Wer möchte gern gut leben und schöne Tage sehen?
…
suche Frieden
und jage ihm nach! (Psalm 34)
"Sie haben Augen und sehen nicht,
sie haben Ohren und hören nicht"
Der helle, blaue Himmel war vollkommen wolkenlos und schien seine Betrachter dazu einzuladen, tief in sein Innerstes zu blicken, ganz so, als wolle er den Scharfsichtigen die Natur seines Inhalts und seine Geheimnisse offenbaren. Die Sonne fing schon an unterzugehen und färbte das Blau des Himmels langsam grau und erlaubte es den Menschen, ihre Beschäftigungen nach und nach ruhen zu lassen und sich auf den Moment vorzubereitn, in dem die Zeit keine Macht mehr über sie hätte, den Moment, in dem der gesegnete Schlaf sie in seinen Armen wiegen würde.
Dieser gesegnete Schlaf wartete jedoch nicht auf die fünf jungen Männer, die sich gerade versammelten und einander gerührt umarmten, im Gegenteil. Die Aufgabe, die vor ihnen lag, erforderte den Verzicht auf Schlaf.
»Alles Gute, alles Gute.«
Die Umarmungen, das Lächeln und die freundschaftlichen Ohrfeigen, die die vier Männer um Zachi austauschten, ließen ihn einen leichten Kloß im Hals verspüren. Erst gestern hatte er im Kreise seiner Familie den ersten Geburtstag seines Sohnes gefeiert.
»Danke, Jungs, Danke. Ich freue mich, euch alle zu sehen, aber um ehrlich zu sein, vermisse ich zu Hause ziemlich«, sagte Zachi, während er ein kleines, blaues Stofftäschchen mit goldener Kordel aus seiner Hemdtasche holte. Dem entnahm er langsam und vorsichtig ein Foto, das er seinen Jungs voller Stolz zeigte. Diese schoben sich neugierig hinter seinen Rücken und betrachteten das Foto. Es blickte ihnen ein kleines Kind mit großen Augen und gelocktem Haar entgegen, das sich an einem zurückhaltend lächelnden Zachi festhielt.
»Okay, Leute, das reicht für heute.« Mit diesen Worten ließ er das Foto zurück ins Täschchen gleiten und steckte dieses zurück in seine Hemdtasche.
»Gibt es irgendwelche Informationen über die Aufgabe?« fragte Ron, der einzige Blondschopf der Gruppe, und richtete seinen Blick geradewegs auf Zachi, der Kommandant der Gruppe war.
Langsam verschwanden die Aufregung über das Wiedersehen und das Lächeln und alle wandten sich Zachi zu, gespannt auf das, was dieser ihnen mitzuteilen hatte. »Ja«, antwortete er mit ruhiger und leiser Stimme. »Wir machen uns innerhalb der nächsten Stunde auf den Weg, überqueren die Grenze und müssen einen USBStick, auf dem sich äußerst wichtige Informationen befinden, ins Land bringen und das alles vor Sonnenaufgang. Ein Helikopter wird uns nah an unser Ziel bringen, den Rückweg müssen wir jedoch zu Fuß bewältigen.«
An dieser Stelle holte er aus seiner Seitentasche, die ihm über die Schulter hing, einige Brillen und verteilte sie unter den Männern.
»Auf unserem Rückweg müssen wir durch ein Minenfeld nahe der Grenze. Der Film, der den sicheren Weg durch das Feld zeigt, lässt sich ausschließlich durch diese Brillen sehen.«
»Welche Informationen befinden sich auf dem USBStick?« Der rothaarige Jossi sprach die Frage aus, die sich allen stellte.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Zachi trocken.
