Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Prantl, Max
Der Mensch ohne Angst / Max Prantl
Herausgegeben und mit einem Anhang versehen
von Herbert Gah
Neuauflage der Erstausgabe im Univ.-Verl. Wagner, Innsbruck [1949]
© Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Innsbruck
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt.
ISBN: 9783744847193
Max Prantl war ein visionärer Mystiker, dessen Gesichte und Visionen den Inhalt seines Buches bestimmen. Nun mag der eine Leser die Begegnung mit Engeln, Geistgestalten und Dämonen für wichtig halten, ein anderer für unnötig und überflüssig. Entscheidend für dieses Buch ist, dass darin nicht jenseitige Landschaften und Beziehungen geschildert werden, sondern die polaren Kräfte unserer eigenen Seele.
Wir sind es, die im Mittelpunkt einer Erkenntnis stehen, die ebenso tiefenpsychologische Einsichten enthält wie ihren transzendenten Hintergrund. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie nun inspirativ oder intuitiv gewonnen wurden.
Prantl wählte als Gesprächspartner einen anonymen Freund [Dr. Paul Bargehr in Gallspach, d. Hg.], mit dem er über unser Sein und Denken diskutiert, über Gutes und Böses, Buddha und Christus, Materialismus, über Wesen und Bestimmung der Frau und anderes mehr. Aber wie er dies tut, ist ausgezeichnet. Es verrät tiefe Einsichten in die Psychologie unseres Denkens, in das Wesen unserer Spiritualität und in ein „Jenseits“, das in uns selbst liegt. Man merkt seinen Intuitus mysticus und lässt sich gerne von ihm führen.
Das Buch ist keine mediale Erzählung, sondern ein analytischer Tatbestand. Es enthält klare Aussagen über wesentliche Kräfte unserer Seele. Man wird es mit Gewinn lesen, auch wenn man kein Esoteriker oder Mystiker ist. Wer sich von Prantl durch die Polarität unserer Existenz führen lässt und der Spur seiner Mystik folgt, dem werden manche Ängste genommen werden, die aus der Widersprüchlichkeit unseres Daseins resultieren.
Dieses Buch entstand aus persönlichen Briefen an Dr. Paul Bargehr in G.
Ihm, meinem besten Freund, und meinen gütigen Freundinnen D. P. in I., D. P. in S., M. R. in G. und M. R. in I. widme ich dieses Buch. Ihnen allen verdanke ich Entscheidendes für meinen Weg.
In ihrem Namen sei es auch jedem meiner Leser und jeder meiner Leserinnen persönlich zugeeignet.
27.3.1949
M. P.
Gestern, am Sonntag, den ersten August 1948, geschah etwas so Unbegreifliches, dass es mir heute noch schwer fällt, es in Worte zu fassen. (Und doch fühle und erkenne ich, dass ich es tun soll, weil es nicht nur mich allein angeht.) Dir, meinem besten Freund, der mir für diesen Tag ein klarsehender und opferbereiter Helfer war, ein Arzt für meinen Tod und meine Wiedergeburt, will ich als erstem Menschen mitteilen, was ich von diesen Ereignissen schon verstehen kann.
Seit vielen Jahren ahnte ich, dass ich dicht vor dem Tore einer unfassbar gewaltigen neuen Welt stand. Aber ich konnte den Riegel nicht finden, der mir das Tor noch verschloss, denn ich war blind, blind vor Angst, wie ich heute weiß. Nun wurde ich sehend, nachdem ich alle Ängste, unbegründete und begründete, die ein Mensch empfinden kann, erlebt und von mir geworfen hatte. Ich wurde sehend, ich fand den Riegel und das Tor sprang auf, es wurde hell in mir und um mich, so unbegreiflich plötzlich, so niederschmetternd, als ob mitten in der Nacht die Sonne mit einem Donnerschlag über den Horizont geworfen würde.
Du weißt es: Diesem Sonnenfeuer gingen viele Jahre wegloser Finsternis im religiösen Bereich voraus.
In den letzten Monaten erlebte ich mich oft als körperfreies Wesen, als Wanderer im Unirdischen. Mehr als jemals stand ich mit guten und bösen Mächten in Verbindung. Allmählich lernte ich sie klarer hören und sehen. Dabei erfasste ich auch, was die „Unterscheidung der Geister“ bedeutet, die von der christlichen Lehre gefordert wird. Früher war ich viel zu unklar und vertrauensselig.
Ich konnte seitdem meine inneren Kräfte freimachen und ausstrahlen, ein blau-weißes blendendes Erzengelfeuer zum Kampf mit den teuflischen Mächten, und ein purpurviolettes (besser aber nenne ich es samtrot), das ich als „Strahlung des Friedens“ empfand. Heute, da es sich etwas gewandelt hat und heller, reiner geworden ist, weiß ich, dass es noch etwas ganz anderes bedeutet. Ich fühlte aber, dass mir noch eine fehlte: Die Strahlung der Freude. Noch andere ahne ich erst ganz ferne.
Ich habe auch in erschütternder Weise das Geheimnis der Freiheit erlebt. Gott und alle lichten Mächte zwingen zu nichts, sie wollen die völlige Freiheit des Willens. Darum darf auch kein Mensch von anderen Menschen zum Guten gezwungen werden. Nur die teuflischen Mächte versuchen zu zwingen und scheinen darum zunächst stärker als die lichten. Sind auch die teuflischen Mächte gottgewollt und notwendig? Ich hatte darauf eine Antwort, eine voreilige Antwort. Später werde ich klarer sehen.
Ich erlebte, dass sich ein Mensch in erbittertem Hass von mir abwandte. Diese Abkehr sprach er mit eiskalten Worten aus, die eine endgültige Entscheidung zu bedeuten schienen. Ich hatte ihm helfen und ihn zum Guten zwingen wollen, auf seinen eigenen inneren Wunsch hin. Von vornherein hatte ich gespürt, dass man niemand, der einen freien Willen hat, zu etwas zwingen darf. Ich missachtete aber diese Stimme, ich hörte sie noch nicht klar genug, ich war noch verblendet. So ging ich durch einen notwendigen Irrtum und durch sehr viel Leid, bis ich zur klaren Erkenntnis kam.
Obwohl sich also dieser Mensch eiskalt von mir abgewandt hatte, wollte ich ihm trotzdem weiterhin (innerlich) zur Seite bleiben. Ich glaubte mich dazu verpflichtet. Eben stand dieser Entschluss fest in meinem Herzen, da sah ich über mir eine lichte Gestalt (heute weiß ich, dass es das Geistselbst, das Ewige Ich eines noch lebenden Menschen war) und hörte ihre Stimme: „Wenn sich ein Mensch von dir abwendet, dann darfst du ihm nicht mehr zu helfen suchen. Lass ihn seine eigenen Wege gehen.“
Ich weiß jetzt, dass diese Stimme recht hatte. Man darf niemand seine Hilfe aufdrängen, weil man weiter zu sehen meint als er. Wohl aber muss man immer bereit sein zu helfen, wenn sich der andere helfen lassen will. Man darf kein Gekränktsein in sich dulden. Ich aber fasste ihren Rat so auf, dass ich diesen Menschen fallen lassen, als verloren betrachten sollte. Ich fühlte, dass das nicht richtig war, und widersprach zum ersten Mal einem lichten Geistselbst, eindeutig und entschieden, freilich aus einem Missverständnis heraus.
