© 2016 Henry Meltemi
All rights reserved
Lektorat: Christoph Vogt, www.vogt-text.ch
Einband: Vincent van Gogh
Herstellung und Verlag: BoD-Books on Demand GmbH,
D-22848 Norderstedt, www.bod.de
ISBN 978-3-7412-4733-0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Wer zu viel arbeitet,
hat keine Zeit, um
Geld zu verdienen.
Arabisches Sprichwort
The mystery of life:
Son,
It’s faster horses,
Younger women,
Older whiskey,
And more money!
Tom T. Hall 1971
Lieber Sohn, Yanis Varoufakis hat für seine Tochter ein Buch geschrieben, auf Griechisch. Die deutsche Übersetzung hat den Titel: »Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre« (Hanser Verlag). Es gibt, wenn Dir das lieber ist, auch eine englische Ausgabe. Er hat mich inspiriert, für Dich dieses Buch zu schreiben.
Störe Dich nicht an den Zitaten des Innentitels. Du kennst mich ja als Spötter. Man darf das Leben nicht zu ernst nehmen.
Du stehst nun seit zwei Jahren im Berufsleben, welches Du am richtigen Ort begonnen hast, in der Londoner City. Mit einigem Vaterstolz verfolge ich, wie Du die Karriereleiter hinaufsteigst, gleich zwei Stufen auf einmal. Allerdings sehe ich auch, wie Dein Wissen spezieller wird, was wahrscheinlich heute unvermeidlich ist.
Somit hat dieses Buch einen doppelten Zweck. Zum Ersten soll es Dir über Dein aktuelles Tätigkeitsgebiet hinaus die Tiefe und Breite des Themas »Wirtschaft und Finanz« vermitteln und Dich vor dem beruflichen Tunnelblick bewahren, Dich also dazu anregen, den Überblick zu behalten und interdisziplinär zu denken. Dies wird Dir in Deinem Berufsleben zugutekommen, besonders wenn Du in andere Berufsfelder wechseln möchtest oder musst.
Zum Zweiten will ich Dich auf das Ende meiner Tage vorbereiten, wenn Du mein Erbe antrittst. Es wird Dir erlauben, ein völlig ungebundenes, aber keinesfalls untätiges Leben zu führen, wie Du es von und mit mir kennst. Hier will ich Dir meine Erfahrungen und Ratschläge weitergeben, damit Dir Dein Vermögen nicht zwischen den Fingern zerrinnt.
Viele der angesprochenen Themen werden wir sicher noch im vertrauten Gespräch vertiefen und konkretisieren. Ich freue mich darauf.
Zum Buch selbst möchte ich anfügen, dass ich kein wissenschaftliches Werk verfasst habe, sondern eine lockere und gut verständliche Unterhaltung in schriftlicher Form. Bei tiefergehendem Interesse kannst Du im Internet Quellen und Verweise finden. Ich werde mich auch nicht lange mit Begriffserläuterungen aufhalten, da dies nur den Lesefluss stören würde, sondern Begriffe, die Dir oder dem geneigten Leser neu sein könnten, mit einem vorangestellten Pfeil (→) versehen, der Dich zum Nachschlagen einlädt.
Dein Vater
Athen, im Januar 2016
In Altbayern wird ein landwirtschaftlicher Betrieb ab einer soliden Größe als Ökonomie bezeichnet. Das macht durchaus Sinn. Sein Besitzer, der darauf residiert, ist der Ökonom. Er würde sich nie als Landwirt bezeichnen. Mit seinen trickreichen Kenntnissen im Naturalien- und Viehhandel steckt er die Mehrzahl aller studierten Ökonomen in die Tasche. Um von ihm zu lernen, müsstest Du allerdings früh aufstehen, so etwa um 5 Uhr früh. Wenn man dies nicht nur als Folklore abtut, sondern versucht zum Ursprung dieser Aussage vorzudringen, wird man bald gewahr werden, dass Ökonomie mehr bedeutet, als in den Wirtschaftswissenschaften gelehrt wird. Diese sind ja erst spät in den Kanon der Wissenschaften aufgenommen worden.
