind. Wir sicherten uns gegenseitig, durch Schützengräben, Drahtverhaue, schickten Horchpatrouillien aus. Die feindlichen und unsere Artillerien sandten sich singende Grüße, in Gestalt von Granaten und Schrapnells (mit Kugeln und Pulver gefüllte Granaten, auch Granatkartätschen genannt). Feindliche Flieger besuchten uns; hoch in den Lüften schwebten sie, die Geschosse unserer Artillerie sausten hinauf, damit jene Objekte uns in ihrer Neugierde nicht allzu nahe kommen konnten. Am ersten Tag unserer Ankunft hatte uns diese Schießerei noch etwas beunruhigt, aber nach drei Tagen hatten wir uns einigermaßen daran gewöhnt. Heute ist uns besonders stark eingeheizt worden, doch haben die feindlichen Geschosse keinen Schaden angerichtet. -
Liebe Grete!
Heute ist Sonntag! Zur Feier des Tages habe ich mir die Zigarre angezündet, den mir zustehenden Teil einer Liebesgabe an unsere Kompanie, den ich vorgestern empfangen habe. Die Liebesgaben aus der Heimat wurden nämlich an die einzelnen Truppenteile verteilt, von diesen an die Kompanie, von der Kompanie an die Korporalschaften. Die Korporalschaft, der auch ich angehöre, trat zusammen. Der Bestand der Liebesgaben wurde aufgenommen. Es waren zu verteilen: ein paar Unterhosen, ein Hemd, ein Paar Strümpfe, sechs Zigarren, um die vierzig Zigaretten und ein Paket Tabak. Die Kleidung wurde ohne weiteres denen zugesprochen, die ihrer am meisten benötigten. Der Rauchtabak wurde als Quantum auf zehn, die Zigarren auf drei Zigaretten abgeschätzt. Dementsprechend wurde das überaus begehrte und wertvolle Rauchmaterial verteilt. Ich bekam eine Zigarre und sieben Zigaretten. Geld hat für uns augenblicklich keinen Wert, weil wir doch nichts dafür kaufen können. Für eine Zigarre haben manche einen Franc geboten - ohne sie jedoch zu bekommen. -
Der Dienst täglich ist so: Um 06.00 Uhr aufstehen. Anziehen ist nicht nötig, da wir alarmbereit auf unserem Heu liegen müssen, das Gewehr im Arm. Dann geht's runter ins Tal, wo die Kompanie liegt; hier bekommt jeder einen Trinkbecher voll (1/4 l) Kaffee. Wer will, isst dazu ein Stück trockenes Brot. Butter und Schmalz gibt es nicht. Dann beginnt der Dienst, für die ausgebildeten Mannschaften meist Arbeitsdienst, Schützengräben ausheben, Drahthindernisse herstellen, außerdem Wachen und Patrouillen stellen. Für die Kriegsfreiwilligen, die noch nicht genügend ausgebildet sind, besteht der Dienst aus Exerzieren und Gefechtsübungen. Hier bin ich mit mehreren Unteroffizieren als Ausbildender eingeteilt. Wir machen jeden Tag drei bis vier Stunden Dienst. In der übrigen Zeit sind wir auf unserem Gehöft alarmbereit. Wer frühstücken will, isst eine Scheibe Brot; durch die Freundlichkeit eines Kameraden hatte ich einmal sogar eine Scheibe Wurst zum Frühstück. Mittags kommt unsere Feldküche, dann gibt es Erbsen, Graupen, Erbsen mit Mohrrüben und Reis. Alles reichlich und gut gekocht. Nachmittags wieder 1/4 l Kaffee. Als Abendessen bisher: jeden Abend Grießbrei. Das ist für mich immer eine besondere Erinnerung an die "Jungs". Mit eintretender Dämmerung werden die Mäntel angezogen, umgeschnallt werden Koppel mit