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© 2015 Dr. Hans-Dieter Langer
Herstellung und Verlag: BoD Books on Demand GmbH,
Norderstedt
ISBN: 978-3-7392-7826-1
Die Beiträge von Vilem Jirman, Falk-Uwe Langer und Dr. Werner Sperlich sind tragende Säulen der vorliegenden unterhaltsamen Dokumentation. Im Text finden sich zudem Zitate weiterer Personen, die vom Untergang des deutschen Schlesien betroffen sind bzw. waren und im Literaturverzeichnis berücksichtigt wurden.
Darüber hinaus möchte der Autor an dieser Stelle allen jenen Menschen danken - soweit dies nicht bereits im Text erfolgte - die durch Bereitstellung von wertvollen Dokumenten und Informationen maßgeblich mit zum Vollenden der Arbeit beitrugen. Zu diesen gehören insbesondere Dr. Joana Szczepankiewicz-Battek, Dr. Marek Battek, Horst Fisera, Dr. Heinz-Werner Fleger, Daniel Franzkowski, Hildegard Herbst, Dietmar Hoffmeister, Konrad Jirman, Dr. Ditmar Kühne, Gottfried Matusche, Hanna Michalska, Klaus Preußer, Rosel Schleinitz, Dietrich Smolla, Edita Sterikova, Peter Tscherny, Willem Tscherny, Liesbeth Schwarz-Jankiewicz, Ilse Utikal, Ursel Wauro, Hannelore Zanke sowie posthum Karl Barta, Rudolf Fleger, Anna Kupka, Siegfried Langer und Irmgard Wloczkowska.
Für das Projekt wirkten auch sehr förderlich die Bürgermeister von Strzelin/Polen, Jerzy Matusiak und Dorota Pawnuk, stets unterstützt von Konstanty Sikorski, sowie von Třebechovice /Tschechien, Jiří Němec, und von Frankenberg in Sa./Deutschland, Thomas Firmenich. Als Mitveranstalter der Kulturtagungen Hussinetz/Strehlen (siehe in www.drhdl.de) sorgten sie dafür, dass es zu Kontakten und zum internationalen Informationsaustausch kam, wovon der Autor zahlreiche Anregungen bekam. Er möchte dafür herzlich danken und freut sich, dass es dadurch sogar zu einer fruchtbaren Städtepartnerschaft zwischen Frankenberg und Strzelin gekommen ist.
Besonders danken möchte der Autor Frau Helgard Langer, weil sie zuverlässig die Korrekturlesung übernommen hat, und seiner Ehefrau Ellentraud Langer, die alles über sich ergehen ließ.
Das vorliegende Werk ist eine unterhaltsame Dokumentation von Ereignissen, in die Hänschen verwickelt worden ist, während das Dritte Deutsche Reich zusammenbrach, des Kindes Heimat Schlesien unterging und sogar die deutsche Zukunft des Jungen auf dem Spiel stand. Die Wellen der seinerzeitigen Dramatik sind nun nach einem langen Arbeitsleben wieder ungedämpft und ungefiltert in die Erinnerung des Autors getreten, und er fragt sich:
Was ist damals wirklich geschehen?
Nun, es gibt in Deutschland eine seltsame Aufarbeitung der Ereignisse und Folgen des Zweiten Weltkrieges. Jeder kennt inzwischen bis ins Detail die schrecklichen Vorgänge im Nordosten des Dritten Reiches. Die „Flucht“ ist besetzt mit Worten wie Königsberg, Haff und Masuren. Politiker, Historiker und Medien haben insbesondere anhand dessen zudem dafür gesorgt, dass Vertreibung an sich - belegt mit den dramatischen Bildern aus diesen Regionen - zum festen Bestandteil der deutschen Erinnerungskultur wurde. Das ist gut so, aber es gibt noch weitere deutsche Gebiete, die verloren gingen und bisher mit ihren historischen Facetten nicht sonderlich in den Fokus der Aufarbeitung gerieten. Insbesondere betrifft dies den Untergang des deutschen Schlesien, den Hänschen in Friedrichstein bzw. Hussinetz/Gęsiniec bei Strehlen/Strzelin erlebt hat (Bild 1).
Im Kontext der Europäischen Union sind heute natürlich viele Deutsche nicht bereit, den Begriff „Untergang“ zu akzeptieren, denn Schlesien existiere doch als Territorium weiter. Das ist korrekt, doch geht es hier nicht um die Erde und auch weniger um die Menschen, die jetzt darauf herum laufen. Vielmehr sind hier vergangene regionale Vorgänge und deren heutige Bewertung angesprochen. Immerhin verschwindet der Begriff „Schlesien“ zunehmend aus dem internationalen Sprachschatz, um dem Namen „Śląsk” Platz machen zu müssen. Schlimmer noch hierzulande, weil viele Deutsche dieses polnische Wort kaum aussprechen können, ignorieren sie gleich die ganze Gegend mit ihrer Historie, möchte man meinen. Stimmt nicht? Stimmt doch! Man höre sich bloß einmal unter Jugendlichen um: Das (deutsche!) Phänomen Schlesien ist in Gänze weitgehend fremd, und zwar gleichgültig, ob in deutscher oder polnischer Sprache ausgesprochen oder in Deutschland oder Polen nachgefragt.
Diejenigen ehemaligen Schlesier - wie Hänschen - deren Endstation sich in der DDR befand, mussten sich obendrein die Einstufung als „Umsiedler“ gefallen lassen, so, als hätten sie ihre Heimat freiwillig verlassen. In Wirklichkeit sind gerade die Niederschlesier im doppelten Sinne vertrieben worden: Ihr Land zwischen Oder und Neiße wurde von den Polen zunächst mit einem Handstreich und gegen internationale Abmachungen annektiert, um dann in der Zeit bis 1950 alles Deutsche auszurotten. Es ist daher paradox, denn zumindest aus heutiger Perspektive der Vertriebenen und ihrer Nachkommen scheint das Problem trotzdem weitgehend überwunden, während dies für die meisten Polen eher nicht zutrifft. Nur ganz allmählich (und mit vielen kleinen und großen Geschenken aus Deutschland) begreifen und akzeptieren das polnische Establishment und auch die polnischen Normalbürger, dass und weshalb man sich als ehemaliger Schlesier für seine Heimat mit der in der Kindheit so vertrauten Kulturlandschaft sowie für die Ursachen und Zusammenhänge ihres Verlustes interessiert.