Es gehörte Mut und Selbstvertrauen dazu, denn ich hatte es bisher für selbstverständlich gehalten, diesen mir so weit überlegenen Wesen in blindem Vertrauen zu folgen und sie nur von den teuflischen Mächten klar zu unterscheiden, die sich unablässig an die Menschen als „Freunde“ und „Ratgeber“ herandrängen, täuschend ähnlich den lichten Wesen. (Wie schwer sie von ihnen zu unterscheiden sind, wird jeder wissen, der die Seelenwelt kennt.)
Ich widersprach also und war dabei soweit im Recht. Es war mir endlich aufgegangen, dass man niemand blind gehorchen darf, gegen die eigene Überzeugung, selbst wenn sie ein Irrtum wäre. Nur die teuflischen Mächte kennen kein Gewissen, keine freie Entscheidung mehr und suchen sie deshalb auch bei allen anderen zu unterdrücken.
Ich erwartete, nachträglich erschreckt, dass ich die lichte Gestalt über mir durch meinen Widerspruch beleidigt hätte, freilich nicht aus böser Absicht. Aber nein. Es ging eine Bewegung freudiger Überraschung durch sie, wie ein plötzliches Aufleuchten. Das schwang auch in ihrer Stimme. Ich vernahm:
„Nun hast du die schwerste Bewährungsprobe bestanden.“
Ich schritt schon durch viele Bewährungsproben. Immer ging es dabei um Entscheidungen für oder gegen das göttliche Licht. Einige besonders schwere Entscheidungen in den letzten anderthalb Jahrzehnten gingen darum, ob ich „natürlicher“ Mensch bleiben oder übernatürlicher Mensch, Geistmensch werden wollte. Diese Entscheidungen habe ich immer völlig frei getroffen, ich war mir dessen bewusst. So schwer ich aber oft darum kämpfen musste, schienen sie mir doch selbstverständlich.
Bei dieser letzten Entscheidung musste ich mit meiner tief eingewurzelten Neigung zu blinder Verehrung brechen. (Verehrung an sich ist eine notwendige Vorstufe zur göttlichen Liebe.) Es fiel mir schwer, einzusehen, dass auch blinde Verehrung eine Verblendung ist. Weder Gott noch eine andere lichte Macht will blinde Verehrung, blinden Glauben. Auch hier scheiden sich die Geister.
Ein Tag ging vorbei. Ich war unklar und verwirrt. Es machte mir noch zu schaffen, dass auch an sich eindeutig gute Neigungen verkehrt, schwächlich sein können. (So können aber auch Liebe, Mitleid und alle anderen lichten Kräfte verzerrt werden.) Im Widerstreit dieser Gedanken lag ich auf einer Wiese. Da blitzte mir die Erkenntnis auf: Wenn mich auch die lichten Mächte in die Irre führen können, falls ich ihnen in blindem Vertrauen folge (weil ich sie dann leicht missverstehen kann), so darf ich mich nur auf mich selbst verlassen.
Und da geschah es. Mit einem lautlosen und doch schmetternden Schlage, wie wenn eine Granate oder ein Blitz in unmittelbarer Nähe einschlägt, so dass man in einem zermalmenden Leuchten steht, aber keinen Laut mehr hört, riss der tiefste und der höchste Wesensgrund in mir auf. Schon seit Monaten konnte ich in ihn hineinfliegen, ich sah ihn aber immer über, außer mir.
Wie das gestern war, kann ich erst später einmal genauer schildern. Hier sage ich nur, was ich sah und wahrnahm. Ich empfand mich im Mittelpunkt eines Raumes, der aber auch „ich selbst“ war. Über dem Mittelpunkt strömte ein webendes, verzehrendes Feuer wie eine lebendige Sonne. Es fiel nicht von außen in diesen Raum herein, es strömte in ihm. Unterhalb stand ein leise atmendes, bläuliches Licht, das sich in der Tiefe wie in einem Abgrund verlor. Das sah ich in unmessbar kurzer Zeit. Dann war alles ein goldenes Feuermeer.
Die Erkenntnis traf mich wie ein Stoß: Meine göttlichen und meine irdischen Wesensglieder haben sich vereinigt. „Oben“ und „Unten“, das Höhere und das Niedere Ich, Geistmensch und irdischer Mensch sind eins: Die Mystische Hochzeit.
Was inzwischen mit meinem Körper geschah, weiß ich nicht. Ich lebte ohne ihn und fand ihn erst wieder. Als ein ganz anderer stand ich wieder auf und konnte erst nachträglich diese Ereignisse meinem irdisch körpergebundenen Gedächtnis einprägen. Es war, als ob mich ein Abgrund von meinem bisherigen Leben trennte. Dieser Abgrund ist der mystische Tod. Kann ein Mensch noch Größeres erleben? Es geschah noch etwas Größeres.
Am Abend trat ich in eine Kirche ein, obwohl ich mich nicht als einen Christen bezeichnen darf, so wenig wie ich mich einen Buddhisten nennen würde. Das sagt nichts gegen meine Erfahrungen und Erkenntnisse der letzten Jahre, die mich Gautama Buddha und Christus immer tiefer verstehen lehrten.
Als ich die Kirche wieder verließ, sagte ich, wie ich es seit Jahren tat: Herr, wenn du wirklich hier zugegen bist, dann grüße ich dich und beuge mich vor dir. – Da kam zu mir eine Stimme wie aus meiner eigenen Wesenstiefe: Für dich bin ich hier nicht zugegen. Du sollst mich anders finden. –
Während ich abends noch über diese Worte nachsann – erst jetzt kam mir auch der Licht-Raum, in dem ich mich seit der Mystischen Hochzeit ständig sehe, klar zu Bewusstsein – war plötzlich wieder die Stimme in mir, die ich in der Kirche gehört hatte – und früher schon an entscheidenden Wendepunkten. – Die Stimme war wie ein Wehen, sie drang wie aus einem Brunnen meiner selbst und doch empfand ich sie als die Stimme eines anderen. Es wurden daraus erst fassbare Worte, sie drangen erst in mein denkendes, Worte formendes Bewusstsein, wenn ich selbst in meiner Wesenstiefe dieses Wehen angenommen und bejaht hatte. Die Worte aber waren so:
Ich liebe dich und ich will, dass du mich liebst, wenn du selbst es willst.
Du bist mein eingeborener Sohn, den ich liebe.
