INHALT
Vorwort zur deutschen Übersetzung
Danksagungen
Vorwort
DER INDIVIDUELLE KÖRPER
Das Bewusstsein der Sichbewegenden entwickeln
Die Sichbewegende
Die Sichbewegende-Zeugin
Das Bewusstsein der Zeugin entwickeln
Die Zeugin
Die schweigende Zeugin
Die sprechende Zeugin
DER KOLLEKTIVE KÖRPER
Kollektives Bewusstsein entwickeln
Dem Kreis näherkommen
Der eine Kreis
DER BEWUSSTE KÖRPER
Gaben
Zum Vorschein kommende Formen
Verkörperter Text
Tanz
Energetische Phänomene
Epilog
Quellenangaben
Ich erinnere mich noch gut an meine Freude, als vor zehn Jahren das amerikanische Original dieses Buches veröffentlicht wurde und ich diesen Schatz sofort mit meinen engeren Kolleginnen geteilt habe. Heute ist es mir eine große Freude, dieses Buch mithilfe der Übersetzung noch weiteren Lesern zugänglich zu machen. Ich wünsche natürlich sehr, dass es dazu beiträgt, den Weg Authentic Movement mehr Menschen im deutschen Sprachraum nahezubringen und ein tieferes Verständnis davon zu vermitteln. Dieses Buch ist nach wie vor für alle, die sich für Authentic Movement interessieren oder damit arbeiten, von unerschöpflichem Wert und hat nichts von seiner Aktualität verloren, auch wenn sich die Arbeitsweise von Janet Adler in diesen letzten zehn Jahren weiter verfeinert und verändert hat.
Wie bei jeder Übertragung in die deutsche Sprache waren auch für dieses Buch viele Entscheidungen unumgänglich. Zwei wesentliche Bereiche sind davon betroffen: die Frage der männlichen oder weiblichen Sprachform und die Übersetzung der Schlüsselbegriffe.
Authentic Movement wurde von Frauen begründet und wird ganz überwiegend von Frauen praktiziert und weiterentwickelt. Wie in der Originalversion dieses Buches ist nur ein Kapitel in der uns geläufigen männlichen Sprachform gehalten, die anderen Kapitel sind in der weiblichen Form geschrieben. Dies habe ich auch für Begriffe beibehalten, die diesbezüglich neutral sind und beides umfassen. Hier nun meine Einladung an alle männlichen Leser, sich genauso angesprochen zu fühlen wie die weiblichen Leserinnen, auch wenn in diesem Buch meist die weibliche Sprachform benutzt wird – was im Deutschen sehr viel auffälliger ist als im Englischen.
Über den Gebrauch der Schlüsselbegriffe im Deutschen habe ich mich im Vorfeld der Übersetzung mit Kolleginnen ausgetauscht, die wie ich Authentic Movement seit sehr vielen Jahren praktizieren, unterrichten und meist auch von Janet Adler fortgebildet sind. Obwohl ich Janet Adler und ihre Arbeit seit über 17 Jahren persönlich kenne und die meisten der in diesem Buch beschriebenen Entwicklungen dieses Weges miterlebt habe, waren direkte Gespräche mit ihr über manche Begrifflichkeiten sehr hilfreich und klärend. Bei der Entscheidung für die deutsche Version der Begriffe war mir neben den Aspekten der Klarheit, des Bedeutungshintergrunds im deutschen Sprachraum und der Praktikabilität besonders die Nähe zum Original wichtig.
Hier einige zentrale Begriffe in ihrer Originalform und der deutschen Entsprechung:
‚The inner witness‘ wird in vielen Traditionen ‚innerer Beobachter‘ oder ‚innerer Zeuge‘ genannt, in ihrer voll entwickelten Form teilweise auch ‚Zeugenbewusstsein‘: die Innere Zeugin.
‚The mover‘ ist der- oder diejenige, die sich bewegt: die Sichbewegende.
‚The witness‘ ist der- oder diejenige, die mit Achtsamkeit sieht, sie wird stellenweise im Unterschied zur Inneren Zeugin auch als äußere Zeugin bezeichnet: die Zeugin.
‚The moving witness‘ ist eine Sichbewegende, die sich gleichzeitig mit einer anderen Sichbewegenden im Raum bewegt und beim Sprechen über ihre Erfahrungen, die sich auf die andere beziehen, zu deren Zeugin wird: die Sichbewegende-Zeugin.
‚Discernment‘ ist eine Entscheidungsfindung, die nicht überwiegend durch Gedanken oder durch Gefühle bestimmt ist, sondern eher durch intuitives Wissen gelenkt wird: feinspüriges Abwägen.
‚The discipline of Authentic Movement‘ ist Janet Adlers besondere Art der Arbeit mit Authentic Movement, der das Verständnis von Authentic Movement als einem mystischen Weg zugrunde liegt – einem spirituellen Übungsweg der Bewusstseinsentwicklung, der immer auch die Arbeit an der persönlichen Geschichte mit einschließt und dessen Herzstück die direkte Erfahrung ist: der Weg Authentic Movement.
Drei Sternchen * * * kennzeichnen Abschnitte, in denen die praktische Arbeit anhand von Beispielen verdeutlicht wird. In den mit einem Sternchen * beginnenden Abschnitten folgen theoretisches Wissen und Reflektionen.
Dem wunderbar kreativen Sprachstil von Janet Adler mit den feinen Wortspielen und Wortneuschöpfungen konnte ich leider nur bedingt gerecht werden, hier empfehle ich wärmstens die Lektüre des Originals.
Die Zitate sind teilweise von mir übersetzt. Kleine, für die nächste Ausgabe des Originals vorgesehene Korrekturen der Autorin sind in dieser Übersetzung bereits berücksichtigt.
Ich danke von ganzem Herzen Uta Büchler, Coppelia Hays-Brandes, Fran Lavendel, Cornelia Schmitz und Katharina Weltz für ihre Unterstützung, ihr Engagement, ihre Geduld und ihre vielen Hinweise und Korrekturen sowie meinen Kolleginnen für die Diskussionen zu den Schlüsselbegriffen. Thank you, Janet, for your trust!
