Für mein geliebtes Pferd, Ringwood Clyde, liebevoll auch Charly genannt. Der größte Lehrmeister, beste Freund und Lebenspartner meines Lebens.
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© 2016 Mag. Kathrin Scheidl
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7431-4724-9
Die besondere „Beziehungskiste“ zwischen Kathrin und ihrem Pferd Charly ist mir schon bei unserem ersten Kennenlernen aufgefallen. Zufällig wurde ich in einem Reitstall Zeuge eines Gespräches zwischen einem Mädchen und seiner Mutter. Präzise und mit einem besorgten Unterton in der Stimme, beschrieb sie Lage und Zustand einer kleinen Schwellung am Bein ihres Pferdes. Die Harmlosigkeit dieser Schwellung war schon aus ihrer Beschreibung zu entnehmen, ich musste nur noch den Kummer des Kindes zerstreuen. Dies war der Beginn meiner 15-jährigen Bekanntschaft als Tierarzt von Ringwood Clyde.
Kathrin umschwirrte ihren Charly wie ein kleiner Satellit. Mit ihren Beobachtungen und dem Durst nach Wissen hat sie ihr Umfeld anfänglich ziemlich beschäftigt. Auch die tierärztliche Abteilung kam nicht zu kurz. Seit damals weiß ich, was eine Hotline ist. Sie lernte sehr bald die Sprache ihres Pferdes kennen - eine Fähigkeit, die uns im Zeitalter der Urbanisierung etwas abhanden gekommen ist.
Charly hat Kathrin ohnehin immer verstanden. Man könnte fast sagen, er wurde so etwas wie ihr Nachhilfelehrer in wichtigen Dingen des Lebens auf dem Weg zum Erwachsenwerden.
Dr. Peter Kübber
Charly und Kathrin lernte ich durch eine energetische Anwendung vor vielen Jahren kennen. Gleich zu Beginn fiel mir die besondere Verbindung zwischen den beiden auf. Nicht nur, dass Charly älter war als Kathrin, er wirkte auf mich sofort wie eine ganz alte weise Seele, wie ein Lehrmeister und Professor, der nur Augen für Kathrin hatte und so dankbar war, dass er bei ihr so einen tollen Platz gefunden hat.
Während der Anwendung war er sehr aufmerksam, konzentrierte sich auf mich und sobald sich eine Blockade löste, schnaubte er ab, machte genüsslich seine Augen zu oder gähnte. Auch bei der anschließenden Tierkommunikation spürte ich sofort die Vertrautheit, die Wertschätzung und tiefe Liebe zwischen den beiden - sie haben sich einfach gefunden. Viele Anwendungen folgten und auch mir machte die Arbeit mit dem 'Musterschüler' Charly viel Freude. Sobald Kathrin zu mir in einen Kurs oder für ein Reading kam, war Charly der Erste, der sich zu Wort meldete. Er war für mich immer als Fels in der Brandung spürbar, der Kathrin mit seiner Ruhe und Kraft in allen Lebensbereichen wertvolle Unterstützung leistete.
Ein so besonderes Pferd wie Charly wird auch mir stets in schöner Erinnerung bleiben. Wenn sie dann die Seite wechseln, hinterlassen sie definitiv eine große Lücke. Sie sind mehr als Wegbegleiter und Familienmitglieder, sie machen unser Leben besonders und ich freue mich, einen Teil des Weges mit den beiden gegangen zu sein.
Cornelia Trimmel
Im Alter von fünf Jahren wurde bei mir ein Hohlkreuz diagnostiziert, das laut Ärzten zu behandeln war und in dem Alter auch noch gut korrigiert werden konnte. Der behandelnde Arzt verwies uns an eine Heilgymnastikerin im Spital und fortan hatte ich dort mehrmals die Woche Therapie. Der Gymnastikball war schon sehr witzig, aber am hellhörigsten wurde ich, als die Therapeutin meiner Mutter empfahl, mit mir Voltigieren zu gehen. Ich hörte damals zum ersten Mal davon, aber als das Wort „Pferd“ fiel, war es mir ganz gleich, was Voltigieren bedeutete – ich wollte zu den Pferden.