Mein Denken ist nicht nur ökonomisch geschult, sondern weit mehr naturwissenschaftlich-technisch, und das nicht erst seit gestern, sondern seit einem halben Jahrhundert. Meine persönliche Auffassung von Ökonomie ist zwangsläufig weitgespannt. Ich bin daher zum Schluss gekommen, dass unsere gesamte Natur, ob belebt oder unbelebt, folgendem ökonomischen Prinzip gehorcht:
»Maximaler Effekt mit minimalem Aufwand«
Um dieses Prinzip zu verstehen, musst Du Dich von engen Geld- und Wertvorstellungen lösen. Interpretiere dagegen Aufwand als Einsatz von Energie, um den gewünschten Effekt zu erzielen, oder anders definiert, um zu überwinden, was sich dem Effekt entgegensetzt als da wären: Widerstand und Reibung in der Mechanik, Entropie in der Physik und vor allem das Risiko in der belebten Welt. Letzteres ist nicht offensichtlich, jedoch real, denn Risiko vermindert die Erfolgsaussichten.
Du kennst die Brechungsgesetze des Lichts. Ein Lichtstrahl ändert seine Richtung beim Übergang in ein anderes Medium. Seine Phasengeschwindigkeit ändert sich. Man kann es auch anschaulicher so interpretieren, dass sich der Widerstand ändert und das Licht den Weg des geringeren Widerstandes sucht. Ohne →Brechung gäbe es keine Brillen und keine romantischen Sonnenuntergänge. Sogar im Weltall macht das Licht Umwege, um Schwerefeldern und Magnetfeldern »auszuweichen«.
Das Interessante an diesem Phänomen ist, dass es sich auch an ganz anderer Stelle manifestiert. Früher wurde beim Militär noch fleißig marschiert. Wenn nun eine Vierer- oder Sechserkolonne von der Straße schräg ins Gelände wechselte, änderte sie ihre Richtung, weil im Gelände der Marschtritt kürzer wurde. Im Endeffekt verlängerte das den Weg auf der Straße und verkürzte ihn im Gelände, jedoch auch den Gesamtaufwand an Energie – vielleicht.
Kleine Tiere verhalten sich umgekehrt. Wenn ich auf der Bank vor unserem Haus sitze und Mäuse, Igel oder Kaninchen beobachte, wird offensichtlich, dass offene Flächen für diese Tiere ein hohes Risiko sind, da die Deckung fehlt. Sie kreuzen die gemähte Wiese auf kürzestem Weg oder nehmen den Mehrweg unter der Hecke, aber mit Sichtdeckung. Das ist instinktive Risikominderung, also ökonomisch. Und für die Jäger unter den Tieren erhöht die Deckung die Jagdchancen, was in diesem Fall einer Widerstandsminderung gleichkommt.
Beobachte Dich und andere Passanten beim Überqueren einer breiten Straße auf dem Weg zu einem seitwärts gelegenen Ziel. Bei wenig Verkehr ist es verführerisch, den kürzesten Weg diagonal zu nehmen, sozusagen Luftlinie. Je stärker der Verkehr jedoch ist, desto größer wird der Kreuzungswinkel sein, bis zum rechten Winkel (die Risikominderung), aber auch der Mehrweg auf dem gegenüberliegenden Gehweg (der Preis). Im Extremfall wirst Du einen Umweg machen bis zum nächsten Zebrastreifen oder zur Unterführung. Das ist instinktive Risikominderung, bei Nichtbeachtung dagegen Gedankenlosigkeit, die böse enden kann.
Zugvögel fliegen in Formation und wechseln sich dabei ab, da es der erste am schwersten hat. Die hinterherfliegenden nutzen das Quäntchen Energie, das der vorausfliegende in der Vortex seines Flügelschlags zurücklässt. Sie brauchen dazu nicht Aerodynamik zu studieren, sie wissen das intuitiv. Was den Leichtbau anbelangt sind sie Ingenieuren haushoch überlegen, unsere Flugzeuge sind zu schwer – und zu laut, denn Lärm ist vergeudete Energie.
