Pfeif auf die Arbeit, lass uns lieben!
„The planet does not need more successful people. The planet desperately needs more peacemakers, healers, restorers, storytellers and lovers of all kind.“
– Dalai Lama
Für alle an persönlichem Wachstum interessierten Liebenden – möge die Liebe möglichst oft das Wichtigste sein!
Ein paar Worte vorab
1Arbeit und Liebe – was soll daran so schwierig sein?
Ein Blick in den Alltag: Chef bleibt Chef
Love first! Warum Ihre Liebesbeziehung an die erste Stelle gehört
Work-Love-Balance – besondere Herausforderung und große Chance für alle, die engagiert arbeiten
Was muss geschehen, damit Sie Ihrer Beziehung die erste Priorität einräumen?
Das Wichtigste auf einen Blick
2Wie Ihre bewusste Beziehung Sie auch im Job besser macht
Ein Blick in den Alltag: Wenn die Liebe beflügelt
Die Kraft der bewussten Beziehung
Ihre Chance auf eine bewusste Liebesbeziehung
Das Wichtigste auf einen Blick
3Zauberwort Kommunikation – bleiben Sie miteinander in Verbindung
Ein Blick in den Alltag: Kommunikation – im Business top, zu Hause ein Flop?
Achtung: Umschalten!
Warum Sie Beruf und Beziehung voneinander abgrenzen sollten
Kommunizieren Sie mit ganzem Herzen
Die achtsame Begegnung
Das Wichtigste auf einen Blick
4Wie Sie den Beziehungsalltag erfolgreich miteinander meistern
Ein Blick in den Alltag: Wenn das Leben dich einholt …
Wie es langfristig gelingt, gute Vorsätze im Alltag umzusetzen
Liebesmeetings, achtsame Begegnungen und mehr
Gelungene Abgrenzung von beruflichem und privatem Sein
Was, wenn die Verbindung mal nicht gelingt?
Das Wichtigste auf einen Blick
5Vorsicht, Falle: Arbeit als Beziehungsausgang, der in eine Sackgasse führt
Ein Blick in den Alltag: Die Flucht aus der Beziehung
Warum fliehen wir aus einer Beziehung?
Weitere destruktive Beziehungsausgänge
Die Flucht beenden – so gelingt es
Wie Sie in herausfordernden Situationen konstruktiv bleiben
Pflegen und entwickeln Sie Ihre Selbstliebe
Das Wichtigste auf einen Blick
6Einander auch körperlich nahe bleiben – so gelingt erfüllende Sexualität
Ein Blick in den Alltag: Wenn nichts mehr läuft …
Können Liebe und Lust ewig halten – auch im Alltag?
Der Weg ins Liebesglück
So finden Sie wieder zueinander
Wagen Sie es: Stellen Sie wichtige Fragen – wenn es auch noch an etwas anderem liegt als an der Arbeit
Das Wichtigste auf einen Blick
7Die gemeinsame Zukunftsvision: eine gelingende Love-Work-Balance
Ein Blick in den Alltag: Wenn Karriere die Zukunft frisst
Sorgen Sie dafür, dass Sie eine gemeinsame Zukunft haben
Finden Sie eine gemeinsame Beziehungsvision für Ihre Love-Work-Balance
Wie Sie dem Bild Ihrer gemeinsame Love-Work-Balance näherkommen
Das Wichtigste auf einen Blick
8Wie die Liebe gedeiht – und Karriere für beide gelingt
Ein Blick in den Alltag: Wenn beide beruflich sehr ambitioniert sind
Beide beruflich ganz vorn – was bedeutet das für die Beziehung?
Als Power Couple glücklich bleiben, selbst in fordernden Lebenssituationen
Das Wichtigste auf einen Blick
9Frau macht Karriere
Ein Blick in den Alltag: Wenn Frauen durchstarten – und Männer dabei zusehen
Was Frauenkarrieren ausbremst
Was für Frauen wichtig ist
Was Sie als Partner zum Erfolg Ihrer Frau beitragen können
Das Wichtigste auf einen Blick
10Wie Sie Zeit und Raum für Ihre Familie finden
Ein Blick in den Alltag: Der Start ins Unbekannte
Alles auf Anfang
Gut vorbereitet ins Familienglück starten
Prioritäten setzen als Familie: Wie gelingt das?
