Inhaltsverzeichnis

Erster Tag

Zweiter Tag

Dritter Tag

Vierter Tag

Fünfter Tag

Sechster Tag

Siebter Tag

Literatur und Tarotkarten

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Copyright © 2010
Zoltán Szabó und Ingrid Szabó
Edition Wolfen
Alter Wall 9
D-78467 Konstanz am Bodensee

Alle Rechte vorbehalten

Originalausgabe

Druck: Books on Demand, D-Norderstedt

Satz: Armando Bertozzi

ISBN 978-3-844868-11-1

Autor und Autorin leben im Ruhestand in Konstanz am Bodensee.

In diesem körperlichen Stand hat man Ruhe und Zeit, die Zeichen geistig zu deuten und die Seele am inneren See zu sehen versuchen. Wie es Gurdjieff mit dem vierten Körper und Crowley mit dem Thelema taten.

»Tarot der Idioten« ist das dritte gemeinsame Buch der Autoren.

 

Gewidmet der nächsten Generation
Dirk Quadratischer Wagenlenker
Melanie Erz-Kaiserin
Lars Runde Gerechtigkeit
Julia Einfacher Magier
Stefan Hoffnungsloser Kaiser
Conny Erleuchtetes Glücksrad

 

 

 

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Die handelnden Personen, Wesen und Idioten

01 Einfacher Magier Nummer Eins
02 Selbstgefällige Päpstin Johanna Magdalena
03 Erz-Kaiserin Jennifer Bianca
04 Hoffnungsloser Kaiser Arthur Barbabianca
05 Mitfühlender Papst Petrus Paulus
06 Sich Windende Liebende  
07 Quadratischer Wagen  
08 Runde Gerechtigkeit  
09 Zick-Zack-Eremit Vater Zeit
10 Erleuchtetes Glücksrad  
11 Zweifelnde Kraft/Lust Herkules Mordred
12 Prahlender Gehängter Judas Mordred
13 Geborener Tod  
14 Patente Kunst Lady Frieda Harris
15 Genialer Teufel Aleister Crowley
16 Polyedrischer Turm  
17 Meisterlicher Stern Georg I. Gurdjieff
18 Perfekter Mond Mohammed
19 Heilige Sonne Jesus Christus
20 Kosmisches Gericht Buddha
21 Einzigartiges Universum Gott
22 Idiotischer Narr Narr Namenlos

Spielkarten, Menschen, Götter und Idioten

Die Hofkarten-Personen an den vier Königshöfen

Königshof der Stäbe Papsttreuer Königshof
König der Stäbe König Tauber, Bischof
Königin der Stäbe Königin Taube
Ritter der Stäbe Ritter Lancelot, Erster Ritter
Knappe der Stäbe Knappe Stabträger
Königshof der Schwerter Kaisertreuer Königshof
König der Schwerter König Leo, Heerführer
Königin der Schwerter Königin Leona, Gralsträgerin
Ritter der Schwerter Ritter Leon
Knappe der Schwerter Knappe Schwertträger
Königshof der Kelche Kaisertreuer Königshof
König der Kelche König Gral, Gralskönig
Königin der Kelche Königin Morgana, Fee
Ritter der Kelche Ritter Parzival, Gralssucher
Knappe der Kelche Knappe Wasserträger
Königshof der Münzen Papsttreuer Königshof
König der Münzen König Gold, Bischof
Königin der Münzen Königin Silber
Ritter der Münzen Ritter Mordred, Bastard
Knappe der Münzen Knappe Geldbeutel

Erster Tag

Paris, Café de la Paix, 18. Dezember 1924

Am späten Vormittag betrat Aleister Crowley das Pariser Grand Café de la Paix, blieb neben dem Eingang stehen und sah sich im großen Saal suchend um. Sein Schüler Orage hatte ihm erzählt, daß Georg Iwanowitsch Gurdjieff hier täglich anzutreffen wäre, das Café de la Paix sei Gurdjieffs Stammlokal. Crowley wollte Gurdjieff unbedingt kennenlernen, denn er hielt ihn für einen großen Magier, für den zweitgrößten Magier auf Erden überhaupt, für den zweitgrößten gleich nach sich selbst.

Der Raum war voller Gäste und Lärm. Ein Kellner mit abgehetztem Gesichtsausdruck eilte an Crowley vorbei, beladen mit einem Tablett, das er geschickt auf einer Hand balancierte, während er durch die engen Gassen zwischen den Tischen dahinflitzte. Aleister sprach den Mann trotzdem an und fragte ihn, ob Monsieur Gurdjieff hier wäre. Der Kellner blieb stehen, sein Gesicht nahm einen fröhlichen Ausdruck an, und er antwortete freundlich, wobei er mit der freien Hand in eine hintere Ecke des Saals zeigte:

»Ouä, ouä, Monsieur. Monsieur Gurdjieff oder Monsieur Bonbon, wie wir ihn nennen, sitzt wie immer dort hinten.«

