Am 1. November 1981 verlor die Gemeinde Wettbergen endgültig ihre Selbstständigkeit, nachdem sie bereits am 1. März 1974 als Ortschaft mit halbautonomem Status in die Stadt Hannover eingemeindet worden war. Aus diesem Anlass entstand das Bedürfnis, eine Chronik Wettbergens zu erstellen, um sowohl den Alt- wie den vielen Neubürgern des Ortes Kenntnis von der jahrhundertealten Geschichte dieses ehemaligen Bauerndorfes und seiner Bewohner zu vermitteln.
Angeregt durch eine Initiative des Verbands Wettberger Vereine (VWV), entstand so in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Hannover ein Arbeitskreis, der sich seit 1980 in intensiven Studien mit dem umfangreichen, aber sehr verstreuten historischen Material über Wettbergen befasste. Die 1984 erstmals vorgelegte kleine Chronik dieses Ortes war das Ergebnis ungezählter Arbeitsstunden in Archiven, Bibliotheken und Gruppensitzungen.
Dabei überraschte es uns, wie vielfältig die gedruckten, vor allem aber die vielen ungedruckten Quellen über Wettbergen berichteten. Bald wurde deutlich, dass eine Gesamtgeschichte, die bis in die gegenwärtige Zeit reichte, mit den begrenzten Möglichkeiten des Hobby-Forschers eine zu lange Zeit in Anspruch genommen hätte. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, über die Wettberger Geschichte zunächst bis zu dem Zeitpunkt zu berichten, an dem in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Aufhebung der feudalen bäuerlichen Abhängigkeitsverhältnisse und der Umstrukturierung der Besitzverhältnisse im Dorf ein grundlegender Bruch in der seit dem Mittelalter überlieferten Tradition erfolgte.
Ohne die tatkräftige Mitarbeit der Mitglieder des Arbeitskreises Wettberger Geschichte hätte die erste Ausgabe dieser Chronik nicht vorgelegt werden können. Mein Dank gilt allen Wettbergern, die uns damals geholfen haben, insbesondere Hermann und Ingrid Bolte, sowie Herrn Dietrich Volger (Nürnberg), der uns zahlreiche Unterlagen aus dem Familienarchiv der Wettberger Patronatsfamilie Volger zur Verfügung gestellt hatte.
Für die Neuausgabe 2016 wurden einige missverständliche Darstellungen und Fehler der Erstausgabe bereinigt. Zudem sind zahlreiche Ergänzungen und neue Erkenntnisse sowie viele neue Abbildungen hinzugekommen. Quellen und Literatur wurden aktualisiert und die Anmerkungen präzisiert, um den Band auch für fachkundlich interessierte Leserinnen und Leser brauchbarer zu machen. Die umfangreiche Höfeliste der Erstausgabe wurde allerdings nicht mehr aufgenommen, da sie einer separaten Überarbeitung bedarf.
Das Wettbergen von heute hat mit dem alten Dorf kaum mehr etwas zu tun. Das gilt bei der Neuausgabe 2016 mehr noch als zuvor. Diese Chronik möchte deshalb dazu beitragen, dass die vielen Menschen, die in den letzten Jahrzehnten neu hinzugezogen sind, etwas mehr über den geschichtlichen Platz erfahren, an dem sie jetzt wohnen: eine ehemals bäuerliche Siedlung, die in ihrem Inneren Jahrhunderte lang nur wenigen Veränderungen unterworfen war, deren Beziehungen nach „Draußen“ aber vielfältigen Wechseln unterlag.
Peter Seifried, im Sommer 2016
Das „Land zwischen Deister und Leine“ war schon lange vor der ersten Aufzeichnung schriftlicher Quellen von Menschen besiedelt. Bevorzugt waren dabei immer die Leineniederung, bzw. deren Randterrassen, sowie die sanft ansteigenden Hänge des Deisters und der ihm vorgelagerten Hügel.
Schon während der verschiedenen Wärmeperioden zwischen den Eiszeiten durchstreiften altsteinzeitliche Jäger die damals tundra-artige Gegend. Zahlreiche Funde von Faustkeilen und Werkzeugen aus Flint (Feuerstein) belegen ihre Anwesenheit.
Mit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren trat eine allmähliche Klimaverbesserung ein. Es wurde wärmer, und die Landschaft veränderte sich. Hervorstechendes Merkmal der Landschaft wurde eine lockere Eichen-/Buchen-Mischbewaldung. Die Menschen passten sich dieser Entwicklung an. Doch erst gegen Ende des dritten Jahrtausends vor der Zeitenwende begannen sie, in unserer Gegend sesshaft zu werden.
