Klaus-Dieter Regenbrecht:

Tabu Litu - ein documentum fragmentum

in neun Büchern

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Continuity - Hitchcocks, Pocahontas

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Das Camp - Acht neue Erzählungen

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Die Reisen des Johannes

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AmoRLauf - ein Bildungsroman

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Transit Wirklichkeit

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Im Goldpfad 10 - ein Schlüsselroman

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Jonas von Dohms zu Brügge

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Luhmen & Balder:

Minimal-invasive Eingriffe

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Die Durchschlag-Strategie

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Den Widerspruch zwischen Gelesenem und

Gelebtem mit Geschriebenem lösen

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Paradise with Black Spots and Bruises -

Stories, Pictures, and Thoughts of a Lifetime

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Verhüllte Männer in Weißen Häusern -

ein zystopisches Selbstgespräch

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Ein Mythos wird vermessen - Rhein, Romantik und neue

Raumerfahrung. Ein romantischer Essay

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Die selige Verzückung absehbarer Enttäuschung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Regenbrecht, Klaus-Dieter:

Göttern und Menschen zum Troz, Roman

Koblenz: Tabu Litu Verlag Klaus-Dieter Regenbrecht

ISBN: 978-3925805455

2020

Impressum:

© by Klaus-Dieter Regenbrecht, Koblenz 2020

http://www.kloy.de

Umschlag, Design und Layout: kloy

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags und der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Autors durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren reproduziert oder mittels elektronischer Systeme verarbeitet werden.

Göttern und Menschen zum Troz will ich glücklich seyn – also keiner Bitterkeit Raum geben, die mich quält – ich will nur meine Gewalt in ihr fühlen.

Caroline Böhmer in einem Brief an Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer, Göttingen, 1. März 1789

Inhaltsverzeichnis

Mainz

Die Thüren standen offen, man trug allerley Gerätschaften herbei, die Fenster waren ausgehoben, geschäftige Soldaten, Burschen und Mägde kehrten und stäubten mit großen Reiserbesen, klopften und hämmerten Tischler und Tapezirer, Pferde hatten Leiterwagen herangezogen, ihre Äpfel dampften auf dem Kopfsteinpflaster, ihr Athem stob weiß aus den Nüstern in die frostige Januarluft des Jahres 1793, Weinflaschen und Champagner klirten in Holzkisten, Wildschweine, Rehe, Fasane und Hasen, heimlich aus dem Rheingau über den nächtlichen Strom in die isolirte Stadt gelangt, wurden durch die Fenster gereicht, jäh unterbrochen von einem galoppirenden Gefolge aus drei Pferden vorweg, einem vierspännigen Wagen, gefolgt von einer römischen Reisegesellschaft mit sechs Pferden und einem Cabriolet zum Beschluß.

Général Custine, maître de maison im Schloß des Churfürsten von Mainz, hat zu einem Ball geladen; Friedrich Karl Joseph von Erthal hatte, wie andere Geistliche und Adlichte, vor dem Einmarsch der Franzosen die Stadt evacuirt. Überall standen Stangen mit der Jakobinermütze, wehten blau-weiß-rote Bänder: liberté, égalité, fraternité.

Die kokette junge Witwe Caroline Böhmer, geborene Michaelis aus Göttinger Professorenhause, durfte sich zu den geladenen Gästen des Balls zählen. Sie war erst vor einem Jahr von Marburg in der Landgrafschaft Hessen-Kassel aus zu ihrem Mainzer Abentheuer aufgebrochen. Das südlich gelegene Landau gehörte da schon zu Frankreich. Custine war zum Rhein vorgestoßen, dann nach Nord auf Mainz zu.

Das Städtchen Marburg an der Lahn, wo ihr Bruder Friz als Professor der Medizin lehrte, hatte wenig, so fand sie, aber doch nicht die tödtende Einförmigkeit und den reichsstädtischen Dünkel Frankfurts. Not to mention Mannheim am Rhein, die verderbteste Stadt Deutschlands.

Die Menschen vom Marburg waren nicht so cultivirt, dafür um so geschwäziger, allein doch auch toleranter. Man liebte die junge, coquette Witwe dort sehr, weil ihr Herz ein Gewand über die Vorzüge des Kopfes warf, was ihr beides Äußerungen als Verdienst anrechnen ließ. Sie lernte im brüderlichen Hause auch die berühmte Sophie von La Roche kennen, Verfasserin der „Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Von einer Freundin derselben aus Original-Papieren und andern zuverläßigen Quellen gezogen“.

Aber ein schmerzlicher Verlust verleidete ihr den Aufenthalt dort. Hier hatte sie die jüngere ihrer beyden Töchter, Therese, verloren, die gerade einmal zwey Jahre alt geworden war. Caroline wachte über den stillen Phantasien des Kindes, das seine schönen Arme so lang ausstreckte, daß selbst seine Finger sich auszudehnen schienen. Da faßte die Kleine die Haare der Mutter, zog deren Hand fest ans Herz und pflückte in leisen Krämpfen am Bettuch. Caroline verblendete sich noch über dies Zeichen. Dabey war die Kleine ganz bey Verstande und freute sich auf Weihnachten.

Bruder Friz hatte so gleich ein warmes Bad zur Linderung verordnet, worinn sie Theresen in unaussprechlicher Angst sezte, war aber entzückt, wie es so sehr ihr wohl darinn ward.

„Gut! Gut!“ sagte das Kind mit inniger Stimme.

Gegen acht Uhr ein zweytes Bad, in das Caroline das Kind mit einer schrecklichen Anstrengung sezte, zitternd für das Leben des theuren Lieblings, der unabläßig von heftigen Anfällen geschüttelt und in convulsivischen Bewegungen sinnlos auf der Erde lag. Zuckungen, ein leises Dehnen gefolgt von Steifigkeit, Stille, schwarze Nacht.

Caroline wachte bis zum Morgengrauen bei ihrem todten Röschen, bebte vor dem Augenblick, wo sie sich mit festgehefteter Seele wieder bewegen mußte. Wo war er, der Gott der Schlummernden?

Nun blieb ihr nur noch Auguste, denn den Knaben Wilhelm hatte sie schon 1788 in Clausthal im Harz verloren. Er war erst nach dem Tode seines Vaters, dem Amts- und Bergarzt Böhmer, zur Welt gekommen und wurde nur ein paar Wochen alt. So trauerte Caroline mit der vierjährigen Auguste, die von dem Todt ihrer kleinen Schwester nichts wissen wollte: „Das solst Du mir nicht sagen, Mutter!“

Caroline war im März 1792 nach Mainz gekommen, hatte zusammen mit Auguste und Meta Forkel, einer eheflüchtigen Göttinger Freundin, eine kleine Wohnung im Reidtischen Hause bezogen; in der Welschen Nonnen Gaße beim Kloster der Augustiner Chorfrauen. Der kleine Haushalt war eine Neuigkeit, denn Caroline war gewohnt, für mehrere zu sorgen, in mehreren zu genießen. Die Zeit brachte mehr Mannichfaltigkeit in ihre Art zu seyn, weil sie neue Banden knüpfen konte. Meta, geborene Sophie Margarethe Dorothea Wedekind, war Schriftstellerin und Übersetzerin, lebte zunächst mit ihrem Ehemann, dem Universitätsmusik-Direcktor Johann Nikolaus Forkel, der sieben Jahre lang Geliebter ihrer Mutter gewesen war, in Einbeck, stürzte sich dann in Göttingen in eine Affaire mit dem Dichter Gottfried August Bürger.