Wohlgemerkt, es gibt unter polnischen Bürgern - auch für den Autor zählbar - eine steigende Menge von Ausnahmen und es ist nicht die Rede von jenen Verwaltungen, die sich vielerorts in Polen schon länger um freundschaftliche (Fördermittel-)Zusammenarbeit mit Deutschland und der Europäischen Union bemühen, sondern letztlich doch um die breite polnische Bürgerschaft.
Manchmal kommt es aber noch schlimmer. Betrachten wir ein kleines Beispiel. Sein trotz zahlreicher Kriegszerstörungen und Nachkriegsverluste im Bestand erhalten gebliebenes Geburtshaus in Hussinetz/Friedrichstein/Gęsiniec darf der Autor nur durch einen Nebeneingang betreten. Im historischen urgroßväterlichen Steinarbeiterhaus gibt es nämlich neuerdings eine bauseits geschaffene Trennmauer zwischen den Wohnbereichen des polnischen Eigentümer-Geschwisterpaars, da man sich intern entzweit hat. Dies hat auch unterschiedliche Außenwirkungen zur Folge: Sie öffnet dem Deutschen gern die eigens für sich errichtete Seitentür, er verbietet dagegen den Zutritt an seiner (und Hänschens ehemaliger) Haustür. Diese zwiespältige, hier nun sogar in Stein und Beton gegossene Einstellung ist immer noch symptomatisch für das tatsächliche gegenwärtige Verhältnis der Polen zu den Deutschen in ganz Śląsk. Es ist das Ergebnis eines in Polen äußerst langwierigen Prozesses der Geschichtsaufarbeitung, wie er sogar sehr kritisch aus polnischer Sicht zum Beispiel von A. Zawada bewertet wird6) und in zwei Nachbarländern unterschiedlicher nicht ausfallen kann.
Aber die Zeit ist auch für Polen reif!
Der Autor weiß genau, man könnte ihn jetzt als Revanchisten wahrnehmen, und zwar beiderseits der Grenze. Doch Irrtum! Niemand kann ihm nachsagen, er hätte sich nicht um Aussöhnung sowie um gemeinsame Geschichtsaufarbeitung und Denkmalschutz bis ins Detail bemüht. Nicht ohne Grund prägte er den Begriff „Europäische Kulturinsel Hussinetz/Strehlen“, und wirbt er für die Errichtung eines denkmalgeschützten „Kulturparks Hussinetz“7) in der Mitte von Gęsiniec, siehe Bilder 1 und 2. (Allein, diese von den polnischen Neusiedlern gewählte Namensgebung „Gęsiniec“ könnte einen auf die Barrikaden treiben. Der Ort erhielt einst von seinen böhmisch-slawischen Gründern den ehrenvollen Namen eines Jan Hus, und nun: „Gänsedorf“ in freier Übersetzung!) Auch berücksichtigt die Reihe der Internationalen Kulturtagungen Hussinetz/Strehlen des Autors seit dem Jahr 2008, dass sich am europäischen Erinnerungsort Hussinetz/Strehlen - zutiefst historisch bedingt - die Belange mehrerer Nationen, nämlich der Tschechen, Deutschen und Polen kreuzen (siehe Tagungsprogramme und -beiträge in www.drhdl.de). Leider ist nicht erkennbar, dass man den internationalen Rang des kulturellen Erbes von Hussinetz inzwischen besser zu schätzen weiß, und zwar weder in Polen, noch in Tschechien oder in Deutschland. Zu dieser deprimierenden Feststellung kommt der Autor im 600. Todesjahr von Jan Hus! Da haben wohl Denkmalschützer, Historiker und Völkerkundler dieser Länder noch eine Menge zu tun!
Verständlicherweise sind die Bemühungen der Strzeliner Verwaltung stärker auf die Belange der im Weltkrieg furchtbar zerstörten Stadt fokussiert. Doch bedenke man, am Ende steht nur eine von Hunderttausenden europäischer Kleinstädte. Hinzu kommt im Einzugsgebiet der Großstadt Wrocław (Breslau) ein starkes Interesse begüterter Bürger an der wohnlichen Besiedlung der malerischen Landschaft im Vorfeld der Strehlener Berge (Wzgórza Strzelinskie). Die totale Überformung der ehemals so charakteristisch strukturierten und bebauten Hussinetzer und Strehlen-Altstädter Flur (siehe Bild 3) sowie der anderen „böhmischen“ Dörfer ist im vollen Gange, wobei nicht einmal auf allgemein-touristische Belange Rücksicht genommen wird.
Die Chance gar, einen wirtschaftlich wirklich attraktiven Tourismus mit dem Logo „Europäische Kulturinsel Hussinetz/Strehlen“ zu realisieren, wird damit systematisch vertan. Um den heutigen Stand und die Problematik (aus notwendigerweise europäischer Sicht!) zu verdeutlichen, braucht man freilich nur auf die Geschichtsdarstellung in der einschlägigen, von den Polen gestalteten Wikipedia-Seite im Internet zurückzugreifen, siehe Bild 4.
Die Übersetzung (des Autors) der wesentlichen Schriftzüge lautet wie folgt, wobei mit der Nummer in Klammern die historischen Fehler markiert sind:
´Gęsiniec (tschechisch: Husinec, deutsch: Hussinetz, 1937-1945 Friedrichstein) - ein Dorf in Polen, Provinz Niederschlesien, im Kreis Strzelin, in der Gemeinde Strzelin.