IRMGARD HALSTRUP,
im März 2012
Für meine Mutter
Posy Woolf Adler
meine erste Zeugin
mein erster Segen
Ich spreche meinen Dank jeder Sichbewegenden und jeder Zeugin aus, die in meiner Gegenwart gearbeitet hat. Jede und jeder von Euch ist meine Lehrerin, mein Lehrer. Eure Arbeit ist das Mark dieses Buches. Die Erfahrungen der Menschen in diesem Buch entfalten sich aus einer Verbindung von Bewegungen und Worten, bei denen ich das Privileg hatte, sie zu sehen und zu hören, sowie aus meiner eigenen Erfahrung und meiner Vorstellung.
Ich bin dankbar für die Lehren in den mystischen Texten der jüdischen, buddhistischen und hinduistischen Traditionen. Ich bin dankbar für die Arbeit von William Condon und seine Entwicklung des Ansatzes der natürlichen Geschichte in der Erforschung nonverbaler Kommunikation, für die Arbeit von Marian Chace und ihr Vertrauen in das Leben des im Körper manifesten Geistes, für D. W. Winnicotts Konzept der „hinreichend guten Mutter“, für Carl G. Jungs Entwicklung des Verständnisses vom persönlichen und kollektiven Unbewussten.
Julia Gombos, ich bin zutiefst dankbar für Deine Präsenz, für die Einzigartigkeit, mit der Du Dich der spezifischen Entwicklung dieses Weges in den vergangenen dreizehn Jahren gewidmet hast – anfangs als meine Schülerin, dann zu meiner Assistentin werdend und jetzt als meine Kollegin und Freundin. Ich danke Dir für Deine unendlich geduldige und beharrliche Aufmerksamkeit für jedes einzelne Wort beim Erstellen dieses Buches.
Das Schreiben dieses Buches und die Entwicklung dieses Weges sind zu etwas Untrennbarem geworden. Für die so wertvolle Unterstützung zu bestimmten Zeiten danke ich Euch: Elias Amidon, Linda Aaron-Cort, Joan Chodorow, Harriet Finkelstein, Lynn Fuller, Lizbeth Hamlin-Haims, Neala Haze, Barbara Holifield, David Mars, Andrea Olsen, Patrizia Pallaro, Karen Pando-Mars, Marsha Perlmutter-Kalina, Nora Riley, Karen Rosen, Fu Schroeder, Allegra Snyder, Sox Sperry, Tina Stromsted, Russell Sutter, Karen Truehart und Lisa Tsetse.
Für das Beitragen von vollständigen und bearbeiteten Texten geht meine Dankbarkeit an Jeanne Castle, Rusa Chiu, Carol Fields, Cheri Forrester, Annie Geissinger, Jesse Geller, Wendy Goulston, Susan Knutson, Gaye Lagana, Emma Linderman, Julie Miller, Kathee Miller, Shira Musicant, Roz Parenti, Noelle Poncelet, Maggie Tuteur und Joan Webb.
Für Eure aus ganzem Herzen verpflichtete Teilnahme am Übungsweg auch in letzter Zeit, und bei einigen für Eure Beiträge spezifischer Bewegungen oder Worte, danke ich Euch: Ellen Emmet, Forest Franken, Loren Olds und Soraia Jorge, Eleni Levidi, Caroline Heckman Liebman, Bill McCully. Ich danke Euch: Keren Abrams, Silvia Antonini, Marianne Bachmann, Janice Beard Bull, Amrita Carmichael Davidson, Dana Davis, Joan Davis, Susan DeGroat, Annie Deichmann, Tirza Dembo, Teresa Escobar, Christine Evans, Leslie French, Winnie Ganshaw, Marie Elena Garcia, Celine Gimbrere, Harriet Glass, Frauque Glaubitz, Eilla Goldhahn, Rosa Maria Govoni, Irmgard Halstrup, Linda Hartley, Almut Hepper Kirchhofer, Susanne Hofler, Erika Kletti-Ranacher, Benna Kolinsky, Judith Koltai, Leslie Kotin, Fran Lavendel, Julie Leavitt Kutzen, Jackie Mayer-Ostrow, Susan McKenna, Moriah Moser, Barbara Najork, Kedzie Penfield, Marcia Plevin, Heli-Maija Rajaniemi, Paula Sager, Ida Rosa Schaller, Cornelia Schmitz, Julia Shiang, Noga Shomut, Yehudit Silverman, Anke Teigeler, Betina Waissman und Anna Weatherhogg.
Ich danke Dir, Susan Davidson, meiner Lektorin, für die großzügige und beständige Aufmerksamkeit bei der Entwicklung dieses Manuskriptes sowie Rachel Goldenberg und jeder anderen Person von Inner Traditions, die so sorgsam und freundlich geholfen haben, diesen Beitrag zu veröffentlichen.
Ich danke Euch, Elaine Buller und Thea Goldstine, für Euer weises, geschicktes und liebevolles Bearbeiten des Manuskripts.
Ich bin Euch, meinen Söhnen, zutiefst dankbar für Eure Sensibilität und Eure Fertigkeiten beim Bau des Bewegungsraumes, in dem ich das Privileg habe zu arbeiten, in dem dieses Buch sich entfaltet. Danke Dir, Joshua, für Dein Licht und Deine Wahrheit, während Du jedes Wort mit mir hältst. Danke Dir, Paul, für Deine Klarheit und Tiefe, während Du mit mir die Umschlaggestaltung entwirfst.
Dir, Philip, meinem Mann, bin ich zutiefst dankbar für Deine liebevolle Präsenz als mein beständiger Zeuge, während der Übungsweg sich Tag für Tag, Jahr für Jahr entfaltete, und dieses Buch sich Wort für Wort weiterentwickelte. Ich danke Dir für die Schönheit der Holzschnitte im Inneren des Buches und für das Bild auf dem Einband, für alle sichtbaren und unsichtbaren Weisen, in denen Du mir geholfen hast, dieses Buch zur Reife zu bringen. Danke Dir für das Geschenk, für Deine Gabe Deiner aus Marmor gemeißelten Schale.