Meine Mutter machte sich umgehend auf die Suche nach einem Voltigierverein und fand nicht unweit von uns zu Hause einen Reitstall, der das anbot. Ich war begeistert! Dieses große und zugleich sanftmütige Wesen, das mich auf seinem Rücken trug, auf selbigem ich turnen durfte. Das Training fand mehrmals die Woche statt, doch am meisten freute ich mich immer auf das Ende, wenn alle Kinder das Pferd streicheln und loben durften. Ich startete sogar bei einigen Turnieren und war ganz aufgeregt und stolz, wenn bei der Siegerehrung mein Name aufgerufen wurde. Bereits bei meinem ersten Turnier erreichte ich den dritten Platz - ich war damals nicht ganz sieben Jahre alt. Mit der Zeit merkte ich, wie sehr ich den Umgang mit den Pferden liebte und der Wunsch immer größer wurde, mehr Kontakt mit ihnen zu haben.
Meine Eltern haben schier alle alterstypischen Hobbys mit mir versucht, angefangen von Tennis über Volleyball, Ballett bis Violinen Unterricht. Aber nichts, rein gar nichts, begeisterte mich so wie die Pferde. Der Versuch meiner Eltern, ein etwas zeit- und kostengünstigeres Hobby für mich zu finden, ist also kläglich gescheitert. So sollte es sein, dass ich im Alter von acht Jahren mit dem Reiten begonnen habe. Das war in einem anderen Reitstall als das Voltigieren und bereits dieser Stall sollte mein Leben von Grund auf verändern – was ich damals allerdings noch nicht wusste. Ich war einfach nur fasziniert von dem Pferdegeruch, ihrem Fell und davon, dass ich nun endlich auch ein Pferd putzen und reiten durfte.
Mein geliebter Ringwood Clyde, liebevoll auch Charly genannt, war bereits in diesem Stall eingestellt und übte eine ganz besondere und magische Anziehung auf mich aus. Mit meinen jungen Jahren war ich vor diesem Pferd sehr ehrfürchtig. Ein großer, starker Brauner, mit einer wunderschön gleichmäßigen Blesse, die auf seiner Stirn, unter seinem buschigen Schopf, begann und auf Höhe seiner schön gezeichneten Jochbeinknochen und den großen, sanften Nüstern endete; mit langer rabenschwarzer, glänzender Mähne und langem ebenso glänzendem, schwarzem Schweif. Sein Rücken war kräftig und von einem sehr seltenen und besonderen Aalstrich gekennzeichnet. Seine kräftigen Beine, alle mit einem schwarzen Kronrand gekennzeichnet, gefolgt von weißer Fesselung an den Vorderbeinen und halb gestiefelt an den Hinterbeinen. Danach folgte auf allen vier Beinen glänzend schwarzes Fell, bevor es fließend in wunderschönes braunes Fell überging. Sein Kopf war so groß wie mein gesamter Oberkörper, oder vielleicht sogar noch größer, aber seine Augen strahlten Sanftheit und Größe aus. Ich bewunderte seine damalige Mitreiterin um dieses wundervolle Pferd. Wenn sie in der Halle ritten, in der ich meine Schulbetriebsstunden nahm, und am langen Zügel leichtfüßig dahin galoppierten, hielt ich den Atem an. Er war so mächtig, so groß und muskulös und dennoch hatte man das Gefühl, sie schwebten. Dass sich unsere Wege vier Jahre später kreuzen sollten, wusste ich damals noch nicht und hätte ich auch nicht zu träumen gewagt.
