Für meinen Schatz, der mich meine Träume leben lässt.
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© 2017 Heike Wempen-Dany
Illustration: Heike Wempen-Dany
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7431-0822-6
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Die Entwicklungshilfe steht nicht erst seit den Schlagzeilen des Jahres 2010 auf tönernen Füßen. Mit der Schlagzeile „Den Entwicklungshelfern geht das Geld aus“ und den Überlegungen, die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) an die Kreditanstalt für Wiederaufbau zu verkaufen, wird die Situation der staatlichen Entwicklungshilfe in Deutschland deutlich.
Alternativ zur staatlichen Entwicklungshilfe bieten sich Nichtregierungsorganisationen (NROs) an, zu denen auch die kirchlichen Organisationen gehören. Der katholischen Kirche stehen eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung, um die staatliche Entwicklungshilfe zu unterstützen bzw. zu ergänzen.
Als am 13.03.2013 der weiße Rauch über der sixtinischen Kapelle Habemus Papam verkündet, wird der Welt der Argentinier Jorge Mario Bergolio als Papst Franziskus verkündet. Franziskus ist Jesuitenpater. Ihm eilt der Ruf eines streitbaren Menschen voraus. Während der Militärdiktatur 1976 bis 1083 leitet er den Jesuitenorden. Diese Zeit markiert zudem auch mit dem Fall der beiden Jesuitenpriester Franz Jalics und Orlando Yorio einen dunklen Fleck in seiner Vita. Als Erzbischof von Buenos Aires wirb er erfolgreich für die Arbeit in den Barrios, initiiert Hilfsprojekte für Drogensüchtige und gewinnt so die Sympathien der Armen und Benachteiligten. Seit 2001 hatte er mehrere öffentliche Konflikte mit diversen argentinischen Regierungen.
Seit dem 22.11.2015 stellt Mauricio Macri den argentinischen Präsidenten. Zu seinen ersten Amtshandlungen gehören die Aufhebung von Exportabgaben für Mais, Weizen, Sonnenblumen-und Fleischprodukten, die Reduktion der Abgaben von Sojaprodukten und die Aufhebung der Restriktionen für den Devisenhandel. Die letzte Maßnahme hat die Abwertung des Pesos zur Folge, dennoch lässt sich die politische und wirtschaftliche Marschrichtung erkennen – weg vom Peronismus hin zu einem stärkeren Fokus auf die wirtschaftliche Entwicklung. Macris Verhältnis zur katholischen Kirche lässt sich aktuell als distanziert beschreiben. In der Literatur wird immer wieder das Statement von Macris Wahlkampfleiters finden, der dem Papst keine ausschlaggebende Rolle für die Wahl in Argentinien zusprach. Argentinien und die katholische Kirche - auch nach 15 Jahre nach der Veröffentlichung dieser Magisterarbeit ist der Inhalt immer noch aktuell.
Die vorliegende Arbeit untersucht die Rolle der katholischen Kirche in der Entwicklungshilfe in Argentinien. Ein ganzheitliches Bild soll mittels der Betrachtung von drei Bereichen hergestellt werden.
Im ersten Teil wird erörtert, welche Probleme das Land Argentinien generell zu lösen hat. Nach der Ländereinteilung der OECD gehört Argentinien zu den Schwellenländern. Das erste Kapitel soll aufzeigen, dass gerade Entwicklungshilfe auch in diesen Ländern wichtig, notwendig und unerlässlich ist. Dabei stehen die Bereiche Politik, Wirtschaft und die soziale Wirklichkeit im Mittelpunkt der Betrachtungen.
Der zweite Themenkomplex soll aufzeigen, wie die katholische Kirche mit dem Thema Entwicklungshilfe im Allgemeinen umgeht, welche Rolle sie sich in diesem Zusammenhang zuweist und wie sie „Entwicklungspolitik“ betreibt.
Dabei katholische Kirche fallen drei Ebenen in den Rahmen der Untersuchung. Die erste Ebene beschäftigt sich mit dem weltkirchlichen Aspekt, der auf die Geschehnisse in der Welt beispielsweise durch die Veröffentlichung von Enzykliken reagiert. Zur Darstellung eines Entwicklungshilfekonzeptes werden deshalb die Enzykliken zur Entwicklungsproblematik und die katholische Soziallehre untersucht.