IN DANKBARKEIT FÜR MARY WHITEHOUSE, 1911–1979
Mary Whitehouse, eine Schülerin von Martha Graham und Mary Wigman, wurde zunächst professionelle Tänzerin und dann Tanzlehrerin, mit wachsendem Interesse am Innenleben und nachfolgend an Jungianischem Gedankengut. Es war Mary mit ihrer starken und geistvollen Präsenz, die die öffentliche Beziehung zwischen Tänzer und Publikum in die Ungestörtheit des Tanzstudios brachte. Ihre frühen Modern-Dance-Schülerinnen lernten, zwischen einem Vorführen und dem Bewegen aus einem Impuls heraus zu unterscheiden, dabei entdeckten sie Authentic Movement in Marys Gegenwart und Präsenz. Marys Wissen um Körperbewusstsein bildet den Kern dessen, was zum Phänomen des Bewusstseins der Sichbewegenden wurde.
WORTE VON MARY WHITEHOUSE1
„Mein Hauptinteresse hat vielleicht mit dem Prozess zu tun, nicht mit Ergebnissen, dass es mir vielleicht nicht um Kunst ging, sondern um eine andere Art von menschlicher Entwicklung. (…) Was immer es war, wir bewegten uns vom Tanz weg. Ich musste es Bewegung nennen. (…) Damit der Tanz sich nach außen öffnet, damit er mehr wird als wir selbst in unserem kleinen, schwierigen Leben, müssen wir uns berühren lassen, bewegen lassen.“
„Wenn die Bewegung einfach und unumgänglich war, nicht mehr zu verändern, ganz gleich wie begrenzt oder unvollständig sie war, dann wurde sie zu dem, was ich ‚authentisch‘ nannte – sie konnte als echt erkannt werden, als zu dieser Person gehörend.“
„Es braucht eine Haltung von innerer Offenheit, eine Art Fähigkeit, sich selbst zuzuhören. (…) Sie wird nur möglich durch Konzentration und Geduld. (…) Der Bewegungssinn kann aufgeweckt und entfaltet werden (…) aber ich glaube, er wird nur dann bewusst, wenn die innere, also die subjektive Verbindung, gefunden wird.“
„ ‚Ich werde bewegt‘ (…) ist ein Moment, in dem das Ich die Kontrolle aufgibt, (…) dem Selbst erlaubt, die Kontrolle zu übernehmen, den physischen Körper so zu bewegen, wie es dies will. Es ist ein Moment von absichtsloser Hingabe, der nicht erklärt und nicht genau wiederholt werden kann. (…) Der Kern der Bewegungserfahrung ist die Empfindung von sich bewegen und bewegt werden.“
IN DANKBARKEIT FÜR JOHN WEIR, * 1913
Dr. John Weirs Arbeit als Psychologe und Lehrmeister für menschliche Entwicklung geht aus dem Erbe von Sigmund Freud, Wilhelm Reich und Carl Rogers hervor. Johns tiefes Verständnis somatischer Phänomenologie, zwischenmenschlicher Beziehungen und psychodynamischer Theorie bilden die Basis für sein flüssiges und innovatives Arbeiten mit Gruppen. Der Kern seines Geschenkes an mich ist die Grundlage für das, was zum Phänomen des Bewusstseins der Zeugin wurde.
WORTE VON JOHN WEIR2
„Die Betonung ist mehr auf dem Prozess des Werdens als auf dem Inhalt des Seins.“
„Unser existentielles Alleinsein ist die Voraussetzung für alles, was wir fühlen, tun und denken. “
„Selbstdisziplin ist ein notwendiger Aspekt für Spontaneität und Freiheit des Ausdrucks.“
„Der einzige Weg hinaus ist hinein und durch.“3
„Persönliches Wachstum ist ein beständiger Prozess der Selbstdifferenzierung. (…) Dieser Prozess ist ein geordneter.“
„Ich bin die einzige Autorität für mein Innenleben und meine Gefühle.“
„All meine Erfahrung findet allein in mir statt, innerhalb der Grenzen meines Körpers. Sie geschieht beständig, von einem Moment zum nächsten. Ich lebe nur im Hier und Jetzt.“
„Das Ziel von sensorischem Erkunden, Körperkontakt und expressiven Bewegungen liegt darin, den Teilnehmer wieder mit seinem Körper und dessen Prozessen vertraut zu machen. Das bewusste Steuern dieser Prozesse bedarf eines hohen Maßes an Kontrolle und einer Art Selbstdisziplin, die einer Form von Askese nahekommt.“
„Es ist unbedingt erforderlich, dass die Teilnehmer ihre Erfahrungen mit anderen teilen. (…) Der gemeinsame Austausch (…) stellt eine Art Sehen, Bezeugen dar. (…) Das Sehen scheint im Zusammenhang mit vielen rituellen und feierlichen Handlungen außerordentlich wichtig zu sein. Das Sehen und der gemeinsame Austausch scheinen übrigens das Ereignis auch zu bestätigen und ihm und dem Teilnehmer öffentliche Bekräftigung und Akzeptanz zu verleihen.“
1 Diese Texte sind aus Patrizia Pallaro (Hrsg): Authentic Movement. Essays by Mary Starks Whitehouse, Janet Adler and Joan Chodorow. London: Jessica Kingsley 1999.
2 Diese Texte sind aus Bennem/Bradford/Gibb/Lippitt (Hg): The Laboratory Method of Changing and Learning. Palo Alto: Science and Behavior Books 1975.
3 Aus einem persönlichen Gespräch der Autorin mit John Weir.
Wenn du eine Form reinigst,
wird sie wahrhaft zu dem, was sie ist.
