Das Cover zeigt Johann Moritz von Nassau-Siegen in einem Porträt des holländischen Malers Pieter Nason im Jahre 1666.
Geboren 1604 im Dillenburger Schloss und als Schüler in Siegen unterrichtet, führte Johann Moritz ein Leben in vielen Teilen dieser Erde. So studierte er in der Schweiz, ging in das niederländische Heer und ließ sich als Gouverneur, Kapitän und Generaladmiral für das holländische Brasilien unter Vertrag nehmen.
Zurück in Europa, fand Johann Moritz weitere Möglichkeiten, seine Begabungen einzusetzen und facettenreiche Verantwortungen wahrzunehmen, etwa als Statthalter des Kurfürsten von Brandenburg, auf dessen Betreiben er zum Herrenmeister des Johanniterordens ernannt und vom Kaiser in den Reichsfürstenstand erhoben wurde, was beides eine außerordentliche Ehre bedeutete.
Evaldo Cabral de Mello ermöglicht seinen Lesern und Leserinnen Einblicke in eine hochinteressante und sehr abwechslungsreiche Biografie, wobei er sich auf die Jahre in Brasilien konzentriert.
Dieses Buch ist eine Übersetzung des 2006 veröffentlichten Werkes Nassau – Governador do Brasil holandês. Es wurde von Evaldo Cabral de Mello verfasst und in São Paulo in der COMPANHIA DAS LETRAS verlegt. Evaldo Cabral de Mello wurde 1936 in Recife geboren. Er trat in das Instituto Rio Branco ein und wirkte viele Jahre als Diplomat im Ausland. Heute wohnt er in Rio de Janeiro. Er verfasste Bücher und Fachbeiträge zur Geschichte Brasiliens, darunter die Schriften Rubo veio, Olinda restaurada, O negócio do Brasil und A fronda das mazombos. Nobres contra mascates, 1666 – 1715.
Die Übersetzung des Buches über Johann Moritz von Nassau-Siegen in die deutsche Sprache erfolgte durch Dr. Ernst von Lehmann, Siegen. Das Manuskript wurde anschließend durch Walter Werner Paul Sass, Porto Alegre/RS, bearbeitet. Von ihm stammen auch die Fußnoten.
Die Veröffentlichung erfolgt mit Genehmigung durch Evaldo Cabral de Mello sowie mit freundlicher Unterstützung durch Jürgen Beine (Universität Siegen), Prof. Dr. Ursula Blanchebarbe (Siegerlandmuseum im Oberen Schloss), Yvonne Brandt (Abteilung Medien und Kommunikation, Staatliche Kunstsammlungen Dresden), Dr. Stephanie Buck (Direktorin Kupferstich-Kabinett Staatliche Kunstsammlungen Dresden), Dr. Jörg Daur (Stellvertretender Direktor sowie Kustos für moderne und zeitgenössische Kunst, Museum Wiesbaden), Carolin Falk (Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Stadtmuseum Wiesbaden), Dr. Jochen Johannsen (Leiter der Universitätsbibliothek Siegen), Dr. Cornelius Neutsch (Universität Siegen) sowie Angela Rietschel (Fotosachbearbeiterin, Staatliche Kunstsammlungen Dresden). Das Korrektorat lag in den bewährten Händen von Silke Martin, Kriftel. Der Verlag dankt allen, die zum Entstehen dieser Veröffentlichung beigetragen haben!
ÜBERSETZT VON
ERNST VON LEHMANN
BEARBEITET DURCH
WALTER WERNER PAUL SASS
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-941276-07-9 (Klappenbroschur)
ISBN 978-3-941276-08-6 (PDF)
ISBN 978-3-941276-09-3 (EPUB)
Der Abdruck der Abbildungen erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch das Siegerlandmuseum (Siegen, Fotos: S. Brun, W. Degenhardt), der Universitätsbibliothek Siegen, dem Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (Fotograf: Herbert Boswank), dem Hessischen Landesmuseum für Kunst und Natur (Museum Wiesbaden) sowie Bob Ionescu. Trotz sorgfältiger Recherche konnten für die verwendeten Abbildungen nicht alle Rechteinhaber ermittelt werden. Sofern Sie ein unberücksichtigter Inhaber von Nutzungsrechten sind, wenden Sie sich bitte an den Verlag. Berechtigte Ansprüche werden in der üblichen Weise abgegolten.
Druck und Bindung: ScandinavianBook c/o Druckhaus Nord GmbH,
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© 2020 Verlag Frank-Michael Rommert, Beethovenstraße 25, 51643 Gummersbach
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1. Auflage
Alle Rechte vorbehalten. Eine Vervielfältigung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages rechtskonform.
Vorwort
1. Herkunft und Kindheit
2. Die Jugend Nassaus
3. Die Ställe des Augias
4. Ein Invalide auf der Festung
5. Gott schlug den Stolz des Feindes
6. Nassauischer Friede
7. Der Atlantik ist nicht der Rubikon
8. Die Rückkehr Nassaus
9. Die Zeit nach Brasilien
10. Kleve
Chronologie
Ergänzende Literaturangaben
Er ist von Natur aus weich und langsam:
Arbeitsam in den kleinen Dingen,
immer sehen wir ihn in Aktivität,
ohne auf Ergebnisse zu schielen.
Er hat eine große Ehrlichkeit nach außen hin
und ein sehr freundliches
und zugängliches Erscheinen.
Er ist ein Feind polemischer Wortwechsel,
mit lächelndem Gesicht
akzeptiert er leicht
die Meinung des Gesprächspartners.
Und trotz alledem, sage ich,
geht er direkt auf seine Ziele zu
wie ein jeder Mensch dieser Welt.
