Josef Kirschner
Das größte Abenteuer unserer Zeit
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen
info@finanzbuchverlag.de
3. Auflage 2020
© 2013 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Die Originalausgabe erschien 1982 bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlaggestaltung: Karina Braun, München
Satz: Andreas Linnemann, München
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-95972-316-9
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-663-4
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-664-1
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.finanzbuchverlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
Vorwort
Warum es endlich Zeit wird, den Kreislauf des Überflusses zu stoppen und wieder zu uns selbst zu finden – ehe es zu spät ist
Warum die Leser dieses Buches keine Rezepte für die Bewältigung des Überflussproblems erwarten dürfen
1. Warum das Leben im Überfluss nichts anderes ist als die Flucht vor der Realität – in eine Welt der Täuschung
2. Die unschätzbare Fähigkeit, jederzeit freiwillig auf ein verlockendes Angebot verzichten zu können
3. Wie man Spaß an der Selbstdisziplin gewinnt – und sich vom Druck befreit, mit dem uns andere zum Überfluss drängen
4. Wer sich täglich einmal selbst besiegt, gewinnt die erste Schlacht gegen den Überfluss
5. Damit wir uns selbst wieder näherkommen. Wie Angst und Schuldgefühle zu Überflussverhalten führen, und was wir dagegen tun können
6. »Horche so lange in dich hinein, bis du erkennst, was für dich das Richtige ist«
7. Wie ganz von selbst neue Maßstäbe für unser Leben entstehen, wenn wir erst einmal begonnen haben, in uns hineinzuhorchen
8. Wie sich Maria D. nach 30 Ehejahren zur Scheidung entschloss, und was das mit dem Überflussproblem zu tun hat
9. Ein wichtiger Grund, warum wir lernen sollten, das Leben zu genießen, um den Überfluss zu vermeiden
10. »Ich ziehe mich in meine Höhle zurück, dort finde ich genug Kraft und Ideen, um alle meine Probleme zu lösen«
11. Warum die Hunza keine Ärzte brauchen und auf den elektrischen Strom verzichteten
12. Eine Sache, zu der uns eine tiefe Beziehung fehlt, ersetzen wir leichten Herzens durch eine andere
13. Vier kleine Hinweise für den Alltag können große Veränderungen bewirken
14. Vier Behauptungen, über die es sich lohnt, ein wenig nachzudenken
15. Der Sprung des Christian S. ins große Leben – und der Weg zu sich selbst
16. Was einer Frau verloren geht, wenn sie sich bei ihrer Arbeit nicht mehr die Hände schmutzig macht
17. Warum wir so häufig versuchen, fehlende Ergebnisse durch schöne Worte wettzumachen
18. Die seltsame Tatsache, dass wir mit einem wertvollen Gut, das in jeder Minute unseres Lebens unwiederbringlich verrinnt, so leichtfertig umgehen
19. Je weniger wir uns um die Ratschläge anderer kümmern, umso gründlicher entdecken wir uns selbst
20. Wenn wir die »Wissenden« nicht mehr bewundern, ist die Zeit gekommen, an uns selbst zu glauben
21. »Wir haben uns daran gewöhnt wegzulaufen, statt die Konfrontation mit uns selbst anzunehmen«
22. Die Strategie der fünf Punkte, mit der wir den maßlosen Fortschritt in die Schranken weisen können
23. Wie uns die Ungeduld daran hindert, aus weniger das meiste für uns herauszuholen
24. Wie wichtig es ist, sich über das persönliche Glück keine falschen Vorstellungen zu machen
25. Wie der Bauer Josef Weinberger mit 68 Jahren sein Problem löste und jetzt aus Hühnermist Strom erzeugt 134
26. Sechs Regeln für das Spiel, in dem der Überfluss unser großer Gegner ist
27. Sieben Beispiele, was wir alles tun, um anderen zu gefallen
28. Was uns alles unter dem Schlagwort »Bildung« anerzogen wird, und was es uns tatsächlich im Leben nützt
29. Was der Professor sagte, als sich ein Patient gegen seine Krankheit täglich eine Portion Knoblauch verschrieb
30. Wie die seltsame Faszination der Farbe Weiß viele Menschen zu gefährlichem Überfluss verführt
31. Je weniger Risiko ein Einzelner auf sich nimmt, umso größer wird die Macht der anonymen Bürokratie
32. Wer immer nur in Eile ist, läuft nicht selten ein ganzes Leben lang vor sich selbst davon
33. Welchen Einfluss ein kräftiges Frühstück auf die Einkaufsgewohnheiten meiner Frau hat
34. Spontaneität, System oder Gefahr – drei Wege zur Veränderung, aus denen jeder den besten für sich wählen sollte
35. Wann immer Sie sich die Frage stellen, wo der Überfluss beginnt, sollten Sie ohne Zögern die Antwort kennen
Nachwort
Biografie
Für alle, die bereit sind, sich auf ein Abenteuer einzulassen, das heute beginnt und niemals enden sollte. Es ist das Abenteuer, man selbst zu sein statt das hilflose Opfer einer Entwicklung, die längst außer Kontrolle geraten zu sein scheint.
