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Timothy und Kathy Keller

EHE

Gottes Idee für das größte Versprechen des Lebens

Titel der amerikanischen Originalausgabe:
The Meaning of Marriage: Facing the Complexities of Commitment
with the Wisdom of God

© 2011 by Timothy Keller and Kathy Keller
Published by Dutton, a member of Penguin Group (USA) Inc.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Friedemann Lux

Bibelzitate folgen, wo nicht anders angegeben,
der Hoffnung für alle® (Hfa), © 1983, 1996, 2002 by Biblica Inc.®.
Verwendet mit freundlicher Genehmigung von ’fontis – Brunnen Verlag Basel.
Alle weiteren Rechte weltweit vorbehalten.

Sonst:
ELB: Revidierte Elberfelder Bibel, © 1985/1991/2006 SCM R. Brockhaus
im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.
NGÜ: Neue Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen,
Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft.
LÜ: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Auflage
in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Verwendung jeweils mit freundlicher Genehmigung.
Alle Rechte vorbehalten.

© 2013 Brunnen Verlag GmbH, Gießen

www.brunnen-verlag.de

Umschlaggestaltung: Jonathan Maul

Umschlagmotiv: Shutterstock

Satz: Die Feder GmbH, Wetzlar

ISBN Buch: 978-3-7655-1305-3

ISBN E-Book: 978-3-7655-7568-6

FÜR UNSERE FREUNDE SEIT VIER JAHRZEHNTEN.

UNSERE WEGE HABEN UNS AN VERSCHIEDENE ORTE,
ABER NIE WEG VONEINANDER
ODER VON UNSERER ERSTEN LIEBE GEFÜHRT.
ADELE UND DOUG CALHOUN
JANE UND WAYNE FRAZIER
LOUISE UND DAVID MIDWOOD
GAYLE UND GARY SOMERS
CINDY UND JIM WIDMER.

Inhalt

Einleitung

KAPITEL 1

Das Geheimnis der Ehe

KAPITEL 2

Die Kraftquelle der Ehe

KAPITEL 3

Das Wesen der Ehe

KAPITEL 4

Die Aufgabe der Ehe

KAPITEL 5

Den Fremden lieben

KAPITEL 6

Einander annehmen

KAPITEL 7

Singles und die Ehe

KAPITEL 8

Sex und die Ehe

Epilog

ANHANG:

Entscheidungskultur und Geschlechterrollen in der Ehe

Anmerkungen

Danke!

Über die Autoren

Einleitung

Gott, aller Ehen meisterhafter Schmied,

geb euch ein einig Herz.

(William Shakespeare, Heinrich V.)

Ein Buch für Verheiratete …

Stellen Sie sich dieses Buch als Baum mit drei tiefen Wurzeln vor. Die erste ist meine 36-jährige Ehe mit meiner Frau Kathy.1 Sie ist bei diesem Buch meine Co-Autorin, und das 6. Kapitel, „Einander annehmen“, stammt ganz aus ihrer Feder. Im 1. Kapitel warne ich meine Leser vor der modernen Vorstellung der perfekten Partnerschaft zwischen zwei „Seelenverwandten“, aber als Kathy und ich uns näher kennenlernten, entdeckten wir beide, dass wir wie füreinander geschaffen zu sein schienen. Ich lernte Kathy über ihre Schwester Susan kennen, eine Mitstudentin von mir an der Bucknell University. Susan erzählte Kathy viel über mich und mir viel über Kathy. Kathy hatte als junges Mädchen durch C. S. Lewis’ Chroniken von Narnia zum christlichen Glauben gefunden, die sie mir zur Lektüre empfahl.2 Ich las diese und andere Bücher von C. S. Lewis und war tief beeindruckt. 1972 schrieben Kathy und ich uns an derselben Hochschule ein, dem Gordon-Conwell Theological Seminary in Boston, wo wir rasch entdeckten, dass wir durch jenes „geheime Band“ verbunden waren, das nach Lewis aus Bekannten enge Freunde macht – oder auch mehr:

Vielleicht hast du bemerkt, dass die Bücher, die du wirklich liebst, durch ein geheimes Band miteinander verknüpft sind. Du kennst genau das ihnen Gemeinsame, um dessentwillen du sie liebst – wenn du es auch nicht in Worte fassen kannst. … Werden nicht alle Freundschaften in dem Augenblick geboren, in welchem man endlich einem anderen menschlichen Wesen begegnet, das eine … Ahnung von jenem Etwas hat, wonach zu verlangen man selber eigentlich geboren ist …?3

Aus unserer Freundschaft wurde Liebe; wir verlobten uns, und aus der zarten Pflanze der jungen Ehe wurde ein Baum, der den Test der Zeit bestanden hat – aber nicht ohne die „Perlen vor die Säue“-Rede, den großen Windelkonflikt, die Porzellanschlacht und andere berüchtigte Höhepunkte unserer Ehekarriere, von denen Sie in diesem Buch lesen werden – lauter Meilensteine auf der sehr holprigen Straße zum Eheglück. Wie die meisten modernen jungen Paare begriffen wir, dass Ehe viel schwieriger ist, als wir erwartet hatten. Am Ende unserer Trauung waren wir zu den Klängen des Liedes „How Firm a Foundation“4 aus der Kirche hinausmarschiert, und ahnten nicht, wie gut einige seiner Strophen beschreiben, wie mühevoll und manchmal schmerzhaft die Arbeit an einer starken Ehe ist:

Wenn durch Feuerproben dich führt dein Pfad,

ist doch meine Gnade dir Stecken und Stab.

Denn sieh, ich bin bei dir, dein Heiland und Gott,

verwandle in Segen Schmach, Kummer und Not.

Dieses Buch wendet sich daher an alle Ehepaare, die entdeckt haben, was für eine Schwerarbeit der Ehealltag ist, und die sich fragen, wie man die bisweilen heißen „Feuerproben“ in der Ehe überstehen, ja durch sie wachsen kann. „Die Flitterwochen sind vorbei“, heißt es manchmal in unserer ehemüden Gesellschaft. Dies ist ein Buch für Paare, die die Wahrheit dieses Satzes schmerzlich erfahren haben und von Wolke sieben zurück auf den Boden der Realität gefallen sind.