RUMI
1969, in meinem achtundzwanzigsten Lebensjahr, erlebte ich die Tiefe von Mary Whitehouse‘ Wissen um Körperbewusstheit und die Klarheit von John Weirs Wahrnehmung des Selbst in Beziehung. Obwohl meine Begegnungen mit meiner Lehrerin und meinem Lehrer kurz waren, wurde doch das Kostbare, das ich von ihnen bekam, zum Ursprung des Weges Authentic Movement, der sich in den darauffolgenden drei Jahrzehnten meiner Arbeit im Bewegungsraum entwickelte. Aufgrund jeder einzelnen Person, die sich ihm von Herzen verpflichtet hat, und aufgrund meines tiefen, unerklärlichen Bedürfnisses, die Spur seiner Entfaltung nachzuvollziehen, hat sich dieser Weg herausgebildet.
Nach meiner Kenntnis war es John Martin, ein renommierter Tanzkritiker und Essayist, der 1933 als erster bei der Beschreibung der Tänze von Mary Wigman die Worte ‚authentic movement‘ benutzte:
„Diese Tanzart ist in der Tat der moderne Tanz in seiner reinsten Erscheinungsform. Jeder Komposition dieses Mediums liegt eine Vision von etwas in der menschlichen Erfahrung zugrunde, welches das Erhabene berührt. Seine Externalisierung in eine Form, die für andere erfassbar wird, geschieht nicht durch intellektuelles Planen, sondern durch ein ‚Durch-Spüren‘ mit einem feinfühligen Körper. Das erste Ergebnis einer solchen Schöpfung ist das Erscheinen von bestimmten ganz und gar authentischen Bewegungen.“
Obwohl diese Worte aus der Welt des Tanzes stammen, ist es nicht verwunderlich, dass Authentic Movement zu einer Quelle geworden ist, aus der heraus sowohl therapeutische als auch mystische Erfahrungen sichtbar werden. Während ich gesehen habe, wie ein Weg entsteht, in dessen Zentrum Authentic Movement strahlt, habe ich den Körper als ein Gefäß gesehen, in dem Heilung geschieht, ein Gefäß, in dem direkte Erfahrung des Göttlichen erlebt wird. Während das Gefäß bewusst wird, wächst seine Fähigkeit, die Dunkelheit zu ertragen und das Licht unseres Menschseins zu empfangen.
Diese Arbeit wurde zu einem Übungsweg, da die Praxis eine inhärente Ordnung enthüllte, dabei eine Form mit einer theoretischen Grundlage schuf und den Blick auf ein Feld des Forschens und Lernens freigab. Der Weg Authentic Movement wurde langsam sichtbar, als das Eintauchen in die Arbeit im Bewegungsraum unerbittlich an die Grenzen dessen drängte, was wir noch nicht wissen konnten. Nur dem zu vertrauen, was wir wissen konnten – das heißt unserem Erleben in unserem Körper – war herausfordernd und zeitweise unerträglich für mich. In gesegneten Momenten in eine klarere Sicht hineinzustolpern war ekstatisch. Es war, als ob die Form selbst auf einem Öffnen beharrte. Ich habe einen solchen Ruf immer wieder direkt in meinem Körper erfahren. Die Spannung zwischen der Sehnsucht danach, die zum Vorschein kommende Form klar zu sehen, und der Sehnsucht danach, sich dem Mysterium der Verkörperung innerhalb der Form hinzugeben, beinhaltete das Potential der Verwandlung der Arbeit und der Menschen, die sich ihr von Herzen verpflichtet haben. In Momenten der Gnade wurden die Klarheit und das Mysterium eins.
Der Aufbau des Weges Authentic Movement basiert auf der Beziehung zwischen einer Sichbewegenden und einer Zeugin. Das ist die Grundform. Für jede von ihnen zentriert sich die Arbeit um die Entwicklung der Inneren Zeugin – was eine Möglichkeit ist, die Entwicklung von Bewusstsein zu verstehen. Bei diesem Weg wird die Innere Zeugin externalisiert, verkörpert durch eine Person, die als äußere Zeugin bezeichnet wird. Die andere Person, als Sichbewegende bezeichnet, verkörpert das sich bewegende Selbst.
Diese Beziehung entfaltet sich im Erforschen dreier wechselseitig voneinander abhängigen Erfahrungswelten: dem individuellen Körper, dem kollektiven Körper und dem bewussten Körper. Die Arbeit folgt einem Entwicklungsprozess, aber nicht linear, da sowohl persönliche als auch transpersonale Phänomene innerhalb jeder dieser Welten auftreten. Eine Person kann diese sich entfaltende Praxis zu jedem Zeitpunkt betreten, wenn sie durch Erfahrung in einem anderen Übungsweg angemessen vorbereitet ist.
Die erste Erfahrungswelt betrifft das Erforschen des individuellen Körpers. Mit der Sehnsucht danach, in der Gegenwart und Präsenz einer Zeugin gesehen zu werden, bewegt sich eine Person mit geschlossenen Augen in die Leere des Bewegungsraumes hinein und lernt dabei, den Verlauf ihrer Bewegungen und die damit einhergehenden inneren Erfahrungen zu vergegenwärtigen. Die Sichbewegende entdeckt eine unendliche Bandbreite an Körperbewegungen, Empfindungen, Gefühlen und Gedanken, wenn verkörperte Erfahrungen ins Bewusstsein treten. Bei diesem Prozess werden Bewegungen entdeckt, die authentisch sind, wahrhaftig. Während ihre Innere Zeugin stärker wird, öffnet sich die Sichbewegende für die Sehnsucht danach, eine andere Person zu sehen. Sie wird eine äußere Zeugin und lernt, den Verlauf der Körperbewegung einer anderen Sichbewegenden zu vergegenwärtigen und sich dabei ihrer eigenen Empfindungen, Gefühle und Gedanken bewusst zu werden, während sie still am Rande des Bewegungsraums sitzt.
Da Sprache für die Erfahrung eine Brücke vom Körper zum Bewusstsein bildet, sprechen die Sichbewegende und die Zeugin im Rahmen ihrer wachsenden Beziehung nach jeder Runde ihrer Arbeit miteinander. Dabei folgt jede von ihnen dem Vorsatz, sich mit Klarheit auszudrücken – eine anspruchsvolle Übung. Tiefer werdende Arbeit gibt die Freiheit, einen direkten Zugang zum Körper und zur Sprache zu haben, und zu entdecken, dass beides heilig ist.