Crowley bedankte sich, legte dem Kellner eine Münze auf das Tablett und steuerte auf den Ecktisch neben einem goldumrandeten korinthischen Stützpfeiler des Grand Café de la Paix zu. Am kleinen, runden Tisch mit der Marmorplatte saß ein Mann mit einem prächtigen Schnurrbart, Ende Fünfzig etwa. Er saß auf dem grünen Velours des Kaffeehausstuhls nach orientalischer Sitte, ein Bein akrobatisch unter das andere geschlagen, und preßte gerade eine Zitrone in seine bescheidene Tasse schwarzen Kaffees. Auf dem Stuhl neben ihm lagen eine vornehme Kopfbedeckung aus Karakulpelz und ein Spazierstock mit goldenem Knauf. Dennoch dürfte der Mann nicht gerade begütert gewesen sein, denn seine Kleidung war ziemlich abgetragen. Vor ihm auf dem Tisch lag ein einfaches, liniertes Schulheft, in der Hand hatte er einen Bleistift, an dem er gleichzeitig mit dem Zitronenpressen scheinbar gedankenverloren leckte. Dabei murmelte er auch noch Worte einer unbekannten Sprache. Die tiefstehende Wintersonne warf lustige Muster auf den großen, langen, kahlgeschorenen Schädel des beeindruckenden Mannes. Er schien überhaupt keine Notiz von seiner Umgebung und dem frohen Trubel um sich herum zu nehmen. Doch plötzlich, als Aleister etwa sieben Meter von ihm entfernt war, blickte er auf und fixierte den sich Nähernden mit seinen dunklen Augen. Crowley ging unbeirrt weiter und blieb neben dem Tisch stehen.

»Gestatten Sie, Monsieur Gurdjieff, daß ich mich Ihnen vorstelle: Mein Name ist Aleister Crowley, ich werde auch das »Große Tier 666« genannt, doch Sie können mich gerne auch »Kleiner Sonnenschein« nennen. Tun Sie, was Sie wollen – sage ich immer. Ich bin Gelehrter in Magick, mit Verlaub. Einer meiner Schüler, Orage, hat mir gesteckt, daß Monsieur hier gut anzutreffen wären, und nun bin ich da. Ich würde Sie nur zu gerne ein wenig kennenlernen.«

»Warum nicht, Monsieur Crowley, zu Diensten«, sagte Georg Iwanowitsch, nachdem er die ausgequetschte Zitronenschale auf die Untertasse und den Bleistift auf das aufgeschlagene Schulheft gelegt hatte und aufstand. »Ich habe schon einiges von Ihnen gehört, von Orage, der auch mein Schüler ist.«

»Auch das mit dem Kamel? Da war ich in der Sahara, unten Sand und Erde (Körper), oben Luft (Denken), die Sonne brannte wie Feuer (Seele) herab, nur das Wasser (Fühlen) war rar. Dann ist mir halt das Kamel fast ausgetrocknet. Ich mußte es nach Paris bringen …« sprudelte Aleister los.

Gurdjieff griff in seine rechte Jackentasche, holte eine Handvoll Süßigkeiten hervor und bot sie auf der offenen Handfläche Crowley an: »Darf ich Ihnen zur Begrüßung etwas zum Naschen anbieten?«

»Warum nicht, Monsieur Bonbon, gerne«, sprach Crowley und nahm ein kleines Marzipanschwein, ein Stück Schokolade und ein Pfefferminz von Gurdjieffs Hand. »In der Abtei Thelema auf Sizilien pflegte ich meinen Gästen weitaus Schlimmeres zur Begrüßung anzubieten«, fuhr Horror-Crowley fort, steckte die Süßigkeiten auf einmal in den Mund und kaute genüßlich.

»Jetzt sollten wir noch kurz wie Hunde umeinander herumschnüffeln, so richtig schnüffeln wie Hunde«, sagte Gurdjieff und ging um den Tisch herum. Auch Crowley umrundete einmal den runden Tisch und schnüffelte dabei hörbar. Einige Gäste in der Nähe warfen konsternierte Blicke zu ihnen herüber. »Nehmen Sie doch bitte an meinem Tisch Platz, Kleiner Sonnenschein, das hier ist mein Büro«, forderte Georg Iwanowitsch anschließend Aleister auf, und die beiden Magier setzten sich.

»Ich würde Sie sehr gerne zu einem Getränk einladen, werter Meister«, sagte Aleister, »bitte nur keine falsche Bescheidenheit Ihrerseits, ausnahmsweise habe ich genug Geld in der Tasche«, und winkte dem Kellner. Der kam auch sogleich, und Gurdjieff bestellte sich eine Flasche Armagnac (»wenn wir schon prassen, so prassen wir Porto inbegriffen«, meinte er), während Crowley für sich nur Kaffee orderte. »Heute lieber keinen Alkohol für mich«, fügte er erklärend hinzu, »ich gehe lieber mal kurz auf die Toilette und drücke mir einen, wir sind ja schließlich unter uns.«

»Nur zu, Monsieur, tun Sie, was Sie wollen, so lautet ja Ihr Gesetz, nur keine Hemmungen meinethalben«, sagte da Georg Iwanowitsch, steckte sich eine Gauloises an, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und ordnete seine Beine erneut im orientalischen Schneidersitz.

Aleister kam eine kurze Zeit später mit rosarot glühenden Wangen und leuchtenden Augen und in bester Laune an den Tisch zurück. Vergnügt pfiff er eine sizilianische Volksweise leise vor sich hin. Er setzte sich und räkelte sich genußvoll und schaute seinen Kollegen mit offenen Augen an. Dann sah er auf der Marmorplatte des Tisches einen Stapel Spielkarten liegen, der vorher noch nicht dort war. Die Karten waren groß, obenauf sichtbar lag eine Karte, auf der ein Jahrmarktsgaukler in roter Kleidung vor goldenem Hintergrund abgebildet war. Der Gaukler auf dem Bild saß hinter einem kleinen Tisch und führte anscheinend gerade einen Hutzauber aus.

