© 2016 Wolfgang Buddrus
Einband: Wolfgang Buddrus
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 9-78-3-74124-866-5
Die „Historischen Denkmale des christlichen Fanatismus“ haben unter dem Titel „Der Pfaffenspiegel“ eine weite Verbreitung gefunden und werden immer wieder einmal neu herausgegeben. Zum ersten Mal erschien dieser Text von Otto von Corvin im Jahre 1845, und jeder, der das Buch kennt, wird dem Autor großen Mut bestätigen müssen. Denn vieles von dem, was Corwin dort anführt, war in der katholischen Kirche der Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus noch nicht als überlebt anzusehen, es war, auch nach der Reformation, noch gegenwärtig. Und es überrascht dann auch nicht, daß Corvins Werk sofort die Aufmerksamkeit der Tugendwächter in Preußen auf sich zog. Zwar hatte der König schon 1740 geschrieben:
Die Religionen Müßen alle Tolleriret werden und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben das keine der anderen abruch Tuhe, den hier mus ein jeder nach Seiner Faßon Selich werden1,
aber es gab im preußischen Strafgesetzbuch auch den Paragraphen 166, den sogenannten „Gotteslästerungsparagraphen“, und nach dessen Maßgabe wurden etliche Passagen vor der Veröffentlichung entfernt. Nun ist es heute natürlich besonders interessant, was da gestrichen wurde. Erik Möller und Jürgen Kurz haben diese entfernten Passagen rekonstruiert und in ihrer Internet-Version als solche gekennzeichnet.2 Erik Möller weist dort auch darauf hin, daß eine Veröffentlichung im Jahre 1969 immer noch den Streichungen nach §166 folgte. In der vorliegenden Fassung wurden die gestrichenen Passagen (ohne besondere Kennzeichnung) berücksichtigt. Eine gute Textversion findet man auch beim Projekt Gutenberg.3
Corvins Schilderungen der Verhältnisse in der römisch-katholischen Kirche können auch den heutigen Leser noch gruseln. Besonders das in den Abschnitten III („Reliquienverehrung“ ) und V („Sodom und Gomorrha“) Ausgebreitete mag man kaum glauben. Und doch muß man es wohl als Zeugnisse des religiösen Fanatismus in Europa akzeptieren, denn Corvin ist bei weitem nicht der einzige, der sich dazu geäußert hat.4 Und bis in die Gegenwart kommt dazu, daß es ja nicht immer religiöser Fanatismus (man sagt heute auch „Fundamentalis-mus“) ist, der diese Scheußlichkeiten hervorbringt, dazu sind auch die „gewöhnlichen“ Religiosen und Kirchen fähig. Das Zölibat zum Beispiel muß zu schlimmen „Ersatzhandlungen“ führen, und Wallfahrten zu ominösen Orten und Reliquien werden immer noch gefördert.
Ob es etwas zu bedeuten hat, wenn Wikipedia als erstes Merkmal des „Pfaffenspiegels“ setzt, es handele sich um „eine oberflächliche Geschichtsklitterung, die von den Nationalsozialisten zu Hetzaktionen gegen die katholische Kirche genutzt wurde“?5 Die Quelle für dieses Zitat ist die Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 370.6 Hier sollten 1957 gleich zwei Argumente gegen den „Pfaffenspiegel“ wirksam werden: a) die Schrift haben die Nazis für sich verwendet und b) es geht um Hetze gegen die katholische Kirche und vielleicht noch c) es ist eine „oberflächliche Geschichtsklitterung“, d.h., da stimmt kaum die Hälfe.
Der „Pfaffenspiegel“ ist selbstverständlich keine wissenschaftliche Publikation, sondern eine polemische Schrift gegen religiösen Fanatismus. Wie würde der „Pfaffenspiegel“ mit zahllosen Fußnoten zu den Quellen ausgesehen haben? Und: Mit der katholischen Kirche und Religionen im allgemeinen kann man sich doch nur sarkastisch, satirisch , anklagend befassen – wenn man kein gläubiger Religiot ist.
Altefähr auf Rügen, Mai 2016
1 Friedrich der Große auf eine Anfrage, ob die römisch-katholischen Schulen wegen ihrer Unzulänglichkeit wieder abgeschafft werden sollen.
2 http://www.humanist.de/religion/pfaffe.html
3 http://gutenberg.spiegel.de/buch/pfaffenspiegel-1696/1
4 Einige Titel werden am Schluß genannt.
5 https://de.wikipedia.org/wiki/Pfaffenspiegel (27.3.2016)
6 Wird seit 1953 von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben .
wurde am 12. Oktober 1812 in der ostpreußischen Kleinstadt Gumbinnen geboren. Sein Vater, preußischer Major a.D. und Postdirektor dort, entstammte dem seit Mitte des 17. Jahrhunderts in Ostpreußen begüterten und protestantischen Zweig eines alten polnischen Adelsgeschlechts.
Corvin schlug zunächst die militärische Laufbahn ein, kam ins Cadettencorps zu Potsdam, 1830 als Lieutenant nach Mainz, dann nach Saarlouis. 1835 beendete er diese Karriere und ging nach Leipzig, um sich (erfolglos) als Schriftsteller zu betätigen.
Er verfügte über eine „virtuosenhafte Schwimmgewandtheit“, verfaßte eine 1835 veröffentlichte „Anweisung zur Erlernung der Schwimmkunst“, errichtete 1842 zu Leipzig in der Elster die erste ordentliche deutsche Schwimmanstalt. Bereits 1837 war er nach Frankfurt a. M. gegangen, dort hatte er einigen Erfolg mit dem ersten deutschen waidmännischen Journal, „Der Jäger. Zeitschrift für Jäger und Naturfreunde“ (1838–42) und, ebenfalls ohne Vorgänger, einer Monatsschrift für Pferdezucht und Pferdesport „Der Marstall“ (1839–42), dann erschien sein „Taschenbuch für Jäger und Naturfreunde (1845).
„Ein entschiedener Demokrat, nahm er im April 1848 am Aufstand in Baden thätigen Anteil, kehrte auch im Mai 1849, nach vorübergehendem Aufenthalt in Berlin, nach Baden zurück, verteidigte als Bürgerwehroberst Mannheim bis nach der Schlacht von Waghäusel gegen die Preußen, wurde zuletzt Chef des badischen Generalstabs in Rastatt und leitete die Verteidigung dieser Festung. Nach der Übergabe derselben standrechtlich zum Tod verurteilt, wurde er zu sechsjähriger Einzelhaft begnadigt und verbüßte diese im Zellengefängnis zu Bruchsal. Nach seiner Entlassung (Oktober 1855) ging er nach London, wo er seine litterarischen Beschäftigungen wieder aufnahm. Während des nordamerikanischen Bürgerkriegs war er als Spezialkorrespondent der Augsburger 'Allgemeinen Zeitung' , ebenso 1870/71 als Korrespondent der 'Neuen Freien Presse' auf dem Kriegsschauplatz thätig. Seit 1874 lebte er zu Wertheim in Baden, von wo er später nach Leipzig übersiedelte.“7
Er kam mit radikal-demokratischen Autoren zusammen, darunter Friedrich Gerstäcker (1816‒1872), Adolf Glaßbrenner (1810‒1876), Georg Herwegh (1817‒1875), Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798‒1874), Wilhelm Jordan (1819‒1904), Robert Blum (1804‒1848).