Bevorzugter Siedlungsraum blieben neben den Leineterrassen die höheren trockenen Hänge von Deister und Benther Berg. Die vielen dort noch vorhandenen bronzezeitlichen Grabhügel geben ein beredtes Zeugnis davon. Bei einzelnen Ausgrabungen fand man zahlreiche Waffen und Schmuckstücke aus Bronze. Sie belegen eine bereits entwickelte bäuerliche Kultur mit Ackerbau und Viehzucht sowie beginnender sozialer Differenzierung. Gegenstände aus Bronze dürften zu der Zeit recht kostbar gewesen sein. Ihr Besitz setzte einen gewissen überdurchschnittlichen Wohlstand voraus, den nur eine herausgehobene Bevölkerungsschicht zu erwerben vermochte.
Um die Wende vom zweiten zum ersten Jahrtausend v. Chr. begannen die Menschen auch in unserer Gegend, die Leichen ihrer Verstorbenen zu verbrennen, anstatt sie wie bis dahin in Hügelgräbern zu bestatten.1 Bis zur Christianisierung wurde die Asche in Urnen auf bestimmten Feldern begraben. In der unmittelbaren Nachbarschaft von Wettbergen fand man 1924 bei Erweiterungsarbeiten des Ricklinger Friedhofs bei der Landwehrschänke eine Stelle mit zahlreichen Urnen aus der frühen Sachsenzeit (ca. 350 bis 550 n. Chr.). Einzelne, viel ältere Fundstücke deuten aber darauf hin, dass dieser Ort schon mehrere Jahrhunderte davor als Begräbnisplatz gedient haben muss. Wo genau die Menschen siedelten, die hier ihre Toten bestatteten, entzieht sich allerdings unserer Kenntnis.
Um die Zeitenwende gehörte die heutige Wettberger Gegend zum nordwestlichen Siedlungsgebiet der Cherusker. Es erstreckte sich etwa auf das Land zwischen Oker und Weser sowie vom Harz bis zum Steinhuder Meer.
Etwa im 4. Jahrhundert n. Chr. begann allmählich die Besiedlung unseres Landes durch die Sachsen, die bis zur endgültigen Unterwerfung durch die Franken unter Kaiser Karl dem Großen ihr Herrschaftsgebiet über ganz Norddeutschland ausgedehnt hatten. lm Jahr 531 vereinigten sie sich mit den Franken gegen die Thüringer. In diesem Zusammenhang wird eine Schlacht bei Runibergun erwähnt, das vielfach mit Ronnenberg identifiziert wird. Aber wie bei so vielen Ereignissen der „dunklen Zeit“ des Mittelalters ist auch in diesem Fall die Lokalisierung letztlich nicht vollständig aufzuklären. Manches deutet darauf hin, dass es sich bei Runibergun auch um die Runneburg in Weißensee in Thüringen handeln könnte.2
Sicher ist jedoch, dass die Sachsen eine ausgedehnte Siedlungstätigkeit entfalteten, die sich allerdings immer noch auf die alten Siedlungsgebiete im Hügelvorland der Börde und auf die Leineterrassen beschränkte. So ist z. B. für Empelde eine ununterbrochene Besiedlung seit dem 2./3. Jahrhundert n. Chr. nachgewiesen.3 Auch Ricklingen dürfte schon um die Mitte des ersten Jahrtausends besiedelt gewesen sein.
Etwa in die Zeit zwischen 500 und 800 fiel eine neue Rodungs- und Siedlungsperiode. Sowohl durch das Ausgreifen der bäuerlichen Siedlungen wie durch ein gezieltes Vorgehen der großen weltlichen und geistlichen Grundherren wurden nun zunehmend auch nicht mehr ganz so gute Böden urbar gemacht und dauerhaft bewirtschaftet. Betroffen war davon insbesondere die feuchte Niederung der Deistermulde bei Barsinghausen. Außerdem griff die Siedlung allmählich auf die lehmiger und sandiger werdenden Gebiete im Norden und Nordosten des Landes zwischen Deister und Leine aus. Die Ortsnamen-Forschung nimmt an, dass die auf -berg(en) endenden Siedlungen unserer Gegend etwa im 8. Jahrhundert entstanden.4
In diese Zeit dürfte also auch die ursprüngliche Besiedlung von Wettbergen fallen. Die ersten Siedler – es handelte sich vielleicht nur um ein einzelnes Gehöft – bauten ihre Hofstelle an den Südhang eines langgestreckten Hügels, des heute so genannten Tönniesbergs, etwas oberhalb der Stelle, wo die uralte Heerstraße aus dem Rhein-Lippe-Gebiet, über Paderborn und Hameln kommend, den kleinen Hirtenbach überquerte. Über den Leineübergang, an dessen rechtem Ufer später Hannover entstand, führte die Straße weiter nach Norden.