Die Praxis mit der Ausrichtung auf den kollektiven Körper, der zweiten Erfahrungswelt, betrifft noch eine weitere Sehnsucht: die Sehnsucht, an einem Ganzen teilzuhaben, seine Beziehung zu vielen zu entdecken, ohne dabei die klare Bewusstheit von sich selbst zu verlieren. In dieser Welt des Forschens und Übens bringen die Menschen ihre Erfahrung der Grundform in einen Kreis von Sichbewegenden und Zeuginnen. Hier bewegen sich die einzelnen mit geschlossenen Augen als Teil eines sich bewegenden Körpers und sitzen still mit offenen Augen als Teil eines Kreises von Zeuginnen. Zu Beginn und am Ende einer jeden Runde dieser Arbeit ist der Kreis leer. Wenn die Einzelnen sich von Herzen dazu verpflichten, Zeugin der Leere zu sein, nimmt das Gefäß in Bezug auf die Entwicklung verkörperter kollektiver Bewusstheit an Stärke zu.
Während der Kreis sich zur Arbeit mit dem bewussten Körper hin erweitert, der dritten der drei Erfahrungswelten, wird die Form selbst transparenter. Persönlichkeit verändert sich hin zu Erfahrung von Präsenz, Empathie verwandelt sich zu Mitgefühl, und in Augenblicken der Gnade wird Leiden erträglich. Das Üben hin zu Präsenz entwickelt sich zu Momenten, in denen der Körper, der Körper als Gefäß, als leer erfahren wird.
Eine andere Sehnsucht taucht aus dieser Leere auf: die Sehnsucht nach Darbringung. Der sich bewegende Körper wird durchscheinender, wird Tanz, und Tanz wird zu einer Gabe. Worte werden durchscheinender, wandeln sich zu Poesie, und Poesie ist eine Gabe. Wenn energetische Phänomene, die im Körper als direkte Erfahrung des Göttlichen erlebt werden können, sich im bewussten Körper konzentrieren und durch ihn hindurch bewegen, wird die Energie selbst zu einer Gabe – für die Sichbewegende, für die Zeugin, für unsere sich weiterentwickelnde Welt, für unsere sich nach Bewusstheit sehnende Welt. Während die Gemeinschaft diese Gaben empfängt und zeitweise in sie eintaucht, werden wir daran erinnert, dass dieser Weg auf uraltem Boden wächst.
Die Wurzeln dieser Arbeit, die in allen drei Erfahrungswelten des Weges klar erkennbar sind, werden unmittelbar im Tanz, in Heilungsarbeit und in der Mystik erlebt. Die dyadische Beziehung zwischen einer Sichbewegenden und einer Zeugin spiegelt am deutlichsten das Wurzelgeflecht wider, das aus der Heilungsarbeit früherer Zeiten stammt und dann im Westen als therapeutischer ‚Container‘, als das haltgebende Gefäß, verstanden worden ist. Auf vielfältige Art und Weise manifestiert die westliche Therapeutin spezifische und prägende Qualitäten der alten Rabbinerinnen, Priesterinnen und Schamaninnen, die bewusst eine haltende Beziehung zum emotionalen und spirituellen Leben von Einzelnen und Gemeinschaften aufrecht erhielten. Beim Weg Authentic Movement durchdringt die buchstäbliche Kraft des Sichbewegens und des Sehens der Verkörperung von Empfindung, Gefühl und Geist die Beziehung mit einer neuen Art des Wissens um sich selbst und die oder den anderen.
Aufgrund einer solchen Tiefe und Komplexität des verkörperten Innenlebens der Sichbewegenden, der Zeugin und der Beziehung, die sich zwischen ihnen entwickelt, ist es in der heutigen Zeit am angemessensten, wenn eine Lehrerin dieses Weges eine professionell ausgebildete Tanz-/Bewegungstherapeutin oder eine körperorientierte Psychotherapeutin ist. Andere Therapeutinnen, Meditationslehrerinnen, Choreographinnen, politische Aktivistinnen oder Bewegungslehrerinnen, die Aspekte dieses Weges in ihre berufliche Praxis integrieren, können ihre Arbeit auf sichere Weise stärken, indem sie selbst sich von ganzem Herzen der Praxis bei einer Lehrerin dieses Weges widmen. Für eine Lehrerin des Weges Authentic Movement ist es unerlässlich, weitreichende und tiefgreifende Erfahrung und Kenntnis ihres persönlichen Prozesses in der entwicklungsorientierten Arbeit dieser Form zu haben. Der Weg entfaltet sich beständig weiter, durch jede Person, die ihn betritt, und durch jede Lehrerin, die aus ihrer eigenen sich weiterentwickelnden Sichtweise dazu beiträgt.
Die Lehrerin betreut und lenkt die bewusste Entwicklung der Beziehungen zwischen dem sich bewegenden Selbst und der Inneren Zeugin, zwischen dem individuellen Körper und dem kollektiven Körper, zwischen dem Selbst und dem Göttlichen. Im Gesehenwerden und Sehen, im Teilnehmen und Darbringen kehren Sichbewegende und Zeuginnen zu sich selbst zurück, während sie sich mit allen Fasern ihres Seins dem gründlichen Üben von Konzentration und feinspürigem Abwägen verpflichten, während sie Erfahrungen von intuitivem Wissen, von Ehrfurcht entdecken.
