Für Karen
Der ewig zerstreute Herzog, Landesvater eines Thüringer Ländchens, trifft im benachbarten Duodez-Fürstentum zum offiziellen Staatsbesuch ein. Kaum der Equipage entstiegen und vom Gastgeber in aller Form begrüßt, macht man ihn dezent auf die Pracht des von den Bäumen des Parks eingerahmten, in hellen Farben leuchtenden Barockschlosses aufmerksam. Darauf der Herzog, Interesse heuchelnd und wie immer nur halb bei der Sache: „Hier gebaut?“
Eine absurde Frage – allerdings nur, wenn sie an derartigen, abgelegenen Erdenfleckchen gestellt wird. An manch anderen Orten kann sie durchaus zu Recht aufgeworfen werden. Nicht zuletzt in Berlin. Hier findet sich eine nennenswerte Anzahl von Bauwerken, die heute nicht mehr am Platz ihrer Erst-Errichtung stehen.
Zwar wurde in der Vergangenheit bei den großen Umbrüchen, die die Hauptstadt durchgemacht hat, ohne Rücksicht auf kulturhistorische Werte grundsätzlich alles, was im Wege war, erbarmungslos abgeräumt. Dies war so, als Berlin mit Beginn der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts Weltstadt wurde, es war so nach 1933, als die größenwahnsinnige NS-Vision „Germania“ in den Körper der alten Metropole implantiert werden sollte, und auch nach 1945 bzw. nach der Spaltung Berlins ging man in beiden Teilen der Stadt keineswegs zimperlich mit der alten Bausubstanz um. Wie treffend schrieb doch 1958 Walther Kiaulehn: „Zwei Ursachen haben Berlin zerstört: Bomben im Krieg und Mutwillen im Frieden.“
Aber es gibt zu allen Zeiten auch Ausnahmen. Unter den Bürgern der Stadt kommt - neben Zustimmung bzw. Melancholie - immer auch Protest gegen den ersatzlosen Abriss historischer Bausubstanz auf, zumal sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Idee des Denkmalschutzes verbreitet. Auch zwischen Staatsbeamten und Angehörigen des Magistrats werden neue Leitbilder des Stadtumbaus zum Gegenstand von Auseinandersetzungen. Teilweise greifen der preußische König bzw. der deutsche Kaiser und später die Führungsspitzen des NS-Regimes und der DDR direkt in die Umgestaltung Berlins ein.
Im Resultat kommt es gelegentlich zur Umsetzung historischer Bauten – sei es, um Gebäudeschützer zu beschwichtigen, sei es aus dem echten Bedürfnis heraus, das städtische Geschichtsbild wenigstens punktuell zu erhalten. Der bei den Berlinern und ihren Gästen vielleicht noch am ehesten bekannte Fall ist - wegen des spektakulären Hintergrunds ihrer Versetzung - die Siegessäule im Tiergarten. Aber es ist in der Berliner Baugeschichte der letzten hundertfünfzig Jahre bei weitem nicht einmalig, dass - im Idealfall - ein Bauwerk sorgfältig abgetragen wird, dass die einzelnen Teile registriert und zwischengelagert und schließlich am anderen Ort wieder zusammengefügt werden. Zumeist werden indes nur wertvolle Einzelteile (Spolien) wiederverwendet. Auch Fälle von andernorts totalem Neubau nach alten Bildern und Plänen gehören in diese Reihe. Und es findet sich ein Beispiel, wie der Teil eines Bauwerks „im Ganzen“ um Dezennien von Metern verschoben wird. In der Regel handelt es sich nicht um eine einfache Translokation des Bauwerks, auch nicht um die Errichtung einer Kopie. Was am neuen Ort entsteht, ist zutreffender als Adaption, als Annäherung an das Original zu bezeichnen.
Das vorliegende Buch behandelt diese „Wanderung“ Altberliner Bauwerke. Berücksichtigt werden auch nennenswerte Segmente von Bauten, genauer: von Hochbauten, aber keine inneren Bau- oder Einrichtungsteile, darüber hinaus keine einzelnen Skulpturen, keine Brunnen, Brücken u. ä. Eine andere Voraussetzung für die Berücksichtigung ist, dass die Bauwerke bzw. Segmente – und sei es als Kopie - erneut Teil des Stadt- bzw. Landschaftsbildes geworden sind, statt in Museen ausgestellt oder irgendwo für die Öffentlichkeit unzugänglich abgelagert zu sein.
