Vorwort
Abenteuer Alpentreks
Die Abenteuer vor der Haustür …
1 Vom Schneeberg bis zum Erzberg
2 Über das Karstplateau des Toten Gebirges
3 Kreuz und quer über den Dachstein
4 Durch den Nationalpark Berchtesgaden
5 Auf Umwegen durchs Kaisergebirge
6 Ein Bogen durchs urweltliche Karwendelgebirge
7 Die große Wetterstein-Runde
8 Der Lechtaler Höhenweg
9 Allgäuer Höhenweg-Klassiker
10 Zwischen Bodensee und Arlberg
11 Rundtour durch den Rätikon
12 Die große Verwall-Durchquerung
13 Quer durch die Silvretta
14 Auf hohen Wegen vom Geigenkamm zum Kaunergrat
15 Rundtour im Herzen der Ötztaler Alpen
16 Von den Sellrainer Bergen ins Hochstubai
17 Der große Stubaier Höhenweg
18 Der Berliner Höhenweg im Zillertal
19 Pinzgauer Tauerntrek
20 Durch die Radstädter und Schladminger Tauern
Südalpentreks
Abenteuerliche Südalpen
21 Sentiero delle Orobie
22 Die große Bergell-Runde
23 Der Bernina-Trek
24 Im großen Bogen durchs Bündnerland
25 Quer durch die Ortler-Alpen
26 Rund um den Eisschild des Adamello
27 Die wilde Brenta und ihr Bocchetteweg
28 Das Sarntaler Hufeisen
29 Haute Route vom Brenner nach Meran
30 Durch die Pfunderer Berge ins Ahrntal
31 Zwischen Langkofel, Schlern und Rosengarten
32 Der Dolomiten-Höhenweg Nr. 2
33 Der Dolomiten-Höhenweg Nr. 1
34 Im wilden Osten der Dolomiten
35 Der Lasörling- und Venediger-Höhenweg
36 Tauernwege zwischen Großglockner und Schobergruppe
37 Durch die Kärntner Tauern
38 Der Karnische Höhenweg
39 Durch den Triglav-Nationalpark
40 Höhensteige in den Steiner Alpen
Hinweise zur Toureninfo
Register
Impressum
In den Jahren 2009 und 2010 veröffentlichte ich im Bruckmann Verlag die beiden opulenten Touren-Bildbände »Abenteuer Alpentreks« und »Südalpentreks« – beide prall gefüllt mit jeweils 20 großen Gebirgsdurchquerungen von Hütte zu Hütte. Da der allgemeine Trend zum alpinen Trekking seither ungebrochen anhält, haben wir uns zu einer Neuauflage der beiden Titel unter einem gemeinsamen Deckel entschlossen: mit fast 400 großformatigen Seiten das wohl umfangreichste Buch, das bislang überhaupt zu dieser Thematik herausgegeben wurde.
Grundlage einer Tour ist jeweils eine bestimmte Gebirgsgruppe, die sich in der Regel auf durchgängig markierten und ausgebauten Höhenwegen durchqueren lässt, wobei fallweise auch mal anspruchsvolleres hochalpines Gelände vorkommen kann. Besonders ausgedehnte und wichtige Gebiete wie die Dolomiten finden sogar mehrfach Berücksichtigung. Meist sind diese Durchquerungen auf eine Dauer von rund einer Woche oder etwas mehr ausgelegt, beim Dolomiten-Höhenweg Nr. 2 ist man auch bis zu zwei Wochen unterwegs. Jeder Wanderer kann sich freilich daraus kleinere Einheiten basteln, denn Seiteneinstiege und -ausstiege sind normalerweise unkompliziert möglich.
Im Gegensatz zu großen Transalp-Routen wie München – Venedig, E5 oder Alpe-Adria-Trail, die für passionierte Weitwanderer ja ebenfalls interessant sind, liegt das Grundmotto unserer Trekkings darin, zwischendrin nicht in die besiedelten Täler absteigen zu müssen. Das intensiviert das Naturerlebnis ungemein und vermeidet langweilige Durchhänger. Man fokussiert sich somit vom ersten bis zum letzten Tag auf die ursprünglichen Hochgebirgsszenarien, durchläuft die großartigen Kulissen hautnah und beschränkt sich zivilisatorisch quasi auf jene urigen Nester, die solche Unternehmungen eigentlich erst für jedermann praktikabel machen: die Berghütten. Sie reihen sich wie eine Perlenkette aneinander und verleihen der Route Struktur. Gleichwohl bleibt oft noch reichlich Spielraum, einzelne Hütten zu überspringen, Varianten auszuprobieren oder zusätzliche Gipfel einzuflechten.
Mein persönlicher Tipp: Plane Deine Tour nicht zu starr und lass Dich ruhig auch mal ein wenig treiben. Natürlich gehört beim Bergwandern immer eine gewisse Disziplin dazu, sonst würden wir unsere Ziele wohl selten erreichen, doch ein spontanes Einlassen auf die augenblicklichen Gegebenheiten – manchmal auch eine demütige Zurückhaltung angesichts von Wetterturbulenzen – sind oft weiser als das blinde Durchziehen irgendeines Plans. Insofern sollen die konkreten Tourenvorschläge eher als Leitfaden denn als festes Programm verstanden werden.
Die Grundidee für dieses Buchprojekt ist ohnehin nicht vorrangig die eines praktischen Wanderführers. Vielmehr soll in dem großzügigen Rahmen als Bildband viel Raum für Inspiration geschaffen werden. Mit den Landschaftsfotos und authentischen Texten möchte ich einen lebendigen Eindruck der diversen Gebirgsgruppen vermitteln. Ich möchte zudem aufzeigen, wie vielgestaltig sich unsere Alpen auf relativ engem Raum präsentieren und wie umfangreich die Möglichkeiten sind, darin ganz individuelles Bergglück mit unverhofften Momenten zu finden. Für ein solches Abenteuer muss man nicht unbedingt in ferne Kontinente reisen. Es liegt – für denjenigen, der mit offenen Sinnen unterwegs ist – gleichsam schon vor der eigenen Haustür …
In diesem Sinn viel Freude beim Schmökern und tolle Erlebnisse auf Deinen persönlichen Alpentreks!