Caroline schrieb: car il est un des amateurs, denn er ist einer der Liebhaber, und weiter: „Ich habe eine Hausgenoßin, lieber M., seit 8 Tagen – eine Landsmännin – die Forkel. Man hat sie mir nicht aufgedrungen – ich habe selbst die erste Idee gehabt. Sie wißen vielleicht, daß sie unter Protektion des Forsterschen Hauses steht. Ich kante sie beynah gar nicht – hab aber keinen Haß gegen Sünder, und keine Furcht für mich. Was sagen Sie dazu? Sie hat sich hier immer gut aufgeführt – hat sie je ganz ein solches Urtheil verdient wie in Bürgers Brief stand? – Und doch ist mir kaum daran gelegen das zu wißen – das kan mir ja einerley seyn – aber haben Sie sie außer Liebeshändeln falsch und intriguant gefunden? Das könte mich inkommodiren – denn ich weiß nicht, ob meine schlichte und ununternehmende Ehrlichkeit hinreicht, da Spize zu bieten. Die Frau gefällt mir bis jezt – ich bin gut mit ihr. Sie kennen sie, und können mir mehr Licht geben.“

Philipp, Carolines Bruder, schien ähnlich zu denken und vergnügte sich mit der jungen, vernachläßigten Ehefrau Bürgers.

Meta hatte anschließend in Berlin mit dem Theologiestudenten Carl Seidel gelebt und war wie Caroline in Mainz gelandet, weil ihr Bruder Georg Wedekind hier Medizinprofeßor war. Gemeinsam waren sie häufig Gast bei Therese und Georg Forster.

Bürgers Freund, der Gelehrte Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer, M., schrieb über die scandalysirte Meta: Ueber die Furciferaria, die ich freylich nicht mag, weil sie mir immer zu schmuzig war, auch nicht verstand sich zu kleiden, kan ich dennoch nicht urtheilen wie ihr. Daß sie mehrere zugleich geliebt und genoßen hat, harmonirt sehr mit meinen Grundsäzen; ich thue das nemliche so gut ich kan und weiß, und gestehe euch ich finde ein solches Behagen daran, daß ich ordentlich seitdem ich dieses erfahren eine Art Estime für sie gefaßt habe. Das einzige ungrosmüthige ihres Verfahrens liegt darin, daß sie diese ihre Seelengröße vor euch verbarg, und euch nicht zu ähnlichen Exertionen aufforderte, damit ihr euch von Zeit zu Zeit als Sieger begegnen, und der betrognen einseitigen Liebe andrer spotten köntet.

Das Schimpfwort Furciferaria hatte der enttäuschte Liebhaber auf Metas Nachnamen gemünzt, denn Forke hieß Lateinisch furca und furcifer war der v-förmige Galgenstrick. Schon Shakespeare hatte mit der Form und den Worten Fulvia’s vulva gespielt.

Meta hatte für Forster „Die Geschichte des Schiffbruchs und der Gefangenschaft des Herrn von Brisson“, aus dem Französischen übersezt, erschienen 1790 in Frankfurt; Pierre Raymond De Brisson: „Histoire du naufrage et de la captivité de M. de Brisson: officier de l administration des colonies“.

Kein Augenblick ging leer vorüber, Caroline nahm ihre Theilnahme an Forsters Haus wahr, dazu ihr Fleiß, die Lecktüre und das Kind, das war schon recht viel. Forsters Frau, Therese, ebenso Freundin aus Göttinger Jugendtagen, war verliebt in Huber, den Schriftsteller und Journalisten. Forster hatte Therese, geborene Heyne, wie Caroline Professorentochter, in Göttingen kennengelernt, als er bei dem Physiker, Philosophen und Schriftsteller Lichtenberg wohnte. Caroline kannte seine Aphorismen:

„Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung.“

„Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?“

Meta, Therese und Caroline waren wie Philippine Engelhard und Dorothea Schlözer Töchter führender Göttinger Professoren; ihre Väter hatten großen Anteil am Ruhm der 1732/1734 von Georg II. gegründeten Universität. Sie alle waren hoch gebildet, lasen und schrieben, übersezten und assistirten, waren treibende Kräfte und viel unterwegs in unruhigen Zeiten.

Dorothea promovirte unter der Protection von Carolines Vater als erste Frau in Philosophie; ihre Note war rite, die schlechteste Note, mit der man bestehn konte. Verheiratet mit dem Reichsfreiherrn Mattheus Rodde, ergänzte Charles de Villers, ein exilirter französischer Philosoph und Artillerieoffizier die ménage à trois.

Noch als 18-jährige junge Frau wunderte sich Caroline über die sonderbare Erziehung und daß ein Mann wie Profeßor Schlözer mit so viel feinen, durchdringenden, umfaßenden Verstand, zuweilen mit so wenig Vernunft handelte. Dortchen mochte viel Talent und Geist haben, meinte Caroline, sezte jedoch ihr wahres Glück aufs Spiel bei den bizarren Projecten des Vaters, welche die Tochter nur zur höchsten Eitelkeit reizen konten. In Göttingen hieß es, wollte sie nur nicht den Tag zehenmal als eine Schlumpe und Bacchante über die Straße laufen.

Caroline fürchtete, Dorothea könnte wie die Prinzessin von Gallizin nur Gegenstand des Spottes werden. Frauenzimmer, schrieb Caroline, schäzte man nur nach dem, was sie als Frauenzimmer waren. Frauenzimmer wie Caroline brachten sich zur Not auch mit Näharbeiten durch, denn die Pension, die Böhmer ihr hinterlaßen hatte, reichte hinten und vornen nicht.

Caroline hatte geschwankt zwischen Gotha, Weimar und Mainz. In Gotha herrschten noch alle guten Vorurtheile für sie, Gotha konte ihr den Ruf geben, den sie brauchte. Weimar war in der Nähe, wo es allerley industrieuse Leute gab, die ihre Hand- und Kopfarbeit brauchen konten.

Die Ideen arbeiteten in ihrem Kopfe, die Veränderung des Aufenthalts lag noch in der Dämmerung. In zahlreichen Briefen schilderte sie ihre Überlegungen. Sie begeisterte sich dann und wann für ein Projekt für die Zukunft, das sie mit den schönen Erwartungen für den Augenblick täuschte, ohne den Mismuth fehlgeschlagener Erwartungen in seinem Gefolge zu haben, mit lächelndem Sinn entdeckte sie den Betrug, ehe er sich festsezen konte.

Das Unmögliche blieb Vorstellung, das Mögliche wurde Entschluß: Mainz, weder der Himmel, noch die Hölle, ein Ort, wo die Menschen wohnten, also ein Mittelding zwischen beyden.