Dieses Buch, meine Gabe, folgt dem Verlauf der Entwicklung eines Weges, den ich immer mehr als einen mystischen Weg erfahren habe. Eine mystische Praxis kann unter anderem daran erkannt werden, dass die Einzelnen sich von Herzen dem verpflichten, was dem Wissen nicht zugänglich ist, indem sie sich einer Praxis verpflichten, die das enthüllt, was dem Wissen zugänglich ist – bewusste Verkörperung. In verschiedenen alten und zeitgenössischen Traditionen gleichen sich die Beschreibungen mystischer Erfahrungen. Es gibt einen Ruf danach, in die Leere einzutreten. Es gibt die Absicht, präsent zu bleiben, die Kunst der Konzentration zu üben, mit geschlossenen Augen und nach innen gerichtetem Fokus. Es gibt das Üben hin zu Bestimmtheit, Genauigkeit und Unfehlbarkeit beim Vergegenwärtigen des Verlaufs innerer Erfahrung. Es gibt die Sehnsucht nach einer Sprache, die direkte Erfahrung beschreiben könnte, das, was sich nicht beschreiben lässt. Ein Ritual entsteht, wird notwendig. Der Segen klaren stillen Gewahrseins kann erlebt werden. Es gibt eine Sehnsucht danach, dass das Alltagsleben solch einen Segen, solch ein Gewahrsein ausdrückt. In eine bewusste Beziehung zu mystischen Erfahrungen zu kommen, erfordert eine hinreichend starke Innere Zeugin, eine Innere Zeugin, die tief in einer verkörperten Achtsamkeitspraxis verwurzelt ist und sich daraus entwickelt.
Während sich der Weg Authentic Movement weiter entfaltet, werden die Einzelnen Teil einer verflochtenen Wirklichkeit, sie kennen gleichzeitig die Klarheit und das Alleinsein ihrer Getrenntheit und die grundlegende Wärme und das Mitgefühl, die aus der direkten Berührung mit denen auftauchen, die in ihrer Nähe sind und das tun, was sie gerade tun. Es kann Momente geben, in denen die Gnade und der Segen des Gewahrseins der Einheit erlebt werden kann, eine direkte Erfahrung, in der sich die Grenzen, die alle inneren und äußeren Beziehungen beschreiben, auflösen.
JANET ADLER,
im Juli 2002
Zuerst müssen wir in unserem persönlichen Körper arbeiten,
ohne nach irgendeinem Entkommen zu suchen,
denn dieser Körper ist genau der Ort,
an dem sich Bewusstsein mit Materie verbindet.
SATPREM
Die Tiefe des ursprünglichen Seins wird „grenzenlos“ genannt.
Wegen seiner Verborgenheit vor allen Wesen oben und unten
wird es auch Nichts genannt. Wenn man fragt:
„Was ist das?“, dann ist die Antwort: „Nichts“, was bedeutet,
niemand kann es verstehen. Es negiert jede Vorstellung.
Niemand kann etwas darüber wissen
– es gibt nur den Glauben, daß es besteht.
Seine Existenz kann nur von ihm selbst begriffen werden.
Deshalb ist sein Name
„Ich werde“.
KABBALA
*
Wir fangen mit dem Erforschen und dem Üben der Sichbewegenden an, da wir das Leben als Sichbewegende beginnen, ohne Innere Zeugin, ohne Be-wusstsein. Viele von uns kommen ins Erwachsenenalter und zu den Übungswegen, die – wie der Weg Authentic Movement – sich mit der Entwicklung von Bewusstsein befassen, mit etwas Erfahrung einer Inneren Zeugin, mit etwas Bewusstheit, und mit einem Wunsch danach, präsent zu sein. Wir kommen hier an mit einer Sehnsucht nach einer neuen Art von Wissen, nach einer neuen Art und Weise, unser Leiden und unsere Befreiung zu erleben.
Bei diesem Weg gibt es zwei getrennte und doch auf geheimnisvolle Weise miteinander verbundene Welten der Arbeit der Sichbewegenden: die interpersonelle und die intra-personale Welt. Es ist die ehrfurchtgebietende und schwer fassbare, ewig sich verändernde Beziehung zwischen diesen Welten, die die Bewusstseinsentwicklung einer Sichbewegenden leitet. Die interpersonelle Arbeit betrifft die Beziehung der Sichbewegenden zu ihrer äußeren Zeugin. Da wir früher nicht hinreichend gesehen wurden, oder nicht mit hinreichend viel Akzeptanz gesehen wurden, oder nicht mit hinreichend viel Liebe oder Bewusstheit gesehen wurden, kommen wir mit der Sehnsucht ins Erwachsenenalter, von jemand anderem gesehen zu werden. Es gibt ein spürbares, im Westen ganz tiefes Bedürfnis danach, so gesehen zu werden, wie man ist, mit dem, was man gerade tut. Manchmal kommen wir hier an, weil wir bereit sind, unserer Fähigkeit zu lieben, zu vergeben, uns und andere anzunehmen, mehr Tiefe zu geben. Diese Sehnsucht ist es, die eine Sichbewegende in die Gegenwart einer Zeugin bringt.
Obwohl die Sichbewegende sich wünscht, mit ihrer eigenen Wahrheit von ihrer äußeren Zeugin gesehen zu werden, hat sie aufgrund ihrer eigenen Persönlichkeit auch Angst davor, gesehen zu werden. Die Entscheidung für das Risiko, von einer Zeugin gesehen zu werden, beinhaltet zwangsläufig auch die Bereitschaft, es auszuhalten, sich möglicherweise nicht gesehen zu fühlen. Unter den richtigen Bedingungen zur richtigen Zeit ist dieses Risiko unerlässlich, denn für die menschliche Entwicklung braucht es das Gesehenwerden von einem anderen, um sich selbst sehen zu können.
Die intra-personelle Arbeit betrifft das Herausbilden der Inneren Zeugin. Die Präsenz der äußeren Zeugin kann ein mitfühlendes Modell für jenen Aspekt der Sichbewegenden werden, der sich seiner eigenen Erfahrung bewusst wird. Die Entwicklung der Inneren Zeugin ist es, die die Entstehung und Entwicklung des Bewusstseins der Sichbewegenden bewirkt. Mit wachsender Achtsamkeit lernt diese zu unterscheiden, wann sie mit ihrer Bewegung verschmilzt, wann sie in einer dialogischen Beziehung zu ihr ist und wann sie in Momenten der Gnade um eine Ganzheit weiß, in der sie keine Trennung zwischen ihrem sich bewegenden Selbst und ihrer Inneren Zeugin spürt.
