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Inhaltsverzeichnis

Die Sonnenkönigin

Band 3

Die Sonne und ihr Mond

Louise Bourbon

Impressum

Über die Autorin

Préface

Prologue I

Prologue II

Prologue III

TEIL I

Kapitel 1 – König und Henker

Kapitel 2 – Ludwig II. von Bayern hat ein Geheimtreffen

TEIL II

Kapitel 3 – Marie Antoinette fürchtet um die Dokumente

Kapitel 4 – Die Königin kann nicht schweigen und schweigt dennoch

Kapitel 5 – Die Pläne der Königin

Kapitel 6 – Die Offenbarung des Königs

Kapitel 7 – Marie Anne erhält eine ungewöhnliche Botschaft

Kapitel 8 – Der Brief mit sieben Siegeln

Kapitel 9 – Der geheime Besucher

Kapitel 10 – Louis Augustes Schicksal

Kapitel 11 – Der Duc du Maine bricht sein Schweigen

Kapitel 12 – Der Herbst, der der Winter war

Kapitel 13 – Das Versprechen

Kapitel 14 – Und immer ist die Hoffnung

TEIL III

Kapitel 15 – Louis XVI findet die Liste

Kapitel 16 – Der Comte de Toulouse ist nicht des Königs Sohn

Kapitel 17 – Das Königreich des Meeres

Kapitel 18 – Das Geheimnis um das Königreich des Meeres wird gelüftet

Kapitel 19 – Louis XVIII will verbergen, was andere aufgedeckt haben

Kapitel 20 – Marie Antoinette setzt das Puzzle zusammen

TEIL IV

Kapitel 21 – Die Sonne und ihr Mond

Kapitel 22 – Der Tod des Gaston d‘Orléans

Kapitel 23 – Schicksal auf den ersten Blick

Kapitel 24 – Louises Familie geht nach Paris

Kapitel 25 – Eine wahrhaft königliche Hochzeit

Kapitel 26 – Der König zieht mit der Königin in Paris ein

Kapitel 27 – Nichts als Dunkelheit

TEIL V

Kapitel 28 – Das Erbe des Duc du Maine

Kapitel 29 – Die Dokumente des Königs

Kapitel 30 – La face du théâtre change

Kapitel 31 – Der König regiert selbst

Kapitel 32 – Die Prophezeiung für Louise

Kapitel 33 – Louise erfährt von ihrer Anstellung in Fontainebleau

Kapitel 34 – Louises Vorstellung bei Hofe

Kapitel 35 – Louise begegnet dem König wieder

Kapitel 36 – Man kann seinem Schicksal nicht entkommen

Kapitel 37 – Das Herz hat seine Gründe

Kapitel 38 – Wer ist Paravent für wen?

Kapitel 39 – Anne mischt sich ein

Kapitel 40 – Der König verlangt eine Erklärung

Kapitel 41 – Freundschaft zwischen Ungleichen

Kapitel 42 - Der erste Kuss

Kapitel 43 – Herz und Verstand

Kapitel 44 – Louise darf nur träumen

Kapitel 45 – Eine Leidenschaft, die Leiden schafft

Kapitel 46 – Louise flieht vom Hof

Kapitel 47 – Ein ganzes Königreich, aber keine Kammer für mich

Kapitel 48 – Der Comte de Saint Aignan betritt die Bühne

Kapitel 49 – Der Widerstand schwindet

Kapitel 50 – Der König hofft

Kapitel 51 – Spitzel

Kapitel 52 – Freundin werden ist nicht schwer …

Kapitel 53 - … Freundin sein dagegen sehr

Kapitel 54 – Louise flieht erneut und kehrt zurück

Kapitel 55 – Konspiration

Kapitel 56 – Raoul betritt die Szene

Kapitel 57 – Funken fliegen in Fontainebleau

Kapitel 58 – Worte, die nicht geheim bleiben

Kapitel 59 – Zug um Zug

Kapitel 60 – Fouquets Erpressung

Kapitel 61 – Colbert greift ein

Kapitel 62 – Colbert bietet seine Hilfe an

Kapitel 63 – Der König erfährt von Fouquets Machenschaften

Kapitel 64 – Quo non descendet?

Kapitel 65 – Vaut-il le compte?

Kapitel 66 – Alea iacta est

Kapitel 67 – Der König will nach Versailles

Kapitel 68 – Louise hat sich entschieden

Finis I

Finis II

Finis III

Erläuterungen

Postface

Danksagung

Die Sonnenkönigin

 

Band 3

Die Sonne und ihr Mond

 

LOUISE BOURBON

 

Impressum

 

Louise Bourbon

Die Sonnenkönigin – Die Sonne und ihr Mond – Band 3

 

ISBN Print:

978-3-946376-62-0

ISBN eBook:

978-3-946376-63-7 (ePub)

 

© 2020 Lysandra Books Verlag (Inh. Nadine Reuter),

Overbeckstraße 39, 01139 Dresden

www.lysandrabooks.de

 

Coverfotos: © Louise Bourbon; Sonnenmotiv: stock.adobe.com Nr.19504347

Coverdesign/Umschlaggestaltung: Takezo Graphic Dirk Schröck,

www.takezo-design.de

Lektorat/Layout/Satz: Lysandra Books Verlag

 

Kartenmaterial und Stammbäume sind nur in der Printversion enthalten.

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Lysandra Books Verlags ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für die mechanische, fotografische, elektronische und sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung - auch auszugsweise - durch Film, Funk, Fernsehen, elektronische Medien und sonstige öffentliche Zugänglichmachung.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Über die Autorin

Louise Bourbon hat französische und deutsche Wurzeln und pendelt bevorzugt zwischen beiden Ländern hin und her.

Ihre Großmutter brachte ihr drei Leidenschaften nahe: die französische Sprache, Geschichte und Literatur. Insbesondere über Geschichte schrieb sie bereits zu Schulzeiten, noch auf einer alten mechanischen Schreibmaschine, ihr Tagebuch führte sie in französischer Sprache.

Regelmäßige Aufenthalte in Frankreich prägen noch heute ihr Leben, und ihr größter Wunsch ist es, dorthin zurückkehren zu können. Über 20 Jahre der historischen Recherche über das Frankreich des Sonnenkönigs und seiner vergessenen Königin haben genügend Material für mehrere Bücher hervorgebracht.

Bevorzugt erzählt sie die Dinge, die nicht im Geschichtsbuch stehen. Vielleicht sind sie gerade deshalb wahr.

 

www.louisebourbon.de

kontakt@louisebourbon.de

 

 

 

 

Außerdem von Louise Bourbon beim Lysandra Books Verlag erschienen:

Die Sonnenkönigin – Frankreichs vergessene Königin (Band 1)

Die Sonnenkönigin – Louises Lächeln (Band 2)

Märchen des Versailler Hofes nach Charles Perrault

Préface

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

die Geschichte, in die Sie in wenigen Augenblicken eintauchen werden, ist wahr. Sie ist der dritte Band meiner Reihe «Die Sonnenkönigin». Diese ist so konzipiert, dass die Bände unabhängig voneinander gelesen werden können. So gestatten Sie mir dieses Vorwort.

