Erweiterte Neuauflage Oktober 2015
Daniela Böhm
Zeichnungen von Sabine Anders
Lektorat: Beate Kahn
Copyright © 2010 Daniela Böhm
Copyright Zeichnungen © 2010 Sabine Anders
Copyright Coverbild © Varvara Gorbash (123rf.com)
www.123rf.com/profile_varka’>varka
Herstellung und Verlag:
Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-739299-01-3
Für den Größten aller Träumer
Für Sabine und ihre Träume
Tiere werden in der fabelhaften Welt der Fantasie oft zu kleinen und großen Helden - sie bestehen Abenteuer und stellen sich den Herausforderungen des Lebens. Die Tradition der Fabeln reicht weit zurück; in fabelhaften Geschichten finden wir uns als Menschen lächelnd wieder.
„Zwei Marder im Himmel“ ist eine Sammlung von achtzehn heiteren und besinnlichen Geschichten mit liebenswerten Hauptdarstellern.
Daniela Böhm wurde 1961 als drittes Kind von Karlheinz Böhm und Gudula Blau in der Schweiz geboren. Sie lebt heute in Bayern.
Seit vielen Jahren setzt sie sich aktiv für eine grundlegende Veränderung des Verhältnisses Mensch/Tier und Umwelt ein. Einen großen Teil ihrer Freizeit widmet sie der Beteiligung an Tierrechtsinitiativen. Das Werben um einen neuen und von Respekt getragenen Umgang der Menschen mit der Natur und ihren Bewohnern ist ihr ein Herzensanliegen.
Als Tierrechtsautorin schreibt sie seit 2012 regelmäßig Artikel und wird zu verschiedenen Veranstaltungen als Gastrednerin eingeladen. „Zwei Marder im Himmel“ wurde Ende 2010 das erste Mal veröffentlicht.
Weitere Bücher von Daniela Böhm:
Der träumende Planet (2011) BoD
Heute ist ein ganz anderer Tag (2011)BoD
Die sechs magischen Steine (2014)Masou Verlag
Dort wo du bist, bin auch ich (2015) Masou Verlag
Sanft säuselte der Wind in dieser warmen Frühlingsnacht durch das kleine Birkenwäldchen und bewegte die Zweige mit dem jungen, saftigen Grün leicht hin und her. Es war eine dunkle Nacht und der Mond zeigte sich nur selten als schmale Sichel zwischen den dicken Wolken am Himmel. Ein leichtes Rascheln war zu hören und hastige, ängstliche Atemzüge.
„Django?“
Josephine zitterte am ganzen Körper und ihr braunweiß gestreifter Schwanz zeigte senkrecht in die Höhe. Noch niemals in ihrem zweijährigen Waschbärenleben war sie nachts alleine in den Birkenwald gegangen. Unheimliche Geschichten gab es über dieses Wäldchen, von Gespenstern war die Rede und einer bösen, alten Eule, die alle Tiere in fette Spinnen verhexte, wenn sie ihr begegneten.
„Django!“, rief sie jetzt etwas lauter in den Birkenwald hinein.
Hurtig bewegten sich ein paar Pfoten über kleine, knackende Äste und ein Schatten huschte blitzschnell auf Josephine zu. Fast wäre ihr das Herz stehen geblieben, aber als sie Django erkannte, fiel sie erleichtert in seine Pfoten.
„Da bist du ja, ich habe mich so gefürchtet“, seufzte Josephine in sein Fell.
Django drückte sie fest an sich. „Lass uns schnell von hier verschwinden!“, sagte er und blickte ihr dabei zärtlich in die Augen.
Flink liefen sie davon, über weite Felder und Wiesen, an einem See vorbei, einen kleinen Hügel hinauf, bis sie schließlich am Rande eines großen Tannenwaldes ankamen. Dort, am Fuße eines dicken Baumstamms, war Djangos Zuhause.
Völlig außer Atem lagen beide erst einmal dicht aneinander gekuschelt in der mit Moos, Zweigen und getrocknetem Gras ausgestatteten Baumhöhle. Josephine konnte es kaum fassen, wirklich hier zu sein. Zwei Wochen kannten sie sich erst, aber es war Liebe auf den ersten Blick gewesen.
