Biografische Informationen der deutschen
Nationalbibliothek: Die
Deutsche Nationalbibliothek
verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbiografie;
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sind im Internet über www.dnb.de abrufbar
Copyright:
2016
Olaf Clasen
50672 Köln
olafclasen@web.de
www.odecologne.eu
Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 9783741249198
Hase. Mein Lieblingsrestaurant. Und mein verlängertes Wohnzimmer. Ich wohne nebenan. Hier treffe ich die guten Freunde, mit denen ich die spannenden Gespräche führe. Hier treffe ich auch die netten Damen, mit denen ich sehr viel Diskreteres bespreche. Ein bunt gemischtes Völkchen reibt hier Schultern. Jeder kennt jeden, oder fast. Man grüßt sich, schüttelt sich das Pfötchen und wer einem besonders sympathisch ist, der bekommt einen Klaps auf die Schulter oder ein Küsschen links, ein Küsschen rechts.
Junge, Ältere wie ich, Erfolgreiche und weniger Gutsituierte vermischen sich auf das Glücklichste. Der Lärmpegel ist häufig hoch in dem länglichen, ohne Schnickschnack gut eingerichteten Raum. Die Stammgäste singen gern das Hohelied vom Inhaber, der dafür sorgt, dass immer Schmackhaftes zu vernünftigen Preisen auf der Karte steht und dass die Kellner stets ein freundliches Lächeln auf den Lippen haben. Außerdem ist der Besitzer Teamchef zur Mittagszeit und bedient mit. Gute Stimmung ist das halbe Geschäft, sagt er. Außerdem grüßt dieser Inhaber schon nach dem zweiten Besuch die Gäste mit ihrem Namen und redet jeden so persönlich an, als sei es sein Wohnzimmer und nicht meines. Mancher, der in dem immer vollen Restaurant keinen Platz findet, lässt sich erstaunliche Strategien einfallen, um einen Tisch zu ergattern.
„Haben sie reserviert?“ „Ja.“ „Wie war der Name?“ „Äh.., einen Moment mal.“ Jeder will sehen, wohin der Hase läuft.
Ja, hier treffe ich Freunde und Bekannte, habe geschäftliche Verabredungen und ganz diskrete private. Die Neugier spielt immer mit: wer mit wem? Beziehungen wechseln. Aus Paaren werden Trios oder Singles. Warum? Wieso? Wie konnte das geschehen?
Und da ich selber neugierig bin, lausche ich schon mal, was am Nachbartisch beredet wird in meinem verlängerten Wohnzimmer.
"Mein Wohnzimmer" ist ein Wunschtraum aus einer Epoche, in der mein Leben sehr hektisch war. Ich machte den gewaltigen Spagat über den Atlantik. Ich hatte eine Wohnung und eine Kunstgalerie sowohl in Nizza, an der Côte d'Azur; wie auch in New York City, saß also ständig im Flugzeug oder litt unter Jetlag.
Außerdem fuhr ich, wenn ich in Europa zu tun hatte, viel mit dem Auto hin und her. Besuchte wie ein Handlungsreisender Kunden in Paris, Avignon, Lyon, Bologna, München, Stuttgart, Köln oder Hamburg. Ich schlief jede Nacht in einem anderen Bett, aß jede Mahlzeit an einem anderen Tisch. Sah immerzu neue Gesichter. Damals wünschte ich mir in all dem Trubel etwas Vorhersehbarkeit.
Eine meiner fixen Ideen war, in ein Lokal zu kommen, in dem der Ober mich anspräche: " Dasselbe wie immer, Herr Clasen?" Ich würde nur nicken oder antworten: "Ja, bitte." Gipfel der Vorhersehbarkeit, und Wunschtraum in einer allzu hektischen Lebensphase?
Jetzt habe ich sie erreicht, meine Vorhersehbarkeit. Schwinge ich mich auf den Hocker bei Hase, dann nickt Amin mir zu, schüttelt mir die Hand und serviert, ohne ein Wort zu sagen, den Espresso lungo, den ich nach dem Essen so gern trinke. Sitzt meine Begleitung Birgit neben mir, dann baut Amin ebenso wortlos einen Berg Schaum auf ihre Capucinotasse und zeichnet mit braunem Kakao ein schönes Muster. Gipfel der Spießigkeit oder seit langem verdientes Ankommen in meinem Wohnzimmer?
