Ein Jahr als Backpacker in Australien
Books on Demand GmbH
Impressum
© 2010 Jasmin Glöckner
Titelbild: Jasmin Glöckner
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7322-2335-0
Meiner Familie
Liebe Leser,
ich bin’s kurz – Ihre Autorin! Erst einmal herzlichen Dank, dass Sie mein Buch erworben haben. Das ist sehr nett von Ihnen! Und ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre. Bevor Sie loslesen würde ich allerdings ganz gern noch ein paar Bemerkungen über das Genre des Buchs loswerden.
„Mangos und andere Früchtchen“ ist ein Reiseroman und fluktuiert somit zwischen Fiktion und tatsächlich Erlebtem. Autobiographisch sind die Reiseroute der Protagonistin und ihre Eindrücke von Land und Leuten. Diese basieren auf meinen Erfahrungen als Rucksacktouristin in Australien. Alle Charaktere hingegen sind rein fiktiv. Wenn sich also jemand glaubt wieder zuerkennen: das kann gar nicht sein!
Alle Jugendherbergsnamen sind außerdem frei erfunden – bis auf die YHA hostels.
So, das wär’s! Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit „Mangos und andere Früchtchen“!
Ihre
Jasmin Glöckner
Der alte Teppich auf dem Boden unserer Garage wickelte sich zum denkbar ungünstigsten Moment um die Radachse des Volvos. In dem Moment nämlich, in dem ich ein Flugzeug nach Sydney zu erwischen gedachte und meine Familie mich mit dem Auto zum Bahnhof bringen wollte.
„Ach du Scheiße“, fluchte mein Vater.
„Das ist jetzt eher weniger toll“, sagte mein Bruder.
„Leute, Svenja kommt zu spät!“ rief meine Mutter.
„Ist doch alles halb so wild“, versuchte ich die aufgelöste Mannschaft angesichts des vermeintlichen logistischen Super-Gaus zu beruhigen. „Wir laufen einfach zum Bahnhof. Es ist ja nicht so weit.“ Allgemeine Ratlosigkeit.
„Na gut“, sagte meine Mutter schließlich resigniert, „dann aber mal zügig los“.
Schnellen Schrittes marschierten wir kollektiv zum kleinen Bahnhof meiner nordhessischen Heimatstadt. Im Nieselregen wohlgemerkt. Zur großen Erleichterung aller Beteiligten erreichten wir den Bahnhof noch knapp vor Einfahrt des Zuges. Für eine größere Verabschiedungsorgie blieb allerdings keine Zeit mehr. Lediglich ein schnelles Anherzen jedes Familienmitglieds inklusive Hund Schnuti war möglich, dann musste ich auch schon einsteigen. Ein letztes Winken, und der Zug rollte Richtung Frankfurt.
Abgehetzt sackte ich auf eine eklig-fleckige Sitzbank neben einen Zeitung lesenden türkischen Urgroßvater. Großer Gott, ich war schon völlig durchgeschwitzt, bevor ich überhaupt den Flughafen erreicht hatte. Gut, das lag sicher zumindest auch partiell daran, dass ich sechs Kleidungsschichten übereinander trug, da mein Trekking-Rucksack zum Bersten voll war und ich auf einige besonders praktische Stücke trotzdem nicht verzichten wollte. Diese Methode hatte sich schon damals auf meinem Flug nach Helsinki bewährt, als ich die Maschine der Billigfluglinie Mitte August im lammfellgefütterten Wintermantel betreten hatte, um die strengen Gepäckauflagen gewieft zu umgehen. Ich hatte nämlich vor, das Wintersemester an der Uni von Helsinki zu verbringen und die finnischen Winter können wie man ja weiß ganz schön kalt werden.
Ich seufzte. War ich denn von allen guten Geistern verlassen? Warum tat ich mir das hier überhaupt an? Sieben bis acht Monate work & travel in Australien, fern von Familie und Freunden, bedroht von den giftigsten Tieren der Welt, mit einer sehr limitierten Reisekasse. War ich denn wahnsinnig? Was wäre, wenn ich keine Arbeit fände? Würde ich dann vorzeitig zurückkommen müssen? Warum hatte ich mir nicht lieber jetzt gleich nach dem Studium einen Job gesucht?
Aber genau das war der Punkt. Nach 13 Jahren Schule und 5 Jahren Sprachwissenschaftsstudium musste ich einfach mal raus. Und je weiter weg desto besser. Bei allem Vergnügen an der Geistesarbeit dürstete es mich nach Abenteuer und intellektueller Erholung.
Der Zug hielt am Frankfurter Flughafen und ich machte mich auf die Suche nach einem so genannten flight bag. Ich hatte mich nämlich bei einer work & travel Agentur angemeldet und diese empfahl, sich für den Flug solch eine Schutzhülle für Trekking-Rucksäcke zuzulegen.
Von Pontius zu Pilatus tigerte ich durch die Terminals, da auch die Geschäftsinhaber der größeren Outdoor-Geschäfte mit meinem Anliegen völlig überfordert waren. Das einzige Plus dieser erfolglosen Suche war, dass ich auf einmal Ecken des Flughafens erkundete, die mir bisher gänzlich fremd waren, wie zum Beispiel den Koffershop an Gepäckband elf, Halle A, Ankunftsebene.
Mich beschlich das unheimliche Gefühl etwas Verbotenes zu tun, als mich ein verhuschter Angestellter verschwiegen durch eine graue Hintertür in besagten Bereich lotste. Hinter Gepäckband elf versteckte sich in einer Ecke des Raumes eine unscheinbare Holztür mit dem kleinen, handgeschriebenen Schildchen „Koffershop“. Zögernd trat ich ein.
