Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
www.dnb.de abrufbar.
© 2017 Linda Nowak
Cover, Layout und Innengestaltung: Karen Dierks
weitere Mitwirkende: Dennis Kresin
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7448-1231-3

Ein tiefes Seufzen entfährt Marlena beim Klang ihres Lieblingslieds – und es ist kein glückliches Seufzen. ‚Sintflut‘ ist der mit Abstand rockigste Song in ihrem Set – groß und gewaltig arrangiert, unheimlich trotzig und voller Wut. Das Herzstück dabei ist ein kraftvolles Synthesizer-Solo, in das der Autor damals seine komplette, hyperaktive Verzweiflung hineingeschrieben hat. Und jedes Mal, wenn Marlena auf der Bühne steht, sieht sie ihn wieder vor sich: Ruben, im Juli vergangenen Jahres, wie er mit blutiger Jeans und tottraurigen Augen neben ihr auf dem Beifahrersitz saß. Marlena hatte ihn ins Krankenhaus fahren müssen, weil er aus Wut über seine Ex-Freundin seinen Fernseher kaputtgetreten hatte – was mit großer Wahrscheinlichkeit die einzige Rockstar-Geschichte bleiben wird, die ihr Ex-Keyboarder seinen Enkelkindern jemals würde erzählen können. Zwei Stunden hatten sie mit zwei Kühlakkus in der Notaufnahme gesessen, und schon da war von dem unberechenbaren Typ nur noch ein geknicktes, übernächtigtes Häufchen Elend mit gebrochenem Herzen übrig gewesen. Sie hatte die Nacht auf seiner Couch verbracht; ihm zugehört, den Kopf gewaschen. Zwei Tage später war seine Trennung von Annalena für immer in Noten gebannt gewesen.
Marlena blickt konzentriert zu dem jungen Mann herüber, der jetzt gerade in der Ecke steht, wo bis vor ein paar Wochen noch Rubens Keyboards aufgereiht gewesen waren. Man kann dem schlaksigen Blondschopf unmöglich vorwerfen, dass er nichts von zertrümmerter Wohnzimmereinrichtung und Tränen in der Notaufnahme weiß. Und doch hatte er Marlena mit seinem Spiel verloren gehabt, noch bevor die erste Strophe zu Ende gespielt war. Die Sängerin lehnt sich auf ihrem Barhocker zurück gegen die kalte Proberaumwand und schließt die Augen, um alles um sich herum auszublenden. Hör zu, ermahnt sie sich. Gib dem Typ ‘ne Chance!
Doch es hilft nichts. Der Keyboarder – Daniel – ist wieder im Refrain angekommen. Jeder Tastenanschlag ist akkurat. Sauber und brillant durchflutet die Melodie den verwinkelten Proberaum. Marlena schließt resigniert die Augen. Jeder einzelne Ton klingt eingeübt und gefühlsleer. Einfach langweilig.
Als Daniel zu Ende gespielt hat, sieht er Beifall heischend zu der schlanken Sängerin herüber. Sein Blick ist hoffnungsvoll, er wirkt selbstzufrieden. „Sorry, Daniel, aber du passt einfach nicht zu uns“, sagt Marlena, selbst für ihr eigenes Empfinden mit reichlich wenig Bedauern in der Stimme. Sie zuckt die Achseln, streicht sich mit der linken Hand eine lästige, dunkelbraune Locke aus dem Gesicht. „Du spielst gut, man hört dir jedes einzelne Jahr deiner klassischen Ausbildung deutlich an, genauso, wie man dir anhört, dass du mindestens zehn Stunden zuhause an deinem Steinway-Flügel gesessen hast, bis alles absolut perfekt in deinen Ohren klang.“
Daniel lächelt zaghaft. Frank Baltes, der schräg hinter dem Keyboard auf einem weiteren Barhocker sitzt, wirft Marlena einen warnenden Blick zu. Reiß dich zusammen, lautet die Botschaft des Managers. Marlena versteht ihn. Daniel Schumann ist der neunte Keyboarder, der diesen Proberaum ohne Engagement bei ‚Freifahrtschein’ verlassen wird. Aber die Band ist Marlenas Baby. Sie würde einen Teufel tun und ihre Ideale verraten.
Mit kurzem Zögern wendet sie sich wieder Daniel zu. Etwas versöhnlicher lächelt sie ihn an. „Aber was wir brauchen, ist jemand, der auch ein Stück von sich selbst in unsere Stücke einfließen lässt. Und das höre ich bei dir einfach nicht. Tut mir ehrlich leid, aber damit würde keine Seite langfristig glücklich werden.“
Daniel nickt ratlos. Er versteht die Welt nicht mehr. Bevor Marlena weitersprechen kann, greift Frank ein. Er ist von seinem Hocker heruntergerutscht und baut sich in seinem leicht in die Jahre gekommenen Freizeitjackett neben dem Keyboard auf, legt dem Musiker eine Hand auf die Schulter. „Was sie eigentlich sagen will ist: Du bist großartig. Jedes Orchester wäre stolz, jemanden wie dich zu haben.“ Seine Stimme überschlägt sich fast im verzweifelten Bestreben, die Situation irgendwie zu retten. Tilman, der den Dialog bisher lässig an die Wand gelehnt von seinem Schlagzeughocker aus verfolgt hat, kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Als würde Daniel in dieser Situation eine Portion Süßholzraspelei helfen! „Ja, du bist gut. Aber nicht für uns, da muss ich Marlena leider zustimmen.“ Seine Worte sind freundlich, aber bestimmt. Die Diskussion ist beendet.
Daniel nickt enttäuscht. „Da kann man dann nichts machen. Trotzdem danke für eure Zeit.“ Er steht auf, greift nach seinen fein säuberlich sortierten Notenblättern und steuert auf die Tür zu. „Hey, Mann! Lass den Kopf nicht hängen. Du findest ganz sicher etwas, was dich ausfüllt“, beeilt sich Frank zu sagen und hechtet dem Keyboarder hinterher, um ihn hinaus zu begleiten.
Als sich die Tür hinter den beiden geschlossen hat, grinst Tilman Marlena über seine Brille hinweg an. „Du findest ganz sicher etwas, was dich ausfüllt!“, äfft er den Manager nach. Dann schlägt er auf seine Oberschenkel, die durch die zerrissene Bluejeans hindurchblitzen, und steht auf, um in den Aufenthaltsraum zu wechseln. „Und auf ein Neues!“ Gitarrist Lukas sieht ihn vorwurfsvoll an. „Was?“, verteidigt sich Tilman. „Ist doch so.“
Marlena verdreht die Augen und beginnt, das Kabel ihres Mikrofons aufzurollen. „Jedes Orchester wäre stolz, jemanden wie dich zu haben…Was soll das denn? Wir suchen ‘nen Keyboarder, kein Mitglied für ‘ne Selbsthilfegruppe.“
„Hey, jetzt sei nicht unfair. Der hatte echt was drauf“, schaltet sich Bassist Tobias ein und beginnt ebenfalls, sein Equipment wegzuräumen. Seine hellblonden, mit Gel gestylten Haare wippen bei jeder Bewegung. Marlena wirft ihm einen vielsagenden Blick zu. „Ja, technisch vielleicht. Aber kannste dir den auf der Bühne vorstellen, wenn wie auf dem Festival in Potsdam letzten Sommer die Technik versagt und wir zehn Minuten lang ohne Ton improvisieren müssen? Der kriegt doch ‘nen Herzinfarkt!“
Mit zielstrebigen Schritten steuert sie aus dem Proberaum und lässt sich resigniert in die Sitzecke des Aufenthaltsraums fallen, mitten in das Chaos aus leeren Bierflaschen auf dem Tisch, halbvollen Merchandise-Kisten, uralten Postern ihrer Lieblingsbands und losen Ersatzkabeln. Die verschlissene Eckbank, die lange Holztheke, der alte Küchentisch und der Kühlschrank, der nur sporadisch funktioniert – schon oft hatten Marlena und ihre Mitmusiker diesen Vorraum als Zuflucht, als Kreativschmiede, als Ort ausgelassener Bandpartys genutzt. Heute jedoch scheint ein Schleier der Frustration über den paar Quadratmetern zu hängen.