Wie Sie die Verbindung mit Ihren Kindern genießen
Das Wichtigste auf einen Blick
11Die erfolgreiche Co-Evolution – gemeinsam kommen Sie überall hin
Ein Blick in den Alltag: Das Beste kommt zum Schluss
Wie Sie dauerhaft gut miteinander leben
Bleiben Sie in Kontakt
Nutzen Sie die „sliding doors“
Das Wichtigste auf einen Blick
Anhang
Literaturverzeichnis & hilfreiche Websites
Danksagung
Endnoten
Liebe Leserin und lieber Leser, Sie sind beruflich komplett ausgelastet und Ihre Beziehung leidet darunter? Sie kennen die Situationen, in denen die geliebte Person Sie umarmen möchte und Ihnen sprudelnd etwas erzählt, aber Sie sind nur genervt, weil Sie einfach keine Zeit dafür haben und mit Ihren Gedanken komplett woanders sind? Ihnen sind die Momente vertraut, in denen Sie denken „Eigentlich sollten wir uns mal wieder Zeit füreinander nehmen“ und dann gedanklich gleich wieder bei Ihrem nächsten Termin sind, den Sie noch vorbereiten sollten? Willkommen im Club! Sie sind nicht allein, auch wenn Sie sich mitunter so fühlen. Auch uns ist es immer wieder so ergangen und von Zeit zu Zeit erleben wir es immer noch so. Wir sind beide selbstständig, haben zwei wundervolle Töchter und unsere Arbeit macht uns große Freude. Wir waren immer wieder vor die Herausforderung gestellt, wie wir unsere Liebe und Beziehung trotz der vielen Anforderungen des beruflichen und familiären Alltags erfüllend leben können. Das Gute ist: Sie können das Blatt wenden. Wenn Sie die Hintergründe für Ihre Situation erkennen, Ihrer Liebe die erste Priorität geben und konsequent dranbleiben, um etwas zu verändern. Wir möchten Sie dabei unterstützen.
Was Sie in den Händen halten, ist nicht nur ein Buch zur Work-Love-Life-Balance. Es ist ein Buch für Menschen, die erfolgreich im Beruf sein möchten – aber Liebe und Privatleben nicht mehr ihrem Berufsleben unterordnen möchten. Menschen, die beides wollen: Liebe und Beruf.
Wir schreiben über das, was Sie aus Ihrem Alltag kennen: Sie erfahren, wie Sie Ihr Leben so verändern, dass Beruf und Liebe nicht nur „irgendwie nebeneinander funktionieren“ – sondern so, dass Sie Ihre Beziehung in einer völlig neuen Qualität und Tiefe erleben dürfen und daraus Kraft schöpfen. Wir gehen sogar noch weiter: Wir sind überzeugt davon, dass eine gute Paarbeziehung Sie auch im Job vorwärtsbringt.
In unserem Buch gehen wir auf die wichtigsten Aspekte ein, die in unserem Leben, in unserer Praxis und den Seminaren mit Paaren immer wieder eine Rolle spielen. In den ersten drei Kapiteln geht es daher um Grundlegendes: um die Prioritäten im Leben, darum, Fähigkeiten aus dem Beruflichen im Privaten zu nutzen und – selbst, wenn Sie jetzt verwundert sind, weil Sie beruflich darin vielleicht bereits bestens erfahren und geschult sind – um Kommunikation.
Darauf aufbauend geht es dann vor allem darum, wie Sie Strategien und Erkenntnisse ganz konkret im Beziehungsalltag umsetzen, als Paar auf allen Ebenen – emotional wie körperlich – miteinander in Verbindung bleiben und aus emotionalen Sackgassen herauskommen.
Besonderes Augenmerk legen wir auf Lösungen für Frauen, die zusätzliche Herausforderungen bewältigen müssen, sowie für Paare, bei denen beide in sehr fordernden Jobs arbeiten. Schließlich eröffnen wir Ihnen auch den Blick darauf, dass eine positive Entwicklung in Ihrer Liebesbeziehung immer auch mit einer persönlichen Entwicklung beider Menschen in dieser Beziehung verbunden ist und Sie sich damit besser kennen lernen und eine neue Lebensqualität miteinander erobern.