Es war mir, als ob ich in einen Abgrund fiele. Ich konnte nicht mehr atmen und denken. Dann begriff ich plötzlich: Dieses Wehen ist Gott. Gott selbst spricht zu mir, zu einem seiner Kinder, als ob ich sein einziges wäre. So spricht Gott zu jedem seiner Kinder, das vollendete, einmalige Persönlichkeit geworden ist. Jeder, der dies wurde, ist eine einzigartige Erscheinung, die in der ganzen Geistwelt nicht ihresgleichen hat. Und jedes seiner Kinder ist sein eingeborenes Kind. Im schaffenden Schoße der Gottheit selbst, nicht in der Außenwelt, wurde es gezeugt und aus ihm geboren. Alle seine Kinder haben dieselbe göttliche Würde aus ihrem gemeinsamen göttlichen Ursprung her. So sagte auch Christus: „Wisset ihr nicht, dass ihr Söhne Gottes seid?“
Erst als ich dies begriffen hatte, drang wieder Gottes Wehen zu mir:
Du sollst mich nicht verehren,
du sollst mich lieben,
wenn du selbst es willst.
Nenne mich nicht „Herr“
nenne mich „Du“.
Ich will, dass du mir gleichgestellt bist,
wenn du selbst es willst.
Sprichst du zu anderen von mir,
dann nenne mich „Es“.
Du sollst nichts und niemand verehren,
du sollst dich vor nichts und niemand beugen,
du sollst nur lieben, weil du selbst es willst.
Verwirrend überfiel mich der Gedanke an Christus.
Da vernahm ich wieder die Stimme:
Christus war mein Bote. Jeder kann Christus sein, der es selbst so will. Denke noch nicht darüber nach, dein Bewusstsein ist noch nicht reif dazu.
Das Wehen, die Stimme, war anfangs hart und streng. Sie weckte kein Gefühl in mir, sie verlockte mich nicht zur Liebe. Ich nahm sie nur wahr. Und noch etwas Seltsames geschah. Aus der Tiefe, aus dem bläulichen Abgrund unter mir war wie ein Schatten eine verzerrte Hassgestalt aufgestiegen, ein Dämon des Hochmuts. Seine Lippen bewegten sich, als ob das Wehen, die Stimme aus ihm käme. Die ersten Worte der Stimme waren wie von einem Pfeifen und Kreischen entstellt. Einen Augenblick packte mich Schrecken. Aber ich entschloss mich zu glauben, ich sah und erkannte, dass die Stimme, das Wehen die Wahrheit war.
Eine unmessbar kurze Zeit erwog ich: Wenn die Wahrheit so streng, so hart, so abstoßend ist – nach menschlichen Begriffen – dann graut mir vor ihr, dann bleibe ich ihr lieber fern. Meine Entscheidung war die: Ich will die Wahrheit, wie sie auch sein mag, weil es die Wahrheit ist. Im Augenblick dieser Entscheidung brach das blau-weiße Feuer aus mir, so blendend hell, wie ich es nie zuvor gesehen hatte, aber ohne Zorn, nur wie ein Gesetz, und fegte den Dämon weg.
Ich weiß: Der Dämon suchte mich nicht zum Hochmut, zur Anmaßung zu verleiten. Er suchte mir Angst davor einzujagen, durch die Worte der Stimme hochmütig zu werden. In dieser Angst sollte ich die Stimme, das Wehen nicht mehr als die Wahrheit erkennen können.
Streng, hart war die Stimme an sich, besser gesagt: Sie erschien mir so vor meiner Entscheidung für die Wahrheit, da ich die göttliche Liebe noch nicht erkennen konnte.
Ich erlebte es und es durchschauert mich jetzt noch bis ins Tiefste, wenn ich daran denke: Der unerschütterliche Wille zur Wahrheit, wie sie auch sein mag, entscheidet für ewig. Erst als ich mich völlig freiwillig – ich bin mir dessen bewusst - der Wahrheit zugewandt und sie bejaht hatte, weil ich sie eben als Wahrheit erkannte – nichts anderes, kein Gefühl, kein Versprechen verlockte mich dazu – da erfüllte sich die Stimme mit einer Liebe und Güte, die ich in meinem Bewusstsein nicht mehr zu fassen vermochte. Wenn ich dennoch dieses Unsagbare als Erkenntnis aussprechen soll – ich weiß, dass ich es soll – dann kann ich nur sagen: Gott straft nicht. Gott ist kein Dämon der Rache, der Vergeltung, der Ewigen Verdammnis. Seine Gerechtigkeit ist ganz anderer Art. Sie kommt aus der unendlichen Fülle seiner Liebe, die unendliche Freiheit für alle will. Gott richtet nicht. Jeder ist sein eigener Richter. Wer sich von Gott abwendet, wer das Dunkel wählt, verurteilt sich selbst zur Entartung.
Gott ist kein „Er“, Gott ist ein „Es“, jenseits aller irdischen Geschlechtsbegriffe. Gott, unser aller Ursprung, ist uns Vater und Mutter zugleich.
Gott ist Die Unendliche Liebe. Gott ist nur Liebe. Gott will nur lieben.
Vor einiger Zeit sagtest du zu mir: „Du stehst vor einer neuen Erkenntnisstufe“. Ich selbst hatte kaum eine Ahnung davon (in meinem Tagesbewusstsein). Umso erschütternder brachen die Ereignisse des ersten August über mich herein. Seitdem erlebe ich mich als ewiges Geistselbst, als „Ich“, und Gott, das unfassbare, allumfassende „Es“, als „Du“. Kann einem Menschen etwas Größeres geschehen?
Ja, es geschah noch etwas Größeres. – Aber zuerst will ich dir berichten, wie es nach dem alles verwandelnden Umsturz weiterging: Ganz anders, als es jemand hätte erwarten können. Ich weiß jetzt: Mit den Ereignissen, die du nun kennst, habe ich nicht nur für mich ein neues Tor in die Lichtwelt aufgestoßen. Das muss die „Herren von der anderen Seite“ sehr erbittert haben. Gegen dieses neue Tor trugen sie schon am nächsten Tag (ich hatte meine Erschütterung noch längst nicht überwunden) durch mehrere Stunden einen Angriff vor, so überraschend und übermächtig, dass sie mich hätten überrennen müssen, wenn ich mich nicht doch gewappnet hätte, ohne es selbst klar zu wissen.
Am späten Abend des ersten Tages hatten die Ereignisse eine Erkenntnis und einen Entschluss in mir reifen lassen. Die dämonischen Mächte hatten durch ihre Anschläge selbst dafür gesorgt. Ich war diesen Anschlägen, die sie gleich am ersten Abend versucht hatten, freilich nur „um Haaresbreite“ entkommen.
Die Erkenntnis aber war die:
Ich will vor nichts und niemand Angst haben.
Nichts und niemand kann mir schaden,
solange ich tapfer und aufrecht bin.