Das Dorf wurde im Jahre 1648 (1) von böhmischen Hussiten (2) gegründet - sie waren Anhänger der Lehre von Jan Hus - die nach Niederschlesien kamen, um der religiösen Verfolgung im Habsburger Staat zu entkommen. Die Flüchtlinge kamen aus dem Ort Caslav (3) in der Tschechischen Republik - eine noch heute existierende Stadt. Das Dorf wurde in Erinnerung an Jan Hus Husinec genannt. Im neunzehnten Jahrhundert (4) wurde die Germanisierung durch die deutschen Behörden intensiviert, und man gliederte die ortsansässigen Hussiten der evangelisch-reformierten Kirche an. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging (5) die Mehrheit der Bevölkerung in die Tschechoslowakei und nach Deutschland; sie wurde durch polnische Siedler ersetzt (6). In den Jahren 1948-1951 ist hier eine tschechische Grundschule (7) betrieben worden. Nachkommen der böhmischen Siedler leben heute noch in Gęsiniec und Strzelin und gehören der städtischen (8) evangelisch-reformierten Gemeinde an. In den Jahren 1975-1998 gehörte die Gegend zum Verwaltungsbezirk Wrocław.´
Zu den nummerierten Fehlansagen ist folgendes zu bemerken:
(1) Hussinetz wurde nicht 1648, sondern 1749 gegründet. Es gibt originale urkundliche Nachweise, die heute in polnischen Archiven einzusehen sind, und eine umfangreiche Literatur, die man teilweise auch im Internet findet10bis13).
(2) Die böhmischen Emigranten und Hussinetz-Gründer waren keine Hussiten, sondern verstanden sich als Böhmische Glaubensbrüder in einer gewissen hussitische Tradition→, 15). Der Konfessionswechsel zur evangelisch-reformierten Kirche in Schlesien war ein formaler Akt, den die preußische Verwaltung einforderte. Im Gegenzug kam es zur Begründung der Evangelisch-Reformierten Parochie Hussinetz, die vor Kriegsbeginn tausende böhmisch- und deutschstämmige Gläubige umfasste. Sie bevölkerten viele Dörfer im Landkreis und lebten zahlreich in der Stadt Strehlen. Der Begriff „Die Böhmen” wurde aufgrund kultureller Besonderheiten (z.B. alttschechische Sprache) sprichwörtlich.
(3) Die „Böhmen” stammten nur in Ausnahmefällen aus Calslav. Die ca. 150 „Gründerväter” kamen aus ganz Ostböhmen, hauptsächlich aber aus der Region Königsgrätz (Hradec Králové).
(4) Die weitgehende Germanisierung der „Böhmen” gelang erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts und wurde im Dritten Reich brachial durchgesetzt, ohne das die kulturellen Riten wirklich unter die Räder kamen.
(5), (6) Die oft außerordentlich brutal durchgeführte Vertreibung durch die Polen mit „gehen” und „ersetzen” zu beschreiben ist schon eine Zumutung16).
(7) In der Schule von Gościęcice Średnie (Mittel-Mehltheuer/Mittel-Podebrad) wurde zwar polnisch und tschechisch gelehrt, sie ist aber eindeutig nicht tschechisch, sondern polnisch verwaltet worden. Es war eine polnische staatliche Schule („Polská státní škola”) für Kinder zwischen 7 und 14 Jahren, wie Dalibor Cimr in seinen Erinnerungen schrieb, der dort Tschechisch lehrte17). (Hänschen spürte freilich Cimr´s Rohrstockschläge noch lange auf seinem Hintern.) Jedenfalls ist Hänschens Abschlusszeugnis aus dem Jahr 1949 (Bild 5) ein eindeutiger Beleg dafür, dass es sich um eine polnische Schule handelte.
(8) In Strzelin gibt es gar keine evangelisch-reformierte Kirchengemeinde. Die heutige Zuordnung zu den übergeordneten Kirchenbezirken (Wrocław, Warszawa) ist zwar gegeben, doch letztlich juristisch fragwürdig.
Wenn also Geschichte derart missverstanden bzw. falsch dargestellt wird, muss man sich eigentlich über nichts wundern. Als gebürtiger Niederschlesier und Betroffener der Ereignisse fragt man sich zudem, was da im Krieg und danach im ländlichen Raum zwischen der Festung Breslau an der Oder sowie zwischen Görlitz im Norden und Ratibor im Süden ge-schehen ist. Insbesondere verwundert einen Heimatvertriebenen aus Friedrichstein - das eben 200 Jahre lang Hussinetz hieß und jetzt den Namen Gęsiniec trägt - die Tatsache, dass die eine Dorfhälfte des Geburtsortes niemals von der Roten Armee erobert worden ist und daher beim Blick auf die Landkarte Friedrichstein/Hussinetz gewissermaßen das bis zuletzt erfolgreich verteidigte „East End“ Reichsdeutschlands im „Vaterländischen Krieg“ der Sowjetunion war. Auch sind die so auffällig unterschiedlichen Zerstörungsgrade der einzelnen dörflichen Ortsteile zu erklären.
Korrekturbedürftig ist zudem die zum Teil völlig irreführende Berichterstattung, die sich sogar in der deutschen Zeitzeugen- und Fachliteratur breit gemacht hat. So übernahm offenbar Horst Helmut Fischer18) falsche Angaben einer ganzen Gruppe von angesehenen Historikern19), siehe Bild 6, obgleich er selbst einen umfänglichen, der sonstigen Wahrheit entsprechenden Zeitroman über Strehlen veröffentlichte: Strehlen „wechselte“ im 2. Weltkrieg keinesfalls „mehrmals den Besitzer“, sondern ist einzig bei einem russischen Großangriff in der Zeit 18. bis 26. März 1945 gefallen!
Da einem also niemand die genauere Aufarbeitung abgenommen hat, müssen wir uns jetzt selbst mit diesem für uns so folgenschweren Geschehen beschäftigen, selbstverständlich ohne zu vernachlässigen, wie deutsche Historiker und sonstige Berichterstatter die Kriegsvorgänge in der Heimat korrekt beschrieben und ausgewertet haben. Einstweilen stellen wir jedenfalls folgendes fest: Alle sind sich darin einig, dass die Verteidigung von Schlesien durch die Wehrmacht besonders nachhaltig erfolgte. Dies hatte mehrere Gründe. Einerseits handelte es sich um urdeutsche Erde. Andererseits waren die deutschen Ostgebiete die letzte Bastion vor der Reichshauptstadt und vor dem Kernland, nachdem die Rote Armee die deutschen Truppen von Stalingrad, Moskau und Leningrad her bereits Tausende von Kilometern vor sich her getrieben hatte. Drittens war man aus verschiedenen Gründen an der Westfront eher zu Zugeständnissen bereit. Das hatte natürlich die bekannten Folgen im Osten: Furchtbare Flüchtlingsströme, massive Zerstörungen auch im ländlichen Raum und letztlich Gesamtverlust der Ostgebiete.
