getfax Graubuch Logistik
Für Naomi Klein und Charlotte
Kapitalisierung durch Privatisierung! Unter diesem Schlachtruf setzt mit der Regierung Kohl zu Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts die größte Zerschlagungswelle auf die Fundamente der deutschen Volkswirtschaft seit Ende des Zweiten Weltkrieges ein. Andere Länder werden mit den Methoden der Schockstrategie eines Milton Friedman1 privatisiert.
In Deutschland genügen Kampagnen gewisser Mainstream-Medien und Phrasen von Politikern, um unter dem Deckmantel einer Privatisierung die Grundpfeiler von Staat und Wirtschaft auf den Abfallhaufen der Geschichte zu entsorgen. Millionen Menschen verlieren Arbeitsplatz, Auskommen und Lebensinhalt. Die Zahl der Selbstmorde und Familientragödien geht in die Zigtausende.
Meilensteine dieser verhängnisvollen Entwicklung der vergangenen drei Jahrzehnte Bundesrepublik: Kohle und Stahl (Stichwort „Rheinhausen“), Bundespost, Bundesbahn, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Land-, Forst- und Tierwirtschaft, Universität (Stichwort „Bologna“) und damit das Erfolgsmodell deutscher Forschung und Lehre, Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Kultur der vergangenen mindestens dreihundert Jahre sowie in jüngerer Zeit Transrapid, Wasserversorgung und nicht zuletzt die Verkehrsinfrastruktur, Gegenstand dieses Buches – alles kaputt gemacht, verramscht und verhökert.
Friedrich H.B. Oehlerking berichtet seit anderthalb Jahrzehnten als Journalist über die Zerstörung des deutschen Wasserstraßensystems. In fast vier Jahren als Chefredakteur der führenden Fachzeitschrift auf diesem Gebiet hat er Höhen und Tiefen des Geschäfts kennengelernt und mit den wichtigen Entscheidern gesprochen.
Oehlerking weiß, was es heißt, als freier Journalist in einem freien Land im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts vor Verbalexekutionskommandos von Firmen, Verbänden und Gremien zitiert und mit Anzeigenstopp oder gar Berufsverbot bedroht zu werden, nur weil man das freie Wort schreibt. Schonungslos weist er in seinem beeindruckenden Buch nach, wie eine unheilige Allianz der Macht vor nichts zurückschreckt, um nun auch das europäische Binnenwasserstraßennetz, das beste der Welt, zum Verramschen an die Privatisierungsheuschrecken des internationalen Kapitals schrottreif zu schießen.
INHALT
Einleitung
Eine Heuschrecke kommt selten allein
Heuschrecken-Alarm an der Wasserfront. Jedem ist natürlich klar, dass mit Heuschrecken hier das Bild des gefräßigen Insektes gemeint ist. Das könnte man positiv auffassen, hat das Geziefer doch schon Moses und dem Volk Israel bei ihrer Flucht aus Ägypten wertvolle Unterstützung geleistet.
In diesem Buch steht der Begriff „Heuschrecke“ – der Zusatz „Alarm“ deutet es an – im negativen bildlichen Sinne für ein Ungeziefer. Das Bild stammt nicht von mir. Wikipedia2 weiß zum Begriff der „Heuschrecke“ unter anderem, dass er im April und Mai 2005 geprägt wurde. Auslöser war eine Äußerung des damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering.
Er verglich das Verhalten mancher anonymer Investoren mit Heuschreckenplagen. „Heuschrecken“ gelten im deutschen politischen Sprachgebrauch seitdem als eine abwertende Tiermetapher für Private-Equity-Gesellschaften sowie gegen andere Formen der Kapitalbeteiligung mit mutmaßlich zu kurzfristigen oder überzogenen Renditeerwartungen, wie Hedge-Fonds oder sogenannte „Geierfonds“.
Das Bild der „Heuschrecke“ wurde bemüht, als weltweite Hedge- Fonds, also Hecken-Fonds im ersten Jahrzehnt begannen, wie Hekkenschützen alles ins Visier zu nehmen, was gut und renditekräftig schien, um auf dessen Kosten zu spekulieren, Substanz verrotten zu lassen und es zum Schluss an den Wenigstbietenden zu verhökern, zu verramschen und zu verscherbeln. Der kann dann noch dem zur Vergewaltigung freigegebenen Unternehmenswrack seine eigenen horrenden Schulden aufbürden, bevor er es dem Insolvenzverwalter zur Ausschlachtung überantwortet.