Die Geschichte, die ich im Rahmen dieser Reihe erzähle, ist wahr und das Ergebnis von fünfundzwanzig Jahren Recherche. Eine Recherche, die sich oft jenseits der bekannten Pfade zugetragen hat – auf Dachböden, bei Privatleuten, die echte Schätze ihr Eigen nennen, bei Schlossbesitzern, deren Schloss zwar nur noch als Ruine steht, denen es aber gelungen ist, über Generationen Dokumente zu bewahren.

Die französische Revolution war für Frankreich in jeder Hinsicht ein Umbruch. Der Teil der aristokratischen oder wohlhabenden Bevölkerung, dem noch die Flucht gelang, nahm wahllos Gegenstände und Dokumente mit; einige davon haben ihren Weg nach Frankreich zurückgefunden, andere sind an den neuen Orten verblieben, beispielsweise in London, Turin oder sogar in den Staaten. Manche der Erben sind der französischen Sprache nicht mehr mächtig und wissen gar nicht, welche Schätze sie beherbergen. Andere wiederum wissen es sehr genau, doch wagen es nicht, diese preiszugeben. Man mag es im 21. Jahrhundert kaum glauben, aber der von mir thematisierte Kampf zwischen der jüngeren Linie Orléans und der älteren Linie Bourbon existiert immer noch, ebenso wie die Auseinandersetzung um die Preisgabe der wahren historischen Vorgänge.

Louise de La Vallière spielt in der offiziellen Geschichte lediglich eine untergeordnete Rolle, ihr historisches Leben wird 1674 mit ihrem Eintritt ins Kloster beendet.

Doch ihr Lebensweg war ein anderer als der heute bekannte – man kann sagen, dass man einige Jahre ihres bekannten Lebens verfälscht und vierzig Jahre ihres restlichen Lebens gestohlen hat.

Geschichte ist kein starres Konstrukt, die sogenannten Erkenntnisse nicht unabänderlich.

«Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat», wusste Voltaire selbst sehr genau, denn sein Werk «Le siècle de Louis XIV» war eine Auftragsarbeit des Königs Louis XV, der einiges Interesse daran hatte, Königin Louise vergessen zu machen und Sœur Louise de la Miséricorde, diesen Namen nahm Louise während ihrer Zeit im Kloster an, am Leben zu erhalten.

In Frankreich räumen mittlerweile manche Historiker ein, dass die Vaterschaft Louis XIII in Zweifel zu ziehen ist, andere wagen sich einen Schritt weiter und benennen Mazarin offen als biologischen Vater, um nur eines der vielen Beipiele zu nennen. Auf meinem Facebook-Profil und meiner Website können Sie nachlesen, wie alles begann, was mich an der offiziellen Geschichte hat zweifeln und selbst recherchieren lassen.

Dokumente, Briefe, Fragmente, Interviews, Gemälderekonstruktionen und vieles mehr habe ich in den über zwanzig Jahren meiner Recherche herangezogen, die Texte übersetzt und mit eigenen vermischt, denn mir ist ein weiteres Anliegen wichtig:

Ich bin der Auffassung, dass man Geschichte so erzählen sollte, wie sie die beteiligten Personen erlebt haben könnten. Es ist mir wichtig, ihre Gedanken und Empfindungen so aufzuzeichnen, dass ich sie nicht mit den sehr wandlungsfähigen Erkenntnissen des 21. Jahrhunderts bewerte, sondern so, wie sie sie selbst bewertet haben dürften.

Deshalb ist die vorliegende Geschichte ein Roman und kein Sachbuch. Um auch den Werdegang mancher Dokumente aufzuzeigen, habe ich mit dem Duc du Maine und der Princesse de Conti die Generation nach Louis XIV und seiner Königin Louise zu Wort kommen lassen. Einige Generationen später wissen Louis XVI und seine Königin Marie Antoinette noch um die Geheimnisse des französischen Königshauses, die ihren Weg bis nach Bayern und dessen König Ludwig II. fanden.

Entgegen der offiziellen Geschichtsschreibung gehe ich von folgenden Tatsachen aus:

- Die natürlichen Kinder des Königs haben Louise de La Vallière zur Mutter. Die Marquise de Montespan hatte zwar als Folge eines von ihr erpressten Schauspiels die theoretische Position einer Favoritin, war aber niemals die Geliebte des Königs. Ihre vorgeblichen Kinder hat nicht sie selbst, sondern Louise zur Welt gebracht.

- Das letzte Kind der Montespan, der Comte de Toulouse, wurde zwar von ihr geboren, hat aber nicht den König zum Vater.

- Die Marquise de Maintenon war lediglich die Erzieherin der königlichen Kinder und Enkel.

- Louis XIV hat nach dem Tod der Königin Marie Thérèse ein weiteres Mal geheiratet, und zwar Louise de La Vallière, die durch ihren Ehenamen die gleichen Initialen besitzt wie ihr Gatte. Man kann die beiden miteinander verschlungenen L in und an verschiedenen Bauwerken bewundern.

- Louise de La Vallière, die durch ihren Ehenamen Louise de Bourbon heißt, ist Frankreichs vergessene Königin.

Wenn Sie mir bis hierher gefolgt sind, danke ich Ihnen sehr! Ich lade Sie nun ein, mit mir einzutauchen in eine bekannte unbekannte Zeit der französischen Geschichte und aus der vergessenen Königin eine Königin zu machen, an die man sich (wieder) erinnert und der man ihren verdienten Platz in der Geschichte zurückgibt.

Prologue I

 

Hohelied des Salomon, 8,6-71

 

Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz,

Wie ein Siegel auf deinen Arm.

Denn die Liebe ist stark wie der Tod,

Und Missgunst unbeugsam wie das Totenreich.

Ihre Gluten sind Gluten aus Feuer,

Ihre Gluten sind die Flammen des Allerhöchsten.

 

Die größten Flammen können die Liebe nicht auslöschen,

Und die Ströme können sie nicht überwältigen.

Opferte ein Mann alle Besitztümer seines Hauses für die Liebe,

würde man ihn verachten?


1 Original : Le Cantique des Cantiques nach der Segond Bibel. Aus dem Cantique des Cantiques stammen auch die Verse, die der König von Charpentier anlässlich seiner Vermählung mit Louise hat vertonen lassen.

Prologue II

 

Le destin mêle les cartes et nous jouons.

Das Schicksal mischt die Karten, und wir spielen damit.

Arthur Schopenhauer

 

Château de Chaumont1, 1574

 

Der weise Mann runzelt die Stirn.

«Majesté, ich muss Euch abraten. Ich muss.»

«Aber ich muss es wissen, Maestro. Ich muss. Warum sträubt Ihr Euch?»

«Es ist eine Frage des Gewissens, Madame.»

Cathérine de Médicis2, seit fast dreißig Jahren Königin von Frankreich, lacht auf.

«Man sagt, Messire, Ihr besäßet ein solches nicht.»

«Und von Euch sagt man», erwidert Cosimo Ruggieri3ungerührt, «Ihr besäßet ein solches nur, wenn es Euren Zwecken dienlich ist.»

Die dunklen Augen der Königin richten sich auf ihren Magier, wie manche ihn nennen.

«Seit Jahrtausenden verlassen sich Menschen, die dazu ausersehen sind, zu herrschen, auf weise Männer wie Euch. Sie wollen Eure Prophezeiungen glauben, insbesondere, wenn es um die Frage der Thronfolge geht.»

Die Königin lacht erneut auf. Es ist kein freundliches Lachen.

«Und Ihr habt bekommen, was Ihr wolltet», entgegnet Ruggieri.

