Hermann Lungwitz

Altes und Neues über Karl Stülpner mit Benutzung der Schönberg'schen Aufzeichnungen

Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
goodpress@okpublishing.info
EAN 4064066109554

Inhaltsverzeichnis


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Titelblatt
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Unter den verschiedenen Schriften, die im Laufe der Zeit über den berühmten und berüchtigten Raubschützen des Obererzgebirges Karl Stülpner erschienen sind, kann, soviel mir bekannt ist, nur eine einzige Schrift berechtigte Ansprüche auf Glaubwürdigkeit machen, das ist das Werk von Karl Heinrich Wilhelm Schönberg. Wie es auf dem Titel heißt, hat Stülpner selbst dem Verfasser seine Erlebnisse der Wahrheit getreu mitgeteilt und sind dieselben von genanntem Schönberg aufgezeichnet worden. Das Büchlein, welches im Jahre 1835 gedruckt wurde, ist gar nicht im Buchhandel erschienen, sondern auf dem Wege der Subskription vertrieben worden, der Ertrag floß, wie aus dem Vorwort hervorgeht, dem alten und erwerbsunfähigen Stülpner zu. Die Schönbergsche Schrift ist äußerst selten noch zu finden, in den Bibliotheken der Nachbarstädte gar nicht vorhanden, ich habe sie nur durch die Güte des Herrn Oberbibliothekar der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden erhalten können. In folgenden Mitteilungen werde ich mich hauptsächlich an das Gegebene des erwähnten Büchleins halten und gleichzeitig glaubhafte mündliche Ueberlieferungen mit verwerten. Erwarte aber der freundliche Leser keinen Roman, in welchem doch Wahrheit und Dichtung gemischt sind, es werden hier nur die Thatsachen erzählt, wie sie in der Wirklichkeit stattgefunden haben.

Dort, wo am Fuße des steilen Schloßberges zu Scharfenstein eine verdeckte Brücke über die wild dahinrauschende Zschopau führte, stand vor noch nicht allzulanger Zeit ein bescheidenes Häuschen, in welchem Karl Stülpner am 30. September 1762 früh 4 Uhr, wie es im Großolbersdorfer Kirchenbuche verzeichnet steht, das Licht der Welt erblickte. Sein Vater war von Profession ein Müller, hatte als Soldat im churfürstlich sächsischen Leibkürassier-Regimente gedient und nach erhaltenem ehrenvollen Abschied die Tochter des herrschaftlichen Försters Schubert geheiratet. Da der Vater Stülpners kein hinlängliches Vermögen besaß, selbst eine Mühle zu kaufen oder auch nur eine erpachten zu können, so sah er sich genötigt, als Knappe in den Mühlen der Umgegend sein tägliches Brot zu verdienen. Später folgte er seiner Neigung zur Gärtnerei, kaufte das erwähnte Häuschen und legte einen Gemüsegarten an.

Noch nicht 10 Tage alt, schwebte Karl in ernster Lebensgefahr. Es waren die Zeiten des verhängnisvollen siebenjährigen Krieges. Ein Trupp preußischer schwarzer Husaren durchzog die Gegend, beim Anbruch der Nacht drangen einige in Stülpners Wohnung ein und zwangen die Frau, da ihr Mann auf Arbeit gegangen war, trotz ihres Flehens zum Führerdienst nach Zschopau. Nicht einmal so viel Zeit ließen die Soldaten ihr, um das Kind der Obhut einer Nachbarin während ihrer Abwesenheit anvertrauen zu können. Mit klopfendem Herzen kehrte nach einigen Stunden die besorgte Mutter von ihrem beschwerlichen Wege zurück, zum Glück noch rechtzeitig genug, um ihren kleinen Karl vom Erstickungstod zu erretten. In ihrer Abwesenheit hatte sich das zum Trocknen auf den Ofen gelegte Reisholz entzündet und einen erstickenden Qualm in der Stube verbreitet.