Der Name Tönniesberg erinnert an eine mittelalterliche Antoniuskapelle, die sich dort, nicht weit der Siedlung Lüttgen- (Klein-) Ricklingen, befunden haben soll. Der Zehnt der kleinen Siedlung twyschen Honnover unde Wetberghe kam dem Kloster Barsinghausen zu, das ihn 1514 für 350 Rheinische Gulden an Heinrich Weiland, Vogt zum Calenberg, und dessen Ehefrau Mygeke verkaufte.5
Noch auf einer Karte des hannoverschen Straßenbauingenieurs Anton Heinrich du Plat, der 1780 den Verlauf der neuen Chaussee von Hannover nach Hameln beschrieb, ist die ehemalige Siedlungsstruktur verzeichnet. Dort findet sich auch die Bezeichnung Auf dem Langen Berge als südliche Fortsetzung des Tönniesbergs.6
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Das weite Gebiet der Sachsen war nur locker zusammengeschlossen. Es teilte sich in vier „Heerschaften“ und etwa 70 bis 80 Gaue, die nur unscharf begrenzt waren. Wettbergen lag am östlichen Rand der Heerschaft der Engern, die sich in einem breiten Band beiderseits der Weser erstreckte. Östlich der Leine-Wietze-Linie begann das Gebiet der Ostfalen. Das Land zwischen Deister und Leine war das Kerngebiet des später so genannten Marstemgaus. Er erstreckte sich etwa auf den Bereich zwischen Haller und Leine im Süden und Osten, Deister, Bückeberge und Steinhuder Meer im Südwesten und Westen sowie den Moorgebieten zwischen Steinhuder Meer und Wietze im Norden.7
Die politische Führung der Sachsen lag in der Hand der Edelinge, die vielfach untereinander versippt waren und ihre wirtschaftliche Basis in den Gauen besaßen. Anstelle eines gemeinsamen Königs kannten die Sachsen lediglich das „Allthing“, eine jährlich zusammentretende Stammesversammlung, in der alle Landesteile und Stände vertreten waren.
Im Jahr 775 mussten sich die Engern und Ostfalen unter ihren Führern Brun und Hessi den Franken unter Karl dem Großen unterwerfen. Die danach errichtete fränkische Herrschaft bedeutet einen wichtigen Einschnitt in den Lebensumständen der Menschen im Sachsenland. Sie bescherte ihnen nicht nur neue weltliche Herrscher in Form der Grafen, sondern insbesondere die Christianisierung, die sich trotz gelegentlicher offener Rebellion gegen den gewaltsam aufgezwungenen Glauben im Laufe des 9. Jahrhunderts weitgehend durchgesetzt hatte. Ein wichtiges Instrument der karolingischen Christianisierungspolitik war die Errichtung von Bistümern im Sachsenland. Zu Ihnen gehörten die Bischofssitze in Minden (ca. 803/804) und Hildesheim (nach 815 unter Karls Sohn Ludwig dem Frommen). Die räumliche Grenze zwischen diesen beiden Bistümern verlief in unserer Gegend ebenfalls entlang der Haller-Leine-Wietze-Linie. Das Gebiet des späteren Marstemgaus mit Wettbergen gehörte also zum Bistum Minden. Nach der Verfestigung der kirchlichen Organisationsstrukturen wurde sein östlicher Teil vom Archidiakonat Pattensen aus verwaltet. Noch bis 1585 gehörte Wettbergen zum Kirchspiel Ronnenberg.