Auf mehreren Gerüsten standen einige verloren wirkende Stahlkoffer, gelangweilt bewacht von einem jüngeren bebrillten Mann hinter einem klapprigen Holztisch.
„Hallo, ich suche einen flight bag“, formulierte ich vorsichtig mein Anliegen. „Können Sie mir da vielleicht weiterhelfen?“ Er sah mich verständnislos an.
„Flight bag? Was ist denn das? Davon habe ich noch nie gehört.“
„Na so eine Schutzhülle für Trekking-Rucksäcke“, erklärte ich etwas entgeistert. Himmel, der Mann arbeitete in einem Koffergeschäft, da musste er doch schon mal von solch einem Beutel gehört haben!
„Nee, so was haben wir nicht“, antwortete er ratlos. „Aber ich hätte einen alten Karton, den ich Ihnen umsonst überlassen könnte.“
„Vielen Dank, das ist sehr nett“, antwortete ich, den Rückzug antretend, „aber es geht auch so“.
„Der Karton ist sehr stabil!“
„Nein danke, ich komme auch so klar.“ Der Koffermann wirkte enttäuscht. Wahrscheinlich war ich die einzige Person, die sich in den letzten Jahren in seinen Kofferraum verirrt hatte. Da konnte man fast Mitleid haben. Sehr kafkaesk das Ganze. Erschöpft beschloss ich meine Jagd nach einem flight bag aufzugeben.
Als ich am Schalter von Korean Air in Terminal 2 ankam, entdeckte ich schon auf den ersten Blick etliche Mitglieder meiner Gruppe. Alle trugen sie die auffälligen weiß-gelben work & travel T-Shirts sowie einen Ausdruck fiebriger Aufgeregtheit zur Schau. Die meisten sahen aus wie achtzehn-, neunzehnjährige Schulabgänger, die zum ersten Mal im Leben das Hotel Mama verließen. Ich fühlte mich etwas fehl am Platze. Ich war schließlich eine sechsundzwanzigjährige selbstständige Frau mit einiger Lebenserfahrung. Na gut. Jetzt war es zu spät sich darüber zu ärgern, nicht ohne work & travel Agentur nach Australien zu reisen. Außerdem hatte die Anmeldung bei solch einer Agentur enorm zur Beruhigung meiner Eltern beigetragen. („Damit wir einfach einen Ansprechpartner haben, Kind.“)
Ich setzte mich neben ein blasses, blondes Mädel mit work & travel T-Shirt auf eine Bank. Mein Blick wanderte unwillkürlich zum Gepäck meiner Mitreisenden. Ihr Riesentrekking-Rucksack steckte in einer weißen Schutzhülle.
„Entschuldigung“, sprach ich die blasse Blonde an. „Darf ich mal fragen, wo du den flight bag gekauft hast? Ich habe nämlich ewig vergeblich nach einem gesucht.“
„Den habe ich hier in Terminal 2 an dem Schalter da vorne gekauft“, sagte sie und deutete desinteressiert auf eine etwa fünf Meter entfernte Theke.
Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Ich war eine gute Stunde quer durch den Flughafen gehetzt um einen flight bag zu finden, nur um durch Zufall festzustellen, dass ich ihn direkt am Treffpunkt mit der Reisegruppe erwerben konnte. In einem Film würde diese Episode vollkommen überzeichnet wirken, schoss es mir durch den Kopf. Aber die Realität treibt manchmal schon seltsame Blüten. Ich bedankte mich hastig und stürzte zum Verkaufspunkt.
„Einen flight bag, bitte“, sagte ich atemlos zu dem muskulösen, schwarzen Flughafenangestellten. Er zuckte bedauernd die Schultern. „Das tut mir leid. Ich habe gerade die zwei letzten bags an das ältere Ehepaar dort drüben verkauft!“ Er zeigte auf die nervös umhertrippelnden Eltern eines gelockten Jünglings mit Brille. Ich wirkte wohl ziemlich frustriert, denn er lächelte aufbauend und bot mir gratis eine stabile Plastikhülle an.
„Die haben wir noch übrig.“ Es gab doch noch eine ausgleichende Gerechtigkeit!
„Sie sind heute mein Held!“ sagte ich dankbar. Er grinste erfreut und gab mir die Hülle. Besser als ein Karton war sie allemal.
Eine Angestellte der work & travel Firma händigte mir eine Kopie meines E-Tickets aus und ich stellte mich zum Einchecken an.
„Reist du auch alleine?“ fragte plötzlich eine körperlose Stimme von hinten.
Ich drehte mich um. Die Stimme hatte doch einen Körper und sogar einen ziemlich massiven. Ein mindestens neunzig Kilo schweres Mädel mit wasserstoffblonden Haaren stand schnaufend hinter mir und sah mich durch ihre rosafarbene Nickelbrille mit wässrig blauen Augen neugierig an.
„Ja, ich bin allein unterwegs“, antwortete ich widerwillig.
„Ich auch!“ tönte sie erfreut. „Ich bin übrigens Birgit.“
„Svenja“, entgegnete ich automatisch.
„Wie willst du denn reisen?“ fragte sie mich gierig.
„Ich will von Sydney aus direkt in den Norden fliegen, bevor dort oben die Regenzeit losgeht“, erwiderte ich unwillig.
„Ich auch!!!“ rief sie triumphal und strich sich mit einer kunststoffbefingernägelten Hand eine Strähne Haar aus der Stirn. „Dann können wir ja zusammen reisen.“
Heiliger Bimbam, das hatte mir gerade noch gefehlt.
„Hmm, mal sehen“, sagte ich ausweichend.