Mein Vater schrieb »Die Kunst, ohne Überfluss glücklich zu leben« in einer Zeit, an die ich nur wenige Erinnerungen habe. Das war Anfang der 1980er-Jahre während meiner Ausbildung. An was ich mich aber gut erinnere, ist, wie oft wir uns über einen vermeintlich luxuriösen Lebensstandard unterhalten haben, der auf Kredit finanziert wird und einen in eine Spirale der Abhängigkeit bringt, aus der man sich nur schwer wieder befreien kann. »Geld macht glücklich, wenn man rechtzeitig drauf schaut, dass man‘s hat, wenn man‘s braucht!«, dichtete er 1988 für Werbespots anlässlich einer Kampagne für das Bausparen der österreichischen Raiffeisenbank, ein Grundsatz, den er auch in diesem Buch verarbeitet hat.
Ich habe für mich in dieser Zeit aus unseren Gesprächen gelernt, wie ich nicht in diese Abhängigkeit gerate und die drei Ziele meines Lebens erreiche. Für mich waren das eine Familie, ein Haus mit Garten und keine Schulden. Wie man das erreicht? Durch Ehrgeiz, Geduld und Ausdauer - die anderen Ziele ergaben sich von selbst.
Aber wie sehr entfernt uns eigentlich unser Drang nach scheinbarem materiellem Wohlstand von unserm wahren Glück? Auch das war eine dieser Fragen, die wir zu erläutern suchten. Ein Gedanke war, dass uns die Gesellschaft, die Werbung und der Drang nach Geltung zum Überfluss treiben. Zu einem Überfluss, den wir ja oft nicht als solchen wahrnehmen. Doch wenn wir uns ansehen, wie viele Kinder heute mit dem Auto fünfhundert Meter in Kindergarten oder Schule gefahren werden, erziehen wir schon die nächste Generation zum Überfluss.
Ein Teil der Philosophie meines Vaters war auch »Vom Notwendigen das Beste«. Er fand, dass man sich darüber klar werden sollte, was man tatsächlich braucht und nach dieser Erkenntnis auch bereit sein sollte, in Qualität zu investieren. Statt sich ständig etwas Unnützes zu kaufen, das dann ungetragen, ungenutzt in irgendwelchen Ecken verkommt.
Speziell in den letzten Jahren kamen wir in unseren Gesprächen oft zu der Frage: »Wie finde ich tatsächlich mein eigenes Glück?« Immer mehr näherten wir uns einer Erkenntnis, die für uns zu einem wesentlichen Inhalt in unser beider Leben wurde: Letztlich ist doch das wahre Glück in uns, unabhängig davon, was andere von uns denken, was sie über uns sagen, oder wie wir glauben, dass uns andere sehen.