Vielleicht konte sie Theresen nüzlich seyn; ihr würde es viel Freude machen, edle Dienste zu leisten, ohne daß ihre Unabhängigkeit beschränkt wurde, die nicht Meubel des Luxus, sondern des Gebrauchs und ihr ein Bedürfniß geworden war. Theresens Gesundheit litt und Forster war unerträglich. Sie hatten ihr jüngstes Kind an den unokulirten Blattern verlohren. F., ungerecht wie die Männer alle, sorgte indeß für Ersatz, und das war zehnfach ärger, denn er besaß das Herz seines Weibes nicht mehr. Als Lauers aus Gotha da waren, giengen sie mit Forster nach Coblenz, Therese blieb des Kindes wegen, das sie stillte, zurück. Den Tag nach Forsters Zurückkunft starb es.

Carolines Position zwischen den entfremdeten Eheleuten war schwierig. Therese war ihre Freundin, Forster ihr Freund, sie kante seine Schwächen. Caroline kante aber auch Thereses Schwächen, denn die hatte vor Huber eine Affaire mit Carolines Briefpartner Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer unterhalten.

Anfangs war es eine schöne Zeit, Caroline kam mit Auguste zum Thee bei den Forsters, man las die interreßantesten Zeitungen, die seit Anbeginn der Welt erschienen waren, die neueste Ausgabe des Moniteur mit den Nachrichten aus Paris, und neue Bücher, die neuer Dings in großen Mengen erschienen, man raisonnirte und man schwazte.

Das war noch nicht ganz das, was andernorts seinen Anfang als Salon nahm, so bei Henriette Herz in Berlin, häusliche Zusammenkünfte, literarisch oder politisch orientirt, von Kaufleuten wie Künstlern, Männern wie Frauen, Philosophen wie Sängerinnen. Man diskutirte und parlirte über Politik und Philosophie, lauschte Gedichten und erzählte sich Gespenstergeschichten.

Caroline sagte eine Stelle aus dem Schauspiel Juliane in Schillers Thalia, über welches sie Wilhelminens Urtheil wißen mochte: Gieb dieser Blume Liebe, und so wie sie heute sich meiner Freude an ihrer Pracht erfreut, so wird sie morgen sich ihrer blühenden Nachbarin freuen.

Man sprach über den 92er Allmanach. Und Göthe, den übermüthigen Menschen in Weimar, der sich aus dem Publikum nichts machte. Zwei Abende verbrachte der Geheime Rath in Forsters Hause; er begleitete seinen Herzog, der am Krieg der Koalitionsmächte gegen die Franzosen teilnahm: „Von politischen Dingen war nicht die Rede, man fühlte, daß man sich wechselseitig zu schonen habe: denn wenn sie republikanische Gesinnungen nicht ganz verleugneten, so eilte ich offenbar mit meiner Armee zu ziehen, die eben diesen Gesinnungen und ihrer Wirkung ein entscheidendes Ende machen sollten“, schrieb er.

In Göttingen trieb Emilie Berlepsch ein ungeheures Unwesen mit Vorlesen und las vor den aristokratischen Zauberkünstlern dort von 5-12 Uhr Don Carlos.

Der 2. Theil von Forsters Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, England und Frankreich im April, Mai und Junius 1790, fand Caroline, war beßer wie der erste – wandelte nicht so sehr auf Cothurnen – und unterrichtete. Mitunter schrieb er doch allerliebste Dinge. Ihr that es auch Noth zu übersezen ums tägliche Brod – aber es war noch nicht weit gediehn, troz einiger Versuche. Man glaubte kaum, mit welcher Geduld sie alle solche fehlgeschlagne Pläne ertrug, und fest auf die göttliche Vorsehung traute. – Alles schlug ihr fehl. – Wenn der Nebucadnezar nicht wäre, so könnt sie jezt recht glücklich seyn, aber sie klagte nicht, sie jammerte nicht. Jezt sind Sie wohl mit deutscher Litteratur wieder vollkommen vertraut?

Es gab einen August Lafontaine, der deutsche Erzählungen schrieb, wie man sie noch nicht gesehen hatte. Er sei Feldprediger, sagte man, seine Companie lagerte in der Nähe von Mainz, Gott schütze ihn! wenn es Krieg mit den Franzosen gab, worüber man hohe Wetten eingieng. Napoleon und preußische Prinzeßinnen, Romantiker wie Achim von Arnim und Joseph von Eichendorff lasen ihn mit Begeisterung.

Göthens Groß-Cophta sei wie im Schlafe gemacht, sein Genius habe dabey nicht Wache gehalten. Und daß der gute Herder so krank und im Spaa war, wußte man in diesen Kreisen auch.

Am Anfang drückte es Caroline, sich theilen zu wollen zwischen der Neigung für ihn, Forster, und ihrem Gefühl für Therese. Sie sah aber ein, daß alles grade so seyn mußte, wie es war, und nicht anders seyn konte, und war gegen keinen ungerecht. Die churfürstliche Besoldung Forsters war so dürtig wie das Haus großzügig bemeßen war. Aber die Besucher strömten in großer Zahl ins Haus.

In Briefen scherzte sie über die ungeheuren Ereignisse in Frankreich und im Heiligen Römischen Reich, das aus rund 300 Königreichen, freien Städten, Kurfürstentümern, Erz-und Hochstiften, kleinen Herzogtümern und kleinsten Grafschaften gewürfelt war. Die Zusammenkunft des Deutschen Reichs hätte so auch für sie ein Fest werden müßen – ohngeachtet es für ihren bürgerlichen Sinn eben keins seyn konte.

In Frankfurt beim concert des puissances war Franz II zum Kaiser gekrönt worden und Churfürst Erthal hatte es sich nicht nehmen laßen, die Hoheiten nach Maynz zu laden. Drei Tage Prunk und Verschwendung auf Kosten der Bürger und Bauern; König Friedrich Wilhelm II, die Churfürsten von Kölln und Trier, der Herzog von Braunschweig und alle, die in Frankfurt den Franzosen den Krieg erklärt hatten.

Zuweilen dachte Caroline, ihr Briefpartner Friedrich Meyer müßte bey der Überschwemmung von Fremden mit herbeyschwimmen. Sie errinerte seyne Erscheinung, mutmaßte, er möge dick geworden seyn. Freute sich, daß auch sie stark werden könnte. Sie hoffte, zwischen dem 30sten und 40sten Jahr zu dem Rang einer holländischen Schönheit heranzuwachsen, die in Ruhe mit ihrem guten Mädchen in ihren kleinen, einsamen Zimmern lebte.