Es erschienen seine Schriften „Abriß der Geschichte der Niederlande bis auf Philipp II.“ (1841) und „Der niederländische Freiheitskrieg, nach den besten Quellen bearbeitet“ (I. II. 1841/42, 1846 deutsch) – letztere vollständig nur holländisch in 6 Bänden 1847–49 in Amsterdam erschienen. Ein besonderes Werk, das er zusammen mit Friedrich Wilhelm Held (1813‒1872) verfaßte, ist die „Illustrierte Weltgeschichte für das Volks“, 4 Teile in 6 Bänden, Leipzig 1844‒51.
Zu seinen Leipziger Aktivitäten gehört auch eine technische Erfindung, die bis heute unter seinem Namen bekannt ist: Corviniello. Das sind Metallarbeiten, in die aus anderen Materialien (Perlmutt, Steine oder andere Metalle) mit völlig ebener Oberfläche die verschiedensten Motive eingelegt sind.
Die große organisierte Wallfahrt zu der Reliquie des „Rockes Christi“8 in Trier im Jahre 1844 und die Aktivitäten des Kaplans und katholischen „Dissidenten“ Johannes Ronge (1813‒1840)9 waren der Anstoß für die wahrscheinlich bekannteste Publikation Corvins, die „Historischen Denkmale des christlichen Fanatismus, 2 Bde., Leipzig 1845, in der 5. Auflage unter dem Titel „Pfaffenspiegel“, Rudolstadt 1888. „Dieses gepfeffert polemische Werk erschien 1870 in einer 4., illustrierten (und darum konfiszierten Auflage), 1885 in 5., 1889 in 6., 1890 in 7. Auflage, und wurde damit in einer Massenhaftigkeit unter die Menge gebracht, wie sie auch den gefeiertsten Schriftstellern in Deutschland sonst nicht beschieden ist, und die zu denken gibt.“10
Der Autor „erlebte noch die Beschlagnahme dieser 5. Auflage, nicht aber den Ausgang des wider ihn, den Verleger und das Werk angestrengten Processes: der 'Pfaffenspiegel' wurde unter Streichung einiger Stellen ein für alle Male freigegeben, dem Verleger als nunmehr allein Verantwortungsfähigem zwei Monate Gefängniß und die Gerichtskosten zudictirt – der dramatische Abschluß von Corvin’s publicistischer Laufbahn nach dem Tode.
Als Ergänzungswerk dazu bezeichnet sich Corvin’s Buch 'Die Geißler' (1846, 2. Aufl. 1890, 3. 1891), bis 1902 in ca. 50 000 Exemplaren verkauft: stoffbunt läßt es mit herbem Tadel alle Arten Hiebe in und außer der Kirche Revue passiren. Eine vollgepfropfte Rüstkammer aller Anwürfe gegen das gesammte Legendarische und Wundersame im Christenthum, in dessen Entstehungswie Entwicklungsgeschichte, ist: „Die Goldene Legende. Eine Naturgeschichte der Heiligen“ (1875; 2., 3., 4. Aufl. 1888, 1889, 1890, seitdem unverändert abgedruckt, von W. Oberländer und L. Löffler illustrirt); ein 4/9 umfassender Theilabdruck führt seit 1877 die 'Heilige Familie' für sich vor. Lediglich der nüchterne Menschenverstand wägt hier alle kirchliche Tradition ab, doch will C. ausdrücklich das ethisch Hohe und Tiefe an Jesu Lehre festhalten.
Von der Tendenz ganz abgesehen, bekundet Corvin in der Regel einen ausgeprägten Charakter und spricht Ansicht, Zu- und Abneigung stets offen aus. Der 'Pfaffenspiegel', die Corviniello-Erfindung und das Unternehmen der 'Illustrirten Weltgeschichte' dürften ihn so bald kaum vergessen lassen.“11
7 Meyers Konversations-Lexikon, 1888, 4. Bd., S. 299.
8 Die Echtheit der in Trier ausgestellten Tunika konnte durch wissenschaftliche Untersuchungen bisher nicht nachgewiesen werden. Die Wallfahrten finden aber bis in die Gegenwart statt.
9 Ronge hatte z.B. in einem offenen Brief an den Bischof von Trier die Wallfahrt und überhaupt die Ausstellung dieser Reliquie als „Götzendienst“ angeprangert. Ronge wurde noch 1844 exkommuniziert.
10 Allgemeine Deutsche Biographie, (ADB) herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), Artikel „Corvin-Wiersbitzki, Otto v.“ von Ludwig Julius Fränkel.
11 ebenda.
»Sollte Dir, heiligster Vater,
dieses Büchlein gefallen und Du
mir solches öffentlich zu erkennen
geben, so will ich mich bemühen,
mit ähnlichen Geschenken aufzuwarten.«
Ulrich von Hutten
Die Welt ist schon oft mit einem Narrenhause verglichen worden. Der Vergleich ist für uns nicht schmeichelhaft, aber leider ist er passend. Schauen wir um uns! Wo wir hinsehen, finden wir die charakteristischen Kennzeichen eines Tollhauses:
Überall rennen wir gegen verschlossene Türen, überall erblicken wir vergitterte Fenster und drohend geschwungene Peitschen eines Aufsehers, wenn wir etwas zu unternehmen trachten, was gegen die Hausordnung verstößt. Doch das alles hat die Welt auch mit einem Zuchthause gemein; das Treffende des Vergleichs wird uns erst klar, wenn wir ihre Bewohner, die Menschen, in ihrem Treiben beobachten.
Dort erblicken wir hochmütige Narren, die sich für die Herren der Welt halten und steif und fest glauben, Gott habe dieselbe mit allen Menschen nur zu ihrem Privatvergnügen geschaffen; vor ihnen liegen Millionen noch größerer Narren im Staube, die ihnen glauben und demutsvoll gehorchen.
Dort sitzt ein anderer und nennt sich Vizegott. Er liebt das Geld wie ein altrömischer Statthalter, und die Menge rennt herbei und füllt ihm die Taschen mit Gold, wofür er ihr Einlaßkarten - zum Himmel gibt. Dort knien Tausende anbetend vor einer Bildsäule, dort vor einer Schlange, dort vor einem Ochsen. Jene beten die Sonne an, diese den Mond, andere das Wasser.