Ich glaube, wir alle drängen uns selbst oft in einen Schein, den wir verzweifelt aufrechtzuerhalten suchen, um unser Glück in der scheinbaren Anerkennung der anderen zu finden. Aber ist es nicht so, dass wir den anderen eigentlich »wurscht« sind, weil sie genauso mit dem Aufrechterhalten ihres Scheins beschäftigt sind? So kamen wir an einem dieser Abende, zu einem für uns beide entscheidenden Schluss: »Der wahre Fortschritt ist die Rückkehr zu dir selbst.« Ein Satz, den mein Vater auch als einen Kernpunkt seines letzten Buches, dass er leider nicht mehr zu Ende bringen konnte, sah.
Ich wünsche Ihnen mit diesem Buch viel Freude, Erkenntnis und Ihre ganz persönliche Antwort auf die Frage: »Wie finde ich tatsächlich mein eigenes Glück?«
Ronald Kirschner
Wien, im Februar 2020
Es mag sein, dass Sie in nächster Zeit an einem Autounfall sterben, aufgrund von Umweltschäden vergiftet werden oder dem täglichen Stress zum Opfer fallen. Was uns alle jedoch hundertmal mehr in unserer Existenz bedroht, ist etwas, dem wir arglos als große Errungenschaft huldigen: das Leben im Überfluss.
Als in den Fünfzigerjahren in den vom Zweiten Weltkrieg zerstörten Ländern der Hunger gestillt war, ging den meisten Menschen sehr rasch der Instinkt für ihre natürlichen Bedürfnisse verloren.
Sie aßen nicht mehr, was sie sättigte, sondern nahmen alles, was ihnen eingeredet wurde. Sie fuhren nicht, um irgendwohin zu kommen, sondern um schneller dort zu sein als andere. Angefeuert von den unermüdlichen Predigern des Fortschritts.
Diese Prediger – was haben sie uns nicht alles vorgegaukelt! Und was hat sich davon tatsächlich erfüllt? Haben sie uns glücklicher gemacht mit den Automaten? Hat uns die modernste Medizin aller Zeiten von unseren Leiden geheilt? Leben wir besser, weil wir mehr wissen? Haben wir durch mehr Wissenschaft und Bildung mehr aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt als frühere Generationen?
Nichts haben wir gelernt.
Als 1945 der Friede begann, ahnten alle, dass in den vergangenen Jahren Millionen Menschen völlig sinnlos gestorben waren. Das hinderte jedoch die Übriggebliebenen nicht, sofort eine neue Katastrophe vorzubereiten: das Leben im Überfluss, das gefährlicher ist, als es der Krieg war.
So stirbt beispielsweise bei uns heute jeder zweite Bürger früher oder später am Infarkt. Die Zahl der Herz- und Kreislauftoten steigt seit 1950 jährlich um 5 Prozent. Diejenigen, die daran schuld sind, werden aber nicht zur Rechenschaft gezogen. Man feiert sie als die großen Helden unserer Epoche.
So rafft die Seuche Überfluss, die der viel gepriesene Fortschritt gebracht hat, die Menschen hinweg. Wir, die wir noch am Leben sind, klammern uns an die Hoffnung, dass es uns nicht als Nächsten erwischt. Inzwischen suchen wir weiter Zuflucht bei dem, was uns vermutlich auch eines Tages zum Verderben wird – wir flüchten vor der Realität des Lebens in immer neuen Überfluss.
Dieser Überfluss hat uns bequem und hilflos gemacht. Weil wir dem Versprechen glauben, wir könnten alles kaufen, was uns glücklich macht, ließen wir jene Eigenschaften verkümmern, mit denen wir uns aus dem verhängnisvollen Kreislauf des Überflusses selbst befreien könnten.
Dieser Kreislauf begann, als die Prediger des Fortschritts ihre neuen Lebensgesetze verkündeten und in uns willige Opfer fanden. Sie suggerierten uns:
Schaue nur vorwärts und nie zurück. Was gestern neu war, ist heute schon veraltet.
Kaufe heute, was dir als zeitgemäß angeboten wird, auch wenn du das Geld dafür erst verdienen musst. Bezahlen kannst du später.