Karl wuchs im Laufe der Zeit gesund und kräftig auf, mehr unter der Aufsicht der Mutter als unter der des Vaters, welcher auswärts arbeitend sich leider wenig um die Erziehung des Knaben kümmern konnte. Als Karl schulpflichtig geworden war, besucht er, da damals Scharfenstein noch keine eigene Schule besaß, die ungefähr eine halbe Stunde entfernte Schule zu Großolbersdorf. Schon damals soll er sich durch Mut und tolle Streiche vor allen seinen Mitschülern ausgezeichnet haben. Als er das achte Jahr erreicht hatte, starb sein Vater, noch im besten Mannesalter stehend, an den Folgen einer Brustentzündung. Karl war noch zu klein, um die Schwere des Verlustes zu empfinden; er tröstete sich bald wieder. Schon in diesem Alter konnte man an ihm einen unwiderstehlichen Drang, in den dichten Waldungen der Umgegend umherzustreifen, wahrnehmen; seine Jagdlust erstreckte sich auf das Erbeuten von allerhand Vögeln, Eichhörnchen etc. Eine alte Flinte, die er sich zu verschaffen gewußt hatte, galt ihm geradezu als Heiligtum. Er war neun Jahre alt, als ihn sein Anverwandter, der Förster Müller in Ehrenfriedersdorf, zu sich nahm und ihm unter anderem auch die Besorgung des Vogelherdes übertrug. Es wird berichtet, daß er sich dieses Auftrages mit größerer Gewissenhaftigkeit entledigte, als des des Lösens seiner Schulaufgaben.

Eines Tages ging beim Förster der Auftrag ein, einen Rehbock in die herrschaftliche Küche zu liefern, und da der Oheim gerade abwesend war, bemächtigte sich Karl, trotz des strengen Verbotes, eines Gewehres, ging in den Wald und schoß, da er den Wechsel schon längst ausgekundschaftet hatte, das befohlene Wild. Ein Holzhacker mußte auf Bitten des jugendlichen Waidmannes die erlegte Beute zur Försterwohnung tragen. Unterdessen war der Förster zurückgekehrt und eine tüchtige Züchtigung sollte als Lohn dem Ungehorsam folgen, doch nahm sich der ebenfalls anwesende Stollberger Förster des jungen Schützen an. Er belehrte Karl über die Handhabung des Gewehres und schenkte ihm obendrein einen Gulden, wodurch seine Jagdlust nur noch mehr angespornt wurde.

Nach Verlauf einiger Zeit kehrte Karl auf dringenden Wunsch seiner Mutter nach Scharfenstein zurück. In diese Zeit, das sind die Jahre 1771 und 1772, fällt die große Teuerung, die namentlich unser Erzgebirge hart traf. Während des Winters rückte der zehnjährige Bursche auf einem Handschlitten Holz an die Zschopau und verdiente auf diese Weise einige Groschen, knapp genug jedoch mag es trotzdem im Haushalte der Mutter Stülpner zugegangen sein. Auch nach seiner Konfirmation, welche in der Kirche zu Großolbersdorf erfolgte, blieb Karl in der Behausung seiner Mutter und suchte durch allerhand für ihn passende Arbeiten sich und seiner Mutter, an der er schon damals mit wahrhaft kindlicher Liebe hing, den täglichen Unterhalt zu erschwingen. Seine Jagdleidenschaft wuchs mit den Jahren und mit seiner Körperstärke, im Schießen hatte er sich eine solche Treffsicherheit angeeignet, daß man ihn deshalb zu den Jagden, welche in den umliegenden Forsten stattfanden, hinzuzog.