Caroline schrieb an ihre Freundin Luise Gotter in Göttingen, „denk nur, wenn ich meinen Enkeln erzähle, wie man einen alten geistlichen Herrn die lange Nase abgeschnitten und die Demokraten sie auf dem öffentlichen Markt gebraten haben – wir sind doch in einem höchst interreßanten politischen Zeitpunkt, und das giebt mir außer den klugen Sachen, die ich Abends beim Theetisch höre, gewaltig viel zu denken, wenn ich allein, in meinem recht hübschen Zimmerchen in dem engen Gäßchen sitze, und Halstücher ausnähe, wie ich eben thue. In meiner Nachbarschaft wohnen eine Menge Franzosen – man hört und sieht das Volk allenthalben – die Männer sind im Durchschnitt schöner wie die Teutschen, haben ein spirituelles Ansehn, und derselbe Grad von Verdorbenheit hat nicht so den Charakter von stumpfer schlaffer Abgelebtheit – unter den Weibern sah ich noch keine, die halb so liebenswürdig und einfach gewesen wär, als meine französische Bekannte Mad de Lioncon in Göttingen, das einzige nebst ihrem kleinen Zirkel, was ich dort regrettirte. – Die Leute hier machens theuer – für Familien wenigstens – bey meiner Einrichtung fühl ich wenig davon – mein Logis ist auch wohlfeil, die sonst jezt, nebst Handwerkern, die für Ameublement arbeiten, sehr hoch im Preis stehen – nebst der Wäsche, Holz und allen Lebensmitteln außer Brod und Fleisch.“

Nachdem fast ein Jahr vergangen, mußte Caroline nicht mehr den kurzen Weg durch die engen Gassen des von den Franzosen belagerten und besezten, dann von den Preußen, Sachsen und Östreichern belagerten Mainz machen, sie zog bei Forstern ein und besorgte ihm die Hauswirtschaft. Schon im Dezember des Vorjahres hatte Therese mit ihren Kindern Forstern und Mainz nach Strasbourg verlassen.

Meta hatte sie mit einem Shakspeare-Zitat verabschiedet: When shall we three meet again? In thunder, lightning or in rain? Therese hatte geantwortet: When the hurlyburly’s done, when the battle’s lost and won, und Caroline schloß mit: That will be ere the set of sun. Caroline war eine aufgeklärte Frau, die ihren eignen Kopf hatte: „Das rohte Jacobiner Käppchen, das Sie mir aufsezen“, sagte sie, „werf ich Ihnen an den Kopf. Für das Glück der kaiserlichen und könglichen Waffen wird freylich nicht gebetet – die Despotie wird verabscheut, aber nicht alle Aristokraten – kurz es herrscht eine reife Unpartheylichkeit.“

Lesen, Lecktüre war die neue Lust, die Leidenschaft der Epoch. Federschneider, Kupferstecher und die Jünger des Johannes Gensfleisch genant Gutenberg gingen fleißich ihrer schwarzen Kunnst nach, in den Gaßen wehte der Geist der Aufklärung, der Geist von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit; der Gestank des Mittelalters melangirt mit dem Flair und savoir-vivre aus Frankreich. In heller Frühe ein Bad im Rhein, Madame Forkel einfach, und der ganze beau monde von Maynz im Negligé versammelt.

In ihrem ersten und einzigen Mainzer Sommer hatte sie die Freisprechungszeremonie der Druckerzunft miterlebt, wie die Knechte in große Bottiche versenkt wurden:

Wolan es muß das groben Schwein

Mit sonderm Fleiß behobelt seyn

Knecht, hilff mir lustig machen.

Nun ist er heraus der böse Zahn

Gib die Pommad’ her mein Compan

Den Bart ihn anzustreichen:

Auf daß dem schönen Jungfern-Knecht

Ein jeder mög’ ansehen recht

Die Hund’ ihn auch beseichen.

Nicht nur Hunde strichen durch die Stadt, seichten und suchten nach Freßbarem; Abfälle und Unrath häufte sich auf den Plätzen und jauchige Brühe lief durch die Gassen zum Rhein; ständich sauberes Trinkwasser gab es nur in den Häusern der Adlichten, die nicht mehr in der Stadt waren. Aus den bedrückten, gemishandelten, stillschweigenden Knechten eines Priesters – der Mainzer Erzbischof und Churfürst – waren nun aufgerichtete, lautredende, freie Bürger geworden, all die Bürstenbinder und Barbiere, die Schneiderleut und Goldspinner, die Bauern und Bettler, die Tagelöhner und Todtengräber, die Kaufleute und Kurpfuscher.

Es roch nach Alaun und Ammoniak, schal nach Rauch und trächtig vom Vieh auf dem Markt, wo sich starke Bauernweiber bückten, um in Hühnerbürzeln nach Eiern zu fingern und Gänse zu stopfen, balancirten Mädge Holz und Gemüsekörbe auf dem Schopfe, schleppten Waschweiber schwazend nasse Wäsch, parlirten Franzosen mit golden glänzenden Tressen und blizenden Säbeln, degustirten und rümpften die Nasen ob des sauern Weins.

Auf dem Marktplatz stand ein hoher Freiheitsbaum, um den die Mainzerinnen tanzten, während die Marseillaise erklang, ein Spektaculum in roth, blau und weiß. Vivre libre ou mourir. Wurde es Abend in den engen Gassen, huschten die Ratten und Mäuse übers Pflaster, schwankten die Zecher nach dem Freyball nach Hause, circte es aus manchem dunklen Hauseingang rauh und verlockend:

Isch bin e Meenzer Meedsche

im scheene Meenz am Roi

Isch hab schee pralle Äbbel

do kannsde glicklisch soi

ob Preuß, ob Sachs

ob Franzenmann

isch losse allemool erann

isch hab en tiefe Seckel

da geht aach was enoi

Zünfte und Standesdenken, Maut und Zollschranken sollten fallen, eine Flut von lehrhaften Flugschriften, Rescripten, revolutionären Gedichten und Plakaten mit Publicationen, Appellen und Decreten schwappte über die maroden Bevestigungsmauern, die den Franzosen nicht standhalten konten, und in die Gaßen; Schwadronirer wie der Mediciner Wedekind, Metas Bruder, explizirten in sonntäglichen Volksbelehrungen demokratische Grundsätze, docirten Jakobiner in Wirtshäusern, deren Wände mit revolutionären Schriften tapezirt waren; von der Kanzel des Domes herab predigte Carolines Schwager aus Göttingen, der Theologe Johann Georg Böhmer, den Kirchgängern die Verheißungen der französischen Constitution.

„Die sich bey solchen Gegelegenheiten vordrängen, sind nie die besten“, war Carolines Kommentar.

Als Forster nach Mainz gekomen war, kante man ihn schon allenthalben, er war eine celebrité wegen seines Berichts über die Weltumsegelung mit James Cook, »Jakob Cook’s, Capitains und Befehlshabers des königl. Schiffes Resolution, neueste Reise um die Welt in den Jahren 1776 bis 1780«.