Trotzdem, es kämpften Deutsche und Russen anhaltend und äußerst verbissen zum Beispiel um Breslau, aber eben in Niederschlesien auch an der zweiten Front, so zum Beispiel nördlich vor Strehlen sowie später in Friedrichstein/Hussinetz, und tausende Soldaten sowie Zivilisten verloren noch ihr Leben. Zudem wurde die Frontlinie inmitten von Friedrichstein/Hussinetz nach dem von der Wehrmacht geplanten Fall von Strehlen nachweislich niemals im Kampf überwunden! Die Festung Breslau ergab sich noch kurz vor Kriegsende, nämlich am 6. Mai 1945, aufgrund von Kampfhandlungen. In Friedrichstein/Hussinetz geschah dies dagegen nicht. Vielmehr hatte hier die Verteidigungslinie Bestand bis zum Kriegsende: Aus dem Dorf setzten sich die Deutschen erst zum 7./8. Mai 1945 heimlich ab.
Wie war das alles möglich?
Es bleibt mithin die Aufgabe, selbst die Recherchen in die Hand zu nehmen und über die ganze Wahrheit des Krieges in der engeren Heimat zu dokumentieren. Denn damit ist das persönliche Schicksal und das der sogenannten Hussinetzer Gemeinschaft entscheidend verbunden.
So entstanden aus der Feder des Autors eine Trilogie vom Krieg in Schlesien und die Beschreibung der eigenen einschlägigen Erlebnisse sowie von einigen Nachspielen … bis, ja bis auch für Hänschen und seine schlesische Heimat das Licht ausging.
Hänschen wurde von einem deutschen Wehrmachtssoldaten im Kurzurlaub gezeugt und kam am Donnerstag-Nachmittag des 13. März 1941 im Elternhaus zur Welt während sein zum Militärsanitäter ausgebildeter Vater gerade auf die Invasion der Sowjetunion (Angriff am 22. Juni 1941) vorbereitet wurde. So ist Adolf Hitlers Weisung Nr. 21 vom 18. Dezember 1940 zum „Fall Barbarossa“ gewissermaßen Hänschens astrologisches Sternzeichen geworden. Im Bild 1 wurde vom Autor in die erste Seite dieses für Schlesiens Untergang so schicksalhaften Hitler-Befehls die Unterschrift des verantwortlichen Führers aus dem neunseitigen Pamphlet hineinkopiert. Die Paraphen der wichtigsten weiteren Abzeichner des Papiers - auch sie sind für den Wahnsinn des Russlandfeldzuges verantwortlich - wurden auf Wunsch des Autors vom Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv, wie folgt entschlüsselt:
K (rot) = Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef Oberkommando Wehrmacht,
J (schwarz) = General Alfred Jodl, Chef Wehrmachtsführungsstab (WFSt),
W (grün) = Generalmajor Walter Warlimont, stellv. Chef WFSt und Chef Abt. L (Landesver teidigung),
H (blau) = Leiter Referat I, vermutlich Oberst Hofmann
Das Dokument befindet sich im Original in einer Akte mit der Signatur RM 7/962 in der Abt. Militärarchiv des Bundesarchivs.
Die Geschichte hat gezeigt: Wer Feuer sät, erntet Asche. Hänschen musste aber zudem mit Minen und Granaten „spielen“, um sich und die Ernte in seinem schlesischen Heimatdorf zu retten, die ab Mai 1945 das Überleben zwischen jenen Asche- und Trümmerhaufen zu ermöglichen versprach. Doch der russischen folgte die polnische Invasion in Schlesien …
Der in Gefangenschaft geratene Vater konnte nicht helfen. Hänschen kannte ihn in seinen ersten neun Jahren zwar nicht, doch hielt er für ihn die schlesische Stellung und nahm sogar in Kauf, die deutsche Sprache zeitweise vergessen zu müssen. Weil das Kind aber eher deutschnational gesinnt war, schlug auch für dieses im Jahr 1950 die Stunde der Vertreibung, denn es wollte keinesfalls polnischer Staatsbürger werden:
Als der Waggon
die Oderbrücke passierte
ging Hänschen´s geliebtes Heimatland Schlesien endgültig unter …
aber nicht wirklich und nicht für immer.
Denn eines steht eben auch fest: Die Heimat in der Erinnerung kann einem niemand nehmen!
Über die Auswirkungen des Krieges in der Heimat Schlesien zu berichten, ist dem Autor ein wichtiges Anliegen, war er doch sowohl als im Jahr 1941 geborenes Kriegerkind als auch als sogenanntes Kriegskind sowie durch den kriegsbedingten Verlust seiner Heimat in jeder Hinsicht unmittelbar betroffen. Auch kommt er nicht umhin, sich mit dem furchtbaren Schicksal der Kreismetropole Strehlen zu beschäftigen, war doch diese Kleinstadt Jahrhunderte vor der Zerstörung der Segen seiner böhmischen Vorfahren mütterlicherseits. Zudem ist Strehlen untrennbarer Bestandteil der Kindheit und war letztlich auch von existentieller Bedeutung, denn hier verdiente die Mutter nach dem Krieg das Brot, das man dringend zum Überleben unter polnischer Herrschaft benötigte. Und, man muss ohnehin den Kampf um Strehlen verarbeiten, um den Exodus des eigenen, dörflichen Geburtsortes Hussinetz durch den Zweiten Weltkrieg zu begreifen, der in der deutschen Kleinkindphase zeitweilig Friedrichstein hieß.
Nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, der bekanntlich regelrecht im Graben-Stellungskrieg stecken blieb, und entsprechender aktueller Propaganda stellte man sich damals als deutscher Zivilist vor, dass die Eroberung von Schlesien durch die Rote Armee im 2. Weltkrieg unmöglich oder zumindest ein sehr langwieriger Prozess sein müsste, stand doch an der Reichsgrenze und vor allem an der Oder eine auf den Angriff angeblich vorbereitete und viel gepriesene Wehrmacht. Die Landestiefe betrug zudem Hunderte von Kilometern. Und dann war da auch noch die Mär vom deutschen Endsieg.