»Mir wurde lediglich gesagt, dass der Inhalt den Friedensprozess ein bedeutendes Stück voranbringen kann.«
Uri grinste leicht. »Wir ziehen in den Krieg, um Frieden zu machen, klingt logisch und bescheuert.«
Ihr wunderbaren, talentierten Leute, dachte sich der Mann Anfang Fünfzig und beobachtete sie zusammen mit seinen zwei engsten Beratern aus den Höhen der fünften Etage. Ihr Blick richtete sich in dieser vor-abendlichen Stunde auf die große Rasenwiese des Computerzentrums in Tel Aviv. Der Mann, der äußerst bekannt in der Welt und nicht gerade beliebt in seinem Land war, wollte keinen direkten Kontakt mit der kleinen Gruppe von Kämpfern der Spezialeinheit. Er verwarf jeden Gedanken von Reue, da er wusste, dass auch diejenigen, die lebend von dieser Mission wiederkämen, für den Rest ihres Lebens stumm gestellt sein würden. Die Informationen, die sie besorgen sollten, galten als äußerst brisant, Informationen, die kein Mensch, so der Plan, je zu Gesicht bekommen, geschweige dann, sie in die Tat umsetzen sollte. Die Informationen enthielten Pläne, die von zwei Gelehrten der Welt entwickelt worden waren, die in wenigen Zügen den Weg zu einer gerechten Lösung zwischen Juden und Palästinensern beschrieben. Eine Lösung, die Geheimnisse und die zwischen ihnen bestehenden Verbindungen zeigt und beweist. Dank der Gelehrten, der Redakteure dieser Informationen, verschwanden sie, als hätte es sie nie gegeben. Er beobachtete die jungen Männer weiterhin durch das Fenster und blieb vollkommen kühl bei dem Gedanken, dass er sie so wie jetzt, lebendig und freudig, nie wieder sehen würde. In dem Moment, in dem sie in den Hubschrauber steigen würden, war ihr Urteil gefällt. So war es in den geheimen Gesprächen in seinem Büro beschlossen worden.
Zachis Gruppe wurde gewählt, weil ihre Männer über die besonderen Fähigkeiten verfügten, die eine Aufgabe wie diese, die sie unvorstellbar an die Grenzen ihres Könnens bringen würde, verlangte. Ehrlichkeit, Integrität und Aufrichtigkeit, die sie besaßen, waren momentan ein Stolperstein. Aber das wundersame Überleben des Volkes, die erstaunlichen Siege, die die Welt beeindruckten und Israel zu einer lokalen Macht hatten aufsteigen lassen, hatten den erhofften Frieden nicht gebracht. Im Gegenteil, die Sicherheitslage wurde noch komplizierter und noch schwieriger. Das Volk, das nach Frieden dürstete, ließ sich langsam, aber sicher, nüchtern von der Denkweise »Meine Stärke und die Kraft meiner Hände« leiten und das Gefühl, dass die Hoffnung auf ein Leben in Frieden und Ruhe sich auflöste und verschwand, erfasste es immer mehr.
Es klingelte und einer der Berater, die dem Mann zur Seite standen, ging zum schwarzen, quadratischen Tisch in der Mitte des Raumes und führte das darauf liegende Telefon an sein Ohr.
»Ja, du hast Recht, es ist Zeit.« Der Berater sprach leise.
»Die Anweisungen werden im Hubschrauber während des Fluges zum Ziel gegeben.« Er hörte seinem Gesprächspartner kurz zu und sagte dann wieder mit ruhiger und leiser Stimme: »Sie haben weniger als sieben Stunden, um die Mission auszuführen und zurückzukehren.«
Sie warteten noch einige Minuten, beobachteten aus der Ferne, wie die sieben Gestalten in den Hubschrauber kletterten und dieser leise ratternd mit ihnen in die Höhe stieg.
Die drei Männer im fünften Stock beobachteten weiterhin den Hubschrauber, der sich gerade in einen winzigen Fleck am weiten, dunklen Himmel verwandelt hatte. Der Hubschrauber navigierte seinen Weg am Himmel, als er gänzlich aus dem Sichtfeld verschwand.
Im Hubschrauber selbst herrschte Schweigen. Sie hatten sich alle in einem Halbkreis an einen länglichen, niedrigen Tisch gesetzt, auf dem eine kleine Lampe stand, die den Innenraum in bläuliches Licht hüllte. Die Blicke der Männer konzentrierten sich jetzt auf zwei Männer, die sich ihnen angeschlossen hatten und ihnen letzte Anweisungen geben sollten.
Der Größere der beiden beugte sich vor und holte einige Fotos aus dem Lederbeutel auf seinen Beinen und verteilte sie auf dem Tisch.
»Ihr müsst hierhin gelangen.«
Sein Finger bewegte sich schnell und zeigte auf ein niedriges Gebäude mit einer riesigen Kuppel, die aus dem Boden ragte.