– Graf von Guiche, Memoiren
Es handelt sich um einen weitverbreiteten Irrtum, dass Johann Moritz von Nassau-Siegen ein Holländer war. In Wirklichkeit entstammte er einem deutschen Geschlecht, das seit Jahrhunderten in der rheinischen Region ansässig war, obwohl sich in der Zeit seiner Geburt im Jahre 1604 Verwandte von ihm wie auch sein Großvater und sein Vater jenseits der nördlichen Grenze ausgezeichnet hatten. Sie bekämpften Spanien als Angehörige des niederländischen Heeres. (Zu dieser Zeit wurden nur die Bewohner der Provinz Holland als Holländer bezeichnet. Holland war eine der sieben Provinzen der Republik der Vereinigten Provinzen der Niederlande.) Ein weiterer häufig gehörter Irrtum ist die Verwechslung mit seinem berühmten Namensvetter und Taufpaten, Johann Moritz von Nassau, einem der großen Generäle seiner Zeit, Sohn des Fürsten Wilhelm (genannt „der Reiche“) von Oranien (1487 – 1559). Dessen Sohn Wilhelm (1533 – 1584) bekam den Beinamen „der Schweiger“ wegen seiner zurückhaltenden, verschwiegenen Art. Er war der Initiator der Unabhängigkeit der Niederlande und der ältere Bruder des eben genannten Generals Johann Moritz von Nassau. Der Sohn des „Schweigers“, Johann VI. (1536 – 1606), war der Vater von Johann VII. (1561 – 1623), dem als 13. Kind unser Moritz von Nassau im Jahre 1604 geboren wurde. Um die beiden zu unterscheiden, wurde dem einen der Beiname „Der Brasilianer“ gegeben.1
Ein weiterer Irrtum betrifft den ihm zugeteilten Fürstentitel, obwohl er nur als Graf geboren worden war. Der Titel Fürst wurde ihm erst im Jahre 1653 durch Kaiser Ferdinand III. verliehen, da er im holländischen Brasilien wirklich als Fürst angesehen wurde, im Einklang mit der vielschichtigen kolonialen Verwaltungsstruktur: eine Republik, die in „aristokratischer“ Manier von der Direktion der Westindischen Handelsgesellschaft der Niederlande bzw. dem Rat der Neunzehn verwaltet wurde. Dieser Republik gegenübergestellt war – mit den Worten des Humanisten Caspar Barlaeus in seinem von Nassau beauftragten Geschichtswerk über dessen Regierungszeit in Brasilien –
ein Fürstentum, ohne die Titel König und Vize-König, unter deren Schirmherrschaft der Staat (Brasilien unter portugiesischer Herrschaft) vorher regiert wurde. Daher empfing der hochverehrte Moritz die legitime Autorität mit dem Titel „Gouverneur, Kapitän und Admiral-General“ mit allumfassender Macht über Land und Meer.
Die Bewohner des holländischen Brasilien behandelten Nassau wie einen Fürsten, um seiner Eitelkeit zu schmeicheln. Obwohl es nicht nur darum ging, denn die Tatsache, dass die portugiesisch-brasilianischen Kolonisten Nassau als Fürsten anerkannten, entsprang auch einer stolzen Genugtuung darüber, von einer aus hochadligem Geschlecht stammenden Persönlichkeit regiert zu werden.
Dies ist eine von seiner Zeit in Brasilien geprägte Biografie Nassaus, wie ein Blick auf die Inhaltsübersicht zeigt: Mehr als die Hälfte des Werkes ist seiner dortigen Regierungszeit gewidmet, obgleich diese nur zehn Prozent seines 75-jährigen Lebens ausmachte. Der kleinere Teil des Buches beschreibt die restlichen 90 Prozent seines Lebens, die er in Deutschland und in den Niederlanden verbrachte. Diese Zeit interessiert den brasilianischen Leser weniger. Doch der Autor bemühte sich neben der Bedeutung der Zeit Nassaus in Brasilien auch diesen 90 Prozent seines Lebens Aufmerksamkeit zu schenken. Zur gleichen Zeit sah sich der Autor verpflichtet, für das Verständnis unerlässliche Informationen über die Lage in den Niederlanden und in Deutschland zur Zeit Nassaus zu geben. Für den niederländischen Leser sind diese Informationen nicht neu. Ein weiterer Grund für die zentrale Behandlung der brasilianischen Jahre liegt darin, dass man mehr über diese Jahre weiß als über die anderen Phasen seines Lebens. Dies verdanken wir den brasilianischen und internationalen Historikern, die sich mit der holländischen Herrschaft beschäftigten.
Die brasilianischen Jahre Nassaus wurden stets als der Höhepunkt seines Lebens betrachtet. In den Niederlanden und in Deutschland ist er fast unbekannt, mit Ausnahme einer Handvoll Spezialisten, besonders aus Kunst und Wissenschaft. Es besteht kein großes Interesse an seiner Rolle als Gouverneur des Herzogtums Kleve im Norden Deutschlands, als Marschall des niederländischen Heeres und als prägende Persönlichkeit für diejenigen, die sich als Anhänger des Hauses Oranien den oligarchischen Absichten des Stadtpatriziates entgegenstellten. Biografien über Nassau gibt es nur sehr wenige. Anlässlich seines 300. Todestages im Jahre 1979 wurden allerdings zwei unschätzbare Studienbücher über Nassau herausgegeben: Soweit der Erdkreis reicht, in Kleve herausgegeben, und A humanist prince in Europe and Brazil, publiziert in Den Haag. Im Übrigen ist es schade, dass die Feiern zu seinem 400. Geburtstag weder noch einmal einen solch reichen Ertrag wie zum 300. Todestag noch eine erhoffte Biografie hervorbrachten, die die bestehenden hätte ersetzen bzw. ergänzen können.
Dieses Buch hegt keine derartigen Absichten, denn es ist zum einen eine brasilianische Biografie und zum anderen ein zusammenfassendes Werk. Obwohl der Autor vermeiden möchte, dass dieses Werk zu einem monotonen administrativen Bericht wird, beherrscht das öffentliche Leben Nassaus dennoch praktisch fast alle Seiten des Buches. Damit wird der Leser enttäuscht, der etwas über Kuriositäten des Privatlebens, besonders die pikanten Aspekte, erfahren möchte. Die Biografie Nassaus ist keine im herkömmlichen Sinn. Sie ist nicht daran interessiert, in die Intimsphäre dieses Menschen einzudringen, um seine Leistungen zu erhöhen, außerdem gibt es dazu auch nicht allzu viele Informationen. Wie viele europäische Militärs seiner Zeit ließ Nassau sich nicht, wie es sein Freund und Dichter Joost van den Vondel ausdrückt, unter „das Joch der Frauen“ zwingen. Er blieb ledig und bewahrte sich so jene Freiheit, die seinen beruflichen Notwendigkeiten entsprang, ohne damit sagen zu wollen, dass er dem „Joch der Liebhaberinnen“ entfloh.
C. R. Boxer, der bekannteste der englischsprachigen Historiker, die sich mit der Geschichte Brasiliens und der weltweiten portugiesischen Expansion beschäftigten, hat besser als kein anderer über Nassau festgestellt: „Er war nicht nur ein fähiger General und erstklassiger Verwalter, sondern als ein Regent war er in vieler Hinsicht seiner Zeit weit voraus.“ Doch der Reihe nach. Die militärische Kompetenz Nassaus steht außer Zweifel. Indessen handelt es sich bei ihm um eine weniger bedeutsame, prägende Eigenschaft, verglichen mit den Attributen, die man früher in romantischer Weise den großen Kriegshelden zusprach. Auch wenn sein hauptsächliches kriegspolitisches Unternehmen, die Belagerung von Bahia, scheiterte, weil ihm die Mittel fehlten, die man ihm versprochen hatte, so waren Erfolge nicht zu leugnen: allen voran die Verteidigung des holländischen Brasilien gegen portugiesisch-spanische Angriffe im Jahr 1640 und die Eroberung Angolas, São Tomés sowie Maranhãos im Jahre 1641. Doch derartige Triumphe wurden in erster Linie durch eine starke Seemacht mit ihren Admirälen und Einheiten erreicht, erst in zweiter Linie durch die Absichten Nassaus, von denen die Admiräle aber wohl inspiriert waren. Doch es muss festgehalten werden, dass er es war, der sich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit für eine Kriegsstrategie entschied, die den Krieg zu Wasser dem zu Lande vorzog, und ebenfalls war er es, der die Eroberung Angolas statt Bahias, so wie es die Westindische Handelsgesellschaft gewünscht hatte, durchsetzte.