Am 12. Januar 1945 begann der Untergang des deutschen Schlesien. Allen Wahnvorstellungen der nazideutschen Propaganda zum Trotz machte die Realität einen Strich durch die Rechnung, und die hochgerüstete und hochmotivierte Rote Armee zerstörte auch alle Verteidigungsillusionen der Schlesier, indem sie an diesem Tag aus östlichen und südlichen Richtungen die Grenzen ihrer angestammten Heimat überwand.
Die Russen verfügten im Jahr 1945 übers Ganze gesehen inzwischen über eine etwa 10fache Übermacht im Feld (insbesondere Soldaten, Waffen, Munition, Kraftstoffe). Zudem richtete sich die Rote Armee angesichts der Kräfteverhältnisse wahrhaftig nicht nach deutschen Vorstellungen, sondern leitete den „Kampf um Schlesien“20) so furios ein, dass der desolaten Deutschen Wehrmacht einstweilen Hören und Sehen verging.
Die Schlacht um die Heimat des Autors gliedert sich räumlich dreifach, nämlich
Zeitlich kann der Autor die Ereignisse in seinem damaligen engeren Lebensraum, die im Krieg ganz anders als in den vorgefassten Vorstellungen von deutschen Soldaten und Zivilisten verliefen und in einem ebenso furchtbaren wie nachhaltigen Drama danach im 9. Lebensjahr endeten, in fünf Phasen gliedern. Man kann sie raumzeitlich anhand der geraden Linien in Bild 1 - die jeweiligen Operationsräume sind durch römische Zahlen gekennzeichnet - und ausgewählter Datumsangaben in Bild 3 grob abgrenzen.
Die Charakteristiken der fünf Phasen lauten wie folgt:
Phase I (Einfall in Oberschlesien 12. bis 19.1.45, Einfall in Niederschlesien 12. bis 29.1.45, Einkreisung Breslau bis 13.2.45): Die Rote Armee greift Schlesien an, errichtet Oder-Brückenköpfe, umzingelt die Festung Breslau und erobert das Oberschlesische Industriegebiet.
Phase II (Mitte Februar bis Anfang April 1945): Die Wehrmacht verwickelt die Russen in schwere Abwehrkämpfe, kann jedoch die russischen Schwerpunkt-Bewegungen durch Schlesien (Richtungen Berlin und Prag) auf Dauer nicht verhindern; daher Durchbruch der Russen in Richtung Berlin sowie nahezu Gesamtverlust von Oberschlesien; im Zuge punktueller Kämpfe in Niederschlesien z.B. Wiedergewinn von Lauban (ab 18. Februar 1945) und Fall von Strehlen (25./26. März 1945, siehe Abschnitt 1.2).
Phase III (HKL-Planung ab Februar, Abwehrkämpfe bis 7./8. Mai 1945): Errichtung der mit Minen befestigten Niederschlesischen Hauptkampflinie (HKL) durch die Wehrmacht mit anschließendem Stellungskrieg in Niederschlesien bis Kriegsende in Deutschland (siehe Abschnitt 1.3).
Phase IV (7. bis 12. Mai 1945): Fluchtbewegungen der Wehrmacht, insbesondere in Richtung Böhmen (siehe Abschnitt 2.1), verfolgt von der Roten Armee, die schließlich die deutschen Truppenreste einkesselt und gefangen nimmt - siehe Bild 2 und Abschnitt 5 - sowie mit der Einnahme von Prag den 2. Weltkrieg in Europa beendet.
Phase V (Mai 1945 bis 1950): „Krieg nach dem Krieg“ und Vertreibung.
Und so empfanden es auf schlesischem Boden die militärischen und zivilen Akteure in der Kriegsphase I: Als bereits Teile von Nieder- und Oberschlesien verloren waren, wurde der Kriegsschauplatz im Januar 1945 mit massiven Brückenkopf-Angriffen an der Oder nördlich (Steinau) und südlich von Breslau (z.B. Kosel) für die Deutsche Wehrmacht bittere Realität, und dies wurde auch bald der niederschlesischen Bevölkerung bewusst bzw. zum Verhängnis (Bild 1, siehe auch Bild 3). So signalisierten in Strehlen nach eigenem Erleben des Autors spätestens ab Mitte Januar anschwellende Flüchtlingsströme aus den Gegenden Ohlau und Oppeln, dass die Welt dort längst nicht mehr in Ordnung war. Diese beiden Städte lagen ja - nach Beginn der Invasion der schlesischen Ostgebiete auf ganzer Breite frühzeitig im Fokus einer mächtigen Stoßgruppierung der Roten Armee (4 in Bild 1; 1. Ukrainische Front), die die Oder-Brückenköpfe benötigte, um Breslau einzukreisen und gemäß russischer Planung (ursprünglich Richtung Böhmen/Sachsen!) Druck auf Mittel-Niederschlesien auszuüben. Es sind auf russischer Seite zum Beispiel die 5. Garde-Armee, das 4. Garde-Korps und das 31. Panzerkorps (Ohlau) sowie die Armeen Nr. 59 und Nr. 60 und das 1. Garde-Kavalleriekorps (Oppeln) beteiligt gewesen.
Der bedrängte Hitler hatte Breslau zur Festung erklärt22). Schon deshalb musste auf russischer Seite ein Umdenken erfolgen und eine taktische Spaltung des Hauptstoßkeiles Nr. 0 der 1. Ukrainischen Front unter Marschall Konew vorgenommen werden, wie das Bild 1 ebenfalls zum Ausdruck bringt.
Es ergaben sich nun in Schlesien die russischen Stoßrichtungen mit den Nummern 1, 2, 3, 5, 6 gemäß Bild 1. Auf die konzentrierte Operation Nr. 6 (Oberschlesisches Industriegebiet) dürfte Stalin von Anfang an Wert gelegt haben. Der russische Marschall Konew beschrieb zudem selbst in seinem Buch23), wie es zu der weiteren Aufspaltung (Nummern 7, 8) in Phase II gekommen ist, denn er sollte zunächst Dresden einnehmen, griff aber stattdessen maßgeblich in die Kämpfe um Berlin ein, so dass sich bereits in Schlesien die eigentliche Hauptrichtung Nr. 8 ergab, vgl. auch Bild 3.
