Mein Dank geht an Peter Windsheimer für das Design des Titelbildes. Des Weiteren an Ariane und Michael Sauter.
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Wer von uns sah noch nicht Dein Bild, Kuan yin? Dein zärtlich weißes Figürchen aus feinem, durchscheinendem, warm und heimlich schimmernden Porzellan, fror irgendwo zwischen dem stumpfen kalten Grau süßlicher Unmöglichkeiten einer zwecklosen Industrie, unter die Dich eine Erbschaft verschlagen hatte, oder schämte sich an der Seite der Unwahrheiten einer verwestlichten japanischen Fabrikmache, wie sie in den Häfen des Ostens als „Andenken“ einer buntzusammengewürfelten Fremdenbevölkerung angeboten wird, die in all ihrer naiven Anspruchslosigkeit und künstlerischen Instinktsarmut sich noch ein Fünkchen Sehnsucht nach Schönheit bewahrt und die man so darum betrügt. Oder Du wartetest auf dem Ehrenplatz, den Dir ein wissender und liebender Kunstkenner bei sich eingeräumt, auf die Hand, die Dich aufnimmt und streichelt, oder Du ruhtest wohlbehütet hinter den Glasscheiben des Museumsschrankes und erwidertest die Blicke der Vorüberziehenden, die meist zerstreut über die Dinge hinwegglitten, auf Dir aber, von Deiner Anmut angezogen, für Augenblicke wenigstens, in einer Art ahnenden Gefühles, ruhen blieben. Oder eins der vielen Bücher des Tags über exotische Kunst hatte Dich auf seine Tafeln gebannt und wies Dich den Darbenden und Suchenden als einen Gruß aus Welten, die noch wahres inneres geistiges Erleben mit der Kraft und dem Willen zum Ausdruck verbinden. Da stiegst Du aus dem breitgeblätterten Kranz eines Lotosblumenkelches aufwärts wie der feine Stengel einer schlanken Pflanze und suchtest mit den Linienzügen Deines zarten Körpers die Sonne; die schmalen Hände fassten sich zu meditativer Sammlung oder hielten einen Edelstein, ein Gefäß, eine Frucht oder trugen ein Kind vor sich wie Isis ihren Horus, wie Maria ihren Jesusknaben. In langen Falten legte sich das Gewand um Dich, wie ein Dämmerschleier nebelumsponnenen Waldsees um die Bäume seines Ufers, und hüllte das still aufstrebende Leben Deines Pflanzenseins in den Schutz keuscher Unberührtheit. Wer bist Du verkörperte Harmonie des Gesetzmäßigen, ruhvolle edle und schlichte Natürlichkeit, Du duftend Blumenhaftes, Du traumschlafumfangene Unbewusstheit und Unschuld? Bist Du die inkarnierte Reinheit des Triebfreien oder die Reinkarnation des Lebendigen schlechthin, dem Tier und dem Menschen gleich ferne und gleich nahe? Und du mit dem Kinde auf dem Arm, hast Du den Menschen in das Pflanzenhaftlebendige hineingenommen oder hast Du mit ihm das sichtbare Gleichmaß der kosmischen Gesetzmäßigkeit durchbrochen? Bist Du Maria? Oder wer bist Du? Ist dein Rätsel enträtselbar? Kann man Deine
Schönheit aus einem Ästhetizismus, der sie in seine leere Schale sperren will, einen kunsthistorischen Schematismus, der die Formen wandern lässt als könnten hohle Schneckenhäuser kriechen, einem philosophischen Anatomismus, der zu alten Theorien eine neue fügt, befreien? Kann man deiner Schönheit Form und Sinn als Eines fassen und ihre Quelle in dem ewig wirklichen des Weltlebens und des Menschenlebens finden? Wer bist Du, Kuan yin?