Es ist ein fröhlicher, bunter Haufen, der sich hier trifft, mitten im Stadtzentrum Kölns. Einige der besten Kunstgalerien der Stadt sind gleich nebenan. Darum ist' s normal, dass hier Galeristen sitzen mit den Künstlern, die die Welt verbessern wollen oder auch mit den Sammlern, die das schnelle Geschäft suchen, möglichst ohne ihr eigenes Geld auszugeben. Man diskutiert sich die Köpfe heiß. Jeder hat Recht. Natürlich!
Glücklicherweise ist Hase kein einseitiger Künstlertreff. Nein, was die Mischung so reizvoll macht, sind die vielen unterschiedlichen Berufe, die hier vertreten sind. Ringsherum gibt's, elegante Geschäfte. Wer sich mittags ein Päuschen gönnen kann, schaut mal wie der Hase läuft.
Vielleicht ist sie heute hier? Die Begegnung, die zuerst den Nachmittag versüßt und dann das Leben auf den Kopf stellt?
Auch aus den Außenbezirken kommen die Gäste. Viele fahren weit, um hier den Herzschlag der großen Stadt pulsieren zu hören. Außerdem ist der WDR in der Nähe und auch RTL hat Studios in der Stadt, aus denen die Leute zum Mittagessen kommen. So drängeln sich manchmal die Medienleute an den Tischen mit Künstlern und Undefinierbaren. Die, die vor der Kamera arbeiten, erkennt man meist erst auf den zweiten Blick, mit der verwuschelten Frisur und ganz ohne Make-up, außerdem sind die nicht so gutausgeleuchtet wie auf dem Bildschirm. Das Gesicht kommt einem bekannt vor. Aber kann man sicher sein? Die, die hinter der Kamera arbeiten, kennt mein Freund Lars. Der sagt mir: "Guck mal, da ist der Martin R..., der hat die Musik zu... komponiert." Ich gucke, aber dem Mann blitzt kein Notenschlüssel aus den Augen.
Die drei hyperblonden Schönheiten an der Theke haben es noch nicht bis vor die Kamera geschafft. Es wird aber nicht lange dauern, bis sie sich, mit abgespreiztem kleinem Finger am Prosecco Glas, in den Vordergrund gedrängelt haben.
Inzwischen sitze ich hier und filtere aus den Wortfetzen heraus, was mir interessant erscheint.
Hier, in meinem Lieblingsrestaurant, das in Köln fast jeder kennt, ist immer etwas los: Sie schwebt herein auf der Wolke ihres vergangenen Ruhms.
Nein, es geht kein Raunen durch den Raum. Nur ältere Menschen meiner Generation erinnern sich, dass diese Dame ein Star war, damals, als die Illustrierten noch Titelblätter in schwarz/weiß druckten und als es für Frauen wie diese noch das schöne Wort Vamp gab.
Auch heute sieht man ihr an, dass sie etwas Besonderes darstellt. Obwohl der Lack ab ist. Das Gesicht ist ein wenig fahl und schlaff. Doch das dicke Make-up macht ihr eine gesunde Gesichtsfarbe. Aber das kalte Rosa ihres Lippenstiftes ist noch nicht wieder zurück in Mode. Es ist die Farbe der frühen Sechziger. Trotzdem bleibt die Erscheinung mit der toupierten, blondierten Mähne eindrucksvoll. Die Diva hat sich, trotz Alkohol und anderer Ausschweifungen, gut gehalten. Damals war sie berühmt als eine skandalumwitterte Sexbombe. Das Wort wurde ungefähr gleichzeitig mit der Atombombe erfunden. Ihre Exzesse füllten die Illustrierten.
Ihre Figur betont auch heute noch die berühmte S Form mit hervorstehendem Busen und Hinterteil. Immer noch umrahmt sie sich die schönen Augen tiefschwarz, so wie es in den Sechzigern Mode war und färbt das lange Haar so nah wie möglich bis an die Wurzeln.
Der Exvamp setzt sich an den Nachbartisch zu seinen Freunden, einem Ehepaar seiner Generation: Er ist ein kleiner dicker Mann mit grauem Haarkranz um den glänzenden Schädel. Die dazu gehörige Frau, schminkt sich ähnlich wie ihre Freundin mit dem tiefschwarzen Lidstrich, der die Augen verlängern soll, so wie Elisabeth Taylor es als Kleopatra vormachte.