Seitengewehr, Brotbeutel, Feldflasche; der Tornister dient als Kopfkissen, das Gewehr wird in den Arm genommen; dann packen wir uns auf unser Lager, jeden Augenblick bereit, den Engländern entgegenzugehen. - Ich habe hiermit ausführlich berichtet über unser Tun und Treiben hier. Du siehst, es geht hart und kärglich zu; dennoch kann ich von mir persönlich sagen, dass ich mich körperlich äußerst wohl fühle; nur wünsche ich Nachricht von Euch. Alle Tage trifft Feldpost hier ein. Vorgestern hieß es, der Gefreite Krieg hat auch etwas dabei. Leider waren die beiden Karten für einen anderen Gefreiten, der Krisch heißt. Es war eine unangenehme Enttäuschung. - Wir gehen heute zum Feldgottesdienst. -
Wir liegen noch immer seit dem 30.9. in einem Tale nördlich der Aisne, d.h. die Kompanie schon ungefähr zwei Wochen früher. Ich habe in dienstfreien Stunden meine zeichnerischen Fähigkeiten wieder hervorgeholt. Dann habe ich unseren Kameraden eine Freude bereitet, indem ich sie auf einer Postkarte konterfeite. Mehrere Unteroffiziere baten mich gleichfalls darum. Und so habe ich hier feste gezeichnet. Die Bestellungen reißen gar nicht ab. Ein Leutnant bat mich um eine Zeichnung des unteren Gehöftes. Ich habe seinen Wunsch erfüllt. Meine "Werke" machen die Runde in der Kompanie, und so erfreue ich mich einer allgemeinen Achtung in der Kompanie. Ich habe am letzten Sonntag das Gehöft, auf dem wir liegen, abgezeichnet und sende hiermit die Zeichnung.
Persönlich geht es mir nach wie vor gut. Die Nahrung ist ja schließlich knapp, aber für mich noch genügend; ich gebe noch an jüngere, hungrige Kameraden Brot ab. Wir liegen noch immer hier als Vorpostenkompanie. Ich selbst habe noch keinen Feind zu sehen bekommen. Nur der Geschützdonner, die hier und da einschlagenden Granaten und Schrapnells erinnern daran, dass vor uns der Feind ist. Das Wetter war hier anfangs am Tage trocken und sonnig, nachts empfindlich kühl. Seit einigen Tagen aber haben wir bedeckten Himmel, morgens Nebel; einige Male hat es am Tage fein geregnet, und seitdem ist dieser kalkhaltige Lehmboden in hohem Maße unangenehm schlüpfrig.
Für Pakete und Briefe bin ich jederzeit ganz besonders empfänglich; es heißt, dass probeweise Pakete bis zu 500 gr. zugelassen werden sollen; ich bitte Dich, davon Gebrauch zu machen. Ich werde gelegentlich Geld nach Hause schicken, denn wir kriegen alle zehn Tage mehr davon und können uns doch nichts kaufen. Ferner bitte ich um Zusendung eines Kartons Zigaretten, um den Kameraden, die mir welche abgaben, ihre Freundlichkeit vergelten zu können. Außerdem habe ich mir das Zigarettenrauchen hier angewöhnt, weil man nicht immer Zeit hat, eine ganze Zigarre zu rauchen. Speck oder Wurst in geringem Quantum wären mir auch sehr angenehm. Am 30. waren wir als Ersatzmannschaften hinzugekommen, ich als ältester und einziger Landwehrmann , Reservisten und Mannschaften von kurzer Ausbildungszeit, Ersatz-Reservisten und Kriegsfreiwillige. Die Mannschaften von kurzer Ausbildung wurden gesondert eingeteilt, die Reservisten zur Kompanie; ich wurde wieder zur Ausbildung der Kriegsfreiwilligen und Ersatz-Reservisten