Friedrich Heinrich Jacobi: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Friedrich Heinrich Jacobi (Kopie von Karl Wingender nach einem Gemälde unbekannter Herkunft)
ISBN 978-3-7437-1668-1
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-7437-1632-2 (Broschiert)
ISBN 978-3-7437-1633-9 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck: Breslau (Löwe) 1785. Der Text folgt der zweiten, vermehrten Ausgabe von 1789 in der Edition Fritz Mauthners (1912), der einige ihm überflüssig scheinende Beilagen Jacobis fortließ. Wesentliche Abweichungen der ersten Auflage werden in den Fußnoten wiedergegeben.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Jacobis Spinoza-Büchlein nebst Replik und Duplik. Herausgegeben von Fritz Mauthner, München: Georg Müller, 1912 [Bibliothek der Philosophen, Band 2].
Dieses Buch folgt in Rechtschreibung und Zeichensetzung obiger Textgrundlage.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
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J'ai trouvé que la plûpart des sectes ont
raison dans une bonne partie de ce qu'elles avancent,
mais non pas tant en ce qu'elles nient.
Leibniz.
Eine vertraute Freundin von Lessing,1 welche durch ihn auch die meinige wurde, schrieb mir im Februar des Jahres 1783, dass sie im Begriff sei, eine Reise nach Berlin zu unternehmen, und fragte mich, ob ich Aufträge dahin hätte.[52]
Aus Berlin schrieb mir meine Freundin wieder. Ihr Brief handelte hauptsächlich von Mendelssohn, »diesem echten Verehrer und Freund unseres Lessings.« Sie meldete mir, dass sie über den Verewigten und auch über mich Geringen viel mit Mendelssohn gesprochen hätte, welcher nun endlich daran sei, sein längst verheissenes Werk über Lessings Charakter und Schriften vorzunehmen.2[53]
Verschiedene Hindernisse machten es mir unmöglich, gleich auf diesen Brief zu antworten, und der Aufenthalt meiner Freundin in Berlin war nur von wenigen Wochen.
Da sie wieder zu Hause war, schrieb ich ihr, und erkundigte mich, wieviel oder wenig Mendelssohn von Lessings religiösen Gesinnungen bekannt geworden wäre. – Lessing sei ein Spinozist gewesen.3[54]
Gegen mich hatte Lessing über diesen Gegenstand ohne alle Zurückhaltung sich geäussert; und da er überhaupt nicht geneigt war, seine Meinungen zu verhehlen, so durfte ich vermuten, was ich von ihm wusste, sei mehreren bekannt geworden. Dass er selbst aber gegen Mendelssohn sich hierüber nie deutlich erkläret hatte, dieses wurde mir auf folgende Weise bekannt.
Nachdem ich Lessingen im Jahre 1779 einen Besuch auf den folgenden Sommer versprochen hatte, meldete ich ihm in einem Briefe vom ersten Juni 1780 meine[55] baldige Erscheinung, und lud ihn zugleich ein, mich nachher auf einer Reise zu begleiten, die uns nach Berlin führen sollte. Lessing antwortete in Absicht der Reise, dass wir die Sache zu Wolfenbüttel miteinander überlegen wollten.4 Als ich dahin kam, fanden sich wichtige Hindernisse. Lessing wollte mich überreden, ohne ihn nach Berlin zu reisen, und wurde alle Tage dringender. Sein Hauptbewegungsgrund war Mendelssohn, den er unter seinen Freunden am höchsten schätzte. Er wünschte sehnlich, dass ich ihn möchte persönlich kennen lernen. In einer solchen Unterredung äusserte ich einmal meine Verwunderung darüber, dass ein Mann von so hellem und richtigem Verstande, wie Mendelssohn, sich des Beweises von dem Dasein Gottes aus der Idee so eifrig, wie es in seiner Abhandlung von der Evidenz geschehen wäre, hätte annehmen können; und Lessings Entschuldigungen[56] führten mich geradezu auf die Frage: ob er sein eigenes System nie gegen Mendelssohn behauptet hätte? »Nie«, antwortete Lessing ... »Einmal nur sagte ich ihm ohngefähr eben das, was ihnen in der Erziehung des Menschengeschlechts (§ 73) aufgefallen ist. Wir wurden nicht miteinander fertig, und ich liess es dabei.«
Also, die Wahrscheinlichkeit von der einen Seite, dass mehrere von Lessings Spinozismus unterrichtet wären; und die Gewissheit von der andern, dass Mendelssohn davon nichts Zuverlässiges bekannt geworden sei, bewogen mich, letzterem einen Wink darüber zu verschaffen.5
Meine Freundin fasste meine Idee vollkommen; die Sache schien ihr äusserst wichtig, und sie schrieb den Augenblick an Mendelssohn, um demselben, was ich ihr entdeckt hatte, zu offenbaren.