Mark Zahel, im Sommer 2018
Wenn mich jemand fragte, welche Art von Touren den tiefsten Zugang zum Gebirge vermittelt, würde ich spontan antworten: Du musst es auf hohen Wegen durchqueren! Diese Erkenntnis hat sich bei mir relativ schnell eingestellt. Nachdem ich während eines Urlaubs erstmals flüchtige Einblicke in die alpine Welt gewonnen hatte, ging’s schon im darauffolgenden Sommer auf den ersten großen Hüttentrek: Elf Tage lang ließ ich mich durch die Ötztaler Alpen treiben, wanderte von Hütte zu Hütte, bestieg zwischendurch Gipfel und war vom Flair typischer Gebirgsdurchquerungen auf Anhieb total begeistert. Als wenn man auf etwas gestoßen war, wonach man sich unbewusst immer gesehnt hatte. Die Freiheit des Unterwegsseins auf Schusters Rappen ausloten – vielleicht sogar so etwas wie ein Lebensgefühl für sich entdecken. Der Hektik unserer technisierten Welt ein Schnippchen schlagen und die Kraft der Langsamkeit, des eigenen Schrittmaßes neu erfahren. Vor allem auch der Natur die Chance geben, sich einen Weg ins Herz hinein zu bahnen.
Manche sehen im Trekking durchaus solche philosophischen Aspekte, die einem rationalen Menschen eher ein wenig fremd sein mögen. Auch ich bin immer in erster Linie aus purem Spaß an der Freude in die Berge gegangen, aber eines weiß ich ganz genau: Diese Freude hat tiefere Wurzeln, denn sie ist grundehrlich, entspringt also keinem momentanen Spleen, sondern einer wahren Leidenschaft, die einen nicht mehr loslässt. Warum sollte man sich sonst stets aufs Neue solchen Anstrengungen aussetzen?
Mehrtägige Wanderungen, die ihre Krönung in Durchquerungen ganzer Gebirgsgruppen erfahren, bieten sicher die beste Möglichkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit der Bergwelt. Schließlich nimmt man sich bewusst Zeit dafür und dringt selbst in entlegenere Winkel vor. Die Fülle der Impressionen ist schlicht unschlagbar! Wie in einem langsam ablaufenden Film ziehen sie an uns vorüber, nur dass wir hier selbst noch einen aktiven Part spielen, uns gewissermaßen als Teil des Ganzen fühlen dürfen. So lernen wir ein Gebirge in seiner ganzen Bandbreite kennen, lernen es Schritt um Schritt immer besser verstehen – in seinen liebreizenden Momenten, wenn die Sonne lacht und ein zauberhaftes Licht über die Landschaft legt, aber auch wenn es sich wild und abweisend gebärdet, wenn uns Nebel, Regen und Sturm die Unbilden der Natur unmittelbar spüren lassen. Wir bekommen Grenzen aufgezeigt, können aber auch Herausforderungen annehmen.
Gebirgsdurchquerungen sind keine trendige Erfindung unserer Zeit. Vielmehr empfanden es schon die Altvorderen als reizvolles Spiel, sich tagelang auf hohen Routen zu bewegen, ohne zwischendurch ins Tal absteigen zu müssen. Aus diesem Grund begannen sie, die als Stützpunkte für größere Bergtouren errichteten Hütten durch Höhenwege zu vernetzen. Ganz vornehmlich ist diese Erschließung den Alpenvereinssektionen Ende des 19. sowie Anfang des 20. Jahrhunderts zuzuschreiben. Und auf dieser Grundlage erliegen auch wir hundert Jahre später noch der einzigartigen Faszination des Wanderns »von Hütte zu Hütte«.
Solche Touren sind also zweifellos die Königsdisziplin des Bergwanderns. Mit einem durchschnittlichen Hüttentrek legt man quasi sein Gesellenstück ab, mit einem anspruchsvollen besteht man gar die Meisterprüfung. Diese Metapher soll auch verdeutlichen, dass es sich keineswegs um harmlose Spaziergänge handelt, dass man mit seinem Vorhaben vielmehr eine Ambition unterstreicht und sein alpines Grundrüstzeug parat haben sollte. Dennoch steht hier nicht der sportliche Ehrgeiz im Vordergrund. In erster Linie geht es um das tiefgreifende Erleben von unberührter Natur und außergewöhnlichen Stimmungen: große, erhabene Kulissen aus Fels und Eis, liebliche Almgründe, malerische Seen und quirlige Bäche, Blumen und Tiere in freier Wildbahn, die guten und die schlechten Launen des Wetters, aber auch gesellige Hüttenabende mit Gleichgesinnten und das gemeinsame Staunen über die Wunderwelt der Berge …
Durch eine nie erlöschende Sehnsucht nach solch naturintensiven Erlebnissen ist es mir gelungen, im Laufe der Zeit einiges zusammenzutragen. Und weil ich bei meinen Erkundungen ziemlich systematisch vorgegangen bin, kann ich heute als Zwischenresümee sagen: Kaum, dass mir eine bedeutende Alpengruppe mit ihren Möglichkeiten »von Hütte zu Hütte« entgangen ist. Wenn ich einen bestimmten Namen höre, formiert sich augenblicklich eine Vorstellung in meinem Kopf, ein Sammelsurium von Bildern, die das Gepräge des jeweiligen Gebirgsraumes kennzeichnen. Wie Menschen oder Tiere haben eben auch Berge ihren ureigensten Charakter. Gerade diesem auf die Spur zu kommen, darin liegt für mich stets eine besondere Motivation, immer wieder neue Entdeckungen zu starten, in unbekannte Regionen aufzubrechen oder schon Gesehenes aufzufrischen, vielleicht unter neuen Blickwinkeln zu ergründen.
Aus dieser umfangreichen Erfahrung heraus ist die Idee für dieses Buch geboren. Es enthält 40 spannende Routen, die dem Neugierigen als Leitfaden für eigene Unternehmungen dienen sollen. Und weil ich mich stets schwer tue, aus der gebotenen Vielfalt das vermeintlich »Schönste« (das es objektiv gesehen gar nicht geben kann!) zu selektieren, wird hier weniger ein Auswahlband vorgelegt, sondern es werden für einen bestimmten Teil der Alpen nahezu sämtliche interessanten Möglichkeiten aufgezeigt, sofern die Touren den Anspruch einer »großen« Durchquerung erfüllen. Damit wollen wir einen Rahmen von ungefähr einer Woche definieren, manchmal auch ein wenig länger, was freilich nicht bedeutet, dass man diesen Vorschlägen dann auch genauso folgen muss. Das Gute daran ist ja gerade das reiche Variationspotenzial und die Chance, einen Trek auf seine Wünsche maßzuschneidern.