Auf der zweite Ebene geht es um die deutsche katholische Kirche, die vertreten durch ihre zahlreichen Organisationen aktive Entwicklungshilfe leistet. Als Beispiele für die Vielfältigkeit des Engagements werden Misereor und Adveniat vorgestellt.
Die in den Ländern Lateinamerikas erarbeitete Theologie der Befreiung bildet die dritte Ebene. Sie geht speziell auf die Problematik des Subkontinentes ein und wurde nicht von außen oktroyiert. Es wird aufzuzeigen sein, in welcher Weise sie die Thematik der Entwicklung aufgreift.
Das dritte Kapitel verbindet die Ergebnisse der ersten beiden Kapitel und versucht die Frage nach der Rolle der katholischen Kirche in der Entwicklungshilfe in Argentinien zu beantworten. Der erste Teil beschäftigt sich mit der argentinischen Kirche und ihrer Rolle in der Zeit nach der Unabhängigkeit des Landes bis zur Gegenwart. Verschiedene Staatskonzepte wurden bis zur Redemokratisierung 1983 angewandt und die Kirche konnte sich meist gut damit arrangieren. Durch die historische Betrachtung soll ein Profil der argentinischen Kirche erarbeitet werden. Dieses soll Aufschlüsse über die Frage, ob sich die Kirche für die Gesellschaft engagieren kann und ob sie offen ist für die in Argentinien vorherrschenden Problemen, geben. Unterstützung bezieht sie aus dem Ausland durch die kirchlichen Entwicklungshilfeorganisationen.
In einem Exkurs wird das Konzept von Marcus vorgestellt, welches unter befreiungstheologischen Gesichtspunkten erarbeitet wurde und die praktische pastorale Anwendung der Ideen der Befreiungstheologen widerspiegelt. Es wird auch die Frage untersucht, ob dieses Konzept auf Argentinien übertragen werden kann. Um das klären zu können, muss zunächst der Rezeptionsgrad der Theologie der Befreiung in Argentinien dargelegt werden.
Der letzte Teil des Kapitels beschäftigt sich mit der These, dass pastorale Arbeit zur Entwicklung einer Zivilgesellschaft beitragen kann. Eine Charakterisierung der argentinischen Zivilgesellschaft liefert die Grundlage.
Ich möchte vielen Menschen für die Unterstützung meinen Dank aussprechen, wie meiner Familie, Freunden (besonders den Korrekturleser) und Professoren (Prof. Dr. Mols, Prof. Dr. Dittgen). Besonders möchte ich mich bei meiner argentinischen Gastfamilie, den Schweikarts (und allen Dazugehörigen) bedanken, die mich während meines dreimonatigen Aufenthaltes in Misiones in einige Geheimnisse Argentiniens eingeweiht haben und die mich über meinen wissenschaftlichen Tellerrand in die Realität haben blicken lassen.
Wörtliche Zitate wurden stets in der Originalsprache übernommen. Für die spanischen Zitate befindet sich im Fußnotentext die deutsche Übersetzung. Englische Zitate bleiben im Original.
Ist Argentinien ein Entwicklungsland? Der OECD- Bericht von 1998 weist dieses Land als Schwellenland aus. Inwieweit muss sich ein Schwellenland mit Entwicklungshilfe auseinandersetzen.
Dieses Kapitel, untergliedert in die drei Bereiche Politik, Wirtschaft und soziale Wirklichkeit, wird die Defizite aufzeigen und erste Hinweise für das Bedürfnis an kirchlicher Hilfestellung liefern.
Zu Anfang soll die Konsolidierung der argentinischen Demokratie betrachtet werden. Dazu wird das Mehrebenen – Modell von Wolfgang Merkel angewendet. Mit den von Wolfgang Merkel bzw. Guillermo O´Donnell geprägten Begriffen der „illiberalen bzw. delegativen Demokratie“ kann eine Bewertung der Demokratie des lateinamerikanischen Landes vorgenommen werden.
Auch die Entwicklung der Wirtschaft in den letzten Jahren zeigt auf, welchen Herausforderungen sich Argentinien stellen muss. Zum einen ist die Asienkrise von 1998 ist bis heute in Argentinien spürbar. Die jüngsten Entwicklungen der Wirtschaft zeigen die Möglichkeiten und Grenzen der Versorgung der Bevölkerung auf.
Die Untersuchung der soziale Wirklichkeit Argentiniens beginnt zunächst mit der Entwicklung des argentinischen Sozialsystems. Dabei werden wird weitere Schwächen sichtbar.