Eines späten Nachmittages war sie alleine in den Wald getippelt. Es war ein herrlicher Tag gewesen und wie warmer Goldregen waren die sanften Strahlen der Abendsonne durch die grünen Laubbäume gefallen. Und da war es geschehen: Josephine hatte Django erblickt und Django Josephine. Auf einer Lichtung mit einem von Farn übersäten Waldboden. Django war gerade dabei gewesen, möglichst viele Blaubeeren auf einmal zu verspeisen und sie hatte ihm eine ganze Weile heimlich zugesehen. Dann hatte er sich plötzlich umgedreht. Wild hatte er ausgesehen, wie ein Abenteurer und mit einem frechen Grinsen um den mit Blaubeeren verschmierten Mund. Sprachlos war sie gewesen und ihr Waschbärenherz hatte angefangen, höher zu schlagen.
„Wollen wir spielen?“, hatte er einfach gefragt und sich dabei mit der rechten Tatze über das Maul gewischt.
Eine lange Zeit waren sie durch den Wald getollt, immer abwechselnd einer dem anderen nach, sich neckend und lachend. Auf hohe Baumkronen, durch wildes Gestrüpp und über weichen Waldboden war die Jagd gegangen. Irgendwann waren sie völlig außer Atem gewesen und hatten sich auf ein samtiges Stück Moos fallen lassen. Still war es gewesen, bis auf das Zwitschern von ein paar Vögeln. Und Django hatte Josephine angesehen, ihr tief in die kugelrunden Augen geblickt und gesagt: „Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt, willst du die Meine sein?“ Um seinen noch immer mit Blaubeeren verschmierten Mund war ein zärtliches Grinsen gewesen und Josephines Herz hatte ein paar Hüpfer gemacht. Deshalb hatte sie auch gar nicht lange über die Antwort nachgedacht und ein schlichtes "Ja" gehaucht.
Ein paar Tage später hatte Josephine von ihren Eltern erfahren, dass sie mit Balduin vermählt werden sollte. Es war einfach so entschieden worden. Balduin war ein dicklicher Waschbärenmann und Großgrundbesitzer. Er machte gern derbe Scherze, tat nichts lieber als kräftige Mahlzeiten einzunehmen und rülpste nach jedem Essen recht herzhaft. Seine Sippschaft war die angesehenste in der ganzen Gegend und alteingesessen, aber hinter vorgehaltener Tatze wurde gemunkelt, dass der Clan, aufgrund der italienischen Gene, mafiöse Strukturen aufwies.
Josephine war tagelang verzweifelt und traurig gewesen. Der Gedanke, Balduin zu heiraten war ihr unerträglich, einfach unvorstellbar vorgekommen. Sie hatte ihn einmal kurz kennengelernt und fand, dass er unangenehm roch. Aber sie hatte gewusst, dass es keinen Zweck haben würde, mit ihrem Vater zu sprechen. Er war ein imposanter Waschbär mit einem besonders buschigen Schwanz, sehr streng und altmodisch. Außerdem war es in dieser Gegend nicht unüblich, dass Eltern versuchten, eine gute Partie für ihre Töchter zu ergattern.
Als Django von der bevorstehenden Hochzeit erfahren hatte, war er außer sich gewesen.
"Das lasse ich nicht zu, nie und nimmer!", hatte er gesagt und sie ganz fest mit seinen Pfoten umschlungen. „Waschbären kämpfen um ihre große Liebe und wenn es sein muss, duelliere ich mich mit Balduin!“
Und so hatten die beiden begonnen, Fluchtpläne zu schmieden.
Ein befreundeter Rabe wurde in den Plan eingeweiht. Er sollte der Familie von Josephine am Tag nach der Flucht eine Botschaft überbringen. Zunächst hatte er sich gesträubt. "Wieso muss ich immer schlechte Nachrichten übermitteln, das ist ungerecht! Es bestätigt nur diese dumme Theorie, dass Raben Unglücksbringer sind! Ich habe es satt!", hatte er laut gekrächzt. Aber schließlich hatte er sich doch einverstanden erklärt und so kam es dann, dass er am nächsten Morgen nach der Flucht, viel zu früh, denn für Waschbären war die Nacht der Tag, nicht aber für Raben, zu der Behausung von Josephines Familie flog.
Der Rabe setzte sich vor den Heuschober, der auf einer leicht hügeligen Wiese lag, und begann laut zu krächzen.
„Krah, Krah, Krah!“
Immer lauter wurde sein Gekrächze, bis schließlich ein erboster und übel gelaunter Waschbär aus dem Heuschober schoss.