Das sind die Themen auf einen Blick:
1.Wie Sie die Prioritäten in Ihrem Leben so setzen, dass es sich für Sie stimmig anfühlt
2.Warum eine gute Paarbeziehung Sie auch im Job besser macht
3.Wie Kommunikation in Ihrer Beziehung gelingt
4.Wie Sie auch mit forderndem Job den Beziehungsalltag miteinander meistern
5.Vorsicht Falle: Arbeit als Beziehungsausgang, der in eine Sackgasse führt
6.Einander auch körperlich nahe bleiben – so gelingt erfüllender Sex
7.Die gemeinsame Zukunftsvision: eine gelingende Work-Love-Balance
8.Wie Karriere für beide gelingt
9.Frau macht Karriere – auch heute noch mit zusätzlichen Herausforderungen verbunden
10.Wie Sie Zeit und Raum für die Familie finden
11.Die erfolgreiche Co-Evolution – gemeinsam kommen Sie überall hin
Jedes Kapitel startet mit dem Blick in den Alltag eines Paares, der Ihnen womöglich bekannt erscheint. Sie erfahren anhand dieser Situationen, warum die gezeigten Probleme auch in Ihrer Beziehung auftauchen können. Wir stellen Ihnen daran anschließend – strukturiert und übersichtlich aufbereitet – gut umsetzbare Strategien und Möglichkeiten vor, mit denen Sie diese Probleme lösen können. Jedes Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen.
Um alle Menschen anzusprechen, verwenden wir Begriffe und Formulierungen, die alle einschließen und arbeiten dabei auch mit dem Gendersternchen.
Wir wünschen Ihnen Freude beim Lesen sowie viele verbindende, sinnstiftende und kraftschenkende Momente auf Ihrer Abenteuerreise Beziehung und auch in Ihrem Beruf.
Herzlich,
Ihre Elisabeth Gatt-Iro und Ihr Stefan Gatt
Sie sind beruflich engagiert, vielleicht sogar in einer Führungsposition tätig – und haben wahrscheinlich schon viel Erfahrung im Umgang mit Menschen gesammelt. Sie sind geschult in Kommunikation, Zeitmanagement, Projektmanagement, beim Delegieren von Aufgaben und im Setzen von Prioritäten. Kurzum: Sie bringen alle Skills mit, um Ihr Leben im Griff zu haben. Dennoch leidet Ihre Beziehung immer wieder oder sie geht gerade den Bach hinunter – und Sie halten dieses Buch in den Händen. Womöglich ein Hinweis darauf, dass Sie Ihre Prioritäten doch nicht immer für Sie selbst optimal setzen? Lassen Sie uns einen Blick darauf werfen.
„Susanne, wo ist denn mein dunkelblaues Sakko? Wolltest du das nicht aus der Reinigung holen?“ Nervös durchwühlt Erich seinen Schrank.
„Ich hatte dir doch gestern Abend gesagt, dass es sehr stressig war, ich kann erst heute Abend bei der Reinigung vorbeifahren. Und ich muss jetzt auch gleich los.“ Susanne gibt Erich einen Kuss auf die Wange, schiebt sich an ihm vorbei und ist schon draußen, während sie ihm noch winkend zuruft: „Einen schönen Tag dir!“
Am Steuer ihres Wagens atmet sie tief durch. Es ist gerade acht Uhr morgens und Erich hat schon drei derartige Aktionen gebracht. Direkt nach dem Aufstehen im Bad war er das erste Mal aufgebraust, weil sie darauf bestanden hatte, den Spieleabend am Donnerstag mit Roland und Katharina nicht zu verschieben und Erich auch nicht zu entschuldigen, weil ihm wieder einmal ein wichtiger Termin mit dem Aufsichtsrat dazwischengekommen war.
Erich hatte partout nicht verstehen können, wieso Susanne sich jetzt so anstellte. Das war doch nun wirklich nicht so wichtig – ein Spieleabend!
„Meine Güte, was steht denn da bitte ‚auf dem Spiel‘?“, hatte er genervt moniert. „Dass Roland wieder mal verliert, weil er ohnehin so schusslig ist? Dass Katharina zum hundertsten Mal vom Streit mit ihrer Schwester erzählt? Das hat natürlich oberste Priorität, ich verstehe.“
Dann hatte er augenrollend am Frühstückstisch gesessen, weil sie die Verabredung mit seinen Eltern für das kommende Wochenende noch nicht von Sonntag auf Samstag verschoben hatte, da Erich am Montag zeitig raus musste. Was sollte daran denn so schwer sein? Ein Anruf, war das denn zu viel verlangt?!