Die demokratische Tradition Argentiniens weist ein lange Geschichte auf, die immer wieder unterbrochen wurde durch militärische Diktaturen. 1983 kehrte das südamerikanische Land zur demokratischen Regierungsform zurück. Kann eine Demokratie nach 18 Jahren und drei Regierungswechseln als konsolidiert angesehen kann.
Mit Hilfe des merkel´sche Mehrebenen – Modell kann eine Einwertung der argentinischen Demokratie bzw. ihres Konsolidierungsgrades vorgenommen werden.
Die Einordnung in das Raster von funktionierenden und defekten Demokratien und die Darstellung der eventuellen Schwächen in der argentinischen Demokratie wird das Ergebnis sein.
Merkels Mehrebenen-Modell unternimmt den Versuch, die „Stabilisierung des Gesamtsystems über die jeweiligen Interdependenzen von politischen Institutionen (Strukturen), Elitenhandeln (Akteure) und Einstellungsmuster auf der breiten Bevölkerungsebene mit Hilfe des Legitimitätsbegriffs zu erklären.“1 Ziel ist es zu erfassen, ob und wie ein Demokratisierungsprozess in seiner Leistungsfähigkeit und seinem Verlauf erfolgreich war oder gescheitert ist.2
Das Mehrebenen-Modell umfasst vier Ebenen3:
Die Abbildung zeigt sehr gut auf, dass die Ebenen ineinander übergreifen. Dabei beeinflusst die jeweils obere die ihr nachfolgende Ebene. Abgeschlossen ist die Die Konsolidierung der Demokratie in einem Land ist dann als abgeschlossen, wenn alle vier Ebenen als konsolidiert gelten.
Eine institutionelle Konsolidierung umfasst die Konsolidierung der zentralen Verfassungsorgane und politischen Institutionen wie Staatsoberhaupt, Regierung, Parlament, Judikative und das Wahlsystem. Verfassungsorgane und Institutionen wirken durch normative, strukturierende oder handlungseingrenzende Vorgaben auf die zweite Ebene der intermediären Interessensvermittlung, also der repräsentativen Konsolidierung ein.
Schon Alfonsín hatte in seiner Amtszeit (1983-1989) eine Verfassungsänderung zu Gunsten eines semipräsidentialen Systems initiiert, die 1994 verwirklicht werden sollte. Sie hatte zum Ziel, die institutionellen Schwächen zu beseitigen, indem die argentinische Exekutive, personifiziert durch den Präsidenten, in seinen Kompetenzen beschnitten werden sollte. Die Tendenzen der Machtkonzentration auf eine Person jedoch konnten nicht beseitigt werden. Der vielfache Gebrauch von Teilvetos und Notverordnungen, in der neuen Verfassung durch Art. 80 und Art. 99,3 verankert, unterstrich die präsidentialen Einflussmöglichkeiten im Gesetzgebungsprozess.4
Der Kongress seinerseits, eigentlich Zentrum der legislativen Gewalt, steht der Exekutiven im Bereich der Willens- und Entscheidungsbildung ohne große Gestaltungsmöglichkeiten gegenüber. Obwohl die reformierte Verfassung dem Kongress mehr Einfluss bei nichtlegislativen Angelegenheiten, z.B. Ernennungen, einräumte, muss ihm im Hinblick auf die Dominanz des Präsidenten eine gewisse Machtlosigkeit bescheinigt werden. Der Einfluss in seiner ureigenen Domäne – dem Gesetzgebungsprozess – bleibt gering.5
Die Judikative verlor besonders deutlich in der Regierungszeit Menems ihre Glaubwürdigkeit hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit gegenüber den anderen Institutionen. Menem hatte von Anfang an die Absicht verfolgt, politisch die Entscheidungen der Justiz zu kontrollieren und einen einflussbereiten Justizapparat zu schaffen. Direkt nach der Machtübernahme nutzte er die Erhöhung der Richterzahl am Obersten Gerichtshof und tauschte die alten gegen regierungsnahe aus. Nolte berichtete von Fällen, in denen regierungsnahe Richter „belohnt“ wurden und „regierungsfeindliche“ Richter ihren Hut nehmen mussten.6 Die in der Regierungszeit Alfonsíns durch die Menschenrechtsprozesse gewonnenen Sympathien gingen unter Menem wieder verloren.7
Unter Menem ließen sich die staatstragenden Institutionen mit einem übermächtigen Präsidenten, einem beinahe überflüssigen Kongress und einer marionettenhaften Justiz beschreiben. Seit 1999 regiert Fernando de la Rúa. Er bezeichnet sich selbst als Teamspieler, als Gleicher unter Gleichen.8 Es wird sich zeigen, ob er seine Macht an andere delegieren kann oder ob er sich der Gewohnheit beugen muss, die einen starken Präsidenten verlangt.9 Bleibt die Frage, welche Impulse der ersten Ebene auf die nächste, die der repräsentativen Konsolidierung, wirken.