Wenn ich sonst nichts mehr tun kann,
dann kann ich immer noch meine Gedanken und Gefühle völlig ruhig halten.
Das gilt auch für alle, die einmal mit mir diesen Weg gehen wollen.
„Nach dem Siege binde den Helm fester!“ Das sagte ich mir noch am Abend des ersten Tages und ich hatte es nötig, wie du bald sehen wirst.
Am Mittag des zweiten August hatte ich den Brief an dich beendet. Dann trat ich eine weite Waldwanderung an. An einer Stelle, die mir schon immer „unheimlich“ war, an der Kehre eines tiefen Hohlweges, riss vor meinen Augen schlagartig etwas wie ein Vorhang entzwei und ich stand in einer neuen Welt, die ich bisher nur in „Entrückungen“ und plötzlichen Visionen erlebt hatte. Ich konnte meine irdische Umwelt noch sehen wie vorher, aber sie war und ist nur noch „Vordergrund“, der mein inneres Sehen und Hören nicht stört. Ohne Verbindung mit diesem Vordergrund (das ist nicht räumlich gemeint) drang eine Überfülle von Erscheinungen auf mich ein. Ich durchschaue diese Überfülle bis jetzt nur zum kleinsten Teil. Darum will ich mich darauf beschränken, von den menschenähnlichen Gestalten zu sprechen, die gruppenweise, einzeln und zu Hunderten herandrängten. Von einigen wurde ich als Eindringling betrachtet und misstrauisch abgelehnt (es störte sie wohl, dass ich mit meiner irdischen Gestalt verbunden bin). Die meisten aber nahten mir mit auffallender Leutseligkeit, ja mit überströmender „Herzlichkeit“, und ich war, von den Ereignissen des Vortags noch ganz erschüttert, liebevoll und arglos wie ein Kind.
Erst viel später ging mir auf, dass es gerade meine gefährlichsten Feinde waren, die sich mir in auffallend strahlenden, grell leuchtenden „Engelsgestalten“ als Führer, Begleiter und Beschützer anboten. Wenn ich trotzdem auf ihre so überströmende, „honigsüße“ Güte und Herzlichkeit nicht hereinfiel, dann nur, weil mich ihr verstecktes Grinsen warnte, das sie doch nicht ganz unterdrücken konnten. Damals befremdete es mich nur, ich war aber weit davon entfernt, sie zu durchschauen. Trotzdem handelte ich halb unbewusst richtig, aus dem „Gefühl“ heraus.
Einer von ihnen trat mit freundlicher Herablassung auf mich zu. Er erschien wie ein „Erzengel“ auf volkstümlichen Darstellungen, in leuchtender Ritterrüstung (darüber wunderte ich mich ein wenig). Außerdem war er viel schöner und eindrucksvoller als ich in meiner eigenen Geistgestalt (darüber später). Er sagte (ich „las“ seine Worte als Gedanken, die in seiner Gestalt schwangen): „Du siehst ja selbst, dass wir dir unendlich überlegen sind. Trotzdem sind wir bereit, dich als unseresgleichen, als ganz jungen Kameraden zu betrachten, dem wir helfen wollen. Du kannst eine mächtige Kraft werden, aber vorläufig bist du noch völlig unwissend und das müsste dein Verderben werden. Denn gewaltige Feinde lauern auf dich. Schließe dich uns an! Wir vermögen dich sicher zu geleiten“.
Ich war gerührt über so viel Wohlwollen und doch stieß mich etwas ab, das „Unechte“, das ich irgendwie herausfühlte, trotz meiner arglosen Bereitschaft, mich belehren zu lassen. Ich blieb abwartend. Er schien das nicht zu beachten und sagte noch freundlicher:
„Als erstes müssen wir dir einen Namen geben. Wir wollen dich „König Artus“ nennen. Das wird dir wohl gefallen?“
Ein Ekel ergriff mich. Plötzlich fühlte ich und sprach es auch aus: „Nein. Meinen Namen gebe ich mir selbst!“
Aus der innersten Tiefe stieg ein Name in mein Bewusstsein. Ich war versucht, darüber enttäuscht zu sein. (Heute weiß ich, dass meine „Freunde“ mir diese Enttäuschung aufzudrängen versuchten.) Der „Erzengel“, der mir jetzt etwas weniger wohlwollend gegenüberstand (er hatte sich auch in die Reihe der anderen zurückgezogen), kam jetzt wieder heran und sagte dringlich: „Das ist ja ein Bauernname! Den tragen doch Hinz und Kunz, landauf, landab. Wenn du einen so vulgären Namen wählst, dann bringst du dich selbst um eine große Laufbahn. Wir werden dich dann nie als ebenbürtig anerkennen. Wenn du unsere Namen wüsstest!“
Ich musste ihm soweit Recht geben. Es ist wirklich ein sehr gewöhnlicher Name, der da in mein Bewusstsein gestiegen war. Sehr viele tragen ihn (als äußeren Namen). Aber ich fühlte: Das ist mein Name, ein nüchterner Name des Kampfes. Ich habe nicht zu fragen, ob er glänzend oder einfach ist. Erst viel später begriff ich: Wenn ich nicht nur diesen so gewöhnlichen Namen trage, sondern auch (und das ahne ich) die Gestalt bin, die wie ein Mythos mit diesem Namen in der Geistwelt verbunden ist, dann muss ich mein Herz fest in beide Hände nehmen, um hier auf der Erde nicht zu versagen.
Wenn es nach meinen „Hoffnungen und Wünschen“ gegangen wäre, dann trüge ich jetzt einen Namen der Liebe. Aber ich hoffe und wünsche seit dem Mystischen Tod nicht mehr. Ich erkenne und ich will. Ich habe diesen Namen als den meinen erkannt und der Name (der Innere Name) bezeichnet das Wesen. Das Wesen, als das ich mich in der Geistwelt erkannt habe, will ich auch hier auf Erden sein.
Zugleich mit diesem Namen war etwas wie eine Melodie in mir aufgestiegen, keine „schöne“, keine Melodie der Liebe. Sie ist nüchtern und hart wie ein Kampfruf. Wie den Namen erkannte ich diese Melodie, diesen Ruf als „mein eigen“.