Während Susanne losfährt, spürt sie Wut in sich aufsteigen. Rasch dreht sie die Musik auf. Nochmal durchatmen. Er hat es ja nicht böse gemeint.
Sie hat ihm zwar bereits mehrmals gesagt, wie unmöglich sie sein Chef-Gehabe findet, aber er schafft es jedes Mal wieder, charmant und humorvoll die Situation zu entschärfen. Oder, so denkt Susanne jetzt wütend: über ihre Bedürfnisse hinweg zu gehen. Denn meist macht er einen Witz daraus, statt sich mit ihren Wünschen und Bedürfnissen auseinanderzusetzen. Oder er erklärt, dass sie doch schließlich eine Frau sei, die im Handumdrehen mal nebenbei die paar Kleinigkeiten regeln kann, es sei fast schon lächerlich, darüber wieder minutenlang zu diskutieren, überhaupt müsse er jetzt wirklich auflegen …
Ja, eben wird Susanne klar: Die meisten Gespräche führen sie inzwischen am Telefon. Sehr kurze, sachbezogene Gespräche. Oder sie schreibt ihm eine Message, die er knapp und nüchtern beantwortet, während er von A nach B unterwegs ist oder auf dem Sprung ins nächste Mitarbeitergespräch oder in die wichtige Krisensitzung. Bei 600 Leuten will immer jemand etwas vom Chef, das kann Susanne sich wahrlich vorstellen.
Sie weiß, dass Erich ein guter Vorgesetzter ist. Susanne erinnert sich noch genau daran, wie hart er darauf hingearbeitet hat. Wie sie sich beide freuten, als er vor sechs Jahren den Karrieresprung geschafft hatte. Wie sie sich einig waren, dass die Beziehung jetzt erst einmal zurückstehen musste. Dass Susanne vorübergehend ein bisschen mehr von alldem Kleinkram übernehmen würde, den sie sich bis dahin geteilt hatten. Unmerklich war aus dem „vorübergehend“ ein „bleibend“ geworden.
Und nun fragt sich Susanne: Wieso ist ihre Zeit stets weniger wert als seine? Und wo ist der Mann, den sie vor 15 Jahren geheiratet hat – und der noch kein Chef war? Mit dem sie Sonntagvormittage im Bett vertrödeln konnte. Der sich auch geduldig ihre Probleme mit Kollegen oder Freundinnen angehört, sie getröstet, unterhalten oder begeistert hat?
Susanne lenkt den Wagen auf ihren Parkplatz vor der Agentur. Ganz klar ist ihr in dem Moment: Heute Abend müssen wir reden.
Wir alle leben in einer Welt, in der die Prioritäten klar festzustehen scheinen: An erster Stelle stehen Leistung und der berufliche Erfolg. Sobald wir die Schule verlassen, hören wir von allen Seiten, dass wir eine Ausbildung oder ein Studium brauchen, die uns eine möglichst aussichtsreiche Zukunft bieten. Und alle sind sich einig, was das bedeutet: zuerst einmal Studium oder Ausbildung abschließen. Nach dem Studium gilt es vielleicht schon, Schulden abzubezahlen, dann ein Eigenheim zu finanzieren, ein neues Auto … Vor allem aber geht es darum, Karriere zu machen. Eine Karriere, die durch ein klares Ziel definiert wird: hohes Einkommen und irgendwann vielleicht sogar eine Führungsposition mit Einfluss und Ansehen.
Endlich kommt die ersehnte Beförderung. Und die nächste. Geld. Noch mehr Geld. Damit verbunden vor allem: Macht, Ansehen, Status, kurz: „Jemand“ zu sein. Und da ist er, der ersehnte Erfolg. Für den muss aber nun auch permanent weiter investiert werden – viel Zeit, viel Energie. Aber man ist bereit, das zu tun. Alles andere kann erst einmal warten.
Jahre später sehen wir zurück und „das Andere“ wartet immer noch. Unser Leben wartet darauf, gelebt zu werden. Und der Mensch an unserer Seite wartet vielleicht auch noch. Oder ist schon gegangen.
Wie sieht das bei Ihnen aus? Haben Sie sich wiedererkannt? Wenn Sie mit diesem Thema auch konfrontiert sind, dann ist unser erster Tipp:
Räumen Sie Ihrer Beziehung den ersten Platz in Ihrem Leben ein.
