Impressum
© 2017 Suzanne Jancke-Vent, Reinhard Jancke
Gestaltung: Suzanne Jancke-Vent
www.jancke-vent.de
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Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher
Genehmigung von Suzanne Jancke-Vent
Abbildungen:
Alle Aufnahmen stammen aus Familienbesitz
Mit Ausnahme von: Seite → unten, Seite →:
Klaus Niermann, Fotograf
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7448-2384-5
»Paula«: das ist meine Oma Paula, und derjenige der diesen »charmanten« Satz zu ihr gesagt hat, war mein Opa Kurt. Ganz in der Nähe übrigens, in der Bartholomäus-Therme hier in Barmbek, bzw. Winterhude. Ich wohne, nach langer Abwesenheit auch wieder in Winterhude, wie ein Großteil meiner Familie väterlicherseits es seit Jahrzehnten tut.
Meine Oma war ein großes Kommunikationstalent, wie man heute sagen würde, gesellig, gut gelaunt und optimistisch. Genau wie mein Papa übrigens, der unsere Familien- und Firmengeschichte, auf den Aufzeichnungen meiner Oma basierend, vor ein paar Jahren ganz altmodisch mit der Schreibmaschine niederschrieb. Auf seine typische Art, authentisch und urhamburgisch. Es waren turbulente Zeiten, die er hier beschreibt. Die mit vielen Tränen und geschäftlichen Niederlagen einhergingen, jedoch mit Tatkraft, Fleiß und einem starken Glauben an das Gelingen gemeistert wurden.
Das war allerdings nicht nur in meiner Familie väterlicherseits der Fall sondern auch mütterlicherseits. Mein Opa Henry besaß das Talent, aus Dreck Geld zu machen. Mit Schnauze, Herz und guten Ideen kämpfte er, der – ebenso wie meine Oma Hilde – aus kleinsten Verhältnissen aus dem Schanzenviertel stammte, sich durchs Leben. Es ging also auch bei Oma Hilde und Opa Henry bergauf und bergab. Dort wo einst vierzig Jahre lang ihr Geschäft am Rande des Niendorfer Moores florierte, befindet sich heute die U-Bahnstation Niendorf-Nord. Es ist mir ein Herzensbedürfnis diese Geschichte auch zu erzählen. Viel Vergnügen beim Lesen eines kleines Stückchens Hamburg-Geschichte anhand zweier Familien.
Da wir keinen Stammbaum haben, kein Familienwappen und auch nicht von Adel sind, muss ich etwas im Nebel stochern.
Da sind erstens die »Janckes«. Den alten Opa Max, Papas Vater, soll ich noch gekannt haben. Buchbinder. Schlimmer kann es nicht kommen. Das sind die Leute, die Seite auf Seite legen, kein Eselsohr und keinen Fettfleck dulden. Pedantisch, streng und humorlos. Die fünf Kinder, Karl, August, Emil, Kurt und Gertrud mussten Herr Vater sagen und beim Essen noch stehen. Hat Papa jedenfalls behauptet. August wurde Druckereidirektor in Finnland, Karl war Lektor bei Langenscheidt in Berlin, Emil fiel vom Dach, Gertrud weiß ich nicht, und Papa, der Jüngste, hintereinander: Buchbinder, Eisenkrämer, selbstständiger Ölkaufmann, unselbständiger Waldarbeiter, Arbeitsloser, wie damals sechs Millionen Deutsche. Dann mal bei der Hammonia Kerzenfabrik und bei den Fischölwerken Wesermünde. Wenn er am Wochenende zu seiner Freundin Paula nach Hamburg fuhr, hatte er immer ein Abteil für sich alleine. Hat er gesagt.
Zweitens die »Appels«: Unser Opa Willy Appel – Klempnermeister – Ehren- und Obermeister, ist mein Liebling. Klempnerlehrling und Geselle. Im ersten Weltkrieg in den Karpaten verwundet. Mit Ernst Thälmann die Schalmei geblasen und sich mit den »Braunen Horden« gekloppt. Ein Kommunist der ersten Stunde, natürlich aus Barmbek, wohnte damals in der Schmalenbeckerstraße. Vorsitzender von diversen Vereinen, 1905 Mitbegründer des Fußballvereins Helios Lloyd am Lübeckertorfeld. Immer gut gelaunt, großzügig, unternehmungslustig, möglicherweise meiner Oma Olga nicht immer ganz treu.
Drittens die »Bereiters«. Uropa Georg Bereiter kam aus Ungarn. Damit haben wir Paprika, Tokajer und Csárdás. War Maler, Dekorateur und Polsterer. Heute nennt man das Innenausstatter. Hatte neun Kinder, die so exotische Namen trugen wie Olga, Paula, Lene, Lisbeth, Mariechen, Dora, Anna, Toni und Georg. Besagte Olga traf dann auf den temperamentvollen Klempner Willy Appel. Die beiden hatten zwei Töchter: unsere Mutter Paula und ihre Schwester Edith. Die Wochenenden verbrachte man häufig auf dem Fußballplatz von Helios-Lloyd. Die Familie Appel zog 1927 in die Semperstraße, die Mädchen kamen auf die Schule Vossberg am Grasweg. Mein Mutter Paula hatte dort bei Herrn Rudolf Möller Unterricht. Wie ihre schulischen Leistungen waren, ist nicht bekannt, sie war eher eine sportliche und sehr selbstbewusste Frohnatur, die gern flirtete. Und sie liebte das Wasser, war eine begeisterte Schwimmerin und nahm an vielen Wettkämpfen teil. Möglicherweise traf sie dort auf ihre große Liebe:
Kurt Jancke traf die 17-jährige Paula Appel im Hallenbad Bartholomäusstraße. Papa, fast 10 Jahre älter, wollte Muttis Namen wissen. Den mochte sie nicht. »Nun ja«, platzte Papa raus, »Sie werden ja nicht gerade Paula heißen«. Das muss beide zum Lachen gebracht haben, denn man kam sich näher, sehr nahe sogar. Mutti war damals Lehrling bei der Maihak AG – Laborgeräte in der Semperstraße und ging mittags immer nach Hause zum Essen. Einmal wollte sie weder essen noch sprechen, nur weinen. »Ist was mit Kurt Jancke?«, wollte Oma wissen. Paula: »Nein« – Oma: »was dann?« – Schweigen. »Bist du etwa ....?« Oma fiel in Ohnmacht und auf den Küchenfußboden. Opa erweckte Sie mit einem Wasserguss wieder zum Leben.