Die Antwort, die ich hierauf von Emilien erhielt, will ich ganz hier einrücken.
* * den 1. September 1783.6
»Ich habe Mendelssohns Antwort abwarten wollen, liebster Jacobi, ehe ich Ihnen wieder schriebe. Hier ist sie.[57]
Mendelssohn wünscht bestimmt zu wissen, wie Lessing die bewussten Gesinnungen geäussert habe. Ob er mit trockenen Worten gesagt: ich halte das System des Spinoza für wahr und gegründet? Und welches? Das im Tractatu Theologico Politico, oder das in den Principiis Philosophiae Cartesianae vorgetragene, oder dasjenige, welches Ludovicus Mayer nach dem Tode des Spinoza in seinem Namen bekannt machte? Und wenn zu dem allgemein dafür bekannten atheistischen System des Spinoza, so fragt er weiter: ob Lessing das System so genommen, wie es Bayle missverstanden, oder wie andre es besser erklärt haben? und setzet hinzu: Wenn Lessing imstande war, sich so schlechtweg, ohne alle nähere Bestimmung, zu dem System irgendeines Mannes zu verstehen, so war er zu der Zeit nicht mehr bei sich selbst, oder in seiner sonderbaren Laune, etwas Paradoxes zu behaupten, das er in einer ernsthaften Stunde selbst wieder verwarf.«
Hat aber Lessing etwa gesagt, fährt Mendelssohn fort: Lieber Bruder! Der so sehr verschriene Spinoza mag wohl in manchen Stücken weiter gesehen haben, als alle die Schreier, die an ihm zu Helden geworden sind; in seiner Ethik insbesondere sind vortreffliche Sachen enthalten, vielleicht bessere Sachen, als in mancher orthodoxen Moral, oder in manchem Compendio der Weltweisheit; sein System ist so ungereimt nicht, als man glaubt: – Ei nun, so lässt sichs Mendelssohn gefallen.
Er beschliesst mit dem Wunsche, dass Sie die Güte haben möchten, das Bestimmte hierüber ausführlich zu berichten; nämlich: was, wie, und bei welcher Gelegenheit sich Lessing über diese Sache geäussert habe; da er (Mendelssohn) fest von Ihnen überzeugt[58] sei, dass Sie sowohl Lessingen ganz verstanden, als von einer so wichtigen Unterredung jeden Umstand im Gedächtniss behalten haben werden.
Sobald dieses geschehen, wird Mendelssohn allerdings in dem, was er über Lessings Charakter etwa noch zu schreiben willens ist, davon Erwähnung tun. Denn, sagt er, auch unseres besten Freundes Name soll bei der Nachwelt nicht mehr und nicht weniger glänzen, als er es verdient. Die Wahrheit kann auch hier nur gewinnen. Sind seine Gründe seichte, so dienen sie zu ihrem (der Wahrheit) Triumphe; sind sie aber gefährlich, so mag die gute Dame für ihre Verteidigung sorgen. Überhaupt, fügt er hinzu: setze ich mich, wann ich über Lessings Charakter schreibe, ein halbes Jahrhundert weiter hinaus, wo alle Parteilichkeiten aufgehört haben, alle unsere jetzigen Trakasserien vergessen sein werden.