Seht euch diese Leute genauer an, denn von ihnen handelt dies Buch. Ihr findet unter ihnen Wahnsinnige von allen Graden, vom rasend Tollen bis zum armen Blödsinnigen, der unter Zittern und Zagen seinen Rosenkranz betet und beständig fürchtet, der Teufel möchte ihn holen. Wie mannigfach sind nicht die Äußerungen ihres Wahnsinns, oft grauenerregend, oft lächerlich, oft Abscheu und Zorn, oft Mitleid erweckend. Diese Religionstollheit verdient schon eine genauere Betrachtung, denn sie ist über die ganze Erde verbreitet und hat unsägliches Elend über die Menschen gebracht.
Und ist denn diese Krankheit unheilbar? O nein! Aber die Ärzte, die es vermöchten, sie zu heilen, meinen es nicht ehrlich, denn sie beuten diese Pest des Menschengeschlechtes zu ihrem Vorteil aus und fürchten ihre Macht zu verlieren, wenn die Welt von diesem Übel befreit wird. Andere meinen es ehrlich; aber Machthaber fesseln ihnen nicht allein die Arme, sondern versiegeln ihnen auch den Mund.
Vor etwa zweitausend Jahren wurde zum Glücke der tollen Menschheit der Welt ein Heiland geboren. Er war ein großer Arzt, und wer seine Mittel gebrauchte, der genas von der Religionstollheit, die schon von Anbeginn unter dem Menschengeschlechte wütete. Aber er fiel als ein Opfer seiner Menschenfreundlichkeit und wurde ans Kreuz gehängt. Seine Schüler schrieben die Lehren des Meisters nieder, so gut sie dieselben begriffen, aber sie taten es in der überschwenglichen Ausdrucksweise des Morgenlandes, und das war es, was das Abendland noch toller machte, als es vorher war. Hier verstand man den Geist der Sprache nicht, man hielt sich an den Wortlaut, fing an zu drehen und zu deuteln, und in die ganze Heilmethode kam grenzenlose Verwirrung. Die gute Absicht des großen Arztes, die Menschheit aus den Fesseln des Wahns zu erlösen, ging verloren, die geistige Finsternis wurde immer dichter, und die Menschen sind nach zweitausend Jahren noch verrückter, als sie es vorher waren.
Doch ich will diese Bildersprache aufgeben und sie denjenigen überlassen, welche eine Menge von der Romantik des Christentums zu faseln wissen. Ich will nun weiter kein Blatt vor den Mund nehmen, sondern gerade und deutsch meine Meinung sagen.
Es ist meine ehrliche und aufrichtige Meinung, daß das Christentum unendliches Elend über die Welt gebracht hat! Das Gute, welches es erzeugte, wäre auf anderen Wegen gewiß weit herrlicher erreicht worden, und dann steht es mit dem Bösen, dessen Ursache es war, in gar keinem Verhältnis ...
Rom und Griechenland sind ohne Christentum groß geworden, und welcher christliche Staat kann so herrliche Beispiele von Bürgertugend und wahrer Mannesgröße aufweisen? Was hätte aus dem trefflich begabten deutschen Volke werden können, wenn es sich auf ähnlichem Wege wie das griechische entwickelt hätte, oder auch - wenn ihm Christi Lehre in ihrer reinen Gestalt überliefert worden wäre! Aber was hat die christliche Kirche mit Christus gemein! Er predigte die Freiheit - sie aber die Sklaverei. Was haben die Deutschen durch das von den Pfaffen verpfuschte Christentum gewonnen? - Sie, die sonst frei waren, wurden durch dasselbe Sklaven und sind es geblieben bis auf den heutigen Tag. Statt hölzerner und steinerner Götzenbilder, die keinen Schaden taten, bekamen sie lebendige Pfaffen.
Die Verteidiger des Christentums rühmen, daß es die Barbaren entwilderte. Ich will zugeben, daß dies für den Augenblick geschah, allein wie bald zerknickte nicht das Papsttum die durch die neue Lehre hervorgerufenen dürftigen Blüten der Kultur und versenkte ganz Europa in eine Barbarei, die weit finsterer war, als sie es zu heidnischer Zeit je gewesen. Die heidnischen Preußen waren so dumm nicht, als sie den „heiligen“ Adalbert totschlugen, und verdienten weit eher das Denkmal, welches nun diesem gesetzt werden soll.
Papst Alexander VI. sagte: „Jede Religion ist gut, die beste aber - die dümmste.“ Er sprach es aus, was alle Päpste vor und nach ihm dachten. „Rom kann nur herrschen, wenn die Welt dumm ist“, stand als unumstößlicher Grundsatz in ihrer Seele geschrieben, und deshalb schickten sie ihre Apostel aus, welche die Menschheit systematisch verdummen mußten ...
Völker und Fürsten lagen vor den Päpsten im Staube. Das Weltreich, welches sie errichteten, und sein Bestehen bis auf den heutigen Tag ist das größte Wunder, welches die Geschichte kennt. Des großen Alexander Reich zerfiel; das der alten Römer und das Napoleons ging in Trümmer; sie waren gebaut auf die Gewalt der Waffen. Aber das Reich von Neu-Rom besteht schon fast anderthalbtausend Jahre und wird wer weiß noch wie lange bestehen, denn es ruht auf dem solidesten Fundament ‒ auf der Dummheit der Menschen.
Man schämt sich, ein Mensch zu sein, wenn man überdenkt, durch welche Mittel es den Päpsten gelang, die Geister der Menschen in das Joch zu schmieden. Der grobe Betrug, der nichtswürdigste Eigennutz lagen so klar und offen da, daß es fast unbegreiflich erscheint, wie sie nicht auf der Stelle und selbst von dem Dümmsten erkannt wurden, besonders da die Pfaffen sich nicht einmal große Mühe gaben, ihr Tun und Treiben zu verbergen. Mit der schamlosesten Frechheit wurde die dummgläubige Christenheit geplündert, denn Geld! Geld! war die Losung Roms. Scharen feister Mönche und Nonnen mästeten sich von dem sauer erworbenen Sparpfennig der Armen, die um so mehr bereit waren, die Koffer der Pfaffen zu füllen, weil es ihnen hier auf Erden so schlecht ging und sie sich doch wenigstens nach dem Tode ein bequemes Plätzchen sichern wollten.
Der Klerus nahm lachend das gute Geld, welches ihm die Leichtgläubigen zahlten, und gab dafür Wechsel aufs Jenseits, die bis heute ihren Kredit behielten, da Tote bekanntlich stumm sind. Die schändlichsten Verbrechen, welche sich die Zunge zu nennen sträubt, konnten mit Geld gebüßt werden; aber wer an dem Glauben rüttelte, der büßte in den Flammen!
Der über alle Erwartung gute Erfolg und die unerhörte Leichtgläubigkeit der christlichen Herde hatten die Päpste und Pfaffen zu sicher gemacht. Ihre Geldgier wie ihre Üppigkeit und Liederlichkeit überschritten alle Grenzen. Einzelne sahen ein, daß der zu scharf gespannte Bogen brechen mußte; aber alle ihre Warnungen waren vergebens. Kardinal Johann, ein Engländer, sagte zu Innocenz IV: “Bileams Eselin ließ sich lange mißhandeln, aber endlich fing sie an zu reden.“ Der Kardinal hatte richtig prophezeit. Die Eselin redete; aber als sie geredet hatte, da schwieg sie wieder und blieb nach wie vor - eine Eselin.