In diesem Sinn ist unser Buch ein Novum, rückt es doch alle wichtigen Gebirgsgruppen der nördlichen Ostalpen, bis hin zur markanten Linie des Alpenhauptkamms, ins Licht und bietet damit quasi eine ausführliche Gesamtschau. Wir ziehen einen Bogen durch die Nördlichen Kalkalpen, die von den Wiener Hausbergen bis ins Allgäu und nach Vorarlberg reichen, und von dort durch die Zentralalpen wieder zurück bis in den Bereich der Hohen und Niederen Tauern. Ob Dachstein-, Karwendel- oder Kaisergebirge, Lechtaler, Stubaier oder Zillertaler Alpen … die Vielfalt ist einfach enorm! Auf die Besonderheiten eines jeden Gebiets wird also großes Augenmerk gelegt, ohne dabei freilich die praktischen Tourengesichtspunkte zu vernachlässigen.
Viele verbinden große Trekkingerlebnisse mit den Gebirgen der Welt, als wären sie nur dort zu suchen. Das kann man natürlich tun. Es wäre indes falsch zu glauben, die Alpen böten – weil weniger exotisch – in dieser Hinsicht kaum Reizvolles oder Spektakuläres und stünden ohnehin im Würgegriff eines überbordenden Massentourismus. Wer solcherlei pauschal und ohne Differenzierung beklagt, hat sie vermutlich noch nie während längerer Wanderungen in Augenschein genommen, hat nie die harmonische Verbandelung von liebreizender Kultur- und wildromantischer Naturlandschaft wahrgenommen, ist nie in die wirklich stillen Ecken vorgedrungen und auch nie in den tagelangen »Höhenrausch« über allen Niederungen des Alltags entflohen.
Eine zwar nicht überall, aber meistens durchaus sensibel angepasste Infrastruktur in Form von markierten Bergpfaden und gemütlichen Hütten macht das längere Unterwegssein in unseren heimatlichen Bergen zum Hochgenuss. Und die Überraschungen, immer wieder neue Facetten zu entdecken, sind vielleicht umso schöner, weil sie eine ganz besondere Verbundenheit in uns aufkeimen lassen. Je mehr ich jedenfalls von diesen Alpen kennenlerne, desto großartiger kommen sie mir vor. Daher kann ich alle Leser nur ermuntern, den hier in Bild- und Textform gebrachten Leitgedanken aufzunehmen und sich auf die Abenteuer vor unserer Haustür einzulassen. Viel Spaß bei erlebnisreichen Tagen draußen wünscht
Mark Zahel
Vom äußersten Ostrand der Alpen ausgehend, durchstreifen wir auf dieser Tour durch die Steirisch-Niederösterreichischen Kalkalpen der Reihe nach mehrere isolierte Gebirgsstöcke, die für das Gros der Bergsteiger etwas abseitig liegen mögen, die aber zumindest zwischen Wien und Graz fast jedes Kind kennt. Den Anfang macht der behäbige Schneeberg, unverwechselbarer Eckposten über dem Pannonischen Becken. Auch die Rax zählt zum Kreis der engeren Wiener Hausberge, locker angehängt die eher vernachlässigte Schneealpe. Die Veitsch leitet dann westwärts über zum Hochschwab, dem romantischen »Steirischen Gamsgebirg’«, ehe der Eisenerzer Reichenstein den Schlussakzent setzt.
All diesen Gruppen ist eine mehr oder minder ausgeprägte Plateaubildung gemein, wie sie in den Nordalpen zwischen Wien und Salzburg ja verbreitet zu beobachten ist. Das sorgt für charakteristisch abgeflachte Profile, ohne dass man freilich die Elemente des Schroffen übersehen kann. Da spitzen Zacken und Felswände aus dem Waldkleid, und so mancher tiefe Graben durchreißt das Gelände. Kein Zweifel also, dass wir hier im Hochgebirge unterwegs sind, auch wenn es sich mit absoluten Höhen von rund 2000 Metern eher um einen Vorgarten der großen Alpen handelt. Die »Reliefintensität« sollte trotzdem nicht unterschätzt werden, was wir unmittelbar zu spüren bekommen, wenn wir die Plateauhöhen immer wieder von ganz unten erklimmen müssen.
Bergfreunde aus dem Osten Österreichs wissen mit den genannten Namen natürlich sofort etwas anzufangen. So besitzen Rax und Schneeberg bei den Wienern in etwa die gleiche Bedeutung wie die Tegernseer Berge oder das Wettersteingebirge bei den Münchnern: »Hausberge« einer Millionenmetropole, die am Wochenende geradezu erstürmt werden. Entsprechend dicht gesponnen ist das Wegenetz dort, und auch die Auswahl an Hütten und Wirtshäusern darf als reichhaltig gelten. Irgendwie logisch, dass die Wiener hier nicht das Ende der Alpen sehen, sondern deren Anfang. Der Schneeberg ist also der erste Alpenzweitausender, weithin sichtbar aus der Ebene, so klobig und breitschultrig wie er dasteht. Man ist mit ihm verbunden in Wien, und sei es bei manch einem auch nur durch die allgegenwärtige Kulisse und die Hochquellenleitung.
Die benachbarte Rax steht nicht nur bei den Wanderern hoch im Kurs, sondern besitzt auch den Status eines echten Kletterdorados. Bevor die Felsenjünger zur »Universität« (will heißen: ins Gesäuse) gehen, durchlaufen sie gewöhnlich die »Wiener Mittelschule« in der Rax. Den Felsgürteln der Peripherie sind auf dem Hochplateau etliche sanfte, begraste Kuppen aufgesetzt, deren höchste – die Heukuppe – gerade eben die Zweitausendermarke knackt. Das gelingt dem Windberg als Kulminationspunkt der Schneealpe nicht ganz. Über den schmalen Naßkamm mit der Rax verbunden, taucht man hier endgültig in das Hinterland der Wiener Hausberge ein und ist immer häufiger von Stille und Einsamkeit umgeben. Denn die Schneealpe fristet touristisch ein Schattendasein.