Sie winkte ab. „Das können wir ja auch alles noch in Sydney besprechen“, sagte sie eifrig. „Wir sind die ersten drei Tage ja alle zusammen in einer Jugendherberge untergebracht. Ich bin schon ganz aufgeregt. Sydney! Die einzige größere Stadt, in der ich bisher gewesen bin, ist Wuppertal!“
„Hmm, mal sehen“, wiederholte ich abblockend. Ich brauchte keine Mitreisende, und schon gar keine so aufdringliche, die mich außerdem mit Sicherheit zur Leidtragenden ihrer mangelnden Lebenserfahrung machen würde. Ich wollte Australien doch alleine erkunden. Nur war ich dummerweise zu höflich, oder aber auch zu schwach, um ihr dies klar mitzuteilen.
Zwanzig Flugstunden später landeten wir in Sydney. Ich war erledigt. In Flugzeugen kann ich prinzipiell nicht schlafen. So hatte ich lediglich während des sechsstündigen Stop Overs in Seoul-Incheon etwas auf einer Flughafenbank gedöst. Nachdem wir unser Gepäck abgeholt hatten, nahm uns ein junger dunkelhaariger work & travel Mitarbeiter mit abstehenden Ohren in Empfang.
„Ich heiße Brian“, sagte er und warf sich selbstverliebt das Haar aus der Stirn. „Herzlich Willkommen in Australien, mates! Ich bringe euch jetzt erstmal zu eurer Jugendherberge. OK, mates?“
Mit zwei Shuttle Bussen wurden wir in die Innenstadt zu unserem Hostel chauffiert, dem YHA Central in der George Street. Ich war positiv überrascht. Das YHA war ein riesiger, hotelartiger Komplex mit modern eingerichteten, sauberen Schlafsälen. Wie es der Zufall so wollte, landete ich in einem Zehnbettzimmer mit Birgit.
„Das ist ja toll!“ rief sie begeistert, als sie meiner ansichtig wurde. „Da können wir ja gleich zusammen die Stadt erkunden.“ In meinem müden Zustand fiel mir unglücklicherweise keine passende Ausrede ein, um mich dieser unschönen Aussicht zu entziehen.
„OK“, sagte ich also widerstrebend. „Aber ich will gerade noch mein Kniffelspiel beenden!“
„Mit wem spielst du denn Kniffel?“ Birgit kniff verständnislos die wässrigen blauen Augen zusammen. „Es ist doch außer uns gerade keiner im Zimmer.“
„Mit Kidney, meiner Stoffratte.“ Mit einer Hand wies ich auf meinen Nagerfreund, der Birgit vom Bett aus grimmig anstarrte und feindselig die schiefen Zähne bleckte. Die Ratte hatte Menschenkenntnis, aber hallo!
„Du hast ja nicht mehr alle Tassen im Schrank!“ Birgit schüttelte fassungslos den Kopf.
„Wenn du meinst.“
„Und wieso heißt das Viech Kidney?“
„Das ist englisch für ‚Niere’. Und zwar habe ich die Ratte auf einem Flohmarkt gekauft. Sie saß merkwürdigerweise in einer Nierenschale auf dem Verkaufstisch. Deshalb der Name.“
„Ah!“, sagte Birgit nur und sah mich an als käme ich vom Mond. „Klar!“
Als ich mein Kniffelspiel beendet hatte, brachen Birgit und ich also gemeinsam auf, uns einen ersten Eindruck von Sydney zu verschaffen.
Zwei Dinge fielen mir sehr bald ins Auge. Erstens, Sydney war ungeheuer asiatisch. Mindestens jeder zweite Passant, der uns auf der George Street entgegeneilte, war Südostasiat. Und zweitens, der Hafen und das Opernhaus wirkten wesentlich kleiner als ich sie mir vorgestellt hatte. Trotzdem war es ein berauschendes Gefühl, endlich am Hafen zu stehen und auf die „schwangere Auster“ zu schauen.
Von diesem Moment hatte ich die ganzen langwierigen Monate meiner Examensvorbereitung sehnsüchtig geträumt. Und jetzt war ich hier! Birgit schien sich für den erhebenden Anblick des Hafens und der Oper wenig zu interessieren. Stattdessen erzählte sie mir in fragwürdiger Detailtreue, wie sie mit ihrem derzeitigen Freund zusammen gekommen war.
„Er würde alles für mich tun. Und bestimmt vermisst er mich auch schon wahnsinnig“, sagte sie schließlich selbstgefällig. „Heute Abend ruft er mich an. Vorher werde ich vielleicht auch schon erste Fotos der Stadt auf meinen blog hochladen, so dass er gleich weiß, wie es hier aussieht.“
„Wie legt man sich eigentlich so einen blog an?“ fragte ich sie interessiert. Ich hatte schon von mehreren Bekannten gehört, dass es empfehlenswert sei, sich für seine Reise solch eine Internetseite anzulegen, um Freunde und Familie auf dem Laufenden zu halten.
„Ach, das ist ganz einfach“, erklärte Birgit mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Falls du magst, kann ich dir dabei helfen.“
„Das wäre super“, sagte ich erfreut.
Hilfsbereit war sie, das musste man ihr lassen. Und auch recht bewandert in Computerfragen, denn als wir später wieder in der Jugendherberge zurück waren, hatte sie mir auf www.wordpress.com ruck zuck eine Internetseite zusammen gebastelt.
Am nächsten Vormittag fand eine Einführungsveranstaltung in der Zentrale unserer work & travel Agentur statt. Wir wurden ausführlich informiert über die Gefahr von Haien, Würfelquallen und Taschendieben und darüber, wieviel Spaß das Surfen doch macht und vor allem der Surfworkshop der work & travel Agentur, an dem wir für schlappe 500 Dollar teilnehmen könnten. Anschließend bekam jeder Teilnehmer eine Mappe mit den Details seines australischen Bankkontos ausgeteilt. Auch die eigene australische Steuernummer hatte die work & travel Agentur bereits für jeden von uns beantragt. Viel Spaß in Australien wünschte man uns und dann war das Treffen auch schon vorüber.