Im Schulbetrieb war ich sehr glücklich und ich mochte die Schulpferde. Von allen konnte man etwas Besonderes lernen und so verliebte ich mich in den ebenfalls braunen Toby. Er hatte jedoch keine Blesse und war auch auf den Beinen nicht weiß gefesselt oder gestiefelt. Er musste in seiner Vergangenheit offenbar Schlechtes erlebt haben, aber genau das führte dazu, dass ich mich zu ihm hingezogen fühlte. Ganz oft bin ich einfach nur vor seiner Box gestanden und habe vorsichtig und liebevoll seinen Kopf gestreichelt. Beim Reiten hat er immer den Hals und Kopf ganz besonders weit nach vorne gestreckt. Heute weiß ich, dass er Schmerzen gehabt haben muss, aber damals war mir das nicht klar. Er wurde mit einer Gummitrense geritten und ich war immer besonders achtsam und vorsichtig im Umgang und in der Handhabung mit den Zügeln. Im Jahr 1998 legte ich meine erste reiterliche Prüfung zum Reiterpass mit Toby ab und bestand sie auch gleich beim ersten Antritt. Ich war damals sehr stolz, kann mich aber noch ganz genau an den Satz der Richterin erinnern, den sie zu allen Kindern mit Nachdruck sagte: „Ich gratuliere euch sehr herzlich zur bestandenen Prüfung, aber merkt euch eines: glaubt nicht, dass ihr jetzt reiten könnt, denn richtig reiten lernt man nicht in 100 Jahren.“ Ich war damals etwas geknickt, war ich doch so stolz auf die bestandene Prüfung, aber heute weiß ich was sie gemeint hat…
Bald merkte ich, dass der Wunsch nach einer Mitreiterschaft bei einem Schulpferd in mir groß wurde. Ich versuchte meine Eltern zu überreden, im Speziellen Toby zu mieten, aber vergebens. Sie erlaubten es nicht. Doch dann bot sich plötzlich die Gelegenheit, Mitreiterin bei einem Privatpferd zu werden: Er hieß Blesk und war bis auf einem Bein komplett rappschwarz. Die Besitzerin wählte mit Bedacht, sodass es eine große Ehre war, dass ich seine Mitreiterin werden durfte. Meine Eltern mussten zu dem monatlichen Beitrag an die Besitzerin auch noch die Reitstunden, die ich bei einer von ihr ausgewählten Trainerin nehmen musste, bezahlen. Die Trainerin kam aus Deutschland und ich lernte sehr viel von ihr. Dennoch war es eine Menge Geld, die meine Eltern Monat für Monat in mein Hobby und meine Leidenschaft investierten.
Im Sommer, kurz bevor die Mitreitschaft den ersten Jahrestag erreichen sollte, wendete sich das Blatt. Ich durfte stets nur unter Aufsicht reiten, damit ich das tolle Dressurpferd nicht verreite, was ich ja damals, frisch aus dem Schulbetrieb kommend, bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen konnte, auch wenn es mich kränkte. In diesem Sommer waren meine Eltern und ich auf Urlaub in Kärnten und als wir nach Hause kamen, wollte ich selbstverständlich sofort in den Stall – die Pferde haben mir schon so gefehlt. Ich lief in die Stallgasse: Blesks Box war leer, die Putzbox stand davor. Ich dachte die Besitzerin oder ihre Tochter würden reiten und eilte zur Reithalle. Was ich allerdings sah, traf mich zutiefst. Eine unerfahrene Reiterin, zudem unbeaufsichtigt, ritt Blesk. Schwer gekränkt und mit Tränen in den Augen rannte ich ins Reiterstüberl und fiel meiner ehemaligen Reitlehrerin, aus dem Schulbetrieb, in die Arme. Ich weinte und erzählte ihr, was ich soeben gesehen hatte. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, in dem sie mich liebevoll anlächelte und sagte: „Wenn du dir die Tränen aus dem Gesicht wischst, dann sage ich dir was.“ Ich rieb mit den Händen die Tränen von der Wange und wartete, was als nächstes kommen sollte. Der nachfolgende Satz und Moment sollte mein Leben von Grund auf verändern: „Ich weiß, dass dir Charly so gut gefällt. Seine Mitreiterin hat aufgehört und sein Besitzer ist nun auf der Suche nach einer neuen Mitreiterin. Er ist heute sogar im Stall.“ Ohne mich zu bedanken drehte ich mich blitzartig um, riss die Tür auf, um den Besitzer von Charly zu suchen, und da stand er schon vor mir: Ein großer Geschäftsmann, mit Brille und dunkelgrauen Haaren, sicher ein bis zwei Köpfe größer als ich, stets elegant gekleidet und für mich damals auf jeden Fall eine Autoritätsperson. So stand ich vor ihm, noch mit den restlichen Tränen in den Augen vom zuvor Erlebten, fasste all meinen Mut zusammen und stotterte: „Ich habe gehört, Sie suchen eine Mitreiterin für Charly?“ Seine Antwort war klar und deutlich: „Ja, ich trinke noch ein Achtel Rotwein und dann können wir zu Charly gehen und ihn einmal putzen.“ Ich kann nicht in Worte fassen, wie aufgeregt ich damals war. Gleich durfte ich das Pferd putzen, das mich schon seit Jahren faszinierte. Ich weiß gar nicht mehr, wie und ob ich es meiner Mutter gesagt habe, oder ob sie die Information einfach von meiner Reitlehrerin erhalten hat.