Er war vom Kurfürsten Erthal als bibliothecarius an die 1774 reformirte Universität in Mainz berufen worden, deren Bibliothek in einem erbärmlichen Zustand war und die Geistesfreiheit alldorten de plus forte raison. In discursiven Gesprächen mit teutschen Demokraten und den aufgeklärten Frauen erst wurde Forster zu dem, der er dann war; der forsche Natur- und Völkerkundler wandelte sich zum zaudernden Präsidenten des Jacobinerclubs zu Mainz, und reiste in dieser Funktion nach Paris, um den Anschluß der Mainzer Republik an Frankreich zu verhandeln; und hinterließ eine heillos unaufgeräumte, unvolständige Universitätsbibliothek. Sein Reisebericht war in jedem gebildeten Haushalt zu finden: „Ein Morgen war’s, schöner als ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, an dem wir die Insel O-Tahiti 2 Meilen vor uns sahen. Der Ostwind, unser bisheriger Begleiter, hatte sich gelegt, ein vom Lande wehendes Lüftchen führte uns die erfrischendsten und herrlichsten Wohlgerüche entgegen und kräuselte die Fläche der See. Waldgekrönte Berge erhoben ihre stolzen Gipfel in mancherlei majestätischen Gestalten und glühten im ersten Strahl der Sonne. Unterhalb derselben erblickte das Auge Reihen von niedrigern, sanft abhängenden Hügeln, die den Bergen gleich mit Waldung bedeckt und mit verschiedenem anmutigen Grün und herbstlichen Braun schattirt waren. Vor diesen her lag die Ebene, von tragbaren Brodfruchtbäumen und unzähligen Palmen beschattet, deren königliche Wipfel weit über jenen emporragten.“

So hatte er die Ankunft in O-Tahiti beschrieben und über die Menschen dort wußte er zu berichten: „Die Leute, welche uns umgaben, hatten viel Sanftes in ihren Zügen, als Gefälliges in ihrem Betragen.

Sie waren ungefähr von unsrer Größe, blaß mahagonybraun, hatten schöne schwarze Augen und Haare und trugen ein Stück Zeug von ihrer eignen Arbeit mitten um den Leib, ein andres in mancherlei malerischen Formen als einen Turban um den Kopf gewickelt.

Die Frauenspersonen, welche sich unter ihnen befanden, waren hübsch genug, um Europäern in die Augen zu fallen, die seit Jahr und Tag nichts mehr von ihren Landsmänninnen gesehen hatten. Die Kleidung derselben bestand in einem Stück Zeug, welches in der Mitte ein Loch hatte um den Kopf durchzustecken und hinten und vornen bis auf die Kniee herabhing. Hierüber trugen sie ein andres Stück von Zeuge, das so fein wie Nesseltuch und auf mannichfaltige, jedoch zierliche Weise, etwas unterhalb der Brust wie eine Tunica um den Leib geschlagen war, so daß ein Theil davon, zuweilen mit vieler Grazie über die Schulter hing.

War diese Tracht gleich nicht vollkommen so schön, als jene an den griechischen Statuen bewunderten Draperien, so übertraf sie doch unsere Erwartungen gar sehr und dünkte uns der menschlichen Bildung ungleich vorteilhafter, als jede andere, die wir bis jetzt gesehen. Beide Geschlechter waren durch die von andern Reisenden bereits beschriebenen, sonderbaren, schwarzen Flecken geziert oder vielmehr entstellt, die aus dem Punktiren der Haut und durch Einreiben einer schwarzen Farbe in die Stiche entstehen.

Bei den gemeinen Leuten, die mehrentheils nackt gingen, war dergleichen vornehmlich auf den Lenden zu sehen, ein augenscheinlicher Beweis, wie verschieden die Menschen, in Ansehung des äußerlichen Schmukkes denken und wie einmüthig sie gleichwohl alle darauf gefallen sind ihre persönlichen Vollkommenheiten durch die eine oder die andere Weise zu erhöhen.“

Meta hatte für ihn Brisson und eine ganze Reihe anderer Bücher übersezt, und Caroline hatte mit ihr an seynem neuern Projeckt berathend zur Seite gestanden. Zu den geplanten Übersetzungen, »Bartram’s Travels in Virginia« und »Imlay’s Topographical Description of the Western Territory«, kam es nicht mehr. Die politischen Ereignisse überstürzten sich und Forster widmete sich ganz der Realisirung der ersten Republik auf teutschem Boden, auf dem Boden des altehrwürdigen und einst so mächtigen Churfürstentums Mainz.

Forster war kein schöner Mann, er hatte das karge, baltische Gesicht mit spizer Nase und stechenden Augen; er war gebürtiger Preuße aus der Gegend um Danzig. Mit Perücke sah er dem alten Friz, dem francophilen Flötenspieler, oder auch Immanuel Kant und E.T.A. Hoffmann nicht unähnlich.

Alexander von Humboldt dagegen war ein großgewachsener, schöner junger Mann mit weichen, vollen Lippen und lockigem Haar. Humboldt und Froster hatten sich in Göttingen kennengelernt. Alexander schrieb sich am 25. April 1789 in Göttingen für Mathematik und Sprachen ein, nachdem Bruder Wilhelm ein Jahr zuvor mit dem Studium der Juristerey begonnen hatte. Neben dem physicus Georg Christoph Lichtenberg intereßirte sich Alexander für den Anatomen und Zoologen Johann Friedrich Blumenbach, für den Reisen der wahre Weg zur Erkenntnis waren.

Lichternberg hatte gemeynsam mit Forster das GÖTTINGISCHE MAGAZIN DER WISSENSCHAFTEN UND LITERATUR publicirt. Alexander von Humboldt aber drängte es nun vor allem, die Bekanntschaft Forsters zu machen, und kaum war ein Jahr ins Land gezogen, da waren sie gemeynsam auf Reisen. Nach der Reise besuchte Alexander ihn mit seinem Bruder Wilhelm auch in Mainz.

Bey all den Koryphäen in Göttingen, wie dem Freiherr vom und zum Stein aus Nassau an der Lahn oder Adolph Freiherr von Knigge, hatte Göthe früh Göttingen im Auge; mit dem Steinschen Filius Friz hatte er bereits 1783 Station gemacht. Auf Männer wie Heyne, Theresens Vater, Michaelis, Carolines Vater, und so manchem andern ruhte sein ganzes Vertrauen; sein sehnlichster Wunsch war, zu ihren Füßen zu sizen und auf ihre Lehren zu merken. Alleyn, der Vater blieb unbeweglich und schickte ihn nach Leipzig.

Johann Wilhelm von Archenholz hatte 1784 an den Herausgeber des Teutschen Merkurs »Ueber das Reisen, und jemand der nach Anticyra reisen sollte« geschrieben: „In keinem Zeitalther der Welt wurde so viel gereist, als in dem unsrigen, wo das Reisen zu einer Art von Epidemie geworden ist. Könige und Fürsten verlaßen ihre Thronen. In England gehört das Reisen durchaus zur Erziehung junger Leute von Stande. Nie bereisten Kaufleute aller Nationen so sehr fremde Staaten als jetzt; ja selbst der unbemittelte Gelehrte entfernt sich von seynem Pullt.“

Von Mainz nach Holland gab der Rhein die Reiseroute vor und deshalb waren Schiffe das natürliche Fahrzeug, gefolgt von Pferdekutschen.