kommandiert. Zunächst war ich mit dieser Einteilung ganz zufrieden. Die eben genannten Mannschaften wurden als 17. Korporalschaft eingeteilt; ich kam in die 11. Korporalschaft. Nun wurde alle Tage exerziert, ich dabei als "Unteroffizier-Diensttuer". "Beine raus", "besser marschieren", "linkes Ohr tiefer", "Kolben drücken", "Gewehr tiefer ziehen", "linke Hüfte untern Leib" usw., das sind alles die ständig wiederkehrenden Ausdrücke, die einem bald fast zu viel werden. Ich habe tapfer das Meinige getan, habe mit den aktiven Unteroffizieren um die Wette gebrüllt, habe die schlappen Kerls zurückgeschickt zum nochmaligen Marschieren usw., das ging wochenlang so. Mit der Zeit war die Ausbildung fortgeschritten; nun gingen jene Mannschaften hin und wieder auf Patrouille, manchmal gab's technischen Dienst. Anfang voriger Woche wurde der bisherige Depot-Gefreite, der sich vom 18.Bataillon zu uns verlaufen hatte, wieder versetzt; ich bekam seine Stelle. Bin nunmehr vorläufig von allem Dienst befreit und habe nur das Kompanie-Depot zu verwalten, Material zu sichten, Handwerkszeug - wenn möglich - zu reparieren und ähnliches mehr. Die Kameraden beneiden mich alle um diesen Posten, und mir sagt dieser Posten auch zu. Ich arbeite im meinem Depot, ordne das Handwerkszeug und Material und lebe so einen guten Tag. - Seit die Engländer vor unserer Front mit ihren schweren Geschützen verschwunden sind und den Franzosen Platz gemacht haben, leben wir hier wesentlich ruhiger. Geschosse verirren sich nur ganz vereinzelt nach hier. Die Franzosen haben noch keinen Gruß aus ihren Geschützen hergeschickt, es waren nur zu hoch gerichtete Gewehrschüsse, die ab und zu über uns hinweg pfiffen. Zur Zeit der Engländer war das anders. Links und rechts, vor und hinter uns, schlugen ihre Granaten ein. Eine kam uns eines Mittags mit Einschlag in 100 m Entfernung am nahesten. Wir hörten sie heransausen, - hörten, dass sie in unserer Nähe niedergehen würde, - alles duckte sich, - einige suchten Deckung an der Mauer, - ein Krach, - man sah einen Feuerschein, - und dann war der Schreck vorüber. Mit dem Deckung-Suchen vor diesen Biestern ist das so eine Sache. Ein Train-Soldat, der Pferdebursche unseres Hauptmanns, ist beim Deckung-Suchen gerade dahin gerannt, wo die Granate einen Moment später einschlug. Wir haben ihn am selben Tage begraben. Es war bei aller Einfachheit ein feierlich-ernster Moment. Ein paar Bretter wurden zum Sarg zurecht gezimmert, das Grab geschaufelt, und wer von uns frei war, stand an der Gruft. Der Hauptmann war nicht im Quartier; also sprach der älteste Leutnant ein paar Worte, ein stilles Gebet, - und unter dem Geschützdonner der Engländer und Granatensausen wurde der Tote in die Gruft gesenkt. Eine Abteilung, zu der auch ich gehörte, hatte präsentiert - als letzte Ehrung des Kameraden. Die Ehrensalven konnten der Nähe des Feindes wegen nicht gegeben werden. - Ein einfaches, weiß gestrichenes Holzkreuz auf dem blumengeschmückten Grabhügel, eine Inschrift auf dem Kreuz, sagen späteren Besuchern, dass hier ein deutscher Soldat zur letzten Ruhe gebettet wurde. -