Ich stand ewig vor Charlys Box und habe ihn ehrfürchtig bewundert. So schöne, klare Augen, so weiche Nüstern und zugleich so mächtig und stark. Der große Kopf kam näher, ich spürte seinen warmen Atem auf meinen Händen. So stand ich da, bis sein Besitzer kam und ihn zum Putzen aus der Box holte. Ich war beeindruckt: Charly stand komplett frei in der Stallgasse und ließ sich putzen. Der Besitzer erklärte, dass Charly es nicht mochte, angebunden zu werden. Er hätte eine furchtbare Vergangenheit gehabt und bekäme Angst, wenn er mit dem Strick angebunden wird. So stand ich also vor dem 1,70 Meter großen Riesen und staunte, dass er wie eine Statue in der Stallgasse stand. Zum Hufe Auskratzen musste sich der Besitzer nur in Richtung Hufe stellen und Charly begann schon, das jeweilige Bein vorsichtig zu heben. Er war so aufmerksam und man merkte: er wollte alles richtig machen. Als das Putzen beendet war, drehte sich der Besitzer um, ging Richtung Sattelkammer und Charly blieb alleine, wie angewurzelt, frei in der Stallgasse stehen und wartete auf unsere Rückkehr mit Sattel und Zaumzeug. Ich erinnere mich noch gut, dass ich damals den Sattel kaum auf seinen Rücken bekommen habe – Charly war zu groß und der Sattel zu schwer. Der Besitzer half mir und lächelte sanft. Fertig gesattelt und gezäumt gingen wird dann in die Reithalle. Das große Tor öffnete sich, und ich bemerkte, dass wir alleine waren. So wie ich es gelernt hatte, setze ich meinen Reithelm auf und stieg auf das mächtige und wunderschöne Pferd. Wir gingen im Schritt los und ich spürte seine gleichmäßigen, raumgreifenden Schritte unter mir. Ich hatte das Gefühl, dass ich nur an etwas denken musste und Charly setze es schon um – es war unglaublich! Nach einigen Minuten im Schritt sagte der Besitzer, dass ich ruhig schon antraben könnte und als hätte Charly nur auf das Kommando gewartet, trabte er sanft los. Ich war auf Wolke sieben: sein schwungvoller Trab, seine Leichtrittigkeit und seine Ohren, wovon stets eines beim Besitzer und das andere bei mir waren, faszinierten mich.
Dann plötzlich öffnete sich das große Hallentor noch einmal und der Stallbesitzer fuhr mit einem Kleinlastwagen in die Halle, hinten auf der Ladefläche zwei große Heurundballen. Der Stallbesitzer sah uns nicht, weil wir zu dem Zeitpunkt ganz hinten in der Halle waren, und fuhr einfach hinein, drehte um und begann die Ladefläche zu kippen. Ich versuchte alles bisher Gelernte umzusetzen, ließ Charly hinschauen, fasste die Zügel kurz und machte die Knie fest zu. Ich dachte, er würde sich augenblicklich fürchten und durchgehen. Charly stand da, schaute zu, wie der erste Rundballen mit einem lauten Knall auf den Hallenboden donnerte, dann der zweite, und tat nichts. Es war, als würde er mir sagen wollen: „Es ist okay, du musst dich nicht fürchten, ich beschütze dich.“ Dass es Tierkommunikation, eine Art mentale Kommunikation zwischen Mensch und Tier, gibt, wusste ich damals noch nicht, sollte ich aber viele Jahre später lernen. In Wahrheit hatte ich vor der Situation viel mehr Angst als er. Seine Ohren waren entspannt, er atmete gleichmäßig und wartete darauf, dass ich mich wieder entspannte, um friedlich weiter zu reiten. Spätestens in diesem Moment war es restlos um mich geschehen und ich wusste, es war Liebe. Dass Charly auf einen Menschen, den er gerade erst kennengelernt hatte, so aufpasste, berührte mich zutiefst. Der Stallbesitzer fuhr mit dem Kleinlaster wieder hinaus und wir ritten weiter, als wäre nichts passiert.
Das Probereiten verlief zur Zufriedenheit des Besitzers und ich bekam die Zusage, ab sofort seine Mitreiterin sein zu dürfen. Er wollte lediglich die nächsten Male noch dabei sein und überprüfen, ob wir alleine gut zurechtkommen. Das alles passierte am 5. August 2000, ich war damals 12 Jahre alt und es scheint mir heute noch, als wäre es gestern gewesen.