Die lichten, besser gesagt gleißenden Gestalten standen noch um mich herum, als mir plötzlich von innen heraus der „Impuls“ kam, meinen Namen und diesen Ruf in die Seelenwelt hinaus zu schleudern. Er stand wie eine in sich strömende und wiegende Lichtbahn über der Welt, dann erlosch er in einem langhin hallenden Donnergrollen, das mir eisig ans Herz griff. Die „lichten“ Gestalten rund um mich waren verschwunden (erst später begriff ich, warum!) und es schob sich etwas gegen mich heran wie eine Mauer aus schwarzem Gischt. Ich sah, es waren Dämonengestalten. Ein widriger Hauch wie von Verwesung wehte von ihnen herüber zu mir: Teuflischer Hass. Ich lachte darüber, da drangen plötzlich Pfeile unaufhörlich in meine Augen (ich fühlte es körperlich, ohne Schmerz, wie ein widerliches, schlangenhaftes Gleiten) und schmetternde Schläge prasselten auf meinen Kopf. Einen Augenblick war ich wie gelähmt vor Schreck. Ich konnte keinen Gegner mehr erkennen. Dann leuchtete es in mir auf: Angst? Nein! Ich konnte wieder klar sehen und zerschmetterte die Dämonenmauer mit einem Blitz des Blauen Feuers. Alles zerstob in brennende Fetzen. Die Angriffe mit Pfeilen und Schlägen (diese Gegner blieben mir unsichtbar) hörten noch durch Stunden nicht auf. Ich begriff aber, dass ich nicht darauf zu achten brauchte (den Grund dafür und die Gegner, die mir damals noch unsichtbar blieben, erkannte ich noch lange nicht).
Im Lauf der nächsten Stunden erlebte ich noch viele Überraschungsangriffe und teuflisch listige Täuschungsversuche durch wohlgetarnte Biedermänner. Manches davon traf mich hart, aber es war sehr lehrreich. Ich sah dabei auch: Ich brauche keine dieser Gestalten an mich herankommen zu lassen. Sie können den „Bannkreis“ meiner Aura nicht überschreiten. Wenn ich mich aber von Angst ergreifen lasse, dann erlischt die Aura und alles kann an mich heran.
Bis jetzt konnte ich auch alle Dämonengestalten mit dem Blauen Feuer zerschmettern und verbrennen. Das machte mich recht siegessicher. Da plötzlich – ich trat eben aus dem Wald heraus auf eine Straße – stand in der Entfernung von einigen Metern vor mir auf der irdisch völlig schattenlosen, hell in der Sonne liegenden und in jeder Einzelheit deutlichen Straße eine dunkle Gruppe, kauernde Gestalten. (Was das bedeutete, dass ich sie ausnahmsweise mit meiner irdischen Umwelt verbunden sah, nicht wie sonst klar von ihr getrennt als Gestalten einer „anderen“ Welt, das durchschaute ich noch lange nicht.)
Ich fuhr sie an: „Wer seid ihr?“ Sie raunten: „Du wirst jetzt sterben! Wir warten auf dein Begräbnis.“
Siegessicher griff ich sie mit dem Blauen Feuer an. Aber sie kicherten nur höhnisch und rückten näher. Ein eisiger Schrecken packte mich. Ich fühlte mich wehrlos. Es war ein gefährlicher, wohl entscheidender Augenblick. Und wieder leuchtete mir die Erkenntnis auf: Alles darf geschehen, nur Angst darf mich nicht ergreifen! Es wurde wieder hell in mir und erst jetzt konnte ich eine lichte Gestalt in meiner Nähe erkennen (dieselbe, der ich die letzte Bewährungsprobe vor der „Mystischen Hochzeit“ verdanke) und ihre Stimme hören: „Sieh sie nur fest an und sie zerrinnen!“ Ich tat es und die Gestalten verschwanden. Mehrmals noch versuchten sie es von neuem, bis sie endgültig zerflossen. (Die Hintergründe dieses unbehaglichen Erlebnisses erkannte ich erst lange danach, auch den Grund, warum das Blaue Feuer an ihnen versagte. Ich komme in einem späteren Brief darauf zurück.)
Danach wurde es leer um mich. Die schwarzen Mächte griffen nicht mehr unmittelbar an. Ich sah, dass ich ihren Mut vorläufig gebrochen hatte. Und mir ging etwas Neues auf. Während der letzten Stunden hatte ich mich immer als „Geist-Selbst“, als „Geist-Gestalt“ gesehen. Was das eigentlich ist, erkannte ich damals noch nicht. Ich sah aber: Meine Geistgestalt ist ganz anders als meine irdische Gestalt, nicht schön und nicht hässlich, nicht groß und nicht klein, eine nüchterne, klare Kampfgestalt. Ich bin in der Seelenwelt nichts anderes als ein Kämpfer gegen die dämonischen Mächte des Hasses, der Verachtung, der Rache, gegen dieselbe Verzerrung göttlicher Kraft, der ich einst selbst am tiefsten verfallen war. (Es gab früher Zeiten, in denen ich von mir selbst dachte: Ich bin nur noch Hass, glühender Rachedurst, der ganze Völker zerschmettern könnte. Ich hielt es für „Heiligen Hass“, ich glaubte an eine „Pflicht zur Rache“. All das ist eine dämonische Verzerrung der Liebe, der berechtigten Notwehr und der Fürsorge für andere.)
Als ich meine Gestalt als Kampfgestalt begriffen hatte, sah ich auch: Die anderen greifen nicht mehr an, wenigstens nicht mehr unmittelbar. Sie möchten jetzt in Ruhe gelassen sein. Jetzt will ich angreifen.
Nun kamen Stunden und Tage brausender Freude für mich, wenn ich in Ansammlungen dämonischer Kräfte, die ein lichtes Wesen bedrängten, wie Sturmeswehen mit dem Blauen Feuer hineinfuhr. Alle Wesen der Seelenwelt wissen jetzt meinen Namen, aber nicht in ihrem Tagesbewusstsein. (Warum ich ihn hier nicht nenne, hat nur den Grund: Es kostet mich unnütze Aufmerksamkeit, wenn jemand „unabsichtlich“ bewusst meinen Namen denkt. Er dringt dann als „Ruf“ zu mir. Ich höre es ja auch, wenn jemand in seinem Unterbewusstsein diesen Namen ausspricht. Wenn er es aber bewusst tut, verwirrt es mich noch.)