Nach und nach folgen die anderen ‚Freifahrtschein’e ihrer Sängerin in den Aufenthaltsraum. Tilman lässt sich auf einen der alten Klappstühle fallen und legt die Füße auf den Tisch, Tobi steuert den Kühlschrank an. Nur Lukas bleibt an der Verbindungstür stehen und blickt resigniert zu Boden. Sein lässiges Outfit aus einem verwaschenen Bandshirt und locker sitzenden Jeans kann seine Anspannung nicht verbergen, als er sagt: „Trotzdem. Du kannst die Leute nicht dafür verantwortlich machen, dass sie nicht Ruben sind. Das wird nie jemand sein.“ Der Resonanzraum der Worte ist riesig. Tobias öffnet sich ein Bier, reicht Marlena auch eins, setzt sich zu ihr auf die Eckbank.
Stille breitet sich in der gemütlichen Sitzecke aus. Alle hängen ihren Gedanken nach. Nach einigen Minuten bricht Marlena das Schweigen und hebt ihre Flasche.
„Tja. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an Tony und seine blöde Metalband. Auf dass ihr Typen Spaß mit unserem Keyboarder habt!“
„Mein Gott, Marlena, wir haben’s geschnallt“, schallt es von der Tür her. Frank ist sichtlich verstimmt. „Ruben ist einfach der Geilste und eh nicht zu ersetzen, und du bist verdammt sauer auf ihn, dass er ‚Freifahrtschein’ im Stich gelassen hat, weil er sich seinen beschissenen Traum verwirklichen will. Willst du die Band jetzt auflösen? Ist es das, was du willst?“
Wie jedes Mal, wenn Frank seine „Ich bin Profi, hab dich durchschaut und erzähl dir jetzt mal, wie die Welt funktioniert“-Masche ausspielt, trifft es Marlena bis ins Mark. So viel Theatralik!
„Nein, verdammt. Aber du musst mal langsam kapieren, dass ‚Freifahrtschein’ keine Schulband mehr ist, die sich das Risiko leisten kann, in drei Monaten wieder ein neues Bandmitglied suchen zu müssen!“ Hitzig steht die Sängerin auf. „Wir gehen ab nächsten Monat auf Headliner-Tour, unsere Mucke wird im Radio gespielt, wir haben ‘ne Fancommunity und sind zumindest mit einem Auge im Fokus der Presse – sorry, aber da reichen zehn Jahre Klavierunterricht und ein nettes Lächeln einfach nicht aus! Wir brauchen Verlässlichkeit, wir brauchen Leidenschaft, wir brauchen Chemie auf der Bühne, Frank!“
Wenn Frank Baltes eins hasst, dann ist es, belehrt zu werden. Wütend funkelt er Marlena an. „Kind, ihr habt einen verdammten Ruf zu verlieren! Ich glaube, dir ist der Ernst der Lage nicht bewusst – wenn ihr kommende Woche keinen Ersatz für Ruben habt, könnt ihr langsam aber sicher anfangen, Konzerte abzusagen! Und dann brauchst du auch keine Chemie mehr auf der Bühne, weil ihr dann nämlich verdammt nochmal in eurem beschissenen Proberaum verrottet.“
Lukas hebt abwehrend die Hände. Er scheint zu seinem diplomatisch-selbstsicheren Ich zurückgefunden zu haben. „Hohoho, jetzt schlagt euch mal nicht die Köpfe ein, Kinners!“ Ruhig legt er Marlena eine Hand auf die Schulter und drückt sie sanft auf die Sitzbank zurück, um sich gleich darauf neben sie fallen zu lassen. Mit beruhigendem Blick sieht er den wütenden Bandmanager an, stützt seine Arme auf der Tischplatte ab, als wolle er einen Vortrag halten. „In einem muss ich Marlena Recht geben, Frank. Der Typ hat wirklich nicht zu uns gepasst. Du kannst keinen Tastenperfektionisten, der alles vom Blatt abspielt, in eine dynamische Live-Band stecken und erwarten, dass der das Ding zum rocken bringt! Das funktioniert nicht, und vor allem funktioniert das nicht mit nur zwei Wochen Zeit bis zum nächsten Gig. Wir sind alle frustriert, glaub mir das bitte. Aber anstatt uns jetzt noch gegenseitig die Haare auszureißen, sollten wir lieber überlegen, wie es weitergehen soll.“
Frank schnaubt und greift nach seinem Schal. „Okay. Das hier führt jetzt zu nichts. Einen hab‘ ich noch, Leute, danach müsst ihr selber zusehen, wo ihr ‘nen Ersatz für euren Keyboardgott herbekommt.“ Er klopft auf den Tisch und wendet sich zur Tür. „Morgen, 18 Uhr hier. Seid pünktlich.“
„Verrätst du uns wenigstens noch seinen Namen?“, hält Tobias den Manager auf. Im Umdrehen sagt Frank: „Sascha oder so was, irgendwas mit S. Der Typ ist gut, stand schon mit ungefähr jeder namhaften deutschen Coverband auf der Bühne. Ist mir von ‘nem Bekannten empfohlen worden.“ Bedeutungsvoll hält er inne. „Seid nett zu ihm!“ Dann verschwindet er und die schwere Stahltür des Aufenthaltsraums fällt zu.
Aus dem Augenwinkel sieht Marlena, wie Lukas neben ihr ergeben die Augen schließt und sich die dunkelblonden Haare rauft. „Boah, kann den Typ mal bitte jemand umbringen?“ Tilman macht eine ausladende Handbewegung und grinst amüsiert. „Er ist euer Freund, ihr habt den angeschleppt“, sagt er bedeutungsvoll und schielt zu Marlena, die sich seit ihrem Ausbruch noch nicht wieder gerührt hat. Die Sängerin seufzt leise. Jetzt bitte nicht noch Diskussionen über die Band-Innenpolitik! Ihre Frustration ist sowieso schon grenzenlos, denn Frank hat leider Recht: Sie ist verletzt und wütend, weil Ruben die Band verlassen hat – so unfair das auch sein mag.