… und Unverheiratete

Die zweite Wurzel dieses Buches ist meine langjährige Berufspraxis als Pastor in einer Stadt mit Millionen Singles (und einer Gemeinde mit mehreren tausend). Unsere Gemeinde, die Redeemer Presbyterian Church in Manhattan, ist eine echte Rarität – eine sehr große Gemeinde, die seit Jahren überwiegend aus unverheirateten Erwachsenen besteht. Vor einigen Jahren, als etwa 4.000 Menschen in unsere Gottesdienste kamen, fragte ich einen sehr bekannten Gemeindeberater: „Wie viele andere Gemeinden kennen Sie, die unsere Größe und 3.000 Singles haben?“ Er erwiderte: „Soweit ich weiß, ist Ihre Gemeinde die einzige.“

Als wir Ende der 1980er-Jahre unsere Gemeindearbeit im Herzen von New York City begannen, fiel Kathy und mir immer wieder die tiefe Ambivalenz auf, mit der die westliche Kultur die Ehe sieht. Damals hörten wir sie zum ersten Mal, die mittlerweile etablierten Argumente – dass die Ehe früher ein Gütervertrag war und heute im Wandel begriffen ist, dass sie die Individualität der Partner zerstört und frauenfeindlich ist, dass sie ein Leidenschaftskiller und psychologisch realitätsfremd ist oder „nur ein Blatt Papier“, das die Liebe unnötig kompliziert macht, und so weiter und so fort. Doch hinter diesen philosophischen Einwänden verbirgt sich ein ganzes Dickicht persönlicher Emotionen, die das Resultat der verschiedensten negativen Erfahrungen mit Ehe und Familie sind.

In den frühen Jahren unserer Arbeit in New York City, im Herbst 1991, hielt ich eine neunwöchige Predigtreihe über die Ehe. Keine andere Predigt- oder Vortragsreihe unserer Gemeinde hat im Laufe der Jahre so viel Zuspruch gefunden. Am Anfang musste ich meinen Zuhörern zunächst einmal erklären, warum ich mehrere Wochen lang zu einer Gemeinde, die überwiegend aus Singles bestand, über die Ehe reden würde. Mein Hauptargument war, dass die Unverheirateten von heute ein brutal realistisches und gleichzeitig großartiges Bild davon brauchen, was die Ehe ist und sein kann. Das gilt für Singles heute noch genauso, sodass dieses Buch sich auch an sie richtet.

Bei der Arbeit an diesem Buch habe ich zahlreiche christliche Ehebücher gelesen. Die meisten von ihnen sind praktische Ratgeber für jüngere Ehepaare und ihre Probleme. Dies wird dieses Buch bis zu einem gewissen Grad auch sein, aber sein Hauptanliegen ist es, Verheirateten wie Unverheirateten das Verständnis von Ehe nahezubringen, das wir in der Bibel finden. Den Verheirateten wird dies helfen, falsche Ehebilder, die ihrer Ehe womöglich schaden, zu korrigieren, und den Unverheirateten, frei zu werden sowohl von einer ungesunden Verklärung der Ehe als auch von ihrer pauschalen Ablehnung. Und nicht zuletzt wird ein „biblisches“ Ehebuch den Leserinnen und Lesern auch bei der Frage helfen, wer als potenzieller Partner für sie infrage kommt und wer besser nicht.

Ein Buch über die Bibel

Es gibt noch eine dritte Wurzel dieses Buches, und sie ist die fundamentalste. Dieses Buch fußt auf meiner persönlichen Erfahrung als Ehemann und Pastor, aber noch mehr gründet es in den Lehren des Alten und Neuen Testaments. Vor jetzt fast vier Jahrzehnten studierten Kathy und ich die Aussagen der Bibel über Sexualität, Geschlechterrollen5 und Ehe in unserem Theologiestudium. In den folgenden 15 Jahren buchstabierten wir sie in unserer eigenen Ehe durch. Danach, in den letzten 22 Jahren, haben wir das, was wir von der Bibel gelernt haben, und unsere Erfahrung eingesetzt, um jungen erwachsenen Großstadtbewohnern Hilfe, Rat, Leitung und Ermutigung in Sachen Sexualität und Ehe zu geben. Die Früchte dieser drei Phasen präsentieren wir Ihnen in diesem Buch. Aber die Grundlage ist die Bibel.

In der Bibel gibt es drei menschliche Institutionen, die aus allen anderen hervorstechen: die Familie, die Kirche bzw. Gemeinde und der Staat. Die Bibel sagt uns nichts darüber, welches Schulwesen das „richtige“ ist, obwohl jede funktionierende Gesellschaft Schulen braucht. Auch nichts darüber, wie man eine Firma oder ein Museum oder ein Krankenhaus führt. Zu allen möglichen menschlichen Institutionen und Unternehmungen hat die Bibel nichts Spezifisches zu sagen, sodass wir die Freiheit haben, sie im Rahmen der allgemeinen biblischen Grundsätze für das menschliche Zusammenleben zu schaffen und zu führen.

Bei der Ehe ist das anders. Im Book of Common Worship der Presbyterianischen Kirche in Amerika heißt es, dass Gott „die Ehe zum Wohl und Gedeihen der Menschen“ eingesetzt hat. Die Ehe hat sich nicht in der späten Bronzezeit als Mittel zur Regulierung von Eigentumsrechten herausgebildet, sondern sie bildet den Höhepunkt des biblischen Schöpfungsberichtes: Gott führt Mann und Frau zusammen und vereint sie in der Ehe. Die Bibel beginnt mit einer Hochzeit (der von Adam und Eva) und endet in der Johannesoffenbarung mit einer zweiten Hochzeit (der von Christus und der Gemeinde). Die Ehe ist Gottes Idee. Sie ist zweifellos auch eine menschliche Institution und als solche immer auch ein Spiegel der Kultur, zu der sie gehört. Aber ihre Grundidee und ihre Wurzeln liegen in Gott selber, und daher kommen wir an dem, was die Bibel über Gottes Idee für das größte Versprechen des Lebens sagt, nicht vorbei.

Darum heißt es in der Trauliturgie der Presbyterianischen Kirche, dass die Ehe „von Gott eingesetzt, durch seine Gebote geordnet und von unserem Herrn Jesus Christus gesegnet ist“. Was Gott einsetzt, das ordnet er auch. Wenn Gott selber die Ehe „erfunden“ hat, sollte jeder, der heiratet, alles daran setzen, Gottes Plan für die Ehe zu erkennen und zu befolgen. Wenn wir ein Auto kaufen (auch so etwas, das wir nicht selber erfunden haben oder hätten schaffen können), studieren wir ja auch als Erstes die Betriebsanleitung und befolgen das, was dort über Bedienung und Wartung des Fahrzeugs steht. Tun wir dies nicht, kann das fatale Folgen haben.

Es gibt viele Menschen, die nichts mit Gott und der Bibel anfangen können, aber die eine glückliche Ehe führen – weil sie (ob sie dies nun wissen oder nicht) sich weitgehend an Gottes Plan für die Ehe halten. Aber noch viel besser ist es natürlich, wenn wir diesen Plan kennen, und der Ort, wo wir ihn entdecken, sind die Schriften der Bibel.