Inzwischen war der bayrische Erbfolgekrieg ausgebrochen, man brauchte Soldaten und der noch nicht sechzehnjährige Stülpner ward als Trainsoldat ausgehoben, darauf nach Dresden zu seinem Regiment beordert. Zwar schmerzte den jungen Rekruten der Abschied von den heimatlichen Bergen, die Trennung von der geliebten Mutter, deren Ernährer er bisher gewesen war, doch sehnte sich auch sein reger Sinn nach neuer Thätigkeit und hoffte er in seinem neuen Berufe hinlängliche Befriedigung seiner Leidenschaft nach Gewehr und Jagd zu finden. In seiner Garnison angelangt, ließen ihn Gewandtheit und Stärke seines wohlgebauten und abgehärteten Körpers bald alle Hindernisse des Rekrutenstandes mit leichter Mühe überwinden, in kurzer Zeit war er ein tüchtiger Soldat. Ehrgefühl, Rechtschaffenheit und strenge Ordnungsliebe gesellten sich zu Stülpners körperlichen Vorzügen, wodurch er sich die Liebe und das Vertrauen seiner Kriegskameraden, sowie das Lob seiner Vorgesetzten erwarb.

Nach dem Friedensschluß dieses unblutig verlaufenen Krieges entließen die Regimenter die überzähligen Mannschaften, auch Stülpner forderte und erhielt namentlich auf Bitten seiner nach Dresden gekommenen Mutter von seinem Rittmeister Zirkel den Abschied. Er kehrte nach Scharfenstein zurück und suchte, wie schon früher, durch Handarbeiten für sich und seine Mutter das tägliche Brot zu verdienen. Aber auch die Leidenschaft zur Jagd war in ihm nicht erloschen, er fröhnte ihr mehr denn zuvor und überschritt jetzt schon häufig die ihm angewiesenen Grenzen.

Die Zeiten der gewaltsamen Werbungen waren zwar in Sachsen vorüber, an dessen Stelle jedoch eine Verordnung getreten, nach welcher einer jeden Garnison ein gewisser Bezirk angewiesen war, woraus die alljährlich zu ergänzende Mannschaft ausgehoben werden sollte. Darüber ob die jungen Leute als entbehrlich oder unentbehrlich zu erachten seien, hatte die obrigkeitliche Behörde zu entscheiden. Leider soll es häufig vorgekommen sein, daß ein goldner Händedruck den Sohn eines wohlhabenden Bürgers oder Landmanns als unentbehrlich im Hause erscheinen ließ, während ein armer Schlucker zum Militärdienst gepreßt wurde. Stülpner scheint mit dem damaligen Inspektor G. in Thum nicht gerade auf freundschaftlichem Fuße gestanden zu haben, denn kaum war er ein Vierteljahr aus seiner Garnison zurückgekehrt, als er bei Nacht und Nebel von einem Kommando des Regiments Prinz Maximilian in seiner Wohnung aufgesucht und zu abermaliger Dienstleistung nach Chemnitz abgeholt wurde. Stülpner wollte sich anfangs nicht fügen und als der das Kommando befehligende Unteroffizier eine drohende Bewegung mit seinem Haselstock machte, griff Karl nach seiner an der Wand hängenden scharf geladenen Büchse und schrie mit donnernder Stimme: »Den Stock weg, oder ich werde mir Ruhe verschaffen. Auf wessen Befehl werde ich als Rekrut abgeholt?« Der Unteroffizier zeigte die schriftliche Anweisung des Gerichtsdirektors vor, worauf Stülpner antwortete: »Wenn der Gerichtsdirektor mich für entbehrlich hält, mag er auch die Sorge für meine Mutter übernehmen.« Schnell ordnete er so gut es ging die häuslichen Angelegenheiten, nahm von der jammernden Mutter Abschied und folgte willig dem Kommando nach Chemnitz. Der Hauptmann der Kompagnie von Gundermann war bald mit dem neuen Soldaten zufrieden, da derselbe ebenfalls wie in Dresden durch strenge Pflichterfüllung sich die Freundschaft seiner Kameraden und die Gunst seiner Vorgesetzten zu erwerben wußte. Dem wilden Treiben der Soldaten in den Freistunden blieb der jetzt achtzehnjährige Stülpner fern, er durchstreifte unterdessen die freie Natur und beschäftigte sich mit seinem Lieblingsgedanken der Jagd.