Sie piddelt das Etikett ihrer Bierflasche ab und schüttelt den Kopf. „Ich könnt‘ ihn grad auch durch die Tür treten, aber ihr dürft nicht vergessen, wie viel Gutes er schon für ‚Freifahrtschein’ bewegt hat. Ohne Frank hätten wir Tobi niemals gefunden, wir hätten niemals irgendeine Booking-Agentur dazu überredet bekommen, mit uns eine Tournee zu planen, und ob irgendjemand von uns die Hartnäckigkeit und die Connections gehabt hätte, unsere Musik ins Radio zu katapultieren, wage ich auch mal stark zu bezweifeln.“ Sie setzt sich auf. „Von der Kohle, mit der er in dieser Unternehmung drinsteckt, mal ganz abgesehen.“
Lukas winkt ab. „Ja, schon gut, er hat Recht. Wir müssen uns zusammenreißen.“
Tilman sieht sie mit festem Blick an. „Ja. Er aber auch.“
Marlena erwidert seinen Blick. Sie weiß, was er meint. Manchmal genießt Frank seine Stellung in der Band eben einfach zu sehr.
Eine Stunde später verlassen die vier Freunde den Proberaum. Es ist dunkel, draußen hat es wieder zu schneien angefangen. Tobi und Tilman verabschieden sich schon auf dem Parkplatz des großen Hallenkomplexes im Industriegebiet, sie sind noch mit Freunden auf ein Bier in Ehrenfeld verabredet. Lukas und Marlena steuern über den verschneiten Innenhof auf Lukas‘ Auto zu. Marlena fröstelt, als sie sich auf den kalten Sitz fallen lässt. „Meine Fresse, ist das kalt. Weihnachten ist vorbei, der Frühling darf jetzt gerne seinen Dienst antreten!“ Lukas lächelt, während er den Motor startet. Er wirft seiner besten Freundin einen Seitenblick zu. „Wir können froh sein, dass Winter ist. Hätten wir keine saisonbedingte Konzertpause gehabt, wäre Rubens Ausstieg ganz schön scheiße gewesen. Dann hätten wir echt Konzerte absagen müssen.“ Marlena nickt im Dunklen. Stille durchflutet das Auto.
„Is‘ doch alles zum Kotzen“, sagt die 30-Jährige irgendwann leise. Lukas greift nach ihrer Hand, während er sich in den Verkehr einordnet. „Ruben ist einfach ein guter Keyboarder gewesen. Is‘ doch klar, dass es uns jetzt nicht leichtfällt, ihn zu ersetzen. Aber jetzt muss es weitergehen.“ Er hält bedeutungsvoll inne. „Und das wird es, wirst sehen.“
Ich hoffe es, denkt Marlena, als sie vor ihrer Wohnung in Köln-Deutz aussteigt und die Wohnungstür aufschließt. Ich hoffe es sehr.
***
Tilman und Tobias sitzen währenddessen an einer Bahnhaltestelle in Köln-Buchforst und unterhalten sich über dasselbe Thema.
„Ich könnt‘ Ruben echt vierteilen, Mann.“ Tilman dreht sich eine Zigarette und starrt dabei düster auf die Bahnschienen. „Fünf Jahre haben wir in diese verflixte Band gesteckt. Fünf gottverdammte Jahre! Und jetzt, wo es so richtig losgeht, haut er ab.“
Der Schneefall verdichtet sich. Schon seit mehr als zehn Minuten zeigt die elektronische Anzeige der Bahn den grellen Schriftzug „Linie 3 Mengenich 5 Min“ an. Noch immer keine Spur von hellen Lichtern in der Ferne. Tobi gähnt und streckt die Beine von sich. „Ach weißt du, Tilman, ich kann ihn verstehen. Ich meine, wenn wir ehrlich sind, dann sind wir alle ein bisschen neidisch, aber wir haben immer gewusst, dass er nicht ewig bei uns bleibt.“
Tilman legt die Stirn in Falten. „Ist das so? Ich hab‘ das nicht gewusst.“
Tobi lacht trocken auf. „Ach erzähl doch keinen Scheiß! Seit wir fünf uns kennen, treibt Ruben uns in jeder freien Minute mit seiner Metalmucke in den Wahnsinn. ‚Guck mal, Tony und seine Band gehen wieder auf Tour‘, ‚Guck mal, die haben ‘ne neue DVD veröffentlicht‘ – ich konnt’s schon nicht mehr hören. Dieser Mensch ist musikalisch wandelbar, und davon haben wir jahrelang profitiert, aber sein Herz hat immer für Power Metal geschlagen.“ Er sieht Tilman fest in die Augen. „Und mal ehrlich – kannst du ihm verübeln, dass er seinen Traum verwirklichen will, wenn er ihm schon so auf dem Silbertablett serviert wird? Ich kann’s nicht.“
Mürrisch zündet Tilman seine Zigarette an. Tobi hat Recht, das weiß er ganz genau. Es ist noch nicht einmal so, dass Ruben aktiv dafür gearbeitet hat, in einer anderen Band spielen zu können. Er kannte nur einfach die richtigen Leute, und als der ehemalige Keyboarder seines langjährigen Kumpels aus Finnland im vergangenen Herbst aus gesundheitlichen Gründen die Band verlassen musste, hatte man ihn angerufen – und ihm die Chance seines Lebens geboten. Missmutig verzieht Tilman den Mund. Das einzige, was ihn nervt, ist die Tatsache, dass diese Chance das Leben von vier weiteren Menschen so gravierend beeinflussen muss.
„Ich nehme ihm ja gar nichts krumm“, seufzt er und bläst den Rauch durch die Nase aus. „Und ey – ich bin auch kein Kollegenschwein: Das alles ist ‘ne geile Sache für ihn, keine Frage.“ Er sieht Tobi von der Seite an. „Aber du musst schon zugeben: Zeitlich ist das für uns alles ganz schön suboptimal gelaufen.“
Tobi nickt, da kann er leider nicht widersprechen. Sie alle, inklusive Ruben, waren einfach naiv gewesen – hatten gedacht, es werde sicherlich kein Problem sein, das Album noch gemeinsam einzuspielen und auch die ursprünglich klein geplante Tournee noch in der alten Besetzung zu wuppen. Doch dann war Ruben plötzlich ständig in Finnland gewesen. Die Aufnahmen der ‚Freifahrtschein‘e hatten sich verzögert, immer mehr Tour-Termine waren eingetrudelt - ja, und dann, kurz vor Weihnachten, war Ruben eben von seinen neuen Bandkollegen vor vollendete Tatsachen gestellt worden: Ab Januar brauchen wir dich fest für Promotion-Termine und Tourvorbereitungen in Finnland. Wie ein Häufchen Elend hatte er am Proberaum-Tisch gesessen und ihnen die „frohe Botschaft“ überbracht – dass er vor lauter Schuldgefühlen nicht in Tränen ausgebrochen war, war alles gewesen.
Einen Moment lang hängen beide Musiker ihren Gedanken nach. Die Anzeigetafel ist endlich auf zwei Minuten runtergesprungen. Tilman steht auf und hüpft zweimal auf und ab, um sich wieder etwas aufzuwärmen. Die Kälte ist fast nicht auszuhalten.