Was, wenn Sie dieses Buch lesen möchten, aber nicht glauben, dass die Bibel Gottes maßgebendes Wort ist? Vielleicht schätzen Sie manches an der Bibel, aber beim Thema Sex, Liebe und Ehe befragen Sie doch lieber andere Autoritäten. Was in der Bibel damals vor Tausenden von Jahren geschrieben wurde, scheint für unser heutiges westliches Denken unzumutbar zu sein, und sie gilt entsprechend als „rückständig“ und „überholt“. Wir möchten Ihnen Mut machen, trotzdem weiterzulesen. Im Laufe der Jahre haben Kathy und ich viele Eheseminare gehalten, ich habe bei zahllosen Trauungen über die Ehe gepredigt und wir haben beide die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen, die unser Bibelverständnis oder sogar unseren christlichen Glauben nicht teilen, mit Erstaunen feststellen, wie treffend viele Aussagen der Bibel über die Ehe sind und wie relevant für ihre eigene persönliche Situation. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich nach einer Trauung diesen Satz gehört habe: „Ich bin eigentlich gar nicht religiös, aber das war gerade die hilfreichste und praktischste Erklärung der Ehe, die ich je gehört habe.“

Es ist nicht einfach, den richtigen Blick für die Ehe zu bekommen. Wir alle sehen sie durch die mehr oder weniger verzerrende Brille unserer eigenen Erfahrungen. Wenn wir aus einem außergewöhnlich stabilen Elternhaus kommen und unsere Eltern eine vorbildliche Ehe führten, denken wir vielleicht, dass das mit der Ehe „ganz einfach“ ist – und dann heiraten wir und entdecken mit Entsetzen, was es alles braucht, um eine feste, haltbare Beziehung aufzubauen. Haben wir dagegen, ob als Kinder oder als Erwachsene, eine schwierige Ehe oder eine Scheidung miterlebt, kann uns das zu Eheskeptikern machen, die hinter jedem Busch ein Beziehungsproblem wittern und dann, wenn eines kommt, sofort sagen: „Ich wusste es ja, es klappt nicht.“ Mit anderen Worten: Jeder Hintergrund, den wir mitbringen, kann zum Stolperstein für unsere eigene Ehe werden.

Wohin gehen, um zu einem realistischen, umfassenden Bild von der Ehe zu kommen? Es gibt viele gute, von Beziehungsexperten verfasste Eheratgeber, die sehr hilfreich sein können, doch schon nach ein paar Jahren wirken sie veraltet. In der Bibel finden wir Aussagen, die über viele Jahrhunderte hinweg und in den verschiedensten Kulturen von Millionen Menschen getestet und für wahr befunden worden sind. Wo findet man einen vergleichbaren Eheratgeber?

Wie dieses Buch aufgebaut ist

Die Hauptquelle dieses Buches ist der berühmte Abschnitt des Paulus über die Ehe in Epheser 5. Dies nicht nur, weil er in sich selber so inhaltsreich ist, sondern auch, weil er den zweiten biblischen Schlüsseltext über die Ehe aufnimmt und kommentiert – 1. Mose 2. Im 1. Kapitel werden wir Paulus’ Ausführungen in den Kontext unserer heutigen Kultur stellen und zwei der fundamentalsten biblischen Aussagen über die Ehe herausarbeiten: dass sie von Gott eingesetzt ist und dass sie ein Spiegel seiner rettenden Liebe zu uns in Jesus Christus sein will. Das ist der Grund, warum das Evangelium uns hilft, die Ehe zu verstehen, und die Ehe uns hilft, das Evangelium zu verstehen. In Kapitel 2 wenden wir uns Paulus’ These zu, dass alle Verheirateten in ihrem Leben auf das Wirken des Heiligen Geistes angewiesen sind. Der Heilige Geist lässt uns im Herzen verstehen, was Christus getan hat, um uns zu erlösen, und hilft uns im Kampf gegen den Erzfeind der Ehe: unser sündiges Drehen um uns selber. Wenn wir einander so dienen wollen, wie wir dies in der Ehe tun sollten, brauchen wir die Fülle des Geistes.

Kapitel 3 führt uns in das Herz der Ehe – die Liebe. Aber was ist Liebe? Das Kapitel untersucht die Beziehung zwischen Gefühlen der Liebe und Taten der Liebe, zwischen romantischer Leidenschaft und verbindlicher Treue und Hingabe an den anderen. Im 4. Kapitel geht es um die Frage, wozu die Ehe letztlich da ist. Sie ist ein Weg, auf dem zwei geistlich miteinander verbundene Freunde einander helfen, die Menschen zu werden, die sie nach Gottes Willen werden sollen. Wir erkennen den Prozess der Heiligung als Weg zu einem neuen, tieferen Glück. Kapitel 5 zeigt uns drei fundamentale Grundwerkzeuge, mit denen wir einander auf dieser Reise konkret helfen können.

Das 6. Kapitel behandelt die christliche Lehre, dass die Ehe ein Ort ist, wo die beiden Geschlechter sich in ihrer Unterschiedlichkeit erfahren und annehmen und dadurch lernen und wachsen. Kapitel 7 zeigt Singles, wie sie das Solo-Leben gut meistern können und was es zu beachten gilt, wenn sie ans Heiraten denken. Und das 8. Kapitel ist dem Thema „Sex“ gewidmet; es zeigt auf, warum die Bibel ihm seinen Platz in der Ehe anweist und was eine Übernahme der biblischen Sicht von Sexualität für das Leben der Singles und der Verheirateten bedeutet.6

In diesem Buch untersuchen wir das christliche Ehebild, wie es sich unmittelbar aus der Lektüre biblischer Texte ergibt. Das heißt, wir definieren die Ehe als eine lebenslange, monogame Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau. Nach der Aussage der Bibel hat Gott die Ehe eingesetzt, damit sie die rettende Liebe, die Jesus Christus zu uns hat, widerspiegelt. Sie soll uns charakterlich reifen lassen und ein stabiles menschliches Umfeld für Geburt und Erziehung unserer Kinder sichern. All dies tut Gott, indem er die einander ergänzenden Geschlechter zu einer lebenslangen Gemeinschaft zusammenschweißt. Dieses christliche Ehebild – das muss klar gesagt werden – lässt sich nicht von zwei Menschen des gleichen Geschlechts verwirklichen. Dies ist der einstimmige Befund der Autoren der Bibel und daher die Sicht, der wir in diesem Buch folgen werden, auch wenn wir das Thema „Homosexualität“ nicht direkt ansprechen.

Die biblische Lehre von der Ehe ist nicht einfach das Produkt einer bestimmten Zeit oder Kultur. Sie ist eine große Infragestellung des modernen westlichen Mythos von der Freiheit und Selbstverwirklichung des Individuums als einzigem Weg zum Glück, aber auch der Art, wie traditionelle Kulturen den unverheirateten Erwachsenen als nicht ganz vollwertigen Menschen betrachten. Das 1. Buch Mose ist eine radikale Kritik der (damals gängigen und akzeptierten) Institution der Polygamie, indem es das ganze Elend, das sie über die Familien und vor allem die Frauen brachte, in lebhaften Farben malt. Und auf eine Art, die die heidnische Welt aufhorchen ließ, erheben die Verfasser des Neuen Testaments die lebenslange Ehelosigkeit zu einem legitimen Lebensstil.7 Kurz: Die Lehren der biblischen Verfasser stellten die gängigen Positionen ihrer eigenen Kultur immer wieder infrage; sie waren eben nicht das bloße Produkt antiker Moralvorstellungen und Praktiken. Das aber heißt, dass wir die biblische Sicht von der Ehe nicht als rückschrittlich oder kulturell überholt abtun können. Im Gegenteil: Sie ist voll von praktischen, realistischen Einsichten und atemberaubenden Verheißungen über die Ehe, und dies nicht nur in Form von richtigen Aussagen, sondern auch durch fesselnde Geschichten und bewegende Poesie.8 Solange wir nicht fähig sind, die Ehe durch die Brille der Bibel zu betrachten (und nicht durch die Brille unserer eigenen Ängste, Schwärmereien und subjektiven Erfahrungen oder durch die engen Sehschlitze unserer Kultur), werden wir nicht in der Lage sein, fundierte Entscheidungen über unsere eigene eheliche Zukunft zu treffen.