Die Konsolidierung der fränkischen Herrschaft dürfte allerdings nur schleppend vorangekommen sein. Noch lange behielten die Menschen neben den Anforderungen des neuen Glaubens die alten Riten und Mythen bei, und gelegentlich erhoben sie sich offen unter der Führung einzelner altsächsischer Edelinge. Die neue Herrschaft suchte ihre Position vor allem in einem Austausch der politischen Führung zu festigen. Zahlreiche Angehörige des alten Adels wurden ins Elsass und nach Lothringen verbannt und in ihren Funktionen durch solche ersetzt, die bereit waren, mit den Franken zusammenzuarbeiten. Wichtige Positionen, besonders die der Gaugrafen, wurden z. T. mit landfremden Adligen besetzt.
Das Amt der Gaugrafen vereinigte alle wichtigen öffentlichen Aufgaben in sich, die in dieser Zeit denkbar waren. Die Gaugrafen hatten im königlichen Namen Recht zu sprechen, sie waren die militärischen Oberbefehlshaber in ihren Gauen und als solche für das Landesaufgebot im Kriegsfall verantwortlich. Außerdem waren die Gaugrafen zuständig für den Schutz der Straßen und Wege sowie des Klerus und der Kirchen. Damit sie diese Aufgaben übernehmen konnten, wurden die Grafen mit bedeutenden Ländereien belehnt.
Die auf starkem Eigengut beruhende wirtschaftliche und rechtliche Position verlieh den Gaugrafen eine gewisse politische Macht, sowohl gegenüber der unterworfenen Bevölkerung wie gegenüber anderen, teilweise konkurrierenden Kräften des lokalen Adels und der Kirche – zumindest so lange, wie sich noch keine eindeutige Landesherrschaft herausgebildet hatte. So reichte nach der Teilung des Karolingerreiches 843 die Macht der erstarkenden Liudolfinger, die ihre hauptsächlichen Güter am westlichen Rand des Harzes besaßen, vielleicht bis in den Marstemgau. Gut ein Jahrhundert später, in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts, besaßen hier jedoch die aus der Lüneburger Gegend stammenden Billunger Grafenrechte, die sie offenbar bis zu ihrem Aussterben 1106 innehatten. Die Grafenrechte gingen dann als erblicher Besitz an den von Kaiser Heinrich IV. als Sachsenherzog eingesetzten Lothar von Süpplingenburg und die ihm nachfolgenden Welfen über. Die starke Position der Billunger im Marstemgau, besonders im 11. Jahrhundert, rührte u. a. von ihrer guten Beziehung zum Bistum Minden her, deren Schirmvogtei sie 1055 übernommen hatten.8
Neben den Billungern tauchten im 11. Jahrhundert die Grafen von Schwalenberg als Gaugrafen im Marstemgau auf. Sie stammten aus der Wesergegend nördlich von Höxter, waren offenbar Lehnsmänner der Billunger und hatten wie diese gute Beziehungen zur Kirche: Wedekind von Schwalenberg erschien in den 1120er Jahren als Schirmvogt des Bistums Paderborn und als Vizeschirmvogt der Abtei Corvey, deren wesentliche Aufgabe ja in der Ausbildung der Missionare für das Sachsenland bestand.
Um die Mitte des 11. Jahrhunderts ergibt sich also für das Land zwischen Deister und Leine folgendes Bild: Die Masse des Landes und seiner Bewohner gehörten dem Bistum Minden oder anderen kirchlichen Institutionen, wie dem 871 von dem Bischof Theoderich von Minden gestifteten Kloster Wunstorf. Mit den meisten dieser Ländereien waren weltliche Herrscher wie die Billunger Herzöge oder die Schwalenberger Grafen belehnt, die dafür öffentliche Aufgaben wahrzunehmen hatten, dabei aber durchaus ihre privaten und dynastischen Interessen verfolgten.
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In diese Situation fällt die erste Erwähnung Wettbergens, die schriftlich überliefert ist. Mit einer nicht datierten Urkunde9 stiftete Bischof Egilbert von Minden, der zwischen 1055 und 1080 amtierte, dem Kloster St. Moritz auf dem Weser-Werder vor Minden eine große Anzahl von Gütern, u. a. 3 Hufen (1 Hufe = ca. 24 Morgen = 6 ha) in wetberga. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich dabei um unser Wettbergen handelt, da eine Ortschaft mit ähnlichem Namen in den mittelalterlichen Urkunden sonst nicht auftaucht. In der Schenkungsliste steht wetberga hinter einem Ort, der als lindugon bezeichnet wird, wobei es sich möglicherweise um Linden handelte. In dieser Urkunde ist auch die Rede davon, dass die Stiftung u. a. „dem Andenken des Kaisers Konrad sowie der Unterstützung und Stabilisierung der Herrschaft seines Sohnes, des Königs Heinrich III.“ dienen sollte. Heinrich III. starb aber bereits am 5. Oktober 1056 in Goslar. Es ist deshalb anzunehmen, dass es sich bei der erwähnten Schenkung um eine Stiftung aus Anlass des Amtsantritts Egilberts handelte. Die Urkunde wäre demnach um die Jahreswende 1055/56 ausgestellt und Wettbergen damit nach herkömmlicher Rechnung gut 960 Jahre alt, älter etwa als Ricklingen (erste urkundlich überlieferte Erwähnung 1124) oder Hannover (1163). Die tatsächliche Erstbesiedlung aller dieser Orte reicht allerdings noch weit vor die erste urkundliche Erwähnung zurück, wie oben bereits dargelegt wurde.