Die Innere Zeugin lernt, den Körper in die Formen des sich bewegenden Selbst hinein zu begleiten und die eigene Wahrheit zu entdecken. Die Innere Zeugin lernt, das zu würdigen, was der Körper ganz direkt weiß. Der Körper ist unsere Empfindung, unsere gefühlte Emotion. Der Körper ist unser Erleben von uns selbst, unser Tempel, in dem das Licht unseres Geistes brennt. Unbewusste Welten, numinose Welten, Welten mit hoher Ordnung und Welten ohne ersichtliche Ordnung können dem Wissen zugänglich werden, im Körper und wegen des Körpers.
Alle Bewegungen müssen bei diesem Weg von der Sichbewegenden entdeckt werden. Sie werden ihr nicht einfach gegeben. In der Gegenwart der äußeren Zeugin finden sowohl kulturelle als auch idiosynkratische Bewegungen ihren Weg ins Bewusstsein, gefolgt von komplexen und aufrüttelnden inneren Erfahrungen, die die Aufmerksamkeit der Inneren Zeugin der Sichbewegenden erfordern. Die Reise einer Sichbewegenden kann im Chaos anfangen und in verkörperte Ordnung, Klarheit und Weisheit münden. Die Reise einer Sichbewegenden muss als ihre eigene beginnen – wenn die Herzensentscheidung dafür weiter andauert, wird sie unausweichlich zu einer Reise von jedefrau, von jedermann.
Hier in meinem Bewegungsraum, am Schreibtisch, drehe ich mich jetzt um, schaue aus dem Fenster hinter mir nach draußen und sehe die weißen Lilien, erste Anzeichen des Frühlings. Ich drehe mich wieder um, schaue nach innen durch den Raum und sehe, wie das Licht in die massive Steinschale in der Ecke fällt. Ich erinnere einen Moment letzte Woche, als ich eine Sichbewegende sehe, wie sie den Teppich hinter sich lässt und den Holzboden betritt und langsam auf die Steinschale zugeht. Während sie dort ankommt, sehe ich ihr Hosenbein leicht den Rand der Schale streifen. Sie hält an, ihre Füße stehen im Licht und ihr rechter Arm streckt sich behutsam nach unten. In ihrer Hand hält sie ihr weißes Tuch. Still lässt sie das Tuch auf den Boden fallen.
In meiner Gegenwart als ihre Zeugin entscheidet sich die Sichbewegende mit geschlossenen Augen von ganzem Herzen für ihre Sehnsucht und beginnt eine nicht nachlassende und ausgiebige Erforschung des Unbekannten.
Ihre Innere Zeugin:
Ich sehne mich danach
von dir gesehen zu werden
und ich habe Angst
von dir gesehen zu werden.
Ich sehne mich danach
mich selbst mit mehr Klarheit zu sehen.
Kann ich es ertragen
mich selbst zu sehen
mich zu spüren
mich zu kennen?
Meist
bewegt sich mein Körper
ohne mich
doch ich riskiere jetzt
mich tatsächlich in deiner Gegenwart
zu bewegen.
Ich brauche es dass du
mich klarer siehst
zuerst
sodass ich
dann mich selbst sehen kann.
Es ist die Gnade
klaren stillen Gewahrseins
nach der ich mich sehne.
***
„Heneni.“ Hier bin ich.
Es ist Zeit anzufangen. Eine Sichbewegende sitzt auf ihrem Kissen auf dem Teppich, hier in der Nähe des niedrigen Tisches. Ich bin die Zeugin, sitze auf meinem Kissen ihr gegenüber und spreche jetzt zu ihr:
Vor uns ist ein leerer Raum, geformt durch die Wände und den Boden, durch die hohe Decke, durch die Tür und die Fensterrahmen und durch das Licht, das durch die Fenster herein fällt. All dies, all diese Leere, ist ein Spiegel für die potentielle Erfahrung der Leere in uns. Ich lade dich ein, in diese Leere als eine Sichbewegende einzutreten. Deinetwegen kann sich die Leere hier füllen und leer werden. Ihretwegen kannst du dich hier füllen und leer werden.
Wenn du dein Kissen verlässt, sei dir dessen gewahr, dass du zu ihm zurückkehren wirst, wenn deine Erfahrung als Sichbewegende abgeschlossen ist. Nachdem du dich zum Rand des Teppichs bewegt hast, entweder bevor du dich dem Unbekannten zuwendest oder nachdem du eingetreten bist, lade ich dich ein, Blickkontakt mit mir aufzunehmen. Wenn sich unsere Blicke treffen, werden wir uns bewusst miteinander verbinden, mit der gemeinsamen Herzensentscheidung für die Sehnsucht, in der Gegenwart der anderen gesehen zu werden und zu sehen. Wir werden in diesem Moment ein Tor schaffen, während wir formell unsere Beziehung innerhalb des Weges Authentic Movement eingehen.
Als die Sichbewegende dieses Übungsweges wirst du in die Leere eintreten, ohne zu wissen – ohne zu wissen, was du tatsächlich tun wirst, wie du dich bewegen wirst. Es gibt überhaupt keine Möglichkeit, wie jemand von uns wissen könnte, was du tun solltest. Denke daran, dass es keine richtige oder falsche Art gibt, dich zu bewegen. Wenn du bereit bist, richte deine Absicht darauf, nach innen zu horchen. Schließe deine Augen, um die visuelle Welt um dich herum auszublenden, auch wenn du vielleicht noch meine Gegenwart und Präsenz spüren kannst, oder wo das Licht hereinfällt.