Nassau war, mit den Worten Boxers gesprochen, vor allem ein „Verwalter erster Klasse“, auch in militärischen Angelegenheiten. Sein Organisationstalent und seine Detailkenntnis wurden von einem französischen Offizier, dem Grafen von Guiche, unterstrichen, der ihm im Krieg von Münster diente und dessen Wertschätzung dieser Biografie voransteht. Nassau war gezwungen, die Belagerung Salvadors aufzugeben, doch dies geschah derart effizient, dass sein Heer in einer Regennacht übers Wasser nach Recife zurückkehrte, ohne dass die Bewohner der Hauptstadt es bemerkten. Seine Sorgfalt erklärt zum größten Teil seine Verwirklichungen in Brasilien und in Kleve. Es seien seine architektonischen Durchführungen zuerst erwähnt. J. J. Terwen stellte Studien über die von Nassau an allen Orten erbauten Paläste und von ihm angelegten Gärten her. Nassau bemühte sich jahrelang, seine Projekte nur als Ergebnis der Talente seiner Architekten Jacob van Campen, Pieter und Maurits Post anzusehen und verstrickte sich dabei in unendliche Streitereien über die Priorität des einen oder des anderen an diesem oder jenem Gebäude. Nach Terwen wäre es „viel wichtiger (…), den architektonischen Beitrag des Auftraggebers herauszustellen“, der seiner Meinung nach „leicht vernachlässigt oder gänzlich verneint“ wurde, trotz deutlicher Hinweise auf seine Beteiligung an der Vorbereitung und Ausführung der Projekte. Derselbe Autor erinnert daran, dass Nassau „vor allem und an erster Stelle ein praktisch veranlagter Mensch war, mehr Ingenieur als Künstler“. Nassau liebte es, „sich mit technischen Fragen zu beschäftigen“. Seine Experimente mit der Artillerie am Scheveninger Strand im Jahre 1659 und die Erfindung eines dreirädrigen Wagens bestätigen dies. Seine brasilianischen Bauten, Vrijburg, die Villa Boa Vista und La Fontaine, waren seine Schöpfungen. Der Stolz, den er für sie empfand, bewog ihn, ein Werkverzeichnis zusammenzustellen, das die Pläne aller seiner Gebäude, die er im Laufe seines Lebens geschaffen hatte, umfasste.
Mit den Worten Boxers kann abschließend gesagt werden: Nassau war „ein Regierender, der seiner Zeit in vieler Hinsicht voraus war“. Das ist in der Tat der Punkt, der seiner Persönlichkeit eine Aura der Voraufklärungszeit verleiht, die ihn unter den Historikern zu einem großen Teil so populär machte. In dieser Hinsicht war Nassau mehr ein Sohn Hollands als Deutschlands. Trotz seiner Verbindungen mit dem Haus Oranien und dem Republikanismus führender holländischer Kräfte kommt die Geistesverwandtschaft mit beiden in der brasilianischen Regierungszeit und in der militärischen Karriere zum Vorschein. Die religiöse Toleranz war der Prüfstein dieser Affinitäten; und Boxer hat völlig recht, wenn er behauptet, dass „im holländischen Brasilien in den Regierungsjahren von Johann Moritz eine höhere Stufe von religiöser Freiheit herrschte als in jedem anderen Teil der westlichen Welt“, die Niederlande inbegriffen. In Nassaus Regierungsjahren war Toleranz mit persönlicher Ausgeglichenheit und Liebe zur Versöhnung verbunden. Von den humanistischen Rezepten zur Ausübung eines Amtes bevorzugte Nassau die Empfehlung, Mäßigung mit Strenge zu verbinden, denn „die Verbindung dieser zwei Qualitäten ist die unerlässliche Regierungsvoraussetzung. Eine Regierung, die zu sehr die eine oder die andere (Qualität) anwendet, wird sich nicht lange halten“, schrieb er in seinen Anweisungen, die er hinterließ, als er Brasilien verließ. Es gab da auch noch seine umgängliche Freundlichkeit, die der Graf von Guiche so beschrieb: Nassau hatte eine „außerordentliche Ehrlichkeit nach außen hin“, „eine freundliche und zugängliche Erscheinung“, ein Schrecken vor polemischen Wortwechseln und die Fähigkeit, zuzuhören. Dies hinderte ihn freilich nicht, „seine Absichten wie jeder andere Mensch in der Welt direkt zu verfolgen“. Der Mönch Manuel Calado aus Salvador, der eng mit ihm befreundet war, bezeichnete ihn „als einen von Natur aus begünstigten Menschen“, was er dem „ererbten königlichen Blut“ zuschrieb. Calado betonte auch sein „fröhliches Antlitz“, das allen zugutekam.
Der Gelehrte J. A. Gonsalves de Mello, der wie kein anderer die Geschichte des holländischen Brasilien kennt, hebt hervor, dass die Inschrift, die Nassau in einem der Parks in Kleve anbringen ließ, ihn treffender beschreibt als alle Tätigkeiten, die mit seinem Beruf zusammenhängen, wie Kämpfen oder Kriegführen. Die pessimistische Inschrift „Wenn der Baum gewachsen ist, ist derjenige, der ihn pflanzte, gestorben“ ersetzte Nassau durch
Bauen, Graben, Pflanzen,
lasst Euch nicht verdrießen,
so werdet Ihr und die nach Euch kommen,
es genießen.
Diese Liebe zur Natur ist nicht mit den ökologischen Gedankengängen unserer Tage zu verwechseln, denn H. R. Hoeting hob als Organisator der Gedenkfeiern zum 300. Todestag von Nassau im Jahre 1979 hervor, dass „er die durch den Menschen geordnete Natur“ in Gestalt von Gärten, Feldern, Obsthainen, Springbrunnen oder von Bäumen gesäumten Alleen genoss, doch nicht „die rohe und unbearbeitete Natur“. Was trotzdem nicht verhinderte, dass Nassaus Regierung die ersten systematischen Vorkehrungen zur Erhaltung des atlantischen Waldes traf. Im Übrigen lassen seine Sympathie und sein Interesse für die indigenen Einwohner des Landes nichts zu wünschen übrig und man kann ihn, wie Boxer betont, mit den Anthropologen des 20. Jahrhunderts vergleichen.