Lass die Technik für dich arbeiten, damit du dich bequem hinsetzen und ein schönes Leben führen kannst.
Diese neuen Lehren des Heils haben uns schon nach kurzer Zeit in Konflikt mit uns selbst gebracht. Statt des schönen Lebens hat uns der maßlose Konsum nur größere Ängste, Unsicherheit und quälende Schuldgefühle beschert.
Wir haben guten Glaubens so lange auf den Fortschritt und seine Gesetze vertraut, bis wir selbst nicht mehr wussten, was für uns richtig ist. Wir haben zu viel gekauft und uns von anderen abhängig gemacht. Statt uns die Technik zu unterwerfen, haben wir durch sie verlernt, unsere eigenen Fähigkeiten sinnvoll einzusetzen.
Dabei sind es gerade diese Fähigkeiten, die unsere Freude an der Arbeit und der Bewältigung des Lebens bestimmen. Worauf sollten wir noch stolz sein, wenn uns die Technik alles abnimmt, was unseren Selbstwert ausmacht?
Gerade wegen des Überflusses, den wir geschaffen und dessen Wichtigkeit wir uns eingeredet haben, wissen wir längst nicht mehr zu unterscheiden, was uns nützt und was uns schadet – oder was ganz einfach wertlos ist.
Wenn wir es genau betrachten, treiben nicht mehr wir den Fortschritt voran, sondern der Fortschritt treibt uns einer ungewissen Zukunft entgegen. Es scheint, als seien wir hoffnungslos gefangen in diesem Kreislauf des Überflusses, der uns unweigerlich mit sich zu reißen droht.
Wie, werden Sie fragen, kann man heute dem Verhängnis noch entkommen?
Die Antwort lautet: Werfen Sie an jedem kommenden Tag Ihres Lebens ein Stück des Ballastes ab, den man Ihnen aufgeladen hat. Stärken Sie an jedem Tag ein wenig mehr die Kraft zum Widerstand gegen die Verlockungen des Überflusses.
Das ist der beste Weg der Rückkehr zu sich selbst, nachdem Sie so lange dazu angehalten wurden, vor sich selbst davonzulaufen. Vielleicht entdecken Sie dann schon sehr bald, dass das wahre Abenteuer unserer Zeit nicht die Flucht in den Überfluss ist, sondern die Wiederentdeckung des so lange von uns vernachlässigten, faszinierenden Ichs.
Die Kunst, ohne Überfluss glücklich zu leben, ist für jeden erlernbar, dessen Bedürfnis danach stark genug ist. Oder dessen Unbehagen mit dem Leben, das er derzeit führt, ihn zu einer Umkehr drängt.
Das Problem ist, dass mancher Lernwillige sagen wird: »Ich bin mir darüber im Klaren, dass in meinem Leben etwas geändert werden muss.« Er reckt also entschlossen den Kopf, krempelt die Hemdsärmel hoch, die Augen blitzen vor wilder Entschlossenheit. Dann schaut er sich suchend um und fragt: »Wer sagt mir, was ich tun soll?«
Wenn Sie dieses Buch in der Absicht gekauft haben, eine einfache Anleitung zu erhalten, müssen Sie enttäuscht werden. Der Überfluss mit seinen unübersehbaren Folgen kann nicht durch die Befolgung einiger weniger Rezepte überwunden werden. Dadurch, dass wir ein paar Lampen aus der Fassung drehen. Oder weniger mit dem Auto fahren. Oder sparsamer mit dem Geld umgehen.
Das Problem sitzt viel tiefer. Es sitzt in uns. Dort müssen wir es aufspüren, uns mit ihm anfreunden, und dort müssen wir die Gegenkräfte mobilisieren.
Die wichtigsten Gegenkräfte gegen den Überfluss sind Beschränkung und Verzicht.