Von allen Seiten erhoben sich zwar Stimmen gegen das tolle Pfaffenwesen; sie wurden in Flammen erstickt, und bornierte Fürsten halfen getreulich, die Ketzer vertilgen. Aber jeder vergossene Blutstropfen schien dem Pfaffentum einen neuen Feind zu gebären, und nun begann der Kampf Roms mit der Vernunft, welche es schon längst erstickt zu haben meinte.
Wie ein Riese hieb der deutsche Grobian Luther die italienischen Finten durch; „aber ach“, sagt sein Zeitgenosse Caspar von Schwenkfeld, „Luther hat uns aus Ägypten geführt und durch das Rote Meer, aber in der Wüste sitzenlassen und Israel nicht ins gelobte Land gebracht.“ Und heute, nach dreihundert Jahren, ist der Josua noch nicht erschienen.
Wer wollte die großen Verdienste Luthers verkennen! Die von ihm hervorgerufene Reformation war auf den sittlichen Zustand der Welt von unendlich großem Einfluß. Zahlen sprechen am klarsten. Wilberforce beweist uns, daß schon dreißig Jahre nach der Reformation die Zahl der in England hingerichteten Verbrecher sich von 2.000 auf 200 jährlich verminderte! Luther hat wahrlich genug getan, er hatte seinen Verfolgern eine Gasse geöffnet.
Auch Luther ging erst allmählich ein Licht auf; er war Mönch gewesen und zu Rom die Treppe zur Peterskirche auf den Knien andächtig hinauf- und hinuntergerutscht. Bis zum Ende seines Lebens konnte er seinen Geist nicht ganz von der Mönchskutte befreien.
An seinen Schülern war es, auf dem von Luther gelegten Fundament zeitgemäß fortzubauen; aber es ging ihnen wie den Christen der ersten Jahrhunderte, sie klebten an den Worten ihres Meisters und blieben Lutheraner. Luther selbst klagt schon: “Ich wollte Lust machen zur Heiligen Schrift, nun hängen sie bloß an meinen Büchern; ich wollte, daß sie alle zu Pulver verbrannt wären.“ Dieses starre Festhalten am Wort hat uns unendlich geschadet.
Den Sieg, den die Vernunft durch die Reformation erfochten hat, ist wahrlich nicht so groß, als ihn eifrige Lutheraner gern machen möchten. Den besten Beweis dafür liefert das protestantische Glaubensbekenntnis, welches von jedem bei der Konfirmation heruntergebetet wird. Der gar zu laut schreiende Unsinn ist daraus verschwunden, aber es ist noch genug darin geblieben, was vor der Vernunft nicht bestehen kann, um es nicht härter auszudrücken. Luther hat gesagt: „Man muß die Vernunft unter die Bank stecken.“ Ja, die Vernunft unter die Bank stecken! Das ist die Zauberformel, die Rom groß gemacht hat! Die protestantischen Pfaffen gelüstet es nach derselben Macht in ihrem Bezirk, denn „es ist kein Pfäfflein so klein, es steckt in ihm ein Päpstlein!“ Darum eifern sie mit Händen und Füßen dagegen, wenn sich die Vernunft an ihren Glaubenssätzen vergreifen will. Der gelehrte, unglückliche Abälard aber meint: „Je erhabener göttliche Dinge sind, je ferner sie von der Sinnenwelt abliegen, desto mehr muß sich das Streben unserer Vernunft nach ihnen richten; der Mensch wird wegen der ihn auszeichnenden Vernunft mit dem Bilde Gottes verglichen: daher soll der Mensch sie auf nichts lieber richten als auf den, dessen Bild er durch sie vorstellt.“
Der weise Seneca sagt: „Laßt uns nicht gleich dem Vieh dem Troß derjenigen nachgehen, welche vor uns wandeln, und statt dahin zugehen, wohin wir zu gehen haben, dahin laufen, wohin eben alles läuft.“ Die Gebildeten haben schon längst nur eine Religion, und darum laßt uns die unwürdige Heuchelei über Bord werfen und frank und frei die Flagge der Vernunft aufziehen. Was Katholiken, was Protestanten, was Papst, was Luther! Die Vernunft sei unser Papst, sie sei der Reformator des neunzehnten Jahrhunderts. Laßt uns alle Protestanten sein, Protestanten gegen jeden mystischen Unsinn und gegen alles Sektenwesen. Jesus, der Weise von Nazareth, sei unser Führer und nächst ihm die älteste heilige Urkunde, die wir haben - die Vernunft.
Der große Friedrich sagte: „In meinem Lande kann jeder nach seiner Façon selig werden.“ Ging Preußen wegen dieser Glaubensfreiheit zugrunde? Stand es mit seiner „Potsdamer Wachparade“ etwa weniger achtungsgebietend da als andere viel größere und mächtigere Reiche? - O warum sind doch die großen Fürsten so selten, und warum erscheinen sie noch viel seltener im richtigen Augenblick? Alle Fürsten trachteten nach Ansehen, Macht und Ruhm; aber sie sollten besser die Geschichte studieren, um zu lernen, daß die Fürsten nie groß wurden, die sich dem Geiste der Zeit und des Volkes entgegensetzten. Hätte Kaiser Karl V. sich an die Spitze der Reformation gestellt, anstatt sie zu bekämpfen, er wäre der größte Fürst geworden, den die Geschichte kennt. Dies war nicht allein der Weg zum höchsten Ruhm, sondern auch zur höchsten Macht; er schlug den entgegengesetzten Weg ein, und nach vierzigjähriger Regierung hatte er die Erfahrung gemacht, daß er vergebens gekämpft, daß Freiheit und Wahrheit sich wohl aufhalten, aber nicht unterdrücken lassen. Wodurch wurde der kleine Schwedenkönig Gustav Adolf so groß? Warum lebt sein Name noch heute in dem Munde der dankbaren Menschen, während das Volk nichts mehr von dem mächtigen Kaiser Karl V. weiß, in dessen Reich die Sonne nicht unterging?
Wäre heute ein Fürst großherzig genug, veraltete Vorurteile abzustreifen, und klug genug, den Geist der Zeit zu erkennen; wäre er entschlossen genug, sich wie ein zweiter Gustav Adolf an die Spitze der Bewegung zu stellen - alle Herzen würden ihm entgegenfliegen, alle Arme sich für ihn und die gute Sache bewaffnen, er würde der größte und mächtigste Fürst werden, und sein Thron wäre fester gegründet als jeder andere, der sich auf eine Armee und auf wurmstichige Pergamente stützt, denn er wäre erbaut für die Ewigkeit in den Herzen vieler Millionen dankbarer Menschen.