Du kannst das ökonomische Prinzip noch weiter sehen. Es ist das Grundprinzip unseres Lebens, denn auch die Evolution folgt ihm vom Anbeginn allen Lebens. Im ersten Anlauf ist dies nicht einzusehen, denn zunächst herrscht in der Evolution der Zufall. Alle genetischen Änderungen geschehen zufällig. Die Natur produziert sie ohne Unterlass und ohne vorherige Zweckbestimmung. Dann aber erfolgt die Auslese. Nur zweckmäßige genetische Änderungen setzen sich langfristig durch und fördern die Spezialisierung der Arten. Hier greift das ökonomische Prinzip, denn bessere Anpassung an die Lebensbedingungen ist vorteilhaft, ebenso geringerer Aufwand für den gleichen Effekt. Letzteres kann man auch als Erhöhung des Wirkungsgrades definieren.
Bis jetzt habe ich noch kein Wort gesagt über Wirtschaft an sich, also das, was gemeinhin unter diesem Begriff verstanden wird. Gemach! Ökonomie ist ein Universalprinzip. Ohne sie gäbe es kein Leben auf der Erde. In der Naturwissenschaft und der Technik wird Ökonomie selten als solche definiert. Dort heißt der Schlüsselbegriff Wirkungsgrad, das ist aber dasselbe. Der Wirkungsgrad ist berechenbar als Quotient von Ertrag zu Aufwand, eben quantifizierbar.
Das menschliche Leben unterliegt in allen Bereichen dem ökonomischen Prinzip. Der Säugling lernt es als Erstes. Er weiß schneller, als uns lieb ist, sich die Eltern gefügig zu machen. Und es wird ihn sein ganzes Leben begleiten, bewusst und unbewusst. Nun wirst Du einwenden, dass wir Menschen sind, mit Gefühlen wie Liebe, Pflichtbewusstsein und Altruismus, und keine Roboter. Du hast recht. Wir sind als Menschen einzigartig, da wir ein Bewusstsein unseres Selbst entwickelt haben, das uns gestattet, ja sogar zwingt, emotional zu fühlen und zu handeln, unter Zurückstellung, gar Negierung unserer ökonomischen Urreflexe wie Selbsterhaltungstrieb oder Sexualtrieb. Das fällt uns umso leichter, je weniger die entgegenwirkenden ökonomischen Konsequenzen quantifizierbar oder kurzfristig fühlbar sind. Die deutsche Flüchtlingspolitik ist ein aktuelles Beispiel dafür, denn das Nachdenken über die ökonomischen Folgen begann ja erst, als der humanitäre Reflex die Tatsachen bereits geschaffen hatte.
Der Mensch hat jedoch im Lauf seiner Entwicklung auch die Fähigkeit gewonnen, ökonomische Gesichtspunkte zu quantifizieren. Er hat den Handel entwickelt und das Geld erfunden. In den späteren Kapiteln werden wir uns damit noch eingehend beschäftigen.
Damit bin ich bei der Wirtschaft im engeren Sinne und der Finanzindustrie als ihrer jüngsten Blüte angekommen. Das Bedürfnis, allem und jedem einen Geldwert, also einen Preis zuzuordnen, ist noch nicht sehr alt. Die Antike kannte zwar schon seit der Epoche der Sumerer Geschäftsaufzeichnungen und Warenlisten, aber richtig durchdrungen hatte dies das tägliche Leben noch nicht, obwohl es im Rom der Kaiserzeit schon das »Klozehnerl« gab. Buchführung und Bilanzierung wurden ab dem 16. Jahrhundert in den oberitalienischen Stadtstaaten entwickelt. Darum kommen heute noch viele Fachausdrücke aus dem Italienischen. Inzwischen haben wir es so weit gebracht, dass auch Gefühle einen Preis haben, der verhandelbar, im Grenzfall sogar handelbar ist. Nicht nur Körperteile oder Schmerzen haben heute ihren Tarif, sondern auch entgangene Glücksgefühle.
Hier stellt sich nun die Frage, wie Ökonomie im Spektrum der Wissenschaften einzuordnen ist. Wenn man als Ingenieur in den »harten« Fächern der Naturwissenschaft, wie Mathematik, Mechanik, Physik, Chemie, Elektrotechnik ausgebildet wurde und darin zu denken gewohnt ist, dann aber in der Wirtschaft zugange ist, mögen Zweifel unvermeidlich sein, ob Ökonomie eine Wissenschaft ist.