Warum Sie das tun sollten? Auf diese Frage gibt es viele Antworten. Eine der überzeugendsten gibt die wahrscheinlich längste Studienreihe, die in der bisherigen Geschichte der psychologischen Forschung durchgeführt wurde: Immerhin 75 Jahre lang lief The Grant and Glueck Study.1 Im Rahmen dieser Studie wurden mehrere hundert Personen praktisch lebenslang begleitet und regelmäßig befragt. Ziel war es, herauszufinden, was Menschen glücklich macht.
Und das Ergebnis? Die Qualität der wichtigsten Beziehungen zählt im Leben eines Menschen am meisten. Mehr als finanzielle und soziale Sicherheit, mehr als eine umfassende Ausbildung, mehr als Beliebtheit, Anerkennung oder Macht. George Vaillant, der Leiter der Studie, fasste zusammen, es ginge vor allem darum, „einen Lebensweg zu finden, der Liebe nicht vertreibt“.2
Die Studienergebnisse belegen darüber hinaus, dass die Qualität der engsten Beziehungen auch Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit hat. Das ginge soweit, dass Menschen ohne gute nahe Beziehungen sogar eine geringere Lebenserwartung hätten. Als „nahe“ oder enge Beziehungen werden dabei nicht nur Paarbeziehungen, sondern auch engste Freundschaften verstanden. Lassen Sie uns dennoch in diesem Buch auf die Liebesbeziehung zu Ihrer Partnerin, Ihrem Partner eingehen und darüber hinaus auch die Beziehung zu Ihren Kindern nicht vergessen, falls Sie welche haben.
Falls Glück und Gesundheit für Sie im Moment immer noch nicht überzeugend genug sind, um Ihrer Beziehung die erste Priorität in Ihrem Leben einzuräumen, gibt es ein weiteres Argument: Zu viel gearbeitet und das Privatleben vernachlässigt zu haben – das gehört zu den Dingen, die Menschen am Ende ihres Lebens am meisten bereuen. Festgestellt und in einem Buch festgehalten hat das unter anderem die Australierin Bronnie Ware, die mehrere Jahre als Palliativpflegerin in Südengland sterbende Menschen in deren letzten Wochen oder Tagen begleitet hat. Sie erfuhr dabei, dass die Sterbenden vor allem bedauerten, nicht ihr eigenes Leben gelebt zu haben, Gefühle unterdrückt, den Kontakt zu Freunden vernachlässigt – und zu viel gearbeitet zu haben.3
Nahezu rund um die Uhr eingebunden zu sein in berufliche Belange und viel zu wenig Zeit fürs Private und für Beziehungen zu haben – das ist leider ein Zustand, den heute viele Berufstätige wenigstens phasenweise erleben müssen. Menschen, die neu in einen anspruchsvollen Job einsteigen ebenso wie jene, die „richtig“ Karriere machen möchten.
Dabei wirken an der Arbeitsstelle immer auch noch die privaten Situationen einzelner auf das gesamte Team ein: Ein junger Vater geht in Elternzeit, ein anderes Teammitglied kämpft für längere Zeit mit gesundheitlichen Problemen, eine Mitarbeiterin zieht weg und kündigt deshalb, eine andere bekommt ein Kind und kann eine Zeitlang wenig oder nicht mitarbeiten. Jede dieser privaten Entwicklungen kann auch das Team verändern und das Leben anderer Personen im Team beeinflussen.
Und irgendwann ist ein Paar an dem Punkt, an dem beide sich kaum noch spüren. Oft ist dieser Zustand schleichend entstanden: In der Zeit des beruflichen Aufstiegs hat man sich als Paar mehr oder weniger klar geeinigt, dem beruflichen Engagement den Vortritt zu lassen, Beziehungsthemen zurückzustellen, eine Ausnahmesituation zu akzeptieren. Doch der Ausnahmezustand wird zur Norm. Die Verantwortung für die Qualität der Beziehung und meist auch für das Funktionieren des Alltags wird immer stärker auf die Person mit dem weniger fordernden Job verlagert, die sich schließlich im Stich gelassen fühlt und hin und her gerissen ist zwischen dem Verständnis dafür, dass der Partner oder die Partnerin alle Energie für den Beruf braucht – und der zunehmenden ohnmächtigen Wut darüber, in der Beziehung und der Verantwortung für das alltägliche gemeinsame Leben alleingelassen zu werden.