Auch die generell unsichere Überlieferungslage mittelalterlicher Urkunden bietet für Rivalitäten hinsichtlich des größeren Alters einer Ortschaft wenig Raum: Die zweite überlieferte Erwähnung Wettbergens nach dieser Urkunde Bischof Egilberts lässt immerhin mehr als 130 (!) Jahre auf sich warten und erfolgt erst nach 1186 im Zusammenhang einer Stiftung der Witwe Mechthilds von Ricklingen.
Bischof Thietmar von Minden, der von 1186 bis 1206 regierte, bezeugt in dieser Urkunde, dass Mechthild, Witwe des Reimbert von Ricklingen, der Kirche in Minden recht umfangreiche und weit verstreut liegende Güter und Rechte vermachte, u.a. 10 Hufen Land in Watberge.10
Ob es innerhalb dieses rund fünf Generationen umfassenden Zeitraums eine dauerhafte Besiedlung hier gegeben hat, erscheint eher zweifelhaft. Möglicherweise sind Felder, die sich im Bereich Wettbergens befunden haben könnten, von benachbarten Siedlungen aus bewirtschaftet worden.
Der Name des Ortes Wettbergen leitet sich wohl von dem altsächsischen Wort hvat (scharf) her, so dass wetberga oder watberge eine „Siedlung an einem scharfen, steilen Berghang“ bezeichnet, dem südlichen Abhang des Tönniesberges eben. Man denke etwa auch an das Wort „wetzen“, das ja „schärfen“, aber auch „scharf/schnell rennen“ bedeuten kann. Die erste Schreibweise des Namens der Herren, die sich nach dieser Siedlung benannten, war denn auch im Jahr 1220 de watberge.
Die aufgrund sprachforschlicher Argumente geäußerte Auffassung, Motive für die Namengebung von Wettbergen und ähnlich lautenden Orten seien „in Biegungen und Krümmungen des Geländes zu suchen“11, vermag nicht zu überzeugen, zumal die Autoren selbst betonen, „daß dieser Deutungsversuch durchaus weiterer Prüfung und Diskussion bedarf.“
Schon M. Mittelhäußer12 bot beide Deutungen: nach hvat (scharf) und nach wat (seicht, sumpfig), meinte dann aber, dass die Deutung „Siedelung an scharfrandiger Anhöhe“ vorzuziehen sei, da ein möglicherweise sumpfiges Wiesengelände am kleinen Hirtenbach für die Namensgebung einer „Siedelung in der Niederung am Berge“ wohl nur wenig überzeugend schien.
In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, dass es im Kleinen Deister südlich von Springe den Wettberg gibt. Schon in alten Forstbeschreibungen wird er als als abgerundeter Westhang des Burgbergs beschrieben.13
Im hohen Mittelalter entstand eine neue Siedlung häufig in der Weise, dass ein großer Grundherr – ein Bischof oder Abt für die Kirche oder ein weltlicher Herzog oder Graf – innerhalb seines weitläufigen Herrschaftsgebiets ein Stück Land und eine Hofstelle an einen Gefolgsmann, einen „Meier“ (von lat. maior: „Größerer“), verlehnte. Dieser hatte dafür Dienste – zunächst vor allem Kriegsfolge – und Abgaben zu leisten. Mit den Einkünften aus den an ihn verlehnten Gütern musste er Pferd, Rüstung und gegebenenfalls zusätzliche bewaffnete „Knechte“ für den Kriegsdienst stellen. Allmählich entstand so der „Beruf“ des berittenen Kämpfers, des „Ritters“, (engl. bis heute Knight). Die eigentliche Landarbeit wurde dagegen immer mehr von Hörigen bewerkstelligt. Mit der Zeit trennten sich die Funktionen von Rittern und Bauern, und der Begriff des „Meiers“ ging auf Letztere über. Die so entstandenen Siedlungen, oft nur ein bis drei Gehöfte, kann man noch kaum als Dörfer bezeichnen. Die Meier einer Siedlung konnten unterschiedliche Grundherren haben. Sie bewirtschafteten ihre Stellen zwar unabhängig voneinander, unterlagen aber allesamt dem dörflichen Flurzwang, der die Reihenfolge der Feldbebauung auf den jeweils angrenzenden Stücken festlegte.