„Was sind das für Manieren? Kannst du dein Krakeele nicht woanders loswerden?“, rief Josephines Vater, genannt Bertl, empört.
„Ich habe eine Nachricht von deiner Tochter“, erwiderte der Rabe würdevoll und gleichzeitig etwas beleidigt.
„Von welcher Tochter? Ich habe vier Töchter! Sprich, du Unglückstier!“
Der Rabe warf ihm einen scharfen Blick zu, aber in seinem Herzen war er todtraurig. „So ist es immer“, dachte er bei sich, „niemand mag uns. Nur weil wir ein pechschwarzes Gefieder tragen, glauben alle, wir bringen Unglück. Diese Welt ist unfair, meine Großmutter hatte Recht als sie sagte, dass Aberglaube der schlimmste Glaube sei.“ Er fühlte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, denn er hatte seine Großmutter über alles geliebt. „Was soll‘s, dieser unhöfliche Kerl verdient es ja nicht anders!“
„Es geht um deine Tochter Josephine. Ich soll dir ausrichten, dass sie heute Nacht fortgelaufen ist, weil sie unglücklich war, dass sie Balduin heiraten sollte. Du brauchst dir keine Sorgen machen, denn sie liebt einen anderen und es geht ihr gut mit ihm, sein Name ist Django. Es tut ihr sehr leid, aber sie mag Balduin überhaupt nicht und kann ihn deshalb unmöglich heiraten.“ All dies brachte der Rabe etwas unbeholfen und stotternd hervor. „
Zum Donner!“, brach es aus Bertl heraus, „was soll das heißen?
Sie muss verrückt geworden sein. Wer ist dieser Django?“
„Ich kenne ihn nicht näher, er wohnt allein, irgendwo im Wald.
Netter Bursche, ist wohl ein Einzelgänger“, antwortete der Rabe.
„Ha, dass ich nicht lache, netter Bursche, was? Das klingt mir eher nach einem davon gelaufenen Anarchisten! Waschbären leben in Gruppen und nicht alleine. Aber was weißt du schon“, sagte er brummig und warf dem Raben einen verächtlichen Blick zu.
Der Rabe war jetzt wirklich beleidigt und beschloss, keinen Ton mehr von sich zu geben.
Inzwischen war Bertls Frau Agnes aus dem Heuschober gekommen.
„Um Himmels willen, was ist geschehen?“, fragte sie ängstlich, als sie ihren aufgebrachten Mann und den Raben erblickte.
„Fort ist sie! Josephine ist ausgerissen, mit irgendeinem Typ!“
„Was?“, rief Agnes entsetzt und brach in Tränen aus. „Mein Kind, meine kleine Josephine!“
Bertl verdrehte die Augen. „Immer dieses Geheule“, dachte er bei sich, „warum mussten Frauen ständig in Tränen ausbrechen?“ Weil ihm nichts Besseres einfiel, sagte er: „Das hast du nun von deiner Erziehung! Ich habe ja immer gesagt, dass deine Tochter eine verzogene Göre ist!“
Agnes schluchzte noch lauter. „Wie kannst du so etwas sagen? Sie ist schließlich auch deine Tochter! Du hast sie genauso erzogen und warst immer viel zu streng zu ihr. Wahrscheinlich ist sie deshalb fortgelaufen.“
„Deine Tochter ist mit irgendeinem Hallodri auf und davon, was kann ich dafür?“, polterte Bertl, geradezu so, als hätte er ihren Satz überhaupt nicht gehört.
Der Rabe entschied sich, auf einem abseits gelegenen Baum zu warten. Er hatte keine Lust, Zeuge eines peinlichen Ehestreits zu werden und außerdem war er beleidigt.
„Woher weißt du, dass er ein Hallodri ist? Warum musst du immer vorschnell über andere urteilen, selbst wenn du sie gar nicht kennst?“, fauchte ihn Agnes an.
„Er lebt alleine im Wald, was soll das schon für einer sein? Den Rest kann ich mir zusammenreimen“, brummte Bertl grimmig.
„Das bedeutet gar nichts. Ach, deine Mutter hatte schon recht, als sie zu mir sagte, dass du ein uneinsichtiger Sturkopf bist!“
„Lass' gefälligst meine Mutter aus dem Spiel! Immer dieses Weibergetratsche! Nichts als leeres Gerede, Frauen haben einfach nicht viel im Kopf“, erwiderte Bertl grimmig.