Diese Entwicklung entlastete zwar die Verteidiger der mittelschlesischen Front, führte aber im Hinterland erst recht zum Chaos, weil sich nun auf deutscher Seite die ständigen Umgruppierungen und Rückzüge der Wehrmacht mit den zögerlichen Flucht- und Evakuierungstrecks der Zivilisten dramatisch überlagerten. In den frontnahen, doch bald auch in den weiter westlich gelegenen Landstrichen, formierten sich zum Leidwesen der hier operierenden deutschen Wehrmachtsoffiziere „endlose Fluchtkolonnen“, denn das „große Wandern (verschiedener Truppenteile) von einem bedrohten Frontabschnitt zum andern“ ging nun erst richtig los.24) Diese Menschen brachten andererseits die bösen Nachrichten endgültig ab 20. Januar 194525) zum Beispiel nach Strehlen und Hussinetz. Hier kümmerte man sich zwar um sie mit notdürftiger Unterkunft und Verpflegung, doch war man ja inzwischen selbst in Versorgungsnöten. Hinzu kam „die glasklare schneidende Kälte“ (man registrierte -28oC)25), die „sich lähmend auf die gehetzten Menschen“ legte, zu denen bald die Strehlener selbst und auch die Hussinetzer gehören sollten.
Die Infrastruktur war durch anfangs punktuelle, bald aber flächenhafte Unterbrechungen und Zerstörungen ohnehin überfordert. Infolge des frühen Versiegens der wirtschaftlichen Quellen in Oberschlesien traten zudem Versorgungsengpässe auf der ganzen Linie auf. Darauf konzentrierten sich nämlich die Russen seit dem 20. Januar 1945, und schon an diesem Tag und an den folgenden vermerkte das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) im Lagebuch26) ganz schlechte Nachrichten, so „HKL vor Oberschlesien durchbrochen.“ (20.1.45) bzw. „Angriffe gegen Oberschlesien abgewiesen“, aber auch schon „Oberschlesische Kohletransporte unterbrochen“→) (22.1.45). Die am Ende verlorene Schlacht um das Oberschlesische Industrierevier währte bis Ende Januar. Und weiter herrschte im Land der Winter mit strenger Kälte.
Anmerkung: Als Hussinetzer gewinnt man ja die späte Einsicht, dass ohne Breslau im Vorfeld vielleicht alles noch schlimmer hätte kommen können. Was, wenn jene unerhörte russische Armada sogleich über den Landkreis Strehlen hinweg gefegt wäre, als wir, die Bevölkerung, noch nicht einmal an Flucht bzw. Evakuierung haben denken wollen? Diesem Umstand verdanken wohl viele Zivilisten im Hinterland ihr Leben.
Es liefen jedenfalls die Dinge keinesfalls so ab, wie die Gedankengänge der Schlesier durch jahrelange Propaganda programmiert worden sind, vielmehr vollzog sich die sowjetische Invasion ihrer Heimat - ungeachtet der teilweise heldenhaften Gegenwehr deutscher Truppenteile - in einem atemberaubenden Tempo, und in Schlesien verbreitete sich in gleicher Windeseile die schreckliche Nachricht: „Die Russen kommen!“.
Einen realistischen, nachvollziehbaren Eindruck insbesondere von der Phase II des Krieges in Schlesien soll nun das Bild 3 vermitteln. Die eingetragenen Pfeile bringen schematisch wesentliche russische Operationen zum Ausdruck, die unmittelbar an die Phase I anknüpften. Mit der einheitlichen Pfeilnummerierung in den Bildern 1 und 3 ist grob nachzuvollziehen, aus welchen Stoßrichtungen der Kriegsphase I gemäß Bild 1 wichtige Operationen in der zweiten Phase hervorgingen. Die Pfeilstärke symbolisiert zudem die Intensität der Kämpfe und somit die jeweiligen russischen Schwerpunkte in diesem Zeitraum. Anhand der Datumsangaben sind außerdem die Zwischenstationen (Bewegung in Ost-West- Richtung) bzw. die Endpositionen (am Ostrand der befestigten Wehrmachtstellungen) der Roten Armee in Schlesien annähernd ablesbar. Schraffiert ist das niederschlesische Gebiet, das die Wehrmacht bis zum Kriegsende im Stellungskrieg (Phase III) verteidigen konnte.
Die oberschlesische Angelegenheit, die in der russischen und polnischen Weltkriegsliteratur heuchlerisch als „Befreiung des schlesischen Industriegebietes“28, 29) deklariert wird - was die Deutschen selbstverständlich zu dieser Zeit nicht im Geringsten so empfanden gestaltete sich jedenfalls viel dramatischer, als dazumal alle deutschen Kriegssagas verbreitet hatten. Schon am 29. Januar 1945 hieß es nämlich nicht minder scheinheilig beim OKW26): „Oberschlesien preisgegeben“. Von wegen, hier wurde sogar die Wehrmacht derart in die Enge getrieben, dass große Verbände nur in letzter Not der totalen Einkesselung entkamen, und das Oberschlesische Industrierevier geriet nahezu voll funktionsfähig schon während der Kriegsphase I unter sowjetische Kontrolle. Die Verteidigung des bedeutsamsten Wirtschaftsreviers Deutschlands (nach der Zerstörung des Ruhrgebietes aus der Luft) war schlecht vorbereitet20)! Erst in der Phase II formierten sich die deutschen Abwehrkräfte einigermaßen und leisteten ernsthaften Widerstand, was jedoch den Durchbruch der Russen über Oberschlesien bis zum böhmischen Trautenau am Ende nicht verhindern konnte. Es gelang hier auf oberschlesischem Boden somit nicht, an die befestigte Linie in Niederschlesien anzuknüpfen, auf die noch zurückzukommen ist.
Umso überraschender verzeichnet das OKW26) ab Ende März 1945 die Einschätzungen „Bei Strehlen geringe Tätigkeit.“ (28.3.45) und auch für ganz (Rest-) Niederschlesien „nur wenig Kampfhandlungen“ (am 14. 4. 45). Es kam sogar letztlich in jener westlichen Region Niederschlesiens zum praktischen Frontstillstand bis zum Kriegsende, siehe Schraffur in Bild 3 und Frontlage Ende März 1945 gemäß Bild 4. Dies stand natürlich im krassen Widerspruch zur Dynamik der vorangegangenen Operationen der 1. Ukrainischen Front, die auf sowjetischer Seite das Geschehen bestimmte.