„Ich finde, anstatt jetzt Trübsal zu blasen, sollten wir Ruben sein Glück gönnen und uns freuen, dass er dazu beigetragen hat, dass wir heute da stehen, wo wir jetzt sind“, ist es wieder Tobi, der versucht, fröhlichere Töne anzuschlagen. Er grinst Tilman an. „Ich meine, hallo? Hättest du vor ‘nem Jahr gedacht, dass wir jetzt schon im Januar über vierzig Auftritte fest gebucht haben würden? Dass wir verdammt nochmal in der LIVE MUSIC HALL spielen würden?“ Er lacht. „Dass mich Mädels im Supermarkt ansprechen, ob ich nicht der Bassist von der Band mit diesem Lied aus dem Radio bin, wie hieß das noch gleich...?“ Tilman schmunzelt belustigt. „Wann is‘ dir das denn passiert?!“ Tobi zuckt die Achseln und lacht. „Tja.“
Gedankenverloren schüttelt Tilman den Kopf. „Ey Alter, wir haben Fans, ist dir das klar? Echte Fans. So viele, dass wir Clubs in ganz Deutschland vollmachen können.“ Er lacht kurz auf. „Wann ist das denn passiert?“
Tobi blickt die Bahnschienen entlang. Endlich tauchen zwei kleine Lichter in der Ferne auf. „Irgendwann im letzten Jahr. Ich glaub, ich war da krank oder so.“ Ehe sie weiter über ihren beginnenden Erfolg fachsimpeln können, hält endlich die Bahn neben ihnen. Die Nacht kann beginnen.

Marlena sitzt am Frühstückstisch in ihrer Wohnung und liest Zeitung, als das Telefon klingelt. Sie erkennt die Nummer sofort. Bis nach dem fünften Klingeln zögert sie abzuheben, entscheidet sich schließlich aber doch dafür.
„Schuster?“
„Gottlob hier. Hallo Frau Schuster.“
„Frau Gottlob. Schönen guten Tag.“
„Ich wollte mich erkundigen, ob es Ihnen gut geht.“
Marlena verzieht das Gesicht. Diese Frau verschwendet keine Zeit.
„Mir geht es gut. Danke. Ist nur recht viel zu tun momentan.“
„Ach wirklich?“ Nachdrückliches Schweigen.
Marlena räuspert sich. „Ja. Wissen Sie, wir stehen ja kurz davor, mit ‚Freifahrtschein’ auf Tour zu gehen, und unser Keyboarder hat uns kurz vor Weihnachten verlassen, weil…“
„Frau Schuster, Sie haben zwei Sitzungen verpasst. Die eine haben Sie aus fadenscheinigen Gründen abgesagt, zu der anderen sind Sie einfach nicht erschienen. Was ist los?“
Die Sängerin muss schlucken. Sie hätte wissen müssen, dass sie damit nicht durchkommt.
„Ich...Frau Gottlob, wissen sie, mir geht es wirklich gut momentan. Ich habe viel zu tun, komme wenig zum Nachdenken. Machen Sie sich bitte keine Sorgen.“
„Frau Schuster, es geht nicht darum, dass ich mir Sorgen mache. Ich bin nicht Ihre Mutter, der Sie Rechenschaft darüber ablegen müssen, warum Sie gestern Nacht nicht nach Hause gekommen sind. Aber als Ihre Therapeutin muss ich Ihnen einfach sagen, dass Sie sich Ihnen selbst gegenüber momentan grob fahrlässig verhalten. Das wird sich noch bitter rächen.“ Irene Gottlob schweigt einen Moment und fährt dann mit sanfterer Stimme fort. „Es ist noch nicht vorbei, das wissen Sie doch, oder?“
Mehrere Sekunden lang kann Marlena nicht antworten. Mit leerem Blick sieht sie aus dem Fenster in den trüben Morgen hinaus. Die Bäume im Garten hinter ihrem Haus kommen ihr mit einem Mal sehr bedrohlich vor.
„Ich weiß, Frau Gottlob.“ Sie holt Luft, um die Angst, die ihr langsam den Rücken hochkriecht, zu vertreiben. „Wann haben Sie den nächsten freien Termin?“
***
Einige Stunden später schlägt Frank Baltes auf dem Parkplatz vor dem ‚Freifahrtschein’-Proberaum seine Autotür zu. „Simon! Wie schön“, begrüßt er den großen, unter einem dicken Schal vermummten Mann, der lässig gegen die Backsteinmauer des Proberaumkomplexes gelehnt auf ihn wartet. „Du wirst sehen, die vier sind großartig“, ruft er bereits, als er noch gar nicht bei dem neuesten Keyboard-Anwärter angekommen ist und mit großen Schritten über den Schotterparkplatz eilt. Sein Grinsen wirkt festgetackert, nicht aufrichtig. Simon Voigt erwidert sein Lächeln um einiges distanzierter. Typen wie Frank kennt er nur allzu gut, die Musikbranche wimmelt nur so von ihnen. Er fühlt sich in ihrer Gegenwart immer so, als würde ihm ein übereifriger Immobilienmakler eine völlig überteuerte Wohnung andrehen wollen. Eine, bei der sich der Schimmel durch die Wände frisst.
„Ich bin gespannt“, erwidert der Keyboarder lapidar und stößt sich von der Wand ab. Das ist er wirklich. Seit mehr als einem halben Jahr sucht er nach einer Band, in der er seine Ideen einbringen und sich verwirklichen kann. Als Aushilfsmusiker mit vielen verschiedenen Bands zu spielen macht Spaß, es fordert ihn und bringt vor allem Geld. Doch schon mit neunzehn Jahren war Simon von seinem Klavierlehrer gesagt worden, dass er seine Zeit verschwende, wenn er nur als Auftragsmusiker arbeite; damals hatte er gerade in einer ‚Bon Jovi‘-Coverband als Keyboarder angefangen. Fast fünfzehn Jahre hatte es bis zu der Einsicht gedauert, dass sein Mentor Recht hatte: Nur vom Blatt zu spielen reicht Simon schon lange nicht mehr. Er will Songs schreiben. Er will arrangieren. Er will Musik machen, nicht nur spielen. Egal, ob die Musikbiz-Maschinerie ihn dafür feiern wird oder nicht.
Frank öffnet die Tür zum Gebäude und lässt dem Musiker den Vortritt in den großen Proberaumkomplex. „Insgesamt residieren hier 16 Bands verschiedenster Richtungen. Die ‚Freifahrtschein’e haben den größten und letzten, ganz hinten durch.“
Verständnisvoll nickend hört Simon dem Manager mit halbem Ohr zu. Er hat schon in weitaus schöneren und in weitaus abgeranzteren Etablissements geprobt. Franks Nervosität ist geradezu nervtötend. Als er ihm letzte Woche im Proberaum seines Kumpels Mario vorgestellt wurde, war ihm das gar nicht so aufgefallen. Leise seufzt Simon. Das kann ja heiter werden.
Die Tür am Ende des Flurs öffnet sich. „...mach mir schon mal ein Bier auf, Alter, ich muss nur kurz telefonieren.“ Ein großgewachsener, dunkelblonder Typ in Karohemd und Ziegenbart kommt aus dem Raum. Franks Körper versteift sich, so groß ist seine Angst um den guten Ersteindruck. In Simons Augen wird der Manager immer lächerlicher.
„Tilman, darf ich dir Simon Voigt vorstellen? Er spielt Keyboard“, erklärt er unnötigerweise. Als wäre das nicht völlig klar!