Nassaus Leidenschaft für Gartengestaltung und Landschaft hängt auch mit seiner humanistischen Erziehung zusammen. W. Diedenhofen, ein Kenner seiner Gärten, beobachtete, dass die Monumente der Alleen und Parks in Kleve eines gemein hatten: die Idee, dass die Waffen dem größeren Wert der Kontemplation der Natur untergeordnet werden müssen. Dies scheint angesichts seines militärischen Berufes ein möglicherweise ungewöhnlicher Gesichtspunkt zu sein. Heutzutage bedarf es einer gewissen Anstrengung angesichts der Beispiele unermesslich brutaler Regime wie das des Nationalsozialismus oder der nicht so sichtbaren, aber ebenso brutalen autoritären Regime der Dritten Welt, um diese Symbiose einer militärischen Laufbahn mit dem Humanismus zu begreifen. Man muss sich tatsächlich anstrengen, um zu erfassen, wie ein Offizier in einer höchst kriegerischen Ära wie dem 17. Jahrhundert eine Synthese aus zwei so unterschiedlichen Werten realisieren konnte.
Hoeting rückt die scheinbare Ironie zurecht, dass die „Größe und historische Bedeutung“ Nassaus für immer unauslöschlich mit dem vergangenen „militärischen Misserfolg“, das heißt dem Verlust des holländischen Brasilien, verbunden sei. Dieser Widerspruch bedarf einer Erklärung. Sowohl nach Meinung seiner Zeitgenossen als auch der späteren Geschichtsforschung dieser Periode überwog das Urteil, dass die Schuld völlig aufseiten der Westindischen Handelsgesellschaft lag und nicht bei Nassau, der ständig vor den Konsequenzen gewarnt hatte, sollte man die Kolonialpolitik strikt kaufmännischen Gesichtspunkten unterordnen. Auch die Art und Weise der Entbindung Nassaus von seinem Amt war kein Ruhmesblatt für die Compagnie und sprach nicht für die Intelligenz und einen hehren Charakter der Führungskräfte der Handelsgesellschaft. Nassau musste endlich feststellen, dass sein Projekt mit dem Motto ein „einziges Volk“ vieler verschiedener Rassen, wie er es im Rat im Jahre 1640 formulierte, in unüberbrückbarem Konflikt mit den Zielen der Handelsgesellschaft stand. Nicht zuletzt auch durch die gegenseitige Abneigung der portugiesisch-brasilianischen und der niederländischen Bevölkerung bedingt. Wie wir noch sehen werden, war Nassau schon 1647 davon überzeugt, dass die niederländische Herrschaft im Nordosten dem Untergang entgegensteuerte.
Es ist nicht so paradox, dass der Nativismus des 19. Jahrhunderts2 sich bemühte, Nassau in ein besseres Licht zu rücken, wenn man bedenkt, dass er eine aufgeklärte Regierung, obgleich eine ausländische, mit der Verwaltung der portugiesischen Kolonie und der ihr zugeschriebenen Unfähigkeit vergleicht. Wenn man nicht so weit ging, die holländische Herrschaft in Gänze zu rehabilitieren, so lag es daran, dass die Ideologie des Zweiten Königreiches und der koloniale Patriotismus dem Grenzen setzten, denn man konnte die Kolonisatoren einer Nation, die republikanisch und protestantisch zugleich waren, nicht gänzlich rehabilitieren. Erst in der Alten Republik gab es welche, die dies wagten, und die letzte Konsequenz dessen war, Calabar3 zu einem patriotischen Prototyp zu machen. Andererseits gab es in dieser Zeit eine neue Generation von Intellektuellen, die sich von der Modernität Nassaus angezogen fühlten (dies ist der Fall bei Joaquim Nabuco und anderen), obwohl der republikanische Positivismus dem holländischen Experiment negativ entgegensah.
Es ist übrigens kurios, dass Nassau in Pernambuco immer noch als fundamentales Kriterium gilt, an dem sich ideologische Tendenzen messen lassen. Aus Anlass der Gedenkfeiern seiner Ankunft in Recife vor 300 Jahren kam es im Jahre 1936 zu einer lebhaften Kontroverse. Auf der einen Seite standen die Verteidiger Nassaus wie Barbosa Lima Sobrinho, die die Durchführung der Festlichkeiten verteidigten, und auf der anderen Seite die Gegner Nassaus. Einer dieser Gegner war Manuel Lubambo, Autor der Schrift Gegen Nassau. Diese Gegner agierten als Speerspitzen einer Gruppe aus dem Jesuitenkolleg Nóbrega. Sie waren bekanntermaßen vom Faschismus salazaristischer Prägung durchdrungen und wurden von einem Portugiesen aus Goa, Pater Manuel Fernandes, angeführt. Anlässlich des 400. Geburtstag Nassaus wurden im Jahre 2004 erneut Proteste gegen die Gedenkfeier laut, diesmal im Sinne einer angeblichen Bedrohung der nationalen Identität.
Zum besseren Verständnis für den Leser sei noch erwähnt, dass die niederländische Währung, der Florin (Gulden), 20 Stuivers (Stüwer, Heller) betrug. Der Zuckerpreis im holländischen Brasilien wurde mit Schilling angegeben, sechs Stüwer entsprachen einem Schilling. Eine Kiste Zucker wog normalerweise 20 Arrobas.4 Der mittlere Preis einer Zuckermühle lag normalerweise zwischen 30.000 und 40.000 Gulden. Der mittlere Preis eines Sklaven schwankte zwischen 200 und 300 Gulden. Der Wert des von Nassau in Recife gebauten Palastes glich dem Wert von ungefähr fünf Zuckermühlen oder einer Gruppe von 500 Sklaven. Ein portugiesischer Kreuzer (Cruzado) entsprach drei Gulden.
Der Dank des Autors für die bibliografische Unterstützung bei der Vorbereitung der Biografie gilt den Professoren E. van den Boogart, Gert Oostindie, Ivo J. van Loo aus den Niederlanden, Gerhard Brunn aus Siegen und Marcos Galindo aus Recife. Ein Dank auch an Professor Dante Martins Teixeira in Rio de Janeiro für die naturhistorischen Erläuterungen. Zuletzt seien Lilia Moritz Schwarcz und Elio Gaspari erwähnt, die das Buch im Original lasen und zur Verbesserung des Textes beitrugen.
1Vgl. dazu die genealogischen Angaben auf Seite 22, wonach Moritz als 1. Kind geboren worden sei. In erster Ehe war Johann VII. mit Magdalena von Waldeck (1558 – 1599) verheiratet und bekam mit ihr 12 Kinder. Dann folgte die Ehe mit Margaretha von Holstein-Sonderburg-Plön (1583 – 1638). Als deren 1. Kind (bzw. Nr. 13 für den Vater) wurde Moritz im Jahr 1604 geboren.
2Aufstände im 18. / 19. Jahrhundert der in Brasilien Geborenen gegen die Portugiesen aus dem Königreich Portugal.
3Domingos Fernandes Calabar (1609 – 1635) war ein einheimischer Zuckermühlenbesitzer in Pernambuco. Er war ein Alliierter der Holländer und wurde 1635 als Vaterlandsverräter hingerichtet.