Diese Wanderung ist ein – bisher noch nicht umfassend dargestellter – Bestandteil jenes Prozesses, den der Kunsthistoriker Karl Scheffler 1910 in seinem Werk „Berlin. Ein Stadtschicksal“ mit den seither vielzitierten Worten charakterisiert hatte, die Stadt sei dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein. „Mißtraut den Grünanlagen!“ ruft viele Jahrzehnte später der Schriftsteller und Journalist Heinz Knobloch aus und stellt für die Nachkriegszeit diese von Scheffler angesprochene Verbindung zwischen dem vor Ort Gewesenen, dem aktuellen, oft langjährigen Grünflächenprovisorium und einer evtl. künftigen Nutzung her. „Mißtraut den Standorten!“ ist man geneigt anzufügen. Gewöhnlich ist es den Bauwerken äußerlich nicht anzusehen, ob sie schon immer dort gestanden haben, wo sie heute stehen.
Die Havelinsel Schwanenwerder im Südwesten von Berlin, am Ausgang des Großen Wannsees. Hier, auf dem „Cladower Sandwerder“, wie die damals nur von grasenden Kühen bevölkerte Insel bis 1901 heißt, träumt im Jahre 1848 der russische Anarchist Michail A. Bakunin zusammen mit anderen Schwarmgeistern beim Braten eines Hammels vom besseren Zukunftsstaat. In der Nähe dieser Insel ertrinkt im Januar 1912 der begabte Lyriker des frühen literarischen Expressionismus Georg Heym mit seinem Freund E. Balcke beim Schlittschuhlaufen.
In den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt sich Schwanenwerder zum „Millionenwerder“, zum Dorado der Finanz- und Wirtschaftsprominenz. Eduard Mosler, Oskar Schlitter, Arthur Salomonsohn und sein Sohn Georg Solmssen – alle von der Deutschen Bank bzw. der Disconto-Gesellschaft – der Generaldirektor von Schultheiss-Patzenhofer, Walter Sobernheim und andere lassen sich hier nieder. Aber auch so zweifelhafte und undurchsichtige Gestalten wie der Wettschwindler Max Klante oder der russische Verleger Parvus-Helphand sowie die Großbetrüger Alexander Kutisker und Julius Barmat siedeln sich an.
Nach 1933 wandelt sich der „Barmatwerder“ zum „Bonzenwerder“. Joseph Goebbels und Hitlers Leibarzt Theo Morell wohnen hier, auch für den „Führer“ selbst ist eines der zwangsverkauften Grundstücke reserviert. Im Jahre 1939 muss die Baronin Goldschmidt-Rothschild ihr Grundstück zum symbolischen Preis von 150 000 Mark an Albert Speer abtreten. Die Reichsfrauenführerin Scholtz-Klink etabliert auf der Insel ihre „Reichsbräuteschule“.
Ab Ende der vierziger Jahre werden Häuser und Grundbesitz an die rechtmäßigen Besitzer oder ihre Erben zurückgegeben. Diese verkaufen oft an das Land Berlin, das seither rund 40 Prozent des Grundstückfonds besitzt. Auf der Insel befinden sich heute ein Jugendfreizeitheim, eine Kindererholungsstätte und ein Gruppenzeltplatz. Am Ort der abgerissenen Goebbels-Villa hat das Aspen-Institut seinen Sitz, das sich um die Vermittlung von US-amerikanischen Politikinhalten im Ausland bemüht. Eine ausgesprochene Idylle aus Villa, Garten und Wasser entsteht 1964 für den Verleger Axel Springer.