Doch die königlichen Ehebetten gleichen der Aloe, aus der, wie man sagt, nur alle hundert Jahre einmal eine Blüte emporsteigt und die in der Zwischenzeit nur bittere Blätter und Stacheln hervorbringt. Preußen hat seinen Friedrich gehabt, Österreich seinen Joseph - wir Deutschen werden uns also wohl noch gedulden müssen! Ich sehe wenigstens nirgends eine Hoffnung.
Staatsmänner, die es mit dem Volke schlecht meinten, haben es mit der Religion stets so gehalten: Glauben oben, Verstand unten, so regiert es sich am besten, das ist der alte Grundsatz der Despoten. Die Bewegungen der neueren Zeit mißfallen ihnen, sie fürchten, der Zeitgeist gehe mit der Freiheit schwanger, und trachten danach, die Frucht zu ersticken oder abzutreiben, ehe es zu spät wird.
Aber leider erscheint dem Despotismus die Beschränkung der Pressefreiheit als seine kräftigste Stütze, und der Nuntius des Papstes Hadrian VI. wußte wohl, was er tat, als er zu Nürnberg auf Zensur bestand und dabei blieb, daß darauf alles ankomme. „Große Männer wie unsere Josephe und Friedriche haben die Pressefreiheit nicht gefürchtet - aber je kleiner der Gewaltsmann, desto mehr haßt er das Licht.“
Sind Regierungen so verblendet, daß sie den bescheidenen und vernünftigen Wünschen des Volkes entgegenstreben, nun, so muß ein jeder sich selbst helfen, so gut er es kann, ohne die Gesetze zu verletzen. Muß auch jeder äußerlich tun, wozu ihn die Obrigkeit zwingt, „die Gewalt über ihn hat“, so kann er doch sein Haus, seine Familie von dem Gifte frei halten, welches ein böser Wind über die Alpen auch nach Deutschland geweht hat.
Die römisch-katholische Kirche ist noch dieselbe, welche sie vor tausend Jahren war, und es ist eben ihr Stolz, daß sie unverändert geblieben ist. Sie verfolgt noch dieselben Zwecke, und wenn sie die Reformation auch erschreckte, so hat sie sich längst doch schon wieder von dem Schrecken erholt - da wir dreihundert Jahre lang schliefen. Die alten erprobten Mittel zur Verdummung der Menschen, die sich früher so erfolgreich bewährten, sie werden geöffnet und speien ihren Segen über die Welt aus - mit welchem Erfolge, lehrt die heilige Rockfahrt nach Trier.
Ich werde mich also in dem nachfolgenden Werk damit begnügen, diejenigen Begebenheiten der Geschichte der Wahrheit getreu zu schildern, bei denen sich die schrecklichen Wirkungen der Intoleranz und des christlichen Fanatismus in ihrem grellsten Lichte zeigen. Da es nun aber zum Verständnis dieser historischen Gemälde durchaus nötig ist, einige Kenntnis davon zu haben, wie sich die christliche Kirche im Laufe der Jahrhunderte gestaltete und wie allmählich die Reformation hervorgerufen wurde, so sehe ich mich genötigt, eine Skizze davon gleichsam als Einleitung vorangehen zu lassen, da ich eine solche Kenntnis bei meinen Lesern nicht allgemein voraussetzen kann. Man erwarte indes kein geordnetes Ganzes und am allerwenigsten einen trockenen historischen Abriß, der die Leser nur langweilen würde, im Gegenteil, ich fürchte, oft nur zu spaßhaft werden zu müssen, wenn ich mich auch nur ganz einfach darauf beschränke, das zu berichten, was Heilige, Päpste und andere Priester sich nicht schämten zu tun und zu sagen. Sind ihre Taten und Worte lächerlich und nicht immer anständig - so ist es meine Schuld nicht.
Leipzig im Februar 1845
Corvin
»Welchen nun die Bienen werden stechen, der
mag schreien und sich rechen, so werden sie in noch
mehr stechen.«
Philipp von Marnix, Herr von St. Aldegonde
Es sind nun mehr als zwanzig Jahre verflossen, seit die erste Auflage dieses Buches in Leipzig erschien. Es begann damals sich überall zu regen. Der sich mündig fühlende Geist der Menschheit empörte sich gegen die ihm von dem Despotismus vergangener Jahrhunderte aufgezwängten Formen, und die Regierungen wandten die schon oft erprobten Mittel an, ihn zur Unterwürfigkeit zu bringen. Die Zensur übte ihr Amt mit bornierter Strenge; Zeitungen wurden widerrechtlich unterdrückt und Schriftsteller gemaßregelt und eingesperrt, denn durch sie sprach der Geist der Zeit zum Volk, welches nicht wissen sollte, daß es der Kinderstube entwachsen war.
Die Kirche blieb nicht zurück. Die alten und bereits beiseite gestellten Dogmen und Reliquien wurden aus der römischen Rumpelkammer wieder vorgesucht, und mit mitleidsvollem Zorn sah der Genius des neunzehnten Jahrhunderts die gläubige Herde zu Hunderttausenden nach Trier wallfahrten, einen von dem dortigen Bischof ausgestellten, angeblichen Rock Christi anzubeten.
Die Rockfahrt nach Trier empörte selbst die gebildete katholische Welt. In den von Robert Blum inspirierten sächsischen Vaterlandsblättern erschien der bekannte Absagebrief von Johannes Ronge. Es entstand eine große Bewegung, von der man sich viel versprach und die auch bedeutendere Folgen gehabt haben würde, wenn die Leiter derselben ihrer Aufgabe mehr gewachsen gewesen wären. Sie hatten guten Willen, aber zu wenig Talent.
Ich teilte die Hoffnungen vieler und beschloß, mein Teil zur Erfüllung derselben beizutragen. Meine historischen Quellenstudien hatten mich mit Dingen näher bekanntgemacht, welche dem Volk von den seine Erziehung eifersüchtig bewachenden Priestern sorgfältig verhehlt oder nur verstümmelt oder kirchlich zurechtgemacht mitgeteilt wurden. Ich hatte die Schriften der „Kirchenväter“ und die der geachtetsten Kirchenschriftsteller zu lesen, und je mehr ich las und forschte, desto mehr wurde mir die Nichtswürdigkeit des entsetzlichen Verbrechens klar, welches die römische Kirche an der Menschheit verübt hatte, desto mehr erstaunte ich über die unerhörte Dreistigkeit und Perfidie, mit welcher es begangen wurde und noch immer begangen wird. Ich sah immer mehr ein, daß die Knechtschaft, unter welcher das Menschengeschlecht seufzt, in der Kirche wurzelte und daß all unsere Bestrebungen zur Freiheit ohnmächtig sein würden, wenn wir uns nicht zuerst von den Fesseln befreiten, in welche die Kirche den Geist der Menschen geschlagen hatte. Dieser Erkenntnis entsprach der Entschluß, ein Buch zu schreiben, welches dem von den Priestern betörten Volk die Decke von den Augen nahm und ihm gestatten sollte, einen Blick in die Werkstatt zu tun, in welcher seine Fesseln geschmiedet wurden.