Kaum anders sieht es bei der Veitsch aus; erst der Hochschwab weiter westlich und schon zunehmend ins Alpeninnere orientiert, hat sich wieder mehr im Bewusstsein der Bergaktiven verankert, nicht nur wegen seiner charismatischen Landschaftsbilder. Der Hochschwab ist womöglich das Steirischste aller Gebirge im »grünen Herz Österreichs« (wie die Tourismuswerbung trommelt), ohne vergessen zu wollen, dass er ebenfalls noch zu den Wiener Hausbergen gehört, spätestens seitdem man vor hundert Jahren das ergiebige Wasser des Karststocks über die Zweite Hochquellenleitung angezapft hat. Drei Tage am Schwaben versprechen wohl den spannendsten Teil unserer Durchquerung der Nordostecke der Alpen, bevor man am Eisenerzer Reichenstein nochmals Maß für eine große Panoramaschau nehmen kann und zu guter Letzt des terrassierten Erzberges ansichtig wird: Zeugnis einer längst in die Jahre gekommenen industriellen Bedeutung. Seit Jahrhunderten wurde in der paläozoischen Grauwackenzone nach Eisenerz gebuddelt und damit ein unverkennbares, rostrotes Kulturdenkmal hinterlassen.
Dem Schneeberg kann man von allen Seiten zum massigen Leibe rücken; wir tun dies von Osten. Während von Puchberg eine nostalgische »Bimmelbahn« bis auf 1800 Meter hinaufzuckelt und damit auch bei den bequemen Ausflüglern für einen veritablen Auftrieb sorgt, lässt der »redliche« Wanderer im Tal das Schneebergdörfl zurück und müht sich durch den steilen Schneidergraben empor. Am besten, man übernachtet dann im Damböckhaus, schaut seelenruhig zu, wie sich mit fortgeschrittener Tageszeit die Schneeberg-Plateauwege immer mehr entvölkern und rüstet erst am nächsten Morgen – bei gebührender Würdigung des Sonnenaufgangs über der Pannonischen Tiefebene – zum Gipfelspurt Richtung Klosterwappen. Wegen der militärischen Anlagen ist dies trotz weitem Horizont nicht wirklich ein anheimelnder Ort, weshalb manch einer auch lieber den Bogen über die Fischerhütte am Kaiserstein schlägt und auf einem Parallelweg zur gemütlichen Kienthalerhütte absteigt. Wie ein »Hexenhäuschen« schmiegt sie sich an die Felsen des Turmsteins. Mit der Fortsetzung über den Ferdinand-Mayr-Weg (oder wahlweise auch durch die nicht ganz leicht zu begehende urtümliche Weichtalklamm) ins Tal der Schwarza hat man nach zwei Tagen den Abschnitt am Schneeberg bereits hinter sich gelassen und kann nachfolgend direkt in die Rax wechseln.
Dort bringt der Trichter des Großen Höllentals, innen begrünt und ringsum eingefasst von steilem Schrofengewänd, das eindrücklichste Ambiente hervor und Beweis genug, wie wild die Alpen auch an ihrem Ostrand noch sein können. Durch den Riegel des Höllentals ziehen diverse gesicherte Steige nach oben, doch wird der Normalwanderer meist schon mit der leichtesten Möglichkeit, dem Wachthüttlkammsteig, ausgelastet sein. Auch hier sind mehrere Leiterchen verbaut, um dem ruppigen Steilgelände einen gangbaren Weg abzutrotzen. Weiter oben begegnen wir dem zweiten Merkmal der typischen »Raxlandschaft« – die als Fachbegriff für hoch über den jüngeren Kerbtälern gelegene Reste alter Verebnungsflächen sogar Eingang in die Wissenschaft gefunden hat. Direkt am südöstlichen Plateaurand entlang können wir vom Otto-Schutzhaus über die Hohe Kanzel und die bei ambitionierten Klettersteiggehern beliebte Preiner Wand zum Trinksteinboden wandern und via Predigtstuhl die größte und höchste Unterkunft auf der Rax ansteuern: das schon knapp auf steirischem Boden gelegene Carl-Ludwig-Haus. Anderntags wird es nach Überschreitung der Heukuppe am Gamsecksteig abermals recht luftig, bevor wir über den Naßkamm Anschluss an die deutlich stillere Schneealpe erhalten.
»An der nur einige Dutzend Schritte messenden Einschnürung zwischen Reichenschallgraben im Norden und Lohmgraben im Süden wird die beiderseits nagende Erosion in längstens zweieinhalb, wenn nicht gar schon in zwei Millionen Jahren ein selbständiges Ameisbühel-Massiv abgetrennt haben bemerkt Adi Mokrejs mit zwinkerndem Auge in einem Aufsatz über die Schneealpe. Und er erwähnt auch, dass dieser bogenförmig von der Mürz umflossene Gebirgsstock als Hochflächenberg mit steilen Flanken und Gräben ausgeprägt ist und sich auf zwölf Kilometer Länge und durchschnittlich sieben Kilometer Breite über ein Niveau von 1200 Metern erhebt. Über die Lurgbauerhütte gelangen wir auf den höchsten Teil dieses Plateaus, eine Wellenfolge kahler Kuppen, über die im Winter eisige Schneestürme ihre Unbilden auslassen. Die Namen Schneealpe und Windberg kommen sicher nicht von ungefähr! Da ist man auch im Sommer froh um die Geborgenheit eines Schutzhauses, während draußen die Gewitter niedergehen – ich kann’s beschwören …
Wie die Schneealpe, so wird auch die Veitschalpe selbst für weit herumgekommene Alpenreisende eher zu den »böhmischen Dörfern« gehören. Dass sie zwischen verschachtelten Tälern und Waldzügen im touristischen Abseits liegen, kann dem Individualwanderer indes nur recht sein, erlebt man die Natur doch umso unverfälschter. Um zur Veitsch hinüberzuwechseln, ist freilich erneut ein Talabstieg unvermeidlich, und zwar bis zur Mürz, die wir in Neuberg kreuzen. Anschließend stehen uns stille, waldreiche Wanderstunden bevor, bis es ab der Grundbauernhütte wieder gebirgsaffiner wird. Nach Möglichkeit sollte man die lange fünfte Etappe bis zum Graf-Meran-Haus durchziehen, denn von hoher Warte – der Kulminationspunkt des Bergstocks ist auch nicht weit entfernt – fängt man gerade zu den Dämmerstunden oft die schönsten Stimmungen ein. Mit den seit der Rax weithin verfolgten Weitwanderwegen E4 und E6 halten wir anderntags durch ausgedehnte Almareale auf den Hochschwab zu und blicken dem interessantesten Teil unserer Durchquerung entgegen.