Hat man die Brücke, die auf die Insel führt, hinter sich gelassen, fällt der Blick bald rechterhand, am Grundstück Inselstraße 8 auf den merkwürdigen, an eine Ruine erinnernden Säulenbau. Die Inschrift einer Tafel an der Vorderseite lautet: „Fragmente der Tuilerien 1564 – 1871“, und auf der Seeseite des Denkmals findet sich der Vierzeiler:
Gedichtet hat diesen Vers, dessen letzte Zeile auch das Schicksal der Insel beschreiben könnte, Louise Parey, Gattin des Verlegers Paul Parey. Die Aufstellung der Säule geht auf einen Fabrikanten aus der Berliner Luisenstadt zurück.1
Der Kommerzienrat Friedrich Wilhelm Wessel erwirbt mit Vertrag vom 14. November 1882 den fast 200 000 Quadratmeter großen Cladower Sandwerder vom Kladower Gutsbesitzer Kässner zum Spottpreis von 27.000 Mark. Wessel ist seit 1855 zusammen mit seinem Kompagnon Heinrich Otto Emil Wild Eigentümer der Lampenfabrik Wild u. Wessel. Das Unternehmen expandiert in einem Tempo, das in kurzer Zeit zu mehrfachen Verlegungen des Firmensitzes zwingt, zuletzt (1862) in die Kreuzberger Prinzenstraße 26/27. Wessel produziert den von ihm konstruierten Petroleum-Rundbrenner, verhilft damit der Berliner Lampenindustrie zur Weltgeltung und erlangt selbst erheblichen Wohlstand.
Friedrich Wilhelm Wessel wohnt mit der Familie ab 1875 während der Sommermonate in seiner neu erbauten Villa hoch über dem Havelufer Am Sandwerder 3. Der Blick auf den nahen Cladower Sandwerder mag ihn inspiriert haben, ein nach eigenen Vorstellungen gestaltetes Inselparadies entstehen zu lassen. Er versieht das Eiland mit Zufahrt sowie Brücke und sondert neunzehn zum Verkauf vorgesehene Grundstücke aus. Große Teile seiner Insel, so das Oval innerhalb der rundum führenden Inselstraße, hält er für öffentliche Parkanlagen frei. Als er im Jahre 1898 stirbt, sind allerdings erst zwei Parzellen verkauft. Die fünf Kinder, „Erben zu gleichen Theilen“, vollenden die parkartige Ausgestaltung der Insel und verkaufen weitere große Grundstückseinheiten bzw. nutzen sie für den eigenen Bedarf.
Erwerb und Aufstellung der Tuileriensäule hatten seinerzeit zu den ersten Maßnahmen Wessels nach dem Kauf der Havelinsel gehört. Die Säule stammte vom Palais des Tuileries in Paris. Das war das frühere Stadtschloss der französischen Herrscher, ungefähr 500 Meter von der königlichen Residenz Louvre entfernt und mit dieser zeitweise durch große Flügelbauten verbunden. Im Jahre 1871 brannte das Palais beim dem Aufstand, der unter der Bezeichnung Pariser Kornmune in die Geschichte einging, aus und wurde später abgerissen. Heute erinnert nur noch der prächtige, mit vielen Bildsäulen geschmückte Park Jardin des Tuileries an das ehemalige Schloss.
Bei Friedrich Wilhelm Wessel paarten sich offenbar geschäftliche Regsamkeit mit einem Sinn für kulturhistorische Werte. Nebenbei kann er für sich in Anspruch nehmen, die längste Reise eines umgesetzten Altberliner Bauwerks veranlasst zu haben.
1 vgl. hierzu auch Janin Reif, Horst Schumacher, Lothar Uebel, Schwanenwerder. Ein Inselparadies in Berlin, Berlin 2000, S. 14–17
Auf den ersten Blick erweckt der Schöneberger Heinrich-von-Kleist-Park den Eindruck einer barocken Anlage des 18. Jahrhunderts. Den Zutritt an der Potsdamer Straße beherrschen zwei 23 Meter auseinander liegende deckungsgleiche Kolonnaden aus gelbem Seehausener Sandstein, die die Aufmerksamkeit des Parkbesuchers auf sich ziehen.
Ionische Säulen stehen auf hohen profilierten Postamenten und tragen ein dreiteiliges Konsolengebälk, auf dem eine Attika mit Balustraden verläuft. Die Dächer sind mit Kupfer eingedeckt. Mitte und Ecken sind durch eine hervortretende Säulenstellung pavillonartig erweitert und mit hohen Dachbekrönungen ausgestattet. Ebenfalls aus Sandstein gefertigt sind die reichen plastischen Arbeiten der spätbarocken Kolonnaden. Für die Schöpfer dieser Figuren werden in der Literatur die Namen Meyer der Ältere, Meyer der Jüngere sowie Schultze aus Potsdam genannt. Fast 52 Meter ragen die beiden Säulenreihen in den Park hinein, der seit 1911 den Namen des großen deutschen Dichters trägt.