Das ist oft der Einstieg in einen Teufelskreis: Ihr*e Partner*in beschwert sich immer häufiger, verabschiedet sich vielleicht irgendwann ins Schweigen. Auch Ihr Sexleben leidet darunter. Sie ignorieren, fliehen weiter in den Job. Ihre Beziehung verschlechtert sich. Die schlechte Qualität der Beziehung beeinflusst unweigerlich auch die Arbeit negativ: Mit einem Kopf, der voll von Privatproblemen ist, mit schlechten Gefühlen und der unangenehmen Erinnerung an den letzten Streit, unkonzentriert, unausgeschlafen – so kann kein Mensch gut arbeiten. Oder gehören Sie zu denjenigen, die gerade, wenn zu Hause der Hut brennt, im Job zur Höchstform auflaufen? Die so gut verdrängen können, dass niemand in Ihrem Team bemerken würde, wie schlecht es Ihnen in Ihrer Beziehung geht? Oder sind Sie gar einer der Menschen, die schon einen Beziehungsausgang, also eine Fluchtmöglichkeit aus der Partnerschaft genommen haben (siehe auch Kapitel 5, Seite 87), der sie immer weiter weg von ihrem Gegenüber führt?
Haben Sie sich in der Beschreibung irgendwo wiedergefunden? Stünde Ihre Beziehung, als Projekt beschrieben, auf „Eskalationsstufe ROT“? Wenn das der Fall ist, ist es Zeit, radikal umzudenken: Kümmern Sie sich jetzt um Ihre Beziehung!
Sie fragen sich jetzt bestimmt, wie Sie es schaffen können, Ihrer Beziehung mehr Raum in Ihrem Leben zu geben. Schließlich ist Ihr Job wichtig, lässt Ihnen keinerlei Freiräume. Es gibt einfach keine Zeit, die verfügbar ist, oder zumindest denken Sie das. Ja, Ihr Leben mag im Moment so aussehen – aber nur Sie können es ändern. Machen Sie sich bewusst, dass Sie die Person sind, die in Ihrem Leben die Entscheidungen fällt. Machen Sie sich bewusst, dass Sie über sehr viele Skills verfügen, die Sie beruflich ausgebildet und erprobt haben. Lernen Sie zu delegieren, was immer delegierbar ist. Ziehen Sie Grenzen, perfektionieren Sie Ihr Zeitmanagement im Job – und nicht Zuhause, in Ihrer Beziehung. Sie entscheiden, was für Sie das wichtigste Anliegen ist. Erobern Sie sich Ihr Leben und Ihre Liebe zurück.
Glauben Sie uns bitte: Wir wissen, dass eine solche Veränderung alles andere als einfach ist. Wir kennen die Situation aus eigener Erfahrung und mussten uns auch damit auseinandersetzen. Wir möchten Ihnen Mut machen: Es ist möglich und machbar!
Was wäre, wenn?
Beginnen Sie damit, sich einmal vorzustellen, was sich verändern würde, wenn Sie der Liebe in Ihrem Leben den ersten Platz einräumten: Wie würde sich das auf Ihre Beziehung, auf Ihre Familie und Ihren Freundeskreis auswirken? Wie würde es Ihnen selbst dabei gehen?
Malen Sie sich diese Idee so konkret wie möglich aus. Schreiben Sie ruhig auch auf, welche Möglichkeiten sich aus einer solchen Neupriorisierung ergeben würden. Was würde Ihnen an dieser neuen Situation besonders gefallen?
Falls Sie spüren, dass es Ihnen schwerfällt, sich ein positives Bild von einem Leben zu machen, in dem Ihre Beziehung vor dem Beruf an erster Stelle steht, überlegen Sie bitte, warum das so ist. Befassen Sie sich dazu mit dem folgenden Gedanken: „In der Firma bin ich unersetzlich! Ich kann mein Engagement dort nicht zurückschrauben, selbst wenn ich es gern möchte.“ Kennen Sie diese innere Haltung? Haben Sie genau das womöglich während des Lesens eben gedacht? Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Firma dem Untergang geweiht ist, wenn Sie nicht permanent alles geben?
Bitte analysieren Sie konkret, ob das tatsächlich so ist. Falls ja: Versuchen Sie, diese Situation so bald als möglich zu verändern. Wer gut in seinem Job ist, weiß, dass niemand in der Firma so wichtig sein sollte, dass dessen Ausfall die Existenz der gesamten Firma gefährden würde. Falls Sie jedoch feststellen, dass die Firma auch weiter existieren wird, wenn Sie in einen mehrwöchigen Urlaub gehen, länger erkranken oder wenn Sie kündigen würden, überlegen Sie ehrlich, wieso Sie daran festhalten, das Thema Beruf auf Platz eins in Ihrem Leben zu belassen.