Der religiösem Glauben entspringende Fanatismus zeigte sich überall als der entsetzlichste Feind der Freiheit, und um ihn zu bekämpfen und zu vernichten, schien es mir nötig, dem Volke nicht allein die gräßlichen Folgen des Fanatismus durch historische Beispiele vorzuführen, sondern auch zugleich die trüben Quellen des Glaubens selbst nachzuweisen, dessen Folge er ist. Da nun dieser Glaube auf angeblichen Tatsachen beruht, an deren Wahrheit das Volk deshalb nicht zweifelt, selbst wenn sie der Erfahrung und der Vernunft widersprechen, weil sie von Priestern erzählt werden, an deren größeren Verstand, Wahrheitsliebe, Uneigennützigkeit und sittlichen Charakter das Volk glaubt: so habe ich zur Bekämpfung dieses Autoritätenglaubens ebenfalls für nötig gehalten, die Natur dieser Autoritäten, das heißt der Päpste und Priester, historisch zu beleuchten und nachzuweisen, daß das gläubige Volk in dieser Hinsicht von durchaus falschen Voraussetzungen ausgeht.
Um diese verschiedenen Zwecke zu erreichen, beschloß ich, in einer Einleitung darzulegen, wie sich die Macht der Päpste und Priester im Laufe der Zeit entwickelte, welche Mittel sie dazu benutzten und welche Wirkung diese Mittel auf die Gesellschaft im allgemeinen und auf die Priester selbst hatten.
Die Einleitung bot sehr große Schwierigkeiten, denn ein seit Jahrhunderten angesammeltes Material sollte in den engen Rahmen eines mäßigen Bandes gezwängt werden. Ferner geboten die Umstände ganz besondere Sorgfalt und Vorsicht in der Auswahl dieses Materials. Die Zensur existierte noch, und abgesehen von dieser Beschränkung durfte ich nur solche Tatsachen benutzen und anführen, deren Wahrheit nicht allein mir als unzweifelhaft schien, sondern die auch von den römischen Priestern selbst angefochten werden konnten.
Der damalige Zensor in Leipzig war ein Professor Hardenstern. Er sandte mir häufig mein Manuskript mit dicken Strichen versehen zurück, allein er hatte die mißliebigen Stellen meistens wieder freizugeben, wenn ich ihm bewies, daß sie dem von der römischen Kirche approbierten Buch eines Heiligen oder andern großen Kirchenlichtes entnommen waren.
So erschien also die Einleitung zu meinem Werk gewissermaßen bestätigt durch die sächsische Regierung, an deren Spitze ein römisch-katholischer König stand. Das Buch wurde auch, außer in Österreich, nirgends konfisziert, und die Wahrheit nicht einer einzigen der darin angegebenen Tatsachen ist selbst von der römischen Geistlichkeit, obwohl sie das Buch wie begreiflich höchlich verdammte, angefochten oder gar widerlegt worden.
Von der Kritik wurde mein Buch durchweg äußerst günstig aufgenommen und meinem Fleiß und Bestreben die vollste Anerkennung zuteil.
Einige wohlmeinende Freunde sprachen gegen mich die Meinung aus, daß mein Buch eine noch bessere Wirkung hervorgebracht haben würde, wenn ich die empörendsten Tatsachen weggelassen und bei Beurteilung der mitgeteilten mehr Mäßigung beobachtet hätte.
Gegen diese Ansicht muß ich mich entschieden erklären. Wollte ich handeln, wie diese Wohlmeinenden es verlangen, so handelte ich jesuitisch. Eine Linie, die nicht gerade ist, ist krumm, und entstellte Wahrheit ist Lüge.
Es ist allerdings möglich, daß einigen Katholiken die von mir mitgeteilten Tatsachen so unglaublich scheinen, daß sie dieselben für böswillige Erfindungen halten, worin sie natürlich von ihren Geistlichen bestärkt werden, allein sollte ich aus diesem Grunde mich gerade der wirksamsten Waffen berauben? Wer mich Lügen beschuldigt, der mag offen auftreten; ich will ihm beweisen, daß, was er als Lüge bezeichnet, den Schriften eines verehrten Heiligen, Bischofs oder Prälaten wörtlich entnommen ist.
Was nun meine Urteile anbetrifft, so sind sie allerdings oft in herben und derben Worten ausgedrückt, allein ich frage, welche Ansprüche hat denn die römische Kirche auf eine rücksichtsvolle und zarte Behandlung? Die Wahrheit sagen ist in der Tat nicht so grob, als jemand verbrennen, weil er an eine handgreifliche Lüge nicht glauben kann! Nein! was ich für schlecht halte, das werde ich schlecht nennen.
Die römische Kirche ist kein Freund der Menschheit, dessen Schwächen und Gebrechen aufzudecken und zu verhöhnen mir Schande bringen könnte. Torheit und Schwäche wäre es, im offenen und ehrlichen Kampfe mit dem Todfeinde dieser Freiheit die Blößen nicht zu benutzen, die er bietet: ich stoße hinein mit aller Kraft, und wenn ich kann, nach dem Herzen.
Das Buch ist nicht für den Gelehrten, auch nicht für den Salon bestimmt, es ist für das Volk geschrieben, und damit dasselbe es lese, ist es geschrieben, wie es geschrieben ist. Sind darin vorkommende Tatsachen und Worte nicht immer anständig, dann halte man sich deshalb an diejenigen Heiligen, Päpste oder Priester, welche solche unanständigen Handlungen begingen oder unanständige Worte gebrauchten.
Der zweite Band, „Die Geißler“, folgte bald dem ersten; allein ehe der dritte noch erscheinen konnte, brach der Sturm von 1848 los, der mich in Paris fand, wo ich Zeuge der Februar-Revolution wurde. Die Zeit des Schreibens war nun vorläufig vorüber, und mit Tausenden Gleichgesinnter griff ich zum Schwert. Ich focht in erster Reihe und bis zuletzt. Die fürstliche Gewalt hatte bereits überall in Deutschland gesiegt, als wir die Festung Rastatt übergaben, deren Verteidigung ich als Chef des Generalstabes geleitet hatte.
Ich wurde zum Tode verurteilt, aber nicht einstimmig. Die eine dissentierende Stimme, die Anwendung eines in bezug darauf erlassenen Gesetzes und ein Zusammentreffen anderer glücklicher Umstände erretteten mich vom Tode; allein ich ward volle sechs Jahre in der einsamen Zelle eines pennsylvanischen Gefängnisses lebendig begraben.
Wen die Einsamkeit eines solchen Gefängnisses nicht geistig zertrümmert, den läutert und kräftigt sie. Manche meiner Leidensgefährten starben, manche kehrten mit zerstörtem Körper und Geist hilflos in die Welt zurück. Es war im Herbst 1855, als ich mein Grab verließ. Weder mein Geist noch meine Gesundheit hatten gelitten, im Gegenteil, was andere zerstörte, hatte mich gekräftigt.