»Ah, Tarot-Karten!« rief Crowley erfreut aus, und seine Augen strahlten. »Wie ich sie liebe! Und obenauf ist gleich der Magier, unser Freund.«

»Ja, Tarock-Trümpfe, Tarocchi-Trionfi, Tarot-Triumphe des italienischen Renaissance-Kartenspiels der edlen Familie Visconti-Sforza aus Mailand, ursprünglich aus dem 15. Jahrhundert, eine Privatanfertigung, sehr schöne Karten«, sprach der Orientale. »Aber ein Magier ist der da auf dem Bild nicht unbedingt, vielleicht ein Zauberer, ein Gaukler, der für wenig Geld die Leute mit seinen Tricks belustigt. Das ist der Pagat, der Bagatella.«

»Darf ich?« fragte Aleister und hob die oberste Karte ab. Darunter kam eine zweite Karte zum Vorschein, ganz in Gold gehalten. Auf dieser Karte sah man eine Frau in der Tracht der Karmeliterinnen und mit der päpstlichen Tiara auf dem Kopf. »Die Hohepriesterin«, stellte er lächelnd fest.

»Ich würde sie eher die Päpstin nennen, es ist möglicherweise die Päpstin Johanna, vielleicht eine Ahne der Bianca Maria Visconti-Sforza«, erwiderte Gurdjieff.

»Ach, die gute alte Johanna, die sich als Frau unbemerkt und unerkannt zum Papst wählen ließ. Nach ihr und ihrethalben hat der Vatikan die Geschlechtsprüfung für werdende Päpste eingeführt, die da im besten Küchenlatein lautet: Habemus Eier«, schmunzelte Aleister Crowley mit glänzenden Augen, er freute sich offensichtlich, wieder einmal über Sex reden zu können. »Aber Monsieur Georg Iwanowitsch, Sie nehmen ja mit den Visconti-Sforza-Trionfi den Tarot-Trümpfen, den Großen Arcana, jeglichen okkulten Tiefgang. Auch ich beschäftige mich schon lange mit den Tarot-Karten, bin sogar dabei, eigene Karten zu entwerfen. Mir fehlt nur noch ein Maler, der die Bilder kongenial gestalten kann. Symbolisch und expressionistisch sollen sie werden. Bei mir sind alle Trümpfe höchst okkult und voll der tiefgründigen, esoterischen Symbolik. Archetypen sind das, tiefenpsychologisch, astrologisch, alchimistisch und kabbalistisch. Aber diese Renaissance-Karten hier? Geschichten aus der Geschichte stellen sie dar, Familienphotos von Visconti-Sforzas Sippe sind das, wenn Sie so wollen. Wo bleibt da das Okkulte, wo die Magick? Diese Karten hier haben nicht einmal Namen oder Nummern. Wollen Sie vielleicht meinen Entwurf sehen? Die Namen der Trümpfe, man nennt diese auch Atutti und Atouts, ich nenne sie die »Trümpfe oder Atu des Thoth«, lauten wie folgt:«

Nr

Crowleys Trümpfe/Atu

00 Narr
01 Magier (Gaukler)
02 Hohepriesterin (Päpstin)
03 Kaiserin
04 Kaiser
05 Hohepriester (Papst)
06 Liebende (Brüder)
07 (Triumph)Wagen(lenker)
08 Ausgleich (Gerechtigkeit)
09 Eremit
10 Glück(s-/Schicksalsrad)
11 Lust (Kraft)
12 Gehängter
13 Tod
14 Kunst (Mäßigkeit)
15 Teufel
16 Turm (Krieg)
17 Stern
18 Mond
19 Sonne
20 Aeon (Jüngstes Gericht)
21 Universum (Welt)

»Alles Idioten«, versetzte Gurdjieff trocken und lapidar.

»Monsieur belieben?« Crowley sah sein Gegenüber leicht indigniert an.

»Mein lieber Meister Aleister«, sprach Georg Iwanowitsch weiter, »die Namen spielen in Wahrheit überhaupt keine Rolle. Sie können die Trümpfe nennen, wie immer Sie wollen. Tun Sie, was Sie wollen. So lautet doch Ihr Gesetz, und dieses Gesetz gilt auch hier. Was wirklich zählt, ist die Zahl. Alles ist Zahl, und der Rest ist auch Zahl. Freilich brauchen wir Bilder, und wir brauchen auch Namen für die Bilder, damit die Imagination, die Phantasmen, also die Vorstellungsbilder, funktionieren können. Aber nur für die Leute, für die »Eingeweichten«, die eben nicht über die Imagination hinausgelangen können. Doch wie Sie vorhin so treffend bemerkt haben, sind wir beide hier unter uns, unter Eingeweihten. Und wir brauchen nur die Zahlen und die Intuition. Sie könnten genausogut Karten mit nur Zahlen darauf nehmen, dazu brauchten Sie nicht einmal einen Maler. Allerdings wären diese Karten langweilig, und außer Ihnen, mir und einigen wenigen anderen würde kein Mensch sie verstehen. Außerdem sind Bilder oft schön, und was schön ist, könnte auch gut wahr sein. Also nehmen wir doch Karten mit Bildern, nur nehmen wir die Bilder nicht allzu ernst. Also ist es auch ziemlich gleich, wie immer die Karten heißen mögen, ob Crowleys Trümpfe, ob Gurdjieffs Idioten. Einundzwanzig davon sind spezielle Idioten und einer ist der Idiot schlechthin. Wollen Sie sie sehen? Leider fehlt mir ebenfalls noch ein Maler, sodaß ich Ihnen lediglich die zweiundzwanzig Namen nennen kann. Hier sind sie:«