Sehen Sie, liebster Jacobi, dies ist das Resultat Ihrer mitgeteilten Nachricht, die ich unmöglich Mendelssohn verschweigen konnte, und wovon das weitere mitzuteilen auch Sie nicht gereuen darf. Denn was würden Sie gesagt haben, wenn einmal Mendelssohn mit dem, was er über Lessings Charakter zu sagen denkt, zum Vorschein käme, und von ähnlichen wichtigen Sachen stände nichts darin? Sie hätten es sich alsdann zum Vorwurfe machen müssen, die Sache der Wahrheit (denn die ist es am Ende mehr als unseres Freundes) verstümmelt zu haben. Wie mir übrigens dabei zumute ist, ob Ihre Aussage so oder so ausfalle, – das gehört nicht hierher u.s.w.«
Ich hatte nicht das mindeste Bedenken, dieser Aufforderung zu folgen, und liess den vierten November folgenden Brief an Mendelssohn, unter einem Umschlage[59] an meine Freundin, unversiegelt abgehen.7 Damit er sein Urkundliches behalte, will ich ihn, von der ersten Zeile bis zur letzten, unverändert abdrucken lassen.
Pempelfort bei Düsseldorf, den
4. November 1783.
Sie wünschen wegen gewisser Meinungen, die ich in einem Briefe an ****** dem verewigten Lessing zugeschrieben habe, das Genauere von mir zu erfahren; und da scheint es mir am besten, mich mit dem, was ich davon mitzuteilen fähig bin, an Sie unmittelbar zu wenden.
Es gehört zur Sache, wenigstens zu ihrem Vortrage, dass ich einiges mich selbst betreffendes vorausschicke. Und indem ich Sie dadurch in eine etwas nähere Bekanntschaft[60] mit mir setze, werde ich mehr Mut gewinnen, alles frei herauszusagen; und vielleicht vergessen, was mich sorgsam oder schüchtern machen will.
Ich ging noch im polnischen Rocke, da ich schon anfing, mich über Dinge einer andern Welt zu ängstigen. Mein kindischer Tiefsinn brachte mich im achten oder neunten Jahre zu gewissen sonderbaren – Ansichten (ich weiss es anders nicht zu nennen), die mir bis auf diese Stunde ankleben. Die Sehnsucht, in Absicht der besseren Erwartungen des Menschen zur Gewissheit zu gelangen, nahm mit den Jahren zu, und sie ist der Hauptfaden geworden, an den sich meine übrigen Schicksale knüpfen mussten. Ursprüngliche Gemütsart, und die Erziehung, welche ich erhielt, vereinigten sich, mich in einem billigen Misstrauen gegen mich selbst, und nur zu lange in einer desto grössern Erwartung von dem, was andre leisten könnten, zu erhalten. Ich kam nach Genf, wo ich vortreffliche Männer fand, die sich mit grossmütiger Liebe, mit wirklicher Vatertreue meiner annahmen. Andere von gleichem, viele von noch grösserem Rufe, die ich später kennen lernte, verschafften mir nicht die Vorteile, die ich von jenen genossen hatte; und ich musste mich von mehr als einem unter diesen zuletzt mit Verdruss und Reue über eingebüsste Zeit und verschwendete Kräfte zurückziehen. Diese und noch andere Erfahrungen stimmten mich allmählich zu mir selbst mehr herab; ich lernte meine eigenen Kräfte sammeln und zu Rate halten.
Wenn es zu allen Zeiten nur wenige Menschen gegeben hat, die mit innerlichem Ernste nach der Wahrheit rangen, so hat sich dagegen auch die Wahrheit[61] jedem unter diesen wenigen auf irgendeine Weise mitgeteilt. Ich entdeckte diese Spur; verfolgte sie unter Lebendigen und Toten; und wurde je länger je inniger gewahr: dass echter Tiefsinn eine gemeinschaftliche Richtung hat, wie die Schwerkraft in den Körpern; welche Richtung aber, da sie von verschiedenen Punkten der Peripherie ausgeht, ebensowenig parallele Linien geben kann, als solche, die sich kreuzen. Mit dem Scharfsinne, welchen ich den Sehnen des Zirkels vergleichen möchte, und der oft für Tiefsinn gehalten wird, weil er tiefsinnig über Form und Äusserliches ist, verhält es sich nicht ebenso. Hier durchschneiden sich die Linien, soviel man will, und sind zuweilen auch einander parallel. Eine Sehne kann so nah am Durchmesser herlaufen, dass man sie für den Durchmesser selbst ansieht; sie durchschneidet aber dann nur eine grössere Menge Radii, ohne aufzuhören, eine Sehne zu sein.