Andererseits gibt es Wissenschaften, die seit alters her als solche anerkannt sind und weitgehend ohne Zahlen oder fixe Formeln auskommen. Man denke nur an Philosophie, Sprachwissenschaften, Geschichte, Geowissenschaften, Völkerkunde oder Soziologie. Was unterscheidet diese also von der Naturwissenschaft?
Es ist die Tatsache, dass die Gesetze der naturwissenschaftlichen Kernfächer nicht mehr der Interpretation auf Grund von Meinung oder Weltanschauung zugänglich sind. Es gibt keine rote, braune oder grüne Mathematik. Es gibt keine christliche oder hinduistische Physik, keine kapitalistische oder sozialistische Chemie. Naturgesetze sind nicht diskutierbar. Es gibt Bereiche der Diskussion, aber diese beruhen auf Nochnicht-Wissen und ihre Grenze wird durch einträchtige Forschung von Wissenschaftlern aller Nationen ständig nach außen geschoben. Es gab einmal eine katholische Astronomie, aber seit Galilei redet niemand mehr davon. Selbst die Evolutionslehre, obwohl rein deduktiv, ist heute im Wesentlichen unangefochten, abgesehen von einigen Obskuranten religiöser Prägung und einem US-Präsidentschaftskandidaten.
Die meisten anderen Wissenschaften, und da ist die Ökonomie mitzuzählen, sind interpretierbar. Je nach Weltanschauung oder politischer Interessenlage wird das Ergebnis eingefärbt oder verbogen. Im Übrigen werden diese »Wissenschaften« oft vom Ende her gedacht. Man weiß das Ergebnis zu Beginn und sucht nur nach Bestätigung. Dies hat dann mit Wissenschaft nichts mehr zu tun, denn Wissenschaft muss ergebnisoffen forschen.
Der Ökonomie, und hier geht es speziell um die Nationalökonomie, ergeht es nicht anders. Da die Anwendung ökonomischer Thesen aber meist einer Operation am offenen Herzen der Volkswirtschaft gleicht und die Folgen nicht leicht und kurzfristig zu korrigieren sind, hat das schon unendlich viel Schweiß, Blut und Tränen der betroffenen Völker gekostet. Beinahe jeder Staat der Erde hatte mindestens einmal das Pech, einen solchen Lebendversuch mit desaströsem Ausgang durchzumachen. Die einzige Ausnahme, die mir da auf Anhieb einfällt, ist die Schweiz.
Fassen wir zusammen: Ökonomie ist ein allgemeines Grundprinzip, dem sich nichts und niemand ohne Effizienzverlust entziehen kann, welches jedoch stark wechselnder Interpretation unterliegt. Überraschend ist aber, wie viele Zeitgenossen glauben, ohne ökonomische Grundkenntnisse auszukommen, und wie sehr die ökonomische Sensibilisierung im Schulbetrieb gemieden wird. Yanis hat recht getan, sein Buch nicht nur für seine Tochter zu schreiben, sondern es in drei Sprachen zu veröffentlichen.
Und noch eine letzte Frage: Muss man Ökonomie studieren, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein? Nützlich mag es sein, aber unabdingbar ist es offensichtlich nicht. Das Unternehmen JBS S.A. gehört einer der reichsten Familien Brasiliens, welche den Fleischmarkt beider Amerikas beherrscht, und wird vom Patron und seinen drei Söhnen geleitet. Ihr Umsatz liegt im zweistelligen Milliardenbereich, aber viel mehr als ihren Namen sollen sie dem Vernehmen nach kaum schreiben können. Wirtschaft ist eben beides, Wissenschaft und Bauchgefühl. Der Sieger steht noch nicht fest.
Ich wende mich nun dem engeren Begriff der Wirtschaft zu, also dem, was gemeinhin unter Wirtschaft gemeint ist. Fragt man jemanden, was er unter Wirtschaft versteht, erhält man die verschiedensten Antworten, von gescheiten Definitionen bis zu vagen Äußerungen wie: »Hat was mit Geld zu tun.«
Ich lege mich auf folgende Definition fest:
»Wirtschaft ist freiwilliger Leistungs- und Warenaustausch«
Solange jeder für sich lebt und wirtschaftet – zu verstehen als Minimierung des Aufwands und Maximierung des Ertrags – gibt es keine Wirtschaft als Leistungsaustausch. Sobald aber der Nachbar um ein Bündel Bananen bittet und im Gegenzug den Schlegel einer frisch erlegten Gazelle anbietet, entsteht Wirtschaft in ihrer ursprünglichsten Form.