«Nach vierzehn Jahren der Sterilität wurdet Ihr plötzlich … fruchtbar. Sehr fruchtbar. Und ich habe Euch gegeben, was Ihr wolltet. Ihr selbst habt in meinen Spiegel geschaut.»

Ungehalten schüttelt die Königin den Kopf.

«Majesté, Ihr habt die Gesichter Eurer Söhne darin gesehen. Ich sagte Euch zuvor, dass die Drehung ihrer Gesichter die Anzahl ihrer Regierungsjahre auszudrücken vermag.»

«Ja», flüstert Catherine de Médicis und ringt die Hände. Die Bilder sind in ihrem Geist, in ihrem Herzen, gefangen und martern sie nun.

François II, der Kindkönig. Sein Kopf drehte sich nur ein einziges Mal. Nun liegt er seit vierzehn Jahren in der Königsgruft von Saint-Denis. Mit dem Jahr des Herrn 1560 endete auch sein Leben. Zu jung und zu krank, um Nachkommen zeugen zu können, folgte ihm sein Bruder als Charles IX auf den Lilienthron. Dreizehn Mal drehte sich sein Gesicht im Spiegel. Und seit dem 30. Mai liegt auch er in der Gruft von Saint-Denis.

Nun also Henri III4. Ihm hat der Spiegel des Astrologen fünfzehn Jahre vorausgesagt, die er noch zu leben habe – und dann … nichts mehr.

Das Geschlecht der Valois wird untergehen,
das Haus Bourbon wird auferstehen.

 

So lautet sie, die Prophezeiung, die sie martert, seitdem sie davon weiß. All ihre Mühen, die unzähligen Schwangerschaften nach der jahrelangen Unfruchtbarkeit, das Dulden der Diane de Poitiers, die über zwanzig Jahre lang die Gefährtin des Königs gewesen war und ihre junge Ehe überschattet hat. Manchmal glaubt sie, die Duchesse de Valentinois, wie sie sich am Hofe nannte, habe einen Zauber auf sie gelegt, um ihren Schoß zu verschließen. Zwanzig Jahre älter als der König, konnte sie ihm genau eines nicht geben: ein Kind. Der einzige Grund für sie, eifersüchtig auf die Königin zu sein.

Und nun – soll das Haus Valois mit Henri III erlöschen? Das darf nicht sein. Niemals, niemals, niemals.

Henri III ist noch jung, er kann angeleitet werden. Und er braucht eine Frau. Eine, die Kinder gebären kann.

Die Königin seufzt. Diese Eskapade, die ihren Sohn kurzfristig zum König von Polen machte, ist doch lächerlich! Die Thronerbin sollte er heiraten, eine Frau, die zu diesem Zeitpunkt 49 Jahre alt war. Pah. Nach offizieller Auslegung hat Henri III Polen verlassen, um den französischen Thron besteigen zu können. Und nun muss er sich krönen lassen und sich vermählen, um die Linie der Valois fortzusetzen. Ruggieris Spiegel hat schließlich nicht das Gesicht ihres jüngsten Sohnes, des Duc d’Alençon5, gezeigt. Also muss Henri III Nachfolger haben. Er muss.

Doch sie will Gewissheit, und dafür braucht sie die Kenntnisse des Magiers.

«Madame», unterbricht der Astrologe ihre düsteren Gedanken, «ich rate Euch ab. Dringendlich.»

Die Königin fährt zu ihm herum, ihre Hände fassen seinen Kragen.

«Ihr sagt das, weil Ihr etwas wisst, Messire. Und ich befehle Euch zu sprechen!»

«Tut das nicht, Majesté», sagt Ruggieri traurig. «Was immer ich Euch sagen kann, wird Euch keinen Frieden geben.»

«Ihr könnt die Prophezeiungen lesen, die für das Haus Frankreich geschrieben stehen», faucht sie, «und ich will Kenntnis darüber, Ruggieri. Vergesst nicht, wer Euch groß gemacht hat, Messire. Noch einmal, ich befehle es Euch. Sprecht.»

Ruggieri windet sich, wendet den Blick ab, tritt zum Fenster und schaut hinaus.

«Es wird Nacht sein für lange Zeit. Der Löwe muss aus neuem Blut geboren werden, denn die alte Linie ist verderbt und krank. Ein neuer Baum auf kranker Erde.

Er wird Licht über das verdunkelte Europa bringen. Seine Strahlen werden es wieder erhellen, und seine Frau, die Herrscherin des Mondes, wird seine Strahlen widerspiegeln. Sie ist stark, sie, die ihn stützt. Sie wird nicht sichtbar sein, und doch umso sichtbarer. Dies ist die Prophezeiung, dies ist die Offenbarung. Sie sind zusammengeschmiedet durch das Los, zusammengefügt durch die Liebe und vereint durch Gott.»

 

Schweigen senkt sich über das Gemach.

Nein, nein, nein, wüten die Gedanken in Cathérine de Medicis. Wir sind noch nicht zu Ende. Prophezeiungen sind nicht in Stein gemeißelt. Das Gesicht des jungen Henri de Bourbon6 steigt vor ihren Augen auf. Auch ihn hat sie im Spiegel gesehen, als nächsten König Frankreichs nach Henri III.

Nein, nein, nein. So hat sie nicht gewettet. Wenn Valois untergehen soll, dann soll es Bourbon auch. Sie hat Mittel, um das zu sprechen, was man Flüche nennt. Und sie wird es tun.


1 Zu Chaumont und seiner Geschichte siehe Erläuterungen.

2 Catherine de Médicis (1519-1589), siehe Personenverzeichnis

3 Zu Ruggieri siehe Erläuterungen.

4 Henri III (1551-1589), König von Frankreich seit 1574, siehe Personenverzeichnis

5 François de France (1555-1584) Duc d’Alençon, verstarb, ohne den Thron zu besteigen, an Tuberkulose.

6 Henri IV (1553-1610), König von Frankreich und Navarra, siehe Personenverzeichnis

Prologue III

 

Si Dieu pouvait tout à coup être condamné à vivre la vie qu'il inflige à l'homme, il se tuerait.
Wäre Gott plötzlich dazu verdammt, das Leben zu erleben, das er den Menschen auferlegt, würde er sich umbringen.

Alexandre Dumas

 

Château de Versailles, August 1715

Aus den Aufzeichnungen des Königs Louis XIV1

 

Ich hasste es. Jedes Mal, wenn ich gezwungen war, ein Todesurteil zu unterzeichnen, hasste ich, dafür meine Unterschrift leisten zu müssen. Doch ich tat es, etliche Male. Danach überkam mich häufig eine solche Übelkeit, dass ich mich in der Stille unserer privaten Gemächer erbrach. In der Nacht suchte ich den Leib meiner Frau, meinen warmen, weichen Trost gegen die Härte dieser Welt.

Der König steht nicht über dem Gesetz. Er macht das Gesetz, er vertritt das Gesetz. Doch er ist auch das Gesetz, das durch die Ahnen, die Herrscher vor ihm, überantwortet worden ist. Ein König darf nicht zu weich sein. Gütig, ja, mon Dieu, wie sehr habe ich mich darum bemüht, ein gütiger Herrscher zu sein. Aber nicht weich. Nicht zu nachgiebig, denn die geifernden Hunde zu den Stufen des Throns warten schon. Die Gefahr für den König geht nicht vom Volk aus, sondern von denen, die ihm am nächsten sind.