„Du bist ja so gemein, warum habe ich dich nur geheiratet?“, brach es verzweifelt aus Agnes heraus.
Daraufhin fiel Bertl nichts mehr ein, denn etwas Derartiges hatte seine Frau noch nie zu ihm gesagt. Er war tief getroffen und wandte sich ab.
Stille.
Agnes war erschrocken, dass sie so etwas zu ihrem Mann gesagt hatte.
Bertl kauerte schweigsam auf einem Baumstamm und betrachtete schmollend seine Pfoten.
Der Rabe saß weiterhin beharrlich auf dem Baum und verfolgte das Geschehen stillschweigend.
Nach einer Weile tapste Agnes ein wenig unsicher zu ihrem Mann und setzte sich neben ihn.
„Es tut mir leid, ich habe das nicht so gemeint“, begann sie. „Aber du bist manchmal sehr verletzend. Jedes Mal, wenn ich weine, wirst du ungerecht, dann hörst du mir gar nicht mehr zu und ich werde hilflos.“
Bertl schmollte noch immer und brummte etwas Unverständliches in seinen Bart.
„Komm, lass uns wieder gut sein. Ich liebe dich doch …“, sagte Agnes und stupste ihn mit der rechten Pfote in seinen Waschbärbauch.
Bertl brummte erneut, aber immerhin warf er ihr nun einen kurzen Blick zu.
„Ich liebe dich“, wiederholte Agnes hartnäckig.
Schließlich gab er sich einen Ruck.
„Ich weiß, dass du es oft nicht leicht mit mir hast. Aber ich liebe dich auch, selbst wenn dir das manchmal nicht so erscheint“, sagte Bertl.
Agnes war erstaunt. So etwas hatte er nach einem Streit noch nie zu ihr gesagt. Jetzt machte ihr Herz ein paar Hüpfer, genauso, wie es das Herz ihrer Tochter getan hatte, als sie Django das erste Mal begegnet war. Sie schmiegte sich ganz fest an ihn und eine Weile saßen sie eng umschlungen, wie ein frisch verliebtes Paar.
„Was sollen wir jetzt nur tun?“, fragte Bertl schließlich.
„Das Glück unserer Tochter sollte uns wichtiger als alles andere sein“, antwortete Agnes resolut und aus vollstem Mutterherzen. „Wir machen es so: Du gehst zu Balduin und sprichst mit ihm. Sag ihm einstweilen nur, dass wir die Hochzeit verschieben müssen, weil Josephine krank ist. Ich hingegen werde den Raben bitten, mich zu den beiden zu begleiten und mir diesen Django mal genauer ansehen. Sollte ich wirklich das Gefühl haben, dass er ein Hallodri ist, werde ich Josephine beiseite nehmen und mit ihr reden. Aber was auch immer geschieht Bertl: Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass sie alt genug ist, um ihre Entscheidungen selbst zu treffen, auch wenn es dir schwer fällt, das zu akzeptieren.“ Sie schmiegte sich noch enger an ihn. „Ich habe dich aus Liebe geheiratet und nicht, weil es mein Vater beschlossen hatte. Weißt du noch, als wir uns das erste Mal begegnet sind? Damals, beim Tanz in den Mai?“
„Natürlich …, aber frag mich bitte nicht nach dem Datum.“
Agnes lächelte. Sie kannte ihren Mann nur zu gut und sich Jahreszahlen zu merken, gehörte nicht zu seinen Stärken.
„Es war der 17. Mai im Jahr des Feuermondes. Ich habe dich gesehen, in deine Augen geblickt und gewusst, dass ich nie mehr einen anderen Waschbären lieben könnte.“
„Tatsächlich …?“, erwiderte Bertl nur, aber insgeheim freute er sich.
„Ja, genau so war es. Und deshalb wünsche ich mir genau dieses Glück für meine Tochter. Nur die wahre Liebe, jene, die man nicht mit Worten erklären und letzten Endes auch nicht ergründen kann, ist die richtige Voraussetzung für eine Ehe. Sie ist wie …“, Agnes suchte nach Worten, ... „wie das Harz der Bäume, ein Klebstoff, der alles zusammenhält und wieder kittet, was zerbrochen scheint. Ja, das ist die Liebe.“ Agnes strahlte.