Als Erstes kann man festhalten, dass Wirtschaft aus Angebot und Nachfrage besteht. Das drückt den Willen zum Leistungsaustausch aus. Dies ist die unbedingte Grundvoraussetzung. Aus erzwungenem Austausch (z. B. Ernteanteil oder Waffendienst gegen Schutz) entsteht keine Wirtschaft. Erst als der Staat lernte, seinen Hunger auf das Vernünftige zu beschränken und im Übrigen als Wirtschaftssubjekt aufzutreten, konnte eine gedeihliche Wirtschaft entstehen. Das Mittelalter blieb auch aus diesem Grund dunkel. Heute kannst Du wieder beobachten, dass Staaten diesen Zusammenhang missachten und ihre Wirtschaft durch einen überzogenen Staatsanteil am BIP abwürgen.
Wenn Dir jemand anbietet: »Gib mir fünf Stücke, ich gebe Dir dafür drei«, würdest Du auf diesen Handel eingehen? Mit Sicherheit nicht, wenn es gleichwertige Stücke sind, denn Du würdest den Kürzeren ziehen. Dieses Beispiel zeigt, dass ein Austausch nur zustande kommt, wenn beide Handelspartner einen Vorteil für sich wahrnehmen. Genauer gesagt, wenn sie subjektiv einen relativen Vorteil sehen und realisieren können. Dieser Vorteil kann situationsbedingt sein (der eine hat Hunger, der andere friert) oder unterschiedlichen Motiven entspringen (der eine braucht ein Werkzeug, der andere will sich betrinken). Damit wird klar, dass Wert relativ zu sehen ist und ein Handel selbst dann zustande kommen wird, wenn die Tauschgegenstände einen unterschiedlichen realen Wert haben. Wird der Unterschied allerdings zu groß oder zu offensichtlich, wird der Handel unterbleiben. Coca-Cola aus dem Automaten wird auch teurer, wenn es heiß ist und die Sonne scheint. Thermofühler und Photozellen auf dem Dach des Automaten sorgen dafür, dass die letzte Dose erst am Sonntagabend verkauft wird. Du siehst daraus, dass die Wirtschaft einen absoluten oder gerechten Preis nicht kennt, ja gar nicht kennen kann, da dieser die individuelle Motivation des Anbieters oder des Erwerbers nicht berücksichtigt. Allein die Tatsache, dass wir uns im täglichen Handel an feste Preise gewöhnt haben, verhindert das Zustandekommen vieler Transaktionen. Den Preis zu diskutieren, ist weder ehrenrührig noch verboten, es braucht lediglich mehr Zeit, endet dafür aber mit dem situationsbedingt richtigen Preis.
Ein weiteres unabdingbares Element von Wirtschaft ist die Existenz und der Bestand von Eigentumsrechten. Wer nicht sicher ist, dass das, was er anbietet, sein Eigentum ist, und was er erhält, in sein Eigentum übergeht, wird nicht auf dem Markt erscheinen, sondern in Subsistenz und Autarkie verharren. An Beispielen, die uns zeigen, dass Rechtssicherheit eine notwendige Voraussetzung für gedeihliches Wirtschaften ist, mangelt es nicht.
Man denke an unsere prähistorischen Ursprünge oder deren Reste in Amazonien und Neu-Kaledonien, wo Stämme noch heute ohne Eigentumsbegriff auskommen. Das funktioniert, solange der Stamm (modern die WG) überschaubar ist und sich als große Familie versteht. Die gegenseitige Solidarität ersetzt die Definition von Eigentum. Der Stammesälteste übernimmt den gelegentlichen Austausch mit der Außenwelt und achtet auf gerechte Verteilung und sozialen Frieden im Innern. Paradiesisch. Wenn man jedoch versucht, diese Utopie auf ein Wirtschaftsgebiet von der Größe der UdSSR auszudehnen, endet das im Chaos. Dieses misslungene Lehrstück am lebenden Subjekt hat allerdings noch nicht alle Zeitgenossen bekehrt.