41 Arroba = 15 kg
Wie bei vielen aristokratischen Familien Europas verschmilzt der Ursprung der Nassaus mit der Legende, denn selbst die vornehmsten Familien konnten ihre Wurzeln nicht über das 8. Jahrhundert hinaus zurückverfolgen, und wenn, dann in Form von Mythen und nicht in einer überprüfbaren Genealogie. Nach einer Version kamen die Nassaus aus dem Gebiet der heutigen Schweiz, haben sich dann in der Region des mittleren Rheins zwischen den Tälern von Main, Lahn und Sieg zur Zeit Karl des Großen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts niedergelassen. Andere vermuteten, dass ein römischer Aristokrat, der Julius Cäsar in den gallischen Kämpfen begleitet hatte, als Ahnherr damit beauftragt gewesen war, diese Region zu verteidigen. Wie es scheint, bevorzugte die Familie diese Erklärung. Am Ende seines Lebens war es Nassau persönlich, der hierfür den unumstößlichen Beweis gefunden zu haben glaubte: einen Keramiktopf mit der Inschrift „Nasso“. Diesen präsentierte Nassau mit anderen Antiquitäten in seinem Mausoleum in Kleve. Dass er sich gern mit Kaiser-Büsten umgab, wurde als weiteres Indiz dafür gedeutet, dass er sich als Nachfahre einer Familie des klassischen Rom betrachtete.
Eine weitere Version zur Herkunft der Dynastie gibt einen germanischen Sueben-Fürsten mit Namen Nasua an, der in Kommentaren von Cäsar erwähnt wird. Historiker des 19. Jahrhunderts versicherten, dass die Nassaus mit dem Stammbaum der Familie Hattons, mächtig zur Zeit Karls des Großen, verwandtschaftlich verbunden waren. Doch die aktuelle Tendenz der Forscher bevorzugt die Tradition, dass die Wurzeln der Vorfahren bei den Brüdern Drutwin und Dudo, die Ende des 11. Jahrhunderts lebten, zu finden sind. Von Dudo stammen die Grafen von Lauenburg ab, die in einer Burg an den Ufern der Lahn in der Nähe von Limburg herrschten. Im 12. Jahrhundert bauten sie eine Zitadelle namens Nassau auf der linken Uferseite des Flusses und gerieten dadurch in einen nicht endenden Streit mit dem Bischof von Worms, der ebenfalls Anspruch auf dieses Gebiet erhob. Der Streit wurde schließlich durch ein Abkommen beigelegt, in dem die Lauenburger in die Jurisdiktion des Erzbischofs von Trier versetzt wurden, der ihnen das Recht auf die Burg zusprach. Seit dieser Zeit lebten die Familienhäupter in Nassau und in der Folge wurden sie als Grafen von Nassau bekannt.
In der dann folgenden Periode lösten sich die Nassauer endgültig aus dem sogenannten „finsteren Mittelalter“. Doch nach Meinung des Autors dieses Buches handelte es sich nur um Verfinsterungen der historischen Kenntnisse. Mit der Vermehrung des ländlichen Eigentums ereignete sich auch eine Standesverbesserung: Familienglieder traten an die Seite Friedrichs I., genannt Barbarossa, den sie in den Kämpfen um die kaiserliche Macht im Norden Italiens gegen die italienischen Städte und den Papst, der auch Anspruch auf dieses Gebiet anmeldete, unterstützten. Am Anfang des 13. Jahrhunderts vergrößerte Heinrich von Nassau (der Reiche) seinen Besitz, der nun das ganze Gebiet auf der rechten Rheinseite zwischen den Flüssen Main und Sieg umfasste. Ihm wird die Errichtung der Sonnenburg zugeschrieben und Nassau nahm in seiner Eigenschaft als Herrenmeister des Johanniterordens die Gelegenheit wahr, sie zu rekonstruieren.
Die Dillenburg liegt am Ufer der Dill, dem Nebenfluss der Lahn im heutigen Bundesland Hessen. Sie wurde zum Stammsitz der Dynastie. Hier wurde der berühmteste Sohn der Nassauer, Wilhelm der Schweiger, Begründer der Niederlande, oder auch Nassau der Brasilianer geboren. Nach der Zeit Wilhelms verzweigten sich die Nachfahren in die ottonische Linie, die das Gebiet nördlich der Lahn erbten, und in die walramische Linie von Nassau,5 die die Ländereien südlich der Lahn bekamen. Ihnen entstammte Adolf von Nassau, der im 13. Jahrhundert zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewählt wurde, als er sich gegen einen Habsburger Kandidaten durchsetzte. Die Rivalität, die sich aus dieser Episode ergab, lebte 300 Jahre später wieder auf, um die Rebellion des Schweigers gegen einen anderen Habsburger, König Philipp II. von Spanien, zu rechtfertigen.
Das Rheinland und die Niederlande waren durch Wasserwege und Handelsbeziehungen schon immer eng miteinander verbunden. Aber erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts fasste Engelbert als erster Nassauer in den Niederlanden Fuß. Sie waren damals noch ein Teil des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Erst Mitte des 16. Jahrhunderts trennte sie Karl V. davon ab. Durch Heirat mit einer alteingesessenen örtlichen Familie verbunden, erhielt Engelbert die Herrschaft über verschiedene Besitzungen, Breda eingeschlossen, das zum Sitz der niederländischen Nassauer wurde. Nach seinem Tod wurde der Besitz unter den deutschen und holländischen Erben aufgeteilt, dadurch wurden Letztere die reichsten und mächtigsten Vertreter dieses Hauses. Doch das Schicksal wollte es, dass das niederländische Erbe zweimal in die Hände der „armen Vetter“ aus Deutschland fiel.
Da Engelbert II. keine Nachkommen hatte, fielen seine Güter den Neffen aus Dillenburg zu (1504). Heinrich III. bekam den holländischen Anteil, Wilhelm den deutschen. Wilhelm der Reiche konvertierte zum Luthertum und führte diesen Glauben in den Kirchen seiner Grafschaft ein. Im Gegensatz zu vielen deutschen Herrschaften der damaligen Zeit scheint der Grund dieser Entscheidung nicht wirtschaftlicher Art gewesen zu sein (der katholische Klerus besaß nur wenige Güter), sondern entsprang tiefem Glauben, beeinflusst durch seine zweite Heirat mit Gräfin Juliana zu Stolberg. Jedenfalls wurden die engen Beziehungen zwischen dem deutschen und dem niederländischen Zweig durch den Übertritt der Dillenburger zum neuen Glauben nicht beeinträchtigt.