Diese Ebene umfasst die territoriale (Parteien) und funktionale (Verbände) Interessensrepräsentation. Das Wissen von der Schwäche der Institutionen könnte die Vermutung nähren, dass die Parteien ungeübt im politischen Handeln und durch die Position des Kongresses verunsichert sind. Auch die funktionalen Interessensverbände könnten versuchen, die politischen Institutionen zu umgehen.
Als 1981 in Argentinien die politische Öffnung begann, bedeutete dies für die Parteien die Möglichkeit, ihre verfassungsmäßigen Pflichten zu erfüllen. Doch das Mobilisierungspotential und auch die von Thibaut konstatierte Funktion als zentrale Handelnde scheinen sie im Laufe der Zeit verloren zu haben. Die Parteien charakterisieren sich heute als schwach in Interessensvermittlung, Konfliktregelung, Gestaltung der Agenda politischer Willensbildung, Organisation und Kanalisation sozialer Forderungen, Wahrnehmung der Repräsentationsaufgaben, Mitwirkung der Personalrekrutierungs- und Regierungsbildungsfunktionen.10 Das Parteiensystem wird dominiert von den zwei traditionellen Parteien UCR und PJ. Seit Ende der 80er Jahre konnten sich diverse Drittparteien (z.B. UCeDé usw.) etablieren, die aber insgesamt eher unbedeutend sind.11 Seit der Redemokratisierung dominierte einmal die Partei der Peronisten über die der Radikalen.12 Carreras spricht von einem „permanenten Transitionszustand“.13
Die Parteien haben ihre eigentliche Funktion als Repräsentations- und Interessensvermittlungsorgan noch nicht gefunden. Ein zentraler Grund hierfür ist, dass sie ihr Selbstverständnis einer politischen Bewegung noch nicht abgelegt haben.14
In der Regierungszeit Alfonsín waren die Gewerkschaften noch bedeutsam und konfliktstark. Sie büßten diese Eigenschaften aber seit Ende der 80er Jahre im Zuge der rigorosen Durchsetzung einer neoliberalen Wirtschaftspolitik (Privatisierung, Auflagen im Rahmen des Plan Cavallo, die Lohnentwicklung an die Produktivitätssteigerung zu koppeln) ein.15
Die argentinischen Unternehmer waren in ihrer Geschichte ihrer Struktur nach zu heterogen, als dass sie sich einheitlich organisieren könnten. In der Vergangenheit orientierten sie sich bei Bedrohung ihrer Interessen an den Militärs und befürworteten sogar Pläne zu einem Putsch. Die binnenmarktzentrierte Wirtschaftspolitik sowohl von Perón als auch Alfonsín löste bei ihnen Widerwillen aus. Perón wurde 1955 durch das Militär gestürzt, Alfonsín sah sich einem wirtschaftlichen Desaster gegenüber und musste sein Amt frühzeitig an seinen designierten Nachfolger Menem abgeben. Unter Menem genossen die Wirtschaftsvertreter den Ruf, die privilegierten Gesprächspartner der Regierung zu sein.16
Heute ist die antidemokratische Haltung der Unternehmer weitgehend gewichen. Begünstigt wurde dies zum Einen dadurch, dass die Gesellschaft für die liberal- konservativen Ideen offener geworden ist, und dass etwaige “bedrohliche“ Akteure wie die Gewerkschaften seit 1983 verschwunden sind. Zum Anderen haben auch die Streitkräfte ihre Legitimität verloren und werden seit der wirtschaftlichen Katastrophe der letzten Militärregierung als unzuverlässig angesehen.17
Neben den Parteien, Gewerkschaften und Unternehmern sind die Kirche, die Presse und die Großgrundbesitzer zu erwähnen, die sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart Einfluss auf das politisch-gesellschaftliche Leben ausüben.
Da die Kirche Gegenstand dieser Arbeit ist, soll an dieser Stelle nur kurz erwähnt werden, dass sie auch heute versucht, ihren Machtanspruch in Politik und Gesellschaft auszuspielen.