Epheser 5,18-33

Betrinkt euch nicht; das führt nur zu einem ausschweifenden Leben. Lasst euch vielmehr von Gottes Geist erfüllen. Singt miteinander Psalmen, und lobt den Herrn mit Liedern, wie sie euch sein Geist schenkt. Singt für den Herrn, und jubelt aus vollem Herzen! Im Namen unseres Herrn Jesus Christus dankt Gott, dem Vater, zu jeder Zeit, überall und für alles! Ordnet euch einander unter; so ehrt ihr Christus.

Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, so wie ihr euch dem Herrn unterordnet. Denn wie Christus als Haupt für seine Gemeinde verantwortlich ist, die er erlöst hat, so ist auch der Mann für seine Frau verantwortlich. Und wie sich die Gemeinde Christus unterordnet, so sollen sich auch die Frauen in allem ihren Männern unterordnen.

Ihr Männer, liebt eure Frauen so, wie Christus seine Gemeinde liebt, für die er sein Leben gab, damit sie ihm ganz gehört. Durch sein Wort und durch das Wasser der Taufe hat er sie von aller Schuld gereinigt. Wie eine Braut soll seine Gemeinde sein: schön und makellos, ohne Flecken, Falten oder einen anderen Fehler, weil sie allein Christus gehören soll. Darum sollen auch die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Körper. Wer nun seine Frau liebt, der liebt sich selbst. Niemand hasst doch seinen eigenen Körper. Vielmehr hegt und pflegt er ihn. So sorgt auch Christus für seine Gemeinde; denn wir sind Glieder seines Leibes. Erinnert euch an das Wort: „Ein Mann verlässt seine Eltern und verbindet sich so eng mit seiner Frau, dass die beiden eins sind mit Leib und Seele.“ Das ist ein großes Geheimnis. Ich deute dieses Wort auf die Verbindung zwischen Christus und seiner Gemeinde. Es gilt aber auch für euch: Ein Mann soll seine Frau so lieben wie sich selbst. Und die Frau soll ihren Mann achten.

Kapitel 1

Das Geheimnis der Ehe

„Ein Mann verlässt seine Eltern und verbindet sich so eng mit seiner Frau, dass die beiden eins sind mit Leib und Seele.“ Das ist ein großes Geheimnis … (Epheser 5,31-32).

Ich kann es nicht mehr hören, das sentimental-romantische Gerede über die Ehe. Ob auf Hochzeiten, in der Kirche oder Sonntagsschule – vieles von dem, was ich über das Thema höre, hat das Niveau eines oberflächlichen Kartenspruchs. Die Ehe ist vieles, aber eines nicht – sentimentale Romantik. Ehe ist wunderbar, aber harte Arbeit. Ehe ist glühende Freude und Kraft, bedeutet aber auch Blut, Schweiß und Tränen, demütigende Niederlagen und anstrengende Siege. Ich kenne keine Ehe, die mehr als ein paar Wochen alt ist und die man als wahr gewordenes Märchen bezeichnen könnte. Es überrascht daher nicht, dass für viele Paare der einzige Satz in Paulus’ berühmtem Abschnitt über die Ehe, in dem sie sich wiederfinden, der V. 32 ist. Da sinkt man nach einem langen, harten Tag, wo man versucht hat, einander zu verstehen, ins Bett und kann nur noch seufzen: „Das ist ein großes Geheimnis!“ An manchen Tagen kommt einem die Ehe wie ein unlösbares Rätsel vor, wie ein Labyrinth, in dem man sich verlaufen hat.

All dies ist völlig richtig, und doch gibt es keine menschliche Beziehung, die größer oder wichtiger wäre als die Ehe. In der Bibel nimmt Gott selber die erste Trauung der Geschichte vor (1. Mose 2,22-25), und als der Mann die Frau sieht, bricht er in einen Freudenruf aus: „Endlich …!“1 Alles in dieser Szene ruft es hinaus: Nach unserer Beziehung zu Gott selber ist die Ehe die tiefste Beziehung, die es gibt. Den Ehepartner kennen und lieben zu lernen ist deswegen gerade so schwierig und schmerzlich und so lohnend und wunderbar, wie Gott kennen und lieben zu lernen.

Das Schmerzlichste und das Wunderbarste – so sieht die Bibel die Ehe, und noch nie ist es wichtiger gewesen als in unserer heutigen Kultur, die Ehe hochzuhalten und für sie zu werben.

Der Niedergang der Ehe

In den letzten 40 Jahren sind die Hauptindikatoren, mit denen empirisch die Ehegesundheit und -zufriedenheit in den USA erfasst und beschrieben wird, stetig nach unten gegangen.2 Die Scheidungsrate ist heute fast doppelt so hoch wie 1960.3 1970 waren 89 % aller Geburten ehelich, heute nur noch 60 %.4 Und besonders aufschlussreich ist, dass 1960 über 72 % aller amerikanischen Erwachsenen verheiratet waren, 2008 waren es nur noch 50 %.5 All dies deutet auf eine zunehmend skeptisch-pessimistische Haltung zur Ehe in unserer Kultur hin, und dies gilt besonders für die jüngeren Erwachsenen. Sie glauben, dass ihre Chancen, eine gute Ehe zu führen, nicht hoch sind – und selbst wenn die Ehe stabil ist, droht immer noch das Gespenst der sexuellen Langeweile. Wie der Comedian Chris Rock einmal sagte: „Willst du lieber Single und einsam sein oder verheiratet und gelangweilt?“ Viele junge Erwachsene glauben, dass dies in der Tat die beiden Hauptoptionen sind, und so wählen viele einen Mittelweg zwischen Ehe und bloßem sexuellem Abenteuer – sie leben mit einem Sexualpartner zusammen.