Mit dem Tod Heinrichs III. fielen seinem einzigen Sohn René (Renatus) von Châlon die niederländischen Besitzungen zu und er wurde zum größten Landbesitzer der Niederlande. Als er von einem Onkel mütterlicherseits Fürstentümer (einschließlich Orange im Süden Frankreichs), Herzogtümer, Grafschaften, Baronien und Herrschaftssitze erbte, wurde sein Gebiet „das Neue Lothringen“ genannt, denn das Original erstreckte sich unter Lothar, dem Sohn Karls des Großen, von der Mündung der Mosel bis zur Rhone. René fiel im Krieg zwischen Karl V. und Franz I. von Frankreich bei der Belagerung der Stadt Saint-Dizier (1544). Da er keine Nachkommen hatte, fielen seine niederländischen Güter an die deutschen Vettern zurück. Als Protestant war Wilhelm der Reiche, Chef des Hauses Nassau-Dillenburg, für die Niederlande unannehmbar. Doch war er trotzdem nicht gewillt, das niederländische Erbe in fremde Hände fallen zu sehen. Mit 15 Jahren trat sein erstgeborener Sohn, der spätere Wilhelm der Schweiger, zum katholischen Glauben über und nahm das Erbe des Onkels an. Nach dem Tod Wilhelms fiel das Haus Nassau-Dillenburg an den zweiten Sohn, Johann VI., auch der Ältere genannt. Dieser Beiname diente dazu, den Sohn vom gleichnamigen Enkel, Johann VII., sowie vom Mittleren und auch von Johann VIII., dem Jüngeren, zu unterscheiden.
Johann der Ältere, Nassaus Großvater väterlicherseits, arbeitete mit seinem Bruder auf politischer und militärischer Ebene zusammen, obschon er weit davon entfernt war, den religiösen Eifer des Schweigers zu teilen, den dieser erneut bewies, als er im Zuge des Aufstandes gegen Philipp II. zum protestantischen Glauben, in dem er erzogen worden war, zurückkehrte. Johann der Ältere war ursprünglich Lutheraner, wurde dann jedoch Calvinist. Er führte die Genfer Lehre in seiner Grafschaft ein, so wie dies auch in der benachbarten Pfalz geschah. Zu dieser Zeit unterstütze er Wilhelm in der Revolution gegen Spanien engagiert. Bedingt durch das anfängliche Scheitern der Bewegung musste der Schweiger seine Ländereien verlassen und nach Dillenburg fliehen. Dillenburg wurde zum deutschen Stützpunkt für die Invasion der Niederlande mithilfe der protestantischen Fürsten. Seine Devise war: „Man muss nicht warten, um etwas in Angriff zu nehmen, auch braucht es keinen Erfolg, um auszuharren.“ Dillenburg etablierte sich als Aufnahmelager für niederländische Flüchtlinge, die durch die katholische Repression des Herzogs Alba, ein General Philipps II., ins Exil gedrängt wurden.
Als die Rebellen ihre Position in Holland und Seeland, die zwei wichtigsten Provinzen am Meer, festigen konnten und damit die unentbehrliche Basis für den Erfolg der Bewegung schufen, wurde Johann der Ältere Stadhouder (Gouverneur) von Geldern, einer holländischen Provinz in direkter Nachbarschaft zu Deutschland. In diesem Amt spielte er eine führende Rolle in der Politik der Niederlande, auch hinsichtlich der Union von Utrecht, die ein konförderatives Band zwischen den sieben nördlichen Provinzen (Holland, Seeland, Utrecht, Friesland, Overijssel, Geldern und Groningen) herstellte. Die Herrschaft Spaniens verringerte sich auf zehn Provinzen, die spanische Niederlande oder auch die „Gehorsamen Provinzen“ genannt wurden, in etwa dem heutigen Belgien entsprechen und spanisch bis zum Frieden von Utrecht (1713) blieben. Ab diesem Datum kamen sie unter österreichische Herrschaft. Die Brüder Johanns, der Ältere und der Schweigsame, traten in die niederländische Armee ein, die für die protestantische Sache kämpfte.
Johann der Ältere musste im Jahr 1580 nach dem Tod der Mutter nach Dillenburg zurückkehren, um sich um die Besitztümer der Familie zu kümmern. Es war auch ein Teil des Planes der politischen Union und der militärischen Aktivität, dass Johann der Ältere in Herborn, nahe seiner Burg, die Nassauische Akademie gründete, um für die Erziehung der Kinder der Aristokratie zu sorgen. Der Schwerpunkt des Unterrichts hatte praktische Erziehungsaspekte. Selbst Polen, Böhmen und Ungarn zog es dorthin, da sie in ihren Ländern der Gegenreformation ausgesetzt waren, die von Österreich aus für das zentrale Europa gefördert wurde. Herborn wurde bekannt für seine hohe Ausbildungsqualität, seine Bibliothek und seine Schreibwerkstätten. Der orthodoxe Calvinismus vermochte die intellektuelle Aktivität nicht zu unterdrücken, selbst als ab dem Jahre 1600 die religiösen Auseinandersetzungen in Deutschland zunahmen.
Aus den drei Ehen Johanns des Älteren entstammten 20 Kinder. Daraus bildeten sich zwei Familienzweige, Nassau-Dietz und Nassau-Siegen. Nach dem Tod des Patriarchen im Jahre 1606 kam Dillenburg zum Besitz des Erstgeborenen, Wilhelm Ludwig. Er kämpfte in den Niederlanden und wurde Stadhouder von Friesland und Groningen. Er ist der Stammvater des niederländischen Königshauses. Johann der Mittlere, Vater von Nassau, war für die Stadt und den Distrikt Siegen verantwortlich, ein kleines Gebiet, dessen Bevölkerung nicht mehr als 9.000 Einwohner zählte und dessen Einkünfte bescheiden waren. Johann der Mittlere, dessen Mutter die Gräfin von Leuchtenberg war, studierte wie seine Brüder in Heidelberg. Dort zeigten sich erste Anzeichen des vom Vater hervorgebrachten Interesses für die militärische Doktrin. Er schrieb eine lateinische Abhandlung über den berühmten spartanischen General Epaminondas. Nach zwei Jahren an der Universität reiste er durch Frankreich und Italien mit besonderem Interesse an militärischer Ausbildung. Anschließend machte er eine Karriere in den Niederlanden. Hier unterstützte er seinen Vetter, den Stadhouder Moritz von Nassau (der dieses Amt vom Vater übernahm, nachdem dieser von einem katholischen Extremisten im Jahre 1584 ermordet worden war), bei der Aufgabe, die Reformen im niederländischen Heer einzuführen, für die Moritz in der Militärgeschichte berühmt wurde. Inspiriert von der Kriegskunst der klassischen Antike wurden durch die Reformen das stehende Heer und seine Vervollkommnung initiiert und die Professionalität, Disziplin und Ausbildung verbessert. In der Akademie von Breda wurden Kurse für Befestigungen und Strategie angeboten. Moritz orientierte sich am Ideal des Neostoizismus6 seines alten Lehrers Justus Lipsius. Dieser verfasste, basierend auf Seneca und Tacitus, aus einer christlichen und monarchischen Sicht heraus die Schrift De Constantia,7 ein Ergebnis der traumatischen politischen und religiösen Kriege in den Niederlanden. Der Neostoizismus war mehr als eine politische Doktrin, er war eine Lebenseinstellung, der in seinem Skeptizismus auch eine Technik der Machtmanipulation förderte. Aber der Neostoizismus führte ebenfalls zu Toleranz und Akzeptanz der verschiedenen religiösen Glaubensrichtungen.