Wer kümmert sich heute noch um die Leute, welche die Bäume pflanzten, die uns Schatten und Nutzen gewähren! - Ich war mit dem zufrieden, was ich in Deutschland sah. Das Blut der Märtyrer von 1848 und 49 und die Tränen ihrer Weiber und Kinder sind nicht umsonst geflossen. Die Veränderungen in der menschlichen Gesellschaft entwickeln sich eben in ähnlicher Weise wie die in der Natur - allmählich und langsam, und es ist unvernünftig von denen, die doch sonst die Wunder leugnen, Wunder zu verlangen.
Von den politischen Folgen der Jahre 1848 und 49 will ich indessen hier nicht reden; ich habe mit ihnen hier nichts zu tun, ich will nur den geistigen Fortschritt in Betracht ziehen.
Unsere Aufgabe ist es, die errungenen Vorteile zu benützen, und der zweckmäßigste Weg dazu, das Wissen unter dem Volke zu verbreiten und vor allem danach zu streben, den Pfaffen mit und ohne Tonsur die Erziehung der Jugend aus den Händen zu winden.
1868 im Oktober.
Corvin
Ich war freilich vollständig davon überzeugt, daß mein Pfaffenspiegel ein zeitgemäßes Buch sei; allein dennoch überraschte es mich sehr angenehm, daß bereits nach einigen Wochen eine dritte Auflage nötig wurde, welche hoffentlich nicht die letzte sein wird.
Ein günstiges Geschick unterstützte die in dem Buche vertretene gute Sache dadurch, daß es gerade um die Zeit seines Erscheinens Dinge an das Tageslicht brachte, welche die in demselben aufgestellte Behauptung bewahrheiteten, daß die in früheren Zeiten innerhalb der römischen Kirche, namentlich in den Klöstern, verübten Ruchlosigkeiten und himmelschreienden Verbrechen keineswegs allein barbarischen Zeitaltern angehörten, sondern daß sie eine natürliche Folge des in der römischen Kirche herrschenden, unwandelbaren Prinzips sind und heute noch ebenso vorkommen wie vor tausend Jahren, nur in vielleicht noch schrecklicherer und mehr raffinierter Nichtswürdigkeit.
Als die römische Kirche noch über Kaiser, Könige und Volk unumschränkt gebot, hielten es die Pfaffen kaum für der Mühe wert, ihre Gewalttätigkeiten zu verbergen, da die Kirche selten den Willen und das weltliche Gesetz nicht die Macht hatte, die unter dem Deckmantel der Religion verübten Scheußlichkeiten zu verhindern oder zu bestrafen. Das hat sich indessen seit der Reformation und den aus derselben sich entwickelnden Revolutionen geändert. Selbst solche Kaiser und Könige, welche noch sehr geneigt wären, die römische Kirche gewähren zu lassen, weil die durch dieselbe geförderte Verdummung der Despotie günstig ist, sind von der öffentlichen Meinung, welche durch den Arm des Volkes manchmal Throne zertrümmert und Kronen - samt den Köpfen - herunterschlägt, gezwungen worden, ihrer unumschränkten Gewalt feierlich zu entsagen und ihre despotischen Gelüste hinter sogenannten Konstitutionen zu verbergen, über welche sie lachen mögen, die aber das Volk sicher zur Wahrheit machen wird, wenn es sich erst von der geistigen Knechtschaft der Kirche befreit und damit unehrlichen Fürsten alle Hoffnung auf die Rückkehr zur alten despotischen Herrlichkeit abgeschnitten hat.
Rorschach am Bodensee, August 1869
Corvin
Die Notwendigkeit einer vierten Auflage des „Pfaffenspiegel“ in so kurzer Zeit ist der beste praktische Beweis, daß dies Buch den Zweck erfüllt, den ich mir vorsetzte, als ich es schrieb. Aus verschiedenen, streng katholischen Ländern der Welt, wie Spanien, Italien, Südamerika, erhielt ich zustimmende und ermutigende Briefe und hatte auch die Freude, ein eigenhändiges Schreiben von dem alten Helden Garibaldi zu empfangen, in welchem er sich freudig anerkennend über die Tendenz meines Buches ausspricht.
Für die gebildeten Klassen der Gesellschaft ist überall die Macht des Papstes, sofern sie ihren Glauben betrifft, ein toter Buchstabe; allein diese Macht hat noch immer eine fühlbare praktische Bedeutung, solange das Fundament einigermaßen zusammenhält, auf dem sie erbaut wurde, das ist die Dummheit des Volkes ‒ oder um es milder auszudrücken, der „blinde Glaube“ des Volkes an ihre Berechtigung. Der offene Zweck dieses Buches ist es, auf offene und ehrliche Weise dieses Fundament zu stürzen, indem auf authentischem, historischem Wege nachgewiesen wird, daß dieser Glaube, den die römische Kirche als erste Bedingung verlangt, auf handgreiflichen Lügen und Fälschungen beruht, die von bewußten und unbewußten Betrügern dem vertrauenden Volke als Wahrheiten und Tatsachen aufgetischt wurden, und daß eigennützige Pfaffen diesen “frommen Glauben“ des Volkes stets zu ihrem eigenen Nutzen und zum Schaden der Menschheit ausbeuteten.
Ich halte es für ein verdienstliches Werk, zur Beschleunigung dieses Umsturzes nach Kräften beizutragen, indem ich dem gläubig vertrauenden Volke die Gestalt der römischen Kirche zeige, wie sie erscheint, wenn sie von dem sie verhüllenden Plunder der Lüge und Falschheit befreit ist.
London, im Frühjahr 1870.
Das Werk wurde vom Publikum sowohl als der Presse ganz außerordentlich günstig aufgenommen, wenn auch einige zartbesaitete Kritiker meine Sprache hin und wieder zu offen und derb fanden. Ich habe aber für jedes meiner Bücher einen besonderen Stil, wie ich ihn für den behandelten Gegenstand und für die Klasse des Publikums, für welche das Buch bestimmt ist, für zweckmäßig halte. Der Erfolg hat bewiesen, daß ich, was die „Historischen Denkmale usw.“ betrifft, das Richtige getroffen hatte.
Bad Elgersburg, im Juli 1885
Corvin
»Je erhabener göttliche Dinge sind, je ferner sie von der Sinnenwelt abliegen, desto mehr muß sich das Streben unserer Vernunft nach ihnen richten; der Mensch wird wegen der ihn auszeichnenden Vernunft mit dem Bilde Gottes verglichen; daher soll der Mensch sie auf nichts lieber richten als auf den, dessen Bild er durch sie vorstellt.«
Abélard
Wenn der schwache Mensch sich unter den Schlägen des Unglücks erliegen fühlt und weder in sich selbst, noch in andern, noch überhaupt irgendwo auf Erden Trost und Hilfe für seine Leiden findet, dann treibt ihn ein natürlicher Hang dazu, sich mit der in Gefühlen, Gedanken oder Worten ausgedrückten Bitte an die von jedem geahnte, wenn auch nicht begriffene Macht zu wenden, welcher er den Ursprung und die Erhaltung alles Bestehenden, der Welt, zuschreibt und die wir mit dem allgemeinen Namen Gott bezeichnen.