Dieses Modell hat in den letzten drei Jahrzehnten ein explosionsartiges Wachstum erlebt. Heute leben über die Hälfte der Paare zusammen, bevor sie heiraten; 1960 machte dies fast niemand.6 Heute lebt in den USA ein Viertel aller unverheirateten Frauen zwischen 25 und 39 mit einem Partner zusammen; wenn sie Ende 30 sind, werden es über 60 % irgendwann einmal getan haben.7 Hinter dieser Praxis stehen mehrere weitverbreitete Annahmen. Eine ist die, dass die meisten Ehen unglücklich sind; wenn 50 % aller Ehen geschieden werden, müssen viele der übrigen 50 % doch wohl das reine Elend sein.8 Eine andere Annahme ist, dass das Zusammenleben vor der Ehe die Chancen erhöht, den oder die „Richtige“ zu finden; es hilft einem, herauszufinden, ob man zueinanderpasst, bevor man den großen Schritt wagt. Man muss doch wissen, ob das Interesse an dem Partner von Dauer ist und die „Chemie“ wirklich stimmt. Wie in einer Gallup-Umfrage für das National Marriage Project ein Mann sagte: „Alle Menschen, die ich kenne, die schnell geheiratet haben, ohne [vorher] zusammenzuleben, haben sich wieder scheiden lassen.“9 Das Problem ist nur, dass diese Annahmen und Behauptungen sämtlich fast völlig falsch sind.

Die Ehe – besser als ihr Ruf

Dem jungen Mann in der Gallup-Umfrage zum Trotz „gibt es zahlreiche Belege dafür, dass Paare, die [bereits] vor der Ehe zusammenleben, sich nach der Heirat eher wieder trennen.“10 Es ist eine verständliche Reaktion von Menschen, die das Drama der Scheidung ihrer Eltern miterlebt haben, dass sie lieber unverheiratet zusammenleben. Aber die Fakten deuten darauf hin, dass die Therapie hier womöglich schlimmer ist als die behauptete Krankheit.11 Auch andere gängige Annahmen sind schlicht falsch. Es stimmt, dass in den USA 45 % aller Ehen geschieden werden, aber der Löwenanteil der Scheidungen betrifft Personen, die vor dem 18. Lebensjahr geheiratet haben, Schulabbrecher sowie Paare, die bereits vor der Heirat ein Kind hatten. Ein Experte drückt es so aus: „Wenn Sie also eine passable Schulbildung und ein anständiges Einkommen haben, aus einer intakten Familie stammen, religiös sind und nach dem 25. Lebensjahr und ohne vorher ein Kind zu bekommen heiraten, ist Ihr Scheidungsrisiko definitiv niedrig.“12

Viele junge Erwachsene leben ohne Trauschein zusammen, weil sie finden, dass sie vor einer Ehe erst einmal ein Haus kaufen und finanziell abgesichert sein sollten.13 Sie sehen die Ehe als finanzielle Belastung. Aber mehrere Studien haben „die erstaunlichen ökonomischen Vorteile der Ehe“ aufgezeigt.14 Eine 1992 veröffentlichte Studie über amerikanische Rentner ergab, dass Personen, die kontinuierlich verheiratet gewesen waren, bei ihrer Pensionierung 75 % mehr Vermögen hatten als Personen, die nie geheiratet hatten oder die geschieden und nicht wiederverheiratet waren. Und was noch erstaunlicher ist: Verheiratete Männer verdienen in den USA 10 bis 40 % mehr als Junggesellen mit ähnlicher Ausbildung und ähnlichem beruflichem Lebenslauf.

Warum ist dies so? Zum Teil liegt es daran, dass Verheiratete körperlich und psychisch gesünder sind. Die Ehe fungiert als „Stoßdämpfer“, der einem hilft, Enttäuschungen, Krankheiten und andere Probleme besser zu verkraften und schneller wieder auf die Füße zu kommen. Doch wahrscheinlich ist das höhere Einkommen auch ein Ergebnis der von Experten so genannten „ehelichen sozialen Normen“. Studien zeigen, dass Ehepartner einander zu mehr persönlicher Verantwortung und Selbstdisziplin anhalten, als Freunde oder andere Verwandte dies können. Nur ein Beispiel: Ein Alleinstehender kann mit seinem Geld machen, was er will, ohne jemandem Rechenschaft schuldig zu sein. In einer Ehe achten beide Partner darauf, dass der andere spart, klug investiert und Wünsche aufschieben kann. Nichts bildet unseren Charakter so wie die Ehe.15

Vielleicht der Hauptgrund, warum junge Erwachsene vor der Ehe zurückscheuen, ist, dass sie glauben, dass die meisten Ehen unglücklich sind. Ein typisches Beispiel ist ein Yahoo!-Internetforum, in welchem ein 24-jähriger Mann erklärte, dass er beschlossen habe, nie zu heiraten. Als er dies seinen verheirateten Freunden mitteilte, hätten sie alle gelacht und ihm neidvoll zugestanden, dass er ein smartes Kerlchen sei. Er schloss daraus, dass mindestens 70 % aller Verheirateten in ihrer Ehe unglücklich sein mussten. Eine junge Frau, die ihm antwortete, gab ihm recht; bei ihren verheirateten Freunden sei dies genauso. „Von zehn Ehepaaren … haben sieben die Hölle auf Erden“, fand sie. Und sie fuhr fort: „Ich heirate nächstes Jahr, weil ich meinen Verlobten liebe. Aber sollte das je anders werden, werde ich nicht zögern, mich scheiden zu lassen.“16

Im März 2011 brachte das New York Times Magazine einen Artikel über einen neuen Film von Dana Adam Shapiro, Monogamy.17 Drei Jahre zuvor hatte Shapiro gemerkt, dass viele der Ehen seiner über 30 verheirateten Freunde auseinandergingen. Er beschloss, einen Film über das Thema zu drehen, und zur Vorbereitung sammelte er 50 eingehende Interviews mit Menschen, die den Zerbruch ihrer Ehe erlebt hatten. Was er nicht untersuchte, waren glückliche, dauerhaft bestehende Ehen. Darauf befragt, warum er das nicht machte, paraphrasierte er Tolstoi: „Alle glücklichen Paare sind gleich – mit anderen Worten: langweilig.“18 Der Times-Reporter kommentiert: „Es wird wohl niemanden überraschen, dass der Film ein dunkles, wenn auch nicht total apokalyptisches Bild von den Beziehungen zeichnet.“ Der Film handelt von einem Mann und einer Frau, die einander wirklich lieben, aber ihre Beziehung irgendwie „nicht auf die Reihe kriegen“. In anderen Interviews erklärte der Filmemacher, dass er es für äußerst schwierig, wenn auch nicht für gänzlich unmöglich hält, dass zwei moderne Menschen einander lieben, ohne sich gegenseitig in ihrer Individualität und Freiheit zu ersticken. Der Reporter konstatiert bei Shapiro, der selber nie verheiratet war, aber doch irgendwann heiraten möchte und seinen Film nicht als Anti-Ehe-Propaganda betrachtet, eine „hartnäckige Aversion“ gegen die Monogamie. Hierin ist Shapiro ein Spiegel vieler junger Erwachsener in den USA, besonders in den urbanen Zentren.