Die drei beginnen sofort ein lebhaftes Gespräch, in dem es natürlich vor allem um die Vergangenheit geht, wie das bei Menschen dieser Generation üblich ist. Außerdem machen sie auch ein paar Pläne für die Zukunft. Alle drei sind sie finanziell gut abgesichert. Die Diva erinnert daran, dass früher die Gagen nicht so hoch waren wie sie heute sind. sie habe aber ihre Einkünfte so geschickt angelegt, dass das Vermögen ständig wuchs und auch jetzt noch eine gute Rendite erwirtschaftet. Die beiden anderen waren in konventionellen Berufen tätig, konnten also nicht viel ersparen, sind aber zufrieden.
Eigentlich wollten sie zu viert hier Mittagessen. Der Vamp wollte seinen Freunden den frisch geheirateten Ehemann vorstellen. Die Freunde haben schon viel über ihn gehört. Eine reine Liebesheirat, wenn auch ein wenig spät! Jetzt ist der fünfte Ehemann etwas verspätet.
Aber nicht allzu lang. Der erwartete Gatte stürmt herein mit weit ausholendem Schritt. Küsschen links, Küsschen rechts, auch für die neuen Freunde. Dazu muss er sich weit herunterbeugen: Er überragt die Gesellschaft um gut einen Kopf. Groß, schlank, sehnig und gebräunt, sieht der junge Mann aus wie einer, der im offenen Sportwagen zwischen Sonnenstudio und Fitnesscenter hin- und herfährt. Dabei ist er eine knappe Generation jünger als die drei anderen. Er muss noch mal schnell zur Garderobe um seinen Mantel abzulegen. Kaum hat er den Rücken gekehrt, da tuschelt die Freundin:
"Da hast du dir aber ein Prachtexemplar an Land gezogen."
Der Vamp strahlt: "Ich kann ihn mir eben leisten!"
Wieder einmal ist die Stimmung gut, in meinem Lieblingslokal und wieder einmal sitzt am Nachbartisch ein Paar, dessen Gespräch ich nicht überhören kann und von dem ich nicht weiß, ob und wie es zusammengehört.
Er ist ein Prominenter, den wir alle aus dem Fernsehen kennen. Er setzt seinen bekannten Charme mit voller Wucht ein, um die Dame zu beeindrucken. Er ist schön gleichmäßig gebräunt, als würde er meist am Mittelmeer leben. Sein Lächeln wirkt ungezwungen, natürlich, so wie man es vor der Kamera lernt. Die Zähne kommen aus der besten Praxis. Und selbst jetzt, wo er keinen Drehbuchtext hat, kommen die Sätze flüssig aus seinem Mund.
Sie ist eine junge Frau aus dieser Nachbarschaft, die sehr gut aussieht, Eine Schönheit, die bei jedem ihrer Besuche im Hase auffällt. Zusätzlich ist sie so raffiniert gekleidet, dass ihre körperlichen Reize unübersehbar sind. Die schmale Taille mündet in schön gerundete Hüften. Sie versteht es, auf der Tastatur ihrer Weiblichkeit zu spielen, außerdem hat sie ein flottes Mundwerk. Ihre Sätze formuliert sie schnell und was sie sagt, macht Sinn. Sie lässt sich von seiner Prominenz nicht einschüchtern. Sie hat ein gesundes Selbstbewusstsein, das mit dieser Situation gelassen umgehen kann. Sie versteht zu flirten und ist ihrem Gegenüber ebenbürtig. Auch ihr Lächeln kommt leicht und spontan, als ob sie kameratrainiert sei.
Das Gespräch zwischen den beiden plätschert eine Weile hin und her. Wie ein unverbindlicher Flirt. Unterschwellige Anspielungen sind in der Luft. Das Flirten schwillt intensiv an und ebbt wieder ab. Wie es so geht, wenn man sich erstmal kennenlernen muss. Er plustert sich auf, wie ein Gockel. Er ist ein Star und erwartet bewundert zu werden. Sie weiß sich begehrenswert zu machen, so dass fast jeder Mann ihr die Sterne vom Himmel pflücken würde. Sie reden sehr offen über ihre Wünsche, auch die die nicht jugendfrei sind, so dass ich mich als indiskreter Zuhörer beschämt fühle. Aber nur kurz.
Die Geschichte verspricht interessant zu werden.