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Als die Missionare der jesuitischen Mission den Kultus der buddhistischen Kirche in Tibet kennen lernten, fanden sie ihn zu ihrer Überraschung ihrem eigenen so ähnlich ja in manchen Stücken so vollkommen gleich, dass sie ihn für Teufelswerk erklärten, für einen zum Hohn und Spott absichtlich von höllischen Mächten vor sie hingestellten Spuk: Mönchs- und Nonnenklöster, geistliche Hierarchie und Papsttum, Kirchenschmuck und Kirchenmusik, Priesterkleidung, Zeremoniell mit Glocken, Rosenkranz, Weihrauch, Weihwasser, Beichte, Fasten, Zölibat, all das waren Dinge, die sie sich bei „Heiden“ nicht erklären konnten. Das Problem hat seitdem die Wissenschaft unausgesetzt beschäftigt, ohne sich von ihr lösen lassen zu wollen, die Beziehungen zwischen Christentum und Buddhismus werden noch heute formal wie sachlich erörtert, die führenden oder gestaltenden Einflüsse in ihnen bald dem einen bald dem anderen zugeschrieben, bald in weitem Umfange behauptet, bald auf einzelne legendarische Erzählungen beschränkt. Die Ansichten gehen überall auseinander und wechseln selbst bei demselben Forscher; sie müssen es tun, weil sie von der subjektiven Deutung alter und neuer literarischer und archäologischer Funde sich abhängig machen, jene Beziehungen auf äußerliche Traditions-, Austausch-, Wanderungsbedingtheiten und auf die Konstruktion freierfindender Phantasiekraft zurückführen, nicht in den geistigen Welten des Bewusstseins diesseits wie jenseits des jeweils Physischen suchen, im Sichtbarlichen und Tätigen wirklicher, geistiger Geschehnisse innerhalb des Erdenlebens sowohl wie in der Zeit, da der Menschenkern im Leben zwischen Tod und neuer Geburt sich weiterentwickelt. Weil sie infolgedessen nichts von einer kosmischen Christustatsache kennen, die schon vor dem Golgatha-Ereignis in der geistigen Welt gewusst wurde und nach dem Golgatha-Ereignis in der geistigen Welt fortwirkte, deren Wesenheiten in ihren Gedanken, ihrem Gefühls- und Willensleben umgestaltete und durch sie wieder mittelbar das Geschehen in der physischen Welt bestimmte. Ihnen liegt hinter den Propheten des Alten Testamentes und ihren weissagenden Hindeutungen auf den Christus keine Wirklichkeit, so wenig wie in der Erzählung des Neuen Testamentes von den Dämonen, den übersinnlichen astralischen Wesenheiten, die den Christus Jesus schon bei seiner Taufe im Jordan als das göttliche Weltenlicht erkannten, wiedererkannten, kann man sagen, von der geistigen Welt aus gesehen, in die hineinzusehen uns Rudolf Steiner den Weg gewiesen hat. Probleme, wie die Jungfräulichkeit Mariä, um die sich die katholische Wissenschaft, das heißt, jene Wissenschaft quält, deren Veröffentlichungen den Stempel „mit kirchlicher Druckerlaubnis“ tragen, verschwinden vor der Einsicht in die Geistwesenheit des Menschen und in das Wesen der Inspiration und der Inkarnation; sie können nur eine dogmatische Kirche, die vor sich die allein rechtgläubige ist und die Legenden von einer übernatürlichen Geburt anderer Religionsstifter, Lehrer und Führer der Menschheit als des Christus Jesus unbequem empfindet, zu feinen Unterscheidungen wie solchen zwischen übernatürlicher Empfängnis und Jungfräulichkeit nötigen. Legenden, wie die von Christophorus oder von der Verkündung, die dort und hier vorkommen, erklären sich als gleiche seelische Erlebnisse, die vom verlorenen und wiedergefundenen Jesus bzw. Krishna-Knaben als unmittelbares Hineinschauen in die geistes-geschichtliche Aufzeichnung alles Geschehens.
Das Marienproblem stellt sich fast in jeder ostasiatischen Kunstsammlung vor uns hin, denn fast jede solche Sammlung enthält neben entzückenden hauchzarten milchfarbenen Porzellanfiguren der sogenannten Göttin der Barmherzigkeit, neben schwereren Holz- und ernsteren Bronzeplastiken, neben gemalten Bildern von ihr auch Darstellungen im Typ der sitzenden mütterlichen Gestalt, die ein Kind auf dem Schoße hält und auf den ersten Blick durch die Ähnlichkeit mit Maria überrascht. Man hat denn auch dieses künstlerische Motiv als einen christlichen Einschlag in das Gewebe der buddhistischen Bilderverehrung erklärt.