»Den Kurt Jancke bringe ich um« verkündete Opa und rief bei den Fischölwerken Wesermünde an. »Herr Jancke, ich möchte Sie heute Abend sprechen, 8 Uhr, da und da«. Abends machte sich Opa landfein und verließ mordbereit die Wohnung. Die Frauen weinten im Chor. Bis zwei Uhr morgens. Dann erschien Opa schweren Schrittes, nicht ganz nüchtern, und traf auf die trauernden Frauen. »Was ist denn hier los?«, »...Kurt Jancke?«, »... Der Junge ist in Ordnung und Skatspielen kann er auch!.« Das muss man Papa lassen. Ohne Wenn und Aber bot er die Ehe an.
Das muss im Mai 1934 gewesen sein. Paula und Kurt zogen in die Straße »Am Burggarten« in Hohenfelde, wo Ingrid am 10. März 1935 geboren wurde. Als mal zwei Mieten rückständig waren, flog man raus. Neue Wohnung in der Klosterallee, zwei Zimmer mit Küche, leider finster im Keller gelegen. Weil Ingrid oft weinte, legte man dem jungen Paar das Verlassen der Wohnung nahe. Neubeginn am Schlump in einer ziemlich fensterlosen Höhle. Papa arbeitete damals im Wald, in den dreißiger Jahren durchaus üblich. Mutti fand auf Fürsprache eines Bekannten eine Anstellung als Sekretärin bei der kleinen Schokoladenfabrik von Walter Brauns – Braunola Werk, wo Fettglasuren, Kuvertüre, Streusel usw. hergestellt wurden.
Und damit nahmen die Janckes erstmalig Einfluss auf die deutsche Süßwarenindustrie. Ein Vorgang der noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Die kleine Ingrid wurde morgens in die Arme von Oma gelegt und abends wieder abgeholt. Bis Oma und Opa umzogen und nicht mehr auf die Kleine aufpassen konnten. Schweren Herzens musste Mutti den Job aufgeben, empfahl aber ihren Ehemann, der Schreibmaschine, Steno, Buchführung und Englisch beherrschte. Papa wurde vorgeladen und für 50 Mark im Monat eingestellt. Nach vier Wochen bekam er schon 150 und nach einem halben Jahr 500 Mark. Das war viel, denn die neue Wohnung im Vorderhaus der Fabrik in der Hasselbrookstraße kostete gerade mal 50 Mark Miete. Hier wurde ich dann am 16. Mai 1938 geboren. Muttis Schwester Edith hatte inzwischen auch ihren Lothar Ringler, Spross einer Hamburger Kaufmannsfamilie, geheiratet. Beide Töchter waren unter der Haube. Opa wurde von einem Freund gefragt. Na Willy, wie sind denn deine Schwiegersöhne? Opas Gesicht wurde lang. »Der eine ist ein Nazischwein, das war Onkel Lothar, »der andere ist ein armes Schwein«, das war Papa.
Am Wochenende fuhren wir meist mit der Straßenbahn oder per Fahrrad nach Hamburg-Niendorf, im Norden Hamburgs, wo Urgroßvater Bereiter ein 10.000 qm großes Grundstück am Rande des Niendorfer Moores besaß. Das war damals eine gefühlte Weltreise entfernt. Papa und Opa hatten dort ein kleines Wochenendhäuschen aus Holz gebaut. Mit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurde diese Idylle jedoch schlagartig beendet.
Auch die Schokoladenfabrik Braunola spürte die Auswirkungen des Krieges: Anfangs durfte die Firma noch ein wenig produzieren, doch Ende 1939 wurde Papa eingezogen und zwischen Frankreich, Polen, Tschechien und später Russland hin- und hergeschoben. Zuerst war er bei der Luftwaffe – Bodenpersonal, später Unteroffizier und Zahlmeister bei den Pionieren. Papa sahen wir nur noch einmal im Jahr und hätten auch Onkel sagen können. 1942 begannen die Luftangriffe der Engländer auf Hamburg. Jetzt erfuhren wir das erste Mal, was Angst ist. Es kam vor, dass Mutti nicht zu Hause war, wenn die Sirenen gingen, zuerst Voralarm, jenes schaurige Heulen, was mir noch heute durch Mark um Bein geht. Dann Hauptalarm. Von Ferne bereits das Wummern der einschlagenden Bomben und das Knattern der Flak an den Bahnhöfen Landwehr und Hammerbrook. Und wenn dann Mutti endlich kam, hasteten wir die Treppen runter, über den Hof in den Keller, von dem Opa sagte, »das ist eine Todesfälle, da laufen alle Gas- und Wasserleitungen zusammen«. Ich kann mich noch erinnern, als wir einmal über den Hof liefen, wie die Scheinwerfer einen schweren Bomber über uns festhielten und die Flak ihre Leuchtspurgeschosse in den hin- und her torkelnden Bomber hineinjagte, bis dieser in einem Feuerball explodierte.