Als Eintrittstor zum Schwaben, wie das Massiv bei den Einheimischen zuweilen genannt wird, fungiert von Osten her das Seetal, für uns der Zugang zur altehrwürdigen Voisthalerhütte. In der Tat, die Felsmauern und steinernen Kare machen schon einiges her – angesichts der Formenschätze wird hier gewiss auch einem alpin Verwöhnten nicht langweilig. Mit Spannung packen wir den Aufstieg zum Hochschwab-Gipfel an und gewinnen Einblick in dessen plattige Südabstürze, obwohl ich den Schlenker durchs Ochsenreichkar – natürlich mit Abstecher zum Ringkamp – dem üblichen Graf-Meran-Steig durch die Obere Dullwitz eigentlich sogar noch vorziehen würde. Tummelfelder für Gämsen sind diese versteckten Winkel!
Kontrasterlebnis knapp unterhalb des Gipfels: Das Sonnenlicht reflektierend, blinkt uns fast Science-Fiction-like ein Kastenbau entgegen, den wir vielleicht in modernen Stadtvierteln Wiens, aber kaum auf der abgelegenen Hochfläche des Schwaben erwarten würden. Es ist das neue, technisch ausgeklügelte Schiestlhaus, das die alte, marode Hütte nach 120 Jahren abgelöst hat und nun in eine energieeffiziente Zukunft schauen lässt. Recht unspektakulär wirkt dann die weitläufige Rasenkuppe des Hochschwab, auf der man fast Fußball spielen könnte, doch der Plateaucharakter des Massivs wird hier erst richtig deutlich. Und unter diesem Motto steht auch die Fortsetzung der großen Längstraversierung – Mulden und Höcker in stetem Wechsel, vorbei an mancher Randerhebung, immer durch verkarstetes Gelände und später auch durch eine Art Latschendschungel, ehe unvermittelt die Häuselalm als Etappenziel auftaucht. Eine Gehstunde weiter empfängt uns die Sonnschienhütte, hinter der sich E4 und E6 nach längerem gemeinsamen Verlauf trennen. Wir vertrauen uns dem Dr.-Kotek-Steig (E6) an und folgen seinem Schlängelkurs über den Westteil des Plateaus, schreiten schließlich noch die Griesmauer ab und nehmen auf der Leobner Hütte allmählich Abschied vom stimmungsvollen Hochschwab.
Auf der anderen Seite der Steirischen Eisenstraße baut sich hoch über den Tälern von Eisenerz und Vordernberg der Eisenerzer Reichenstein auf, topografisch schon den Ennstaler Alpen zugehörig. Die Übernachtung in der gipfelnahen Hütte ist wahrhaftig ein perfekter Abschluss einer Tour, die uns ganz zuletzt noch ein Kuriosum sondergleichen präsentiert: den hässlichsten Berg der Alpen. Der von jahrhundertelangem Abbau geschundene Erzberg ist nämlich so erschütternd hässlich, dass er gleichzeitig wieder fasziniert – als getreppte Riesenpyramide, die ab dem Spätmittelalter ein alpines Industriezentrum begründete und als »Steirischer Brotlaib« verklärt wurde. 32 % Eisen und 2 % Mangan soll das Gestein durchschnittlich enthalten. Wer mehr darüber erfahren möchte, schließe sich einer Führung durch das Schaubergwerk an …
TOURENINFO KOMPAKT
ALLGEMEINE CHARAKTERISTIK
Ausgangspunkt: Puchberg am Schneeberg (585 m); Bahnverbindung von Wiener Neustadt.
Endpunkt: Eisenerz (736 m), Industriestädtchen am Steirischen Erzberg. Bahn- und Busanbindung.
Höchster Punkt: Hochschwab (2277 m).
Empfohlene Richtung: In beiden Richtungen gleichermaßen sinnvoll.
Dauer: Rund 10 Tage bei nicht zu kleinlicher Etappeneinteilung, sonst auch länger.
Kürzere Varianten: Die Tour kann an verschiedenen Stellen günstig abgebrochen oder aufgenommen werden, z.B. in Neuberg an der Mürz oder in Seewiesen.
Beste Jahreszeit: Eine Empfehlung zielt mehr auf Frühsommer und Herbst als auf Juli/August, wenn es oft zu heiß ist.
Bergsteigerische Anforderungen: Meistens eher leichtes Bergwandergelände, aber auch steilere Abschnitte (z.B. Wachthüttlkammsteig, Gamsecksteig, Theklasteig). Bei Nebel besondere Aufmerksamkeit auf den kupierten Hochplateaus.
Konditionelle Anforderungen: Die Etappen sind aufgrund zahlreicher Unterkünfte oft individuell flexibel gestaltbar und müssen daher nicht unbedingt lang ausfallen. Es gibt aber einige kräftige An- und Abstiege, außerdem ist für die gesamte Strecke Durchhaltevermögen nötig.
Ausrüstung: Normale Bergwanderausrüstung.
Karten: Kompass, 1:35 000, Blätter 210 »Wiener Hausberge« und 212 »Hochschwab – Mariazell«, freytag & berndt, 1:50 000, Blätter 022 »Semmering – Rax – Schneeberg« und 041 »Hochschwab – Veitschalpe – Eisenerz – Bruck/Mur«.