Ich runzelte überrascht die Stirn. Etwas mehr Schützenhilfe beim Start in der Fremde hatte ich dann doch erwartet. Nach der Veranstaltung prügelten sich alle Teilnehmer um die wenigen kostenlosen Internetplätze in der work & travel Zentrale. Der Kampf um die Jobs hatte begonnen. Auch Birgit und ich stürzten uns mutig ins Geschehen. Wir wollten beide für einige Wochen einen Job in Sydney finden und dann in den tropischen Norden weiterreisen. Diesen Plan schilderte ich auch einer work & travel Mitarbeiterin, die ich schließlich etwas ratlos aufsuchte.
„Also mit Jobs in Sydney sieht es zur Zeit schlecht aus“, erklärte mir die junge Asiatin bedauernd. „Du siehst ja selbst, wie groß die Nachfrage ist. Im Norden hätte ich da allerdings was für dich. Und zwar geht es Mitte Oktober in der Gegend rund um Darwin mit der Mangoernte los. Die Kensington Garden Farm sucht während dieser Zeit für etwa 6 bis 8 Wochen Erntehelfer. Die Unterkunft wird von der Farm gestellt.“
„Oh, das klingt aber vielversprechend!“ erwiderte ich freudig überrascht. „Könnten Sie mich dafür anmelden?“
„Natürlich.“ Sie notierte meinen Namen und meine Mitgliedsnummer. „Kurz vor der Ernte melden wir uns noch mal bei dir und senden dir die Jobdetails.“
„Dann habe ich jetzt einen Job?“ fragte ich ungläubig. Sie lächelte milde.
„Ja, du hast einen Job.“
Freudestrahlend teilte ich Birgit die sensationelle Neuigkeit mit. Das hätte ich besser bleiben lassen.
„Haben die noch mehr Plätze?“ fragte sie begierig.
„Ich glaube schon“, sagte ich etwas betreten, aber unfähig zu lügen. „Die Mitarbeiterin sagte etwas davon, dass mindestens 50 Erntehelfer benötigt werden.“
Mit einem Satz verließ Birgit ihren Computer und watschelte zur Beratungstheke. Fünf Minuten später kam sie triumphierend zurück.
„Ich habe mich auch für den Mangojob angemeldet“, sagte sie freudig. „Ist das nicht schön, Svenja. Dann können wir zusammen nach Darwin fliegen.“ Ich schluckte trocken.
„Ja, super“, murmelte ich entsetzt.
„Entschuldigung, habe ich das gerade richtig verstanden, dass noch Mitarbeiter auf einer Mangofarm gesucht werden?“ fragte uns ein schwarzhaariges, hippiemäßig angehauchtes Mädchen interessiert.
„Ja, das ist richtig“, entgegnete ich, mittlerweile leicht amüsiert über den Aufruhr, den meine Jobzusage geschaffen hatte. „Frag einfach mal an der Beratungstheke nach.“
„Vielen Dank!“ Mit flatterndem Sarong rauschte sie aufgeregt von dannen, nur um wenig später breit lächelnd wieder aufzutauchen und zu verkünden, dass sie mit auf die Mangofarm käme. Sie heiße übrigens Kerstin.
„Svenja“, sagte ich. „Dann sieht man sich spätestens Mitte Oktober wieder!“ Sie nickte begeistert.
„Das ist ja auch gar nicht mehr sooooo lange hin.“
Na ja, bis Mitte Oktober waren es noch fast fünf Wochen. So lange würde ich mit meinen Ersparnissen nicht auskommen. Ich brauchte vor der Mangoernte unbedingt noch einen Job in Sydney.
Die nächsten Tage durchforstete ich intensiv das Internet und schrieb mehrere Bewerbungen für Stellen als Reinigungskraft und Küchenhilfe. Aber nie erhielt ich auch nur eine Antwort. Es war frustrierend, wenn man im Fahrstuhl der Jugendherberge dann und wann einen Mitreisenden triumphal verkünden hörte, dass er einen Job an Land gezogen hatte. Gut, die meisten dieser Arbeitsstellen befanden sich in anderen Städten, aber eine Hand voll Backpacker war auch in Sydney fündig geworden.
„Ich verkaufe ab morgen Strandbekleidung in einer Boutique“, freute sich etwa Paula, das blasse, blonde Mädel, das ich am Frankfurter Flughafen nach ihrem flight bag gefragt hatte. „Anscheinend muss ich lediglich den ganzen Tag im Bikini durch den Laden laufen und den Kunden ab und zu auf besonders heiße Angebote aufmerksam machen.“
„Meinst du nicht, dass die meisten männlichen Kunden nur an einem einzigen heißen Angebot interessiert sind?“ entfuhr es mir zynisch. Schon im selben Moment biss ich mir auf die Zunge. Zwar würde ich selbst so einen dubiosen Job nicht annehmen, das war aber kein Grund dafür, Paula solch eine lästerliche Bemerkung an den Kopf zu werfen.
„Sorry“, entschuldigte ich mich zerknirscht, „ich freue mich ja für dich, dass du einen Job hast. Aber die Jobbeschreibung klingt etwas gewöhnungsbedürftig.“
„Ja, ich weiß, was du meinst“, erwiderte sie und zuckte die schmalen Schultern. „Aber wenn der Job nichts ist, kann ich ja jederzeit das Handtuch werfen.“
Vielleicht sogar im wahrsten Sinne des Wortes, dachte ich mir.
„Ja, das stimmt natürlich.“
Unser Fahrstuhl erreichte den vierten Stock und Paula stieg aus. Groß, dünn und naturblond. Birgt schürzte neidisch ihre missbilligende Unterlippe.