Nr

Gurdjieffs Idioten

01 Einfacher Idiot
02 Selbstgefälliger Idiot
03 Erz-Idiot
04 Hoffnungsloser Idiot
05 Mitfühlender Idiot
06 Sich Windender Idiot
07 Quadratischer Idiot
08 Runder Idiot
09 Zick-Zack-Idiot
10 Erleuchteter Idiot
11 Zweifelnder Idiot
12 Prahlender Idiot
13 Geborener Idiot
14 Patenter Idiot
15 Genialer Idiot
16 Polyedrischer Idiot
17 Meisterlicher Idiot
18 Perfekter Idiot
19 Heiliger Idiot
20 Kosmischer Idiot
21 Einzigartiger Idiot
22 Idiot per se

»Jede Minute wird ein Blödmann geboren«, murmelte Aleister.

»Stimmt«, erwiderte Georg Iwanowitsch. »Der Idiot ist ein Depp, ein Dummkopf, ein Schwachkopf, ein Trottel. Ein Verrückter. Aber der Idiot (griechisch »idios« bedeutet »eigen«) ist auch ein Privatmann von eigener Art, ein Original, ein Eigener, ein Eigner seiner selbst, ein eigenwilliger Denker, ein eigentümlicher Mensch. Das Spektrum des Idioten reicht vom Dorfdeppen zum Hofnarren, vom Wahnsinnigen, Psycho- und Soziopathen bis hin zum Staatsorakel von Tibet.

Ein Idiot kann auch sein eigener Herr sein, und das ist nicht mehr dumm, sondern sehr klug.

Es gibt einundzwanzig Abstufungen der Vernunft von der des gewöhnlichen Menschen zu der Unseres Unendlichen, das heißt Gottes. Niemand kann die Absolute Vernunft Gottes erreichen, und nur die Söhne Gottes wie Jesus Christus können die zwei Abstufungen der Vernunft haben, die die neunzehnte und die zwanzigste sind. Daher muß es das Ziel jedes Wesens sein, das nach Vollendung strebt, die achtzehnte Abstufung zu erreichen. Sie müssen verstehen, daß die Menschen, die Sie kennen, überhaupt keine Vernunft haben. Sie leben in ihren Träumen und haben keine Verbindung mit der Wirklichkeit. Wer auch immer irgendeine Verbindung mit der Wirklichkeit hat, wird ein Idiot genannt. Das Wort Idiot hat zwei Bedeutungen: Die wahre Bedeutung, die ihm von den Weisen aus alter Zeit gegeben wurde, war, »man selbst zu sein«. Ein Mensch, der er selbst ist, sieht wie ein Wahnsinniger aus und benimmt sich wie ein solcher für jene, die in der Welt der Illusionen leben: Wenn sie daher einen Menschen einen Idioten nennen, meinen sie damit, daß er nicht ihre Illusionen teilt.

Jeder, der an sich selbst zu arbeiten beschließt, ist ein Idiot in beiden Bedeutungen. Die Weisen wissen, daß er nach der Wirklichkeit sucht. Die Törichten denken, er habe den Verstand verloren. Von uns wird hier erwartet, daß wir nach der Wirklichkeit suchen, deshalb sollten wir alle Idioten sein: Keiner jedoch kann Sie zu einem Idioten machen. Sie müssen sich selbst dazu entscheiden. Das ist der Grund, warum jeder, der uns hier besucht und mit uns in Verbindung bleiben will, die Erlaubnis hat, sich seinen eigenen Idiotismus auszusuchen. Dann werden wir übrigen von Herzen wünschen, daß er tatsächlich zu jenem Idioten wird. Hierfür wurde von den Weisen aus alter Zeit Alkohol verwendet; nicht um sich zu betrinken, sondern um die Kraft des Wünschens zu stärken.

Die Wissenschaft der Idioten ist sehr alt, sie wurde in geheimen Klöstern in Tibet aufbewahrt. Ungarische oder magyarische Magier brachten sie mit der Völkerwanderung aus Asien nach Europa. Die Ungarn sind ein turanisches Volk von »hungrigen Magiern«, wie ihr Name zeigt: Hungar = Hunger. Magyar = Magier. Hungrige Magier. In der Renaissance gingen ein paar magyarische Magier von Hunger getrieben nach Italien und nahmen die Lehre der Idioten mit sich. So ging diese Wissenschaft der »Stufen der Vernunft« in die dort gerade im Entstehen begriffenen Tarot-Trümpfe ein.

»Mein lieber Georg Iwanowitsch, Monsieur, Sie haben doch auch ein Drama geschrieben, den »Kampf der Magier«. Hat dieses Stück etwas mit dem Tarot-Magier zu tun?« wechselte Crowley das Thema.

»Ja und nein also jein«, antwortete Gurdjieff. »Der »Kampf der Magier« ist ein Ballett, ein Bewegungsstück. Es geht darum, gleichzeitig mehrere, ja zum Teil sich widersprechende Bewegungen auszuführen. Das schult die Aufmerksamkeit, fördert die Bewußtwerdung und das Gewahrwerden beziehungsweise Gewahr-Sein oder Selbst-Erinnern. Dies ist ein Grundpfeiler meiner Lehre und zugleich das elementare Handwerkzeug des Magiers.« Plötzlich fing Gurdjieff an, den Kopf rhythmisch nach links und rechts zu verdrehen, winkte mit einer Hand dem Kellner und zündete sich mit der anderen eine Zigarette an. Dazu klopfte er mit den angewinkelten Beinen einen Dreivierteltakt.