Ist es eine Flucht aus Ihrer Beziehung? Gibt es dort vielleicht Themen, die Sie so sehr ängstigen, anstrengen, frustrieren oder resignieren haben lassen, dass Sie die Arbeit Ihrem Zuhause vorziehen? Wenn Sie diese Vermutung haben, finden Sie ab Seite 87 in Kapitel 5 einige Lösungsansätze – Flucht gehört nicht dazu.
Vielleicht liegen die Ursachen für Ihre Vermeidungsstrategien auch nicht in der aktuellen, sondern in früheren Beziehungen. Womöglich haben Sie in Ihrer Herkunftsfamilie gelernt, dass Leistung alles ist – und alles rechtfertigt. Viele Menschen werden durch innere Motivationen und Überzeugungen beeinflusst, die ihnen gar nicht bewusst sind.
Finden Sie Ihre inneren Antreiber!
Hier einige Anregungen für die Suche nach „inneren Antreibern“: Kennen Sie die folgenden Sätze? Haben Sie sie als Kind oft gehört oder gespürt? Haben Sie sie verinnerlicht?
Ich muss es allen zeigen (oder zumindest: meinen Eltern).
Vielleicht bekomme ich nach dieser Leistung endlich die Anerkennung, nach der ich mich sehne.
Ich bin nicht gut genug!
Ich muss perfekt sein.
Ich brauche die Anerkennung der anderen und meinen Erfolg, damit ich spüre, dass ich etwas wert bin und geliebt werde.
Ich muss die/der Beste sein …
Ich muss besser sein als …
Dir zeige ich, dass du mit deiner Meinung, dass ich etwas nie schaffen werde, völlig falsch liegst!
Wenn ich nur ausreichend Erfolg habe, vielleicht siehst du mich dann endlich?
Beeil dich! Sei schnell!
Wenn Sie sich mit diesen und ähnlichen inneren Überzeugungen nicht bewusst befassen, werden sie immer wieder dazu führen, Ihre Prioritäten zu verschieben. Hin zum „Außen“, hin zum Beruf, zum Leisten. Haben Sie die Antreiber aber erst einmal identifiziert, erkennen Sie sie wieder, wenn sie auftauchen und können sich entscheiden, bewusst anders mit ihnen umzugehen.
Neben den inneren Antreibern gibt es auch äußerlich sichtbare: Ab einem bestimmten Punkt verfügen Sie wahrscheinlich über ein Einkommen, das es Ihnen ermöglicht, sich eigene Wünsche zu erfüllen. Das ist angenehm, aber immer mehr Geld macht nicht glücklicher. Ja, das ist tatsächlich so! Wie Daniel Kahnemann, Psychologe und Träger des Wirtschaftsnobelpreises, anhand von Studienergebnissen schlussfolgerte, besteht ein Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Geld bis etwa zu einem Jahreseinkommen von 50.000 Euro. Verdient man so viel, sind die Grundbedürfnisse befriedigt. Hat man dann noch mehr Geld zur Verfügung, so erhöht dieses das Glücksempfinden nicht nennenswert weiter.4
Zahlreiche Manager*innen und Führungskräfte genießen neben dem Einkommen auch mit dem Job verbundene Vorteile, die sich etwa aus häufigen Reisen und Terminen ergeben, wie Upgrades für Flüge, Mietwagen oder Übernachtungen, Zugang in die Senator-Lounge am Flughafen, hier ein Bonus, da eine Vergünstigung … Für viele ist jedoch vor allem der Status und das damit verbundene Ansehen, die Macht, die sie besitzen, überaus wichtig. Diese Vorteile können durchaus eine eigene Dynamik entwickeln, denn es winkt immer noch eine weitere Prämie, immer geht es noch ein bisschen weiter nach oben, wird man noch ein wenig wichtiger – man muss einfach nur immer weitermachen. Das Aufhören wird schwierig. Diese Einflussfaktoren können wie eine Droge wirken und Sie vergessen lassen, was Ihnen in Ihrem Leben wirklichNICHTS aus Ihrem Leben mitnehmen,