Zeitlich ist es möglich. Die Geschichte der frühchristlichen Kunst zählt die ersten Marienbilder mit dem Jesuskinde für die Katakombenmalereien dem Ende des zweiten, für die Sarkophagskulpturen und für die palästinensischsyrischen Darstellungen dem vierten Jahrhundert zu; die Nestorianer, die um die Wende des fünften Jahrhunderts nach Indien, im siebenten nach China kamen, konnten also wohl das Madonnenbild nach dem fernen Osten bringen, umgekehrt konnten buddhistische Inder und Chinesen es in Syrien, Ägypten und Rom kennen lernen und in ihre Heimat mitnehmen, wo es neue künstlerische Form für einen alten, einheimischen Gedankeninhalt wurde. Konnten! Ja! Aber so leicht wollen wir die Frage nicht nehmen, dass wir ihr zumuten, sich mit einem „Konnten“ zu bescheiden, sich mit dem Hinstellen einer Möglichkeit zufrieden zu geben. Wir wollen nicht behaupten, was wir von uns aus, mit unseren abstrakten Gedanken uns ausdenken, sondern nur das annehmen, was uns das Wesen des Phänomens selbst erzählt.
Vom zweiten jener beiden Wege sehe ich ab, er wandert ganz durch Hypothesenland, aber auch der erste ist mit dem hingeworfenen „nestorianischer Einfluss“ keineswegs frei. Das nestorianische Christentum hat eine seiner Besonderheiten in der ablehnenden Haltung zur Mutter Jesu als der Mutter Gottes und hat gewiss nicht die Madonna, die gerade gegen Nestorius im Jahre 461 zu Ephesos als Gottesmutter dogmatisiert wurde, kultlich verehrt oder gar an erster Stelle verbreitet. Man stellt sich diese Verbreitung zudem recht naiv und doktrinär vor so etwa wie die geschäftsmäßige Überschwemmung der „Heidenländer“ mit billigem Schund in unserer Epoche des Traktätchens und des fabrikmäßigen Farbendrucks, vergisst, dass Marienbilder damals wohl vorkamen, aber noch viele Jahrhunderte lang seltene Einzelerscheinungen waren und die Missionare nicht packweise begleiteten, und fragt nicht, wo denn andere christliche Motive, zum Beispiel der Kruzifixus, die doch ebenso gut übernommen werden konnten, in der ostasiatischen Kunst sind. Man kommt eben mit den formalistischen Vergleichen nicht weiter, klebt an der Oberfläche fest und kann nicht unter sie, in den Inhalt der Form eindringen; man behandelt das Kultbild wie ein Ornament, das allenfalls noch durch die Kunstgewerbe wandern kann, nachdem es seines geistigen Inhaltes und Sinnes verlustig gegangen, seelenlos und konventionell geworden ist.
Ebenso wenig kommt über das formalistisch Ästhetische hinaus, wer von dem „Eindruck der lieblichen Figur der Maria“ von der „herrlichen Figur des Lebensglückes“, dem „Symbol des in China so bedeutungsvollen Mutterglückes und Familiensinnes“ und dergleichen spricht. Der Geist der Zeit, den er anruft, ist des Herrn eigener Geist, d. h. der abstrakte Geist des heutigen relativistischen Westeuropäers, der auf Stilformen eingelernt nach einem inneren Sinn nicht fragt, als skeptischer, letzten Endes gleichgültiger Beobachter die Dinge sich von außen besieht, nach äußeren Eindrücken äußere Beziehungen sucht und immer geneigt ist, Mache und Betrug eines wenn auch dekadenten Augurentums zu wittern, weil er selbst nichts mehr weiß, nichts mehr glaubt, nichts mehr ernst nimmt. Er verkennt die Kraft der Idee, die hinter der Form liegt und ihre Kraft aus der Wesensidentität von Idee und Form in der Wirklichkeit zieht, verkennt sie, weil er sie außerhalb der Dinge sucht statt in ihnen, mit seinem Denken in der Phantasien grenzenlosem Reiche umherschweift, statt in die Dinge hineinzugehen und sie selbst in sich sprechen zu lassen. Er geht an den Problemen vorüber, die in den Phänomenen liegen, weil er sich nicht die Mühe nimmt, diese zu fragen, sie zeitlich zu unterscheiden und zu werten, sich in die Seelenzustände der Menschenbewusstseinsepoche hineinzuversetzen, aus der sie stammen. So bleibt er im Gefühlsmäßigen des Formalen; fragt er aber nach dem Sinn, der doch schließlich dahinter stecken muss, so beruhigt er sich mit dem Gedanken einer Übertragung, deren unklaren, nebelhaft unbestimmten Wegen er die innere Möglichkeit nicht nachprüft.
Das Madonnenmotiv ist Muttermotiv. Hätten Philologen und Kunsthistoriker sich das bewusst gesagt, so hätten sie sich die Theorie eines äußerlichen Übertragungszusammenhanges zwischen Maria und Kuan yin kritischer betrachtet.