Man fragt sich also, welche weiteren Gründe es dafür gab, denn die „große Schlacht zwischen den Sudeten und dem Stettiner Haff“, OKW am 21. April 194526), tobte ja gnadenlos weiter (um Berlin und im Süden von Oberschlesien). Allerdings fielen dem OKW zu Recht in der Zeit 1. 4. bis 19. 4. 45 „schwächere Angriffe des Feindes“ auf, wofür es am 4. 4. 45 auch eine plausible Antwort gab.
Man erkannte gewisse Konzentrationsmaßnahmen der 1. Ukrainischen Front: „In Schlesien eine Auflockerung, da Teile der (russischen!) 4. Garde = (mech.) Armee weggezogen sind.“ Nun, im Fall der Garde handelte es sich tatsächlich um die Kerntruppen des sowjetischen Marschalls Konew23), die nach Berlin umgruppiert wurden, siehe 10 in Bild 4! Dort, in der Reichshauptstadt, fanden jetzt die kriegsentscheidenden Kampfhandlungen statt. Auf Schlesien sowie auf Ostsachsen bezogen bedeutete dies „lediglich“ noch „Starke Angriffe südwestlich Ratibor (also am SW-Rand von Oberschlesien) und bei Muskau-Forst“, OKW am 14. 4. 45, bzw. „Görlitz, Bautzen“, OKW ab 19. 4. 45 (also am Nordwest-Rand von Niederschlesien bzw. bereits jenseits von dessen Grenzen).
Schon dadurch konnte also im deutsch verbliebenen Niederschlesien eine gewisse Friedhofsruhe einkehren. Somit ordnet sich hier der späte Lagebuch-Eintrag des OKW vom 6. Mai 1945 problemlos ein: „An der Front in Schlesien und in Sachsen verhielt sich der Gegner wie bisher ruhig.“ Mit Ausnahme einiger Brennpunkte, auf die noch einzugehen ist, galt dieses „bisher“ tatsächlich schon seit Anfang April 1945, denn die befestigte Niederschlesische HKL begann damals längst zu greifen. Ihre Vorbereitungen (Geländeauswahl, Minenverlegung, Schützengrabenbau) begannen sogar bereits - wie bei Strehlen, siehe Abschnitte 1.2, 1.3 und 2.2 - im Februar 1945 hinter den noch sichernden Linien der kämpfenden Wehrmacht. So begann die Kriegsphase III mit den entsprechenden, örtlich überaus zerstörerischen Stellungskämpfen, wie zum Beispiel in Hänschens Heimatdorf Friedrichstein/Hussinetz, siehe Abschnitt 1.3.
Dabei darf man natürlich nicht die Schlacht um die ab Mitte Februar 1945 eingekesselte Festung Breslau übergehen (Bilder 1, 2 und 4), die erst am 6. Mai 1945 mit ihrer Kapitulation endete22) und lange Zeit starke russische Kräfte an sich gebunden hatte. Auch davon profitierte die „Friedhofsruhe“ im übrigenSchlesien. Es gab aber noch andere, wesentliche Gründe.
Auf Seiten der Roten Armee liefen die Dinge in Schlesien durchaus nicht immer so erfolgreich, wie zu Beginn der von den Russen so genannten „Niederschlesischen Operation“ in der Zeit 8. bis 24. Februar 194530). Hieraus erschließt sich ein weiterer gewichtiger Grund für die relative Standhaftigkeit Schlesiens, nämlich die gewachsene Moral seiner Verteidiger. Die vielen Rückzugskämpfe in den Weiten Russlands und Polens führten ja dazu, dass eine völlig demoralisierte deutsche Truppe an den Ostgrenzen Schlesiens und damit des Dritten Reiches ankam. Nun aber galt es, die Heimaterde und die eigene Zivilbevölkerung so kraftvoll wie möglich zu verteidigen. Vor allem in den Zeitzeugenberichten von Soldaten, die am Kampf um Schlesien beteiligt waren, erfährt man von erstaunlichen, ja todesmutigen Einzelleistungen, die natürlich ihre Wirkung auf die eigenen Kameraden nicht verfehlten24). Trotzdem liegt der moralische Schlüssel im Gesamtzusammenhalt der Truppe, zumindest punktuell.
An dieser Stelle seien daher zunächst die betroffenen deutschen Heeresverbände erwähnt. Diese Einheiten muss man ja als hier Geborener sogar unbedingt benennen, kämpften doch in ihren Reihen viele Schlesier, auch Hänschens Vater, wie man später erfuhr, siehe Abschnitt 5.
Das Operationsgebiet unterstand der Heeresgruppe Mitte. Nichts erinnerte mehr an deren Erfolge im Jahr 1941, zum Beispiel bei der Kesselschlacht um Smolensk (russisch Смоленск)31). Es bestand nur noch eine Namensbeziehung, denn nach schweren Niederlagen und katastrophalen Verlusten wurde die Heeresgruppe Mitte am 25. Januar 1945 neu aufgestellt. Da fand aber bereits die Schlacht um Schlesien statt. Hier ging es - wie gesagt - freilich jedem einzelnen Soldaten gewissermaßen auch endgültig um die nackte Existenz. Übrigens diente der Vater des Autors, der Smolensk miterlebte, noch immer in diesem Heeresverband und noch immer versuchte sein Sanitäts-Team im Rückraum der Kampfeinheiten die mehr oder weniger schwer Verletzten am Leben zu erhalten, siehe Abschnitt 5. Jetzt, in Schlesien geriet er allerdings direkt in den Verband der seit 1944 ebenfalls neu aufgestellten 17. Armee, jedoch eher zufällig nicht in deren Gruppe, die in Breslau eingeschlossen wurde und die Stadt mit sehr hohen Verlusten bis zum Schluss verteidigte.
Die 17. Armee (auch 17. Panzerarmee) wurde nördlich der Linie Steinau-Görlitz, also noch in Niederschlesien, von der 4. Panzerarmee und im Süden bzw. Oberschlesien von der Armeegruppe Heinrici flankiert, die mit ihren Gebirgs-Divisionen verlustreiche Auseinandersetzungen bei Leobschütz und bei Schwarzwasser überstanden und so wenigstens die Stellungen im Grenzgebiet zwischen Oberschlesien und Böhmen eine Zeit lang halten konnten. Im Zusammenwirken mit Verbänden der genannten Panzerarmeen konnte die Heinrici-Gruppierung jedoch nicht verhindern, dass die Rote Armee am 22. April 1945, also noch kurz vor Kriegsende, in Troppau einmarschierte und damit Oberschlesien im Kampf endgültig verloren war.