Tilman grinst vielsagend und hält Simon die Hand hin. „Hey, ich bin Tilman.“ Er zwinkert ihm zu. „Cool, dass du da bist. Ich bin der Drummer von ‚Freifahrtschein’.“ Er wendet sich an Frank. „Geht doch schon mal rein, Tobi und Luke sind auch schon da. Ich muss nur noch mal kurz vor die Tür, dann können wir schon mal ne Runde jammen.“ Auf Anhieb ist der Schlagzeuger Simon sympathisch. „Jo, gerne.“ antwortet er, während Frank fast hektische Flecken bekommt. „Es ist schon kurz vor sechs, wo ist denn Marlena?“ Im Weglaufen ruft Tilman ihm hinterher. „Die hat ‘nen spontanen Arzttermin.“ Er dreht sich kurz um und wirft Frank einen bedeutsamen Blick zu. „Ist wichtig.“
Frank nickt unwirsch und schiebt Simon vor sich in den Proberaum. Natürlich hat er Tilmans Blick verstanden. Aber Vereinbarung ist verdammt noch mal Vereinbarung, oder etwa nicht?
***
Marlena steht währenddessen am Hauptbahnhof an ihrer Bushaltestelle und flucht. Mit dem Bus von hier zum Proberaum zu kommen wird ewig dauern! Ihre Therapeutin hatte ihr kurzfristig nur noch diesen einen Termin anbieten können und ihr gleichzeitig sehr ans Herz gelegt, ihn doch bitte auch wahrzunehmen – schließlich sei die letzte Sitzung ja nunmehr schon drei Wochen her. Frank wird ausflippen! Das ist überhaupt keine Frage.
Doch nicht nur das bevorstehende Casting sorgt dafür, dass Marlenas Kopf brummt. In Gedanken ist sie schon bei der bevorstehenden Tour – geht Termine durch, denkt über Setlisten und Durchlaufproben nach, überlegt, was noch alles mitzunehmen ist. Zwar liegt die Organisation der Tournee selbst ganz klar in Franks Händen und für die technische Abwicklung vor Ort ist eine Tour-Crew zuständig, sodass Marlena sich weder um Hotelbuchungen und Gespräche mit Veranstaltern noch um Transport oder Aufbau ihres technischen Equipments kümmern muss. Aber Marlena wäre nicht Marlena, wenn sie bei den Dingen, die direkt um sie herum passieren, nicht zumindest mitdenken oder nachfragen würde – schließlich ist es noch nicht allzu lange her, dass sie sich um das Management von ‚Freifahrtschein’ mit Lukas‘ Hilfe allein gekümmert hat. Diese Tournee wird die erste, zusammenhängende Clubtour der ‚Freifahrtschein’e sein, und die Tatsache, dass sie keine Ahnung hat, was genau auf sie zukommt, macht ihr zugegebenermaßen ein wenig Angst.
Vier Tage die Woche werden sie on the road sein, was eigentlich sogar ungewöhnlich wenig ist für eine Deutschlandtournee. Die allermeisten Bands sind wochenlang am Stück unterwegs und gönnen sich zwischendurch lediglich ein paar Off-Tage in den jeweiligen Tourstädten. Dass das bei ‚Freifahrtschein’ anders ist, liegt an ihr, Marlena, allein – und dass das so sein muss, ist für sie auf der einen Seite ein gewaltiger Dorn im Auge, auf der anderen aber auch ein unbezahlbares Geschenk, welches sie sehr zu schätzen weiß – besonders jetzt, nachdem sie die vergangene Stunde mal wieder im Büro von Irene Gottlob verbracht hat.
Ihr Handy klingelt genau in dem Moment, als die Buslinie 260 endlich um die Ecke biegt. Sie kennt die Nummer. „Schuster, is’ ganz schlecht grad“, witzelt sie nur halb ernst. Der Bus öffnet seine Türen und sie steigt ein, in der Tasche noch nach ihrem Ticket kramend.
„Linda hier. Hast du morgen Abend schon was vor?“
Marlena lässt sich auf einen der vorderen Sitze fallen und seufzt leise. Auch wenn es ihre beste Freundin ist, für Freizeitplanungen am Telefon hat sie jetzt entschieden keine Zeit – so ernst war ihre Begrüßung dann doch gewesen.
„Was genau an ‚Is’ grad schlecht‘ hast du nicht verstanden, Schatz?“, fragt sie liebevoll. Im Grunde freut sie sich riesig, von Linda zu hören. Viel zu selten hat sie sie gesehen in den vergangenen Wochen.
Linda lacht leise. „Also was ist nun, kannst du, oder kannst du nicht?“, geht sie gar nicht erst auf den Widerstand ihrer Freundin ein.
„Warum denn?“
Ein Seufzen. „Weil wir, wenn du kannst, den Musical Dome aufsuchen und uns ‚Cats‘ angucken.“
Jetzt muss Marlena lachen. „Warum das denn bitte? Du hast dich doch die letzten zwei Monate auch erfolgreich darum gedrückt. Hast du bei André was gut zu machen?“
Seit etwa einem halben Jahr hat Linda ein Verhältnis mit dem Musicaldarsteller André Hess. Einer der vielen Schönheitsfehler an dieser Beziehung: Linda hasst Musicals.
„Pft, dem geht das doch sowieso am Arsch vorbei.“ Das wiederum lässt Marlena aufhorchen. Ihre Freundin zu einem gemütlichen Musicalbesuch zu begleiten ist die eine Sache. Ihr eine gute Freundin zu sein, wenn sie gebraucht wird, eine ganz andere. „Was ist passiert?“, fragt sie und beobachtet aus dem Augenwinkel eine junge Frau, die sie aus der Sitzreihe schräg gegenüber zu beobachten scheint. In letzter Zeit ist es häufiger geworden, dass die Leute sie auf der Straße erkennen – und auch wenn es bisher selten vorgekommen ist, dass sie tatsächlich angesprochen wurde, ist Marlena sich in solchen Situationen immer überaus bewusst, dass im schlimmsten Fall jedes ihrer Worte mitgehört werden könnte. Ein Gefühl, das ihr überhaupt nicht gefällt.
„Wir sehen uns kaum noch“, holt Linda sie wieder zurück in ihr Telefongespräch. „Seit diesem beschissenen Engagement bei ‚Cats‘ ist André nur noch im Musical Dome. Und für ‚Lindsey’s Dream of Hollywood‘ hat er auch keine Zeit mehr.“ Was für Marlena ihre Band ‚Freifahrtschein‘ ist, ist für Linda ihr Singer-Songwriter-Projekt. Mit André.
„Aber hast du nicht gesagt, dass er ‘nen Halbjahresvertrag über sechs Shows die Woche hat?“, bemüht sie sich, leise zu sprechen. „Wenn die keine regulären Zweitbesetzungen bei ‚Cats‘ haben, ist das ein Knochenjob, Linda.“
Marlena kann den Musicalsänger, auf den ihre beste Freundin sich da eingelassen hat, zwar auf den Tod nicht ausstehen, aber sie ist selbst viel zu sehr mit musikalisch bedingten Zeitproblemen vertraut, um ihn jetzt nicht wenigstens pro Forma in Schutz zu nehmen.