Es geht mir nicht um eine grundsätzliche Verteufelung privaten Eigentums als Hauptpfeiler unserer gesellschaftlichen Grundordnung. Private Initiative und privates Unternehmertum müssen als Motoren unserer Volkswirtshaft selbstverständlich geschützt und gefördert werden. Damit sie möglich sind und funktionieren können, muss der Staat die dafür nötigen Rahmenbedingungen wie systemische Infrastrukturen schaffen und vorhalten. Es kann aber nicht sein, dass diese Infrastrukturen ebenfalls in privater Hand betrieben und geschäftlich ausgenutzt werden, wenn Geschäft die Ausnutzung der wirtschaftlichen Notlage des anderen zum eigenen Nutzen bedeutet. Dann bleibt die Wirtschaft stehen.
Um einen Vergleich zu bemühen: Das Rechenprogramm „Excel“ nennt eine solche Funktionsweise einen „Zirkelbezug“. Ein Zirkelbezug liegt bei „Excel“ vor, wenn sich eine Formel direkt oder indirekt auf die Berechnungszelle bezieht, in der sie steht; angewandt auf unseren Fall also die „Formel“ Privateigentum sich auf die „Berchnungszelle“ systemische Infrastruktur bezieht. Stößt „Excel“ auf einen Zirkelbezug, verweigert es die Berechnung.
Ein zweiter Vergleich vielleicht noch: Im Biologie-Unterricht lernen wir, dass zum Beispiel Löwen Fleischfresser, Bären Allesfresser, Kühe aber Pflanzenfresser sind. Das Tier Kuh verträgt den direkten Nahrungsbezug Tier nicht. Wenn man Kühen Fleisch in Form von Tiermehl zu fressen gibt, kommt es zu einem Zirkelbezug in der Nahrungskette: die Kühe bekommen BSE, zu Deutsch: sie werden verrückt. 1985 und 1986 wurde BSE erstmals in England bei zehn Rindern festgestellt, bis 1992 bei über 36.000. In Großbritannien wurde danach Tiermehlfütterung völlig verboten.3
Es geht mir bei der Betitelung „Heuschrecke“ in diesem Buch auch nicht um eine Bezeichnung für bestimmte Menschen persönlich, sondern um die Geißelung einer bestimmten Denkrichtung, die aus Unternehmen, in denen Menschen arbeiten, von denen das Leben ganzer Familien, Lebensgemeinschaften, Gemeinden, Stadtteile, Städte und Länder abhängen, Zahlen und abstrakte, auf ihrem Tableau von Wirtschaftsplanungen und Spread-sheets beliebig nach dem jeweiligen wirtschaftlichen Gutdünken der betreffenden „Heuschrecke“ verschiebbare Masse macht.
Diese Heuschrecken-Denkrichtung macht sich seit Jahren in aller Welt, auch in Europa breit. Die Zahl der Unternehmen, die ihr zum Opfer gefallen sind, ist Legion. Namen von Unternehmensleichen wie Wasserhahnbauer Grohe pflastern ihren Weg. Ein anderes prominentes Beispiel sind die Bahnhöfe der ehemaligen Deutschen Bundesbahn, der späteren Deutschen Bahn. Sie hatte eigentlich für die Heuschrecken-Firmen an den Börsen dieser Welt übernahmereif geschossen werden sollen. Der Börsengang war politisch nicht durchsetzbar, die Heuschrecken ließen sich davon aber nicht abschrecken.
Die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) wies 2011 auf das bei der Bahn um sich greifende Heuschreckenwesen hin4. „Das deutsche Bahnhofsdrama ist“, so heißt es in dem Bericht, „eine Spätfolge der Privatisierung.“ Zig verschiedene DB-Gesellschaften haben demnach an einem Bahnhof das Sagen: Die eine kümmert sich um die Bahnsteige, die andere um das Gleis, eine dritte um die Fahrkartenautomaten. Der SZ-Bericht: „Die eigentlichen Hauptgebäude gehören inzwischen vielerorts einer Heuschrecke.“
5.400 Bahnhöfe wurden demzufolge im Zuge der Reform zuerst in die DB Station & Services AG ausgegliedert. 2001 gingen die ersten 500 an die Firma First Rail Estate. Vier Jahre später war sie pleite. Nun stieg Patron Capital ein, ein britischer Finanzinvestor mit deutschen Partnern, der weitere Bahnhöfe hinzukaufte, zuletzt im Januar 2008. Damals kassierte die DB für 490 Standorte einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Aktuell dürften Patron Capital etwa 1.000 Bahnhöfe gehören. Deren deutsche Tochterfirma Main Asset Management ist für sie zuständig. Fast 2.800 Bahnhöfe wurden bundesweit bereits verkauft, die meisten im Paket.