Ebenfalls in barocker Architektur präsentiert sich der Abschluss des Parks, das Kammergericht, ein quer stehendes 135 Meter langes Gebäude mit insgesamt 38 Fensterachsen und fünf Etagen. Besonders beeindrucken der um vier Meter aus der Fluchtlinie heraustretende Mittelrisalit mit seinem Dreiecksgiebel und dem Figurenschmuck.
Das Kammergerichtsgebäude hat eine bewegte Geschichte.2 Von August 1944 bis Januar 1945 finden hier die Schauprozesse des berüchtigten Volksgerichtshofes unter seinem Präsidenten Roland Freisler statt, in denen die Beteiligten am Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 angeklagt und abgeurteilt werden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmen die vier Siegermächte das Gebäude und machen es zum Sitz des Alliierten Kontrollrats und anderer administrativer Einrichtungen. Am 18. Oktober 1945 konstituiert sich im Plenarsaal des Kammergerichts das internationale Militärtribunal für die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse. Nach Vereidigung der Richter und förmlicher Anklageerhebung vertagt sich das Tribunal nach Nürnberg, behält aber seinen ständigen Sitz in Berlin. Der Alliierte Kontrollrat verliert seine praktische Bedeutung, nachdem ihn die Sowjetunion im März 1948 aus Protest gegen die Deutschlandpolitik der drei westlichen Besatzungsmächte „vertagt“. Er tritt nie wieder zusammen. Am 3. September 1971 unterzeichnen die Botschafter der vier Alliierten im Plenarsaal das Viermächte-Abkommen über den Status Berlins.
Seit der Wiedervereinigung steht das Gebäude wieder unter deutscher Verwaltung. Neben dem Kammergericht haben hier der 1992 geschaffene Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, die Generalstaatsanwaltschaft Berlin sowie mehrere Berufsgerichte ihren Sitz.
Das Gebäude des Kammergerichts entsteht aber erst Anfang des 20. Jahrhunderts, zur gleichen Zeit wie der Kleist-Park. Die Stätte der damals höchsten juristischen Instanz Preußens wird in den Jahren 1909 bis 1913 im Stil des Neo- oder wilhelminischen Barock erbaut. Sie steht auf dem Gelände des früheren Königlichen Botanischen Gartens, der seit 1679 zuerst als kurfürstlicher Küchen- und Obstgarten dient und ab 1809 nach wissenschaftlichen Kriterien ausgebaut wird. Ein paar schöne alte Bäume zeugen noch von jenen Zeiten, in denen Adalbert von Chamisso zwischen 1819 und 1839 hier als „Aufseher der Pflanzen“ das Herbarium betreut. Zwischen 1899 und 1906 wird der Botanische Garten auf die wesentlich größere Fläche in Berlin-Dahlem verlegt.
Wie kommen Kolonnaden aus dem 18. Jahrhundert in einen Park, der sowohl selbst wie auch seine Randbebauung – dies sind neben dem Kammergericht die Baudenkmäler Sophie-Scholl-Gesamtschule (Elßholzstraße 34–37, erbaut 1912–1914) und am südlichen Rand die Ehemalige Königliche Kunstschule (Grundwaldstraße 2–5, erbaut 1914–1920) – aus dem 20. Jahrhundert stammen? Die Suche nach der Antwort beginnt mit einer Anordnung des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, die ab August 1658 umgesetzt wird.
In diesem Monat beginnen die Schanzarbeiten zur Umwandlung der Residenz in eine Festungsstadt; sie werden sich über ein Vierteljahrhundert, bis zum Jahre 1683 erstrecken.3 Das aufwändigste Bauwerk in der Geschichte Berlins, ein politisches Prestigeprojekt der Hohenzollern, für das die leidvollen Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges den letzten Anstoß geben, ist eine Wasserfestung in Form eines riesigen Sterns nach alt-niederländischem System. Es berücksichtigt die Veränderungen im Kriegswesen des 17. Jahrhunderts, vor allem der schlagkräftgen Angriffsmittel der Artillerie. Der Hauptwall ist etwa acht Meter hoch und an der Oberkante sechs Meter breit. Um den Schussradius der Artillerie zu vergrößern, sind im Mauerring 13 Bollwerke, „Bastione“ genannt, keilförmig eingebaut; am deutlichsten hat sich solch ein Dreieck in den Umrissen des heutigen Hausvogteiplatzhalten. Jede Bastion ist mit mindestens sechs Geschützen ausgestattet. Später gesellen sich noch sogenannte Ravelins hinzu, kleinere Mauervorsprünge, die die Feuerkraft der Festungsanlage zusätzlich erhöhen sollen.