„Ich weiß. Ich werf‘ ihm ja auch gar nichts vor. Da hab‘ ich ja auch gar nicht das Recht zu.“ An Lindas Stimme ist deutlich zu hören, dass da noch etwas anderes ist. Marlena hakt trotzdem nicht weiter nach. Das muss warten. Zumindest, bis sie aus diesem Scheiß-Bus raus ist.
„Ich will ihn halt nur mal wiedersehen, weißt du?“, fügt Linda nach einer Schweigesekunde hinzu. Auch, dass es ziemlich fragwürdig ist, einen Bühnenauftritt des Mannes, in den man offenkundig ganz schön verschossen ist und mit dem man seit über sechs Monaten schläft, als Wiedersehen zu bezeichnen, wird Marlena Linda später sagen müssen. Sie schließt die Augen. Das Gespräch wird klasse, so viel ist klar.
„Okay, ich bin dabei“, stimmt Marlena dem Musicalabend zu. Sie wollte sich ‚Cats‘ ohnehin ansehen, solange die Produktion in Köln bleibt. „Ich muss jetzt trotzdem Schluss machen. Ich komm zu spät zu unserem gefühlt zweimillionsten Keyboardercasting.“
„Ich drück euch die Daumen! Ich lass uns dann über André auf die Gästeliste setzen, okay?“, erwidert Linda.
„Ist gut. Bis morgen dann.“ Marlena steht auf und macht sich fürs Umsteigen in den nächsten Bus bereit. In gut 25 Minuten müsste sie am Proberaum ankommen... 45 Minuten nach anberaumtem Beginn des Castings.
***
„Na, dann zeig mal, was du draufhast.“ Lukas setzt seine Kappe ab und wirft dem neuen Keyboard-Anwärter einen aufmunternden Blick zu. Die vier Musiker haben sich gerade im Proberaum eingefunden. Frank ist im Aufenthaltsraum geblieben, „zum Telefonieren“, – wahrscheinlich hat er einfach keinen Nerv mehr, einen weiteren Tastenschläger scheitern zu sehen.
„Okay, was wollt ihr hören?“, fragt Simon, und lässt sich auf den Keyboardhocker fallen. Er wird auf einem der alten Probenkeyboards von Ruben spielen, die dieser vorrübergehend noch dagelassen hat. Gedankenverloren klimpert er ein paar Töne, um die Klaviatur anzutesten. Tilman beugt sich hinter seinem Drumset nach vorn. „Frank hat dir gemailt, was wir so spielen?“
Simon nickt. „Woll’n wir mal mit ‚Analog‘ anfangen?“ Tilman macht eine zustimmende Handbewegung und wirft Lukas unauffällig einen bedeutungsvollen Blick zu. Mit ‚Analog‘ wollte noch keiner der bisherigen Keyboarder anfangen. Das Stück gehört in Sachen Keyboardsounds und Spielweise zu den anspruchsvollsten im Set – so minimalistisch die Nummer auch ist: Hier steigt und fällt alles mit der Stimmung, die der Mann an den Tasten transportieren und vorgeben kann. Tobi lehnt sich zurück. „Na dann los. Fang mal an, wir setzen dann ein – heute stehst du im Fokus!“
Simon schließt die Augen und atmet durch. Er weiß, die Jungs musikalisch zu beeindrucken sollte ihm nicht schwerfallen. Nicht nur, dass er jahrelange Banderfahrung hat, ‚Analog‘ gehört auch zu seinen Lieblingsliedern, seit er zum ersten Mal in Franks Demo-CD der Band reingehört hat.
Die Nummer wirkt beim ersten Hören monoton, fast hypnotisch und sehr simpel, fordert ihn am Keyboard aber durch ihr sphärisches Sounddesign heraus und erlaubt ihm, ein bisschen zu experimentieren – kurzum: Es ist keine seichte Popnummer, die man einfach mal so herunterspielt. An solchen Stücken hatte er immer schon am meisten Spaß. Aber zu guter Musik gehört auch die Chemie zwischen den Musikern. Ob die stimmt, ist er selbst gespannt. Er greift den Anfangsakkord und beginnt zu spielen. Im Kopf geht er kurz die Melodie durch, dann lässt er sich in sein Spiel fallen. Die Umgebung verschwimmt, wichtig sind nur noch seine Hände und das Keyboard. Wie jedes Mal, wenn er die Tasten unter seinen Fingerspitzen spürt, fühlt er sich zuhause.
Lukas beobachtet den Keyboarder wachsam. Mit jeder Note merkt man, wie viel Erfahrung, wie viel Freude in seinem Spiel steckt. Er lächelt, als er seine ersten Töne spielt. Das könnte was werden, denkt er. Ja, eindeutig.
***
Als Marlena den Aufenthaltsraum betritt, ist die Combo bei ‚Sintflut‘ angelangt – nur klingt es dieses Mal um Längen besser als bei den letzten Castings. Erfreut legt die Sängerin den Kopf schief und lauscht, während sie ihre Jacke an den Haken neben der Tür hängt. Frank, der mit seinem Handy in der Sitzecke hockt und offenbar Mails beantwortet, während die Jungs drinnen seinen Schützling in die Mangel nehmen, schaut mit demonstrativ vorwurfsvollem Blick auf. „Du bist spät“, sagt er. Marlena nickt nur. Sie hat weder Lust, Frank von ihrem Termin bei Frau Dr. Gottlob zu erzählen, noch sieht sie eine Veranlassung dazu. Er weiß eh längst Bescheid, wo sie war – dafür werden die Jungs schon gesorgt haben. „Es gibt wichtigeres als Castings, weißt du?“, murmelt sie deshalb gereizt und geht zielstrebig an ihrem Manager vorbei. Frank zischt durch die Zähne. „Deine Haltung kann mich echt nur wundern“, sagt er, ohne Blickkontakt zu suchen. Eine Diskussion würde jetzt eh nichts bringen.
Marlena legt ihre Tasche ab und konzentriert sich auf die aus dem Proberaum dringenden Töne. Gerade ist die Band im zweiten Refrain angekommen, danach kommt sie: Ihre Lieblingsstelle, mit Rubens epischem Synthi-Solo und dem anschließenden Übergang in das gesangliche Finale des Songs.
Es ist schwer zu überhören, dass der Keyboarder gut ist. Souverän und ungezwungen klimpert er seine Figuren in die Bridge, als hätte er schon viele Male mit den anderen Bandmitgliedern geprobt. Der Typ hat seine Hausaufgaben gemacht, stellt Marlena fest.
Anstatt direkt in den Proberaum zu gehen, bleibt sie kurz an der Türe stehen und hört von draußen zu. Sie will nicht riskieren, dass die Band ihr Spiel unterbrechen muss, dafür sind die Jungs viel zu sehr im Flow. Tilman und der Keyboarder liefern sich gerade ein Duett aus Akzenten, wie es nur geübte Musiker beim ersten Mal hinbekommen können. Sie schließt die Augen.
Und nach Dir die Sintflut
Ich habe viel zu lang geträumt
Und nach einem Grund gesucht
Der uns wieder vereint
Und nach Dir die Sintflut
Nicht mal ein Sturm vor dem ich ruh’
Alles was danach kommt
bist nicht du
Der Text fließt durch ihren Kopf und wird eins mit der Musik. Dass sie mitsummt, bemerkt sie nicht. Das einzige, was sie hört, ist dieses grandiose Keyboardspiel. Wenn er jetzt noch nett ist, haben wir gewonnen!