Verzeihen Sie mir, Verehrungswürdigster, diesen Bilderkram. – Ich komme zu Lessing.
Immer hatte ich den grossen Mann verehrt; aber die Begierde, näher mit ihm bekannt zu werden, hatte sich erst seit seinen theologischen Streitigkeiten, und nachdem ich die Parabel gelesen hatte, lebhafter in mir geregt. Mein günstiges Schicksal gab, dass ihn Allwills Papiere interessierten; dass er mir, erst durch Reisende, manche freundliche Botschaft sandte, und endlich, im Jahre 1779, an mich schrieb. Ich antwortete ihm, dass ich im folgenden Frühjahr eine Reise vorhätte, die mich über Wolfenbüttel führen sollte, wo ich mich sehnte, in ihm die Geister mehrerer[62] Weisen zu beschwören, die ich über gewisse Dinge nicht zur Sprache bringen könnte.8
Meine Reise kam zustande, und den 5. Julius nachmittags hielt ich Lessing zum erstenmal in meinen Armen.
Wir sprachen noch an demselbigen Tage über viele wichtige Dinge; auch von Personen, moralischen und unmoralischen, Atheisten, Theisten und Christen.
Den folgenden Morgen kam Lessing in mein Zimmer, da ich mit einigen Briefen, die ich zu schreiben hatte, noch nicht fertig war. Ich reichte ihm Verschiedenes aus meiner Brieftasche, dass er unterdessen sich die Zeit damit vertriebe. Beim Zurückgeben fragte er: ob ich nicht noch mehr hätte, das er lesen dürfte. »Doch!« sagte ich (ich war im Begriff zu siegeln): »hier ist noch ein Gedicht; – Sie haben so manches Ärgernis gegeben, so mögen Sie auch wohl einmal eins nehmen.«9
[63] Lessing. (Nachdem er das Gedicht gelesen, und indem er mir's zurückgab.) Ich habe kein Ärgernis genommen; ich habe das schon lange aus der ersten Hand. Ich. Sie kennen das Gedicht? Lessing. Das[64] Gedicht hab' ich nie gelesen; aber ich find es gut. Ich. In seiner Art, ich auch; sonst hätte ich es Ihnen nicht gezeigt. Lessing. Ich mein es anders ... Der Gesichtspunkt, aus welchem das Gedicht genommen ist, das ist mein eigener Gesichtspunkt ... Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht geniessen. Έν και Παν! Ich weiss[65] nichts anders. Dahin geht auch dies Gedicht; und ich muss bekennen, es gefällt mir sehr. Ich. Da wären Sie ja mit Spinoza ziemlich einverstanden. Lessing. Wenn ich mich nach jemand nennen soll, so weiss ich keinen andern. Ich. Spinoza ist mir gut genug: aber doch ein schlechtes Heil, das wir in seinem Namen finden! Lessing. Ja! Wenn Sie wollen! ... Und doch ... Wissen Sie etwas Besseres? ...
Der dessauische Direktor Wolke war unterdessen hereingetreten, und wir gingen zusammen auf die Bibliothek.