Es gab zu allen Zeiten zwei Möglichkeiten, die Menschen zur Einschränkung zu veranlassen:
Erstens: der Zwang durch Naturgewalten, Not, Versagen und Krieg. Zweitens: die Überzeugung, dass es richtig ist, sich von Zeit zu Zeit freiwillig Beschränkungen und Verzicht aufzuerlegen, um daraus neue Kraft zu schöpfen.
Dieses Buch beschäftigt sich vorwiegend damit, den Leser zu Letzterem zu ermutigen und schrittweise Veränderungen in der bisherigen Lebensweise aufzuzeigen. Das vordringliche Ziel soll dabei sein, uns selbst an jedem weiteren Tag unseres Lebens mehr Freiheit und Glücksgefühl zu verschaffen.
Wer also die Kunst, ohne Überfluss glücklich zu leben, erlernen will, muss zwei Voraussetzungen mitbringen:
Er muss bereit sein, sich freiwillig Beschränkungen und Verzicht aufzuerlegen.
Er muss den Überfluss bei sich selbst erkennen und bewältigen. Es gibt für ihn nicht die Ausrede, der Staat oder irgendjemand müsste für die Lösung dieses Problems sorgen.
Das bedeutet weiter, dass jeder, der sich in das Abenteuer eines Lebens ohne Überfluss stürzt, einen ganz persönlichen, individuellen Weg einschlagen muss.
Dieses Buch beschreibt das Bemühen des Autors, den Überfluss in seinem Leben zu bewältigen. Mit allen Fehlern, die er dabei beging, Erkenntnissen, die er dabei gewann, und den Beispielen, die vieles verdeutlichen werden.
So verbrachte er beispielsweise viele Abende mit einem jungen Unternehmer, der eines Tages beschloss, die Belegschaft seiner Firma von 36 auf vier Arbeiter zu reduzieren, um auf diese Weise mit weniger Aufwand mehr Glück zu finden.
Oder er studierte die Geschichte der Hunzas, eines Volkes im Hindukusch, bei dem es keine Ärzte gibt, weil die Menschen durch ihre ausgeglichene Lebensweise nicht krank werden.
Die Sammlung solcher und ähnlicher Beispiele und die eigenen Erfahrungen des Autors sollen allerdings nicht mehr, aber auch nicht weniger bewirken, als den aufnahmebereiten Leser anzuregen, seine eigenen Abenteuer zu bestehen und daraus ständig zu lernen.
Eigene Erfahrungen machen – das ist der entscheidende Punkt.
Es bedeutet zuallererst, sich eingehend und ständig mit sich selbst zu beschäftigen. Es heißt, alle Lösungen bei sich selbst aufzuspüren, statt unaufhörlich danach zu fragen. Denn – das sollte nie vergessen werden – es gibt niemanden auf der Welt, dem unsere Entscheidung zur Beschränkung mehr nützt als uns selbst.
Der Autor hat durch seine Bücher »Manipulieren – aber richtig«, »Die Kunst, ein Egoist zu sein« und »Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner« einige Erfahrung im Umgang mit Lesern. Er hat gelernt, sie in drei Gruppen einzuteilen:
Die Bewunderer, die nach jemandem suchen, der ihnen sagt, was sie tun sollen. Und dem sie grenzenlos dankbar dafür sind, dass er es ihnen sagt. Unbeschadet der Tatsache, dass die meisten dieser Leser letztlich gar nicht tun, was er empfiehlt.
Die Kritiker, die ein Buch nur lesen, um darin Fehler aufzuspüren. Wenn es ihnen gelingt – und es gelingt ihnen immer –, gibt es ihnen das Gefühl, dass der Autor doch nicht so gescheit ist, wie er vorgibt. Diese Schwäche des Autors wird vom Kritiker dann dazu benützt, auf die eigene Überlegenheit hinzuweisen. Dies hindert ihn nicht selten daran, Anregungen aufzunehmen und etwas in seinem eigenen Leben zu verändern.
Die Realisten, die selbst eine Vorstellung von ihrem Leben haben. Sie suchen in Büchern nichts anderes als Anregungen. Sie lesen ein Buch, um es zum eigenen Nutzen auszubeuten. Der Autor hat dabei nur Zubringerdienste zu leisten.