Ich kann jetzt mit dem Unterbewusstsein hochentwickelter Menschen so sprechen, als ob wir uns irdisch-körperlich vor Augen ständen. In den letzten Tagen hatte ich viele solche Unterredungen, vor allem mit katholischen Priestern. Jeder, der wirklich dazu berufen ist, Priester zu sein, überwacht unablässig die Seelenwelt. Freilich nur ganz wenigen wird das auch tagesbewusst, was sie hier (in der Seelenwelt) beobachten, sprechen und erleben. Dennoch zeigen sie sich mit allen persönlichen Eigenheiten, die ich mehrfach nachträglich bestätigt fand. (Diese unablässige Überwachung der Seelenwelt unterbricht auch der körperliche Schlaf nicht. Das Unterbewusstsein, die „Seele“, ist immer wach. Nur bewusstes Denken und Erleben ist während des Schlafes nur in Träumen möglich.) Ich gebe eine solche Unterredung ungefähr wieder, da ich selbst dabei auf viele neue Erkenntnisse kam. Die meisten meiner Gesprächspartner begannen so:
„Du beunruhigst mich fortwährend mit deinen Feuererscheinungen. Ich beschwöre dich im Namen des Allmächtigen Gottes: Sage die Wahrheit! Bist du ein Dämon?“
„Nein.“
„Was bist du?“
„Ich bin ein göttliches Geistselbst, ein Kind Gottes gleich dir und allen anderen. Aber mein Weg als Ahnender und Träumender ist vollendet. Ich bin erwacht. Ich bin eine Ewige Sonne.“
„In wessen Namen wirkst du?“
„In meinem Namen.“
„Nicht in Christi Namen?“
„Nein.“
„Nicht in Gottes Namen?“
„Nein.“
„Dann musst du im Namen des Teufels wirken. Etwas anderes gibt es nicht. Bist du Luzifer?“
„Nein. Ich wirke in meinem eigenen Namen. Du kennst ihn. Ich bin ein Kind Gottes gleich euch allen. Ich bin Licht aus dem Urlicht, ich bin unendliche Liebe gleich allen, die guten Willens sind. Aber viele wissen es noch nicht. Ich weiß: Ich bin Unendliche Liebe und diene freiwillig der Unendlichen Liebe, Gott. Gott will nicht kämpfen, Gott will nur lieben. Ich kämpfe der Unendlichen Liebe Gottes den Weg frei zu den Herzen der Menschen und Wesen, die noch von Hass, Rachedurst und Verachtung verdüstert werden. Ich wandle meine göttliche Liebeskraft in Zerstörungsfeuer gegen die schwarzen Mächte des Hasses und strahle es aus über die Welt, als Ewige Sonne gleich allen, die das sind oder werden wollen, einmalig, unverwechselbar wie sie.
„Dann verehrst du also Gott?“
„Nein.“
„Beugst du dich vor Gott?“
„Nein. Ich bin ihm gleichgestellt. Gott will es so und ich will es.“
„Verehrst du Christus?“
„Nein.“
„Eine letzte Frage: Hast du Angst vor Gott?“
„Nein.“
„Nun habe ich dich gefangen! So kann kein Verblendeter, so kann nur ein Teufel reden. Du bist also doch ein Teufel! Bist du Luzifer?“
„Nein. Alle schwarzen Mächte haben Angst vor Gott.“
„Wie kannst du Christus und Gott nicht verehren, dich nicht vor ihnen beugen, und doch kein Teufel sein? Das ist ein unlösbarer Widerspruch!“ „Nein. Ich liebe Christus mit unendlicher Liebe, Dankbarkeit und Vertrauen wie einen Bruder. Aus derselben unendlichen Fülle des Herzens liebe ich Gott, unser aller Ursprung, wie einen Vater und wie eine Mutter. Verehrung ist Liebe, die noch nicht frei von Angst ist. Kann es eine größere Verblendung geben als die Angst vor Gott, vor der Unendlichen Liebe? Es braucht auch niemand Angst zu haben, sie kränken oder beleidigen zu können. Denn unendliche Liebe ist auch unendliche Freiheit, unberührbar für alle, die ihr nicht in Liebe nahen. Gott will, dass alle seine Kinder unendliche Liebe und unendliche Freiheit sind, wenn sie es selbst so wollen. Denn nur der ganz Freie kann ganz, mit seinem vollen, ungeteilten Wesen lieben. Gott will unendliche Liebe in unendlicher Freiheit, also Liebe ohne Angst. Darum will die Unendliche Liebe keine Demütigung, keine Unterwerfung, sie will nur Liebe. Nur unter Gleichgestellten kann die Liebe frei von Angst sein.“
„Da finde ich mich noch nicht zurecht. – Sage mir: Brauchst du Gott?“
„Nein. Ich brauche nichts und niemand als mich selbst.“
„Du bist wahnsinnig, oder du bist doch Luzifer!“
„Nein. Würde ich Gott brauchen, also zum Leben notwendig haben, würde ich ohne Gott nicht leben können, wie etwa mein Leib nicht ohne Luft leben kann, dann müsste ich ja Gott zu zwingen suchen, bei mir zu sein (so wie der Leib die Luft gierig und rücksichtslos an sich reißt, wenn sie ihm vorenthalten wird). Gott lässt sich aber von niemand an sich reißen, Gott lässt sich von niemand zwingen. Gott ist Die Unendliche Freiheit, wie alle seine Kinder unendliche Freiheit sind, wenn sie es selbst so wollen. Nichts und niemand kann einem Freien etwas abfordern, ihn zu etwas nötigen. – Gott schenkt seine Liebe jedem, der sie erkennen und annehmen will. Seine Liebe ist ein Geschenk, aber keine Notwendigkeit. Gott, die Unendliche Liebe, lohnt nicht und straft nicht. Sie verschenkt sich selbst in unendlicher Freiheit.“ (Den tiefsten Grund, warum kein göttliches Geistselbst Gott „braucht“, nenne ich im 10. Brief. Aus demselben Grunde sind die Teufel keine selbständigen Wesen mehr.)