Die Presse gilt als vierte Macht im Staat. Sie übernimmt durch die Orientierungslosigkeit der Parteien weitgehend die Kontrollfunktion gegenüber der Regierung. Dennoch hatten gerade die kritischen Medien unter Menem Repressionen zu fürchten. So gab es beispielsweise Versuche, ein Pressegesetz zu verabschieden, welches Verleumdungen und falsche Beschuldigungen im Verhältnis zum Strafgesetz sehr hoch bestraft. Außerdem existieren Berichte von Übergriffen und Tätlichkeiten gegen Journalisten und Bestrebungen seitens der Regierung, gegen kritische Presseorgane vorzugehen.18
Obwohl der Besitz von Land immer noch gleichbedeutend mit lokaler Macht ist, haben die Großgrundbesitzer ihre Elitestellung im Staat eingebüßt. An ihre Stelle traten die wenigen, aber mächtigen Industriefamilien.19
Die Analyse der verschiedenen Akteure brachte Gruppierungen zum Vorschein, die erst im Laufe der Zeit ihre Funktion lernen müssen. Die Gewerkschaften sind aus ihrer politischen Funktion heraus gedrängt worden, die Unternehmer dagegen konnten sich in wichtige und regierungsnahe Positionen bringen. Insgesamt gesehen versuchen die betrachteten Akteure, ihre alten Privilegien zu verteidigen, auch wenn sie mit ihrer Funktion als Repräsentations- und Interessenvermittler im Widerspruch stehen.
Einstmals mächtigen Akteuren wie Militär, Großgrundbesitzern, Unternehmern, radikalen Bewegungen, Geheimbünden oder populistischcharismatischen Führern müssen, um eine erfolgreiche Demokratisierung den Weg zu ebnen, die Möglichkeiten genommen werden, ihre Interessen außerhalb der demokratischen Institutionen und gegen die demokratisch legitimierten repräsentativen Akteure durchzusetzen. Bei den Wechseln zwischen Diktatur und Demokratie waren immer wieder verschiedene gesellschaftliche Akteure an der Macht beteiligt. Die Geschichte zeigt, dass besonders, wenn sie durch das gegenwärtige System ihre Interessen nicht mehr gewahrt sahen, sie sich einem, für die Betrachtung der Ebene der Verhaltenskonsolidierung relevanten, besonderen Akteur, dem Militär, zuwandten.
Als General Uriburu 1930 den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Yrigoyen stürzte, mischte sich das Militär zum ersten Mal aktiv in die Politik des Landes ein. Die Befehlshaber beriefen sich immer wieder auf die Sicherheit des Landes und versuchten mittels diese Argumentes die Geschicke des Landes selbst zu lenken. Erst nach der militärischen Katastrophe im Malvinas-Konflikt, dem wirtschaftlichen Desaster und dem moralischen Ansehensverlust begann die Demontierung des Militärs.
Zu Beginn der Regierung Alfonsín kam es zu Verfahren gegen die politisch Hauptverantwortlichen der letzten Diktatur sowie gegen einige der Folter und des Mordes beschuldigten Militärs, die dann im Dezember 1985 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Ab 1986 machte die Regierung gegenüber den Streitkräften u.a. durch das Ley de punto (Schlusspunktgesetz) und das Ley de obediencia debida (Befehlsnotstandsgesetz) Zugeständnisse. Nach den drei Meutereien (Ostern 1987, Januar und Dezember 1988) war die Regierung erneut gezwungen, einzulenken.
Menem gelang es, eine Allianz zwischen seiner Person und dem Militär herzustellen. Die militärische Loyalität wurde durch die Weitergabe von diversen zivilen Posten belohnt.20 Dennoch lässt sich die Militärpolitik Menems als radikal bezeichnen. Im Zuge von Personalabbau und Kosteneinsparungen bei der Armee gewann Menem die Oberhand und das Militär hatte keine Möglichkeiten einzugreifen.21 Nolte sieht das Risiko einer militärischen Intervention als nicht mehr gegeben und auch Heinz erklärt, dass die Bereitschaft eines militärischen Einschreitens zurückgegangen sei.22 „Dennoch ist es bei dem Charakter der argentinischen Politik, die bisher auf politischem Faktionalismus und zivilmilitärischen Allianzen basierte, nicht auszuschließen, dass es auch in Zukunft zu Versuchen einer Intervention in der Politik kommt.“2324