Es braucht nicht betont zu werden, dass diese letzte Gruppe die besten Voraussetzungen mitbringt, sich die Kunst, ohne Überfluss glücklich zu leben, am ehesten anzueignen.
Das vorliegende Buch ist in 35 Abschnitte eingeteilt. Jeder Abschnitt beschäftigt sich damit, in welchen Formen und auf welchen Wegen der Überfluss unser Leben bestimmt. Ebenso beschäftigt sich jeder Abschnitt damit, wie ein jeder – der sich ernsthaft darum bemüht – durch viele kleine Schritte ein wenig mehr Unabhängigkeit gewinnen und so allmählich aus dem unterdrückenden Kreislauf des Überflusses aussteigen kann.
Die »kleinen Schritte«, von denen hier die Rede ist, müssen getan werden auf den zwei Ebenen, auf denen sich jede Veränderung in unserem Leben vollzieht, die Bestand haben soll: auf der Ebene der Erkenntnis und auf der Ebene des Handelns.
Seit sie im Überfluss leben, haben sich die Menschen viel stärker in der Einstellung zu sich und ihrem Leben verändert, als sie es wahrhaben wollen. Sie haben sich eilfertig an das Leben im Wohlstand gewöhnt, aber sie haben nicht gelernt, seine Grenzen zu sehen.
Die größte Gefahr ist nicht der Wohlstand selbst, sondern das Maß, in dem er unsere Bereitschaft korrumpiert, um unser tägliches Glück zäh und entschlossen zu kämpfen.
Die Prediger des Fortschritts haben uns das Märchen vom ewigen Wohlstand eingeredet, der uns Glück und Frieden und die Erfüllung aller Sehnsüchte bringen soll. Vorausgesetzt natürlich, wir schaffen unermüdlich, damit wir konsumieren können. Und wir konsumieren, damit wir Arbeit haben. Aber diese Prediger des Fortschritts – die Politiker und die Techniker, die Wissenschaftler und die ehrgeizigen Manager –, sie haben es unterlassen, uns vor den verhängnisvollen Folgen zu warnen. Es sind Folgen dieser Art:
Je mehr wir das tägliche Glück im bequemen Wohlstand suchen, umso stärker vernachlässigen wir die Auseinandersetzung mit uns selbst.
Je weniger wir die Probleme bei uns selbst lösen, umso mehr neigen wir dazu, vor den Problemen mit unserer Mitwelt die Flucht zu ergreifen.
Immer mehr ersetzen wir das Streben nach Glück durch Ausweichen in die Quantität. Statt »in die Tiefe« zu leben, bleiben wir an der Oberfläche. Das hektische Angebot an Abwechslungen und Neuerungen lässt uns keine Zeit mehr, zu genießen, was wir besitzen.
Je länger wir nach diesem Prinzip leben, umso geringer wird unsere Widerstandskraft gegen die ständige Verlockung, vor der Bewältigung der Tagesrealität wegzulaufen. Statt sie kämpferisch anzugehen.
»Ein einfacher Mensch wie ich«, werden Sie jetzt arglos sagen, »leistet sich ja doch nur das, was er wirklich braucht.« Und vermutlich werden Sie alle Klischeevorstellungen hegen, die sich zu dem Problem Überfluss bei uns eingebürgert haben.
Etwa:
Sie hätten ja nur ein einziges Auto und keine Jacht wie andere. Sie würden Ihrer Frau zum Geburtstag niemals ein brillantenbesetztes Armband schenken können.
Auch hingen keine 50 Anzüge oder 200 Kleider in Ihrem Schrank. Alles das hat sicherlich mit Überfluss zu tun. Allerdings mehr am Rande. Das wirkliche Problem beginnt nicht erst beim Konsum oder beim Vergleich des eigenen bescheidenen Lebens mit jenem der Leute, die sich mehr leisten können als wir.