Gleiches gilt für Gefahr für die Königin. Diese Gefahr habe ich unterschätzt. Und nun, da ich weiß, wer mir meine Frau genommen hat aus den übelsten Motiven des menschlichen Daseins, verfluche ich mich dafür, nicht hart sein zu können. Würde ich die Liste der Täter offenbaren, geriete das Königreich ins Wanken. Allein das geschriebene Wort bleibt mir, um mein Gewissen zu erleichtern, weil ich die Mörder meiner Frau entkommen lasse, mehr noch. Meine Strafe ist es, diese Verbrecher in meiner Nähe zu wissen, sie zu ertragen, in ihre Gesichter zu sehen und zu wissen, dass sie wissen. Der König steht nicht über dem Gesetz. Dem Staate gebührt immer und in allen Dingen der Vorrang.

 

Louise, vergib mir. Pardonne-moi.


1 Louis XIV (1638-1715), König von Frankreich und Navarra, siehe Personenverzeichnis

TEIL I

 

1793 - 1867

 

Le monde est gouverné par l'intérêt personnel.

Die Welt wird von Eigeninteressen regiert.

 

Friedrich Schiller

Kapitel 1 – König und Henker

 

Je ne veux pas être ton bourreau;
je te fuis, pour ne pas te faire souffrir.
Tu me dis que le meurtre est dans mes yeux …

Ich will nicht dein Henker sein;
ich fliehe dich, um dich nicht leiden lassen zu müssen.
Du sagst mir, dass ich die Bluttat in meinen Augen trage …

William Shakespeare

 

Paris, 1793

Ich. Ich weiß es auch. Ich bin Hüter eines der größten Geheimnisse der Geschichte Frankreichs. Gestattet, dass ich meinen Namen noch nicht preisgebe, aber ich weiß.

Denn meine Familie ist mit der Königsfamilie seit Jahrhunderten verbunden. Ebenso wie der König stehe ich über dem Gesetz. Er erwirkt es, ich führe aus.

Er regiert mit dem Zepter. Mein Zepter ist das Beil. Das Beil des Henkers. Und ebenso wie das Amt des Königs ist das unsere erblich. Die Mitglieder meiner Familie können dieser Bürde nicht entgehen. Einige haben es versucht – vergebens. Sie sind wie der König dazu verdammt, sie anzunehmen und weiterzureichen. Eine neue Generation. Könige und ihre Henker.

Sanson. Sans-son. Ohne Laut. Unser Familienname ist symbolisch, denn wir sprechen nicht über das, was wir gesehen oder erfahren haben. Wie unser Wappen – eine geborstene Glocke ohne Klöppel. Auch sie ist zum Schweigen verdammt, bringt keinen Ton hervor. Nie. Aber wir schreiben auf und bewahren. Das, was wir erfahren, das, was uns anvertraut wurde. Alles.1


1 Zu Sanson und seiner Familie siehe Erläuterungen.

Kapitel 2 – Ludwig II. von Bayern hat ein Geheimtreffen

 

Ils me traitent de fou. Est-ce que Dieu, quand il m'appelle une fois, me nommera de la même façon ?

Man nennt mich einen Narren. Wird Gott, wenn er mich einst zu sich ruft, mich ebenso nennen?

Ludwig II. von Bayern

 

Paris, in den Katakomben des Louvre, 1867

Aus den Aufzeichnungen Ludwigs II. von Bayern1

Dunkel, feucht und kalt ist es hier unten. So stelle ich mir die Kellerverliese der Conciergerie2vor, des Gefängnisses, in dem Marie Antoinette3, die das Unglück hatte, zum falschen Zeitpunkt Königin von Frankreich zu sein, ihre letzten Tage verbrachte. Wo sie vegetierte, eingesperrt mit tausenden anderer Menschen, die das Pech hatten, von nobler Geburt zu sein. Vielleicht hatten sie irgendwann mit ihren Nachbarn gestritten. Jemanden zu denunzieren gehörte zum Gesellschaftsbild der französischen Revolution.

An diesem Ort hier bin ich wegen einer anderen Frau. Auch sie trug einst die Krone einer Königin von Frankreich. Doch während die Märtyrerkönigin Marie Antoinette nie in Vergessenheit geraten ist, ist Louise de La Vallière4 im Dunkel der Geschichte verschwunden.

Meine Tarnung ist der Besuch der Pariser Exposition Universelle5. In der Menge der illustren Persönlichkeiten, die die technischen Errungenschaften dieses modernen Jahrhunderts bestaunen, bin ich unauffällig, so dachte ich. Doch obgleich ich inkognito reise, hat die Pariser Journaille ihre Arbeit erledigt – zu gut, muss ich sagen. Nun muss ich mich während des Tages auf dem Champ de Mars zeigen. Doch mein eigentliches Anliegen ist ein anderes. Mein Hinterfragen gewisser Dinge hat die Aufmerksamkeit einiger weniger Menschen geweckt, und nun hoffe ich, Antworten auf all meine Fragen zu erhalten.

Ich fröstele und ziehe meinen Mantel enger um mich herum. Die Person, die mich treffen will, lässt auf sich warten. Die Fackel in meiner Hand brennt nur spärlich, erlaubt wenig Sicht. Und ich bin allein. Keine Begleitung, so wurde mir befohlen. Und ich, König von Bayern, gab diesem Befehl nach.

Ein Ort der ewigen Kälte ist das hier. Wenn man Pech hat, ist dieser Ort ein ewiges Grab. Das Gurgeln der Wasser der Seine ist deutlich zu hören. Meine Hand fasst wie von selbst in meine Rocktasche, greift die Miniatur, die mich auf dieser Reise begleitet.

Königin Louise lächelt mich an. Sie lächelt nur leicht, fast scheu, schüchtern, als sei sie noch unsicher darüber, ob sie wirklich an diesen Platz gehört, auf den der Sonnenkönig sie erhoben hat. Und doch ist es ein Lächeln, das Mund und Augen erreicht. Und nun scheint es, als ob sie aufmunternd in meine Augen sehe. Nur Mut, lieber Freund. Nur Mut.

Die Miniatur gleitet mir fast aus der Hand, als mir jemand auf die Schulter tippt. Ich fahre herum.

«Majestät», sagt der Unbekannte, der ebenso wie ich in einen pechschwarzen Mantel gehüllt ist, und deutet eine Verbeugung an.

«Ich freue mich, dass Ihnen dieses kleine Rencontre pässlich ist.»

«Wer sind Sie?» Keine Zeit für höfisches Geplänkel.

Hinter der Maske kann ich das Gesicht des Fremden nicht sehen, doch in seiner Stimme höre ich das Lachen.

«Sie werden es erfahren, Majestät. Zur rechten Zeit.»

Mein Gegenüber deutet auf das Medaillon, das meine Finger noch immer umkrampfen.

«Sie sind ein Suchender, Majestät. Ich habe die Antworten.» Er lacht. «Nun. Zumindest einige davon.»

«Was wissen Sie?», frage ich mit angehaltenem Atem.

«Das werden Sie erfahren. Zunächst möchte ich Ihnen etwas zeigen. Sie müssen allerdings mutig genug sein, mir zu folgen.»

Der Unbekannte lacht erneut.

«Folgen? Wohin?»