Als Witwer diente Johann der Mittlere von 1600 bis 1602 in Polen unter Karl IX. von Schweden und kehrte dann endgültig nach Deutschland zurück. Er heiratete in 2. Ehe Margarethe von Holstein, Tochter des Herzogs von Schleswig-Holstein und einer Prinzessin von Braunschweig, deren Vermögen kaum größer als das ihres Mannes war. Am 17. Juni 1604 wurde Johann Moritz von Nassau-Siegen als ihr erster Sohn in Dillenburg geboren. Paten waren sein Großvater mütterlicherseits und der Statthalter Moritz, den der Vater durch die Namensgebung ehren wollte. Nassau lebte nur die ersten zwei Jahre in Dillenburg. Von der Burg existieren heute nur noch Ruinen. Das aus dem 13. Jahrhundert stammende Gebäude wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts umgebaut. Oben von der Böschung, von der Dill nach drei Seiten hin begrenzt, konnte man die perfekte strategische Lage und ausgezeichnete Sicht genießen. In den verschiedenen Gebäuden konnte man in Notzeiten mehr als 400 Personen dank eines Kanalsystems, das Regen- und Quellwasser sicherstellte, unterbringen. Es handelte sich um eine komfortable und geschmackvolle Residenz mit 70 Zimmern, Galerien, einer Bibliothek mit Büchern über Geschichte, die Kunst der Kriegsführung und über Religion in Latein und Deutsch. Viele dieser religiösen Bücher wurden auf Empfehlung Luthers gekauft. Die Säle und Salons waren mit Wandteppichen der verschiedensten Themen der Kirchengeschichte, der klassischen Antike und der Renaissance geschmückt. Nassaus ästhetisches Anliegen zeigte sich auch im Vorderhof mit einem Brunnen, der sieben Wasserspiele barg. Im unteren Garten befand sich eine Art Wald mit Blick auf den Fluss und im oberen Garten auf der großen Terrasse eine Lindenallee.
Nach dem Tod des Vaters im Jahre 1606 und der sich anschließenden Vermögensauseinandersetzung zog es Johann den Mittleren nach Siegen, dem Ort der Geburt seiner Kinder aus 2. Ehe, um sich um sein Erbe zu kümmern und sich seiner großen Leidenschaft, der militärischen Doktrin, zu widmen. Er bearbeitete ein Handbuch, organisierte Anthologien griechischer und römischer Texte, gab sie in illustrierter Form heraus und vermachte sie später Nassau. Er reformierte die Milizen in der Pfalz und in seiner eigenen Grafschaft, die sein Vater im Jahre 1580 gebildet hatte, denn die Nassaus verfügten nicht über ausreichend Mittel, um eine Söldnertruppe zu unterhalten. Johann der Mittlere übernahm ebenfalls die Verantwortung für den Grafenverein, ein Zusammenschluss des protestantischen Adels. Sein Einsatz für den Calvinismus blieb verhalten. Johann der Mittlere war ein enthusiastischer Leser des Werkes des Spaniers Antonio de Guevara Die Uhr der Prinzen, aus dem er verschiedene Abschnitte für seine Söhne zusammenfasste. Dieses Genre war zur Zeit der Renaissance üblich. Das im Jahre 1529 publizierte Werk war seinerzeit nach der Bibel das populärste und meistgelesene Buch in Europa. Trotz des Titels richtete sich diese Art von Literatur nicht nur an Könige und Fürsten, sondern an alle, die am Staatshof, im Krieg und in der Bürokratie tätig waren. Nach Guevara war die Erziehung das Mittel, um Prinzipien zu etablieren, die die Anwendung von ausgewogenen Gesetzen für gerechte Regenten garantierten. Dadurch sollte vermieden werden, dass schon kleine Ausbildungsfehler den Charakter des künftigen Regierungschefs verdarben. Guevara sparte nicht an Ratschlägen und Hinweisen zur Kindererziehung bis hin zur Ernährung und pries den Wert des Stillens mit Muttermilch an.
Über die Kindheit Nassaus im kleinen Siegen weiß man nur wenig, man kann nur vage Vermutungen anstellen. P. J. Bouman, einer seiner Biografen, vermutet, dass die „romantische Landschaft waldbedeckter Hügel seine Liebe zur Natur schon früh herausbildete“. Man könnte auch geistesgeschichtlich an die Frage herangehen, wie es zum Beispiel N. Mout versucht und das Modell der Anfang des 17. Jahrhunderts gültigen Erziehung eines deutschen Aristokraten zugrunde legt. Doch solch eine Grundlage umfasst nicht den ganz individuellen Teil der Bildung, die eigenen Erfahrungen und die Prägung durch andere. Nassau wurde anfangs durch seinen pädagogisch versierten Vater erzogen und besuchte danach die Lateinschule in Siegen, in der Lehrmeister höchsten Niveaus bereits seine Brüder unterrichtet hatten. Im Falle Nassaus waren dies Wolfgang Stover und Heinrich Hatzfeld, die der Akademie in Herborn angehörten und bürokratische Funktionen am kleinen Hof von Siegen ausübten.
Danach machte Nassau sein Examen in der gräflichen Schule und begann bald darauf nach dem aristokratischen Modell die Kavalierstour, also ein Praktikum an einer ausländischen Universität, um authentische Kenntnisse über die Welt, die Menschen und fremde Sprachen zu erlangen. Bereits mit zehn Jahren wurde er an die Universität Basel geschickt, die seit der Zeit des Erasmus berühmt war. Diese Wahl spiegelt auch die gemäßigte Einstellung Johann des Mittleren zur Religion wider, denn dort lebte man unter dem Einfluss von Castellio, dem wichtigsten Gegner Calvins. Dabei war das Dogma der Prädestinationslehre der Prüfstein der wahren Reformation. Auf dem Weg nach Basel lernte Nassau den Hof seines Schwagers Moritz von Hessen-Kassel kennen. Dieser war der Gatte seiner Halbschwester Juliana. Dort kam er mit zwei Neffen zusammen, die unter den wachsamen Augen von Tutoren und Lehrmeistern ebenfalls auf dem Weg in die Schweiz waren.