Früh begann eine soziale Differenzierung unter den Stellenwirten. Es gab Vollmeier, Halbmeier und Kötner, ab dem späten Mittelalter auch Brinksitzer. Eine Vollmeierstelle umfasste zumeist 3 bis 4 Hufen Land (ca. 18 bis 24 Hektar) – ein Hinweis auf die im hohen Mittelalter hier vorherrschende Dreifelderwirtschaft, bei der ein Feld mit Wintergetreide und eins mit Sommergetreide bestellt war. Das dritte Feld lag brach, damit sich der Boden regenerieren konnte.
Bedeutendster Grundherr in Wettbergen war zunächst der Bischof von Minden, vermutlich bis ins 14. Jahrhundert der einzige. In der Regel belehnte er Vasallen mit Einkünften aus Wettberger Ländereien. So stiftete er sie etwa dem Mindener St.-Moritzkloster, wie oben erwähnt. Später erhielten hier vor allem die Ritter von Wettbergen zahlreiche Hufen mit den sie bewirtschaftenden Bauern. Zuweilen erhielt der Bischof auch Land gestiftet, das nach dem Tod eines Ritters ohne Erben blieb, so nach 1186, als Mechthild, die Witwe des ohne männliche Erben verstorbenen Reimberts von Ricklingen, der Mindener Kirche zahlreiche Ländereien überschrieb, um auf diese Weise das Seelenheil ihres verstorbenen Gatten zu fördern (s.o.).
Mit Wulfardus und Ludolfus de Watberge tauchen 1220 zum ersten Mal Angehörige des Geschlechts auf, das von der Siedlung Wettbergen her seinen Namen bezog.14
1224 trat Lambertus de Wethberge, Ritter, bei einer Beurkundung in Minden als Zeuge des Bischofs Konrad auf, ein deutliches Zeichen, dass die Herren von Wettbergen Vasallen des Mindener Bischofs und von ihm mit Ländereien in Wettbergen belehnt worden waren. 1246 überließ der „ehrenwerte Ritter Wulfhard von Wettbergen mit Zustimmung und Einverständnis seines Sohnes Wolther“ (vir honestus Wulfhardus miles de Wetberge de consensu et voluntate filii sui Woltheri) dem Domkapitel zu Minden die Vogtei Welpingehusen (Wölpinghausen). Es folgen weitere Namenserwähnungen noch im 13. Jahrhundert, wobei die Herren von Wettbergen zumeist als Zeugen auftraten. Das Lehnsregister des Bischofs Gottfried von Minden, entstanden zwischen 1304 und 1324, nennt dann schon eine Reihe von Angehörigen der Herren von Wettbergen, die in Wettbergen auch Besitz hatten. So besaß Heinrich von Wettbergen hier insgesamt 9 Hufen Land. Außerdem hatte er Anspruch auf den Neubruchzehnt, der von neu gerodetem Land erhoben wurde. Sein Bruder Lambert besaß einen Hof. Weiterhin wird Friedrich von Lenthe als Besitzer eines Hauses (domus) erwähnt.15
Mit den Rittern von Wettbergen begegnen wir einem recht typischen Geschlecht des mittelalterlichen Dienst- und Landadels. Um es vorwegzunehmen: Sie spielten keine bedeutende Rolle in unserer Gegend. Ihre Landbesitzungen, Zehntansprüche und anderen Berechtigungen lagen weit verstreut mit Schwerpunkten um Wettbergen und später bei Hachmühlen und insbesondere (Bad) Münder. Hier besaßen sie im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit einen städtischen Freihof, auf dem um 1575 ein schönes Steinhaus im Stil der Weserrenaissance entstand. Das liebevoll renovierte Haus ist heute das Heimatmuseum von Bad Münder.16