Unsere technischen Arbeiten bestehen hauptsächlich darin, der Infanterie zu helfen, ihre Stellungen zu befestigen. Kürzlich waren wir auf einer Höhe bei den 48-ern, um ein Stacheldrahthindernis zu bauen. Bei dieser Gelegenheit sah ich die ersten Feinde - tote Engländer -, die erst von uns begraben wurden. In einer Höhle, die die Engländer seiner Zeit bewohnt hatten, lagen Ausrüstungsstücke und zerbrochene, englische Gewehre in Mengen. An diesem Tage hatte auch ein Kamerad eine besonders "glückliche" Verwundung. Es wurde ihm nämlich nur die Hose in der Nähe des Knies zerschossen - ein etwa fingerlanges Loch. Wenige Tage später wurde ein Kamerad in gleicher Weise am Bein verletzt; er kam ins Lazarett. Auch ein Leutnant war schwer verwundet worden. Er hatte mehrere Schüsse bekommen - auf einer Patrouille. Nach Aussagen von Kameraden, die daran teilgenommen hatten, hatte er, statt auf dem Erdboden über eine Lichtung zu kriechen, sich dem Feinde in ganzer Figur gezeigt. Da ist solche Verwundung natürlich nicht weiter verwunderlich. -
Im Quartier - während der dienstfreien Zeit - leben wir ganz nett. Man hört die Klänge eines Grammophons, deutsche Walzer, französische Chansons, von denen die Zuhörerschaft zwar nichts versteht, desto herzlicher aber mit lacht, wenn ihnen aus dem Apparat ein andauerndes Lachen entgegen tönt. Gemütlicher ist es in unserem höher gelegenen Gehöft; wir haben zwar kein Grammophon, aber wir singen unsere alten Soldatenlieder, selbstverständlich mit gedämpfter Stimme, aber gerade deshalb um so anheimelnder. Dann gibt es eine Serie Witze zu erzählen, und schließlich schlafen alle auf ihren Heu- oder Strohlagern den Schlaf der Gerechten. Mein Lager besteht aus dem Strohunterbett und aus zwei Haferstrohbündeln zum Zudecken. Neuerdings habe ich als Zudecke noch einen Sack dazugelegt. Der Mantel wird angezogen, der gepackte Tornister dient als Kopfkissen. Die geladenen Gewehre stehen in extra angefertigten Gestellen bereit. So legen wir uns alarmbereit zur Ruhe. Wenn man nachts nicht schlafen kann, sorgen die schlafenden Kameraden mit ihrem Schnarchkonzert für Unterhaltung. Wenn mir diese nicht genügt, gehe ich zum Posten, der vor dem Tor steht und beobachte mit ihm die Scheinwerfer, höre dem jeweiligen Geschützdonner zu. Hier und da fällt ein Gewehrschuss, - dann wieder tiefste Ruhe, - als gäbe es keinen Krieg. -
Die Beköstigung geschieht durch die Feldküche. Es gibt morgens Kaffee, mittags Gemüse, Erbsen, Bohnen, Kohl - alle drei hier meine Leibgerichte - ferner Reis und Graupen, am Nachmittag Kaffee, abends Grießbrei, Brotsuppe oder wieder Graupen. Gegessen wird hier Alles und ist auch gut zubereitet. Eines Abends gab es Wellfleisch! Jedem Korporalschaftsführer wurde reichlich Fleisch in zwei Kochgeschirre gefüllt, und dann begann die Verteilung; jeder Mann kam mit seinem Kochgeschirrdeckel heran. Es war ein Bild zum Malen. Mit "unteroffizierten" Blicken folgten alle den Hantierungen der Verteilenden. Endlich war das schwere Werk vollendet, die Fütterung begann. Ich dachte unwillkürlich an die Fütterung der Raubtiere im Zoo, an der wir uns so manchmal belustigt hatten.