Hier ist es, wo du der Möglichkeit begegnest, eine bewusste Wahl zu treffen, hier beginnt das Üben des feinspürigen Abwägens. Vielleicht entscheidest du dich dafür, dich zu bewegen, oder vielleicht wartest du auf einen Impuls zum Bewegen. Wenn ein Impuls auftaucht, wählst du vielleicht, ihm zu folgen, oder du kannst dich dafür entscheiden, deinen Willen darauf zu richten und Nein zu sagen. Was wichtiger ist als das, was du wählst, ist deine Freiheit, bewusst wählen zu können und damit eine wachsende Klarheit deiner eigenen subjektiven Erfahrung zu schaffen.
Wenn du dich bewegst, musst du bei großen Bewegungen oder wenn du dich plötzlich oder schnell bewegst, deine Augen öffnen, damit du dich nicht verletzt. Wenn du einen Platz im Raum findest, der sich für dich richtig anfühlt, kannst du dort anhalten oder dich weiterbewegen. Wenn du anhältst, brauchst du nicht zu wissen, warum du anhältst oder warum du gerade diese Stelle wählst. Es könnte sein, dass du sie aus rationalen Gründen wählst oder weil sie dich intuitiv willkommen heißt oder dich ruft. Oder du wählst sie vielleicht nicht bewusst, es passiert einfach, dass du in dem Moment gerade da bist.
Während ich spreche, sehe ich das weiße Tuch der Sichbewegenden von ihrem Schoß herunterhängen, die weichen Fäden am einen Ende des Tuches berühren gerade eben den Teppich.
Deine Innere Zeugin könnte vieles von dem wahrnehmen, was geschieht. Du könntest dich bewegen oder unbewegt sein, du machst vielleicht einen Ton oder bist still. Du könntest dich schnell bewegen oder langsam, mit großen Bewegungen oder mit kleinen. Vielleicht nimmst du innere Erfahrungen wahr, wie Empfindungen, Gefühle, oder Gedanken. Manchmal ist es schwierig, all die verschiedenen Arten von Erfahrungen, die du machst, zu sortieren. Als eine Möglichkeit für den Anfang lade ich dich ein, deine Achtsamkeit darauf zu lenken, was dein Körper tut. Versuche vorrangig, auf die Bewegung an sich zu fokussieren. Hier ist es, wo die Übung der Konzentration beginnt.
Und die Übung des feinspürigen Abwägens geht weiter. Jederzeit, egal aus welchen Gründen, kannst du dich dafür entscheiden, deine Augen zu öffnen und entweder mit mir Blickkontakt aufzunehmen oder auch nicht. Du kannst sie dann wieder schließen und dich weiterbewegen, oder du kannst aufhören und zu deinem Kissen zurückkehren. Wenn du dich für das Weiterbewegen entscheidest, kannst du dies solange tun, bis fünf Minuten verstrichen sind. Dann werde ich deinen Namen sagen und dich bitten, deine Erfahrung zu Ende zu bringen.
Wenn ich Zeugin davon bin, wie du dich bewegst, kann ich dein Erleben nicht kennen. Ich kann nur mein eigenes Erleben in deiner Gegenwart kennen. Ich entscheide mich aus ganzem Herzen dafür, den Verlauf meines Erlebens so gut ich kann zu vergegenwärtigen. Es ist meine Absicht, meine Übung, alles wahrzunehmen, was in mir passiert, während ich Zeugin bin.
Wenn du dein Bewegen beendest und deine Augen öffnest, lade ich dich ein, wieder mit mir Blickkontakt aufzunehmen, bevor du zu deinem Kissen zurückkommst. Während wir uns dann anschauen, werden wir uns durch das Tor zurückbewegen, das Tor der bewussten Verbindung, das wir durch unseren Blickkontakt deutlich gemacht haben, als du in den Raum eingetreten bist. Wir werden unsere Herzensentscheidung dafür bestätigen, in der Gegenwart und Präsenz der anderen bewusster zu werden. Dann, wenn du bereit bist, kommst du zu deinem Kissen zurück.
Jetzt steht die Sichbewegende und wendet sich zur Leere hin. Möge ich fähig sein,
das zu sehen was ich bereit bin zu sehen
das zu hören was ich bereit bin zu hören
das zu wissen was ich bereit bin zu wissen
und so zu sein wie ich bin.
Sie schlingt das Tuch um ihre Schultern und geht von mir weg zum Rand des Teppichs. Ich sehe sie dort stehen, ihre Zehen um die Weichheit des Teppichs gerundet, da, wo er auf den harten Holzboden trifft. Jetzt dreht sie sich zu mir um und unsere Blicke treffen sich. Sie schließt ihre Augen und ihre Bewegung beginnt. Ich bin durchflutet von Dankbarkeit für ihre Bereitschaft, mir hinreichend zu vertrauen.
Ihre Innere Zeugin:
Ich sehne mich danach
mich frei zu bewegen
ohne Hemmungen
aber ich weiß nicht wie.
Ich bin gehemmt
durch diesen Körper
diesen Körper
den ich kenne
und den ich nicht kenne.
Ich möchte
dass du diesen Körper annimmst
genau so wie er ist
aber wie könntest du das?
Ich bin befangen
während ich gehe
und ich frage mich
ob du denkst dass ich
unbeholfen bin
ich frage mich was
du über mich denkst.
Wirst du mich mögen
wenn ich mich
auf diese Art bewege oder auf jene?
Projiziere nicht
alles was in deinem eigenen Leben
unbewusst ist
auf mich.
Interpretiere nicht
mein Sein.
Ich bin fünf Minuten lang Zeugin für die Sichbewegende. Es ist Zeit für sie, ihre Erfahrungen zu Ende zu bringen. Ich sage ihren Namen und bitte sie, ihre Augen zu öffnen, sobald sie bereit dazu ist. Wir nehmen Blickkontakt auf und sie kehrt zu ihrem Kissen zurück.
Nach dem Bewegen gibt es viele Möglichkeiten, damit zu sein. Du kannst dich dafür entscheiden, nicht zu sprechen, und wir können zusammen in Stille sitzen. Du kannst dich dafür entscheiden, von deinem Ankommen jetzt gerade hier zu sprechen, von deinem Erleben, wie du aus der gesamten Bewegung herauskommst. Oder du kannst dich dafür entscheiden,