Als Pastor einer Gemeinde in Manhattan, zu der mehrere tausend Singles gehören, habe ich mit zahllosen Männern und Frauen gesprochen, die die gleiche negative Sicht von der Ehe haben. Doch sie unterschätzen die Aussichten auf eine gute Ehe. Sämtliche Umfragen sagen uns, dass die Zahl der Verheirateten, die angeben, in ihrer Ehe „sehr glücklich“ zu sein, hoch ist (etwa 61 – 62 %), und diese Zahl ist in den letzten zehn Jahren kaum kleiner geworden. Doch am allererstaunlichsten ist, dass Langzeitstudien zeigen, dass zwei Drittel der unglücklichen Ehen binnen fünf Jahren glücklich sein werden, wenn das Paar zusammenbleibt und sich nicht scheiden lässt.19 Die Soziologin Linda J. Waite von der University of Chicago kommentiert: „Die Vorteile der Scheidung sind eindeutig überbewertet worden.“20

Der Trend der Forschungsergebnisse der letzten beiden Jahrzehnte ist eindeutig: Menschen, die verheiratet sind und bleiben, sind mit ihrem Leben sehr viel zufriedener als Singles, Geschiedene oder unverheiratet zusammenlebende Paare.21 Es zeigt sich auch, dass die meisten Verheirateten in ihrer Ehe glücklich sind und dass die, die es nicht sind, aber sich nicht scheiden lassen, meist später doch noch glücklich werden. Weiter sind die Aussichten auf ein gelungenes Leben für Kinder, die in normalen Familien mit zwei verheirateten Elternteilen aufwachsen, zwei bis drei Mal besser als für Kinder, die nicht aus solchen Familien stammen.22 Das überwältigende Fazit ist also, dass es definitiv gut für das Wohlbefinden der Menschen ist, in einer Familie aufzuwachsen, wo die Eltern verheiratet sind, und später selber verheiratet zu sein.

Die Geschichte der Ehe

Einst wurde die Ehe allgemein als etwas Gutes, Wünschenswertes gesehen, doch dies ist heute nicht mehr so. Ein neuerer Report des National Marriage Project der University of Virginia kam zu folgendem Schluss: „Weniger als ein Drittel der [Oberstufenschülerinnen in der Highschool] und nur ein gutes Drittel der Jungen scheinen zu glauben … dass die Ehe für den Einzelnen besser ist als die Alternativen. Doch diese negative Einstellung steht gegen die zur Verfügung stehenden empirischen Befunde, die durch die Bank die beträchtlichen persönlichen wie sozialen Vorteile aufzeigen, die die Ehe gegenüber dem Singledasein oder dem bloßen Zusammenleben bietet.“23 Der Report betont, dass die Ansichten der meisten jungen Erwachsenen nicht nur dem klassischen gesellschaftlichen Konsens und den Lehren aller Weltreligionen widersprechen, sondern auch den neuesten sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnissen.

Woher kommt dieser Pessimismus und warum ist er so realitätsfremd? Möglicherweise ist er das paradoxe Ergebnis eines neuen, unrealistischen Ehe-Idealismus, der wiederum auf das Konto eines signifikanten Wandels im Eheverständnis in unserer Kultur geht, den der Jurist John Witte in seinem Buch Vom Sakrament zum Vertrag so ausdrückt: „Die frühen aufklärerischen Ideale der Ehe als dauerhafte vertragliche Vereinigung zum Zwecke der gegenseitigen Liebe, der gemeinsamen Zeugung von Kindern und zum gegenseitigen Schutz werden allmählich von einer neuen Wirklichkeit der Ehe als ‚terminiertem sexuellem Kontrakt‘ bestimmt, der zur Befriedigung der Beteiligten geschlossen wird.“24

Witte schreibt, dass es in der westlichen Kultur traditionell verschiedene Konzeptionen zu „Form und Funktion“ der Ehe gegeben hat.25 Die ersten beiden waren die katholische und die protestantische. Obwohl in vielen Einzelheiten unterschiedlich, sahen sie beide den Zweck der Ehe darin, einen Rahmen für die lebenslange Liebe und Hingabe zwischen Mann und Frau zu schaffen. Die Ehe war ein heiliges Band, das den Beteiligten helfen sollte, ihre Eigenimpulse und -interessen ihrer Beziehung unterzuordnen; es sollte ferner ein Sakrament der Liebe Gottes sein (so vor allem die katholische Sicht) und dem Gemeinwohl dienen (die protestantische Sicht). Für die Protestanten war die Ehe eine Gabe Gottes nicht nur für die Christen, sondern für die Menschheit allgemein. Indem sie Mann und Frau in eine verbindliche Beziehung stellte, war sie eine Charakterschule, vor allem aber bot nur die lebenslange Ehe die nötige stabile soziale Struktur, in der Kinder aufwachsen und sich entwickeln konnten. Die Gesellschaft hatte deswegen ein solches Interesse an der Institution der Ehe, weil keine andere Umgebung so gut für die Kinder war.26

Doch dann, so Witte, kam im Zuge der Aufklärungsphilosophie im 18. und 19. Jahrhundert ein neues Eheverständnis auf. Hatten die älteren Kulturen ihre Glieder angewiesen, ihren Lebenssinn in der treuen Erfüllung der ihnen zugewiesenen Pflichten und gesellschaftlichen Rollen zu sehen, so wurde dies im Zeitalter der Aufklärung anders; jetzt sah man den Sinn des Lebens nicht mehr in der Pflichterfüllung, sondern in der Freiheit des Einzelnen, sich selber das Leben auszusuchen, das einem die größte Erfüllung gab. Der Sinn der Ehe bestand jetzt nicht mehr in der Selbstverleugnung, der Aufgabe der eigenen Freiheit und der freiwilligen Bindung an die Pflichten von Ehe und Familie, sondern die Ehe diente der emotionalen und sexuellen Befriedigung und Selbstverwirklichung des Einzelnen.

Die Verfechter dieser neuen Konzeption sahen in der Ehe weder eine göttliche sakramentale Symbolik noch ein zwischenmenschliches Band zum Wohle der Gesellschaft als Ganzes, sondern einen Vertrag, den zwei Parteien miteinander zum gegenseitigen Nutzen und zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse schlossen. Man heiratete für sich selber und nicht mehr, um seine Pflichten gegenüber Gott oder der Gesellschaft zu erfüllen, und beide Partner hatten das Recht, ihre Ehe so zu führen, wie sie es für gut befanden, ohne irgendwelche Verpflichtungen gegenüber Kirche, Tradition oder Gesellschaft. Kurz: Die Aufklärung privatisierte die Ehe. Sie nahm sie aus dem Bereich der Öffentlichkeit heraus und sah ihren Sinn in dem persönlichen Glück des Individuums. Es ging bei der Ehe nicht mehr um ein „höheres Wohl“ wie der Spiegelung des Wesens Gottes, der Charakterschulung oder der Gründung einer Familie. Dieses neue Eheverständnis hat in den westlichen Kulturen langsam, aber sicher das frühere Ehebild verdrängt.