„Ein großer Teil der Immobilien ist für den Bahnbetrieb nicht mehr notwendig und oft nicht wirtschaftlich zu betreiben“, sagte ein Bahn-Sprecher dem Blatt. Man werde sich dauerhaft auf bundesweit 600 bis 700 Empfangsgebäude konzentrieren, die man noch benötige. In Ostdeutschland sank allein 2005/2006 die Zahl der Bahnhöfe in diesem Kernportfolio der DB von 528 auf ganze 73.
Fast wäre 2013 die Wasserversorgung in den Privatisierungsstrudel geraten, hätte nicht eine wirklich demokratisch zu nennende Allianz der mehr als 1,5 Millionen Europäer und des EU-Parlamentes im Rahmen einer europäischen Bürgerinitiative die EU-Kommission im Juni 2013 gezwungen, die Wasserversorgung aus dem Entwurf einer eigens erlassenen EU-„Konzessionierungsrichtlinie“, zu Deutsch: Privatisierungsrichtlinie zu streichen.
Wohl gemerkt: nur die Wasserversorgung wurde herausgenommen; in der Konzessionierungsrichtlinie verbleiben hingegen Postdienste sowie die Energie- und die Verkehrsversorgung, d.h. die Verkehrsinfrastruktur.
Wie man sieht, braucht man keine Verschwörungstheorien zu bemühen. Was bei dem Wasserhahnbauer Grohe klappte, fast bei der Wasserversorgung geklappt hätte oder sich bei der Bahn für die Kapital-Heuschrecken tatsächlich bewährt hat – warum sollte sich das nicht auch auf die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung anwenden lassen? Man vergleiche nur die Symptome: Bahnhöfe dort, Schleusen hier; Gleisstrecken dort, Kanäle und Flüsse hier. Das Strickmuster ist immer das gleiche: Verrotten lassen, nicht ausbauen, nicht neu bauen – Rost, Ratten, Ramponieren.
Das Zukunftsszenario des Heuschrecken-Projektes Wasser- und Schifffahrtsverwaltung lässt sich leicht an den Fakten von Heuschrecken-Projekten wie der Bahn ausmalen. Die eine Heuschreckenfirma kümmert sich um die Kais, die andere um die Flusssohle, eine dritte um die Schleusentore usw. Damit sie möglichst billig an die Filethappen kommen – Nicht-Filethappen werden als Restwasserstraße oder freifließendes Gewässer einer vor allem aufgrund der Massenmedienberieselung romantizierten Versandung nach dem immer wieder bemühten Ideal der französischen Loire überlassen – müssen die erst einmal so schlecht dastehen, dass kein vernünftiger Kaufmann auch nur einen Cent dafür ausgeben würden, allenfalls einen symbolischen Euro. Den wird dann in geheuchelter Selbstaufopferung eine Heuschreckenfirma aufbringen – bei womöglich publicityträchtig auf Pressekonferenzen zelebrierter Übergabe an einen Verkehrsminister.
Zwecks endgültiger Auslieferung der Verkehrsinfrastruktur an internationale Hedge-Fonds werden derzeit die Festungen der drei Landverkehrsträgernetze Straße, Schiene und Wasserstraße geschleift. Heruntergekommene Bahnhöfe, vor sich hinrostende Schienen, schlaglochübersäte Straßen, marode Brücken, Ausbau- und Wartungsstopp von Wasserstraßen und Schleusen sowie schließlich die Zerschlagung der seit rund 130 Jahren hervorragende Dienste leistenden Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sind nur die Spitze des Eisberges dessen, was mit dem zu erwartenden Transport-Tsunami noch auf unsere Volkswirtschaft zukommen wird.
Solche Zerschlagungsorgien gibt es überall auf der Welt. In Großbritannien entmachtete die „Eiserne Lady“ Margaret Thatcher mithilfe des Falkland-Krieges die Gewerkschaften, damit die nicht mehr in ihr Privatisierungshandwerk pfuschen konnten. Andere namhafte Modelle lieferten Pinochet, Galtieri oder Paz in Südamerika, Suharto in Indonesien, Saddam Hussein im Irak, Taliban in Afghanistan oder der sogenannte „Arabische Frühling“ in Nahost, der Tsunami im Indischen Ozean 2004 oder Hurricane Katrina im Süden der USA 2005.5
Für die deutsche Privatisierungskampagne bedarf es keiner menschengemachten Kriege oder naturgewollten Katastrophen. In Deutschland geht alles demokratisch und von Schönwetteraktionen begleitet zu. An der Zerschlagung der Binnenschifffahrt und ihrer Wasser- und Schifffahrtsverwaltung arbeitet eine breite Allianz.