Ich war so glücklich und stolz, dass ich seine neue Mitreiterin sein durfte. Ich erzählte es allen Freundinnen und konnte die freudige Botschaft nicht für mich behalten. Die Mitreiterschaft bei Blesk endete nicht ganz problemlos, weil die Besitzerin nicht einverstanden war und gegenüber Charlys Besitzer behauptete, dass ich Futter gestohlen hätte und ein Pferd wegen mir einen Satteldruck erlitten habe. Auch wenn mich Charlys Besitzer nicht lange oder gut kannte, stand er hinter mir und behielt mich als Mitreiterin, wofür ich ihm heute noch ausgesprochen dankbar bin. Meine Freundinnen freuten sich mit mir, obwohl ich später erfahren musste, dass Charlys Besitzer bereits in der Woche, in der ich mit meinen Eltern auf Urlaub in Kärnten war, eine Mitreiterin suchte, und alle, wirklich alle Mädchen aus dem Schulbetrieb ihn Probe geritten sind. Aber die Mädchen hatten Angst, weil er mit ihnen so schnell galoppiert ist, was ich gar nicht nachvollziehen konnte, weil er mit mir auf seinem Rücken so sanft und umsichtig war. Heute weiß ich, dass er mich auserwählt hat und mich später zur glücklichsten Pferdemama gemacht hat und damals zum stolzesten Mädchen im gesamten Reitstall.
Da damals Sommerferien waren, verbrachte ich jeden freien Tag bei Charly, auch wenn ich ihn nur putzen oder mit ihm grasen gehen konnte. Zu Beginn durfte ich mich Montag bis Mittwoch ganz alleine um ihn kümmern, sehr schnell kam dann auch der Donnerstag hinzu. Einige Jahre später war er gänzlich in meiner Betreuung und der Besitzer fragte sogar mich, ob er kommen und ausreiten gehen könnte.
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Charly erblickte im Jahr 1985 in Irland das Licht der Welt. Sein Vater, Clover Hill, war ein sehr bekannter und erfolgreicher Hengst. Er zählte im Zeitraum von 1990 bis 1995 zu den zwanzig besten Springpferden weltweit. Seine Mutter hieß Lettybrook Lass und war mit einem Stockmaß von 1,58 Meter doch deutlich kleiner als es Charly dann wurde. Charly wurde im irischen Gestüt Ringwood geboren, daher auch der erste Teil seines Namens und das C erhielt er von dem Namen seines Vaters, somit Ringwood Clyde.
Ausgiebige Internetrecherchen ergaben, dass Charly bereits im Alter von fünf Jahren an acht Turnieren teilgenommen hat und zwar alleine im Zeitraum von April bis Juli 1990. Ich möchte mir nicht vorstellen müssen, wann und wie er angeritten wurde…
Im selben Jahr, 1990, wurde er nach Österreich an einen renommierten Springreiter verkauft. Dieser ist nach wie vor bekannt dafür, irische Pferde zu haben und nicht nur ehrgeizig zu sein sondern dem Turniererfolg auch mit gewissem, nennen wir es physischem Druck nachzuhelfen. So erzählte mir sein Besitzer, dass Charly sogar bei einem Mächtigkeitsspringen in der Wiener Stadthalle teilgenommen hätte. Selbst als ich noch ein Kind war, und das war ich mit 12 Jahren, musste man mir nicht erst erzählen, dass Charly am Kopf geschlagen wurde, nachdem er sich überhaupt nicht gern am Kopf angreifen ließ und sehr skeptisch beobachtete, wenn die Hand langsam in die Nähe kam. Bei näherer und vorsichtiger Betrachtung seines Kopfes erkannte man die Narben, die seine Geschichte erzählten. Auf dem rechten Jochbeinknochen, auf Höhe seines Auges, befand sich ein mehrfach vernarbter Knorpel. Speziell auf der rechten Seite hatte Charly große Angst, berührt zu werden. Sogar wenn ich ihn am Hals putzen wollte, ist er mit seinem Kopf nach links unten ausgewichen. Mir brach es jedes Mal das Herz, weil ich nicht verstehen konnte, wie man ein so wundervolles Geschöpf schlagen konnte. Auf seinen Ganaschen fanden sich noch weitere Narben. Er hatte auf selber Höhe, links wie rechts, zwei weiße Fellstriche, die dadurch entstanden sein sollen, dass ihm der Kehlriemen oder sein Halfter über lange Zeit viel zu klein waren oder zu eng eingestellt wurden. Bei der Vorstellung konnte ich meine Tränen nicht halten und bereits an dem Tag, an dem ich davon erfuhr, versprach ich ihm, dass ihm niemals wieder auch nur irgendjemand Leid zufügen wird und ich ihn bis in alle Ewigkeit beschützen werde.