„Die hat doch bestimmt überhaupt keine Ahnung davon, wie man sich präsentiert. Ich hingegen habe langjährige Modelerfahrung. Ich wäre für diesen Job viel besser geeignet!“ Die Rettungsringe um ihre stattlichen Hüften waberten entrüstet.
„Du wirst sicher auch bald einen Job finden“, tröstete ich sie diplomatisch. Dass er allerdings etwas mit Modeln zu tun haben würde, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Nach einer Woche des erfolglosen Suchens geriet ich langsam in Panik. Die Übernachtung in der Jugendherberge kostete jeden Tag mindestens dreißig Dollar. (Ich hatte mir zwar einige billigere Herbergen angesehen, aber von diesen hatte mir keine einzige zugesagt.) Auch Lebensmittel waren in Australien nicht gerade günstig. Eines Abends erinnerte ich mich an mein wwoof-Buch. Dieses Buch hatten wir alle bei unserer Ankunft in Sydney von der work & travel Agentur ausgehändigt bekommen. Es enthielt die Adressen von organischen Farmen in Australien, die Backpacker gegen Kost und Logie Arbeit anboten. Wwoof steht für „willing work on organic farms“. Natürlich wäre es in meiner momentanen Situation besser, einen bezahlten Job in Sydney zu finden. Aber damit sah es nun mal leider schlecht aus.
Ich suchte mir mehrere Farmen in der Nähe von Sydney heraus und begann diese der Reihe nach zu kontaktieren. Alle waren schon für mehrere Monate im Voraus ausgebucht. Das konnte doch nicht sein! Australien konnte doch nicht derart von Backpackern überfüllt sein! Etwas resigniert rief ich schließlich in einem Hostel in Katoomba an, das ebenfalls im wwoof book aufgelistet war. Wahrscheinlich hatte der Besitzer ein organisches Gemüsebeet. Wider Erwarten hatte ich Glück.
„Doch, wir haben momentan noch Platz für eins bis zwei wwoofer“, sagte Brad, der Mann am anderen Ende der Leitung aufgeschlossen. „Wie lange willst du denn bleiben?“
„So zwei bis drei Wochen? Ab übermorgen?“ fragte ich hoffnungsvoll bangend.
„Ja, das ist machbar. Du musst morgens pro Tag drei bis vier Stunden beim Saubermachen helfen und hast dann den Nachmittag frei, um in den Bergen wandern zu gehen.“
„Das klingt ja super“, sagte ich angetan.
„Alles klar. Dann sehen wir uns übermorgen!“
„Genau. Bis dann!“ Jubilierend legte ich auf. Endlich hatte ich eine Stelle bis zum Erntebeginn auf der Mangofarm. Gott sei Dank.
Als Birgit kurz darauf das Zimmer betrat, war ich bester Dinge.
„Ich habe ein wwoofing placement gefunden!“ rief ich überglücklich. „In einer Jugendherberge in den Blue Mountains!“
Sie schürzte ihre missbilligende Unterlippe. „Meinst du, die nehmen noch mehr wwoofer?“ fragte sie lauernd.
„Kann schon sein. Der Typ am Telefon, ein gewisser Brad, sagte mir, sie hätten noch Kapazität für eins bis zwei wwoofer.“
Ihre Augen leuchteten berechnend auf. Ach du meine Güte, sie würde doch nicht etwa mit in die Blue Mountains kommen wollen!? Reichte es denn nicht, dass sie mir auf die Mangofarm folgte?
„Ich rufe da gleich mal an“, sagte sie bestimmt. „Gib’ mir mal die Nummer!“
„Äh, Birgit, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Im Sinne unserer beider Selbstständigkeit und persönlichen Entwicklung…“
„Ach, mehr als absagen kann der mir ja nicht, ich versuch’s einfach mal!“
Ohne meine zaghaften Einwände auch nur im geringsten zu registrieren, griff sie sich mein wwoof book, studierte die von mir markierte Anzeige und notierte sich die Nummer. Dann schnappte sie sich energisch ihr Handy und verschwand vor der Tür. Keine fünf Minuten später tauchte sie glücklich lächelnd wieder auf.
„Kein Problem hat Brad gesagt. Ist das nicht toll!? Dann können wir übermorgen gleich zusammen hinfahren. Wir können Brad ja erzählen, dass wir uns im Zug kennen gelernt haben, falls er nachfragt.“
„Was auch immer“, sagte ich schicksalsergeben. Warum konnte ich mich gegen solche übermäßig dominanten Menschen immer so wenig erfolgreich durchsetzen?
Am nächsten Tag verlor ich mein Portemonnaie. Meine besorgte Mutter hatte mir immer wieder eingeschärft, wie wichtig es sei, sein Geld und seine Karten auf mehrere Geldbörsen aufzuteilen. So habe man im Falle des Diebstahls wenigstens noch einen Teil seiner Wertsachen. Dem Rat meiner erfahrenen, wenn auch leicht panischen Verwandten folgend, hatte ich also mein Geld in eine Börse gepackt und meine Bankkarten in eine andere. Beide Portemonnaies hatte ich in meinen orangefarbenen Bauchbeutel gesteckt, den ich unterwegs stets um die Taille trug.
An diesem Tag hatte ich es geschafft Birgit einmal abzuschütteln und war gut gelaunt allein durch die Stadt gestreift. Vormittags besuchte ich das Aquarium in Darling Harbour, wo ich unter anderem lernte, wie man ein Krokodil von einem Alligator anhandder Zähne unterscheidet. Inständig hoffte ich, dass sich nie eine Situation ergeben würde, in der ich auf dieses Wissen zurückgreifen müsste.
