Für Axel bricht eine Welt zusammen; hat er doch leichtsinnigerweise seine kleine Kostbarkeit, eine schöne, große Glasmurmel beim Klickerspiel verspielt.
Doch.... auf wundersame Weise gelangt sie wieder zurück zu ihm.
Ein langersehnter Wunsch wird endlich Wirklichkeit: Der Anführer der Jugendbande erlaubt ihm, obwohl er eigentlich noch zu jung ist, die Aufnahmeprüfung mit für ihn fast unlösbaren Aufgaben abzulegen. Mit Hilfe seiner kleineren Schwester, dem aufgeweckten Hund Mecki und seinem cleveren Cousin, gelingt es schließlich, nach vielen aufregenden Abenteuern in der Strohballenburg, dem Weidendschungel und in der Unterwelt der Kanäle.
Und dann ist da auch noch das Rätsel der verschwundenen Feuersalamander zu lösen. Hier kann Axel als furchterregendes Kürbiskopfmonster die Diebe überführen und beweist, dass er zu recht in der Bande aufgenommen wurde.
ISBN: 9783750453487
2. Auflage
© Alexander Becker 2019
Illustrationen: Alexander Becker
Kolorierung: Gabriele Sandmüller
Books on Demand GmbH, Norderstedt
Der Laut war kaum wahrnehmbar. Dennoch, er schreckte von seinen Schularbeiten auf, so vertraut war ihm der kurze, schrille Pfiff, der von der Straße her kam. So hatte er sich schon früher vor dem Kindergarten in den Pausen an der Mauer des Schwesternheims bemerkbar gemacht, um ihm ein Zeichen zu geben, dass er, der den Kindergarten nicht besuchen konnte, da war und ihm helfen wollte, wieder einmal über die Mauer zu klettern und abzuhauen. Oft war es den beiden auch gelungen und die Nonnen waren dann immer ganz aufgeregt hinüber zu seiner Mutter gelaufen, um ihr klar zu machen, dass das auf Dauer wohl nicht so weiter gehen könnte. Besonders erfolgreich waren die Fluchtversuche meist nicht, denn sehr schnell wurden die zwei von der Mutter im alten Gartenhäuschen aufgetrieben und Axel musste wieder in den ungeliebten Kindergarten zurück zu den strengen Ordensschwestern. Immerzu beten und singen, wo das Leben mit dem freien und unbeaufsichtigten Atzeler so viel interessanter und spannender war. Möglichst unauffällig schaute er von seinem Platz von der Eckbank aus hinüber zu seiner Mutter, die am Herd mit der Zubereitung des Mittagessens beschäftigt war.
Hatte sie es auch gehört?
Ein Glück, es sah nicht so aus, denn sonst hätte sie bestimmt reagiert, aber die Gasflammen waren voll aufgedreht und die Suppe fing auch schon an, geräuschvoll zu brodeln.
Er war also schon wieder draußen und ich sitze hier immer noch bei diesen blöden Hausaufgaben, dachte Axel verärgert. Die Sonne schien und es wurde allerhöchste Zeit, dass endlich die Sommerferien anfingen und er ohne Zwang auf der Straße, im Garten oder in den nahe gelegenen Feldern und Wäldern mit seinen Freunden spielen konnte.
Na ja, drei Tage noch, dann war es geschafft!
Doch noch saß er hier, musste sich mit Rechenaufgaben herumquälen und auf das Mittagessen warten. Außerdem nervte die kleine Schwester, die auf der anderen Seite der Eckbank saß. Sie blätterte geräuschvoll in den Comicheften, kritzelte mit entsetzlich quietschender Kreide auf der Schultafel herum, da sie ja unbedingt Schule spielen wollte, und quasselte ununterbrochen. In solchen Situationen konnte man den Atzeler nur beneiden, wegen seiner Unabhängigkeit. Seine Eltern gingen beide arbeiten, zumindest nahm man das an. Vielleicht saßen sie auch den ganzen Tag nur in Kneipen herum? Wer wusste das schon? Den Atzeler hat es offenbar nie gestört. Seine größeren Geschwister waren alle schon berufstätig und deshalb auch tagsüber meist unterwegs und seine kleine Schwester Renate übernahm mit ihren erst sieben Jahren die Küchenarbeiten, sorgte für das Essen und hielt die Wohnung einigermaßen in Ordnung. Aber so genau wusste man das nicht und es interessierte auch niemanden. Darüber sprachen die beiden nicht und lebten zufrieden in ihrer eigenen Welt. Nun, verhungert sahen sie auch nicht aus, sodass man annehmen konnte, dass sie ganz gut zu recht kamen, auch ohne ein geordnetes Familienleben. Aber Hausaufgaben machen und zu Hause lernen, das kannten sie offensichtlich nicht, denn wie sonst wäre es möglich, dass er jetzt schon wieder draußen war und nach Spielkameraden Ausschau hielt?