„Unsere Liebe ist also ein Klebstoff?“, sagte Bertl schmunzelnd und gab ihr einen neckischen Kuss.
„So ist es!“, antwortete sie lachend und erwiderte seinen Kuss.
Alles wurde gut. Agnes konnte sich vom Glück ihrer Tochter überzeugen und fand, dass Django ein netter Kerl war, etwas unkonventionell vielleicht, aber sehr sympathisch und fesch. Sie konnte Josephine gut verstehen und spürte, dass sie glücklich war. Das war die Hauptsache. Bertl hingegen war zu Balduin gegangen und hatte ihm gesagt, dass seine Tochter krank sei. Balduin schien darüber ganz erleichtert gewesen zu sein. Ein paar Wochen später sollte sich dann herausstellen, dass er sich bereits in der Zeit vor der geplanten Hochzeit in die dicke Lilly verliebt hatte und Josephine auch nicht mehr heiraten wollte. Bertl lernte Django ein paar Tage später kennen und hielt ihn für einen halbwegs passablen Schwiegersohn. Allerdings stimmte er der Hochzeit nur unter der Bedingung zu, dass sich die beiden in der Nähe des elterlichen Hauses niederlassen würden.
Und weil Django Josephine über alles liebte, willigte er ein. „In der Liebe“, dachte er, „muss man zu Kompromissen bereit sein.“
Es wurde eine glückliche Ehe, und weil sie sich so sehr liebten, bekamen sie viele Kinder. Eines davon, der kleine Michel, sah aus wie Bertl. Dieses Enkelkind liebte Agnes ganz besonders.
Der Rabe aber war mit seinem Schicksal versöhnt und erzählte all seinen Kindern immer wieder von dem Tag, als er eine Botschaft überbracht hatte, die allen Beteiligte ein großes Glück bescherte. Nicht nur der Glaube versetzt Berge, sondern auch die Liebe.
***
Es war eine warme Sommernacht und die Wiesen und Felder waren vom milchigen Glanz des abnehmenden Mondes überzogen. Gelegentlich war der Schrei einer Eule zu hören und auf den Feldern huschten Schatten vorbei, die auf der Suche nach Nahrung waren.
Abgeschieden und fern jeglicher Zivilisation stand ein alter Bauernhof oder das, was noch von ihm übrig war. Durch sein zerfirstetes Dachgebälk wehte ein lauer Wind und in dem verwilderten Garten jagte ein Marder ein paar Mäuse.
Luzerl hing im Rahmen des obersten Dachfensters und blickte in den sternenübersäten Nachthimmel. Tief sog er die milde Nachtluft durch seine winzige Nase ein und schaukelte leicht hin und her. Er war klein, hatte struppiges braunes Fell, lange, große Ohren und pechschwarze Flügel. Luzerl war eine Fledermaus und verbrachte den ersten Sommer seines Lebens allein, seit genau drei Monden. Seine Frau, eine etwas füllige Fledermausdame und jünger als er, hatte ihn verlassen. Traurig und nachdenklich betrachtete er den Glanz der Sterne und des Mondes und dachte dabei an seinen jüngsten Sohn, den sie nach der Trennung einfach mitgenommen hatte. Der Grund war ein anderer Mann gewesen.
Ein befreundeter Fledermäuserich der Gemeinschaft, die ihr Zuhause gewesen war, hatte ihr lange Zeit den Hof gemacht und immer wieder kleine Geschenke gebracht. Mal einen Käfer oder eine Spinne und einmal sogar eine Heuschrecke. Diese galten als besondere Delikatessen, weil sie so schwer zu fangen waren. Luzerl hingegen ernährte sich nur von kleinen Waldbeeren, aromatischen Kräutern und allerlei anderem Grünzeug, er war Vegetarier, genau wie seine Vorfahren, die aus dem südländischen Raum stammten. Seine Frau hingegen, die zum Clan der mitteleuropäischen Mausohren gehörte, hatte krabbelndes Getier auf ihrem Speisezettel bevorzugt.
Sie waren überhaupt sehr unterschiedlich gewesen überlegte Luzerl , während er immer noch leicht hin und her schaukelte, so wie die Sonne und der Mond. Er war nachts gelegentlich in den Wald geflogen, um allein zu sein und zu meditieren, während sie gerne mit ihren Freundinnen die Kolonien der benachbarten Fledermäuse unsicher gemacht hatte. Nicht, dass ihm deshalb jemals ein Vorwurf über seine Lippen gekommen wäre und er hatte sie auch von Herzen geliebt, aber insgeheim hatte er sich manchmal doch nach einer gleichgesinnten Fledermauspartnerin gesehnt.