(Polizist: „Frau Wagner, können Sie das Tier, das sich Ihr linkes Bein einverleibt hat, etwas näher beschreiben? Bisher wissen wir lediglich, dass es groß und grün war und es ihm wahrlich nicht an Zähnen mangelte.“
Ich: „Lassen Sie mich mal nachdenken. Ich habe da mal was auf einer Schautafel im Aquarium von Sydney gelesen…“)
Anschließend nahm ich an einer sehr interessanten Führung durch den wunderschönen Botanischen Garten teil. Die ältere Biologin, die uns herumführte, erzählte unter anderem von dem ernstzunehmenden Flughundproblem, das der Parkführung seit Jahren Sorgen bereitete. Die riesigen, vegetarischen Fledermäuse fühlen sich nämlich anscheinend im Botanischen Garten pudelwohl und haben sich auf mehreren uralten Bäumen häuslich eingerichtet. Unglücklicherweise zerstören sie mit ihren scharfen Krallen die Bäume, an denen sie hängen. Aber nicht nur die Flughunde, sondern auch die Stadt hängt an den Bäumen. Deshalb werden die Tiere jedes Jahr mit Lärmquellen vertrieben – was sie bisher aber nie davon abgehalten hat, kurze Zeit später wieder zurückzukehren. Die Flughunde waren wirklich atemberaubende Tiere. Ohne große Scheu hingen sie lässig von ihren Ästen. Groß, schwarz, mit rotem Brustpelz. Ich war fasziniert.
Als ich am späteren Nachmittag wieder zur Jugendherberge zurückkam, stellte ich fest, dass ich nicht in mein Zimmer hineinkam, da meine grüne Börse fehlte, in der ich meine Schlüsselkarte aufhob. Und nicht nur meine Schlüsselkarte. Auch meine Visa-Karte, meine EC-Karte, meine australische Bankkarte und mein Werder Bremen-Maskottchen, Erdmännchen Edeltraut, befanden sich in diesem Geldbeutel. Panisch eilte ich zur Rezeption und schilderte dem jungen Mann hinter der Theke mein Problem.
„Nun mal immer mit der Ruhe“, sagte er locker. „Wir schauen erst einmal in deinem Zimmer, ob das Portemonnaie nicht dort ist. Vielleicht hast du es ja in deinem Spind vergessen. Ich nehme mal meine große Beißzange mit, um das Vorhängeschloss zu knacken.“
Pfeifend verschwand er und tauchte einige Sekunden später wieder auf mit einer gigantischen Zange in der Hand. Er sah aus wie ein junger Zahnmedizinstudent, der sich diebisch auf seine erste selbstständige Operation freut. Ich lächelte matt.
„So, da schauen wir doch mal in deinem Zimmer nach“, sagte er gut gelaunt und rief den Fahrstuhl.
Aber das Portemonnaie war nicht im Zimmer, selbst nicht im Spind. Panik kochte erneut in mir hoch und mir kamen die Tränen. Das durfte doch nicht wahr sein! Ich war noch nicht einmal eine Woche in Australien und schon passierte mir solch ein Missgeschick. Noch nie war mir auf Reisen etwas derart Unglückliches passiert. Ein Jahr zuvor hatte ich allein eine Woche in New York verbracht. Immer hatte ich meine Wertgegenstände im Blick gehabt, nie war etwas weggekommen.
„Ich an deiner Stelle würde alle Banken anrufen und meine Karten sperren lassen“, riet mir der junge Mann von der Rezeption teilnahmsvoll. „Vor allem mit der Kreditkarte kann ein unehrlicher Finder ganz schönen Unfug treiben.“
Da hatte er natürlich Recht. Mit einem Taschentuch wischte ich mir eilends die Tränen ab, suchte mir die entsprechenden Telefonnummern aus dem Internet und klemmte mich hinters Telefon. Nach etlichen ausgedehnten Telefonaten hatte ich endlich beide deutschen Karten gesperrt. Auf dem australischen Konto war sowieso nichts drauf, so dass dessen Sperrung nicht nötig sein würde. Ein klein wenig atmete ich auf. Wenigstens konnte sich jetzt kein Unbefugter mehr an meinen Ersparnissen vergreifen.
Das Problem war nur, dass auch kein Befugter mehr Zugang zu meinen Konten hatte. Sprich: ich kam nicht mehr an mein Geld. Zum Glück hatte ich noch einige hundert Dollar in Traveller Checks dabei, so dass ich nicht vollkommen mittellos dastand. Aber wenn diese Schecks aufgebraucht waren, saß ich auf dem Trockenen. Verzweifelt rief ich Birgit an, meine bisher einzige Bezugsperson in Australien.
„Ach du meine Güte, ich bin in fünf Minuten da“, sagte sie entsetzt. Und wirklich tauchte sie kurze Zeit später in unserem Zimmer auf und bemitleidete mich ausgiebig. „Und wenn du Geld brauchst, helfe ich dir gerne aus.“
„Danke, das ist lieb. Momentan habe ich noch genug. Aber wenn es hart auf hart kommt, werde ich dankend auf dein Angebot zurückkommen“, erwiderte ich gerührt.
Sie war zwar anstrengend und herrisch, aber Birgit hatte durchaus auch eine sehr nette, hilfsbereite Seite.
Keine zwei Stunden später wurde ich an die Rezeption gerufen.
„Gute Neuigkeiten“, teilte mir der junge Mann, der mir den Spind aufgebrochen hatte, freudig lächelnd mit. „Eben hat hier ein Typ angerufen und berichtet, dass er deine Geldbörse gefunden hat. Und alle Karten sind noch drinnen! Beziehungsweise eigentlich war es seine indische Mutter, die den Geldbeutel gefunden hat, aber sie war wohl mit der ganzen Sache überfordert und hat deshalb ihren Sohn beauftragt, die Besitzerin ausfindig zu machen. Er heißt Damien und arbeitet in der City. Hier ist seine Handynummer!“
Ich war sprachlos. Das war ja unglaublich! Mensch, hatte ich ein Glück! Glücklich nahm ich den Zettel mit Damiens Handynummer entgegen.