Seynen ersten Bericht schrieb Georg Forster aus Boppart am 24ten März 1790: „Der ungewöhnlich niedrige Stand des Rheinwassers war schuld, daß unsere Jacht nur langsam hinunterfuhr. Erst um acht Uhr Abends erreichten wir Boppart beim Mondlicht, das den ganzen Gebirgskessel angenehm erleuchtete.“

Alexander von Humboldt und Forster waren beide umfaßend wissenschaftlich intereßirt; als Naturforscher wollten sie aus dem vorhandenen Wirklichen ihre Schlüße auf das vergangene Mögliche ziehn. Daß einst die Gewäßer des Rheins vor Bingen durch die Gebirgswände gestaucht und aufgehalten wurden, erst hoch anschwellten, die ganze flache Gegend überschwemmten, bis übers das niveau der Felsen des Bingerlochs anwuchsen und dann unaufhaltsam in der Richtung, die der Fluß nahm, sich nordwärts darüber hinstürzten. Allmählich wühlte sich das Wasser tiefer in das Felsenbett, und die flachere Gegend trat wieder aus demselben hervor.

Land und Leute, Wind und Wetter, Kunnst und Kirchenschätze fanden ihre Auffmerksamkeit wie Mineralien und die militairischen Maneuver. Politische Manifeste stießen auf das gleiche Intereße wie die Physiologie der Mägde im Flammändrischen Lande, das Verhalten des Publikums im Theater und das der Chargen auf der Bühne.

Sie erkannten im Weinbauer ein ärgerliches Beyspiel von Indolenz und daraus entspringender Verderbtheit des moralischen Charakters, wußten aber auch um die Abhängigkeit vom Landeigenthümer, der allein stets einen in die Augen fallenden Gewinn vom Weinbau zog. Den einen Tag zeigte sich das Klima frühlingshaft, wo Mandelbäumchen, Pfirsichbäumchen und Frühkirschen die Hänge mit weißen oder röthlichen Blüthenschnee bedeckten. Den nächsten Tag war es wieder winterlich kalt und trüb.

Sie saßen stundenlang auf dem Verdeck, und blickten in die grüne, bey dem niedrigen Wasser wirklich erquickend grüne, Welle des Rheins; sie weideten sich an dem reichen mit aneinander hängenden Städten besäeten Rebengestade, an dem aus der Ferne her die einladenden Gebäude der Probstei Johanisberg, an dem Anblick des romantischen Mäusethurms und der am Felsen ihm gegenüber hangenden Warte.

Die Berge des Niederwald warfen einen tiefen Schatten auf das ebene, spiegelhelle Becken des Flußes, und in dem Schatten ragte, durch einen zufälligen Sonnenblick erleuchtet, Hatto’s Thurm weiß hervor, und die Klippen, an denen der Strom hinunterrauschte, brachen ihn malerisch schön. Die Noh, mit ihrer kühnen Brücke und der Burg an ihrem Ufer, glitt sanft an den Mauern von Bingen hinab, und die mächtigern Fluthen des Rheins stürzten ihrer Umarmung entgegen.

In der Amazonenstadt Boppart erfuhren sie davon, daß es wie in Freiburg, einen Aufstand der Weiber gegeben hatte, die sich gegen eine mißverstandne Verordnung aufgelehnt und einigen Soldaten blutige Köpfe geschlagen hatten; auf Frauen schoß man nicht. Die militairische Gewalt gewann dennoch bald die Oberhand über das schöne Geschlecht. „Die Weiber scheinen für ganz andre Kriege gebildet zu seyn, meinen Sie nicht, lieber Alexander?“, sprach Georg Forster, nachdem ein paar dieser Gestalten abends an ihnen vorübergeschwebt waren.

Beyde hatten den Rhein schon vorher bereist, aber nicht gemeinsam. Forster war der berühmte Weltreisende und Profeßor, schon 46 Jahre alt, während Humboldt erst 20 und Student in Göttingen war. Alexander brannte darauf, selbst die Welt zu bereisen und zu erforschen, und er hatte gerade seine Mineralogischen Betrachtungen über einige Basalte am Rhein veröffentlicht, »mit vorangeschickten, zerstreuten Bemerkungen über den Basalt der ältern und neuern Schriftsteller.«

Er wollte von Forster lernen, wollte ihn beobachten, wie er seyne Beobachtungen anstellte. Von den Abenden an Bord und am Kamin in den Herbergen erhoffte er sich Gewinn. Wenn sich an der Scenerie, am Wetter, an der Kleidung und den Behausungen der Menschen etwas änderte, sich sprachen darüber.

Die Gemäuer verfallener Ritterfesten mit ihrer Ähnlichkeit verwitterter Felsspitzen gaben eine prachtvolle Verzierung der Scenerie. Nicht auf dem breiten Rücken eines mit heiligen Eichen oder Buchen umschatteten Bergs, am jähen Sturz, der über eine Tiefe voll wallender Saaten und friedlicher Dörfer den Blick in die blaue Ferne des hüglichten Horizonts hingleiten ließ, nein, im engen Felsenthal, von höhern Bergrücken umschloßen, und, wie ein Schwalbennest, zwischen ein paar schroffen Spitzen klebend, ängstlich, hing so mancher zertrümmerte und verlaßene Wohnsitz der adelichen Räuber, die einst das Schrecken der Schiffenden waren. Einige Stellen waren wild genug, um eine finstre Phantasie mit Orcusbildern zu nähren, und selbst die Lage der Städtchen, die eingeengt zwischen den senkrechten Wänden des Schiefergebirges und dem Bett des furchtbaren Flußes – furchtbar wurde er, wenn er von geschmolznem Alpenschnee oder von anhaltenden Regengüßen anschwoll – war melancholisch und schauderhaft.

Am andern Morgen standen sie am Rheinufer, um die letzten drei Stunden ihrer Reise nach Coblenz anzutreten. Der Rhein sah hier wegen der umgebenden Gebirge und der engen Schleifen wie ein See aus. Bei Coblenz öffnete sich den Reisenden ein großer Reichthum der Natur und der Verzierung. Schöne Formen von Gebirgsrücken, Baumgruppen und Gebäuden wechselten einander ab; die Hügel trugen eine dichte Krone von Wäldern; das neue kuhrfürstliche Schloß prangte am Ufer, und der Ehrenbreitstein hing herrlich und erhaben auf dem jenseitigen Gebirge.

Sie erstiegen den Ehrenbreitstein und fanden vor allem die Gefangenen, die mit ihren Ketten rasselten und zu ihren räucherigen Gitterfenstern hinaus einen Löffel steckten, um den Mitleiden der Vorübergehenden ein Almosen abzugewinnen.

All die Kostbarkeiten der Festung konnten diesen Anblick nicht vergessen machen. Nicht der Vogel Greif, jene ungeheure Kanone, die eine Kugel von hundert und sechzig Pfund bis nach Andernach schießen konnte, nicht die Mörser, Haubitzen, Feldschlangen, Zwölf- und Zwanzigpfünder, lange gezogene Röhre, Kartätschenbüchsen, Graupen und was sonst noch im Zeughause oder auf den Wällen zu bewundern war.

Selbst nicht die weite Aussicht von dem höchsten Gipfel des Berges, wo Coblenz mit dem Rhein und der Moselle landkarthenähnlich unter den Füßen lag – nichts von alldem ließ das Elend der Eingekerkerten vergessen.