DIE HÜTTEN
Damböckhaus (1810 m), ÖTK, Mai bis Ende Oktober, Tel. 0043/(0)2636/22 59 oder 0043/(0)664/97 20 35 7
Fischerhütte (2049 m), ÖTK, Anfang Mai bis Anfang November, Tel. 0043/(0)2636/23 13
Kienthalerhütte (1380 m), ÖTK, Ostern bis Allerheiligen an Wochenenden, Tel. 0043/(0)680/14 06 81 2
Weichtalhaus (563 m), TVN, April bis Ende Oktober, Tel. 0043/(0)2666/52 13 4
Otto-Schutzhaus (1644 m), OeAV, Anfang Mai bis Anfang November, Tel. 0043/(0)2666/52 40 2
Karl-Ludwig-Haus (1804 m), ÖTK, Ende April bis Ende Oktober, Tel. 0043/(0)2665/38 0
Lurgbauerhütte (1764 m), privat, Mai bis Oktober, Tel. 0043/(0)676/63 35 45 6
Schneealpenhaus (1784 m), OeAV, Anfang April bis Mitte November, Tel. 0043/(0)3857/21 90
Grundbauernhütte (1451 m), privat, Pfingsten bis Ende Oktober an Wochenenden, Tel. 0043/(0)3856/29 80 oder 0043/(0)664/47 83 76 5
Graf-Meran-Haus (1836 m), ÖTK, Mitte Mai bis Mitte Oktober, sonst am Wochenende, Tel. 0043/(0)664/15 13 22 0
Turnauer Alm (1385 m), privat, Mai bis Oktober, Tel. 0043/(0)676/48 64 83 7
Voisthalerhütte (1654 m), OeAV, Anfang Mai bis Ende Oktober, Tel. 0043/(0)664/51 12 47 5
Schiestlhaus (2153 m), ÖTK, Mitte Mai bis Ende Oktober, Tel. 0043/(0)699/10 81 21 99
Häuslalm (1526 m), privat, Anfang Juni bis Mitte September täglich; ab Mitte Oktober Do–So, Tel. 0043/(0)664/95 03 35 2
Sonnschienhütte (1523 m), OeAV, Anfang Mai bis Mitte September durchgehend, Tel. 0043/(0)664/51 12 47 4
Leobner Hütte (1582 m), OeAV, Anfang Mai bis Ende Oktober von Do-So sowie an Feiertagen, Tel. 0043/(0)664/53 15 50 5
Reichensteinhütte (2128 m), OeAV, Ende Mai bis Mitte Oktober, Tel. 0043/(0)664/98 36 16 4
DIE ETAPPEN
1. Tag: Puchberg – Damböckhaus
leicht, ↑ 1230 Hm, 4 Std.
Langer, zeitweilig recht steiler Aufstieg in die Hochregion des Schneebergs.
Puchberg – Schneebergdörfl – Schwabenhof – Schneidergraben – Damböckhaus.
2. Tag: Damböckhaus – Weichtalhaus
leicht, ↑ 270 Hm, ↓ 1510 Hm, 4 Std.
Überschreitung des Hochschneebergs, anschließend langer Abstieg bis ins tiefe Tal der Schwarza.
Damböckhaus – Klosterwappen (2076 m) – Kienthalerhütte (Nächtigung möglich) – Ferdinand-Mayr-Weg – Weichtalhaus.
Varianten: Über Fischerhütte/Kaiserstein zur Kienthalerhütte; von dort auch durch die Weichtalklamm (gesichert, Trittsicherheit).
3. Tag: Weichtalhaus – Carl-Ludwig-Haus
mittel, ↑ 1500 Hm, ↓ 260 Hm, 6 Std.
Ein steiler, stellenweise aber gesicherter Anstieg direkt vom Talboden weg, später leichtere Plateauwege mit reizvollen Ausblicken.
Weichtalhaus – Wachthüttlkamm – Praterstern – Otto-Schutzhaus (Nächtigung möglich) – Hohe Kanzel – Preiner Wand (1783 m) – Neue Seehütte – Trinksteinsattel – Predigtstuhl (1902 m) – Carl-Ludwig-Haus.
Tipp: Abstecher zur Höllentalaussicht.
Anspruchsvollere Varianten durch das Große Höllental (z. B. AV-Steig).
4. Tag: Carl-Ludwig-Haus – Schneealpenhaus
mittel, ↑ 880 Hm, ↓ 900 Hm, 5 Std.
Leichtes Hochflächengelände und einige exponierte, Trittsicherheit erfordernde Abschnitte wechseln.
Carl-Ludwig-Haus – Heukuppe (2007 m) – Zahmes Gamseck – Gamsecksteig – Zimmermannhütte – Naßkamm – Kamperl – Lurgbauerhütte (Nächtigung möglich) – Nolltal – Schneealpenhaus.
5. Tag: Schneealpenhaus – Graf-Meran-Haus
mittel, ↑ 1450 Hm, ↓ 1400 Hm, 8 Std.
Nach recht steilem Talabstieg längere Strecken über bewaldete Kämme, später ins verkarstete Gelände der Veitschalpe aufsteigend. Sehr weite Strecke. Schneealpenhaus – Brandhöhe – Farfel – Neudörfl – Neuberg an der Mürz – Veitschbachtörl – Karoluskreuz – Auf der Kreuzen – Grundbauernhütte (Nächtigung möglich) – Ramkogel – Klüftfeld – Graf-Meran-Haus.
6. Tag: Graf-Meran-Haus – Voisthalerhütte
leicht, ↑ 850 Hm, ↓ 1030 Hm, 6½ Std.
Weitläufiges Alm- und Waldgelände gemischt, am Ende Aufstieg durch ein malerisches Hochtal. Graf-Meran-Haus – Teufelssteig – Nikolokreuz – Rotsohlalm – Turnauer Alm (Nächtigung möglich) – Göriacher Alm – Seebergalm – Seewiesen – Seetal – Florlhütte – Untere Dullwitz – Voisthalerhütte.
7. Tag: Voisthalerhütte – Häuselalm
mittel, ↑ 750 Hm, ↓ 880 Hm, 5 Std.
Die Gipfeletappe am Hochschwab, eine Überschreitung des unübersichtlichen Hochplateaus in seinem alpinsten Teil; bei Nebel schwierige Orientierung. Voisthalerhütte – Obere Dullwitz – Graf-Meran-Steig – Schiestlhaus (Nächtigung möglich) – Hochschwab (2277 m) – Fleischer-Biwak – Rauchtalsattel – Hundsböden – Hirschgrube – Häuseltrog – Häuselalm.
Variante: Zu Beginn über Kühreichkar – Ochsenreichkar und eventuell Abstecher zum Ringkamp (2153 m), 1 bis 1½ Std. länger.
8. Tag: Häuselalm – Leobner Hütte
leicht, ↑ 630 Hm, ↑ 570 Hm, 5 Std.
Plateauwanderung über teils verschlungene Wege, stets in leichtem Auf und Ab. Häuselalm – Sonnschienhütte (Nächtigung möglich) – Hörndlalm – Kulmalm – Dr.-Kotek-Steig – Neuwaldeggsattel – Hirscheggsattel – Leobner Hütte.
9. Tag: Leobner Hütte – Reichensteinhütte
mittel, ↑ 950 Hm, ↓ 400 Hm, 3¾ Std.
Normale Bergwanderwege, zuerst abwärts, dann teils steil gegen den Reichenstein hinauf (hier gesicherte Variante). Leobner Hütte – Knappensteig – Präbichl – Rösselhals – Theklasteig oder »Stiege« – Eisenerzer Reichenstein (2165 m) – Reichensteinhütte.
10. Tag: Reichensteinhütte – Eisenerz
mittel, ↑ 200 Hm, ↓ 1600 Hm, 5 Std.