«Tiefer in diesen schwarzen Schlund hinein. Was ich Ihnen zeigen möchte, befindet sich in einem der Kellergewölbe unter dem Louvre, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Einem Bereich, der höher liegt und vor den Wassern der Seine geschützt.»

«Ich fasse zusammen», sage ich gedehnt, «ich kenne Sie nicht. Nicht Ihren Namen, nicht Ihre Intention. Niemand weiß, dass ich hier bin. Wenn ich dieses unterirdische Labyrinth nicht mehr verließe …»

Der Fremde nickt.

«Ihr Misstrauen habe ich einkalkuliert, Majestät. Genügt Ihnen das?»

Seine Hand gleitet in seine Rocktasche, zieht ein vergilbtes Stück Stoff heraus, reicht es mir. Ich erkenne die königlichen Lilien, die eingestickte Krone, einige dunkle Flecken, als habe sich jemand damit den Schweiß von der Stirn gewischt.

«Was ist das?»

«Das Taschentuch, das der Märtyrerkönig6 bei sich trug, als er seinen letzten Gang tat.»

Ich taumele zurück.

«Mon Dieu!»

«Folgen Sie mir nun?»

Ich nicke stumm mein Einverständnis.

«Bleiben Sie dicht hinter mir. Achten Sie darauf, dass Ihre Fackel nicht erlischt. Diese Wege hier kennen nur Eingeweihte.»

«Ich werde den Teufel tun, diese Anweisung zu ignorieren.»

***

Mein unbekannter Freund hat mich sicher durch die verwinkelten Gänge geführt. Ein kundiger Mann, der sich hier häufig aufzuhalten scheint.

In einem Seitengang, der nicht mehr feucht und auch nicht mehr kalt ist, hält er inne. Himmel, den Einlass im Mauerwerk muss man kennen, um zu wissen, dass er da ist.

«Tretet ein, Majestät», sagt der Fremde mit großartiger Geste.

Der Schweiß rinnt mir von der Stirn.

«Wo sind wir hier?»

«Da, wo man die Kunst aufbewahrt, die nicht für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt ist. Oder wo man Dinge vor ihr in Sicherheit bringt, Majestät. Das hier», er breitet die Arme aus, «ist eines der Kunstgräber der Geschichte.»

Im Halbdunkel erkenne ich, was er mir zeigen will. Viele der Gemälde hier sind verhüllt, als habe jemand versucht, sie notdürftig zu schützen. Eines hat mein unbekannter Freund an der Stirnseite des Raums von seinen Stoffbahnen befreit.

Es ist groß. Wirklich groß. Ich schätze drei Meter in der Höhe und zwei Meter in der Breite. Ich starre das Gemälde an, das meine Augen bannt. Königin Louise in Lebensgröße, in königlichem Staat, das Zepter der Königin in der Linken, die petite couronne ist eingeflochten in ihr Haar. Der Maler war genau in seinen Details. Er hat das Azur ihrer Augen, das ist selbst in dieser schwachen Beleuchtung hier zu erkennen, genau eingefangen. Die königlichen Hände zeigen die typische Eigenart, die den Abkömmlingen des Laurent de La Vallière7 gemein ist: den abgespreizten kleinen Finger. Selbst die kleine Unebenheit ihrer rechten Schulter, verursacht durch einen Bruch des Schlüsselbeins, ist zu erkennen. Zu ihrer Rechten steht der Mann, der sie durch Ehe an diesem Platz sehen wollte, er lächelt unverkennbar und hält voller Stolz ihre Hand. Der König nimmt, im Gegensatz zu seiner Frau, einen Platz fast schon im Hintergrund ein. Auch er trägt den königlichen Mantel, hat aber auf Zepter und Krone verzichtet.

«Mon Dieu», entfährt es mir. König Louis und seine Königin. Ihrer beider Liebe zueinander gebannt auf die Leinwand für die Ewigkeit. Verborgen vor den Augen des Publikums, weil nicht ist, was nicht sein darf. Doch ich will wissen.

«Haben Sie mehr für mich?», frage ich meinen Begleiter, ohne den Blick von den Augen der Königin lösen zu können.

«Darauf, Majestät», erklärt er, «können Sie sich verlassen.»

***

Nun habe ich gesehen, und doch bin ich wahrhaftig nicht klüger als zuvor. Ich weiß weder, wer mein unbekannter Freund ist, noch weiß ich, mit wem er zusammenarbeitet, denn er sprach von einem weiteren Rencontre – mit einem Mann, dessen Identität größter Geheimhaltung unterliegt. Ebenso wie die seine. Doch sie wissen, ebenso wie ich, um Frankreichs größtes Geheimnis: Könign Louise ist keine Sage, kein Märchen, kein Hirngespinst. Sie ist echt. Sie ist Frankreichs vergessene Königin. Und ich werde suchen, fragen, Vorhänge herunter- und falsche Masken abreißen, bis ich die wahre Geschichte erfahren habe.


1 Ludwig II. (1845-1886), König von Bayern, siehe Personenverzeichnis

2 Zur Rolle der Conciergerie siehe Erläuterungen.

3 Marie Antoinette d’Autriche (1755-1793), Königin von Frankreich und Navarra, siehe Personenverzeichnis

4 Louise de La Vallière, fut. de Bourbon (1644-1714), Königin von Frankreich und Navarra, siehe Personenverzeichnis

5 Die Pariser Weltausstellung (Exposition universelle d’Art et d’industrie) fand vom 1. April bis zum 3. November 1867 auf dem Champ de Mars statt.

6 Louis XVI (1754-1793), König von Frankreich und Navarra, siehe Personenverzeichnis

7 Laurent de La Baume Le Blanc La Vallière (1601-1651), Louises Vater, siehe Personenverzeichnis

TEIL II

 

1714-1736

 

On peut pardonner, mais oublier, c’est impossible.

Man kann vergeben, aber zu vergessen, das ist unmöglich.

 

Honoré de Balzac

Kapitel 3 – Marie Antoinette fürchtet um die Dokumente

 

 Les révolutions sont des temps où le pauvre n'est pas sûr de sa probité, le riche de sa fortune, et l'innocent de sa vie.

Die Revolutionen sind Zeiten, in denen der Arme nicht seiner Rechtschaffenheit, der Reiche nicht seines Reichtums und der Unschuldige nicht seines Lebens sicher ist.

Joseph Joubert

 

Temple1 1793

Aus den Aufzeichnungen der Königin Marie Antoinette

Ich müsste sie weggeben, endlich, ich weiß es. Nicht, weil die Dokumente mich oder mein unseliges Leben in Gefahr bringen, nein. Mein Leben ist längst verwirkt. Ein Volk, das sich nicht scheut, seinen König umzubringen2, wird vor der Königin nicht Halt machen.

Vielmehr kümmert mich, warum ich noch am Leben bin. Ganz Paris stinkt. Es stinkt so sehr, dass ich den Geruch hier oben in meinem Verließ in der Nase habe. Er sitzt in den feuchten Wänden, in den Laken, in der Wäsche, die man mir viel zu selten zum Wechseln bringt. Er sitzt im Wasser, und ich trinke ihn. Meine Zunge, meine Lippen sind benetzt mit dem Blut hunderter unschuldiger Menschen; mit dem Blut meines gemordeten Gatten. Ein Vorgeschmack auf das Blut, das die Guillotine verströmt, sich auf den Plätzen sammelt, durch die Straßen rinnt. Paris stinkt. Paris ist zum größten Schlachthof Frankreichs geworden.