Wo bleibt doch die Menschenwürde, wenn der Hunger gebietet? Und unsere jungen Mannschaften sind immer hungrig; doch ist das ja auch ein erfreuliches Zeichen ihrer Gesundheit. Nachricht von den anderen Kriegsschauplätzen bekommen wir hier genügend, auch von östlichen. Unser Hauptmann - nebenbei gesagt, ein energischer Herr - hat die Gewohnheit, uns allwöchentlich unsere Lage zu schildern. Außerdem werden Zeitungen verteilt, auch regelmäßig die "Parole", eine Zeitschrift für den Soldaten. Einmal Sonntags und dann wiederholt Montags hatten wir Feldgottesdienst. Der Hauptmann hat für diesen Zweck in einer bewaldeten Stelle einen Raum lichten lassen. Auf erhöhter Stelle, vor einer Eiche, steht dann der Geistliche. Die Abgrenzung des Raumes ist geschickt durch eingegrabene Zweige deutlich gemacht, so dass das Ganze, im Verein mit den hochstämmigen Bäumen und oben geschlossenem Blätterdach, einen stimmungsvollen Raum bietet - für einen Gottesdienst. -
Lieber Willi!
Ich hoffe, dass Du in der Zwischenzeit etliche Sachen erhalten hast. Denn alles, was Du Dir gewünscht hast, ist unterwegs. Papa hat Zeitungen und schon ein paar Mal Zigarren geschickt; Emmy hat Schokolade und Vater hat auch schon etliche Feldpostbriefe geschickt. Paul Frenzel soll seit dem 23. September mit bayerischen Soldaten im Schützengraben - 600 m vom Feinde entfernt - liegen, ohne Ablösung und ohne richtige Verpflegung. Auch sollen schon viele von seiner Kompanie gefallen sein. Warmes Mittag bekommen sie dort zwei bis drei Mal in der Woche. Hoffentlich sind die Leute jetzt abgelöst und lassen die jungen Leute sich mal versuchen. Und wie geht es Dir? Wir leben hier in ewiger Unruhe, bis uns wieder einmal eine Nachricht von Dir erreicht; dann wissen wir, dass Du noch gesund und am Leben bist. Leider erhalten wir sie immer erst 10 bis 12 Tage später.
Heute habe ich Stoff gekauft für Anzüge. Die Jungens brauchen sie nötig für Sonntags; die grauen Anzüge sind jetzt am Ende. Zu tun gibt es fortwährend. Langeweile habe ich noch nicht gehabt, wenigstens mache ich mir keine; zudem lassen die Jungens keine aufkommen.
Wenn nur dieser gräuliche Krieg bald zu Ende wäre.-
Wie schön war es doch, als wir noch friedlich zusammen sein konnten. Man wusste gar nicht, wie gut man es zu Hause in seinen vier Wänden hatte.
Man erkennt einen Wert immer erst, wenn man ihn verloren hat.
Wir wollen hoffen, dass wir siegen - und, dass bald jeder wieder in sein gewohntes Heim zurückkehrt - wenn das auch manchmal zu wünschen übrig lässt und nicht nach jedermanns Geschmack ist.
Jedenfalls wird der Krieg ein Gutes haben, - - -
dass mehr Zufriedenheit unter den Menschen herrscht.
Der Himmel wird ein Einsehen haben und uns wieder zusammenführen, wenn es auch längere Zeit dauern sollte. Was lange währt, wird gut - wie ein bekanntes Sprichwort sagt. -
Abends war Einteilung der Kompanie zum Angriff auf die Franzosen bei Vailly. Die Kompanie wurde als einzelne Trupps den Infanterie-Regimentern zugeteilt; weitere Trupps wurden als Bemannung zweier befestigter Kähne bzw. Prame (Schiffe ohne eigenen Antrieb) eingeteilt. Ich wurde als Depot-Gefreiter zunächst nicht eingeteilt und auf meine diesbezügliche Frage dem Feldwebel zur Verfügung gestellt. Der Feldwebel blieb im Quartier, also auch ich. Die den Infanterie-Regimentern zugeteilten Pioniere hatten die Aufgabe, etwaige die Infanterie störende Drahthindernisse nachts aus dem Wege zu räumen.