Auf seinem linken Hinterbein konnte man an der Innenseite, speziell im Sommer, wenn er kürzeres Fell hatte, eine sehr lange Narbe sehen. Diese kam angeblich vom Springtraining, wenn die mit Stacheldraht umwickelte Stange in dem Moment, in dem er darüber sprang, angehoben wurde. Das sollte ihn dazu bringen, die Beine noch höher anzuheben und die Stange nicht abzuwerfen.
Charly war im Alter von acht Jahren physisch wie psychisch so am Ende, dass ihn dieser Springreiter wieder verkaufte. Charly verweigerte jedes Hindernis bereits einige Meter davor, war körperlich so ausgebeutet worden, dass er schon in seinen jungen Jahren an Spat (eine Abnützungserscheinung der Sprunggelenke, bei der die vielen kleinen Zwischengelenke miteinander sehr schmerzhaft verknorpeln) erkrankte und war psychisch so traumatisiert, dass er am ganzen Körper zitterte, wenn man nur seine Box betrat. Und in genau diesen Charly verliebte sich der stets elegant gekleidete, grauhaarige Mann, der ihn freikaufte. Alle, sein Tierarzt, sein Sohn und Freunde, hatten ihm damals von diesem Kauf abgeraten. „Da kaufst du dir eine tickende Zeitbombe“ und vieles mehr waren die warnenden Worte, denen er sich zur Wehr setzte. Er wollte genau dieses Pferd und kein anderes. Auch an dieser Stelle kann ich nicht in Worte fassen, wie unendlich dankbar und glücklich ich über diese, gegen jede Vernunft gerichtete Entscheidung bin.
Charlys Besitzer erzählte mir damals sehr stolz, dass er im ersten Jahr mit ihm nur an der Hand spazieren war, damit Charly wieder Vertrauen zum Menschen finden konnte. Er hatte somit die Möglichkeit, psychisch wie auch physisch wieder zu heilen. Dieses Jahr der Regeneration war unglaublich wertvoll und heute weiß ich, dass es zu einem großen Teil dazu beigetragen hat, dass es Charly so gut ging.
Die Angst vor Berührungen am Kopf war sehr groß und es dauerte ganze sieben Jahre, bis er sich von mir am Kopf streicheln und putzen ließ, ohne zu zucken, und er es sogar genossen hat. Das Vertrauen dieses Pferdes musste man sich eindeutig verdienen und trotzdem passte er bereits beim ersten Probereiten so umsichtig auf mich auf.
Ich erinnere mich noch gut an zwei unserer ersten Reitstunden, die mich fortan prägten und mich lehrten, wie tief ein Trauma sitzen kann. In einer Stunde ritt ich mit Gerte, wobei ich sie nur in der Hand hielt. Meine Reitlehrerin wollte, dass ich angaloppiere und es hat aus irgendeinem Grund nicht funktioniert. Daraufhin sagte sie, ich solle ihm einen leichten Klaps mit der Gerte geben und ich tat es. Charly riss panisch die Augen auf, streckte Hals und Kopf in die Höhe und galoppierte wie wild los. Vor lauter Schreck, dass ich meinem geliebten Mitreitpferd soeben Schmerzen zugefügt hatte, ließ ich die Gerte fallen und schwor mir fortan, nie wieder mit einer Gerte in der Hand auf dieses Pferd zu steigen. Wir haben dann oft in der Box geübt, dass ich ihn am ganzen Körper mit der Gerte streichelte und er dabei Karotten und andere Leckereien bekam, aber die Angst saß tief und blieb.
In einer anderen Reitstunde – es war das Springtraining – wollte ich unbedingt mitmachen und der Besitzer erlaubte auch, bis zu einer gewissen Höhe mitzuspringen. Soweit ich mich erinnere, waren es nicht ganz 80 Zentimeter, für ein Pferd seiner Größe eigentlich kein Problem.