Ein kleines Lächeln verirrt sich auf Marlenas Lippen, bevor sie die Tür öffnet – und ihr alle Gesichtszüge mit einem Mal entgleisen.
„Simon?!“ Direkt, nachdem ihr dieser Ausruf über die Lippen gegangen ist, könnte Marlena sich dafür ohrfeigen. „Schuldig im Sinne der Anklage“ oder sonst irgendetwas betont Witziges wird Simon darauf antworten, das weiß sie ganz genau. Und wenn ihr nach einer Sache jetzt ganz sicher nicht zumute ist, dann nach lockerem „Long time no see“-Smalltalk auf der Gute-Laune-Welle.
Doch Marlena irrt sich. Gewaltig sogar. „Marlena. Schön, dich wiederzusehen“, ist alles, was Simon zur Begrüßung sagt. Er sieht anders aus als damals: Seine Haare sind nicht mehr so lang und fallen ihm heute nur noch knapp über die Schultern. Seine Rockerklamotten hat er auch zuhause gelassen, in ausgewaschener Bluejeans und einem leichten grauen Pulli sitzt er da hinter Rubens Keyboard, ein Bein über das andere geschlagen, und sieht sie an. Es liegt keinerlei Ironie in seinem Blick, keine Überheblichkeit – höchstens etwas Wachsamkeit mischt sich in sein verhaltenes Lächeln, während sich alle Augen im Proberaum auf Marlena richten. Was will der Kerl bloß hier, fragt sie sich.
„Wie schön, ihr kennt euch“, unterbricht Tilman grinsend Marlenas Gedanken. Ihr Blick bleibt zerstreut auf ihm hängen. „Ja, das tun wir wohl“, nuschelt sie.
Die kurze Stille, die auf diese knappe Antwort folgt, ist so unerträglich, dass sie fast dankbar ist, als Simon das Wort ergreift. „Marlena und ich sind uns über den Weg gelaufen, als ich noch als Keyboarder in einer ‚Bon Jovi‘-Coverband gespielt hab.“ Es ist fast abartig, wie souverän er wirkt.
„Ach echt? Kennt man die?“, fragt Tobi interessiert. Er war schon immer derjenige in der Band, der am wenigsten Gespür für heikle Situationen hatte – etwas, das Marlena in diesem Moment sehr zugute kommt.
„Könnte sein. ‚Tommy and Gina’?“
„Ach krass, ich glaub, die hab‘ ich mal auf ‘nem Stadtfest oder so gesehen! Ihr wart eigentlich ganz gut im Geschäft, oder?“ Tobi ist nicht aufzuhalten.
„Ja, aber ich bin schon seit drei, vier Jahren nicht mehr dabei“, antwortet Simon.
„Ach, wie kommt’s?“ Die Worte kommen schneller aus Marlenas Mund, als sie sich hätte bremsen können. Mit desinteressiertem Blick versucht sie ihre Neugierde zu kompensieren. Simon muss ja nicht gleich merken, dass diese Information sie brennend interessiert – auch wenn sie sich selbst nicht ganz erklären kann, wieso eigentlich.
Simon erwidert ihren Blick fest. Seine Worte wirken bedacht: „Es wurde einfach irgendwann zu viel. Außerdem kommt vermutlich für jeden mal der Punkt, wo er sich selbst verwirklichen möchte.“
Fast hätte sie aufgelacht. Sich selbst verwirklichen? Das klingt in ihren Ohren fast wie der Witz des Jahrhunderts.
Wieder ist es Tobi, der die Situation rettet. „Ja, das kann ich verstehen. Ich hab‘ auch früher mal Covermucke gemacht, aber die Freiräume, die du da hast, reichen echt nur dann aus, wenn du’s ausschließlich machst, um Kohle zu verdienen. Als Job? Okay. Aber als echter Herzblut-Musiker wird das auf Dauer einfach übelst langweilig.“
Ohne Marlena aus den Augen zu lassen, antwortet Simon: „Ja, irgendwann kommt der Moment, wo man sich fragen muss, wohin die Reise gehen soll. Man verliert sich irgendwann selbst, wenn man nicht aufpasst.“
Marlena wendet den Blick ab, fokussiert die Fingernägel an ihrer rechten Hand an. Sie kann ihn einfach nicht ansehen, ohne zu riskieren, dass er sieht, was in ihr vorgeht, was seine Worte bei ihr wecken. Die ganze Wut, die ganze Enttäuschung, die sie seit Jahren für begraben geglaubt hatte – plötzlich ist alles wieder da.
Dieses Mal ist es Lukas, der das Wort ergreift. Er spürt offenbar, dass die Situation kurz davor ist, zu kippen. Aufmunternd klatscht er in die Hände und greift wieder nach seiner Gitarre. „Kommt, lasst ma’ Musik machen. Quatschen können wir später immer noch.“
Tobi nickt in die Runde. „Ich hab‘ Bock, ‚Zeppelin‘ zu zocken.“
Innerlich schüttelt Marlena hektisch mit dem Kopf. Es ist völlig unvorstellbar, mit diesem Typ Musik zu machen – eigentlich kann er direkt wieder gehen, denn das hier ist keine Alternative! Und doch gibt es eine Sache, die ihr in diesem Moment noch wichtiger ist als ihn loszuwerden: Auf keinen Fall das Gesicht zu verlieren! Noch weniger als ihre Neugierde geht Simon nämlich an, dass sein Auftauchen sie nicht kalt lässt.
Also sinkt sie auf ihren Barhocker, blättert konzentriert in den Texten, die sie nicht braucht, und versucht, sich im Blitzdurchlauf auf die kommende Stunde vorzubereiten.
Reiß dich zusammen, ermahnt sie sich. Es wird nicht lange dauern.
Doch so sehr sie sich auch bemüht; Marlena ist nicht bei der Sache. Schon nach den ersten Takten ihrer schon tausend Mal gespielten Erfolgssingle ‚Zeppelin‘ verpatzt sie ihren Einsatz. Als sie im zweiten Durchlauf einsteigt, singt sie versehentlich die zweite, nicht die erst Strophe, was ihr einen argwöhnischen Blick von Tilman einbringt. Sie ärgert sich über sich selbst. Es kann doch wirklich nicht sein, dass dieser Typ nach all den Jahren so dermaßen ihre Welt durcheinander würfelt, dass sie es nicht mal mehr schafft, ihre eigenen Songs zu singen! Nein, das kann nicht sein, denkt sie entschlossen. Und deswegen wirst du ihm jetzt erst recht zeigen, wie gut du bist. Du brauchst ihn nämlich nicht! Du hast ihn nie gebraucht.
In der Bridge hat sie sich einigermaßen gefangen. Hangelt sich durch den Song, mit einer Entschlossenheit, als wäre es nicht Simons Casting, sondern ihr eigenes. Nicht verhindern kann sie allerdings, dass in jedem Lied, das die Band anspielt, eine große Portion Bitterkeit in ihrer Stimme durchklingt. So sehr sie sich auch bemüht, sie in ihrem Herzen einzuschließen und für später aufzubewahren – es ist einfach zu viel davon da.