Dieser Wandel ist sehr selbstbewusst vor sich gegangen. Zum Jahreswechsel 2010/11 schrieb die New-York-Times-Kolumnistin Tara Parker-Pope einen Artikel mit dem Titel „The Happy Marriage is the ‚Me‘ Marriage“ („Die glückliche Ehe ist die ‚Ich‘-Ehe“):

Die Vorstellung, dass die besten Ehen die sind, die dem Individuum Erfüllung bringen, mag der Intuition zuwiderlaufen. Geht es denn bei der Ehe nicht darum, die Beziehung an die erste Stelle zu setzen? Das war einmal. Jahrhundertelang sah man die Ehe als ökonomische und soziale Institution, und die emotionalen und intellektuellen Bedürfnisse der Partner waren zweitrangig gegenüber dem Überleben der Ehe selber. Aber in modernen Beziehungen suchen die Menschen einen Partner, und zwar einen, der ihr Leben interessanter macht … [und] ihnen hilft, ihre großen Ziele zu erreichen.27

Es ist ein Wandel, der einer Revolution gleichkommt, und Parker-Pope nimmt kein Blatt vor den Mund. Einst war die Ehe eine Institution, die dem Gemeinwohl diente, jetzt ist sie ein privates Arrangement zur Befriedigung des Einzelnen. Früher ging es in der Ehe um uns, jetzt geht es um mich.

Doch ironischerweise bürdet diese neue Sicht der Ehe und den Ehepartnern eine Erwartungslast auf, wie das traditionellere Eheverständnis dies nie tat. Das Ergebnis ist, dass wir gefangen sind zwischen völlig unrealistischen Erwartungen an die Ehe einerseits und großen Ängsten vor ihr andererseits.

Die große Suche nach der oder dem passenden „Seelenverwandten“

Ein deutliches Bild dieses Problems malt eine 2002 für das National Marriage Project veröffentlichte Studie von Barbara Dafoe Whitehead und David Popenoe mit dem Titel „Why Men Won’t Commit“ („Warum Männer sich nicht festlegen wollen“).28 Frauen bezeichnen Männer oft als „Beziehungsphobiker“. Die Autoren des Reports schreiben, dass ihre Untersuchung „diese weitverbreitete Meinung“ bestätigt, und listen die Gründe auf, die Männer dafür angeben, dass sie nicht oder jedenfalls nicht so bald heiraten wollen. Doch am auffälligsten war, wie viele Männer angaben, dass sie nicht heiraten würden, solange sie nicht „genau die Richtige“ gefunden hätten, die wirklich zu ihnen passen würde. Wie ist das zu verstehen?

Als ich meine zukünftige Frau, Kathy, kennenlernte, spürten wir sehr bald, dass wir ungewöhnlich viele Bücher, Geschichten, Themen, Einstellungen zum Leben und Dinge, die uns Spaß machten, gemeinsam hatten. Wir merkten, dass wir die gleiche „Wellenlänge“ hatten und das Potenzial für eine tiefe Freundschaft. Aber das ist es nicht, was viele junge Erwachsene meinen, wenn sie den seelenverwandten Partner suchen, der perfekt zu ihnen passt. Nach Whitehead und Popenoe gibt es hier vielmehr zwei Schlüsselfaktoren:

Der erste ist die körperliche Attraktivität und sexuelle Chemie. Eines der Hauptthemen in Shapiros Interviews mit Personen, die gerade eine Scheidung hinter sich hatten, war, wie wichtig sie guten Sex fanden. Eine Frau erklärte, dass sie ihren Ex geheiratet hatte, weil „er wirklich heiß war“. Doch zu ihrem großen Kummer setzte er immer mehr Speck an und vernachlässigte sein Äußeres. Die Flitterwochen waren zu Ende, und sie merkte dies vor allem an ihrem Sexleben. Sie hatte sich angewöhnt, nur dann Sex zu haben, wenn sie dies wirklich wollte, aber sie wollte bald nur noch selten: „Wir waren in einen Trott gefallen, wo wir nur noch einmal die Woche oder so miteinander schliefen, vielleicht auch weniger. Es gab keine Abwechslung, und innerlich hatten wir eigentlich nichts davon. Es gab nichts von dieser Spannung und Vorfreude, die den Sex so toll macht – von diesem Wunsch, den Partner zu verführen …“29 Für diese Frau war die sexuelle Attraktivität und die passende Chemie eine unbedingte Voraussetzung dafür, den „Richtigen“ zu finden.

Doch die sexuelle Attraktivität war nicht der Hauptfaktor, den die von dem National Marriage Project befragten Männer nannten. Für sie war „die richtige Frau“ vor allem eine, die „bereit war, sie so zu nehmen, wie sie waren, und sie nicht ändern wollte“30. „Nicht wenige der Männer hatten etwas gegen Frauen, die versuchen, sie zu ändern. … Einige der Männer beschrieben die passende Partnerin als eine, die ‚in ihr Leben passt‘. Einer der Interviewten drückte es so aus: ‚Wenn man wirklich zueinanderpasst, braucht man sich nicht zu ändern.‘“31

Aus Männern Männer machen

Dies ist ein deutlicher Bruch mit der Geschichte. Traditionell heirateten Männer in dem Wissen, dass dies große Veränderungen in ihrem persönlichen Leben mit sich bringen würde. Zum traditionellen Eheverständnis gehörte es, dass die Ehe den Mann „zivilisierte“. Männer galten traditionell als individualistischer als Frauen und als weniger bereit, ja fähig, in Beziehungen einzutreten, die gegenseitige Kommunikation, Hilfe und Teamarbeit erfordern. Daher bestand eine der klassischen Funktionen der Ehe darin, eine Schule der Veränderung zu sein, in der der Mann lernte, wie man eine verbindliche Beziehung führt.

Ironischerweise zeigten die Männer in der Studie just die „männliche“ Einstellung zur Ehe, die man ihnen traditionell unterstellte. Die Forscher fragten die Männer, ob ihnen bewusst wäre, dass die Frauen ihres Alters unter einem gewissen Druck stünden, zu heiraten und Kinder zu bekommen, bevor es biologisch zu spät dafür sei. Die Männer wussten sehr wohl, dass sie es den Frauen schwerer machten, ihre Lebensziele zu erreichen, wenn sie selber die Heirat hinauszögerten, aber, wie einer von ihnen es ausdrückte: „Das ist ihr Problem.“32 Viele der befragten Männer beharrten darauf, dass ihre Beziehung zu einer Frau ihre Freiheit in keiner Weise schmälern dürfe. Der Report kommt zu dem Schluss: „Das Zusammenleben ermöglicht es Männern, die häuslichen und sexuellen Dienste einer Freundin auf regelmäßiger Basis zu genießen und gleichzeitig … relativ unabhängig zu bleiben und sich nach einer besseren Partnerin umsehen zu können.“33

In einem Artikel in der New York Times listete Sara Lipton, Professorin für Geschichte an der State University of New York, prominente verheiratete Politiker auf, die sich weigerten, sich durch ihre Ehe sexuell exklusiv an ihre Frauen zu binden: unter anderem Arnold Schwarzenegger, Dominique Strauss-Kahn, Newt Gingrich oder Bill Clinton. In Deutschland werden Sie sicher auch prominente Beispiele finden. Alle diese Männer lehnten den traditionellen Zweck und Sinn der Ehe ab: die natürlichen Instinkte und Leidenschaften zu beherrschen, Nein zu sagen zu seinen Wünschen und anderen zu dienen.