„Vielen Dank! Großartig! Dann rufe ich ihn am besten gleich mal an!“ Hoffentlich hat er morgen früh Zeit zur Übergabe, dachte ich mir. Sonst müsste Birgit schon einmal vorfahren in die Blue Mountains und ich später nachkommen.
Doch Damien hatte Zeit und ich traf mich am nächsten Tag mit ihm um zehn Uhr morgens am Martin Place, wo er arbeitete. Er war ein kleiner, dunkler, scheuer Mann von vielleicht vierzig Jahren mit freundlichem Lächeln, der als Finderlohn noch nicht einmal den Kasten deutsche Pralinen annehmen wollte, den ich für ihn gekauft hatte.
„Dann geben Sie ihn ihrer Mutter“, sagte ich insistierend. Ein feines Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit.
„Das ist nett, da wird sie sich freuen.“ Ich bedankte mich noch einmal herzlich bei ihm, nahm mein Portemonnaie, das seine Mutter im Übrigen am Hafen gefunden hatte, und eilte zur Herberge zurück, wo Birgit mit unserem Gepäck wartete.
„Und ich bin der festen Überzeugung, dass alles ein gutes Ende genommen hat, weil Erdmännchen Edeltraut in ihrem Werder Bremen Schal in meinem Portemonnaie war“, sagte ich zu Birgit, als wir zügigen Schrittes zum Hauptbahnhof marschierten. „Aber diese Theorie habe ich Damien natürlich nicht unterbreitet.“
„Das ist auch sicher besser so“, schnaufte Birgit.
Sie klang, als stünde sie kurz vor dem Kollaps. Und das war die Frau, die damit angab, zuhause jeden Tag ins Fitness Studio zu gehen und bestens durchtrainiert zu sein. Ich musste etwas hämisch grinsen.
„Tief durchatmen Birgit! Wir sind ja gleich da.“
„Mir geht’s blendend. Ich bin schließlich topfit“, stöhnte sie hechelnd.
„Ja ja, ist schon klar…Aber es ist schon klasse, oder? Das mit meinem Portemonnaie? Es gibt doch noch ehrliche Menschen in dieser Welt!“
Es gab zwar noch ehrliche Menschen in dieser Welt, aber meine Reisebegleitung zählte leider nicht dazu, wie sich auf der zirka zweistündigen Zugfahrt von Sydney nach Katoomba herausstellen sollte. Um keine Langweile aufkommen zu lassen, erzählte Birgit mir nämlich in haarsträubendem Detail von den diversen Malen, die sie ihren Freund betrogen hatte. Hierbei schwang ein gewisser verabscheuungswürdiger Stolz in ihrer Stimme mit.
„Er ist aber auch nicht besser als ich“, plauderte sie munter. „Bevor ich seine Freundin wurde, war ich nämlich mehrere Monate lang seine Geliebte. Er war zu dem Zeitpunkt noch verheiratet. Mit einer Tusse namens Anne. Grässliches Weibsbild. Jedenfalls habe ich eines Tages in seiner Metzgerei eine Fleischwurst gekauft und dabei hat es gefunkt. Er ist Metzger musst du wissen. Wir haben es immer im Büro seiner Metzgerei direkt neben dem Kühlraum getrieben. Seiner Frau hat er erzählt, dass er im Geschäft länger zu tun hat. Was ja auch nicht ganz falsch war…!“ Sie grinste dreckig. Mir wurde leicht übel zumute. „Na ja, irgendwann hat seine Frau uns dann in flagranti erwischt. Ja ja, so war das.“
Ziemlich erfolglos versuchte ich ihr widerwärtiges Geplapper auszublenden und stattdessen lieber durch das Fenster die herrlich zerklüfteten, mit dunkelgrünen Eukalyptusbäumen bestandenen Berghänge zu beobachten.
Der Bahnhof von Katoomba wirkte wie einem Film aus den fünfziger Jahren entsprungen.
„Hübsch hier“, sagte ich bewundernd. Birgit schnaufte unbeeindruckt.
„Und wohin jetzt?“ fragte sie mürrisch. „Wo ist denn dieses Whistling Duck hostel, zu dem wir müssen?“
„Brad sagte, das Hostel sei ganz in der Nähe des Bahnhofs. Wir sollen immer der Hauptstraße folgen. Leider hat er nicht gesagt in welche Richtung“, erwiderte ich. „Am besten wir fragen jemanden.“
Am Ausgang passten wir einen älteren Mann in Pullunder und Cordhose ab, der sich optisch bestens in die Atmosphäre des antiquierten Bahnhofs einfügte.
„Das Whistling Duck? Da müssen Sie rechts immer der Hauptstraße folgen. Aber…“, er schüttelte sorgenvoll den Kopf, „das ist viel zu weit. Sie sollten sich unbedingt ein Taxi nehmen. Gerade auch mit all dem Gepäck.“ Lieber Himmel. Davon hatte Brad aber nichts verlauten lassen.
„Birgit, ich hab eh kaum noch Geld“, lamentierte ich erschrocken, „ich bin dafür, dass wir es zu Fuß versuchen.“ Sie nickte.
„Ja, dafür bin ich auch. Ich habe in Sydney gerade dreihundert Dollar für ein neues Paar Designerpumps ausgegeben. Ich trage nämlich ausschließlich Markensachen, musst du wissen. Da kann es nicht schaden etwas zu sparen.“
Was Birgit in der australischen Einöde mit einem Paar Edelpumps wollte war mir zwar nicht ganz klar – aber gut. Aus Sparsamkeitsgründen entschlossen wir uns also trotz des wohlgemeinten Rates des älteren Mannes zu laufen. Es waren dreihundert Meter und wir schafften sie auch zu Fuß.