Morgens, gegen acht Uhr, ging Alles zum Sturm vor. Die Artillerie unterstützte den Angriff, indem sie kräftig in die feindlichen Schützengräben hinein ballerte. Leider war unsere Infanterie gezwungen, sich 20 m vor dem Feinde noch mal hinzulegen, weil unsere Artillerie noch immer in die feindlichen Gräben hineinschoss und dadurch auch unsere Truppen gefährdete, die schon so nah an den Feind herangekommen waren. Es muss eine fürchterliche Zeit des Wartens für unsere Truppen gewesen sein, weil sie untätig dem feindlichen Feuer ausgesetzt waren; sie hatten auch hier die meisten Verluste. Sie haben sich zum Teil mit den Fingern ins Erdreich hinein wühlen müssen, weil nicht jeder einen Spaten hatte. Manche waren so glücklich, in Erdlöchern - die von Granaten geschlagen waren - liegen zu können; sie hatten hier gute Deckung. Endlich kam das Sturmsignal. Mit aufgepflanztem Seitengewehr ging's in die gut verschanzten Schützengräben. Die Franzosen hielten fast gar nicht stand. Es begann nun für unsere Truppen die Vergeltung für die vorher ausgestandenen Qualen. Es tobte ein heißer Kampf. Die Franzosen wurden fürchterlich zusammengeschossen. Ein besonders tatkräftiger Artillerie-Hauptmann war mit einem Geschütz wie der Teufel hinter ihnen her und hat kräftig aufgeräumt. Er soll das Eiserne Kreuz Erster Klasse dafür bekommen haben. Unsere Division hat ihre Stellung vorschieben können. Es wurden 1300 unverwundete Gefangene gemacht. Am anderen Tage wurde aufgeräumt. Es kamen noch einige 100 Verwundete als Gefangene hinzu. Unsere Infanterie hat sofort neue Stellungen auf dem eroberten Terrain und um das eroberte Vailly gebaut; unsere Kompanie hilft alle Tage wieder bei Befestigung der neuen Schützengräben. Wir behalten vorläufig unser Quartier, sind aber infolge des Vorrückens der Infanterie nicht mehr Vorpostenkompanie, wie bisher. Im Kampfe hatte unsere Kompanie sechs Tote und siebzehn Verwundete. Am nächsten Tag holte sich der Tod noch ein Opfer aus unseren Reihen; ein Granatsplitter traf einen Gefreiten tödlich. -Unser Leben geht nun nach dem Kampf wieder denselben Gang weiter wie zuvor, nur brauchen wir keine Wachen mehr stellen. Alle Tage geht die Kompanie in einzelnen Trupps arbeiten, wie sie gerade gebraucht werden. Ich bleibe in meinem Depot. Es geht mir persönlich so gut, wie es einem gewöhnlichen Menschen im Kriege nur gehen kann. Also, liebe Grete, habt um mich keine Sorge. Das Wetter ist hier für diese Jahreszeit überaus milde. Seit heute treffen hier die großen Pakete ein und hoffe ich nun endlich auch bald mein angekündigtes zu kriegen.
Liebe Eltern!
Von unserem Leben hier in Vailly-Bouti habe ich bereits berichtet in meinem Brief an Gretes' Eltern. Ich habe auch bereits berichtet, dass ich Depot-Gefreiter geworden bin, als solcher keinen Dienst mitmache, sondern nur für Ordnung im Depot und Ausgabe von Handwerkszeug und Material zu sorgen habe. Beiliegend meine Zeichnung von unserem Quartier.
Liebe Grete!
Sind seit dem 7. hier gewissermaßen in einem Bürgerquartier. Meine Adresse bleibt aber dieselbe.