»Unter dieser Struktur«, fuhr er mit rauer Stimme fort, »gibt es drei bis fünf Stockwerke. Leider wissen wir die genaue Anzahl nicht mit Sicherheit, was allerdings nicht so wichtig ist, da sich euer Ziel in der zweiten Ebene befindet.«
Er hob seinen Kopf für eine Sekunde und musterte sie schnell, dann sagte er:
»Auf beiden Seiten des Gebäudes gibt es ungefähr hundert Meter von ihm entfernt Luftöffnungen und Fluchtwege.«
Er wies mit dem Finger auf die Fotos.
»Ihr müsst durch diese Öffnung in das Gebäude eindringen, da sie direkt in den zweiten Stock führt. Auf dieser Ebene sind alle Türen mit verschiedenen Farben markiert. Ihr müsst zur blauen Tür gelangen. Hinter ihr befinden sich die Informationen, die so wichtig für uns sind.«
Er hielt abermals inne und musterte sie. Zachi brach das Schweigen:
»Wie sollen wir den Chip finden und woher sollen wir wissen, dass er die geforderten Informationen enthält?«
Das leichte Schweigen, das seine Frage ausgelöst hatte, brach diesmal der Kleinere der beiden.
»Mithilfe dieses Apparats«, sagte er und holte ein kleines, graues Gerät mit einem durchsichtigen Glasbildschirm aus seiner Westentasche. Das Gerät gab er Zachi, der es sorgfältig von allen Seiten betrachtete.
»Schaltet das Gerät erst ein, wenn ihr euch vor der blauen Tür befindet und drückt dann auf den Knopf.«
»Ich sehe hier zwei Knöpfe«, sagte Ron, der neben Zachi saß.
»Ja, ihr dürft ausschließlich den vorderen Knopf benutzen.« »Was passiert, wenn man auf den zweiten Knopf drückt?« Ron ließ nicht locker.
»Es ist euch nicht erlaubt, ihn zu benutzen.«
Diese kurze Antwort sorgte dafür, dass sie ihren Blick vom Gerät lösten und ihn scharf musterten. Der Kleinere rutschte unter ihren Blicken nervös auf seinem Platz hin und her.
»Eigentlich hätten unsere Ingenieure den Knopf neutralisieren sollen, was aber aufgrund von Zeitmangel nicht geschehen ist.«
Das Licht im Hubschrauber ging aus und es war so dunkel, dass sich die einzelnen Gestalten kaum voneinander unterscheiden ließen. Eine Gestalt erhob sich und ging in den hinteren Teil des Hubschraubers. Trotz des gedämpften Geräusches des Hubschraubers, konnte man hören, wie ein Reißverschluss geöffnet wurde.
»Zachi, legst du Gebetsriemen an?«, fragte Ron leise, als er Zachi in der Dunkelheit erkannte.
»Nein, dieses Mal nicht. Ich wollte sie einfach nur fühlen«, antwortete Zachi. Einmal erklärte er Ron, der überhaupt nicht religiös war, dass in den Kapseln der Gebetsriemen vier Kämmerchen waren, in denen sich je ein gerolltes Schriftstück mit Versen aus der Thora befand. Die vier Kämmerchen entsprachen den vier Welten, die in der spirituellen Lehre der Kabbala beschrieben werden. Die Antwort überraschte Ron. Bei all den schwierigen und unterschiedlichen Missionen, die sie im Laufe der Jahre durchgeführt hatten, hatte Zachi die Gebetsriemen stets voller Stolz getragen.
»Sie sind wie eine Antenne, die mich mit höheren, spirituellen Kräften verbindet«, erwiderte Zachi ihnen, als sie ihn danach fragten.
»Kräfte, die mich auf ihren Händen zu tragen scheinen und mich vor jeglichen Hindernissen bewahren.«
Ron wollte ihn fragen, warum er seine Tradition dieses Mal nicht befolgte, entschied sich jedoch anders. Er erinnerte sich, dass er ihn seinerzeit, als sie zu einer Mission aufbrachen und Zachi zum ersten Mal die Gebetsriemen auf seinem Kopf trug, gefragt hatte, woher seine Idee stammte. Zachis Antwort war, dass die Israeliten immer Gebetsriemen auf dem Kopf trugen, als sie unter dem Befehl Jehoshuas in die Kriege zur Eroberung des Landes zogen.