Die geradlinigen Mauerwälle zwischen den Bastionen werden Courtinen (Erdwerke) genannt. An der Außenseite des Hauptwalls verläuft ein Gang. Davor liegt noch ein niedrigerer Nebenwall, der von einem tiefen, teilweise mehr als 50 Meter breiten Wassergraben umgeben ist. Das gesamte Festungswerk erreicht über 80 Meter Breite. Es ist an nur sechs Stellen durch Tore passierbar.
Bald erweist sich der Festungsstern wegen der wachsenden zivilen wie uniformierten Stadtbevölkerung als zu klein. Schon nach einem halben Jahrhundert, beginnend in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts, werden die Wälle unter den Königen Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. wieder abgetragen.
Maßgeblich für die Rückverfolgung der Geschichte der Kleistpark-Kolonnaden ist, dass beim Schleifen der Festung zwar Wälle und Tore verschwinden, Wassergraben und Brücken indes noch weit bis in das 19. Jahrhundert hinein zum Stadtbild gehören.
Erhalten bleiben somit auch am Ochsenplatz, dem späteren Alexanderplatz, der Königsgraben und die Königsbrücke als Verbindung zur Königstraße (heute Rathausstraße), alle benannt nach den Orten, die der 1701 in Königsberg gekrönten Friedrich I. bei seinem feierlichen Einzug in die Stadt passiert. Die hölzerne Zugbrücke überlebt den 1746 von König Friedrich II. angeordneten Abriss des nördlich der Spree liegenden Festungswalls und die Beseitigung des Königstors (vorher Bernauer, auch Georgentor genannt) um 31 Jahre. Dann entsteht in den Jahren 1777 bis 1780 nach Entwürfen von Gontard und gebaut von Boumann d. J. eine steinerne vierjochige und zehn Meter breite Verbindung zwischen Königstraße und Alexanderplatz. Von Kindergruppen umgebene Laternen bilden den Schmuck der repräsentativen Brücke. Trotz Renovierung 1831 wird sie in den fünfziger Jahren baufällig. Einer der Mittelpfeiler droht abzusinken und wird mühsam stabilisiert. Ab 1863 verläuft die Straße, die den umfangreichsten Geschäftsverkehr von Alt-Berlin zu bewältigen hat, nicht nur über die steinerne, sondern auch über eine daneben angelegte provisorische Holzbrücke.
In den Jahren 1870 bis 1872 schließlich wird eine von Johann Heinrich Strack entworfene wesentlich breitere und damit dem Verkehrsstrom der Königstraße angepasste Brücke mit drei Bogen errichtet. Vorangegangen waren langwierige Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und dem eigentlich verantwortlichen preußischen Fiskus.
Die geräumigeren Wasserdurchlässe werden von Ruderkähnen und anderen schmalen Fahrzeugen gern in Anspruch genommen. Auch Halbwüchsige auf der Brücke finden dabei ihr Vergnügen, wie sich Arthur Eloesser erinnert. Man saß an schönen Sommertagen auf der Sandsteinbrüstung,
„… um den Leuten, die unten ruderten, auf die Köpfe zu spucken. Die Erfahrenen drohten uns schon von weitem, wenn sie uns in Bereitschaftsstellung sahen; aber es half ihnen nichts, und wir pflegten zu treffen. Nur einmal, entsinne ich mich, wurde von einem unserer Kameraden, und gerade von dem Anführer, der über nie versagende Munition verfügte, ein Akt der Gnade ausgeübt. Unter uns fuhr ein älterer Herr in Begleitung eines hübschen blonden Pudelkopfes, der eine so lustige Spitzenbluse anhatte, dass sie gar nicht mehr so tief ausgeschnitten zu sein brauchte. Auch der ältere Herr schaute besorgt nach oben, und mein Kamerad schien besonders kräftig laden zu wollen. Als er aber das Hübsche, Weiße, Runde unter den Spitzen ängstlich aufgeregt wogen sah, blieb ihm wohl der Atem stehen, und er konnte nur noch schauen. Da aber ein Berliner Junge sich so leicht nicht ergibt und so wenig wie ein homerischer Held stumm bleiben kann, rief er dem Fräulein wenigstens triumphierend nach: ‚Mariechen, ick habe dir ins Herz jekiekt.‘“ 4