Forster wußte, daß Humboldt eine humanistisch aufgeklärte Erziehung genoßen hatte:

„Manchmal, lieber Alexander, denke ich, die Todesstrafe sei für diese Kreaturen humaner als das unendliche Elend des Kerkers, ob es nicht Grausamkeit sey, das Leben durch ewige Gefängnißstrafe in fortwährende Quaal zu verwandeln.“

Man wiße ja nie, für welche Verbrechen die Menschen einsaßen, welche Noth sie dazu gebracht hatte, einen Raub oder Schlimmeres zu begehen. Und ob jeder Fürst, der Recht sprechen durfte, auch wirklich wußte, was recht war.

Seit dem Sturm auf die Bastille war noch kein Jahr vergangen, aber obrichte Willkühr wurde nicht nur in Frankreich in Frage gestellt: „Wäre es nicht billich, daß ein jeder, der Menschen zum Gefängniß verurtheilt, wenigstens Einen Tag im Jahre mit eignen Ohren ihr Gewinsel, ihre himmelstürmende Klage vernehmen müßte, damit ihn nicht der todte Buchstabe des Gesetzes, sondern eignes Gefühl und lebendiges Gewißen von der Rechtmäßigkeit seiner Urtheile überzeugen?“

In dem alten Dikasterialgebäude zu Thal Ehrenbreitstein hatte der Kaufmann Gerhardi eine Lederfabrication angelegt, wozu ihm der Kuhrfürst von Trier, Clemens Wenzeslaus, der es zuvor bewohnt hatte, auf fünf oder sechs Jahre Befreiung von allen Abgaben bewilligt hatte. In einiger Entfernung von diesem Orte, zu Vallender, zog eine große Lederfabric ihre Häute unmittelbar aus Buenos Ayres in Südamerika.

„Ja, so knüpfen der Handel und die Industrie das Band zwischen den entferntesten Welttheilen!“

„Und unterstreichen damit die Bedeutung gut ausgearbeiteter Contracte.“

Auf der Weiterfahrt nach Kölln widmete Forster vier Stationen besondere Aufmerksamkeit und eine explicite Beschreibung, bey den Herrnhutern in Neuwied, den Bimssteinen bey Andernach, den Basaltsteinen im Rhein bey Unckel und dem Naturalienkabinet in Bonn.

Natürlich beeindruckten die Werkstätten der fleißigen und geschickten Gesellschaft; in der klösterlichen Strenge, mit der die unverheirateten Männer und Weiber voneinander getrennt wurden, sah Forster blos metaphysische Selbstschändung: „Ich glaube in meiner Erfahrung hinlänglichen Grund zu der Überzeugung zu finden, daß man in der Welt nie stärker gegen das Böse und seine Anfechtungen ist, als wenn man ihm mit offener Stirne und edlem Troz entgegengeht: wer vor ihm flieht, ist überwunden.“

Wo gebundner Wille mit der erkannten Pflicht im Kampfe lag, konnten die Sünden der Einbildungskraft unheilbarer und zerrüttender seyn, als die etwanigen Folgen eines gemischten Umgangs und ein durch freiwillige Sittsamkeit gezügelter Umgang.

Gab es nicht wollüstige Ausschweifungen der Seele, welche strafbarer als physische Wollüste waren? Wie die Entartung des physischen Triebes die Gesetze der Natur beleidigte, so mußte in einem noch ungleich höheren Grade der Seelenraub strafbar seyn, den man durch jene unnatürliche Vereinigung mit einer Idee am ganzen Menschengeschlechte beging.

„Geistesarmuth ist der gewöhnliche, jedoch von allen gewiß der unzuläßigste Vorwand zu dieser Theopornie, die erst in der Einsamkeit und Heimlichkeit angefangen, und dann ohne Scheu in der Öffentlichkeit fortgesetzt wird.“

Die Weisheit der Natur, fanden Forster wie Humboldt, war zum Glück noch mächtiger und konsequenter, als die Thorheit der Menschen, und ehe man sich versah, führte sie auch den Schwärmer wieder in das Gebiet des Wirklichen zurück.

Denn je reicher die Ausbildung ihres Zeitalters, je größer die Anzahl ihrer Begriffe, je erlesener ihre Auswahl war, desto umfaßender wurde ihr Denk- und Wirkungskreis, desto vielfältiger und anziehender die Verhältnisse zwischen ihnen und allem, was sie umgab. Daß sie sich auf diesem Punkte der Geisteskultur befanden, bewies, so glaubten Forster wie Humboldt, der gegenwärtige Zustand der Erziehungsanstalten, der Universitäten, der belletristischen und ernsten Litteratur, der politischen und statistischen Verfassungen, der physischen und hyperphysischen Heilkunde, ja sogar der raisonnirten Schwelgerey und raffinirten Sinnlichkeit, worinn alles auf einen encyclopädischen Inbegrif und Zusammenhang aller möglichen Zweige der Erkenntniß beruhte.

Auf ihrer kurzen Rheinfahrt hatten sie oft mit den Pflanzen und Steinen am Ufer gsprochen, und sie waren sicher, daß deren Sprache lehrreicher war, als die dicken Bücher, die man darüber geschrieben hatte.

Forster berichtete: „Die Gebirgskette, die sich durch Thüringen, Fulda und die Wetterau bis an den Rhein erstreckt, endigt sich oberhalb Bonn, in dem sogenannten Siebengebirge, welches prallig in mehreren hohen Spizen und Gipfeln seine Granit- Gneus- und Porphyrmassen emporhebt, auf denen hier und dort andere Kiesel- Thon- und Bittersalzigerde Mischungen, wie Kieselschiefer, Hornschiefer und Basalte, nebst den zwischen ihnen durch verschiedene Verhältniße der Bestandtheile verursachten Schattirungen von Gestein liegen. Die südlichen Zweige des Hessischen Gebirges setzen über den Rhein fort, und gehen in die Voghesische Kette über. Von Bingen bis Bonn enthalten sie Thon- und Kieselschiefer von mancherley Gefüge, Härte, Farbe und Mischung, auf welchen man zuweilen große Sandsteinschichten antrift. Im Allgemeinen streichen die Schichten von Abend nach Morgen, und gehen mit einem Winkel von sechzig bis fünf und sechzig Graden nach Süden in die Tiefe.“

Zu den Bimssteinen bemerkte er ihre weißliche Farbe, daß sie sich sehr leicht, bröcklich, löcherricht und rauh anfühlten, und gewöhnlich von der Größe der Erbsen waren, in die kleine Fragmente von Kohlen eingebacken waren.

Mit seinem scharfsinnigen Freund Alexander von Humboldt und Dr. Nose schien ihm die allgemein verbreitete Darstellung der vulkanistischen Logik nicht schlüßig zu beweisen seyn.

Zwar sey es wahr, daß man unaufhörlich von dem Punkte ausging, den man erst beweisen wollte, und dann wie gewiße Exegeten, zurückbewies: Basaltberge waren erloschene Vulkane; also war Basalt ein vulkanisches Product! oder: Vulkane waren kegelförmige Berge; also waren kegelförmige Basaltkuppen Vulkane! oder endlich: ein Schlund, aus welchem der Rauch und die Flamme des Vulkans aufstiegen und Bimssteine und die Felsstücken herausgeschleudert wurden, war ein Krater; also war ein Loch auf einem Basaltberg, welches man mit der Hand bedecken konnte, ein Krater, und der Basaltberg ein Vulkan!