Sie reicht von Genossenschaften und Teilen des Gewerbes selbst über grüne und rote angebliche Naturschutzgruppierungen wie BUND, NABU, Vogelschutz oder Greenpeace bis hin zu Europäischer Union, Wirtschaftsverbänden, Politikern, egal ob schwarzer, grüner oder roter Färbung, sowie dem alles überschattenden straßen- und schienenfahrzeugtechnischen Industriekomplex.
Wasser auf die Mühlen dieser Allianz zur Zerstörung der deutschen Binnenschifffahrt spülte wie eine Art Katrina das Jahrhunderthochwasser 2013 im Süden und Osten der Republik. Die Auswirkungen gingen weit über den Umfang der Schäden des vorangegangenen Jahrhunderthochwassers 2002 hinaus. Kaum schwappte das Wasser in die Wohnungen der Bewohner von Deggendorf, Grimma oder Wittenberg, fand sich ein Vertreter der großen Antibinnenschifffahrtskoalition, um, das Ziel der Zerstörung des Wasserstraßennetzes immer fest im Blick, die Schuld im binnenschifffahrtstauglichen Ausbau der Flüsse zu suchen.
Da konnten Katastrophenschutz, Feuerwehr, technische Hilfswerke und die Wasser- und Schifffahrtsämter noch so viele verfügbare Kräfte mobilisieren, um in Tag- und Nachteinsätzen Schlimmeres zu verhindern und zu versuchen, den aufgrund unzureichenden Flussbaus mangelnden Hochwasserschutz mit Notbehelfen wie Schiffssperren und Deichsprengungen wenigstens ansatzweise wettzumachen – die ewige Leier von der Ursächlichkeit angeblich nicht freifließender Flüsse an der Flut war die ständige Begleitmusik, die wie ein Tinitus dem ahnungslosen Hör- und Sehpöbel an Glotze und Lausche aufs Trommelfell gedudelt wurde.
Dass in weiten Teilen des deutschen Wasserstraßennetzes Flüsse zum Wohle der Gemeinschaft dank einer professionell funktionierenden Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und den ihr zuarbeitenden privaten Unternehmen des Wasserbaus ausgebaut sind, nicht nur als Wasserstraßen, sondern vor allem zu Zwecken des Hochwasserschutzes – das wird ausgeblendet, teilweise mit Gewalt unterschlagen.
Die Fachzeitschrift „Schiffahrt Hafen Bahn und Technik (SUT)“6 berichtete etwa, dass die Dresdner Altstadt mit ihren historischen Gebäuden nur deswegen vor den Fluten gerettet werden konnte, weil mittlerweile eine mobile Hochwasserschutzwand dort gebaut worden war. SUT-Herausgeber Hans-Wilhelm Dünner nennt als Ursachen für einige Hochwasserschäden „geplante aber nicht ausgeführte Hochwasserschutzprojekte sowie Einsprüche von Anliegern gegen den Bau von Schutzdämmen“.
Solche Einsprüche gingen in einem Fall soweit, dass ein für Hochwasserschutzmaßnahmen Verantwortlicher in Sachsen sogar unter Polizeischutz gestellt werden musste.
„Fatal“ nennt es Dünner, dass Rot-Grün aus ideologischen Gründen den Elbe-Ausbau gestoppt habe und dessen Wiederaufnahme auch unter Schwarz-Gelb verzögert wurde. Anstatt „längst überfällige Entscheidungen für den Ausbau der Elbe mit einem Wasserstand von 1,60 Metern an 345 Tagen im Jahr zu treffen“ sei alles getan worden, um die Beseitigung der letzten Engstellen im Fahrwasser zwischen Lauenburg und der tschechischen Grenze „bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag hinauszuzögern“, so Dünner.
Auch für Dünner ist Flussbau in erster Linie Hochwasserschutz. Man habe nicht aus den Schäden der Vergangenheit gelernt, nicht durch qualifizierte Investitionen in die Wasserstraßen erneuten Schäden durch ein Hochwasser wie 2013 vorgebeugt.