»Heilige Magick lechts und rinks und uben und onten und horne und vinten«, rief Crowley aus, »jetzt brauche ich noch einen Schuß!« und verschwand Richtung Toilette.

Als Aleister, das Tier, mit einem leicht melancholischen Gesichtsausdruck zurückkam und sich setzte, schob ihm Georg Iwanowitsch, der Exot, ein Wasserglas voll des Armagnacs hin und sagte leise:

Ach, tut mir das Herz so weh,
wenn ich im Glas den Bodensee
.

»Aleister, Meister, lasset uns zu Unserem Gemeinsamen Vater beten, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.«

»Ach was«, versetzte der Magick-Mann mit trübem Blick, »Gott ist doch nur ein gasförmiges Wirbeltier mit Linksdrall, und der heilige Geist ist eine Taube. Möglicherweise handelt es sich um Sodomie.«

»Mitnichten«, widersprach der Guru, »Gott ist der Einzigartige Idiot, den Sie, Monsieur, das Universum nennen, der 21. Tarot-Trumpf. Gott ist das Universum, und wir sind seine Träume.«

»Nicht die Eins, der Magier?« Crowley blickte leicht unwillig auf. »Die Zahl Eins, die unteilbare, mein ein und alles?«

»Nicht nur, mein liebes Großes Tier 666«, hub Guru Gurdjieff zu reden an. »Eins kann auch der Sohn sein, der Menschensohn, ein Egoist und Einfacher Idiot. Alles ist eins, und wer sagt das, und wer spricht da? Advaita, Vedanta und tat tvam asi, Sie wissen schon. Zwei ist der Diabolos, der Zweifel in die Welt sät, der Selbstgefällige Idiot, und Drei ist der Heilige Geist, Ihre Taube, ein Erz-Idiot. Schon sind wir bei der Jungfrau und bei der Mutter und beim Hoffnungslosen Idioten angekommen – mit der Vier. Et cetera – Sie kennen das ja alles, Monsieur. Lassen Sie uns von Zahlen reden, denn alles ist Zahl, und der Rest ist auch Zahl. Sie heißen doch 666 oder Beelzebub?

Bei richtigem Wissen muß das Studium des Menschen parallel zum Studium der Welt verlaufen, und das Studium der Welt muß parallel zum Studium des Menschen verlaufen. Die Gesetze sind überall die gleichen, sowohl in der Welt als auch im Menschen. Wenn wir die Prinzipien irgendeines Gesetzes erkannt haben, müssen wir nach seiner Äußerung in Welt und Mensch gleichzeitig Ausschau halten. Ferner werden einige Gesetze leichter in der Welt, andere wieder leichter im Menschen beobachtet. Darum ist es in manchen Fällen besser, mit der Welt zu beginnen und dann zum Menschen überzugehen, und in anderen Fällen ist es besser, mit dem Menschen zu beginnen und dann auf die Welt überzugehen.

Dieses parallele Studium von Welt und Mensch zeigt die grundsätzliche Einheit von allem auf und hilft, in den Erscheinungen verschiedener Ordnungen Analogien zu finden.

Die Anzahl der Grundgesetze, die alle Vorgänge in Welt und Mensch regieren, ist sehr klein. Verschiedene zahlenmäßige Verbindungen einiger Grundkräfte erschaffen all die scheinbare Mannigfaltigkeit der Erscheinungen.

Um die Mechanik des Universums zu verstehen, ist es notwendig, die komplexen Erscheinungen auf diese Grundkräfte zurückzuführen.

Das erste Grundgesetz des Weltalls ist das »Gesetz der drei Kräfte oder drei Prinzipien«, oder, wie es oft genannt wird, das »Gesetz der Drei«. Diesem Gesetz zufolge ist jedes Vorkommnis, jede Erscheinung in allen Welten ohne Ausnahme das Ergebnis einer gleichzeitigen Wirkung dreier Kräfte – der positiven, der negativen und der neutralisierenden.

Das nächste Grundgesetz des Weltalls ist das »Gesetz der Sieben« oder das »Gesetz der Oktaven«.

Der Tarot hat 21 + 1 Trümpfe. Die Null (00) oder 22 (im Tarot gilt: 22 = 00), der Narr oder Idiot oder Sküs (Scusi), spielt eine besondere Rolle. Die Null ist eigentlich keine Zahl, man kann mit ihr weder zählen, noch teilen (eine beliebige Zahl geteilt durch null ergibt im Grenzwert stets unendlich). Die Null ist der Zwilling der Unendlichkeit. Somit verbleiben 21 Trümpfe. Die Primzahlen-Faktoren-Zerlegung von 21 lautet 3 × 7 oder 7 × 3. Eine andere Zerlegung von 21 in Faktoren von Primzahlen ist nicht möglich. Also haben wir:

21 = 3 × 7 = 7 × 3

21 ist eine Glückszahl, und sie ist eine heilige Zahl, denn 21 ist das Produkt zweier heiligen Zahlen, nämlich das Produkt von 3 und 7. Betrachten wir jetzt die 21 im Hinblick auf die Tarot-Trümpfe, auf daß die Großen Arcana ihre Geheimnisse enthüllen. Zuerst 21 = 7 × 3 = 4 × 3 + 3 × 3 = 12 + 9:

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und:

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Wir betrachten die 21 Zahlen in zwei geteilten Gruppen: einmal von 1 bis 12 und dann von 13 bis 21. Dies ist notwendig, weil die entsprechenden Tarot-Trümpfe (Idioten) dieser Gruppen unterschiedliche Bedeutungen haben. Mathematisch ausgedrückt entsprechen diese zwei Matrizen dem Zählen in Modulo 3. Das bedeutet, daß es hier nur drei Zahlen gibt, nämlich 1, 2 und 3. Genau. 4 ist wieder 1 (4 = 1), 5 ist wieder 2 (5 = 2), 6 ist wieder 3 (6 = 3), 7 ist wieder 1 (7 = 1) und so weiter. Die drei Spalten der Matrizen stellen die drei vorhin erklärten Kräfte oder Prinzipien dar, nämlich die positiven, die negativen und die neutralen. Das ist das Gesetz der Drei.

Wo in den okkulten Wissenschaften und Künsten findet man dieses Gesetz? Richtig, zum Beispiel in der Astrologie des Tierkreises. Dort kennt man die dreifache Unterscheidung der zwölf Tierkreiszeichen in kardinale, fixe und labile Zeichen. Die kardinalen Zeichen sind positiv und aktiv, die fixen sind negativ und passiv und die labilen neutral und ausgleichend:

Kardinal

Fix

Labil

Widder Stier Zwillinge
Krebs Löwe Jungfrau
Waage Skorpion Schütze
Steinbock Wassermann Fische

Das Gesetz der Drei wirkt immer und überall: im Menschen, in der Welt, im Universum und im Multiversum. In der Philosophie von Hegel und Marx etwa erscheint das Gesetz als dialektischer Prozeß von These, Antithese und Synthese. Freilich ist nicht jeder ein Philosoph, die meisten sind leider nur »Mondfutter«. Diese erleben dann die Dialektik im Laufe ihres Lebens als These, Antithese und Prothese. Etwa so:

These:

Du bist Deutschland

Antithese:

Ich AG

Prothese:

Deutschland AG

Prothesen, künstliche Titten und dergleichen. – Kleiner Scherz meinerseits für Sie, mein geschätztes Tier, damit Sie nicht einschlafen.

Kardinal

Fix

Labil

These Antithese Synthese
Positiv Negativ Neutral
Aktiv Passiv Ausgleichend
Initiativ Beständig Flexibel
Plus Minus Null

Und die Trümpfe, Trionfi, Triumphe, Arcana, Atutti, Atouts, Atu und Idioten? Für sie gilt das Gesetz selbstredend genauso. Auch sie sind positiv, negativ und neutral oder aktiv, passiv und ausgleichend. Auch sie sind These, Antithese und Synthese oder Hammer, Amboß und das Schwert in des Schmiedes Hand zwischen Hammer und Amboß.

Die Persönlichkeits-Idioten (01–12):

Nr

Positiv

Nr

Negativ

Nr

Neutral

01
01
Magier
Einfacher I.
02
02
Hohepriesterin
Selbstgefälliger I.
03
03
Kaiserin
Erz-I.
04
04
Kaiser
Hoffnungsloser I.
05
05
Hohepriester
Mitfühlender I.
06
06
Liebende
Sich Windender I.
07
07
Wagen
Quadratischer I.
08
08
Ausgleich
Runder I.
09
09
Eremit
Zick-Zack-I.
10
10
Glück
Erleuchteter I.
11
11
Lust
Zweifelnder I.
12
12
Gehängter
Prahlender I.

und die Wesens- (13–18) und Thelema-Idioten (19–21):

Nr

These

Nr

Antithese

Nr

Synthese

13
13
Tod
Geborener I.
14
14
Kunst
Patenter I.
15
15
Teufel
Genialer I.
16
16
Turm (Krieg)
Polyedrischer I.
17
17
Stern
Meisterlicher I.
18
18
Mond
Perfekter I.
19
19
Sonne
Heiliger I.
20
20
Aeon
Kosmischer I.
21
21
Universum
Einzigartiger I.

Die Trümpfe und Idioten der ersten Spalten dieser beiden Matrizen sind also kardinal, positiv, aktiv, initiativ, selbständig und so weiter. Die der zweiten und dritten Spalten sind entsprechend anders im Sinne des bisher Ausgeführten. Doch wem und was nützt die graue Theorie, wenn wir sie nicht in der Praxis des bunten Lebens anwenden können? Nichts leichter als das, Monsieur. Dabei wollen wir uns erst einmal auf die erste Matrix der ersten zwölf (4 × 3) Idioten beschränken. Wenn Sie etwa eine Firma gründen wollen, Monsieur, und für diese die optimale Belegschaft suchen, so wählen Sie für die Führungskräfte Idioten der ersten Spalte. Diese werden selbständig und initiativ für Sie arbeiten, sie werden konstruktive und kreative Ideen entwickeln und diese Ideen auch durchzusetzen wissen. Für die eher tumben, aber dafür Ausdauer erfordernden Arbeiten, suchen Sie sich Idioten der zweiten Spalte. Und wenn es um Verkauf, Werbung und Profit geht, dann halten Sie sich an die Idioten der dritten Spalte. So einfach ist das: Hammer-Typen (erste Spalte) als Chefs, Ambosse (zweite Spalte) als Arbeitsvolk und Künstler (dritte Spalte) für Public Relations.«

»No dope, no hope, Maestro, da Sie gerade englisch reden«, unterbrach Aleister den Lehrer, »ich muß schon wieder. Doch jetzt schon meine Frage für danach: Woher weiß ich denn, mit welchen Idioten ich gerade zu tun habe?«