Verstohlen warf Axel einen Blick durch das Küchenfenster zur Straße.
Er saß wie immer auf der Mauer des Schwesternheimes, hielt in der einen Hand seine Mütze, entnahm dieser dunkelrote Kirschen und versuchte die Kirschkerne möglichst weit zu spucken. An der Anderen baumelte ein prall gefülltes Klickersäckchen. In dieser Art Lauerstellung ähnelte er sehr einer Spinne, die auf ihr nächstes Opfer wartete. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch durch das direkt hinter ihm stehende, uralte, mit Efeu überwucherte Jesus-Kreuz und daneben üppig wachsende Büsche, die ihm Schatten spendeten.
Oh nein, dachte Axel, ich nicht; diesmal gelingt es ihm nicht, mir meinen Klickerschatz abzuluchsen. Mit dem spiele ich so schnell nicht mehr, nachdem er das letzte Mal alle seine Klicker gewonnen hatte. Wie auch immer er es hinbekommt, er schafft es bei jedem. Ich werde nachher nur zugucken und auf keinen Fall riskieren, dass er meine neuen Klicker, die ihm erst gestern seine Tante aus der nahen Stadt mitgebracht hatte, zu verlieren. Viele bunt angemalte Tonklicker und dann, diese riesige Murmel aus durchsichtigem Glas. In der Mitte war eine Ellipse in allen Regenbogenfarben, die, hielt man sie in die Sonne, wunderschön funkelte und strahlte. So eine hatte niemand im ganzen Dorf. Er war deshalb seiner Lieblingstante um den Hals gefallen, bedankte sich überschwänglich und gab ihr spontan einen Kuss auf die Wange.
„Räumt jetzt mal den Tisch ab“, schreckte ihn seine Mutter aus seinen Gedanken, „das Essen ist fertig.“
Im Nu verschwand das Schulzeug und die Hefte mit lautem Knall in der Eckbank und die Mutter konnte die Teller mit der gutriechenden, dampfenden Nudelsuppe auf den Tisch stellen.
„Möchte noch jemand ein Ei in die Suppe haben?“ fragte sie die beiden Kinder.
„Ja, Mama, aber nur, wenn man dann auch noch die Buchstaben sehen kann“, antwortete Jenny, die schon ganz wild darauf war, die Buchstaben ihres Namens aus der Suppe zu fischen und am Tellerrand aufzukleben, denn das war so ziemlich das einzige Wort, was sie schon fehlerfrei schreiben konnte und darauf war sie natürlich sehr stolz. Jetzt wollte sie vom großen Bruder noch mehr gezeigt bekommen, doch dieser hatte heute überhaupt keine Lust auf „Nudelschreibstunde“ und aß in ungewohnter Eile seinen Teller leer.
„Du scheinst ja heute mächtigen Hunger zu haben, oder kannst du es wieder einmal nicht länger abwarten, um hinaus zu deinem Freund zu kommen?“, stellte seine Mutter fest und lächelte dabei verständnisvoll.
Natürlich hatte sie auch den Pfiff gehört, war ja ganz klar, alles kriegt sie mit, dachte Axel. Sie war eine gute Aufpasserin und war immer sehr aufmerksam, vor allem bei ihren Kindern. Lag das daran, weil der Vater immer nur am Wochenende zu Hause war? Fühlte sie sich dadurch verpflichtet, doppelt aufzupassen?
Das könnte schon sein, aber lästig ist es manchmal schon.
„Jetzt ess‘ doch mal deine Suppe und hör’ endlich auf mit dem Buchstabensalat auf deinem Tellerrand!“ murrte, leicht verärgert, Axel seine kleinere Schwester an, „ich bin schon lange fertig und würde gerne endlich zu meinen Freunden gehen, um mit ihnen zu spielen, du lahme Trine.“
„Bin gar keine Trine“, sagte Jenny mit trotziger Miene, „die Suppe ist mir nur noch zu heiß.“
„Ist schon in Ordnung, Axel“, beendete die Mutter den kleinen Streit, „ich sehe schon, dir juckt der Hosenboden, du kannst ruhig gehen. Wir zwei können auch ganz gut alleine fertig essen und dir, mein kleiner Schatz, zeige ich noch ein paar neue Wörter.“