So hätte durch den Bau des seit langem geplanten, aber immer wieder aufs Abstellgleis verschobenen Saaleseitenkanals das Wassereinzugsgebiet der Saale einen zweiten Abfluss in die Elbe bekommen. Das hätte bei der Flut 2013 dazu geführt, dass der Hochwasserscheitel der Saale vor dem der Elbe abgeflossen wäre. Als Folge davon wäre ein gleichmäßigeres Ableiten der Wassermengen möglich geworden.
Es wäre allerdings zu kurz gedacht, nur finanzielle Engpässe oder Einsprüche von Anwohnern vorort für die Versäumnisse verantwortlich zu machen. Es mutet wie von einem anderen Stern an, wenn ein Bundesverkehrsminister Ramsauer eine WSV-Reform gegen alle Ratschläge, Mahnungen, Warnungen von Fachleuten, Weggefährten, Parteikollegen, politischen Gegnern und Freunden durchsetzen will.
Auch der Streik der WSV-Mitarbeiter 2013 kommt ja nicht aus dem Nirwana, nur weil ein paar Kanalarbeiter mehr Geld haben wollen oder dem Minister übel wollen. Das gesamte Projekt wurde „im stillen Kämmerlein ohne substantiellen Sachverstand ersonnen und über die Köpfe der Betroffenen hinweg unter Auslassung demokratischer Beratungsinstanzen par ordre du mufti durchgesetzt“, schreibt Dünner.
Dünners Politikerschelte greift allerdings zu kurz, wenn er als Drahtzieher nur „eine kleine Riege getreuer Weggefährten des Ministers seiner Vollzugsclique“ ausmacht, die „sich absolut beratungsresistent zeigten gegen Warnungen der Gewerbeverbände aus Schifffahrt und Häfen, gegen eindeutige Beschlüsse der Länderverkehrsminister, gegen Bedenken sachkundiger Oppositionspolitiker“.
Mag man Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) so viel Beratungsresistenz vorwerfen, wie man will – muss es aber nicht genauso befremden, wenn die SPD von der Marburger Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht, Prof. Dr. Monika Böhm, ein Rechtsgutachten zur Neuorganisation der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes erstellen lässt, das mit keiner Silbe die Reform grundsätzlich in Frage stellt?
Die Genossen kritisieren alles mögliche: Schwarz-Gelb habe lediglich, so der Maritime Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion Uwe Beckmeyer und der zuständige Berichterstatter Gustav Herzog in ihrer Erklärung vor der Presse am 4. Juni 2013, bei der Reform „Rechtsunsicherheit bewusst in Kauf genommen“.7 Das Gutachten zeige, dass das Verfahren, in dem die Reform vom Ministerium durchgepaukt wurde, zu massiver Rechtsunsicherheit insbesondere in den Bereichen führe, in denen das Verhältnis der Behörden zu den Bürgern berührt sei, beispielsweise bei der Durchführung von Planfeststellungsverfahren, aber auch bei Abgabenbescheiden sowie bei Angelegenheiten der WSV-Beschäftigten. Es berge zudem erhebliche Risiken für die Arbeitsabläufe der WSV und gefährde den gesamten Verkehrsträger Bundeswasserstraßen.
Die ganze Befürchtung der Sozialdemokraten erschöpft sich darin, dass dadurch die Rechtswidrigkeit von Verwaltungsentscheidungen und nachfolgende Gerichtsverfahren drohen könnten. Sie sehen sich als eitle Wahlkämpfer durch das Gutachten in ihrer Einschätzung bestätigt, dass für eine rechtsfeste Umsetzung der Reform ein Gesetz erforderlich gewesen wäre, um die Kompetenzen in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung an die neue Verwaltungsstruktur anzupassen. Das betreffe insbesondere die Übertragung der Aufgaben und Zuständigkeiten von den Wasser- und Schifffahrtsdirektionen auf die neue „Generaldirektion für Wasserstraßen und Schifffahrt“.
Es treibt die Parlamentarier der Opposition die Sorge um, dass die Bundesregierung beim Verwaltungsumbau Bundestag und Bundesrat umgangen und nicht vorher eine gesetzliche Grundlage geschaffen habe. In der Tat hatte sie einen im Dezember 2012 vorgelegten Gesetzentwurf nach scharfer Kritik von Ländern und Verbänden zurückgezogen.