„Das widerspricht allem, was ich weiß und glaube. – Aber ich habe dich abermals auf einem Widerspruch ertappt. Du sagtest doch: „Ich brauche nichts und niemand als mich selbst.“ Du brauchst aber doch Luft und Nahrung zum Leben?“
„Nein. Ich brauche sie nicht. Mein Leib braucht sie. Brauche ich aber meinen Leib zum Leben? Nein. Ich brauche ihn nur, wenn ich auf der Erde wirken will. Ich brauche ihn nur, weil ich als Mensch zu Menschen sprechen will. Auf der Erde will ich nichts sein als ein Mensch wie jeder andere auch. Persönlich hebe ich mich in keiner Weise über irgendeinen anderen hinaus. Nur so hat jeder die Freiheit, ohne Angst meine Worte anzunehmen oder abzulehnen.“
„Wie willst du dich aber dann vor uns beweisen?“
„Ich habe mich vor nichts und niemand zu beweisen als vor mir selbst.“
„Was sollte uns dann zwingen, dir zu glauben?“
„Nichts soll euch zwingen. Ihr seid völlig frei, meine Worte anzunehmen oder abzulehnen. Wer sie aber annehmen will, dem bringe ich die Freiheit von jeder Angst, dem bringe ich unendliche Freiheit. Und nur wer unendliche Freiheit ist, kann auch unendliche Liebe und eins mit Gottes Willen sein.“
„Dann wagst du also zu sagen, du seiest eins mit Gottes Willen?“
„Ja. Wie Christus sagte: Ich und der Vater sind eins, so sage auch ich: Ich bin eins mit Gottes Willen. Jeder darf und soll das sagen, der zu unendlicher Freiheit und unendlicher Liebe erwacht ist.“
„Du verwirrst mich völlig. Sage mir klar: Gibst du zu, dass du ohne Gott ein Nichts wärst?“
„Ohne Gott wäre überhaupt nichts, ich nicht, du nicht und Gott nicht. Als uns aber Gott, das Wesen von Ewigkeit zu Ewigkeit, ins selbständige Dasein rief, da schenkte „Es“ uns alles, was Es selbst besitzt: Unendliche Liebe, unendliche Freiheit, unendliche Fülle der Macht. Gott hat uns nichts vorenthalten, was wir zum selbständigen, göttlichen Dasein brauchen. Gott hat uns nichts vorenthalten, was Es, die Unendliche Liebe, selbst besitzt. Unfassbare Großmut Unendlicher Liebe! Könnte Gottes Liebe noch größer sein?“
„Ich kann dir nicht mehr folgen.“
„Prüfe meine Worte streng und besonnen. Sie werden dir klar werden.“ „Eines habe ich behalten. Du sprichst von unendlicher Fülle der Macht. Ich fürchte, du hast den Gipfelpunkt des Wahnsinns erreicht. Willst du etwa behaupten, dass du allmächtig seiest?“
„Ja. Ich bin allmächtig, in meinem begrenzten Bereich, innerhalb meiner besonderen Aufgabe, im Kampf gegen die Mächte des Hasses. Ich kann kein lebendes Wesen hindern, immer wieder aufs Neue zu hassen. Das ist sein freier Wille oder die Folge seines freien Willens, den ich anerkennen muss, wenn ich mir selbst treu bleiben will. Ich kann aber die Gedanken und Gefühle des Hasses zerstören, wo und wann ich es will. Keine dunkle Macht, kein Mensch und kein Teufel kann mich daran hindern. Gott selbst aber und alle lichten Mächte können und wollen mich nicht daran hindern. Denn es ist auch ihr Wille. Ich bin eins mit ihrem Willen.“
„Wenn du allmächtig bist, was bleibt dann noch für Gott?“
„Jeder ist allmächtig in der Abwehr aller dämonischen Störungen von sich selbst. Ich bin darüber hinaus, wie jeder, der eine besondere Aufgabe hat, allmächtig innerhalb meiner Aufgabe. Ich bin wie jede andere Teilkraft begrenzt und nur deshalb einmalig. Gott aber ist unbegrenzt. Gott ist...“
„Einen Augenblick! Du sagst, Gott ist unbegrenzt. Du bist begrenzt und nur deshalb einmalig. Dann ist Gott also nicht einmalig?“
„Gott ist die Allmacht selbst, die Unendliche Liebe. Gott ist das unbegrenzte All und doch einmalig. Denn es kann kein zweites „All“ geben.“
„Du wirfst alles in mir durcheinander. Sage mir noch einmal: Wie stehst du zu Christus? Erkennst du seine Worte als die Wahrheit an: „Ich bin der Weg. Niemand kann zum Vater kommen denn durch mich.“
„Ja. Niemand kann zum Vater kommen denn durch Christus.“
„Dann musst du dich doch von ihm führen lassen!“
„Nein.“
„Jetzt verlässt mich die Geduld. Du bist also entweder ein Gaukler, der seinen Spott mit mir treiben will, oder ein Wahnsinniger!“
„Nein. Höre: Christus hat mich geführt, bis hin zu Gott. Dann hat er mich losgelassen. Nur die Augen sollte ich selbst aufmachen. Aber als Christus mich losließ, war ich so töricht, tödliche Angst vor Gott zu empfinden. Dreimal in meinem diesmaligen irdischen Leben sah ich Gott, die Unendliche Liebe. Das erste und das zweite Mal war ich blind und taub vor Angst. Ich empfand nur ein namenloses Grauen. Das dritte Mal endlich, als ich aus meinen Lebenserfahrungen den Mut gewonnen hatte, vor nichts und niemand, vor keinem äußeren Schicksal und vor keiner inneren Begegnung, vor keinem fremden oder eigenen Gedanken oder Gefühl mehr Angst zu haben, da wagte ich es, die Augen aufzuschlagen, da sah ich und erkannte:
Ich bin Licht aus dem Urlicht. Mein Wille ist eins mit dem Willen Gottes. Nun liebe ich Christus wie einen Bruder, mit unendlicher Dankbarkeit und unendlichem Vertrauen. Aber ich verehre ihn nicht mehr, ich beuge mich ihm nicht mehr. Christus ist eine Ewige Sonne und jede Ewige Sonne will die Freiheit, die unendliche Freiheit aller, die sie selbst wollen.“
„Wenn du frei wollen kannst, dann kannst du auch Christus oder Gott sein wollen?“
„Ja. Aber ich will ich selbst sein. Gott bildete mich in sich als selbständiges Wesen und ich will es sein. Ich bin aber frei. Ich kann Gott, ich selbst, ich kann Teufel, ich kann jeder andere sein wollen. Ich kann meine Freiheit und damit mich selbst aufgeben, wenn ich es so will. Die Freiheit ist ein Geschenk, keine Verpflichtung. Ich bin frei. Ich kann Gott lieben oder hassen, mich ihm zuwenden oder von ihm abwenden. Ich kann auch in Gott aufgehen wollen. Ich erreiche das auch, wenn ich meine Begrenztheit aufgebe, denn ich bin Licht aus seinem Licht. Damit lösche ich mich aber selbst aus. Für Gott wäre es bedeutungslos, wenn ich in ihm aufgehe. Denn ich kann die Unendlichkeit selbst, die unendliche Fülle, durch meine Selbsthingabe nicht größer, nicht reicher machen.“
„Du kehrst mir das Unterste zu oberst. Vielleicht, ja höchstwahrscheinlich bist du doch ein Teufel. Solltest du aber dennoch eine gute Macht sein, so sage mir: Tue ich Unrecht, wenn ich die Kraft des Allerhöchsten anrufe, um dich zu zerschmettern?“
„Du tust kein Unrecht. Wäre ich ein Teufel, dann geschähe mir recht. Für mich aber, der ich eine lichte Macht bin, ist es bedeutungslos. Nichts und niemand kann mir schaden, wenn ich selbst es nicht will.“
„Aber du gibst doch zu: Gott, der Allmächtige könnte dir schaden, wenn er wollte!“
„Gott und alle lichten Mächte können und wollen mir nicht schaden, denn ich bin Licht aus ihrem Licht, ich bin eins mit ihrem Willen. Uns alle, auch dich und mich, eint Gottes Wille.“
„Wenn du also ein Teufel bist, so zerschmettere ich dich mit der Kraft des Allerhöchsten Gottes und stürze dich in die Hölle!“
Ich erlebte sein Willensfeuer wie einen Blitz, der mich für Augenblicke in blaugoldene Lohe hüllte. Meine Geistgestalt ging immer wieder darin auf, in einem einzigen Leuchten. Mein Gegner sah es selbst und ließ sich überzeugen: Ich bin, wie jede lichte Macht, eins mit dem Willen Gottes, ich bin Licht aus seinem Licht.
