Für die Kleinen und die Großen

Für die in Röcken und in Hosen

Für die Verwandten

allen Tanten

Für Mann und Maus

Für Lydia und Klaus

wie gesagt, für alle

Rolf Kremming

Mein Balkon und ich

Geschichten von Menschen

Mein Balkon als Ruhepol. Auch wenn es nicht immer ruhig auf ihm und unter ihm zugeht. Hier ist es schön, erholsam und vor allem spannend. Wer Lust hat, kann mich gerne mal besuchen kommen.

Die Idee für dieses Buch entstand spontan und war ursprünglich als eine locker Serie von Erlebnissen für meine Facebook-Seite gedacht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2017 Name des Autors/Rechteinhabers Rolf Krermming

Foto Rolf Kremming

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7460-5322-6

Inhaltsverzeichnis

Die Hasenheide

Mein Balkon ist Radio und Fernseher zugleich. Manchmal höre ich Stimmen und manchmal sehe ich auch die richtigen Bilder dazu. Jetzt läuten gerade die Glocken der katholischen Kirche, ohne Bild natürlich. Es ist Sonntagmorgen. Die polnische Gemeinde ist auf dem Weg zu ihrem Herrgott. Jetzt mit Bild. Der Blick in die Hasenheide erinnert mich an meine Kindheit. Da hatte ich eine Sonntagshose und ein Sonntagshemd. Und wehe, ich wollte die Sachen mal am Freitag oder Mittwoch anziehen. Ach ja, beim Essen musste ich immer die Hände auf dem Tisch lassen und durfte mich nie mit den Ellenbogen abstützen. Mein Gottchen, ist das lange her. Auch die polnischen Frauen und Männer flanieren im Sonntagsstaat über den Weg. Direkt unter meinem Balkon vorbei. Bild und Ton zur gleichen Zeit. Das heißt, ich höre zwar ihre Stimmen, verstehe aber kein Wort. Polnisches TV sozusagen. Leichten Schrittes wandeln die Gläubigen den Weg entlang. Die Frauen im schicken Outfit, die Männer mit Anzug und Krawatte. Eine Dame trägt ein Blumenhütchen. Sieht schick aus. Sie trägt einen kurzen Rock und hat lange Beine. Sieht noch schicker aus. Ein Hund hebt das Bein, die Glocken hören auf zu läuten. Ein Zusammenhang besteht wohl eher nicht. Die Dealer unter meinem Balkon sind noch nicht da. Sie schlafen noch.

Gerade donnert ein Flugzeug über die Häuser hinweg. Wo will das Ding bloß hin? Ist der BER etwa schon in Betrieb und ich habe nichts bemerkt? Unwahrscheinlich. Apropos BER. Ich tausche einen Blick mit der Schnecke, die an der Hauswand hoch gekrochen ist und mich anlächelt. Sie hat Glück, dass ich im 1. Stock wohne, sonst wäre sie wohl einige Jahre mehr unterwegs gewesen. Was das mit dem Flughafen zu tun hat? Ich stelle mir das so vor. Wowi und Schneckchen haben eine Wette abgeschlossen. Wer ist schneller wo. Wowi in der Luft oder Schneckchen bei mir im 1. Stock. Von Wowi noch keene Spur. Schneckchen lächelt immer noch. Ziemlich spöttisch, wie ich meine.

Der Papst

Ich will ja nicht angeben. Aber wenn ich von meinem Balkon 44 Grad Süd schaue, sehe ich ins Schlafzimmer des Heiligen Vaters. Natürlich nicht wirklich. Aber die Richtung stimmt schon mal. Hier steht die Päpstliche Nuntiatur. Ziemlich kleine Fenster, hinter denen es immer dunkel ist. Nicht mal der kleinste Heiligenschein lässt sich blicken. Wer lässt sich auch gerne ins Schlafgemach schauen. Auch der Papst nicht. Obwohl er ja nichts zu verbergen hat...hätte...haben sollte. Das Haus um sein Bett herum ist grottenhässlich. Sieht aus wie ein Bunker. Und dafür haben sie ziemlich viele Bäume abgeholzt. Gab ne Menge Aufregung damals. Im „Eiscafe Delfin“ hat eine Hakennasige in Sandaletten für eine Demo geworben. Vielleicht wäre ich ja hingegangen. Doch die Dame im Waldorfschullook war mir unsympathisch. Also setzte ich mich auf meinen Balkon und harrte der Dinge, die ohne mich passieren würden Wer jetzt denkt, ich sei bequem, hat recht. Manchmal jedenfalls. Aber damals war der heutige Papst noch nicht Papst, sondern hat in Buenos Aires Tango getanzt. Und ob der Vorgänger vom Vorgänger, er hieß Karol und war Pole, seine Zustimmung für diesen Bau gegeben hat, weiß nur der Liebe Gott persönlich. Und mir soll das egal sein. Trotzdem ärgert’s mich. Muss mal wieder entspannen und mich mit wichtigen Dingen befassen. Zum Beispiel die Belege für die Steuer sortieren. Nee, dann doch lieber ärgern. Ist das kleinere Übel. Jeden Sonntag pilgern die polnischen Gemeindemitglieder zur St-Johannes-Basilika direkt neben der apostolische Nuntiatur und beten zur Mutter Maria, zu Jesus und zum Herrgott. Nach dem Gottesdienst strömen sie in Richtung U-Bahn oder zu ihren Autos. Die tun parken wie die Blöden, sagte mir die Hauswartsfrau aus der 22. Und die ist immer auf dem Laufenden. Erst vor Kurzen hat sie mich gewarnt. Die Polli, sie meinte die Frau vom Ordnungsamt, würde wieder rumschleichen tun. Die Warnung kam zu spät. Der Zettel flatterte schon hinter meinem linken Scheibenwischer. Warum links? Ihr Kollege nimmt immer den rechten Wischer. So habe ich immer einen genauen Überblick vom Dienstplan des Amtes für Ordnung und Sicherheit. Vor einiger Zeit lernte ich eine der Polinnen kennen, die zum Beten und Singen kamen. Sie war auf dem Weg zum Bahnhof und hat mich fast umgerannt. War mir nicht mal unangenehm. Halb so alt wie ich, lange blonde Haare und ein Lächeln, das süchtig macht. Irgendwie kamen wir ins Gespräch und dann auch näher. Ich nannte sie später immer meine polnische Außenministerin. Die Frage, ob sie gläubig sei, verneinte sie. Vor ein paar Tagen wäre sie von Oma und Opa gekommen und hätte einen Baum übersehen, erklärte sie. Nun sei ihr Golf III im Arsch. Hat sie wirklich so gesagt. Zum Glück sei ihr nichts passiert, deshalb habe sie sich jetzt beim Lieben Gott bedankt. Ich verstand ihre Logik nicht. Wie kann man sich bei jemandem bedanken, von dem man behauptet, es gäbe ihn gar nicht? Egal. Wir hatten genug andere Themen und meistens verstanden wir uns auch ohne Worte. Eines Tages brachte sie ihren Mops mit. Karol, heißt er. Genau wie der polnische Papst.