Es kann nur eine Weltursache, einen Gott geben, aber das Wesen - die Beschaffenheit und Art dieser schaffenden und erhaltenden Kraft ist das große Weltgeheimnis, welches nie ergründet wurde, nie ergründet werden wird und nie ergründet werden kann.
Jeder Mensch, der überhaupt eines Gedankens fähig ist, macht sich indessen von diesem Wesen eine Vorstellung, welche dem Grade der Ausbildung der ihm mit der Geburt gegebenen Vernunft angemessen ist. Diese Vorstellung ist sein Gott, und somit jeder Mensch der Schöpfer seines Gottes.
Die Vernunft entwickelt sich infolge sehr mannigfaltiger Einflüsse sehr verschieden, und wie es kaum zwei Menschen gibt, die durchaus körperlich gleich sind, so gibt es auch nicht zwei, deren geistige Ausbildung oder Entwicklung genau dieselbe ist. Daraus folgt, daß es, streng genommen, ebenso viele Götter als Menschen gibt, - das heißt Vorstellungen von Gott.
Was verschiedenen Menschen für eine Ansicht über die Natur der Sonne haben, ändert die Sonne nicht, und Gott bleibt derselbe, wie verschieden sich auch die Vorstellung der Menschen gestalten mag. Der Neger, der vor dem von ihm selbst geschnitzten Fetisch kniet, welcher der verkörperte Ausdruck seiner Gott-Vorstellung ist, wie der Indier, der Feueranbeter, der Mohammedaner, Jude oder Christ - alle beten zu demselben Gott, und die sogenannten Materialisten und Atheisten, die nicht beten, haben nur eine von der mehr allgemeinen abweichende Ansicht. Die sogenannten Gottesleugner verneinen nicht eigentlich das Vorhandensein Gottes, was eine absolute Dummheit wäre, sondern erklären sich nur gegen die Vorstellung von einem persönlichen Gott.
Alle Gottvorstellungen sind zwar aus eine und derselben Urquelle geschöpft; allein je nach den Einfluß übenden verschiedenen Verhältnissen bildeten sie sich verschieden und oft zu so seltsam und wunderlich erscheinenden Formen aus, daß es selbst dem kundigen, denkenden Forscher schwer wird, den gemeinschaftlichen Ursprung nachzuweisen. Da nun die Gottvorstellung die Grundlage jeder Religion ist, so erklärt sich einerseits das Vorhandensein so vieler verschiedener Religionen und andrerseits wieder der Umstand, daß Völker, die sich unter denselben oder ähnlichen Verhältnissen entwickelten, dieselbe Religion haben.
Das Nachweisen des gemeinschaftlichen Ursprunges der verschiedenen Religionen würde ein eigenes Werk erfordern, und da es für den mir vorliegenden Zweck genügt, so beschränke ich mich darauf, eine Skizze von dem allgemeinen Entwicklungsgange aller Religionen zu geben.
Als die Erde in ihrer Entwicklung auf dem dazu geeigneten Punkte angelangt war, entstanden Menschen. Diese empfanden die angenehmen und unangenehmen Wirkungen der verschiedenen Naturerscheinungen zum erstenmal, und da sie mit Vernunft begabt waren, so forschten sie bald oder vielmehr machten sich Gedanken über deren Ursprung.
Die unmittelbarsten Eindrücke empfanden sie von der Witterung, und Regen, Wind, Gewitter, Hitze und Kälte waren um so mehr geeignet, ihre Neugierde zu erregen, als deren Urheber ihren Augen verborgen waren.
Die Veränderungen, welche vor Regen und Gewitter am Himmel vorgingen, konnten sie indessen sehen, und da der Regen und der Blitz aus den Wolken kamen, so lag es sehr nahe, die verborgenen Urheber „im Himmel“, das heißt in den Wolken zu suchen.
Die Sonne, von welcher Tag und Nacht, Hitze und Kälte mit ihren Wirkungen abhängen, mußte natürlich ebenfalls ein hauptsächlicher Gegenstand ihrer verwunderten Betrachtung werden.
Auch der Wechsel der Jahreszeiten mit seinen Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten mußte die Frage nach dessen Ursache erzeugen.
Da die Erfahrung, die Mutter aller Wissenschaft, noch in der Kindheit war, so bewegte sich die Phantasie, das ungeregelte Spiel der Vernunft, nur in dem sehr beschränkten Kreise des Sichtbaren und knüpfte daran ihre Schlüsse in bezug auf das Verborgene. Als handelnde Wesen kannte man nur Tiere und Menschen, und die Geschöpfe der Phantasie, die man als Urheber der genannten Naturerscheinungen dachte, konnten nur tier- oder menschenähnliche Wesen sein.
In manchen Menschen ist die Phantasie reger als in andern, und sie teilten mit, was sie über die Handlungen und Verhältnisse dieser Wesen zueinander dachten und aus den Äußerungen der ihnen zugeschriebenen Tätigkeit erfanden. So entstanden Märchen und Sagen, welche durch die mit besonders lebhafter Phantasie begabten Menschen, Dichter, immer weiter ausgesponnen, in mehr oder minder vernünftigen Zusammenhang gebracht und mit Personen bevölkert wurden.
Solche in der Kinderstube des Menschengeschlechts entstandene Märchen pflanzten sich als wirklich geschehen von Geschlecht zu Geschlecht fort, und ihre Spuren sind noch nach Jahrtausenden selbst unter den am weitesten entwickelten Völkern nachzuweisen und üben noch heute einen gewissen Einfluß. Das wird einem jeden begreiflich sein, der sich über seine eigenen Gefühle und Empfindungen Rechenschaft gibt. Selbst der aufgeklärteste und gebildetste Mann wird noch am Ende seines Lebens Anklänge der Eindrücke entdecken, die er in seiner Kinderstube empfing; es wird keinem gelingen, sich absolut von dem Ammenmärchen loszumachen.
Da sich die Urmenschen die in den Wolken oder an andern ihnen unzulänglichen Orten vermuteten Urheber der Naturerscheinungen ‒ „Götter“ ‒ nur als mächtigere Tiere oder Menschen dachten, so schrieb man ihnen natürlich auch dieser Vorstellung angemessene Empfindungen zu, wie Zorn, Haß, Rache, Wohlwollen, Güte usw. Da sich nun der Zorn von Menschen besänftigen und dessen Äußerung abwenden läßt, so lag der Gedanke nahe, dies auch mit den Göttern zu versuchen, und so entstanden die Opfer.
Diese Opfer bestanden in Gegenständen, die Menschen angenehm waren, und da die Götter im Himmel wohnten und diese Opfer nicht abholten, so mußte man sie ihnen in den Himmel senden, was in keiner anderen Weise geschehen konnte, als dadurch, daß man sie verbrannte, da doch wenigstens der Geruch und Rauch zum Himmel aufstiegen.