Den folgenden Morgen, als ich nach dem Frühstück in mein Zimmer zurückgekehrt war, um mich anzukleiden, kam mir Lessing über eine Weile nach. Ich sass unter dem Frisieren, und Lessing lagerte sich unterdessen am Ende des Zimmers stille an einen Tisch hin. Sobald wir allein waren, und ich mich an die andre Seite des Tisches, worauf Lessing gestützt war, niedergelassen hatte, hub er an: Ich bin gekommen, über mein Έν και Παν mit Ihnen zu reden. Sie erschraken gestern. Ich. Sie überraschten mich, und ich fühlte meine Verwirrung. Schrecken war es nicht. Freilich war es gegen meine Vermutung, an Ihnen einen Spinozisten oder Pantheisten zu finden; und noch weit mehr dagegen, dass Sie mir es gleich und so blank und bar hinlegen würden. Ich war grossenteils gekommen, um von Ihnen Hilfe gegen den Spinoza zu erhalten. Lessing. Also kennen Sie ihn doch? Ich. Ich glaube ihn zu kennen, wie nur sehr wenige ihn gekannt haben mögen. Lessing. Dann ist Ihnen nicht zu helfen. Werden Sie lieber ganz sein[66] Freund. Es gibt keine andre Philosophie, als die Philosophie des Spinoza. Ich. Das mag wahr sein. Denn der Determinist, wenn er bündig sein will, muss zum Fatalisten werden: hernach gibt sich das übrige von selbst. Lessing. Ich merke, wir verstehen uns. Desto begieriger bin ich, von Ihnen zu hören: was Sie für den Geist des Spinozismus halten; ich meine den, der in Spinoza selbst gefahren war. Ich. Das ist wohl kein anderer gewesen, als das Uralte: a nihilo nihil fit; welches Spinoza, nach abgezogenem Begriffen, als die philosophierenden Kabbalisten und andre vor ihm, in Betrachtung zog. Nach diesen abgezogenem Begriffen fand er, dass durch ein jedes Entstehen im Unendlichen, mit was für Bildern oder Worten man ihm auch zu helfen suche, durch einen jeden Wechsel in demselben, ein Etwas aus dem Nichts gesetzt werde. Er verwarf also jeden Übergang des Unendlichen zum Endlichen! überhaupt alle Causas transitorias, secundarias oder remotas; und setzte an die Stelle des emanierenden ein nur immanentes Ensoph; eine innewohnende, ewig in sich unveränderliche Ursache der Welt, welche mit allen ihren Folgen zusammengenommen – eins und dasselbe wäre. ...10[67]
Diese innewohnende unendliche Ursache hat als solche, explicite, weder Verstand noch Willen: weil sie, ihrer transzendentalen Einheit und durchgängigen absoluten Unendlichkeit zufolge, keinen Gegenstand des Denkens und des Wollens haben kann; und ein Vermögen einen Begriff vor dem Begriffe hervorzubringen, oder einen Begriff, der vor seinem Gegenstande und die vollständige Ursache seiner selbst wäre, sowie auch ein Wille, der das Wollen wirkte und durchaus sich selbst bestimmte, lauter ungereimte Dinge sind ...
... Der Einwurf, dass eine unendliche Reihe von Wirkungen unmöglich sei (blosse Wirkungen sind es nicht, weil die innewohnende Ursache immer und überall ist), widerlegt sich selbst, weil jede Reihe, die nicht aus nichts entspringen soll, schlechterdings eine unendliche sein muss. Und daraus folgt denn wieder, da jeder einzelne Begriff aus einem andern einzelnen Begriffe entspringen, und sich auf einen wirklich vorhandenen Gegenstand unmittelbar beziehen muss: dass in der ersten Ursache, die unendlicher Natur ist, weder einzelne Gedanken, noch einzelne Bestimmungen des Willens angetroffen werden können; – sondern nur der innere, erste, allgemeine Urstoff derselben ... Die erste Ursache kann ebensowenig nach Absichten oder Endursachen handeln, als sie selbst um einer gewissen Absicht oder Endursache willen da ist; ebensowenig einen Anfangsgrund oder Endzweck haben etwas zu verrichten, als in ihr selbst Anfang oder Ende ist ... Im Grunde aber ist, was wir Folge oder Dauer nennen, blosser Wahn; denn da die reelle Wirkung mit ihrer vollständigen reellen Ursache zugleich, und allein der Vorstellung nach von ihr verschieden[68] ist: so muss Folge und Dauer, nach der Wahrheit, nur eine gewisse Art und Weise sein, das Mannigfaltige in dem Unendlichen anzuschauen.