Einige Augenblicke später war die ruhige Stimme des Piloten zu hören, der ihnen mitteilte, dass sie sich dem Ziel näherten und sie anwies, sich auf den Sprung in den Wüstensand bereit zu machen. Die Tür des Hubschraubers öffnete sich und der warme Wind der Wüste schoss ins kühle Innere des Hubschraubers. Aus einer Höhe von ungefähr einem Meter vom Boden und fast aus dem Stillstand, sprangen fünf Gestalten auf den Wüstenboden und folgten schnell und in der Hocke Zachi, der als erster gesprungen war. Der Hubschrauber stieg langsam auf und gewann an Geschwindigkeit, während er sich nach links neigte und in niedrigem Flug in den Weiten der dunklen Wüste verschwand. Die fünf Freunde bewegten sich wie Panther durch die nächtliche Dunkelheit. Ungefähr fünf Kilometer trennten sie noch von ihrem Ziel.
»Flieh…lauf um dein Leben, Ron, Sie werden immer hinter dir her sein«, stammelte Zachi unter Schmerzen, halb zornig, halb ängstlich. Sie überquerten gerade die Grenze und zu seinem Entsetzen sah Ron, wie Zachi schwer auf den Boden fiel, sich auf den Rücken drehte und ihm die Hand ausstreckte, in der er ein längliches Objekt hielt.
»Das darf nicht in ihre Hände gelangen, niemals, Ron…flieh…«
Ron musste sein Ohr an Zachis Mund halten, um ihn überhaupt verstehen zu können. Er fühlte, wie Zachi nach seiner Hand tastete und das blaue Stoffsäckchen, das mit der goldenen Kordel zugebunden war, und das Gerät, das sie im Hubschrauber bekommen hatten, an dem nun der USB-Stick befestigt war, in sie legte. Erstaunt bemerkte er, dass der zweite Knopf des Geräts betätigt worden war und Schriftzeichen in einer ihm fremden Sprache auf dem kleinen Bildschirm zu sehen waren. Er steckte die Sachen in die Innentasche seines Hemdes.
In der Ferne hörte er das Geräusch eines Jeepmotors, der sich ihnen näherte. »Mein Teurer«, formten seine Lippen, als er sich über Zachi beugte, der seinen Kopf hob und betrachtete ein letztes Mal das angsterfüllte Gesicht dieses Menschen, seines Freundes, den er mit jeder Faser seiner Seele liebte, und sah, wie er sich erhob, losrannte und vom Dunkeln der Nacht verschluckt wurde.
Zachi öffnete die Augen, wie ein Blitz durchzuckte ihn der Gedanke an den Moment, in dem er verletzt wurde.
Sie hatten ihre Mission beendet. Dutzende Wachen des königlichen syrischen Geheimdienstes lagen versteckt im Gebäude, der große Teil war sich des Ergebnisses ihrer Aktion nicht bewusst. Sie hatten das Gebäude verlassen und wollten sich gerade auf den Rückweg machen, glücklich über den Erfolg ihrer Mission und für einen kurzen Augenblick unkonzentriert, als Schüsse von Maschinengewehren die Stille der Nacht zerrissen. Drei seiner Männer, die mit ihm die Qualen der letzten Stunden erlebt hatten, sanken tödlich verletzt direkt zu Boden. Zachi zog den Stift aus einer Granate und warf sie, ohne die genaue Quelle der Schüsse ausmachen zu können, nur mit dem Vertrauen auf seinen sechsten Sinn, den Sinn eines Elitekämpfers. Ein gedämpfter Schrei klang durch die Nacht und das Feuer des Maschinengewehrs hörte genauso plötzlich auf, wie es begonnen hatte. Er näherte sich schnell seinen Freunden, die auf dem Boden lagen und untersuchte sie mit der Genauigkeit eines Arztes.
Während er sich über sie beugte, nahm er ein Funkeln aus der Richtung des Gebäudes wahr, das sich näherte und sich nun in einem Abstand von ungefähr 20 Meter von ihnen befand. Für den Bruchteil einer Sekunde richtete er seine Augen auf den Punkt und erkannte zu seinem Entsetzen, dass das Gewehr schon geladen auf Ron gerichtet war, der gebeugt einige Schritte von ihm entfernt stand. Zachi verwandelte sich in eine wahre Kampfmaschine. Er machte ohne nachzudenken einen riesigen Sprung in Rons Richtung, rief seinem Freund währenddessen zu »Auf den Boden!« und schoss noch in die Luft in Richtung des Lichtglanzes. Sein Körper prallte mit dem seines Freundes zusammen und riss ihn ebenfalls mit zu Boden.