Und ich sitze hier und spüre das Fallbeil an meinen Hals. Was wollen sie von mir, was habe ich, was mich am Leben erhält?

Noch habe ich … Verbindungen. Nein, keine Details. Jede Preisgabe bringt Menschen in Gefahr. Doch diese Verbindungen sorgen dafür, dass diejenigen, die mich bewachen, nachlässig werden. Gepanschten roten Wein gibt es reichlich in Paris. Roter Wein. Rotes Blut. Sie trinken, um den Geschmack des Blutes, für dessen Vergießen sie verantwortlich sind, in ihren Mündern ersaufen zu können.

Sie schlafen den bewusstlosen Schlaf der Säufer. Während sie schlafen, lese ich. Die Tagebücher, die Dokumente von König Louis und Königin Louise. Ist es das, was sie von mir wollen?

Meine Gedanken wandern zurück zu den schrecklichen Tagen des Sommers 1789. Mein Gatte ahnte, was auf ihn zukommen würde, dessen bin ich mir sicher. Und während der Hof sich leerte, auflöste, sichtete er nachts Dokumente, fügte diese der Truhe der Könige Frankreichs hinzu – und verbarg sie an einem sicheren Ort. Selbst ich kenne dieses Versteck nicht. «Das Wissen darüber bringt dich in Gefahr, Marie.» Einzig weiß ich, dass dieses Versteck von Louis XIV selbst angelegt worden ist. Auch er befürchtete eines Königs größten Feind: seine Verwandten, seine Nachfahren.

Wenn diese Dokumente, die ich selbst besitze, die einzigen ihrer Art sind, bedeutet das nicht, dass man nicht von ihnen weiß. Und wenn sie nicht die einzigen sind, hüten andere Menschen das Geheimnis gut. Diese Tage sind nicht geeignet, sich als Freund der Krone ertappen zu lassen. Doch ich weiß nicht, was andere wissen, und so muss ich das, was ich besitze, hüten wie meinen Augafel. Oder wie meinen Hals.

Meine Gedanken wenden sich wieder dem zu, was mein Gatte in den Nächten nach dem Antritt seines Amtes nicht hat schlafen lassen, den Enthüllungen, die ihm das Gefühl gaben, in einer Kloake zu schwimmen und keinen Grund mehr unter den Füßen zu haben. Ich bin mir sicher, dass er sich manchmal wünschte, die Truhe nie geöffnet zu haben. Sie war wie die Büchse der Pandora, ihr Öffnen ließ die Übel unseres Hauses, die Übel der Königsmacht, die Übel einer Familie entweichen. Und die Hoffnung, das erkenne ich hier an meinem trostlosen Ort, ist das tückischste aller Übel, denn sie verlängert die Qual des Leidens.

«In Wahrheit ist die Wahrheit das größte Übel», sagte mein Gatte einmal, «denn sie zwingt den Menschen, sich mit allen weiteren Übeln auseinander zu setzen. Und wenn man sie zurückhält, macht man sich der Lüge schuldig.»

In jedem Falle kann ich sagen, dass all die Wahrheit, die ihm durch die Truhe der Könige zuteil geworden ist, ihn tief quälte, bis zu seinem Ende. Er hatte sich durchgerungen, einen Beschluss gefasst – und dann die Revolution. Und doch keimte in seinem Inneren die Hoffnung, dass unsere wahre Geschichte überleben würde. Ist es Hoffnung, die ihn trug, oder ist es Vertrauen? Ist Vertrauen eine Tugend, während Hoffnung ein Laster ist?

Meine Wahrheit ist eine sehr einfache: ich werde zu den Königinnen gehören, die man ermordet haben wird, denn mein Tod ist mir gewiss. Doch ich weiß auch, dass ich nicht die erste des Hauses Bourbon bin, die diesen Weg gehen muss. Königin Louise musste ihn auch gehen, und sie ging ihn ohne die Hoffnung, ihre Mörder eines Tages bestraft zu sehen.

Wie muss sie mit sich gerungen haben, zu wissen, welcher Weg ihr bevorsteht, ihn aber doch nicht benennen zu dürfen! Wie schrecklich ist es, die Stunde und die Art und Weise seines Todes kennen zu müssen! Mehr noch, die Königin hatte in ihren schwersten Stunden keinen Beistand, keinen Trost, selbst ihre Lippen waren versiegelt. Die Äbtissin des Konvents, in den sie sich zurückgezogen hatte, war eine kluge Frau, und ihr gelang es, die Princesse de Conti3 rechtzeitig und heimlich zu benachrichtigen, die wiederum ihren Vater, den König, in Kenntnis setzte. Louise war zumindest in ihren letzten Minuten nicht allein. Doch wie muss dieses Geheimnis ihr das Herz zerpresst haben! Die Princesse de Conti schreibt in ihren Aufzeichnungen, dass ihre Mutter nicht mehr sprechen konnte. Ich vermute, sie wollte es nicht – keine Ausflüchte, keine Lügen in diesen Augenblicken. Nur die Versicherung ihrer Liebe, die Ehefrau für ihren Mann, die Mutter für ihre Kinder.

Das einzige Mittel, das ihr blieb, war das der Feder und der Tinte. Königin Louise nutzte sie.


1 Zur Rolle des Temple siehe Erläuterungen.

2 Louis XVI wurde am 21. Januar 1793 auf der ehemaligen Place Louis XV hingerichtet.

3 Marie Anne de Bourbon (1666-1739), Princesse de Conti, siehe Personenverzeichnis

Kapitel 4 – Die Königin kann nicht schweigen und schweigt dennoch

 

J'ai l'habitude de me taire sur ce que je sais.

Ich bin es gewohnt, über das, was ich weiß, zu schweigen.

Königin Louise

 

Kloster der Karmeliterinnen in der Rue d’Enfer1 Juni 1714

Brief der Königin Louise, wenige Tage vor ihrem Tod, an ihren Ehemann, nie abgeschickt

Louis, mon bien-aimé,

diese Worte sind an dich gerichtet und sind es doch nicht, denn sie werden Dich nicht erreichen. Ich müsste Dir Dinge offenbaren, die zu verbergen ich geschworen habe, und ich würde dich mit Dingen belasten, die den Untergang bedeuteten – für Dich, Louis, für das, was du bist, aber auch für das Königtum, und das darf nicht sein.

Dem Staate gebührt in allen Dingen der Vorrang.

Doch die Stimme in mir will nicht schweigen, die Worte drängen in meiner Kehle, sammeln sich, schnüren sie zu, und lähmen doch meine Zunge. Denn ich schwor, nicht zu sprechen. Niemand aber hat mir diesen Schwur für geschriebene Worte abverlangt. Ein schweres Versäumnis, wie mir scheint.

Ich bin nicht traurig, dass ich gehen muss, Louis, ich trauere nicht um mich. Ich habe das größte Geschenk erhalten, das einem Menschen auf dieser Welt zuteil werden kann: Ich kenne die Liebe – die wahre, die echte, die so groß ist, dass sie die Götter selbst in Versuchung führt. Eine zu große Liebe weckt ihren Neid, sie kränkt sie, die doch mit der Liebe immer auch Tragik verbinden, und sie trachten danach, uns Menschen zu ihrem Spielball zu machen. Die Menschen sind für die Götter Werkzeug ihres Willens oder Darsteller auf einer mehr oder weniger großen Bühne.