Forster war weit davon entfernt, den Basalt für eine im Wasser entstandene Gebirgsart zu halten; allein, er gestand auch zugleich, daß ihm keine der bisher bekannten Erklärungen Derer, die seinen Ursprung vom Feuer herleiteten, Genüge geleistet, ja, daß ihm insbesondere seine Entstehung in den brennenden Schlünden, die man Vulkane nannte, völlig widersprechend und unmöglich erschien.

Wer wollte den Hekla und Ätna, den Vesuv und den Tschimborasso an dem Gestade des vaterländischen Rheins erblicken? Aufschluß könnte endlich nur ein bis zum Mittelpunkt der Erde abgeteufter Schacht wie der des berühmten Maupertuis die Wahrheit ans Licht bringen. Bedachte man jedoch, mit welchen Schwierigkeiten nur wenige hundert Klafter tief in das Innere der Gebirgen vorgedrungen werden konnte, so blieb nur Erstaunen über die Arbeit, die den späten Nachkommen des Menschengeschlechtes aufgegeben blieb, wenn sie vor lauter Frieden nicht wißen sollten, was sie mit ihrer Zeit und ihren Kräften anfangen sollten.

Im Naturalienkabinet unweit des herrlichen kuhrfürstlichen Schloßes mit der Aussicht auf das Siebengebirge befand sich eine Bibliothek und daneben ein physicalisches Kabinet mit einer Elektrisirmaschine, einem großen metallenen Brennspiegel und einer ansehnlichen Menge Magnete. Die Naturaliensammlung in acht Zimmern daselbst enthielt vierfüßige Thiere, Vögel, Amphibien und getrocknete Fische ohne systematische Ordnung, theils in Glasschränken, theils im Zimmer herumgestellt, theils an der Decke hängend und mit Kunstsachen vermischt. Die ausgestopften Thiere fanden sie meist mißgestaltet.

Das Konchylienkabinet hatte nicht viele Kostbarkeiten, desto reicher war aber die schöne Mineraliensammlung mit einer unvergleichlichen vesuvisch-vulkanischen Sammlung. Ein sehr schöner Bleispath vom Glücksrad am Harz, Eisengglaskopf von den seltensten Configurationen, prächtiges rothes Kupferglas, Flußspathdrusen, Versteinerungen, u. dgl. m.

Das Merkwürdigste war ein Menschenschedel, der gleichsam aus gelbbraunem Tuff von sehr festem Bruch, worann keine Lamellen kenntlich waren, bestand. An einigen Stellen war die Substanz desselbigen zolldick, ohne daß sie auf dem Schnitte die geringste Spur von Inkrustination erkennen konnten. Der halbe Oberkopf war bis an die Augenbrauen und hinten bis auf die Hälfte des Hinterhaupts wie ein Segment ausgeschnitten, so daß man es herausnehmen und inwendig alles besehen konnte.

Der Schedel ließ eine Krankheit erkennen, welche seyne sonderbare Erscheinung hervorgebracht hatte; eine der ungewöhnlichsten, nemlich ein Überfluß von wucherndem Knochensaft, oder Knochenstoff, wodurch zu Lebzeiten des unglücklichen Individuums die Theile des Schedels zu einer unförmigen Gestalt angewachsen waren, und ihn allmälig aller Sinnesorgane beraubt haben mußten. Dabey war es vorzüglicher Aufmerksamkeit werth, daß die Nervenlöcher doch verhältnißmäßig nur wenig verengt worden waren. Man hatte bereits in d’Argenville’s Oryktologie die Abbildung eines dem Bonner vollkommen ähnlichen Schedels.

Auch Sömmering besaß einige, auf eben dieselbe Art unförmig angequollener Hünerknochen. Sömmering hatte in Göttingen Medizin studirt und war wie Forster vom Kuhrfüsten Erthal nach Mainz berufen worden, wo er Anatomie und Physiologie lehrte. 1787 wurde er zum Hofrat und Leibarzt ernannt.

Forster schloß die Beschreibung des Naturalienkabinets: „Unsere Frauenzimmer selbst finden es leicht und anmuthig, alle Gefilde des Wissens zu durchstreifen, sie wie Gärten geschmückt zu sehen, und ihre Blumen in einen Strauß zusammenzubinden, den man in bunten, gesellschaftlichen Kreisen nicht ohne Selbstgefallen jedem zur Erquickung darreichen kann.“

Alles sei gewonnen, wenn man es zur Gewohnheit machte, die Geisteskräfte zu beschäftigen und die Vernunft, die man dem größten Theile des Menschengeschlechts so lange und so gern abgeläugnet habe, in ihrer Entwicklung überall begünstigte.

Er kannte nicht nur seyne Therese, sondern ebenso Caroline Böhmer und Meta Forkel, auf die er bey seynen Übersetzungen angewiesen war.

Das traurige, finstre Kölln, wo kein Plätzchen übrig war, wo die Christen, die den Pabst nicht anerkanten, ihre Andacht frei verrichten konten. Die Kleriserey schämte sich nicht, den Pöbel zu reizen, sich der Erbauung eines protestantischen Gotteshauses öffentlich zu widersetzen. Hier, wo das Innere der weitläufigen, aber halbentvölkerten Stadt nicht mit dem vielversprechenden Anblick von der Flußseite übereinstimmte, sollten ja viele reiche Familien wohnen, aber auf den Straßen sah man nur Schaaren von zerlumpten Bettlern herumschleichen. Deren Unsittlichkeit ging so weit, daß sie ihre Plätze an den Kirchenthüren erblich hinterließen oder zum Heirathsgut ihrer Töchter schlugen. Kappengekken in schwarze Kittel vermummt und mit einem Flor über dem Gesicht, beteten den Rosenkranz und baten um Almosen an Ostern.

Wie viel aufgeklärter war des Kuhrfürsten Erthal Mainz, wie viel sauberer Frankfurt mit dem Anblick des gemeinen Mannes, der durchgehends geschäftig, reinlich, und anständig gekleidet war. Der Fleißige, der seyne Kräfte rechtschaffen anstrengte, um hernach seynes Erwerbes froh zu werden, ihn mit den Seinigen zu theilen, regelmäßig mit ihnen einfache, gute Kost zu genießen, und mit dem ganzen Rock zu erscheinen – dieser Arbeitsame war unstreitig gesünder und glücklicher, als der Müßiggänger.

Forster empörte sich über den schwarzgallichten Fanaticismus, mit dem der Pöbel die Abgötterei mit Reliquien trieb. Die Legende der elftausend Jungfrauen und der Anblick ihrer Knochen in der Ursulakirche war scheußlich und empörend. Wie konnte man dieses zusammengeraffte Gemisch von Menschen- und Pferdeknochen, welches vermuthlich von einem Schlachtfeld stammte, für ein Heiligthum ausgeben? Hier herrschte in Religionssachen noch dicke Finsterniß. Sie giengen in den Dom, den herrlichen Tempel, um die Schauer des Erhabenen zu fühlen.