Nach vorsichtigem und ausgiebigem Aufwärmen ging es an die Sprünge. Zuerst nur ein niedriges Cavaletti, das Charly mit Bravur meisterte – ich merkte, ich reite einen Profi, der gerlernt hatte, wie ein Pferd zu springen hat. Anschließend galoppierten wir auf eine kleine Kombination hin, zuerst ein Kreuz- danach ein Steilsprung. Charly fixierte das erste Hindernis und sprang im flüssigen Galopp darüber. Danach allerdings blieb er abrupt stehen und verweigerte den Steilsprung. Ich war gerade dabei, mich wieder in den Sattel zu setzen und wollte umdrehen, um die Kombination noch einmal anzureiten. Niemand in der Halle hat ihn gemaßregelt oder wurde laut. Doch dann, ganz plötzlich – ich hatte mich schon nach rechts gedreht – sprang er aus heiterem Himmel aus dem Stand über das Hindernis. Zuschauern zufolge hat er das Hindernis um das Doppelte übersprungen. Ich war darauf nicht gefasst, hob aus dem Sattel ab und schaffte es irgendwie doch, wieder auf seinem Rücken zu landen. Ich sah dieselbe Angst in seinen Augen, die ich auch bei meinem Einsatz der Gerte gesehen hatte. Er hatte panische Angst, wieder geschlagen zu werden. Ich werde diesen Gesichtsausdruck nie vergessen: die Augen weit geöffnet, die Nüstern angezogen, der Hals stark verspannt und er galoppierte nervös unter mir. Da wusste ich, ich werde nicht nur nie wieder mit Gerte reiten, sondern auch nie wieder mit ihm springen! Er hat mir so leid getan und ich hatte wirklich Angst, dass er sich verletzt hatte. Ich versuchte, ihn wieder zu beruhigen und ging in den Schritt über. Wir sind dann noch ein wenig weiter geritten, aber gesprungen sind wir nicht mehr. Nach dem Training bin ich immer gern abgestiegen und habe ihn noch im Schritt geführt. Ich hatte damals schon das Gefühl, dass ihm das eigentlich am meisten Freude macht.
Nachdem ich von seiner traumatischen Vergangenheit erfahren hatte – hätte ihn der Springreiter nicht verkaufen können, hätte Charly zum Pferdeschlachter kommen sollen – begann ich, sein stolzes und edles Auftreten aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Charly war ein Pferd mit imposanter Ausstrahlung und er wusste, wie er diesen Schein wahren konnte. Tief im Herzen jedoch war er eine geschundene Seele, die auf Liebe und Heilung wartete.
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Wie bereits erwähnt, setzte ich mir immer pflichtbewusst den Reithelm auf, bevor ich aufs Pferd stieg. So wurde es mir, wie auch allen anderen Reitschülern, beigebracht und ohne hätte ich mich auch nicht wohl gefühlt, dachte ich zumindest.
Wenn ich nach dem Reiten abstieg und Charly und ich noch spazieren gingen, in der Reithalle oder am Reitplatz, habe ich nicht nur den Sattelgurt für Charly gelockert sondern auch meinen Reithelm geöffnet, das war einfach viel angenehmer. Ich habe es genossen, wenn Charly frei hinter mir gelaufen ist und jede Bewegung von mir verfolgte, auf Schritt und Tritt. Das zelebrierten wir bereits im ersten Reitstall und da passierte es auch, dass er mir beim Spazierengehen immer wieder den Helm vorsichtig heruntergestupst hat. In seinen Augen konnte ich sehen, dass er mir sagen wollte, dass ich den Helm nicht brauche und ihm vertrauen könne. Natürlich ritt ich weiterhin mit Helm, aber immer wieder hat er versucht, mir den Helm nach dem Reiten abzusetzen.
Eines Tages wollte ich Charly nur am großen Dressurviereck longieren. Meine Mutter und ein Bekannter waren auch dabei und machten Fotos. Charly war sehr aufmerksam und sensibel in Bezug auf die Körpersprache, sodass ich nur sehr wenig Einsatz brauchte, um ihm zu mitzuteilen, was ich gern von ihm hätte.