Dort blieben sie von Juni 1614 bis Juni 1615 und machten sich dann weiter auf den Weg nach Genf. Hier war die Strenge der calvinistischen Epoche weniger spürbar, bedingt durch den Einfluss von Théodore de Bèze, ein weiterer großer protestantischer Theologe. Nach sechs Monaten kehrten sie nach Kassel zurück. Nassau blieb dort von Anfang 1616 bis zum Sommer 1619. Diese Zeit war für ihn bedeutsamer als die Zeit in der Schweiz, nicht nur wegen der Länge des Aufenthaltes, sondern auch wegen der Atmosphäre am Hof. Nassau trat in das vom Schwager für adlige protestantische Sprösslinge gegründete Collegium Mauritianum ein, wie schon zwei seiner Halbbrüder vor ihm. Der Lehrstoff umfasste die italienische sowie spanische Sprache und auch die französische, in welcher er sich besonders gern ausdrückte. Spanisch half ihm dabei, in Brasilien Portugiesisch zu verstehen. Neben den Sprachen wurde Rhetorik, Geschichte, Theologie und natürlich Mathematik, unentbehrlich für militärische Fertigkeiten, gelehrt. In dem Bestreben, den Humanismus mit althergebrachter aristokratischer Kultur zu verbinden, brachte die Schule den Zöglingen traditionelle Fertigkeiten eines Offiziers bei: Reiten, Musizieren, Tanzen und Fechten.
Aber die kulturellen Interessen des Moritz von Hessen-Kassel gingen über diesen Lehrstoff hinaus. Sie wurden durch das Theater, die Wissenschaft und den Okkultismus erweitert. Obwohl es nicht möglich ist, herauszufinden, wie weit Nassaus Verbindungen zur Lehre des Okkultismus gingen, so weiß man, dass die religiösen Verschiedenheiten vom katholischen Hof von Kaiser Rudolf in Prag ausgingen und sich bis zu den Calvinisten in Kassel und in das zentrale Europa ausbreiteten. Die Verflechtung des Okkultismus mit dem Humanismus war eine wichtige kulturelle Prägung am Ende des 16. Jahrhunderts. Es immigrierten im Jahre 1612 sogar einige Alchimisten, die nach dem Tod von Kaiser Rudolf in Prag „arbeitslos“ geworden waren, nach Kassel. Moritz von Hessen-Kassel unterstützte sie und übernahm die Kosten für die Einrichtung des ersten Lehrstuhls für Chemie in Europa an der Universität in Marburg. In Kassel wurde in jenen Jahren das Gründungsmanifest der Rosenkreuzer publiziert, die vorschlugen, die Christenheit durch Zauberkünste zu reformieren. Nassau konnte solche Neuigkeiten als Schüler des Collegium Mauritianum und als Bruder der Landgräfin, der am höfischen Leben teilnahm, nicht ignorieren. Doch im Laufe seines Lebens zeigte er keine besondere Sensibilität für diese Materie. Aber auf der anderen Seite hatte Kassel seine Neugier für Wissenschaft und Kunst geweckt.
Die Studien endeten im Sommer 1619. Moritz von Hessen-Kassel hatte eine Schulreform eingeführt, die eine wesentliche Verlängerung der Schulausbildung mit sich brachte. Johann der Mittlere entschied, den Sohn nach Siegen zurückzubringen. Dort hatte er inzwischen seine eigene Militärakademie gegründet. Doch diese Initiative brachte nicht den erwarteten Erfolg. Es nahmen nicht mehr als 20 Schüler am Unterricht teil. Diese Lage war auch durch den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges sowie durch das alte aristokratische Vorurteil bedingt, dass die militärische Berufung eine Gabe des Blutes sei und dass man die Kenntnisse auf dem Schlachtfeld und nicht in den Büchern lernt. Nach Siegen zurückgekehrt, kam die Stunde für Nassau, sich über sein weiteres Lebensziel klar zu werden. Er besaß nur 3.000 Taler, die ihm sein Großvater mütterlicherseits, Herzog Johann von Schleswig-Holstein, mitgegeben hatte, um im lutherischen Dom zu Bremen eine Anstellung zu bekommen.
Siegen konnte die zahlreiche Nachkommenschaft aus den zwei Ehen von Johann dem Mittleren nicht mehr unterhalten. Er beabsichtigte daher, sein Erbe in drei Teile zu teilen: ein Teil für Johann den Jüngeren, ein zweiter für Wilhelm und den dritten Teil für die Nachkommen aus der 2. Ehe. Vater und Großvater Nassaus sahen in der militärischen Erziehung eine Strategie, den sozialen Status zu wahren, um das Monopol der militärischen Führungspositionen des Adels zu bekräftigen. Innerhalb der engen Grenzen, umzingelt von einigen souveränen Kleinstaaten, und unter Androhung des Verlustes ihres Status durch den Zurückgang ländlicher Einnahmen während einer langen Inflationsperiode in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts gab es für den örtlichen Adel Deutschlands kaum Möglichkeiten des Aufstiegs außerhalb einer Militärkarriere.
E. Opgenoorth erinnert:
Wie viele andere Dynastien des Kaiserreiches, so konnte auch die Dynastie Nassau-Siegen ihren, in ihrer Sicht, angemessenen Status nicht mehr halten und auch nicht ihre politische Rolle ausüben, zu der sie sich im Umfeld ihres eigenen Landes verpflichtet fühlte. Wertvolle Alternativen bestanden darin, dem Kaiser und anderen kaiserlichen Fürsten zu dienen oder, im Falle der verschiedenen Familienzweige des Nassauischen Hauses, gehobene Positionen in den Niederlanden zu erlangen. In einer Zeit, in der stehende Heere sich zu bilden begannen, war ein Eintritt in diese Heere eine beachtenswerte Erwägung wert. Die Kosten einer Militärbasis mit einer effektiven autonomen Politik waren für ein Land von der Größe Nassau-Siegens zu groß.
Dank der Protektion der niederländischen Vettern hatten drei Generationen der deutschen Nassauer in den Niederlanden militärische Dienste geleistet. Diese waren, wie erwähnt, Nassaus väterlicher Großvater, sein Vater wie auch seine Halbbrüder Johann Ernst I., Johann der Jüngere, Adolf, Wilhelm und Georg Friedrich. Nach Nassau dienten dort seine Vollgeschwister, nämlich sein Lieblingsbruder Heinrich und Johann Ernst II., der Jüngste der Familie, der ihn nach Brasilien begleitete. Während der Stadhouderschap (Statthalterschaft) Friedrich Heinrichs dienten 26 Familienmitglieder als Offiziere des Heeres dank der Tatsache, dass dem Prinzen von Oranien das Recht zur Ermöglichung einer Militärkarriere zustand. Andererseits benötigten die Niederlande auch den Zulauf des ausländischen Adels, um ihr Offizierskorps aufzufüllen. In einer Zeit des ständigen Seitenwechsels von militärischen Führern garantierten die deutschen Nassauer Treue zur Verwandtschaft und den Oraniern. Einige Schwestern Nassaus heirateten einflussreiche Persönlichkeiten aus Deutschland und den Niederlanden, wie Moritz von Hessen-Kassel, Johan Wolfert van Brederode, Marschall der Niederlande, und Graf Waldeck, Berater des brandenburgischen Kurfürsten.