Das Whistling Duck war ein einladend fröhlich-gelbes, leicht unsolide wirkendes Gebäude in einer der belebteren Straßen Katoombas. “Belebt” war im Zusammenhang mit Katoomba allerdings ein relativer Begriff. Die Stadt war nicht gerade der Inbegriff einer schillernden Metropole. Einen gewissen rustikalen Liebreiz gewann sie allerdings durch ihren nostalgischen Charme.
Wir klingelten an der Haustür. Ein wuschelig plumpes Mädchen öffnete selbige ungehend schwungvoll.
„Hallo, wir sind die neuen wwoofer”, hechelte ich geschwitzt. Die dreihundert Meter hatten sich doch ganz schön gezogen.
„OK”, entgegnete sie auffällig desinteressiert.
Ohne sich vorzustellen lotste sie uns in einen stinkenden, überfüllten Schlafsaal. Der ominöse Dorm 2. Birgit und ich blickten uns betreten an. Wir hatten uns eine etwas komfortablere Unterkunft vorgestellt, vielleicht zwei nette, ruhige Einzelzimmer mit weitläufigem Gebirgspanorama. Birgit setzte ihren typischen Gesichtsausdruck mit der missbilligend-verächtlich herausgestreckten Unterlippe auf. Nachdem wir unser Gepäck abgesetzt hatten, zeigte die gelockte Türöffnerin, die mittlerweile erwähnt hatte, dass sie Laura heiße und gelegentlich im Büro arbeite, uns die Räumlichkeiten.
Herzstück des Hostels war die Lounge, das gemütliche Wohnzimmer mit einem offenen Kamin, einer einladenden Sitzgruppe und einer Auswahl internationaler Musikinstrumente. Die heiter in orange gehaltenen Wände waren ansprechend mit Bildern lokaler Künstler behangen. Der Ausstellungsgedanke zog sich auch durch die restlichen Räumlichkeiten fort, ausgenommen der Gästezimmer. Die Führung endete im Hinterhof mit der stolzen Präsentation der Perle des Hostels, der so genannten chill out hut, einer halboffenen Hütte, in deren Mitte des Abends angeblich stets ein romantisches Holzfeuer entzündet wurde. Gepolsterte Bänke reihten sich heimelig um die Feuerstelle. Der gemütliche Anblick der Räume stimmte uns milder.
Als wir gerade die Hütte im Hinterhof bewunderten, rauschte Brad heran. Brad erinnerte mich an einen schwarzmelierten wilden Wolf. Er hatte ein dünnes, gejagtes, fast sklerotisches Gesicht und beunruhigend intensive braun-grüne Augen. Brad war unser Chef. Nachdem er unsere Anwesenheit etwas wortkarg zur Kenntnis genommen hatte, kam er umgehend zur Sache und informierte uns über unsere Aufgaben.
Jeden Morgen mussten wir dreieinhalb Stunden saubermachen in zwei Schichten. Die erste Schicht beinhaltete das Anrichten des Frühstücks, Saugen der Küche und des Esszimmers. Die spätere Schicht konzentrierte sich auf das Saugen der Schlafsäle und Putzen der Bäder. Unterstützt wurden wir von einem japanischen wwoofer namens Takeshi.
„Aber ihr müsst gar nicht erst versuchen, euch mit Takeshi zu unterhalten”, meinte Brad sarkastisch, “er versteht euch eh nicht. Er ist jetzt vier Wochen hier und versteht immer noch kein einziges Wort von dem, was ich sage”.
Während Brad diese Beschwerde äußerte, saß Takeshi direkt neben ihm und blickte unglücklich in seinen Tee. Natürlich hatte er jedes Wort verstanden. Höflichkeit war nicht gerade eine von Brads Tugenden.
Schnell sollte sich herausstellen, dass Brad ein Reinlichkeitsfanatiker erster Güte war. Seine Sauberkeitsvorstellungen hätten auch einem 5- Sterne-Hotel alle Ehre gemacht. Wenn beim behutsamen Machen eines Doppelbetts die Wolldecke auf der einen Seite einen halben Zentimeter länger herunterhing als auf der anderen, konnte man sich sicher sein, dass Brad grimmig herbeieilen und genervt deklarieren würde, dass man dieses Zimmer so nie im Leben vermieten könne. Die Nachlässigkeit galt es unter seinen kritischen Augen sofort zu beheben.
In einer freien Minute an meinem zweiten Tag in Brads Hostel klemmte ich mich hinters Telefon und rief die Banken in Deutschland an, um meine Karten entsperren zu lassen. Mit der EC-Karte gab es keine größeren Probleme, das Entsperren der Visa-Karte war allerdings unmöglich. „Das geht prinzipiell nicht“, teilte mir der zuständige Visa-Mitarbeiter bedauernd mit.
„Sie haben Ihre Karte zwar wieder, aber der Finder könnte sich schließlich jederzeit die Nummern notiert haben und nach Lust und Laune im Internet damit Flüge oder dergleichen buchen. Nein, das tut mir leid, aber wir müssen für Sie eine neue Karte beantragen.“
Na gut, das war schon nachvollziehbar. Ich instruierte ihn, die neue Karte an die Adresse meiner Eltern zu schicken und legte mäßig zufrieden auf. Eine Kreditkarte hatte ich jetzt erstmal nicht. Aber zumindest konnte ich mit meiner deutschen Bankkarte wieder Geld abheben. Und das war schließlich das Allerwichtigste.
Nachdem wir einige Tage im Whistling Duck verbracht hatten, kam Soomi. Soomi war Koreanerin, kam wie wir zum wwoofen