Sie hörten den Gegenschuss und den Schmerzensschrei ihres Angreifers in dem Moment, als ihre Körper den Boden berührten.
Zachi sprang schnell auf die Beine und fing an, zwischen den Sanddünen wegzurennen, mit Ron auf den Fersen, der ihm in geringem Abstand folgte und der aufgrund der Dunkelheit überhaupt nicht bemerkte, dass Zachi seine Hand verzweifelt auf die Brust drückte.
Fast blind vor Wut bedeckte Zachi die Wunde, die auf seiner Brust klaffte. Wut über seine Unfähigkeit, die Kugel, die tief in seiner Brust steckte, heraus holen zu können. Wut über seine Unfähigkeit, die Wunde selbst heilen zu können. Wut über die Erkenntnis, dass seine Zeit knapp wurde. Wut über die Angst, die Angst, dass er seinen kleinen Sohn vielleicht nie mehr in seine Arme schließen würde.
Er beeilte sich umso mehr, die Grenze zu erreichen, schnell nach Hause zu kommen, die ungefähr zwanzig Kilometer zur Grenze vor dem Morgengrauen zu erreichen. Sanddünen, Felslandschaften und Minenfelder trennten sie von dem sicheren Ort. Geschult von jahrelangen nächtlichen und häufigen Marathonläufen legten die beiden die Strecke schnell zurück. Nur ihr Atmen war in der Nacht zu hören, doch Zachi war verletzt. Er steckte seine Hand beim Laufen in die Hosentasche und holte einen kleinen Stoffbeutel hervor. Er hielt sie in seiner großen Handfläche und schloss seine Faust um den kleinen Stoffbeutel. Er drückte seine Faust abermals auf die Brust, um die Blutung zu stoppen. Es schien ganz so, als habe ihm der kleine Stoffbeutel zusätzliche Kräfte verliehen.
Zachi rannte, während ihm Tränen die Augen von Zeit zu Zeit vernebelten, Tränen, die er schnell beim Laufen wegwischte. Er wollte nach Hause. Er wollte seine Töchter und seinen einzigen Sohn umarmen, sein schwarzes, lockiges Haar streicheln, in seine Augen schauen, in seine Augen, die Unschuld und Schalk zugleich ausstrahlten.
Ein kleiner Tropfen Blut sickerte in den Wüstensand. Es war eine mondlose Nacht, die sorgfältig zur Durchführung der Mission ausgewählt worden war, eine warme Nacht. Zachi war es kalt, sehr kalt. Er lief so schnell er es vermochte, während er hörte, wie sein Gefährte hinter ihm versuchte, Schritt zu halten mit der Geschmeidigkeit einer Katze. Jahrelanges Training hatte Körper und Geist gestählt. »vom Ziel ablassen« kannten sie nicht. Sie waren ihrem Ziel stets verpflichtet und erfüllten ihre Aufgabe immer. Jetzt blieb ihnen nur noch, die Grenze zu überqueren und nach Hause zu kommen. In Zachis Tasche, in einem besonderen, extra hierfür vorbereiteten Fach, lag ein rundes Objekt mit einem Knopf, Zu Zachis Erstaunen schaltete sich der kleine Bildschirm ein, nachdem er sofort, als er das Gerät entdeckte, die Karte, die er bekommen hatte, darauf legte, und auf ihm erschien ein kurzer hebräischer Satz und darunter eine ihm unbekannte Schrift. Der kurze Satz brannte sich in sein Gedächtnis ein: »Diejenigen, die dich geschickt haben, werden für deinen Tod sorgen«. Sie huschten wie große, schnelle Katzen durch die Dunkelheit der Nacht und versuchten, ihr Leben zu retten.