Ein paar Minuten später …

»Das, mein aufmerksamer Kleiner Sonnenschein, ist eine ausgezeichnete Frage, deren befriedigende Beantwortung bewußtes Bemühen, wenn nicht sogar absichtliches Leiden erfordert«, setzte Georg Iwanowitsch seine Belehrungen fort. »Alle Menschen werden als Originale geboren, leider aber sterben die meisten als Kopien. Sie vergeuden ihr Leben mit Nachahmung, bleiben im Milchteich des Kollektivs und der Masse stecken und sterben schließlich als »Futter für den Mond«, als Mondfutter, wenn sie nicht sogar wie Hunde verenden. Leider oder Gott sei Dank, das ist Ansichtssache. Je unbewußter ein Mensch lebt, je mehr er sich an der Masse und am Kollektiv orientiert, desto leichter ist es, sein spezielles Idiotentum zu diagnostizieren. Dazu gibt es Mittel, wie zum Beispiel sein Horoskop und sein Name. Darauf werden wir noch zurückkommen.

Bewußtseinsstufe

Idioten

Nr – Nr

Kollektives Bewußtsein Persönlichkeits-Idioten 01 – 12
Individuelles Bewußtsein Wesens-Idioten 13 – 18
Transpersonales Bewußtsein Thelema-Idioten 19 – 21

Die ersten zwölf Idioten sind Persönlichkeitstypen des kollektiven Bewußtseins. Es sind Menschen, die eine Persönlichkeit darstellen, eine Persona oder Maske tragen und eine Rolle spielen, welche sie durch Nachahmung von Vorbildern gelernt haben. Eine Persönlichkeit ist immer ein Ausschnitt aus dem kollektiven Bewußtsein. Hier ist also die Idioten-Diagnose relativ leicht.

Schwieriger wird die Idioten-Diagnose bei den wenigen, die einen individuellen Weg einschlagen. Das sind die Wesenstypen, die Idioten von 13 bis 18. Sie stoßen über das Kollektive hinaus zum Individuellen vor, von der Persönlichkeit zum Wesen, spielen nicht mehr nur angelernte Rollen, sondern versuchen, sie selbst, ihr eigenes Wesen, zu sein. Wenn ein Mensch seinen eigenen Weg geht, seine angeborene Originalität behält und sie im Laufe des Lebens sogar steigert, dann muß er so ziemlich alles anders machen als die vielen. Dies war übrigens eine Empfehlung meiner seligen Großmutter an mich, wofür ich ihr ewig dankbar bin und sein werde: »Mach’ alles ganz anders, mein Junge, als die vielen anderen um dich herum es tun, dann wird dir dein Wohlergehen garantiert sicher sein.« Das Leben wird für einen solchen Menschen zwar schwieriger, nicht unbedingt schwerer, bewußtes Bemühen und absichtliches Leiden werden unumgänglich, doch die unsterbliche Seele wird wachsen, sie wird zur Feuerseele, sie wird zur Kristallseele, der Sinn wird erkennbar, und das Gewissen kann geboren werden. Das wahre Individuum hat ein Ziel: es will nicht sterben wie ein Hund und arbeitet deshalb an einem ehrenvollen Tod. Nicht auf dem Schlachtfeld, aber auf dem Feld der Arbeit an der Selbstverwirklichung.

Schauen Sie sich doch selbst an, Kleiner Sonnenschein, dann wissen Sie genau, wovon ich rede. Auf alle Fälle wird die Feststellung der gerade gelebten Idiotie eines Menschen auf dem Weg der Individuation nicht mehr ganz so einfach sein. Seine angeborene Idiotie hat er vielleicht schon aufgegeben und ist freiwillig oder gezwungenermaßen in eine andere Idiotie geschlüpft. Sein Horoskop, aus dem man am leichtesten den ursprünglichen Idioten-Typ erkennen kann, wirkt nicht mehr so stark, denn ein wirkliches Individuum befreit sich nach und nach von seinem Horoskop. In solchen Fällen hilft also nur die Intuition, gute Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis. Instinktuition. In-stink-t-uition. Das ist Intuition, die nach Instinkt stinkt. Achten Sie auf das Lachen eines Menschen. Wenn er gar nicht mehr lachen kann, dann hat er schon fertig, definitiv. Die meisten können noch lachen, wobei sie sehr gerne tierische Laute von sich geben. Sie wiehern wie Pferde, meckern wie Ziegen, blöken wie Schafe, kreischen wie Affen. Wenn Sie das bestimmte Tier aus dem Lachen heraushören können, haben Sie einen ausgezeichneten Ansatz zur Idioten-Diagnose. Die wenigen, die angenehm lachen können, sind schon auf dem Weg der Individuation.