Die Hauptlast der Verteidigung von schlesischem Boden im 2. Weltkrieg trug somit die 17. Armee. Ihre Kräfte wurden in anhaltenden schweren Abwehrkämpfen bei Lauban (hier noch gemeinsam mit der 4. Panzerarmee) und auf dem gesamten Bogen von Lauban, um das Zobten-Massiv herum und vor Strehlen, später durch Friedrichstein/Hussinetz, in Niederschlesien und weiter über Neisse-Neustadt-Leobschütz-Ratibor in Oberschlesien regelrecht verschlissen, denn Ersatz und Nachschub funktionierten nur bedingt. Trotzdem schuf sie jene beständige „Niederschlesische Hauptkampflinie“ (Bild 1 bis 4), und erwies sich im „Niederschlesischen Stellungskrieg“ als unüberwindlich bis zum Kriegsende.
Anmerkung: Die ursprünglich russische Bezeichnung Niederschlesische Operation („Нижнесилезская операция“)22, 30, 31) ist allgemein gebräuchlich. Die Begriffe „Niederschlesische Hauptkampflinie“ und „Niederschlesischer Stellungskrieg“ sind im Schriftgut zum 2. Weltkrieg jedoch nicht enthalten. Sie sind aber aus der Sicht des Autors unverzichtbar, wenn man den Kriegsschauplatz Schlesien im Krieg und seine Auswirkungen danach begreifen will. Es ist ein wesentliches Anliegen des vorliegenden Buches, ihre Bedeutung herauszuarbeiten.
Die Unterstützung durch die deutsche Luftflotte 6 spielte eine Rolle bei den Kämpfen um Lauban und vor allem bei der Nachschubversorgung der eingeschlossenen Festung Breslau. Während des Niederschlesischen Stellungskrieges hatte sie aber ihre Bedeutung fast verloren, obgleich vereinzelt noch Luftkämpfe beobachtet wurden, so über den Hussinetzer Stellungen, siehe Abschnitt 1.3.
Innerhalb der genannten Armeen haben sich einige Verbände durch hohen Einsatz und anhaltende Kampfkraft trotz vieler Engpässe besonders hervorgetan. Zu diesen zählt unbedingt die legendäre 100. Jäger-Division24), der zuletzt bei der Verteidigung von Strehlen und im Stellungskrieg zu Hussinetz eine besondere Aufgabe zukam. Nach ihrem Untergang in der Schlacht um Stalingrad im März 1943 wieder aus österreichischen Truppen neu zusammengesetzt sowie nach Kämpfen auf dem Balkan, Galizien und Polen, wurden ihre Reste zuletzt nach Schlesien abgedrängt. Hier ist sie - im Verband der 17. Armee - teilweise mit schlesischen Soldaten aufgefüllt worden und sicherte zunächst gemeinsam mit den Truppen der 254. und der 269. Infanteriedivision sowie der 19. und der 20. Panzerdivision die hart umkämpfte Linie nördlich von Strehlen bis zum 25./26. März 194524). Wohl auch durch die völlig nutzlose Umgruppierung von Teilen dieser Divisionen zum Entsatz der Festung Neisse, die gerade in diesen kritischen Tagen erfolgte, kam es schließlich zur Niederlage im Kampf um Strehlen, siehe Abschnitt 1.2.
Von da ab hielt die 100. Jäger-Division jedoch maßgeblich die Stellungen entlang der zuvor ausgebauten HKL in Hussinetz bzw. im gesamten Umfeld der Strehlener Berge. Leider wurde auch für die verbliebenen 100. Jägerdivisionäre der erfolgreich geführte Niederschlesische Stellungskrieg insofern zum Verhängnis als auch ihnen am 7./8. Mai 1945 Ostböhmen als Fluchtziel diente, wo sie jedoch mit vielen anderen Truppenteilen und Versprengten in sowjetische Gefangenschaft gerieten.
Im Verband der 17. Armee haben weitere Truppeneinheiten im niederschlesischen Kriegsgeschehen besondere Geschichte geschrieben. So tat sich die 408. Infanterie-Division schon beim Bekämpfen des starken Brückenkopfes der 1. Ukrainischen Front bei Steinau hervor. Sie wurde zwar durch Verbände der 4. Panzerarmee unterstützt, doch waren sie alle zusammen nur noch Rudimente ehemaliger Truppenkontingente, und ihre Kräfte reichten bei weitem nicht aus, um den Gegner ernsthaft vom Vorstoß auf Berlin abzuhalten.
Der 8. Panzerdivision kam eine Schlüsselstellung bei der Wiedereroberung von Lauban zu, das fortan Teil der Niederschlesischen Hauptkampflinie wurde, ohne im Niederchlesischen Stellungskrieg je wieder so heftig umkämpft zu werden, wie etwas später Strehlen in Niederschlesiens Mitte.
Die Beschaffenheit der schlesischen Heimaterde selbst ist ein weiteres Phänomen, das die mächtige Rote Armee zum Stehen brachte. Stalingrad (Сталинград) heißt jetzt Wolgograd (Волгоград) und ist von Wrocław (früher Breslau) mehr als 2.000 km entfernt. Nach der Schlacht von Stalingrad im Jahr 1942 wurde die Wehrmacht von der Roten Armee in den Weiten Russlands und Polens im Wesentlichen durch ebenes Gelände vor sich her getrieben, siehe Bild 5a. Abgesehen von der Zeit fehlte es den deutschen Soldaten somit an der Möglichkeit, weitläufige Stellungen unter Nutzung von Deckungsmöglichkeiten in bergigen Landschaften anzulegen. Die provisorischen Hauptkampflinien wurden immer wieder durchbrochen, was natürlich auch an der zunehmenden russischen Überlegenheit an Menschen und Material lag. Die topografische Situation im 2. Weltkrieg änderte sich schlagartig erst am Ende der Kriegsphase II in Schlesien. Gemäß Bild 5bBild 6