Die Zeit wurde knapp. Es lagen nur noch die Minenfelder und die ersehnte Grenze vor ihnen. Undurchdachte Schritte konnte sie das Leben kosten. Das Minenfeld war auf solch unglückliche Weise konstruiert, dass der erste Tritt auf eine Mine zur Explosion einer zweiten, einer dritten, führen würde. Das alles würde zu einer Kette aus Folter und Amputation von Gliedmaßen führen. Für sie war es nun notwendig, das Band zu finden, das immer bei Minenfeldern verlegt wurde. Es handelte sich um ein Band von zwei Zentimetern Breite und einer Länge von mehr als hundert Metern, das man ausschließlich mithilfe der besonderen Brillen sehen konnte, die sie in ihren Taschen trugen. Der sichere Weg befand sich entlang des Bandes und mit einem Abstand von ca. zwanzig Zentimetern zwischen jedem Schritt. Das Band war ihr Sicherheitsschein, mit dem sie das Minenfeld heil überqueren konnten. Weiteres Blut, während er rannte, quoll zwischen Zachis Fingern hervor, lief an ihnen hinunter und fiel, auf den Wüstensand und wurde von ihm aufgesogen. Zachi hörte jetzt deutlich den Motor des Jeeps, der sich ihnen näherte. »Schma Israel« waren seine letzten Worte.
Seine dunkle Haut und die vom Sonnenlicht gebräunten Hände unterschieden Dan, der an der Bushaltestelle wartete, nicht von vielen anderen Israelis. Auch war kein Unterschied zwischen dem gebräunten Gesicht und dem Rest seiner dunklen Haut und der vieler anderer auszumachen. Seine gutmütigen, braunen Augen kniff er vor dem Sonnenlicht zusammen. Auf dem Kopf trug er eine Militärkappe, die über sein rechtes Ohr gezogen war.
Er zog seine Kappe etwas nach vorne bei dem Versuch, seine Augen vor den Sonnenstrahlen zu schützen, während er diese auf den Strom an Autos, der über die Kreuzung floss, richtete. Es war die letzte Kreuzung vor der Ausfahrt aus Tel Aviv gen Norden.
Einige Autos hielten mit einem Abstand von ungefähr dreißig Metern an, und die meisten, die neben ihm warteten, rannten auf sie zu bei dem Versuch, als erste bei den wartenden Autos zu sein. Er rannte nicht und schaute den Rennenden auch nicht hinterher.
Es war Mittag und er musste erst gegen Morgen des nächsten Tages bei seiner Einheit sein. Er hatte sich entschlossen, noch heute Abend in Ruhe anzukommen und nicht erst am nächsten Morgen in aller Frühe zu trampen. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und war in Gedanken versunken, als ein nicht sehr großer Lastwagen knarrend neben ihm anhielt und der Fahrer die Tür öffnete.
»Komm, steig ein«, sagte der Fahrer.
Er kletterte auf den Hochsitz, stellte seine Tasche zwischen den Beinen ab und streckte seine Hand in Richtung Tür aus mit der Absicht, diese zu schließen. Sie war schon fast zu, als sie aufgerissen wurde und ein Soldat mit gehetztem Gesichtsausdruck hochkletterte, seine Tasche auf die Beine des jungen Mannes warf und versuchte, sich neben ihm hinzusetzen. Er rutschte auf dem Doppelsitz Richtung Fahrer um dem zweiten Soldaten Platz zu machen.
»Steig sofort aus, ich nehme nur ihn mit.«
Er zeigte mit dem Finger auf den Jungen. Die Stimme des Fahrers, der Mitte vierzig war, war eindeutig, schneidend und fast metallisch. Der Soldat, der sich schon hingesetzt hatte, versuchte zu protestieren und ihn zu überzeugen:
»Es gibt hier zwei Plätze und ich muss nicht einmal weit fahren.«
Der Fahrer schleuderte ihm die Antwort regelrecht entgegen: »Steig aus, sofort.«
Das Gesicht des Jungen war mürrisch, als der seine Tasche nahm und die Tür hinter sich zuknallte.
»Ich bin nicht in Eile, von mir aus kann er an meiner Stelle fahren«, sagte Dan, als er seinen Kopf drehte und sich beugte, um seine zwischen den Beinen liegende Tasche aufzuheben.
»Nein«, sagte der Fahrer, dessen nun weiche Stimme vollkommen im Gegensatz zum vorherigen Ton stand.
»Du wirkst nett auf mich, er nicht.«
»Danke«, sagte Dan und merkte, wie sein Gesicht errötete. Der Fahrer sah ihn an. Bemerkte sein gerötetes Gesicht. Er hatte Pläne und war entschlossen, sie umzusetzen.
»Es tut mir Leid, dass ich laut geworden bin«, sagte er leise und legte seine Hand auf das Knie des Jungen.