Längerer Talabstieg mit gesicherten Stellen, zuletzt am einzigartigen Erzberg vorbei. Reichensteinhütte – Theklasteig – Reichenhals – Große Scharte – Hohe Lins – Linseck – Niedertörl – Tullinger Alm – Galleiten – Blumau – Eisenerz.
ZUSÄTZLICHE GIPFEL AM WEG
Windberg (1903 m), vom Schneealpenhaus 45 Min.
Hohe Veitsch (1981 m), von der Graf-Meran-Hütte 30 Min.
Ebenstein (2123 m), von der Sonnschienhütte 2 Std.
TAC-Spitze (Griesmauer, 2019 m), von der Leobner Hütte, 1½ bis 2 Std. (gesichert)
Zwischen Salzkammergut und Pyhrnregion baut sich mit typisch steilen Randabstürzen und einer geradezu einschüchternd wirkenden Hochfläche der größte Karststock der Alpen auf. Der Name »Totes Gebirge« scheint bezeichnend, ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn wenn eine karge, lebensfeindliche Mondlandschaft auch den Kernbereich prägt, so stoßen wir auf unseren verschlungenen Pfaden doch immer wieder auf liebliche Oasen und lernen das Phänomen »Karst« in all seinen morphologischen Facetten kennen. Dabei findet man Stille und Abgeschiedenheit, so viel man ertragen mag.
An Unwirthlichkeit und Öde hat das Todte Gebirge keine Rivalen, in ihm gelangt die Hochplateauausbildung zur vollständigsten, aber auch wildesten und trostlosesten Entfaltung.« Schon der Geograf August Böhm erkannte 1886 in dem festungsartigen Gebirgsstock einen Prototyp aller Kalkmassive der Nordalpen. Eindringlicher noch beschreibt es der bekannte Alpenforscher Friedrich Simony, wenn er von einer »Wüste grausigster Art« spricht: »Das ganze Terrain ringsum zeigt ein Aussehen, als hätte es durch Jahrhunderte lang ätzende Säuren auf das Gestein herab geregnet.« Nichtsdestotrotz konnten solch abweisende Eindrücke die Bergpioniere nicht davon abhalten, das an der Grenze Oberösterreichs zur Steiermark gelegene Karstbollwerk bis in die entlegensten Winkel zu erkunden.
Eigentlich war ich mit dem Karst schon gut vertraut, als ich das erste Mal ins Tote Gebirge hinaufstieg. Schließlich kennt man ja dessen nächste Verwandte, den Dachstein zum Beispiel oder das Steinerne Meer bei Berchtesgaden. Aber das Tote Gebirge, so dünkt mir, besitzt noch eine andere Dimension, denn die Ausdehnung des eigentümlich gesprenkelten Hochplateaus wird alpenweit nicht übertroffen. Eine fast 400 Quadratkilometer große Einöde, lebensfeindlich und fast surreal wie von einer fremden Welt? Ja und nein! Wer das Tote Gebirge in dieser Art charakterisiert, lenkt den Fokus wohl hauptsächlich auf die zentrale Prielgruppe, den höchsten Teil des Massivs. Dort wähnt man sich tatsächlich in einer Felswüstenei, wenn man bei sengender Sonne oder schwer auf Seele und Gemüt lastendem Gewölk über die zerrissenen Karrenfelder stolpert, scheinbar nichts als nackten Stein um sich herum. Eine kleine Blume, die sich an ein paar Körnchen Humus in einer Felsspalte krallt, kann hier zum großen Hingucker werden, zum wahren Wunder des Lebens. Das gibt sich genügsam und nutzt doch jede Chance, die ihm das oft unbarmherzige Zusammenwirken der Elemente in diesen Höhen offen lässt. »S’Aufg’hackert« heißt eine Gegend des zentralen Hochplateaus im Volksmund – könnte man es mit tausend Worten plastischer darstellen?
Doch den Karst, dieses »Schöpfungsprinzip« chemischer Lösungsverwitterung, einzig und allein mit steiniger Einöde gleichzusetzen, zielt an der Vielfalt seiner Erscheinungsformen vorbei. So gibt es daneben ebenso den »grünen« oder Bedecktkarst, wie er im Fachchinesisch genannt wird. In weiten Bereichen des Toten Gebirges, vor allem im westlichen Teil, trägt die Hochfläche also durchaus eine mehr oder weniger ausgeprägte Vegetation. Wer etwa an Wildensee und Elmsee vorbeikommt oder einige der idyllischen Almdörfer besucht, wird diese Karstvariante ausgiebig kennenlernen und sich über den Liebreiz manchen Fleckchens bestimmt ein wenig wundern. Weit entrückt von allen Tälern umgibt uns hier pure, lebendige Natur und keineswegs die vielleicht erwartete tote Materie. Auch der Wildreichtum ist legendär, zählte das Tote Gebirge doch einst zu den bevorzugten Jagdgebieten blaublütiger Habsburger.
Eine einwöchige Durchquerung ist so recht dazu angetan, diesen Wunderwelten auf die Spur zu kommen. Wir wollen sie von Westen her aufnehmen und beginnen daher inmitten der heiteren »Seelenlandschaft« des Salzkammergutes, in Bad Ischl. Wo schon höchste Herrschaften Urlaub machten – pardon: zur Sommerfrische weilten –, ist der Tourismus mehr als nur ein schlichter Wirtschaftsfaktor; hier ist er gleichsam urösterreichische Tradition mit Reminiszenzen an das verflossene Kaiserreich. Sisi lässt grüßen!
Das Rettenbachtal und der Anstieg zur Ischler Hütte stehen für einen beschaulichen Anfang der Tour. Schon am zweiten Tag entschwinden wir während der Schönberg-Überschreitung aber in die Abgeschiedenheit der Hochfläche und gehen mit dem typischen Karstterrain auf Tuchfühlung, vor allem mit den gewaltigen Karrenfeldern. Wer diesbezüglich noch ohne Erfahrung ist, wird in den kommenden Tagen viel dazulernen. Zum Beispiel, wie unübersichtlich die Umgebung oft ist und dass man stets darauf bedacht sein sollte, die Markierung nicht aus den Augen zu verlieren. Sie ist mehr als anderswo der »Leitfaden« und die einzige Garantie, sich in dem steinernen Labyrinth nicht zu verirren. Vom Schönberg lassen wir unsere Augen nicht nur über das anmutig seengeschmückte Salzkammergut schweifen, sondern überblicken auch weite Teile des Hochplateaus, einen riesigen Flickenteppich zahlloser Mulden und Kuppen. Mit ihrem verwirrenden grau-grünen Mosaik aus nackten Karrenfeldern und Latschenzonen erscheinen die versteinerten Wogen wie von einem kreativen Landschaftsmodelleur gestaltet.