Die gängige Erklärung für dieses Phänomen ist, dass die Ehe nun einmal nichts für den Mann sei. Gerade die „männlichsten“ Männer, so wird behauptet, täten sich in der Ehe schwer: „Das Bedürfnis nach sexueller Eroberung, weiblicher Anhimmelung und verbotenen und riskanten Beziehungen“ wird zur „Begleiterscheinung des Ehrgeizes, Elans und Selbstbewusstseins des ‚männlichen Alphatieres‘“ erklärt. Lipton hält dagegen, dass die Ehe traditionell ein Ort war, wo Männer wirklich männlich wurden, und dass das klassische Männlichkeitsmerkmal in der Geschichte des Abendlandes die Selbstbeherrschung war: „Ein Mann, der unmäßig aß und trank, schlief oder Sex hatte – ein Mann, der sich selber nicht beherrschen konnte –, galt als unfähig, seinem Haus vorzustehen, geschweige denn einem Gemeinwesen.“ Ihr Fazit: „Angesichts der neueren Enthüllungen über das maßlose, unbeherrschte sexuelle Verhalten so vieler unserer gewählten Politiker täte man vielleicht gut daran, sich daran zu erinnern, dass das Maß der Männlichkeit einst nicht die sexuelle Leistungsfähigkeit war, sondern die sexuelle Zurückhaltung.“34

Doch es wäre falsch, die Veränderung im Eheverständnis allein den Männern in die Schuhe zu schieben. Heute wollen Männer wie Frauen eine Ehe, in der der Partner sie emotional und sexuell befriedigt und sie im Übrigen „sie selber sein lässt“. Sie wollen einen Partner, mit dem sie Spaß haben können, der sie intellektuell und sexuell stimuliert, viele Interessen mit ihnen gemeinsam hat und sie in ihren persönlichen Zielen und ihrem aktuellen Lebensstil voll unterstützt.

Wer aber einen Partner sucht, der nicht von einem erwartet, dass man sich groß ändert, der sucht auch einen Partner, der völlig „pflegeleicht“ ist, kaum Probleme mit sich selber hat und auch sich selber nicht ändern muss. Mit anderen Worten: Man sucht den idealen Partner, einen Menschen, der glücklich, gesund, interessant und mit dem Leben zufrieden ist. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es eine Gesellschaft gegeben, die so voller Menschen war, die alle den idealen Partner suchen.

Wie aus Idealisten Pessimisten werden

Es mag auf den ersten Blick fast widersprüchlich erscheinen, dass dieser neue Idealismus zu einem neuen Ehe-Pessimismus geführt hat, aber genau das ist der Fall. Frühere Generationen redeten viel weniger von dem „idealen“, „passenden“ Partner, aber heute suchen wir jemanden, der uns ganz so annimmt, wie wir sind, und uns unsere Wünsche von den Augen abliest, und dies führt zu einer Erwartungshaltung, die so unrealistisch ist, dass sie die Suchenden und die Gesuchten gleichermaßen frustriert.

Noch einmal ein Problem für sich ist die Suche nach dem Sexualpartner, der einen rundum befriedigt. In einem anderen Report des National Marriage Project heißt es:

Eine pornografische Medienkultur kann [auch] zu unrealistischen Erwartungen bezüglich des Aussehens des Traumpartners beitragen. Die Flut von Bildern junger, sexy Frauen in Fernsehen, Internet und Werbespots z. B. für Dessous kann junge Männer den Gedanken, ihre derzeitige Freundin zu heiraten, auf die lange Bank schieben lassen, in der Hoffnung, irgendwann die perfekte Kombination von Seelenverwandter und Schönheitsideal zu finden.35

Doch nicht nur die heutigen Männer, auch die Frauen sind tief von unserer Kultur des Konsums geprägt. Männer wie Frauen sehen die Ehe nicht mehr als Mittel zur Entwicklung des Charakters und Stärkung der Gemeinschaft, sondern als Mittel, ihre persönlichen Lebensziele zu erreichen. Alle suchen sie einen Ehepartner, der „ihre emotionalen, sexuellen und spirituellen Sehnsüchte erfüllt“.36 Das Ergebnis ist ein extremer Idealismus, der seinerseits zu einem tiefen Pessimismus führt, ob man je den „richtigen“ Partner finden wird. Dies ist letztlich der Grund dafür, warum heute so viele ihre Hochzeit vertagen und viele großartige potenzielle Ehepartner nicht beachten, weil sie ihnen einfach „nicht gut genug“ erscheinen.

Was für eine Ironie! Ältere Ehekonzeptionen werden als überholt und repressiv abgetan und die neue „Ich-Ehe“ als die große Befreiung gefeiert, aber es ist gerade dieses neue Ehe-Ideal, das die Zahl der Eheschließungen nach unten gehen und das Unternehmen „Ehe“ so hoffnungslos erscheinen lässt. So eine „Ich-Ehe“ erfordert ja zwei seelisch kerngesunde, glückliche Individuen, die weder größere emotionale Bedürfnisse noch irgendwelche Macken haben, die uns Arbeit machen würden. Das Problem ist nur, dass es diesen Idealpartner praktisch nicht gibt! Das Konzept der Selbstverwirklichungs-Ehe hat dazu geführt, dass wir viel zu viel von der Ehe erwarten – und gleichzeitig viel zu wenig.

In seinem humoristischen Essay „Picky, Picky, Picky“ versucht John Tierney, uns zum Lachen zu bringen über die unmögliche Situation, in die unsere Kultur uns gebracht hat. Er zählt etliche der Gründe auf, aus denen seine unverheirateten Freunde ihre letzte Beziehung abgebrochen hatten:

„Sie hat ‚Goethe‘ falsch ausgesprochen.“

„Wie konnte ich ihn noch ernst nehmen, nachdem ich auf seinem Bücherregal ‚Der wunderbare Weg: eine neue Psychologie der Liebe und des spirituellen Wachstums‘ gesehen hatte?“

„Wenn sie nur sieben Pfund abnehmen könnte!“

„Gut, er ist Mitbesitzer einer Firma, aber die Firma ist nicht groß. Und dann trägt er diese scheußlichen schwarzen Tennissocken.“

„Tja, es fing eigentlich prima an … schönes Gesicht, tolle Kurven, nettes Lächeln. Es lief alles bestens – bis sie sich umdrehte.“ Er machte eine vielsagende Pause und schüttelte den Kopf. „… ihre Ellbogen waren dreckig.“37