Während er so vor sich hingrübelte, sah er auf einmal eine Sternschnuppe am Himmel. Leuchtend war sie, wunderschön und sie erschien ihm wie ein Zeichen. Fast im selben Moment spürte er ein leichtes Kribbeln zwischen seinen beiden Ohren und ein weiches, angenehmes Gefühl durchströmte seinen kleinen Körper in einer sanften Welle. Und mit einem Mal hörte er eine Stimme, die aus seinem Inneren zu kommen schien: „Es ist gut, lass es los.“
Luzerl fühlte einen tiefen Frieden, so, wie schon lange nicht mehr. „Es ist gut“, wiederholte er ganz leise.
Nach einer Weile bekam er auf einmal Lust, einen kleinen Nachtflug zu unternehmen. Er hatte das selten in letzter Zeit getan, die meisten Nächte hatte er gefastet und meditiert. Jetzt verspürte er von Neuem einen gesunden Appetit und beschloss, ein paar Beeren zu suchen.
Luzerl spannte seine Flügel und flog los. Zunächst, so hoch er nur konnte, dem Mond entgegen. Er spürte den Wind um seine Ohren sausen und ein lang vergessenes Glücksgefühl in seiner Seele.
Dann ging es weiter, im Sturzflug in Richtung des Waldes und dort tief hinein, immer tiefer, er streifte dunkle Tannen und raues Gestrüpp, er flog und flog, wie in einem Rausch.
Auf einer Lichtung hielt er erschöpft inne. Aber er fühlte sich großartig, befreit von einer Last und voller neu gewonnener Lebensfreude. Sein Fledermausleben war wieder schön. Die Nacht war schön und die Sterne am Himmel. Der Duft der Tannen war würzig und das Moos unter seinen Krallen feucht und weich. Der Ruf eines Uhus schallte durch den Wald und von Weitem hörte er das Rauschen eines kleinen Baches.
Am Rande der Lichtung fand Luzerl ein paar Waldbeeren, sie schmeckten köstlich und er konnte sich in diesem Moment nicht erinnern, jemals etwas Wohlschmeckenderes gegessen zu haben.
Schließlich suchte er sich den Ast eines Tannenbaums, der weit in die Lichtung hinein reichte, und hängte sich gemütlich daran fest. Mit dem Geschmack der Waldbeeren auf seinen Lippen, diesem neu gewonnenen Lebensgefühl und einer wohligen Müdigkeit, versank er in einen tiefen, meditativen Zustand.
Luzerl begann zu träumen.
Er sah die wunderschöne Nacht, die alle Fledermäuse liebten. Und die Nacht sprach zu ihm: „Ich bin dir dankbar Luzerl, denn du liebst mich. Es gibt nicht viele, die mich so sehr lieben. Die meisten haben Angst vor mir, Tiere und Menschen. Sie fürchten die Dunkelheit, denn in der Dunkelheit geschehen schlimme Dinge. Ich weiß das, ich sehe diese Dinge und bin so traurig darüber. Aber ich kann nichts dafür. Der Mond und die Sterne sind meine Freunde und ich freue mich, wenn der Himmel ohne Wolken ist und ihr sanftes Licht zu sehen ist. Hast du schon einmal darüber nachgedacht Luzerl, dass der Mond und die Sterne ohne mich gar nicht zu sehen wären? Nur durch mein dunkles Sein werden sie sichtbar und enthüllen ihr Licht, ihren Glanz und ihre ganze Schönheit. Das ist das Geheimnis meiner Natur.“
Luzerl schlug seine kleinen Äuglein auf und blickte um sich. Woher war diese Stimme gekommen? Sanft war sie gewesen, aber auch traurig. Und schön war es, was sie gesagt hatte, diese Stimme der Nacht. Er konnte es nicht vollkommen verstehen, aber er fühlte die Wahrheit in seinem Herzen. Es war ihm, als hätte er ein großes Geschenk erhalten. Eine demütige Erhabenheit erfasste sein ganzes Fledermaussein und Freudentränen stiegen in seine Augen.
„Danke“, flüsterte er der Nacht zu und blickte ehrfurchtsvoll zum Himmel.