Die Götter sind eifersüchtig, Louis. Und sie strafen, indem sie nehmen. Die größte Sünde, Dich zu lieben, Louis, besteht darin, dass ich Dich mehr liebe als den Höchsten. Meine Liebe zu ihm ist groß, doch ich liebe Dich mehr. Und wo immer ich hingehen werde, so weiß ich, dass dies Bestand haben wird. Ich bete, dass der Höchste mir diese Schwäche, die ich nicht reuen kann, vergeben wird.

Hier, in dieser irdischen Welt nun, muss ich bezahlen. Die Opfer, die ich brachte, genügen noch nicht. Unser Junge, hingegangen, fern von uns, auf den Schlachtfeldern. Unser Jüngster, der abgeschieden von der Welt zwar seine Eltern kennt, doch nicht weiß, was sie sind. Seine Welt endet an den Grenzen seines Landsitzes. Unsere Kinder, die, auch wenn die mündliche Rede anderes sagt, als Kinder einer anderen gelten.

Und nun zahle ich den höchsten Preis, Louis, die Götter haben ihre Werkzeuge gefunden. Ich gehe nicht freiwillig, Geliebter, mein Abgang von der Bühne wurde beschlossen. Sie fordern meinen Tod.

Wir beide haben der Welt unsere Liebe dargeboten, wir haben die Vorhänge gelüftet und sie aus den Schatten des Geheimnisses ans helle Licht gebracht, sie zur Schau gestellt als das Wertvollste, das wir besitzen. Und die wachsamen Götter des Schicksals richteten ihre Augen auf uns und suchten uns zu verderben.

Es ist ihnen nicht gelungen. Was immer mit meiner Seele geschehen wird, ist meine Liebe zu Dir ein Teil von ihr. Zürne nicht, Louis. Bewahre mich in Deinem Herzen. Diese Liebe siegt über den Neid der Götter.

Sie kommen, Louis, um das Verdikt über mich zu sprechen. Ich muss enden, in mehrfacher Hinsicht. Doch wie die Sonne unsere Liebe in die Welt gebracht hat, wird sie auch die Taten unserer Feinde ans Tageslicht bringen. Diese Zeilen hier werden gelesen werden, dafür werde ich sorgen.

Au revoir, geliebter Gatte. Ich werde Dich erwarten, wenn Deine Zeit gekommen ist.


1 Zur Lage der Rue d’Enfer siehe Erläuterungen.

Kapitel 5 – Die Pläne der Königin

 

Celui qui soutient sa folie par le meurtre, est un fanatique.

Wer seinen Wahnsinn durch Mord aufrecht erhält, ist ein Fanatiker.

Voltaire

 

Kloster der Karmeliterinnen in der Rue d’Enfer, Paris, Juni 1714

Königin Louise an ihre Tochter Marie Anne

Marie Anne, ma bien-aimée fille, grolle mir nicht ob der Verantwortung, die ich Dir mit diesem Brief aufbürde. Ich habe meine Gründe für dieses Vorgehen.

Ma fille, Dein Vater ist nun, so hoffe ich, an meiner Seite. Denn so habe ich es verfügt; diese Zeilen dürfen erst, wenn auch er den letzten Weg gegangen ist, in deine Hände gelangen. Ihr, die ihr unsere Kinder seid, habt nun nur noch einander, wir können Euch nicht mehr schützen vor den Stürmen, die um die Stufen des Thrones toben, doch Ihr seid von unserem Blut, vergesst das nie. Gleich, was die Welt dort draußen zu behaupten mag, habe ich Dir und Deinen Geschwistern das Leben gegeben, und ich habe nie einen anderen Mann gekannt als Deinen Vater.

Lies, Marie Anne, und verfahre dann nach deinem Gutdünken, doch bringe dich nicht in Gefahr. Niemals. Euer Leben ist wichtiger als unsere Geschichte. Dieses ließ ich auch Louis Auguste1, deinen Bruder, wissen, dem ich die gleichen Zeilen werde zukommen lassen wie Dir. Er weiß.

Du wirst bald Besuch erhalten von einem Boten des Comte de Barcelone, der dessen Ankunft ankündigen wird, wenn meine Rechnung aufgeht. Mit ihm kannst du frei sprechen – mit Louis Auguste nur, wenn er, wie ich hoffe, König von Frankreich geworden ist, oder zumindest Regent für den kleinen Jungen. Wenn es nicht gelungen ist, unsere Pläne zerschlagen – nein. Daran will ich nicht denken.

Mit diesen Zeilen schicke ich Dir eine Liste von Personen, die auch den Comte de Barcelone erreicht hat. Lies, Marie Anne. Du wirst verstehen, was ihre Namen bedeuten. Und vor wem Ihr alle Euch hüten müsst.

Behaltet im Herzen, dass die Liebe stärker ist als der Hass. Behalte Marie Louise2, ihre ältere Schwester3 und unsere Kleine4 im Auge. Sei stark für sie, geliebte Tochter. Der Comte de Barcelone wird Euch zur Seite stehen. Seine Möglichkeiten sind groß, und unsere Feinde fürchten ihn.

Ich liebe Dich sehr, ma fille, und küsse Dich von dort wo ich jetzt bin.


1 Louis Auguste de Bourbon (1670-1736), Duc du Maine, siehe Personenverzeichnis.

2 Marie Françoise Louise de Bourbon (1677-1749), spätere Duchesse d’Orléans, siehe Personenverzeichnnis.

3 Louise Françoise de Bourbon (1673-1743), spätere Duchesse de Bourbon, siehe Personenverzeichnis.

4 Louise Marie Anne de La Vallière (1684-1739), fut. de Bourbon, siehe Personenverzeichnis.

Kapitel 6 – Die Offenbarung des Königs

 

Un véritable Roy n’est ni mari ni père.

Ein wahrer König ist weder Ehemann noch Vater.

Pierre Corneille, Nicomède

 

Château de Versailles, September 1714

Brief des Königs an den Duc du Maine

Mon cher fils,

 

denn das bist du, Louis Auguste, eines vorweg: Dieses hier sind keine Briefe, vielmehr ist es meine Beichte.

Deine Mutter ist tot. Meine Frau, meine Königin. Mich hält nichts mehr in dieser Welt, und doch muss ich zu Ende bringen, was wir, sie und ich, begonnen haben.

Mon fils, ich schrieb einmal Dokumente wie diese hier, ebenfalls gerichtet an meinen Sohn, an deinen ältesten Bruder, an meinen Nachfolger, an den Dauphin1.

Du weißt, dass Deine Mutter, nennen wir es beim Namen, das zweite Gesicht hat. Hatte. Ich hasse es. Ich hasse es, von ihr in der Vergangenheit zu schreiben, und ich möchte das nicht tun.

Nun denn, sie hat das zweite Gesicht. Louis Auguste, du weißt auch, wie gefährlich eine solche Gabe ist, und mit entsprechender Vorsicht achtete Deine Mutter darauf, dies nicht ruchbar werden zu lassen.

Doch sie wusste Dinge, Louis Auguste, und sie wusste auch, dass Louis, der, der jetzt le Grand Dauphin genannt wird, mir nicht folgen würde.