Der Überfluss, von dem hier die Rede ist, beginnt uns in jenem Augenblick bewusst zu werden, wenn wir zu zweifeln anfangen, ob uns alles das, was wir erarbeitet und angeschafft, aufgebaut und zusammengerafft haben – ob uns das wirklich an jedem Tag des Lebens glücklich macht.
Wenn Sie es also ernst damit meinen, sich mit der Kunst, ohne Überfluss glücklich zu leben, nutzbringend zu beschäftigen, sollten Sie sich in aller Ruhe und eindringlich ein paar Fragen stellen und beantworten.
Die Frage: »Hat mir das, was ich besitze und bin, im vergangenen Jahr mehr Freude oder mehr Sorgen gebracht?«
Die Frage: »Ist die Angst, dass ich das, was ich bin und besitze, wieder verlieren könnte, größer als die Freude, die es mir täglich bereitet?«
Die Frage: »Bin ich frei genug, wirklich so zu leben, wie ich es möchte? Oder hindert mich das, was ich bin und tue, nicht immer wieder daran?«
Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen ist der erste Schritt zur Beschäftigung mit dem Problem Überfluss. Sie kann zu verschiedenen Entscheidungen führen:
Sie erkennen, dass Ihr Verhalten Sie daran hindert, das Leben zu führen, das Sie führen möchten. Und Sie beschließen, daran etwas zu ändern.
Sie können sich nicht dazu entschließen, an Ihrem Leben etwas zu ändern. Ganz einfach, weil Sie der Meinung sind: »Wozu soll ich mir mein Leben schwerer machen, wenn ich alles viel leichter haben kann?«
Sie erkennen zwar eine mögliche Gefahr, die durch die Entwicklung in der Welt auch Sie persönlich bedroht, aber Sie warten erst einmal ab, bis irgendein anderer etwas daran ändert.
Wozu auch immer Sie sich entschließen, versuchen Sie, es jetzt zu tun, während Sie dieses Buch lesen. Denn eines kann mit Sicherheit behauptet werden: Wenn Sie nicht selbst eine Initiative zu Ihrem Wohl ergreifen, gibt es für Sie kaum eine Chance, sich aus dem Kreislauf des Überflussverhaltens zu befreien, der sich von Jahr zu Jahr schneller bewegt.
Die Anzeichen dafür finden Sie fast täglich in Zeitungen und im Fernsehen, an Ihrer Tankstelle und in der wachsenden Hilflosigkeit der Obrigkeit, auf die wir uns alle gutgläubig verlassen haben.
Wenn Sie eine eigene Initiative ergreifen wollen, sollten Sie sich keine Illusionen machen. Die Kunst, ohne Überfluss glücklich zu leben, ist nichts, bei dem wir bequem die Hände in den Schoß legen und abwarten können, was andere für uns entscheiden. Es ist vielmehr eine Entscheidung zum bewussten Kampf auf vielen kleinen Schauplätzen des täglichen Lebens.
Erst kürzlich drängte sich mein jüngerer Sohn Ronald durch die halb offene Tür in mein Arbeitszimmer, um mir eine kleine Information zukommen zu lassen. Ganz ohne jede egoistische Absicht – versteht sich. Er berichtete mir, dass sein Freund Fredi von seinem Vater ein Sprechfunkgerät geschenkt bekommen habe. Eines von der teuren Sorte, mit dem er vor seinen Kameraden auch richtig angeben konnte. Wenn Sie selbst Kinder haben, wissen Sie, wie solche Hinweise gemeint sind und welche Folgen sie nach sich ziehen. Ich setzte mich also mit meinem Sohn zusammen und führte ein viel ausführlicheres Gespräch, als er wohl erwartet hatte.
Zuerst zählten wir einmal auf, wie viel Spielzeug und andere Dinge in seinem Zimmer herumlagen, mit denen er sich zwei, drei Tage eifrig beschäftigt hatte, die dann aber völlig uninteressant geworden waren. Und warum? Weil zu diesem Zeitpunkt irgendein Freund schon wieder mit etwas ganz Neuem erschienen war.