Die SPD- oder grünregierten Länder Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Bremen und Hamburg sind mit ihrem am 6. Mai 2013 im Bundesrat angenommenen Entschließungsantrag gegen die Neuordnung der WSV natürlich stramm auf Parteilinie. Sie befürchten, dass durch die Abschaffung der regionalen WSDen sowie der Ämterumstrukturierung das regionale Know-how verloren gehen und ihre sowie die Belange der Schifffahrt damit nicht in dem erforderlichen Maße berücksichtigt werden könnten. Die Reform führe, so die Sorge der Länder, zu weiteren Schnittstellen und zu einem ihrer Ansicht nach nicht hinnehmbaren Verlust in der Verkehrsqualität.
Interessant ist die Haltung der protestierenden Länder wieder wegen der von ihnen angeführten einzelnen Protestpunkte. Sie monieren, dass sie nicht ausreichend Gehör gefunden hätten, lassen sich von eitelen Zuständigkeitsquerelen und Parteivorgaben leiten. Immerhin sehen sie wenigstens die Funktionstüchtigkeit der WSV durch die Reform gefährdet. Aber von der grundsätzlich politisch gewollten Zerschlagung der WSV mögen auch sie keinen durchgreifenden Abstand nehmen.
Haben wir also im Antrag der Länder oder etwa in der Ankündigung Beckmeyers und Herzogs, nach einem Regierungswechsel würde die SPD-Bundestagsfraktion zügig ein mit Ländern und Beschäftigten abgestimmtes Gesetz vorlegen, um die durch das schwarz-gelbe Regierungshandeln entstandene Regelungslücke zu schließen und Rechtssicherheit für die Bürger, aber auch für Wirtschaft und Bundesländer zu schaffen, ein Signal zu erblicken, dass die Zerschlagung der WSV mit anderen, meinetwegen auch rechtssicheren Mitteln weitergehen soll? Fast sieht es so aus: keine Forderung von SPD oder Grünen, den Bestand der WSV in der bisherigen Form sichern zu wollen, keine Arbeitsplatzgarantien für die verbliebenen noch knapp 12.000 WSV-Mitaibeiter für den Fall, das Rot-Grün im September an die Regierungsmacht im Bund gelangen sollte, keine Solidaritätsadresse an die Streikenden in der WSV.
Hier könnte sich die Fortsetzung der unter den Ramsauer-Vorgängern aus der SPD begonnene politische Allianz quer durch die Parteien ankündigen. Einziger Unterschied wäre, dass deren Porte-parole derzeit gerade ein Minister Ramsauer ist, der dann ab September aber genauso gut mit ähnlichen Qualifikationen gegen einen Minister Florian Pronold, wie Ramsauer Bayer, ausgetauscht würde. Er würde dieselbe Politik weiter betreiben, vielleicht garniert mit einem Gesetzchen hier und einer modifizierten Verordnung dort – Hauptsache die Richtung ist dieselbe, und die wäre: Zerschlagung der WSV, ob das der Bürger will oder nicht.
Allein die objektive Berichterstattung über diese Zusammenhänge in der Binnenschifffahrt haben mich zu der Überzeugung gebracht, dass das Wirken der Gewerkschaft in diesem Zusammenhange nicht nur den Belangen der WSV-Mitarbeiter dient, sondern darüber hinaus den Interessen der Wirtschaft in Gestalt der verladenden Unternehmen und vor allem der deutschen und mitteleuropäischen Volkswirtschaft sowie in Konsequenz davon der globalisierten Weltwirtschaft.
Dies wird von der Politik ausgeblendet. Wäre es nicht so, wäre es unverständlich, warum als systemisch eingestufte Organe der Volkswirtschaft wie die Banken auf Kosten der Steuerzahler vom Staate unterstützt werden, während ein anerkanntermaßen nicht minder systemischer Verwaltungsapparat wie die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung mutwillig zerschlagen wird – und weder Politik noch Wirtschaft, nicht Berlin, nicht Brüssel oder München, rühren den kleinen Finger, um sie wenigstens zu retten, geschweige denn überlebensfähig oder gar markt- und zukunftsfähig zu erhalten und auszubauen.
Dieses Buch will nicht mehr und nicht weniger, als einige wenige Symptome, wie sie sich mir in gut anderthalb Jahrzehnten journalistischer Befassung mit dem Thema dargestellt haben, festhalten. Es sind Ausschnitte eines Dramas, dessen wohl letzter Akt dieser Tage mit der Bundestagswahl 2013, zusätzlich beflügelt durch wieder einmal ein Jahrhunderthochwasser, orchestriert wird.