Alle in dieser Kurzgeschichte genannten Namen und beschriebenen Personen sind frei erfunden. Etwaige Namensübereinstimmungen mit lebenden Personen sind rein zufällig.
Veröffentlicht 2016 bei www.bod.de
© Gregor Bähr, Stuttgart, gregor-baehr-autor.de
Titelgestaltung: Gregor Bähr
Bildnachweis Titelbild:
Fotolia, Old hunting rifle, Copyright: © WestPic
Fotolia, Gartenzwerg mit Spaten, Copyright: © Weseetheworld
I.
Der herrliche Frühlingstag entsprach nicht Corvin Brentanos Stimmung. Das war aber meistens so. Um seiner gewohnten Gemütslage gerecht zu werden, hätten tiefhängende Wolken mit Nieselregen übers Land ziehen müssen, nur dann und wann von ein paar kurzen Sonnenabschnitten aufgehellt. Er war aber nicht depressiv, viel mehr hatte sich über die vielen Jahre unkontrolliert eine Grundhaltung in ihm breit gemacht, die ihn veranlasste, mit seiner Umgebung fortwährend zu hadern. Dazu gehörte, dass er keinem Streit aus dem Weg ging. Solche Dispute drehten sich oftmals um Kaisers Bart. Das hinderte ihn aber nicht, sich schnell in lautstarke Ausbrüche hineinzusteigern. Dann schreckte er auch vor persönlichen Verunglimpfungen nicht zurück. Kurz und gut: Der Schriftsteller Corvin Brentano, der eigentlich Holger Markowski hieß, hatte ein sehr cholerisches Wesen.
Mit so einem Menschen ist nicht gut Kirschen essen, auch nicht an einem Bilderbuchtag wie heute. Seine Gartennachbarn ließen sich deshalb lieber zu geschäftigem Treiben animieren, als sich mit ihm am Zaun über Gartenpflege zu streiten. So säten sie Eissalat und Möhren ein, begutachteten die Stiefmütterchen rund um ihr Gartenhäuschen oder trimmten mit der Schere fein säuberlich die ersten, vorwitzigen Grashälmchen zwischen den Trittplatten.
Für die vielen Spaziergänger war die Kleingartenanlage am Rande ihres Städtchens ein Idyll gerade jetzt, wenn der laue Frühlingswind die rosa und weißen Blütenblätter der Obstbäume verschwenderisch über die Beete, Sträucher und Rasenstücke trieb. Mit in der Brise flog der feine, würzig herbe und mit honigsüßen Schlieren verwobene Duft, den die flanierenden Besucher witterten, je näher sie Corvins Gartenstück kamen. Dort fanden sie zu ihrer Verwunderung eine völlig sich selbst überlassene Wiese vor, rund acht auf zwölf Meter, eingefasst von einem Maschendrahtzaun und am hinteren Ende abgeschlossen von einem schmucken Gartenhaus. Der Anblick war ungewöhnlich inmitten all der abgezirkelten Beete der übrigen Schrebergärten. Viele der Spaziergänger blieben stehen, um die Farbenpracht von Kornblumen, Löwenzahn und Margeriten zu bewundern. Die Gartennachbarn hingegen waren erbost, denn mit dem lauen Frühlingswind verteilten sich auch Pollen und Samen von der Wiese über ihre Gärten. Und bald nach dieser unwillkommenen Aussaat verschandelten Halme von Flughafer oder Rispengras die so perfekt gepflegten Tomaten- und Erdbeerbeete. Das führte regelmäßig zu Verdruss und Vorwürfen, die Herr Brentano aber einfach überhörte oder allenfalls mit einem genervten "Ja, ja" quittierte.