«Die Bürde ist zu schwer für ihn», sagte sie, «er würde sie tragen, wenn er könnte.»

Sie hatte Recht, Louis Auguste. Und sie musste nicht erst von seiner Erkrankung erfahren, um das zu wissen.

Meine ersten Jahre als König waren schwer. Du bist erstaunt ob des Themenwechsels, nicht wahr? Doch höre.

Ich musste einsehen, wie wenig ich wusste, mehr noch, ich musste erkennen, wie der Mann im roten Mantel2 sich bemühte, mich zum König zu machen, aber keinen König aus mir zu machen. Welche Ironie, aber wie sehr hätte ich mir einige Zeilen aus der Hand desjenigen gewünscht, den sie meinen Vater nennen. Louis XIII3 ist mir in den wenigen Jahren, die er noch am Leben war, mehr Vater gewesen als es der Kardinal je hätte sein können.

Deshalb schrieb ich an meinen Sohn. Ich wünschte, dass, folgte der Dauphin mir nach, er die Zeilen in der Hand halten könnte, die ich mir so sehr gewünscht habe. Doch Deine Mutter hatte Recht. Und nun ist es so, dass er mir seine Schriften hinterlassen hat, nicht umgekehrt. Und der starke Baum, der einst unsere Familie war, begann, seine Äste zu verlieren. Söhne, Enkel. Ich habe viele verloren.

Niemand mehr ist da aus dieser Linie, außer dem kleinen kränklichen Jungen. Der Fluch des Hauses Bourbon. Kindkönige.

Mein Junge, ich weiß, was dieser Fluch für ein herrschendes Haus bedeutet. Ich weiß, was dieser Fluch für das Land, dessen Verantwortung man trägt, bedeutet. Ich habe sie selbst erfahren, die Unruhen im eigenen Land, ich kenne Flucht. Hunger. Durst. Angst. Ich habe sie erfahren, die Männer, die gierig ihre Hände nach der Macht ausstrecken, wenn der König noch ein Kind ist. Louis XIII litt an der Krankheit namens Concini4, ich litt an der Krankheit namens Riche-Marin. So nannte ich die beiden Männer im roten Mantel in einem Atemzug in den Aufzeichnungen des Jungen, der ich damals war. Ein hübsches Wortspiel, nicht wahr? Monsieur le Cardinal schätzte die Armut nicht. Keuschheit im Übrigen auch nicht.

Und nun ist da allein der kleine kränkliche Junge. Was ist größer, Louis Auguste, die Verantwortung als Vater oder die als König?

Un véritable Roy n’est ni mari ni père.
Ein wahrer König ist weder Ehemann noch Vater.

Und ich, mein Junge, muss einmal mehr entscheiden, welcher Aufgabe ich gerecht werde. Manchmal lassen sich die Dinge nicht miteinander verbinden.

Setze die Lektüre fort, mon fils, ich bitte dich inständig, auch wenn du zweifelsohne ahnst, was ich Dir mitzuteilen habe.

Der kleine Junge also.

Deine Mutter, die Königin, und ich haben andere Pläne. Pläne, die, trotz aller Sorgfalt, in die Ohren und die Hände unsere Feinde geraten sind. Deine Mutter hat mit ihrem Leben dafür bezahlt.

Doch ich werde sie weiter verfolgen, mon fils, und ich werde herausfinden, wer mir Eure Mutter, meine Frau, meine Königin genommen hat, denn das ist das einzige Ziel, dass ich in dieser Welt noch habe. Ich konnte ihren Tod nicht verhindern, Louis Auguste, ich ahnte nicht einmal, in welcher Gefahr sie schwebte, und wollte allzu gern ihren Beteuerungen, es sei nichts, Glauben schenken. Und nun drückt diese Schuld auf mein Herz und auf meinen Verstand. Sie krümmt meinen Rücken und presst mir die Kehle zu.

Ich sehne mich nach ihr, Louis Auguste. Jede Nacht träume ich von ihr. «Mir ist so kalt», sagte sie in der vergangenen. Mich friert es ebenfalls in meinem schönen prunkvollen Bett. Sie hat die Wärme mitgenommen, als sie gegangen ist, sie hat das Licht mitgenommen.

Fasse Er sich. Das hier soll nicht das rührselige Gekritzel eines alten Mannes werden.

Louis Auguste, wenn meine Pläne gelingen, wirst du König von Frankreich sein. Schrecke nicht, mon fils. Deshalb schreibe ich an Dich. Jetzt, weil meine Finger darauf drängen, die Wahrheit niederzuschreiben. Erhalten wirst Du diesen und andere Schreiben von meiner Hand, wenn es an mir ist, mich auf den letzten Weg zu machen. Ich werde es bemerken, da bin ich sicher. Und Deine Mutter wird es mir künden. Auch da bin ich mir sicher.

Und nun schreibe ich Dinge auf, die ich selbst dem Grand Dauphin nicht offenbart hätte. Denn was ich offenbare, ist Teil deiner Geschichte.

 


1 Louis de France (1661-1711), dit Monseigneur, le Grand Dauphin, siehe Personenverzeichnis.

2 Jules Mazarin (1602-1661), siehe Personenverzeichnis.

3 Louis XIII (1601-1643), König von Frankreich und Navarra, siehe Personenverzeichnis.

4 Concino Concini (1569-1617), Marquis d’Ancre, einflussreichster Berater der Marie de Médicis, siehe Personenverzeichnis.

Kapitel 7 – Marie Anne erhält eine ungewöhnliche Botschaft

 

La vie des morts consiste à survivre dans l'esprit des vivants.

Das Leben der Toten liegt darin, in den Gedanken der Lebenden zu überleben.

Marcus Tullius Cicero

 

Versailles, 1. September 1715

Aus den Aufzeichnungen Marie Annes

Er ist tot. Mein Vater, der König ist tot. Meine Mutter, als sie vor einem Jahr starb, hat das Licht mit sich genommen, und nun, da mein Vater nicht mehr ist, ist selbst der glimmende Docht erloschen. Keine Zeit, der Trauer nachzugeben, die in mir tobt, die mich kratzt und beißt und zwickt und mit aller Macht aus mir herausdringt. Stattdessen flaniere ich durch die überfüllte Spiegelgalerie und nehme Kondolenzen entgegen von Leuten, deren Höflichkeit darin besteht, sich nicht allzu offensichtlich über das Ableben meines Vaters zu freuen. Ein neuer König bedeutet auch immer neue Möglichkeiten.

Ich will weg hier, nichts wie weg. Nichts im großen Schloss ist mehr, wie es einmal war. Die alte Ordnung ist wortwörtlich zusammengebrochen, es wimmelt buchstäblich von Hunderten von Gesichtern. Einige von ihnen kenne ich, andere habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Es sind diejenigen, die Groll gegen meinen Vater hegten, oder mehr noch gegen meine Mutter. Nun kommen sie aus ihren Löchern gekrochen wie die Ratten und versammeln sich zum Leichenschmaus. Etliche von ihnen gehören zur Entourage meines Cousins, des Duc d’Orléans1, sie feiern den aufgehenden Stern des geifernden alten Sacks. Andere wiederum zeigen offen ihre Trauer.

Nichts mehr wünsche ich mir im Augenblick als zurückziehen zu können in mein Haus nach Paris, um mich dort von liebenden Armen trösten zu lassen, meiner Trauer nachgeben und offen weinen zu können.