Sie zum Beispiel, Monsieur, lachen wie ein großes Tier, was Sie ja auch sind (oder sein wollen?): das Große Tier 666. Sie sind von der Geburt her, als Waage-Geborener (Sonne in der Waage), ein Quadratischer Idiot (07). Das ist Ihre erste Natur. In Ihrer zweiten, verborgenen Natur (Mond in den Fischen) sind Sie allerdings ein Prahlender Idiot (12). Da Sie sich das Große Tier 666 nennen, ist dieses zweite Naturell gar nicht mehr so verborgen, sondern eher offenkundig. In Ihrem Verhalten hingegen kann ich nicht viel von einem Quadratischen Idioten entdecken. Ein wenig schon, aber nicht viel. Vielmehr erkenne ich in Ihnen, zumindest im Moment, den Zick-Zack-Idioten (09). Aber wer weiß, Sie haben schließlich auch einiges von einem Erleuchteten Idioten (10), wie auch von einem Zweifelnden Idioten (11). Ich liebe die Zweifelnden Idioten. Mit ihnen würde ich die ganze Nacht durchtrinken. All die hier genannten Idioten sind Persönlichkeits-Idioten der kollektiven Art (01 – 12), Masken des Meisters Aleister Crowley, Masken, die Sie aufsetzen, Rollen, die Sie spielen. Und im Vorgriff auf die Individual-Idiotie (13 – 18) werden Sie zweifellos ein Genialer Idiot (15) wie auch ein Polyedrischer Idiot (16) sein. Diese beiden entsprechen Ihrem Wesen, jenseits der Masken des Meisters. Das sind insgesamt sieben Idioten. Reicht Ihnen die heilige Zahl Sieben, Monsieur? Sie werden Ihre eigene Idiotie sicherlich bald selbst herausfinden.

Die Sonne war schon längst hinter den Dächern von Paris verschwunden. Der Kellner kam, um zu kassieren. Crowley bestand darauf, die Rechnung zu bezahlen. Gurdjieff griff in seine unerschöpfliche Tasche und gab dem Kellner eine Handvoll Bonbons, der daraufhin glücklich grinste.

»Eins, zwei, drei und vier, gestern, heute, morgen und ’n Abend«, sagte Gurdjieff und sah Crowley an.

»Tu’, was du willst«, sagte Crowley und reichte Gurdjieff die Hand.

 

 

 

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»K l e i n e r S o n n e n s c h e i n« (A. C.) u n d »M o n s i e u r B o n b o n« (G. I. G.) a u f B u c h - T i t e l s e i t e n

Zweiter Tag

Paris, Café de la Paix, 19. Dezember 1924

Als Aleister ins Café de la Paix kam, saß Georg Iwanowitsch bereits an seinem Stammtisch, im Lotus-Sitz auf grünem Samt. Vor ihm auf dem Tisch lag das linierte Schulheft, aufgeschlagen, auf dem Stuhl neben ihm lagen Stock und Hut.

»Hi! Mein Name ist Aleister Crowley, und ich habe ein Drogen-Problem.«

»Hi! Georg Iwanowitsch Gurdjieff. Wer hat das schon nicht?«

»Zu Abend esse ich am liebsten kalten Truthahn, aber zum Frühstück brauche ich Heroin. Ich weiß, der Süchtige sucht eigentlich den Sinn des Lebens, und da er ihn nicht so leicht finden kann, verwechselt er bald die Suche mit der Sucht, welche schneller als der Sinn zu finden ist.«

»Was der Süchtige hauptsächlich sucht, das ist der Stoff, den er braucht. So wird aus der Sinnsuche Drogensuche. Haben Sie Zweifel, Monsieur? Wir haben heute den zweiten Tag, da wären Zweifel angebracht. Beiseite damit. Der Königsweg zum bewußten Sein, zum Selbst-Erinnern, ist bewußtes Bemühen gepaart mit absichtlichem Leiden. Dies ist auch die beste Methode, um mit der Sucht fertigzuwerden. Ich zum Beispiel trinke heute keinen Armagnac, obwohl ich dann leiden werde, was mir bewußt ist. Leidend und aufmerksam verharre ich im Selbst-Erinnern.«

»Das scheint mir eine ausgezeichnete Methode zu sein, Monsieur, sogar mit Weisheit gepaart. Ich werde es auch versuchen, vielleicht gleich morgen«, sagte Crowley. Sein Blick fiel auf das Heft auf dem Tisch, und er las darin:

Meister lehren.

Gesellen klären.

Lehrlinge lernen.

»Ah, die drei Johannes-Grade der Blauen Maurerei.«

»Ja, das auch. Doch dies gilt auch ganz allgemein in jeder Kommunikation. Belehren Sie mich auch einmal, Kleiner Sonnenschein, sonst komme ich mir so unterbezahlt vor. Ich werde auch brav zuhören.«

»Gerne, Monsieur Bonbon. Da wir hier vom Tarot reden, und ich alles mit Vorliebe kabbalistisch anschaue, darf ich vielleicht etwas in Ihr Heft zeichnen?

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Hier kann man im Kreis rechtsherum TARO und auch TAROT lesen. Linksherum lesen wir TORA, das ist das jüdische Gesetz. Rechtsherum (im Uhrzeigersinn) von unten gelesen erscheint ROTA, das ist das Rad, und das ist der Kreis. Wiederum und linksherum von unten gelesen haben wir RATO, das kann Rat und Raten bedeuten.

Insgesamt scheint mir dies folgendes zu besagen: Der Tarot (TARO) im Kreis (ROTA) gelegt läßt das Gesetz (TORA) raten (RATO).

Nun frage ich mich, wer oder was gehört in die Mitte dieses Diagramms? Ich, denke ich. Ich denke, ich. Ich allein, wie der Eremit auf Trumpf 9. Diese TARO-ROTA-TORA-RATO-Matrix hat neun Felder. Der neunte Buchstabe des Alphabets ist das I, welches auch die Initiale des Wortes Ich ist. Die Neun ist eine heilige Zahl, zumindest bei den Indogermanen. Je nu, was will man mehr, mein lieber Zuhörer? Offensichtlich gehört ein I in die Mitte des Diagramms:

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