Der Wachtmeister

Ist jemand von Euch schon mal mit den Rad die Züllicher Straße lang gefahren? Nee? Versucht es mal. Möglicht mit prall aufgepumpte Reifen und dann ab die PIN. Vorschlag an alle, die ihre Nierensteine ohne OP verlieren wollen. Ich hatte nach 30 Meter jedenfalls die Schnauze voll und fuhr auf dem Bürgersteig weiter. Kommt ein Mann daher, streckt mir den rechten Arm entgegen und gebietet Halt. Der Mann trug eine Uniform. Absteigen...Papiere, befahl er mir. Sein Ton gefiel mir nicht. Dies ist ein Gehweg und kein Fahrweg, erklärte mir weiterhin im Tonfall eines Emirs, der seinem Haremwächter befahl, auf die Damen achtzugeben, sonst Kopf kürzer. Fahren auf dem Gehweg ist nur Personen, er sagte wirklich Personen und nicht Kinder, bis zehn Jahren erlaubt. Oh, dachte ich, da biste locker 60 Jahre drüber. Ich stieg von meinem grünen 50 Euro Rad (gebraucht) und lächelte. Das ist ein Bürgersteig und keine Rennstrecke. Du bist ein Idiot, dachte ich in mich hinein und entgegnete süffisant, ich wäre doch ein Bürger und der Steig demzufolge auch meiner. Er stutzte und fühlte sich zu recht verscheißert. Ich lächelte. Sein Ton wurde gröber. Er kontrollierte die Funktionalität meiner Rück- und Vorderleuchte und meiner Klingel. Ein Wort gab das andere. Gerade wollte ich ihm meine Meinung klingeln, radelte Hanna, Portiersfrau aus der 22 vorbei. Auch auf dem Bürgersteig. Was nun Herr Wachtmeister? Er entschied sich für mich. Wohl nach dem Motto: Waste hast, das haste. Die Geschichte kostete mich 20 Euro.

Nach einer Runde über den Tempelhofer Flughafen, räumte ich meinen Balkon auf. Zwischen den Tomaten, zwei gelben Spitzpaprikas und allerlei Kraut, das ich nicht kenne, fand ich einen Aschenbecher. Ich ließ ihn stehen. Eins nach dem anderen. Das Wichtigste zuerst. Das wäre jetzt die Buchhaltung. Das Zweitwichtigste, den Müll runter bringen und das Dritte...nee, macht auch keinen Spaß. Also noch mal zu den Kippen zurück. Eine Dame vom Kennenlernportal, ihr wisst ja, da wo die Liebe durch das Internet kommen tut, fragte mich ob ich rauche. Weiter nichts. Das war mehr als dürftig. Aber das schrieb ich ihr nicht. Nur dass ich einen anderen Typ Frau bevorzuge. Die Fotos auf ihrer Seite sprachen nämlich Bände. Ein Bild von sich, das so unscharf war, als hätte sich die Kamera verweigert. Dafür aber acht Bilder ihrer Wohnungseinrichtung. Da war das Porzellan auf dem Biedermeiertisch, das so teuer aussah, dass ich mir nicht vorstellen konnte, ohne Angst davon zu essen. Im Hintergrund eine Vitrine, der man ansah, dass sie täglich mit Politur verwöhnt wurde. Am ausdrucksstärksten fand ich allerdings den braunen Kachelofen, der mir sofort mitteilte, ich müsse täglich Kohlen schleppen. Aber jetzt bin ich schon wieder ins Schwafeln verfallen.

Werner