Einen meiner Gegner, den stärksten (ich kenne seinen inneren Namen), gewann ich schon während der ersten Unterredung mit ihm zum Freund. Ich sagte zu ihm: „Wir gehen verschiedene Wege, sie werden aber in einen münden. Wir haben einen Feind und ein Ziel. Ich liebe dich wie einen Bruder. Wir sind Brüder, wenn du es selbst so willst. Und wenn du das willst, so segne mich. Schenke mir den Segen Christi als Geschenk deiner und seiner Liebe.“
Er tat es und ich habe das noch oft auch von anderen erlebt.
Ich dachte über eine dieser Begegnungen nach, da sah ich mich plötzlich selbst so, wie mich andere sehen, gewissermaßen aus der Entfernung. Bis jetzt sah ich mich nur vom „Mittelpunkt“, von mir selbst aus. Nun begriff ich erst, warum mich alle fragen:
„Bist du ein Teufel, bist du Luzifer?“
Ich sah mich als hohe, düsterblaue Gestalt in einer durchsichtigen, leise in sich strömenden Aura, wie man sich etwa einen Todesengel vorstellen könnte. Diese Gestalt des „Geist-Selbst“, die eigentliche Geistgestalt, das „Wesen für sich“, ist wie aus wogendem Licht gebaut. Sie hat Menschengestalt, ist aber nicht geschlechtsbestimmt. Sie ist ein „Es“. Männliches und weibliches Prinzip sind vereint. Sie steht aber jenseits aller irdischen Geschlechtsmerkmale. (Die Gestalt des Kämpfers, das der Welt zugewandte Wesen als aktiv ausströmende Willenskraft, ist hingegen eine männliche Gestalt. Aber nur Kopf, Brust und Arme haben deutliche Umrisse, alles andere ist strömendes Licht und trennt sich nicht deutlich von der Umgebung – so sehe ich es auch bei allen anderen.)
Als ich mich selbst in dieser düsteren Gestalt begriff, fasste mich einen Augenblick eisiger Schreck. Eine Stimme raunte mir zu: „Das soll eine „Ewige Sonne“ sein? Du siehst es selbst: Du bist doch ein Teufel!“
Ich schüttelte auch diese Angst ab und begriff: Ja, diese Gestalt sieht fremd und unheimlich aus: Ich bin Verwandlungskraft. Mit Sehnsucht dachte ich an die blaugoldene Lichtgestalt Christi, die ich für einige Augenblicke neben der meinen sah. (Christus ist ja der Ruf, der Weg zur Unendlichen Liebe.) Doch ich erkannte: Ich habe mich nicht zu vergleichen. So, wie ich mich hier sehe, wollte ich sein und so will ich sein. Da wurde meine Geistgestalt sternenhaft hell, aber trotz dieser Helligkeit war ihre Strahlung immer noch wie ein Todesleuchten. Nur in den Augen (wenn ich so sagen darf) erkannte ich unendliche Liebe.
Erst später begriff ich: In dieser Gestalt sehen mich meine Gegner: Lichte Wesen, die mich noch ablehnen, und dunkle, teuflische Wesen, die mich fürchten. Sieht mich ein lichtes Wesen als Freund, dann ist auch meine Geistgestalt ein blaugoldenes Leuchten. Mein Wesen ist also „ambivalent“, doppelwertig: Für alle dunklen, teuflischen Wesen bin ich Zerstörungskraft, für alle lichten Wesen aber: Kraft der Verwandlung zur Freiheit.
In diesen Tagen erlebte ich noch etwas anderes, wahrhaft das Größte, was irgendein Kind Gottes, eine Teilkraft der Unendlichen Liebe, erleben kann: Das unsterbliche Leuchten der „Unio Mystica“.
Ich hatte schon viele schwere Stunden des Kampfes mit den schwarzen Mächten hinter mir. Nun aber kam ein Tag, an dem die ganze Seelenwelt wie unter einem fahlgrauen Dunst lag, der sich durch Stunden immer mehr verdichtete, immer dunkler wurde und dennoch ungreifbar blieb. Aus dem Nebel, der immer dichter an mich heranrückte, raunten mir unsichtbare Feinde zu: „Du hast dein inneres Licht wieder verloren. Du kannst die Angst nicht mehr von dir abwehren. Es wird Nacht um dich und in dir. Wir werden dafür sorgen, dass es deine ewige Nacht sein wird, hier die Nacht des Wahnsinns und dort die Nacht des geistigen Todes. Noch wehrst du dich, aber immer schwächer. Vor uns, die du nicht erkennen und nicht abwehren kannst, gibt es kein Entrinnen. Du fühlst ja selbst, dass es vergeblich ist. Du kannst dich ja gar nicht mehr wehren, es ist zu spät, wir beherrschen schon dein innerstes Leben. Lass dich sinken, lass dich fallen, gib deinen sinnlosen Widerstand auf. Lass dich erlöschen, dann wollen wir gnädig mit dir sein.“
Damals konnte ich die Mächte, die hinter diesem Treiben standen, noch nicht erkennen. Durch Stunden und Stunden raunten sie mir in immer neuen Wiederholungen und Abwandlungen ihr lähmendes Gift in die Ohren. Ich kämpfte dagegen mit allen meinen Kräften und immer wieder sah ich: Ich kann jede Angst besiegen, auch wenn ich die Gegner nicht erkennen kann, und jeder soll von sich selbst sagen und wissen: Nichts und niemand kann mir schaden, kann mich lähmen, in Angst und Verzweiflung stürzen, solange ich selbst es nicht will.
Am Abend flaute der Ansturm ab und ich begriff: Nun habe ich wieder eine Bewährungsprobe bestanden. Da hörte ich mitten in einer Alltagsbeschäftigung eine Stimme: „Nun sei ganz still.“
So verging irgendeine Zeit. Plötzlich, wie mit einem lautlosen Schlage, riss wieder etwas wie ein Vorhang vor meinen inneren Augen entzwei. Ein im Grenzenlosen webendes königliches Leuchten, ein samtrotes und dennoch sonnenhelles, unsagbar holdes und reines lebendiges Feuermeer war um mich. Ich war nicht mehr und dennoch war ich Unendlichkeit. Alle Begriffe, alle Grenzen waren versunken. Ich löste mich auf in diesem Sonnenmeer, dessen Unendlichkeit zur Stimme wurde, zu einer unfassbar Liebe atmenden Stimme: * DU BIST ICH UND ICH BIN DU * Ich sah und hörte unser größtes Du, Gott, Die Unendliche Liebe. Ich war noch selbständige Persönlichkeit und dennoch war ich eins mit Gott. Ich und Du wurden ein einziges Es. Gott, die in Liebe brausende und wehende Unendlichkeit, atmete in mir und ich in ihm als unendliche Fülle der Freude. Zusammenschmelzen aller trennenden Grenzen, Vereinigung des Kindes mit seinem Vater und seiner Mutter, mit seinem ewigen Ursprung, Einswerden zweier Liebenden, Unendlichkeit der Liebe: UNIO MYSTICA.