Nach einer Weile klatscht Lukas in die Hände. „Okay kommt, lasst uns mal ne Runde quatschen. Dass Simon spielen kann, haben wir ja jetzt alle gehört.“ Bevor er in den Aufenthaltsraum geht, wirft er Marlena einen besorgten Blick zu. Er kennt seine beste Freundin. Irgendwas läuft hier gerade furchtbar schief.
Gemächlichen Schrittes folgt Marlena ihren Mitmusikern. Sie hat fest vor, nichts mehr zu sagen, bis Simon den Proberaum verlassen hat. Dann würde sie den Jungs erklären, aus welchem Grund er keine Alternative für sie sein kann. Jemals.
Während sie im Vorraum eine Runde Bier aus dem Kühlschrank holt, um Zeit zu schinden, wird ihr allerdings bewusst, dass das ganz schön schwierig werden könnte. Tobi ist nämlich schon wieder in ein angeregtes Gespräch mit Simon vertieft.
„Erzähl mal ‘n bisschen von dir“, sagt er und prostet Simon zu, der sich auf einen der Klappstühle gesetzt hat. „Wie bist du auf uns aufmerksam geworden?“
Simons Blick wirkt offen und ehrlich, als er zu sprechen beginnt. „Gute Frage. Also es ist so, dass ich nach ‚Tommy and Gina’ erst mal ‘ne ganze Weile gar keine Musik gemacht hab. Ich wusste einfach nicht, was ich musikalisch wirklich will – da musste ich erst mal den Kopf frei kriegen und was ganz anderes machen. Aber wie das mit uns Vollblut-Muckern eben so ist: Ganz ohne geht halt auch nicht! Also hab ich doch wieder angefangen, hier und da auszuhelfen, unter anderem in einer ‚Bee Gees‘-Coverband, deren Drummer ich noch von früher kenne. Wir kamen ins Plaudern, und als ich ihm erzählt hab, dass ich gerne wieder ein festes Projekt hätte, anstatt auf tausend Hochzeiten zu tanzen, sagte er, dass er Frank kennt und wisse, dass er gerade einen Keyboarder für ‚Freifahrtschein’ sucht.“
Tilman muss lachen. „Ja, die Musikbranche ist eigentlich echt klein – das ist schon krass. Irgendwer kennt immer irgendwen, der irgendwen sucht – und zack, sitzt du in irgendeinem Tourbus und weißt gar nicht so genau, wie du da jetzt hingekommen bist.“
Tobi prustet los. „Alter, du klingst, als wärst du so’n abgerockter Profimucker, der von Tina Turner bis zu den ‚Foo Fighters‘ schon mit JEDEM auf der Bühne gestanden hat und das alles total lame findet. Mach ma halb lang! Es ist jetzt nicht so, als wären wir alte Hasen in dem Business hier!“
„Du vielleicht nicht“, versetzt Tilman und zwinkert Simon zu.
Mit wissendem Blick schaltet sich Frank ein. „Aber Tilman hat Recht – du musst nur einmal irgendwie in Erscheinung treten und bei den richtigen Leuten den richtigen Eindruck hinterlassen. Alles andere läuft von allein – wenn du ‘n vernünftiges Management hast, zumindest.“ Tobi schielt rüber zu Tilman, der sich ein Grinsen nicht verkneifen kann. Klar, Frank weiß wieder mal genau, wie der Hase läuft…
„Okay – weiter im Text“, schaltet sich Lukas ein, um das Gespräch wieder auf ‚Freifahrtschein’ zu lenken. Er hat keine Lust auf Kabbeleien und sinnloses Gefachsimpel über Nonsens. Hier geht es schließlich gerade um etwas!
Simon fährt fort. „Ja, ich hab‘ dann auf jeden Fall mal in eure Mucke reingehört und hatte direkt Spaß daran.“ Er wendet seinen Blick Marlena zu. Eine gewisse Vorsicht liegt darin, als wisse er genau, dass das, was er jetzt sagen wird, auch nach hinten losgehen kann. „Außerdem muss ich sagen, dass es mich sehr reizen würde, wieder mit Marlena zu arbeiten. Die halte ich nämlich für ‘ne verdammt gute Musikern, die immer mit vollem Einsatz in ihren Projekten steckt, und die Zusammenarbeit mit ihr hat mir immer großen Spaß gemacht…“
Das ist zu viel. Marlenas Geduldfaden reißt, und es ist selbst für sie sehr überraschend, wie heftig ihre Reaktion ausfällt. Was bildet der Kerl sich eigentlich ein?
„Ich wünschte, das alles könnte ich auch von dir behaupten, Simon!“ Ihre Stimme klingt eiskalt.
Die Stille im Aufenthaltsraum ist mit einem Mal zum Zerreißen gespannt. Völlig entsetzt starren Frank und ihre Freunde Marlena an. Simon ist der Einzige, der nicht überrascht zu sein scheint. Mit ruhigem Blick sieht er sie an, bevor er mit sachlicher Stimme antwortet: „Vermutlich verdiene ich das, Marlena. Es hat gedauert, bis ich hier angekommen bin, und es mag sein, dass ich damals viele Fehler gemacht habe! Aber findest du nicht, dass es an der Zeit ist, diese alten Geschichten mal ruhen zu lassen und nach vorne zu blicken? Ich zumindest würde das gerne.“
Er hatte es gewusst, schon bevor er hier aufgetaucht war! Er hatte genau gewusst, dass sie ihn nicht würde sehen wollen. Diese Ansprache wirkt viel zu glatt, viel zu vorbereitet, als dass sie ihm spontan eingefallen sein könnte, das wird Marlena mit einem Mal klar. Und es macht sie unfassbar wütend, dass es genau diese Vorbereitungszeit ist, die ihr jetzt gerade fehlt – und die sie verdammt unsouverän aussehen lässt.
„Diese alten Geschichten? Sag mal, hast du völlig den Verstand verloren?“ Sie lacht voller bitterer Ironie auf und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch, bevor sie aufsteht. Nichts kann sie noch in diesem Sessel halten, an diesem Tisch, mit diesem Idioten! „Du hast vielleicht Nerven, hier aufzutauchen, und so zu tun, als müsse nur genug Wasser den Rhein runter laufen, damit wir zwei beide friedlich und als wiedervereinte Besties über die Bühnen dieser Welt hüpfen können wie zwei gottverdammte Glücksbärchis!“ Ihre Stimme wird laut. „Bühnen im Übrigen, die ICH mir in den vergangenen Jahren hart erspielt habe, lieber Simon, während du – was genau getan hast? Ach ja. Das, was du immer tust. In gemachte Betten hüpfen und dich darüber freuen, dass andere Leute die Arbeit für dich machen.“
„Marlena, es REICHT!“, grätscht Frank dazwischen. „Was du da sagst, ist unterhalb jeder Gürtellinie!“
Marlena explodiert förmlich. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um die Pseudo-Eltern-Karte auszuspielen! „Du halt dich da raus! Du hast überhaupt keine Ahnung, was damals passiert ist!“, brüllt sie ihren Manager an. „Du bist nicht derjenige, dessen Songs er verschandelt hat, die er im Regen stehen gelassen hat, x-Mal, weil ihm weiß Gott was oder wer dazwischen gekommen ist auf seiner großen Suche nach Ruhm und Reichtum!“ Sie verschränkt die Arme und sieht Simon von