Dan reagierte nicht, ein unbekanntes Gefühl stieg in ihm auf. Der Fahrer zog langsam seine Hand weg und prüfte, während er fuhr, das Gesicht des Jungen. Dieser blickte nach vorne und fragte sich, wie der Lastwagen immer noch geradeaus fuhr, obwohl der Fahrer ihn anstarrte.
»Ich sag ihm, dass er anhalten soll.«… »Ich will aussteigen!«, seine Lippen öffneten sich, aber die Worte kamen nur mit Mühe aus seinem Mund.
»Halt bitte an, ich will aussteigen«, sagte er, doch der Fahrer ignorierte seine Bitte.
»Du scheinst ziemlich aufgeregt zu sein, du hast bestimmt eine aufregende, tiefe Erfahrung mit einem Mädchen gemacht.«
»Nein, wirklich nicht. Halt bitte an, ich will nicht weiter fahren«, sagte Dan, während er sich bückte und seine Tasche hochhob.
Der Fahrer ignorierte seinen Wunsch vollkommen und fuhr noch schneller, lenkte den Lastwagen in eine Seitenstraße und setzte seine wilde Fahrt fort. Der Junge entschloss sich, die Tür zu öffnen und aus dem Lastwagen zu springen, entschied sich aber schnell dagegen, er wollte nicht sterben. »Wie alt bist du?«
»Fünfzehn.«
»Was machst du dann in Militäruniform?«
»Ich und meine Schulfreunde wurden zu einem Monat Freiwilligendienst in eine Basis im Norden geschickt« erzählte er, obwohl er das eigentlich nicht wollte.
»Fünfzehn Jahre alt, attraktiv, du hast bestimmt schon was Schönes erlebt, aber willst es mir nicht sagen.«
Dan schwieg, überrascht von der direkten Aufforderung.
Er schämte sich zu erzählen, dass er noch keine sexuellen Erfahrungen mit Mädchen gesammelt hatte.
»Wenn du mir von einer sexuellen Erfahrung erzählst, halte ich sofort an und du kannst gehen.«
Der Fahrer blieb stur. Er entschied sich etwas zwischen Wahrheit und Fantasie zu erzählen:
»Okay, du hast recht. Ich hab gestern Abend wirklich eine besondere Erfahrung gemacht.«
Die Stimme des Fahrers klang ein wenig heiser, als er sagte: »Ich wusste, dass du einen guten Fick hattest, das sieht man deinem Gesicht an, du musst mir mehr erzählen.«
Der Junge zögerte einen Moment, sein Gesicht wurde rot. »Bitte erzähl.« Der Satz wurde fast im Befehlston gesagt. Er sah den Fahrer an, dessen Gesicht überdurchschnittlich lang war.
»Weißt du«, fing er an. »Weißt du, ich habe eine Freundin und sie lässt mich sie streicheln und küssen. Aber sie erlaubt es mir nicht, weiter als das zu gehen. Sie hält meine Hand immer fest, wenn ich…wenn ich… du weißt schon.«
Er begann, Sachen über seine Freundin zu erzählen, die seiner Fantasie entsprangen.
»Aber gestern ist was anders gelaufen, nicht wahr?« Das Gesicht des Fahrers war mittlerweile verschwitzt, er legte seine Hand wieder auf den Oberschenkel des Jungen und bewegte sie aufwärts.
Weder gestern, noch vorgestern, noch vor einer Woche war etwas in der Richtung passiert, aber er strengte seine Erinnerung an und versuchte, dem Fahrer zu gefallen und aus dem Lastwagen auszusteigen.
Er erinnerte sich an einen Zeitungsartikel, den ein Freund ihm gezeigt hatte und in dem eine fast nackte Frau zu sehen war, die auf einem Stuhl stand. Er fing jetzt wie ein Wasserfall an zu erzählen, seine Geschichte auf besagtem Bild aufbauend und in der Hoffnung, dass der Fahrer sein Versprechen halten würde.
»Genau, gestern waren wir zwei, ich und meine Freundin, allein bei ihr zu Hause. Sie wohnt mit ihrer Mutter in einem recht luxuriösen Mehrfamilienhaus. Wir lagen auf der Couch und haben uns geküsst, als sie mich unerwartet wegstieß und aufstand.