Wildensee, Wildenseealm sowie die Henaralm mit dem Albert-Appel-Haus – wo wir nach der zweiten Etappe Quartier beziehen – bringen aber wieder die erwähnten lieblichen Aspekte ins Spiel. Gerade diese überraschenden Wechsel der Szenerien üben einen unwiderstehlichen Reiz aus, so wie wir es auch beim nächsten Abschnitt über das Wildgössl und die urwüchsig lärchenbestandene Elmgrube erleben. Und der Zielpunkt des dritten Tages, die Pühringerhütte, zählt für mich ohnehin zu den bezauberndsten Plätzen im Toten Gebirge. Ihre weltverlorene Lage in der Wanne des Elmsees ist einfach traumhaft, dazu die heimelige Atmosphäre inmitten einer geheimnisvollen Umgebung. Als erster Hausberg lädt der Elm zu einem kurzweiligen Aufstieg über Karren und magere Wiesen, während das felsigere Rotgschirr schon ein wenig mehr Einsatz erfordert. Eindrückliche Blicke über das zentrale Hochplateau ebenso wie zum firnweiß leuchtenden Dachsteinstock bieten sie beide.
Von der Pühringerhütte dringen wir allmählich in jene Gefilde vor, wo das Tote Gebirge seinem gruseligen Namen alle Ehre macht. Selbst die schütterste Pflanzenbedeckung verschwindet unter unseren Füßen; via Rotkogelsattel geht es immer weiter hinein in ein Ödland, das seine schaurig-schöne Wirkung nicht verfehlt. Was hat es nun eigentlich damit auf sich, worin liegt die bizarre Struktur dieses Geländes begründet? Von ausschlaggebender Bedeutung für das Karstphänomen ist die Wasserlöslichkeit und Porosität des Kalkgesteins. Praktisch das gesamte Oberflächenwasser verschwindet augenblicklich in kleinen Spalten, Löchern und Schichtfugen, die sich im Untergrund zu Höhlen und ganzen Höhlensystemen erweitern, und tritt erst viel tiefer in manchmal ergiebigen Karstquellen wieder zu Tage. Die oberirdisch sichtbaren Resultate dieser chemischen Erosion manifestieren sich in den charakteristischen Detailformen, angefangen bei kleinen Rillen und Klüften über weiträumig modellierte Karrenfelder bis zu abgrundtiefen Schächten und Dolinen. Die Vielfalt der morphologischen Ausprägungen kennt praktisch keine Grenzen!
Links und rechts wird unsere Route jetzt von den höchsten Gipfeln des Massivs flankiert, wobei der Ambitionierte sicher einem Temlberg, einer Spitzmauer oder einem Großen Priel seine Aufwartung machen wird. Während der Erste nur einen kurzen Abstecher verlangt, lockt uns der Zweite als formschönster Gipfel des Toten Gebirges und der Dritte als dessen allerhöchster. Ganz gleich, ob man seinen Weg schließlich durch die mit chaotischen Blöcken angefüllte Klinserschlucht nimmt oder über die Brotfallscharte ausholt, wird die vierte Etappe beim Priel-Schutzhaus enden, bevor wir am nächsten Morgen den kehrenreichen Abstieg durch die Polsterlucke ins hintere Stodertal antreten. Dort ließe sich die Tour ohne weiteres abschließen, was allerdings einen Verzicht auf die Warscheneckgruppe bedeuten würde.
Dieser durch das früher von Schmugglern benutzte Salzsteigjoch deutlich abgetrennte Ostteil des Toten Gebirges hat in jedem Fall noch einiges in petto, vor allem im Hinblick auf seine große Kammüberschreitung. Nach Tagen strenger, einsamer Gebirgsödnis laben wir uns zuvor jedoch erst einmal optisch an saftig grünen Talwiesen mit weidenden Kühen und nehmen den strammen Gegenanstieg zur Türkenkarscharte in Angriff. Vielleicht bekommen wir dabei auch eine Ahnung, warum der weit gereiste Anton von Ruthner ausgerechnet den Talkessel von Hinterstoder als den schönsten der Nördlichen Kalkalpen lobte. Die Rückblicke auf die Skyline von Spitzmauer, Priel und Co. sind wirklich hinreißend!
In einem langwierigen Marsch durch vielgestaltige Wald- und Almareale wird über den abgelegenen Grimmingboden und die Sumperalm als nächster Stützpunkt die Hochmölbinghütte erreicht, ihrerseits Sprungbrett für die grandiose Warscheneck-Kammtour am sechsten Tag. Panoramagenuss und Gipfelreigen beginnen mit dem Aufstieg zum Hochmölbing, setzen sich über Kreuzspitz und Schrocken in die Elmscharte sowie unter Umgehung des Torsteins in den wilden Zwischenwänden-Einschnitt fort, ehe schließlich zum weit ausladenden Warscheneck selbst angestiegen wird. Von dessen Pultdach geht es – schon mit Blick in den Windischgarstner Talkessel sowie zum gezackten Profil der Gesäuseberge – zur Dümlerhütte hinab.
Diesen letzten Stützpunkt können wir im Übrigen auch auf einer Alternativroute ansteuern, welche die längste Zeit über die südseitige Plateauabdachung des Warscheneckzuges verläuft. Die Aussicht ist hier naturgemäß eingeschränkt, die Reize liegen – weniger offenkundig – in den Nahimpressionen verborgen. Verschlungene, mitunter regelrecht verwachsene Pfade leiten durch lichten Wald und über teilweise aufgelassene Almrodungen. Besonders im Herbst, wenn die flirrende Hitze gewichen ist und die zahllosen Lärchen die ganze Umgebung vergolden, ist diese Wanderung von bezaubernder Schönheit. Auf der skitouristisch erschlossenen Wurzeralm kann Zwischenstation gemacht werden, ehe man via Hals oder Rote-Wand-Sattel auf die Nordseite wechselt und anderntags mit dem Talabstieg Richtung Windischgarsten eine Durchquerung ausklingen lässt, die uns die Faszination des Hochgebirgskarstes in einzigartiger Weise vermittelt hat.