Graf Brühl, welcher das Chemnitzer Regiment kommandierte, sowie viele seiner Offiziere waren leidenschaftliche Jäger und hatten zu ihrem Vergnügen ein Revier in der Nähe der Stadt erpachtet. Bald wurde man auf Stülpners Talent als eines vortrefflichen Schützen aufmerksam, man nahm ihn deshalb mit auf die Jagden, ja gab ihm den Auftrag, allein das Revier zu begehen, um die Küchen der Herren Offiziere mit Wildpret zu versorgen. Mit gewohnter Pünktlichkeit und was sich voraussetzen läßt, mit großer Lust und Liebe unterzog sich Stülpner dieses Auftrages, es wird ihm nachgerühmt, daß noch nie die Offizierstafeln so reich mit Wild besetzt waren, als zu jener Zeit. Dabei achtete unser Held gar wenig auf die Grenzen des Reviers, er schoß einfach das Wild, wo er es traf. Der Landmann erblickte in dem Verminderer des außerordentlich reichen Wildstandes seinen Wohlthäter, nur zu oft war es ja vorgekommen, daß in einer einzigen Nacht die anstehende Ernte von einem Rudel Hirsche vollständig vernichtet wurde. In dem wunderlichen Kopf Stülpners hatten sich über die Jagdgesetze schon damals ganz eigene Prinzipien festgesetzt, von welchen er sich trotz seines ausgesprochenen Gefühles für Recht nicht hat abbringen lassen, er hielt nämlich die in der freien Natur lebenden Tiere, da sie ihre Nahrung selbst suchen und keine bestimmte Grenzen für ihren Aufenthaltsort haben, für Eigentum eines jeden Menschen.

Stülpner befand sich als Soldat in Chemnitz besser als die Mehrzahl seiner Waffenbrüder, denn infolge der Ausübung seiner Jagdpflicht wurden ihm mehr Freiheiten als den übrigen Soldaten gestattet, außerdem erhielt er manches schöne Trinkgeld beim Abliefern des erlegten Wildes. Getreulich teilte Karl die Brosamen, die von seines Oberen Tische fielen mit seiner armen Mutter und überhob dieselbe so mancher bitteren Nahrungssorge. Auch Urlaub zur Reise in die Heimat wurde ihm öfter gewährt, und nie kehrte er in seine Garnison zurück, ohne irgend ein erlegtes Wild abliefern zu können. Die Nachbarn und Bekannten wußten wohl um Stülpners verbotenes Treiben, verrieten jedoch nichts, er säuberte ja die Fluren von dem lästigen Wild, außerdem war er ein von Alt und Jung wohlgelittener Geselle. Selbst die Forstbediensteten schienen anfänglich wenigstens von Stülpners Treiben keine Notiz zu nehmen, nur als er immer dreister wurde, ließ man ihm wohlgemeinte Warnungen zugehen, die Stülpner jedoch verlachte. Schlau und vorsichtig, wie er zu Werke ging, obendrein mit allen Schlupfwinkeln der Gegend vertraut, war es keinem Förster bisher möglich gewesen, irgend welchen greifbaren Beweis von Stülpners Jagdfrevel zu bekommen. Doch die Klagen häuften sich und drangen bis zu den Ohren der Vorgesetzten seines Regiments, die, um allen unliebsamen Erörterungen aus dem Wege zu gehen, ihn nach Zschopau unter die daselbst stehenden Grenadiere versetzten. Zwar war Stülpner versetzt, doch brachte dies keine Aenderung in sein Treiben, nach wie vor betrachtete er es als seine besondere Verpflichtung, seinen Herren Offizieren Wildpret zu liefern.