Klar, dass alle anderen es auch haben wollten.
Auf solchen Umwegen kamen wir schließlich nach einiger Zeit wieder auf das Sprechfunkgerät zurück. Nicht ohne Ronalds unverblümten Hinweis, dass ich es mir ja viel leichter leisten könne. Weil ich doch mehr verdiene als Fredis Vater.
Ich gebe zu, dass ich während der Unterhaltung tatsächlich einige Male in Versuchung war, nachzugeben. Einmal, weil ich einfach Angst davor hatte, mein Sohn könnte mich nicht mehr als »prima Vater« betrachten, wenn ich ihm den Wunsch nicht erfülle. Ich war auch nahe daran, die ganze Sache mit einem ungeduldigen »Lass mich jetzt in Ruhe, ich muss arbeiten« abzutun.
Doch da geschah etwas, was mir sehr zu denken gab. Ohne große Einleitung sagte mein Sohn plötzlich zu mir: »Weißt du, ich glaube, Fredis Vater wollte sich mit dem teuren Walkie-Talkie nur davon loskaufen, dass er so wenig zu Hause ist.«
Das alles mag nach einer ganz alltäglichen Angelegenheit aussehen. Aber als ich mir die Sache einige Zeit lang überlegte, wurde mir klar, dass es hier um eine jener zahllosen Kampfsituationen ging, in denen sich zeigt, wie wir uns der Versuchung zum Überfluss gegenüber verhalten.
So lautete meine Schlussfolgerung:
Ich stand vor der Entscheidung, meinen Sohn ebenfalls mit einem materiellen Geschenk abzufertigen, um einer echten Auseinandersetzung mit ihm aus dem Weg zu gehen. Mit größter Wahrscheinlichkeit wäre das Sprechfunkgerät eine Woche nach dem Kauf irgendwo in einem Schrank verschwunden. Wie so vieles andere auch. Vergessen und ungenützt. Als ein Stück mehr auf dem Abfallhaufen unseres Überflussverhaltens.
Statt vor der Lösung des Problems wegzulaufen, suchte ich den Kampf, der letzten Endes ein Kampf mit mir selbst war. Gegen Ungeduld, gegen mangelndes Verstehen und gegen die Missachtung meines Kindes, das offensichtlich mit mir reden wollte. Wie ich überhaupt bis heute den Verdacht nicht loswerde, dass mein Sohn nur testen wollte, ob ich mir für ihn Zeit nehme oder ob ich mich so verhalten würde wie der Vater seines Freundes.
Unser Gespräch führte für Ronald zweifellos zu der befriedigenden Feststellung: »Mein Vater nimmt sich Zeit für mich.« Als er das erkannt hatte, war für ihn die Sache auch sehr schnell erledigt. Es machte es ihm leichter, auf das Geschenk zu verzichten.
Für mich endete diese Konfrontation einerseits mit einer Erkenntnis mehr über die Kunst, ohne Überfluss zu leben. Andererseits machte es mich glücklich, dass ich mich so verhalten hatte und nicht anders.
Dieses Erfolgsgefühl und der Spaß, den mir die Sache gemacht hatte, ermutigten mich dazu, auch in Zukunft bewusster kleine Begegnungen des Alltags zu erleben.
Nennen Sie so etwas »Kampf«, nennen Sie es »bewusst leben« oder »Auseinandersetzung mit sich selbst«. Oder sagen Sie »denkend durchs Leben gehen«. Wer in seiner Abhängigkeit vom Überfluss Entscheidendes ändern will, muss sich die großen und kleinen Schlachtfelder dieser Auseinandersetzung täglich bewusst machen.
So lange, bis sich allmählich eine neue Sensibilität für die natürlichen Grenzen entwickelt, die uns jederzeit signalisiert: »Hier hören Wohlstand und Konsum, Fortschritt und Bequemlichkeit auf, dir zu nützen. Da fängt der Überfluss an, dich in deinem Verhalten von ihm abhängig zu machen, sodass du es selbst nicht mehr steuern kannst.«