Man sagt, heute sei Bußtag! Ich weiß es nicht. Es ist auch schließlich egal. Hauptsache ist, dass ich seit gestern wieder mehr Zeit habe für meine persönlichen Angelegenheiten. Nun kann ich doch mal wieder einen Brief loslassen. Gestern schrieb ich einen Brief an Paul Frenzel, von dem ich am selben Tage einen Brief erhielt. Paul ist es nach seinem Bericht ein ganz Teil schlechter gegangen wie mir. Doch schreibt er, dass es seiner Kompanie - und damit auch ihm - jetzt besser gehe. Sie schieben Wache und transportieren Gefangene. Näheres kannst Du wohl von Hedwig erfahren. Wie ich schon auf meinen Karten andeutete, sind wir am 7.11. verzogen. Wir sind als Vorpostenkompanie abgelöst worden und haben uns von dem Gehöft, dessen Zeichnung Ihr in Händen habt, einen Kilometer zu dem Dorfe Lancy zurückgezogen. Die Einwohner des Dorfes, alte Männer, alte Frauen und arme Leute sind noch hier; wir haben bei ihnen Wohnung genommen. Die Häuser sind hier fast durchweg baufällig, mindestens 100 Jahre alt. Man sieht verlassene Häuser, deren Mauern zum Teil vor Altersschwäche eingestürzt sind. In diesen Ruinen wuchert üppig verschiedenartiges Unkraut. Die Vegetation gedeiht hier auf diesem ewig feuchten, mit Lehmboden bedeckten, mürben Kalksandstein vorzüglich. Alle Häuser sind mit diesem Stein gebaut worden. Man sieht hier neben Wasserleitungsbrunnen noch Gießbrunnen, die auch aus jenem Gestein gebaut sind - natürlich auch zerfallen. Wenn ich Zeit habe, schicke ich eine Zeichnung von diesem Brunnen, aus dem ich mir mein Waschwasser schöpfe, wenn ich mich mal gründlich waschen will, ungefähr jeden zweiten, dritten oder vierten Tag. Die Hände kommen natürlich an einem Tag mehrmals dazu, gewaschen zu werden, denn man hat hier dauernd schmutzige Arbeiten. Mein erstes Quartier habe ich wenige Tage nach dem Einzuge gewechselt, weil es zu weit von meinem Depot entfernt lag und ich von morgens sieben Uhr bis abends sieben Uhr und manchmal noch länger in Anspruch genommen werde. Außerdem hatte ich dort nur ein dürftiges Strohlager und zwei schnarchende Schlafkameraden. Ich veranstaltete deshalb einen Umzug und zwar zu dem Mann, der sein Haus auf meinem Depotplatz hat. Der Mann ist Stellmacher und Tischler; natürlich gehört der Platz eigentlich ihm. Unser Wirt ist ungefähr 45 Jahre alt, seine "femme" nicht viel jünger, seine Mutter 76, sein Vater 80. Ich liege hier im Quartier mit drei Sergeanten und einem ehemaligen Unteroffizier, der auf dem besten Wege ist, bald wieder zum Unteroffizier befördert zu werden. Er war degradiert worden, weil er im Trunk ein paar Vorgesetzte verhauen hat. Er ist ein netter Kerl und mein spezieller Freund; er heißt Costallo. Wir liegen gemeinsam in einer Stube, zwei Sergeanten in einem Bett, wir Übrigen auf drei quergelegten Polstern auf dem Fußboden. Jeder Mann und auch wir hatten von der Kompanie eine wollene Decke als Zudecke erhalten. Wir schlafen angekleidet und ohne Stiefel. Damit ich schön warm liege, ziehe ich mir meine Decke über den Kopf, lasse nur an der Nase ein Luftloch, liege also gewissermaßen in einem Schlafsack, wie ihn die Eskimos benutzen - sehr zu empfehlen! Morgens um 06.00 Uhr, neuerdings um 06.30 Uhr, werden wir geweckt; auch neuerdings - um 07.15 Uhr - steht die Kompanie zum Dienst bereit. In den zuerst