Anschließend konnte ich es nicht lassen und wollte unbedingt noch auf seinen Rücken. Es war das erste Mal, dass ich ihn ohne Sattel ritt. Meine Mutter half mir aufzusteigen und ich ritt los. Ich fühlte mich sehr verbunden mit Charly und habe seine schwungvollen und raumgreifenden Bewegungen im Schritt und Trab genossen. Meine Mutter fotografierte weiterhin sehr stolz – ihre Tochter ohne Sattel am Pferd! Es entstanden noch wunderschöne Fotos im Galopp und es war ein großartiges Gefühl, ohne Sattel zu reiten. Ich blieb stehen, wollte noch für ein weiteres tolles Foto posieren, da riss meine Mutter plötzlich die Augen weit auf und sagte stotternd: „Kind, steig sofort ab, du hast keinen Helm auf!“
Es war alles so harmonisch, so friedlich und so vertrauensvoll, dass keiner von uns bemerkte, dass ich nicht nur zum ersten Mal ohne Sattel sondern auch gleich ohne Helm geritten war. Ich erinnere mich heute noch an das Gefühl, und ich würde es genau so wieder tun.
Es ist definitiv keine Empfehlung, ohne Helm zu reiten. Ist das gegenseitige Vertrauen allerdings da und herrscht eine harmonische Beziehung, kann es passieren, dass man vor lauter Glücksgefühlen auf diese Schutzvorkehrung vergisst.
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Bereits einige Monate nach dem Beginn unserer Zusammenarbeit mussten wir den Reitstall wechseln. In unserem Heimatstall gab es finanzielle Probleme, die sich auch dadurch zeigten, dass die Pferde nicht mehr regelmäßig gefüttert wurden oder der Pferdepfleger einmal seinen Dienst nicht antrat. Eine Zeitlang versuchten wir, das mit eigenem Zusatzfutter zu überbrücken, aber es kam der Zeitpunkt, an dem es nicht mehr tragbar war. Ich erinnere mich noch genau daran, dass ich während der kritischen Entscheidungsphase mit meiner Schulklasse auf Schullandwoche war. Ich weiß noch, dass ich eines Tages den Anruf von meiner Mutter bekommen habe, dass Charly in den neuen Stall übersiedelt wird. Ich war geschockt und traurig, weil ich bei diesem wichtigen Ereignis so gern dabei gewesen wäre. Von der Schullandwoche wieder zu Hause angekommen war der erste Weg natürlich zu Charly. Er hatte nun eine Außenbox mit Blick ins, teilweise, Grüne und nur einen Nachbarn, weil seine Box die letzte in der Reihe war. Ich merkte sofort, dass etwas anders war. Ich fragte, warum er plötzlich auf Stroh statt auf den gewöhnten Sägespänen steht, warum er Müsli statt Pellets bekommt und ob es denn so gut wäre, wenn er gleich den halben Tag auf eine äußerst üppige Graskoppel darf, wo er in seinem alten Stall doch nur kurzes, trockenes Gras gewohnt war? Mir war schon klar, dass ich nicht allwissend war, aber man hatte mir zu dem Zeitpunkt bereits sehr eindringlich gesagt, dass Futterumstellungen stets langsam und vorsichtig vonstattengehen sollen. Die Stallbesitzerin im neuen Reitstall sah das anders und meinte, eine abruptere Umstellung könne kein großes Problem sein. Charlys Besitzer schloss sich dieser Entscheidung an, war die Stallbesitzerin doch weitaus erfahrener als seine neue, junge Mitreiterin.
Es dauerte keine zwei Wochen bis ich eines Tages in den Stall kam und Charly krank war. Ich sah, er hatte Schmerzen. Sofort kontrollierte ich die Box, aber ich konnte keinen Misthaufen finden. Ich rief sofort meine Mutter zur Hilfe. Sie telefonierte endlos lang, bis endlich ein Tierarzt Zeit hatte und kommen konnte. In der Zwischenzeit ging ich mit Charly spazieren; jeder einzelne Schritt schmerzte ihn. Man sah es in seinen Augen und erkannte es an den verkrampften, langsamen Bewegungen, aber er war tapfer und ging, wenn auch langsam, weiter. Immer wieder blieben wir stehen und ich streichelte seinen Kopf, versicherte ihm, dass es ihm bald besser gehen wird. Die Diagnose: Verstopfungskolik – Ursache: zu schnelle Futterumstellung. Im Nachhinein gab die Stallbesitzerin an, dass sie das Futter bei ihren eigenen Pferden nie so schnell umgestellt hätte und ich war sehr wütend, als ich das hörte. Charly erholte sich von der Kolik zum Glück wieder sehr schnell. Nun wurde auch ich endlich erhört und gewisse Futterbelange wurden umgestellt.