»Ich hab Lust, ein Bad zu nehmen.«
»Super, ich auch.«
Sie wandte sich lachend von mir ab, ging Richtung Badezimmer und warf mir plötzlich einen neckischen Blick zu. Sie zog ihre Hose hinten bis zur Hälfte runter und zog sie mir gegenüber hoch.
»Du kannst kommen, wenn ich dich rufe, aber nicht vorher, versprochen?« Ich nickte.
»Es wird ein bisschen dauern«, lächelte sie mich an und ging ins Badezimmer, ohne sich die Mühe zu machen, die Hose hochzuziehen.
Sie hatte kaum die Tür geschlossen, als ihre Mutter, die ziemlich nett war und lange, wohlgeformte Beine hatte, hereinkam. Sie trug einen so kurzen Minirock, dass ich dachte, dass man sofort ihre Unterhose sehen würde, wenn sie auch nur die Arme hochheben würde. Ich hab sehr schnell bemerkt, dass sie nicht einmal eine Unterhose trug. »Hattest du einen Steifen?«, die Stimme des Fahrers war schon ganz brüchig und unterbrach den Redefluss.
Erst jetzt bemerkte der Junge, dass der Fahrer sein Geschlechtsteil durch die Hose streichelte.
»Nein«, er war so vertieft in seine Geschichte und so bemüht gewesen, den Willen des Fahrers zu erfüllen, dass er nicht gespürt hatte, wie der Fahrer versuchte, den Knopf seiner Hose zu öffnen.
Er schob die Hand des Fahrers weg.
»Ich will nicht, bitte lass mich in Ruhe. Ich erzähle zu Ende und dann hältst du an.«
»Natürlich, natürlich«, sagte der Fahrer und nahm seine Hand nur widerwillig vom Knie des Jungen.
»Erzähl weiter«, drängte er ihn sofort.
»Die Mutter bemerkte schnell, dass ihre Tochter in der Badewanne war«, fuhr der junge Mann fort. »Sie bat mich, einen Stuhl zu holen und ihn unter die Lampe zu stellen. »Ich muss gucken, was mit der Lampe los ist, die flackert so oft«, sagte sie, stieg schnell auf den Stuhl, den ich ihr gebracht hatte und bat mich, sie zu halten, damit sie nicht fallen würde. Meine Hände bewegten sich fast wie von selbst, eine am rechten Bein und die andere am linken Oberschenkel. Sie lachte leise und hob die Hände Richtung Glühbirne. Ihr Minirock rutschte nach oben.«
»Ich hab einen Steifen, das musst du fühlen«, schnitt ihm der Fahrer das Wort ab, nahm seine Hand und führte sie zu seinem Schritt. Die Augen des Jungen bewegten sich in Richtung Hose des Fahrers und sein Gesicht errötete.
Der Fahrer nahm die Hand des Jungen und legte sie auf. »Bin ich etwa…?«, fragte er sich. »Nein, das kann nicht sein, schließlich liebe ich meine Freundin. Dann aber warum?«
Er massierte ihn schnell und fest. Der Fahrer streckte schwer atmend seine Hand aus, holte ein Handtuch aus einem kleinen Holzschrank hinter sich und wischte die Instrumente ab. Sie befanden sich unweit von dem Ort, an dem der Junge aussteigen musste. Der Fahrer wollte sich wieder mit dem Jungen treffen. Sie verabredeten sich für Dienstag. Es war mittlerweile Abend, als der Fahrer das Fahrzeug geschickt zwischen zwei Autos in einer Seitenstraße manövrierte.
»Wirst du sicher kommen?« Fragte der Fahrer »Ich komme«, war die Antwort.
»Sei nicht überrascht, wenn ich in einem Luxusauto komme, ich mache manchmal Sonderfahrten für wichtige Leute«, fügte der Fahrer hinzu bevor sie sich verabschiedeten.
Der Junge war froh, aus dem Lastwagen heil heraus gekommen zu sein.
Sein Vater stand vor ihm mit wütendem Gesicht, eine Hand in die Hüfte gestemmt, mit der zweiten fuhr er sich durch das Haar. Er blickte in das strenge Gesicht seines Vaters und wusste, dass er Recht hatte, aber er wollte nicht, dass jemand, nicht einmal sein Vater, für ihn entschied, was er zu tun hatte und was nicht. Er selbst wollte entscheiden, sogar wenn er die falsche Entscheidung treffen würde.